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Kinga Beliznai Bódi[1]: Die richterliche Verantwortlichkeit in Ungarn 1869-1954 Forschungsrichtungen der Habilitationsschrift (Annales, 2021., 221-226. o.)

https://doi.org/10.56749/annales.elteajk.2021.lx.15.221

In den vergangenen zehn Jahren konzentriert sich meine rechtsgeschichtliche Forschung auf die Organisation und Funktionsweise der ungarischen Gerichte sowie auf die Tätigkeit der Richter und der Gerichtsbeamten.

Bei der Forschung der Mechanismen des Organisationssystems habe ich mich allmählich für den Richter selbst interessiert. Ich war in den letzten Jahren Autorin und Redakteurin mehrerer Studienbände zu diesem Thema. Als leitende Rechtshistorikerin eines gemeinsamen Forschungsprojekts der Kurie und des Landesarchivs des Ungarischen Nationalarchivs habe ich den Werdegang und die Arbeit der Präsidenten der Kurie - und bis 1882 des Obersten Gerichtshofs und des Kassationshofs - vor allem durch die Aufarbeitung von nicht oder weniger bekannten Quellen erforscht. Parallel zur Darstellung der Richterkarrieren habe ich in meinen Beiträgen und Fachartikeln die Veränderungen der Gerichtsorganisation und des Gerichtsverfahrens in den Jahrzehnten zwischen 1869 und 1937 nachgezeichnet, insbesondere diejenigen, die die Struktur und die Arbeitsweise der ordentlichen und der Sondergerichte betrafen. Als Ergebnis dieser mehrjährigen Forschungsarbeit wandte sich meine Aufmerksamkeit der Regelung der richterlichen Unabhängigkeit zu, insbesondere der materiellen Unabhängigkeit von Richtern und Gerichtsbeamten. Im Rahmen meiner Forschungen zur Verwirklichung und Durchsetzung des im Gesetz Nr. 4 von 1869 verkündeten Grundprinzips der materiellen Unabhängigkeit habe ich mich ausführlich mit den gesetzgeberischen Bemühungen zur Regelung der Richterbesoldung in der Zeit zwischen 1869 und 1940 befasst (und werde dies auch weiterhin tun). Ich habe nicht nur die Gesetze und Gesetzesentwürfe zur Regelung der Gehälter von Richtern und Staatsanwälten, sondern auch die Stellungnahmen, Kommentare und Einwände von Fachleuten zu diesem Thema eingehend analysiert. In meiner Forschung habe ich versucht, einen umfassenden Überblick über die Zusammenhänge zwischen der richterlichen Unabhängigkeit und den Gehältern der Richter, ihre Auswirkungen auf die Arbeit der Richter, die Justiz und das Funktionieren der Justiz im Allgemeinen zu geben.

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Das Herausarbeiten dieses für den Rechtshistoriker faszinierenden Themas führte zu dem juristischen Problem der richterlichen Verantwortlichkeit. Trotz aller Bemühungen um eine Verbesserung der Gehälter im 19. und 20. Jahrhundert ist es eine Tatsache, dass die Gehälter der Richter nicht immer die Bedürfnisse des täglichen Lebens und die Lebenshaltungskosten vollständig abdeckten. Infolgedessen war es nicht ungewöhnlich, aber durchaus üblich, dass Richter Amtsdelikte oder in weniger schwerwiegenden Fällen Disziplinarverstöße begingen, um sich einen unrechtmäßigen Vorteil zu verschaffen, der strafrechtlich oder disziplinarisch verfolgt oder geahndet wurde.

In meiner Habilitationsschrift stelle ich die Regelung aller Formen der gerichtlichen Haftung im 19. und 20. Jahrhundert dar, d.h. die aufsichts-, strafrechtliche, disziplinarische und vermögensrechtliche (Schadensersatz-) Verantwortlichkeit, d.h. den rechtlichen Hintergrund der Zeit zwischen 1869 und 1954, sowie deren gesellschaftliche und rechtliche Wahrnehmung und Bewertung. 1869 ist das Jahr, in dem das Gesetz über die Ausübung der richterlichen Gewalt, einschließlich des Gesetzes zur Erklärung der Unabhängigkeit der Justiz, verabschiedet wurde. Es ist der Ausgangspunkt für meine Arbeit, da viele seiner Bestimmungen mit dem ersten Disziplinargesetz von 1871 in Verbindung stehen werden. Ich verfolge die Entwicklung des Rechtsinstituts der richterlichen Verantwortlichkeit bis zum Erlass des Gesetzes Nr. 2 von 1954 und des Beschlusses des Ministerrats Nr. 1051 vom 30. Juni 1954 zur Regelung des richterlichen Disziplinarverfahrens verfolgen.

Bei der Wahl des Themas habe ich mich von dem Ziel leiten lassen, die Vergangenheit dieses Rechtsinstituts zu erforschen, das im heutigen Rechtsleben von großer Bedeutung ist. Die disziplinarrechtliche und entschädigungsrechtliche Haftung von Richtern ist in den Kapiteln VIII und IX des Gesetzes Nr. 162 von 2001 über die Rechtsstellung und Vergütung von Richtern geregelt, während die strafrechtliche Haftung durch das Strafgesetzbuch (Gesetz Nr. 100 von 2012) geregelt wird.

Die Anfänge der richterlichen Verantwortlichkeit sind im mittelalterlichen ungarischen Recht zu finden. In Ermangelung eines einheitlichen Gesetzes können wir diese Regelung in den ersten Jahrhunderten aus Statuten erfahren. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, als das erste umfassende Gesetz, das Gesetz Nr. 8. von 1871, erlassen wurde. Das so genannte Disziplinargesetz regelte nicht nur die disziplinarische Verantwortlichkeit von Richtern und Gerichtsbeamten, sondern auch die aufsichts-, strafrechtliche und vermögensrechtliche (Entschädigungs-) Verantwortlichkeit. Einige der Bestimmungen des Gesetzes wurden durch detaillierte und klarstellende Maßnahmen in den Erlassen des Justizministers über die Regeln der Justizverwaltung ergänzt. Das Disziplinargesetz war mit Änderungen und Ergänzungen fünfundsechzig Jahre lang in Kraft, bis 1936, und einige seiner Bestimmungen bis 1954. Das Gesetz Nr. 3 von 1936 berührte nicht die früheren Vorschriften über die Aufsichts- und Vermögenshaftung, und die Bestimmungen des 1880

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in Kraft getretenen Csemegi-Kodexes (Gesetz Nr. 5 von 1878), die die Amtsdelikte regelte, waren seit 1880 auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit anwendbar. Mit dem Gesetz von 1936 wurde daher das Problem der disziplinarischen Verantwortlichkeit von Richtern (und Staatsanwälten) und Gerichts- (und Staatsanwalts-) beamten unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen in der Gerichtsorganisation und im Gerichtsverfahren neu überdacht und geregelt, und es wurden Vorschriften über die Versetzung und die Pensionierung hinzugefügt, da die Versetzung und die Pensionierung in die Zuständigkeit des mit der Disziplinarsache befassten Gerichts fallen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Es ist zu betonen, dass die richterliche Verantwortlichkeit nicht erst im 19. und 20. Jahrhundert zu einem Thema für die Anwaltschaft geworden ist. Das Problem der Haftung in all ihren Formen war in der Tat eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, und es ist klar, dass die Gesetzesänderungen von einem allgemeinen gesellschaftlichen Interesse begleitet wurden. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass über die einzelnen Etappen der Ausarbeitung eines neuen Gesetzes sowie über die allgemeinen und ausführlichen Debatten über die Gesetzesentwürfe im Ausschuss und anschließend im Parlament in den Gesetzgebungsspalten der nationalen und lokalen Zeitungen sowie in den Fachzeitschriften genau und ausführlich berichtet wurde. Eine besonders wichtige Rolle spielten die Tageszeitungen zwischen 1935 und 1946, als eine der wichtigsten juristischen Fachzeitschriften, Jogtudományi Közlöny (Rechtswissenschaftliche Mitteilung), eingestellt wurde. Im Laufe meiner Recherchen habe ich als grundlegende Informationsquelle zu diesem Thema unter anderem die Journale und Schriften des Abgeordnetenhauses, bzw. des Oberhauses und später der Nationalversammlung, die Protokolle der Plenarsitzungen der Kurie und die Disziplinarurteile der Gerichtshöfe verwendet.

Obwohl der Schwerpunkt meiner Forschung auf der nationalen Gesetzgebung zur richterlichen Verantwortlichkeit liegt, ist es unerlässlich, den rechtlichen Hintergrund und die Praxis der heutigen europäischen Länder zu betrachten. In Anbetracht der Position von Dezső Márkus und auf der Grundlage meiner eigenen Forschung gehe ich in meiner Arbeit nicht auf die englischen Entwicklungen ein. Der Grund dafür ist, dass sich die Struktur der Gerichte sowie die Organisation und Funktionsweise der Justiz in diesem Inselstaat erheblich von der inländischen Praxis unterscheiden. Als Vorbild dienten unter anderem das preußische und das österreichische System. Ich halte es auch für wichtig, die ausländischen Rechtsvorschriften zur Regelung der richterlichen Verantwortlichkeit darzustellen, denn obwohl Miksa Székely und Dezső Márkus sich auch damit befasst haben, sind die von ihnen beschriebenen Regeln und Erkenntnisse an mehreren Stellen klärungs- und ergänzungsbedürftig. Neben dem preußischen und dem österreichischen System der richterlichen Verantwortlichkeit beschreibe ich die bayerischen, französischen (mit Verweis auf das belgische) und italienischen Besonderheiten sowie die kroatisch-slawonischen Regelungen, die mit den ungarischen

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Entwicklungen verglichen werden können und in der ungarischen Fachliteratur noch nicht behandelt wurden.

Mein Ziel ist es, eine komplexe Darstellung der Institution der richterlichen Verantwortlichkeit im Lichte der Gesetzgebung und der richterlichen Praxis in der Zeit von 1871 bis 1954 zu geben. Ich konzentriere mich auf die Frage der disziplinarischen Verantwortlichkeit, einschließlich des Begriffs des Disziplinarvergehens, des Umfangs der Disziplinarstrafen, der Zusammensetzung und der Art und Weise, wie das Disziplinargericht zusammengesetzt ist, der Einleitung und des Verfahrens des Disziplinarverfahrens, und inwieweit diese in den Gesetzen von 1871, 1936 und 1954 ähnlich oder unterschiedlich waren. Ausführlich gehe ich auch auf die Ausübung der Aufsicht über die Gerichte und die sich daraus ergebende Haftungsregelung ein, die sich zwischen 1871 und 1954 im Gegensatz zur strafrechtlichen und vermögensrechtlichen (entschädigungsgerichtlichen) Haftung nicht wesentlich verändert hat. Zusätzlich zu den spezifischen Rechtsvorschriften werde ich großen Wert darauf legen, die Kommentare und Vorschläge der breiteren und engeren Fachkreise zusammenzufassen, die die Gesetzesänderungen begleitet haben. Da die Bestimmungen über die richterliche Verantwortlichkeit nach 1871 auch auf Staatsanwälte, Gerichtsvollzieher und Schiedsrichter ausgedehnt wurden, ist es verständlich, dass sich neben der Justiz auch Vertreter verwandter Berufe wie Notare und Rechtsanwälte zu diesem Thema geäußert haben, da in der Folgezeit Rechtsvorschriften zur Regelung der Verantwortlichkeit von Notaren und Rechtsanwälten ausgearbeitet wurden.

Die Gesetzgebung nach 1945, obwohl das Gesetz Nr. 3 von 1936 bis 1954 in Kraft blieb, unterscheidet sich stark von den früheren Bestimmungen. Der Grund dafür liegt natürlich in den veränderten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und deren Auswirkungen auf die Organisation der Gerichte und die Zusammensetzung des Gerichtspersonals. Was sich nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass der Gesetzgeber dem Justizminister weiterhin die Aufsicht über die Gerichte übertragen hat, und zwar mit umfassenderen Befugnissen als zuvor.

Meine Publikationen zur richterlichen Verantwortlichkeit

Zum Disziplinargesetz von 1871

A bírói fegyelmi felelősség szabályozása a 19. századi Európában (Die disziplinäre Verantwortlichkeit von Richtern in Europa im 19. Jahrhundert), in B. Mezey (ed.), Kölcsönhatások. Európa és Magyarország a jogtörténelem sodrában (Wechselwirkungen. Ungarn und Europa in der Strömung der Rechtsgeschichte), (Gondolat Kiadó, Budapest, 2021) 78-86.

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A bírói felelősség szabályozása Magyarországon 1871-ben (Regelung der richterlichen Verantwortlichkeit 1871), (2019) (2) Jogtörténeti Szemle, 19-29.

Történetek a bírói felelősség köréből (Geschichte aus dem Gebiete der richterlichen Verantwortlichkeit), in G. Gosztonyi and T. M. Révész (eds), Jogtörténeti Parerga II. Ünnepi tanulmányok Mezey Barna 65. születésnapja tiszteletére (Rechtsgeschichtliche Parerga II, Festschrift zu Ehren des 65. Geburtstages von Barna Mezey), (ELTE Eötvös Kiadó, Budapest, 2018) 61-66.

Große Sensation in Budapest in den 1920er Jahren. Richter auf der Anklagebank, (2018) (7) Rechtskultur. Zeitschrift für europäische Rechtsgeschichte, 22-32.

Zur disziplinarischen Verantwortlichkeit der österreichischen, bzw. ungarischen Richter

A bírói fegyelmi felelősség szabályozása 1945 után (Regelung der disziplinare Verantwortlichkeit der Richter nach 1945), in N. Birher, P. Miskolczi-Bodnár, P. Nagy and J. Z. Tóth (eds), Studia in Honorem István Stipta 70, (KRE Állam- és Jogtudományi Kar, Budapest, 2022) 123-129.

A bírák és a bírósági tisztviselők felelősségének szabályozása (1936) (Regelung der Verantwortlichkeit von Richtern und Gerichtsbeamten 1936), (2022) (2) Kúriai Döntések, 301-311.

Die disziplinare Verantwortlichkeit von Richtern in Ungarn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit einem Überblick über die österreichische Regelung, (2020) (1) Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs, 5-18. https://doi.org/10.1553/BRGOE2020-1s5

Zur durch die Aufsicht durchgesetzte Verantwortlichkeit

Tárgyalótermi protokoll a 19-20. század fordulóján (Protokoll im Gerichtssaal an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert), (2022) (9) Kúriai Döntések, 1479-1485.

Bírói modor a tárgyalóteremben (Richterliches Verhalten im Gerichtssaal), (2018) (2) Miskolci Jogi Szemle, 112-125.

Zum Zusammenhang der Richtergehälter und der richterlichen Unabhängigkeit

"Hogy a minimumra legyen szállítva a bíróhoz való hozzáférés esélye". A bírói fizetésrendezés és a bírók anyagi függetlensége 1869-1920 (Richterliche Gehälter und die materielle Unabhängigkeit der Richter 1869-1920), (2018) (2) Állam- és Jogtudomány, 22-25.

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A bírói kar "szorongatása" az 1920-as években (Die Bedrängnis der Richter in den 1920er Jahren), in V. Fodor, P. Gecsényi, G. Hollósi, D. Kiss, K. Ráczné Baán and J. Rácz (eds), Zinner 70. Egy élet az (i)gazságszolgáltatás kutatásának szolgálatában [Zinner 70. Ein Leben im Dienste der (Un-)Gerechtigkeitsforschung], (Magyar Napló Kiadó and Írott Szó Alapítvány, Budapest, 2018) 396-403.

Sind Richter bestechlich? Materielle Unabhängigkeit der Richter in Ungarn (18701920), Rechtsgeschichtliche Vorträge 74., (ELTE ÁJK, Budapest, 2017) 1-31. ■

Lábjegyzetek:

[1] Der Autor ist Univ.-Doz. Dr. habil. Ph.D., Lehrstuhlleiterin, Lehrstuhl für Ung. Staats- und Rechtsgeschichte, Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät, ELTE Eötvös-Lorand-Universität.

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