Am 11. Januar 2009 ist die Verordnung Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 ("Rom II") in Kraft getreten.[1] Damit begann eine neue Epoche in der Geschichte der Vereinheitlichung des IPR in der EG. Für die meisten Mitgliedstaaten[2] bedeutet das Inkrafttreten der Rom II-Verordnung eine grundlegende Veränderung der Kollisionsregel im Bereich der internationalen außervertraglichen Schuldverhältnisse.[3] In diesem Beitrag möchte ich nicht alle Veränderungen unter die Lupe nehmen, sondern mich nur auf die Problematik der Rechtswahl im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse konzentrieren.
Vor dem Inkafttreten konnte man betreffend der Kollisionsregel der außervertraglichen Schuldverhältnisse in Europa wohl kaum von Einheitlichkeit sprechen. Der Grund dafür lag einerseits darin, dass - wie auch im Erwägungsgrund Nr. 15 der Verordnung betont wird - die meisten Mitgliedstaaten, die zwar von der Regel der "lex loci delicti" ausgegangen sind, diese Regel in der Praxis unterschiedlich angewandt haben. Andererseits war ein wichtiger Grund der unterschiedlichen Behandlung, dass schon der Begriff der außervertraglichen Schuldverhältnisse unterschiedlich verstanden wurde.[4] Und nicht zuletzt
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sind nicht alle außervertraglichen Schuldverhältnisse in den nationalen Rechten kollisionsrechtlich geregelt worden.[5]
Trotz der oben erwähnten Unterschiede konnte man betreffend der "objektiven" Kollisionsregel gemeinsame Tendenzen in der europäischen Rechtsentwicklung feststellen. So können die allgemeinen Kollisionsnormen des Art. 4 für die Rechtsanwender nicht als überraschend betrachtet werden. Diese Behauptung gilt aber weniger für die besonderen Tatbestände der unerlaubten Handlungen und für die der ungerechtfertigten Bereicherung, der Geschäftsführung ohne Auftrag und der culpa in contrahendo.[6]
Zu einer der wichtigsten Änderungen der Rom Ii-Verordnung zählt ohne Zweifel die Einführung der Rechtswahl in das vereinheitlichte europäische Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse. Nicht weil sie eingeführt wurde, sondern wie sie eingeführt wurde. Um die Gründe dafür besser verstehen zu können, soll zunächst ein Blick auf die Entwicklung der Parteiautonomie in den europäischen Rechtsordnungen im Bereich der außervertraglichen Schuldverhältnisse geworfen werden. Anders als im internationalen Vertragsrecht, wo die Parteiautonomie auf eine jahrhundertelange Entwicklungsgeschichte zurückgeführt werden kann, ist im internationalen Deliktsrecht (und im Bereich der anderen außervertraglichen Schuldverhältnisse) die Rechtswahl eine relativ neue Methode der Rechtsfindung.
Die Idee der Rechtswahl außerhalb des internationalen Vertragsrechts ist zuerst im internationalen Deliktsrecht aufgetaucht. Mitte des vorigen Jahrhunderts sind die Krisenerscheinungen betreffend der Richtigkeit der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Methoden im internationalen Deliktsrecht immer stärker geworden. Vor allem ist die "lex loci delicti"-Regel kritisiert worden. Die Literatur hat sich eine Auflockerung des Deliktsstatuts zum Ziel gesetzt. Unter den verschiedenen Vorschlägen ist auch die Rechtswahl als eine Möglichkeit erörtert worden. Die Möglichkeit der Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht ist zuerst von Raape[7] vorgeschlagen worden. In den fünfziger Jahren hat er aber die Rechtswahl lediglich materiellrechtlich, und nachträglich, für die Fälle für
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möglich gehalten, bei denen das anzuwendende Recht mit herkömmlichen Methoden nicht eindeutig festzustellen ist. Die Lehre von Raape hat auch in Deutschland nicht nur ein positives Echo ausgelöst, sie wurde bald als eine lebensfremde Konstruktion aufgegeben.
Eine neue, die kollisionsrechtliche Rechtswahl an die Spitze der Bestimmungen über das internationale Deliktsrecht stellende Konstruktion hat Jan Kropholler am Ende der sechziger Jahre veröffentlicht.[8] Krophollers Ausgangspunkt war die materiellrechtliche Privatautonomie, deren Paralelle er in der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie gefunden hat. Der Geschädigte ist berechtigt, über seine deliktischen Ansprüche im materiellen Recht frei zu entscheiden. Das Parteiinteresse überwiegt die allgemeinen Interessen, die in den unabdingbaren Bestimmungen des Deliktsrechts verankert sind. Die Parteien können also eine kollisionsrechtliche Rechtswahl treffen und das ganze ohne Rechtswahl anzuwendende Recht, samt unabdingbaren Normen, abwählen.
Besteht bei Kropholler die Paralelle zwischen der Privat- und Parteiautonomie, hat Werner Lorenz[9] am Anfang der achtziger Jahre eine Paralelle zwischen der Anerkennung der kollisionsrechtlichen Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht und im internationalen Deliktsrecht gezogen. Er war der Meinung, dass die Anerkennung der Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht vor allem davon abhängig ist, "welchen Stellenwert die Parteiautonomie im internationalen Schuldvertragsrecht hat". Seiner Meinung nach darf man aber nicht annehmen, dass die beiden Rechtsgebiete immer gleich gewertet werden. Als Beispiel nannte er das französische Recht, wo die Parteiautonomie im internationalen Vertragsrecht längst anerkannt wurde, die Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht aber sich trotzdem nicht durchsetzen konnte, weil die Bestimmungen jenes Rechtsgebiets traditionell als "lois de police et sureté" eingestuft werden.
Zur gleichen Zeit sind von anderen Autoren auch die Möglichkeiten der Einführung der Parteiautonomie in anderen Bereichen der außervertraglichen Schuldverhaltnisse erörtert worden. So z.B. im Bereich der ungerechtfertigten Bereicherung durch Schlechtriem, der die Rechtswahl allerdings davon abhängig machte, ob die Bereicherung aus einem Rechtsverhältnis entstanden ist, das im materiellen Recht der Parteiendispositition nicht entzogen ist.[10] Einige Jahre später sind aber in der deutschen Literatur die Meinungen stärker geworden,
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die eine unbegrenzte Parteiautonomie ohne Rücksicht auf das materielle Recht im internationalen Bereicherungsrecht befürwortet haben.[11]
Trotz der oben geschilderten Entwicklung in der Literatur zugunsten einer Anerkennung der Rechtswahl im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse konnten jene Ansichten nur schrittweise zur Veränderung des positiven Rechts führen. Dort, wo die Rechtswahl eine Institution des positiven Rechts wurde, ist sie meist enger konstruiert worden, als im internationalen Vertragsrecht.[12]
Wie oben erwähnt, hat Werner Lorenz während der Vorbereitungsarbeiten der Neukodifikation des deutschen IPR im Jahre 1983 die Beurteilung der Parteiautonomie im internationalen Vertrags- und Deliktsrecht als miteinander oft in Korrelation stehende Gebiete dargestellt.[13] Seine Auffassung hatte zu jener Zeit vor allem eine theoretische und eine de-lege-ferenda-Bedeutung, da die Anerkennung der Parteiautonomie in den nationalen Regelungen noch eher eine Ausnahme war. Eine solche Ausnahme stellte die österreichische Regelung dar, die im IPRG aus dem Jahre 1978 für beide Gebiete die Rechtswahl sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend anerkannt hat.[14] Jene Bestimmungen sind auch durch die Modifizierung des Gesetzes im Jahr 1998 nicht geändert worden. Die österreichische Literatur legt jene Vorschrift des Gesetzes so aus, dass sie auch eine vorherige Rechtswahl ermöglicht.[15] Der österreichische Gesetzgeber hat also schon vor mehr als 30 Jahren eine einheitliche Regelung der Rechtswahl im internationalen Vertrags- und Deliktsrecht für möglich und wünschenswert gehalten.
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Die nächste europäische nationale Kodifikation, die die Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht anerkannt hat, war das schweizerische IPRG aus dem Jahre 1987.[16] Der Schlussbericht der Expertenkomission zum Gesetzesentwurf hebt hervor, dass für die Komission nicht die Rechtswahl als solche, sondern jene Frage im Vordergrund stand, ob die Wahl eine umfassende oder eine auf bestimmte Rechtsordnungen beschränkte sein soll. Für beide Varianten hat die Kommission Argumente ins Feld geführt. So werden die früher in der deutschen Literatur schon erwähnten Argumente für die Gleichbehandlung der materiellrechtlichen und der kollisionsrechtlichen Privat- und Parteiautonomie, als auch die Argumente für einen Schutz gegen Rechtsmissbrauch wiederholt.[17] Das letztere Argument - der Schutz vor Rechtsmissbrauch - überwiegt jedoch, so dass sich die Kommission letzten Endes für eine kollisionsrechtliche, aber nur beschränkte Rechtswahl entschieden hat. So bestimmt Art. 132 IPRG lediglich, dass die Parteien nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses stets vereinbaren können, dass das Recht am Gerichtsort, d.h. also die lex fori, anzuwenden ist.
Einen zum Teil anderen Weg hat der deutsche Gesetzgeber gewählt.[18] Aus der deutschen Literatur ist bekannt, dass der deutsche Gesetzgeber mit der Regelung des internationalen Deliktsrechts im Jahre 1999 dem europäischen Gesetzgeber die Richtung zeigen wollte.[19] Das deutsche Gesetz erlaubt den Parteien mehr als das schweizerische, ist aber weniger großzügig als das österreichische. Die vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse werden hinsichtlich der Parteiautonomie nicht gleich behandelt. In den letzteren Verhältnissen wird den Parteien nur eine nachträgliche Rechtswahlmöglichkeit eingeräumt. Jene Rechtswahl darf die Rechte Dritter nicht berühren.
In der deutschen Rechtsliteratur streitet man darüber, ob der Gesetzgeber mit den Bestimmungen von Art. 42 EGBGB die vorherige Rechtswahl a contrario ausschließen wollte oder nicht.[20] Zum Teil wird angenommen, dass hinsichtlich der
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vorherigen Rechtswahl eine Regelungslücke existiert. Ein Argument dazu liefern die Vorschläge des Deutschen Rates für IPR, dessen Entwurf aus dem Jahre 1982 folgendes enthält: "Die Parteien können sich nach Eintritt des schädigenden Ereignisses darüber einigen, welches Recht über die Haftung entscheiden soll."[21] In seinen Erläuterungen zu dem Entwurf betonte die Kommission aber, dass durch diese Regelung die Zulässigkeit der Rechtswahl nicht präjudiziert werden sollte. Man wollte die Entscheidung über die Zulässigkeit der vorherigen Rechtswahl der Entwicklung der Wissenschaft und der Praxis überlassen. Diejenigen, die die antizipierte Rechtswahl nicht für möglich halten, berufen sich darauf, dass in der Begründung des Gesetzgebers zu Art. 42 EGBGB folgendes ausgeführt wurde: "Mit Rücksicht auf den Schutzcharakter außervertraglicher Schuldverhältnisse und aus praktischen Erwägungen wird die Rechtswahl nach Satz 1 erst für die Zeit nach Entstehung des Schuldverhältnisses zugelassen."[22]
Ein Teil der Literatur zweifelt an dem Sinn einer solchen Betrachtung. Es wird argumentiert, dass die Formulierung der allgemeinen Ausweichklausel gegen eine solche Auffassung spricht. Nach Art. 41 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB kann sich eine wesentlich engere Verbindung mit dem Recht des Staates ergeben, insbesondere aus einer besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Beziehung zwischen den Beteiligten. In diesen Fällen soll das Recht der engsten Verbindung auf das außervertragliche Schuldverhältnis angewandt werden. Das würde also bedeuten, dass das nach dem Parteienwillen auf einen Vertrag anzuwendende Recht durch objektive Anknüpfung auf das mit dem Vertrag verbundene außervertragliches Schuldverhältnis Anwendung fände, wenn die Gerichte diesem Gebot des Gesetzes bedingungslos folgen würden. Dies ist aber nicht der Fall. Die Gerichte legen die eindeutige Vorschrift des Gesetzes lediglich als eine "Kann-Vorschrift" aus und wenden das von den Parteien auf den Vertrag gewählte Recht auf das mit dem Vertrag in enger Verbindung stehende außervertragliche Schuldverhältnis nicht unbedingt, sondern nur dann an, wenn der Schutzcharakter des Deliktsrechts dadurch erhalten bleibt.[23] Dieses richterliche Verhalten führt letzten Endes dazu, dass die akzessorische Anknüpfung nicht ohne weiteres einen Ersatz für die vorherige Rechtswahl der Parteien für ihr außervertragliches Schuldverhältnis darstellt.
Ein Teil der deutschen Literatur ist der Auffassung, dass auch bei einem - unter einer dem Text des Gesetzes völlig treuen Auslegung, also ohne Ermessensausübung - von den Parteien durch Rechtswahl vereinbarten Vertragsstatuts auf das deliktische Rechtsverhältnis eine vorherige Rechtswahl des Deliktsstatuts nicht überflüssig wäre. Es gibt nämlich Verträge, in denen aus verschiedenen Gründen überhaupt kein Recht gewählt wird. In solchen Fällen kann die gleichlaufende Behandlung von vertraglichen und deliktischen An-
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Sprüchen durch die akzessorische Anknüpfung nicht erreicht werden. Den Parteien sollte die gleichlaufende Gestaltung von zusammenhängenden vertraglichen und deliktischen Ansprüchen ermöglicht werden. Das kann nur mit der Zulassung einer vorherigen Rechtswahl lückenlos und konsequent erreicht werden. Der deutsche Gesetzgeber hat mit dem Anpassungsgesetz vom 25. 6. 2009 die Vorschrift des Art. 42 EGBGB über die nachträgliche Rechtswahl unverändert gelassen.[24] Das bedeutet, dass eine antizipierte Rechtswahl in den Fällen, die nicht von der Rom II-Verordnung erfasst werden, weiterhin unwirksam bleibt. Es gibt also eine Zweispurigkeit im deutschen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse.[25]
Das holländische Gesetz über das IPR der unerlaubten Handlungen hat im Jahre 2001 nicht nur die nachträgliche, sondern auch die antizipierte Rechtswahl kodifiziert. Beide können nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend erfolgen.[26] Ein neues Beispiel für die Einführung der Rechtswahl in internationalen außervertraglichen Schuldverhältnissen stellt das neue belgische Gesetz dar.[27] Das Gesetz, das im Oktober 2004 in Kraft trat, erkennt die Rechtswahl außer bei den hier erörterten außervertraglichen Schuldverhältnissen auch bei der Scheidung, im Ehegüterrecht, im Erbrecht, bei Schuldverhältnissen aus einseitigen Parteierklärungen und bei den Trusts an.[28] In Deliktsverhältnissen muss das gewählte Recht mit dem Rechtsverhältnis nicht in Verbindung stehen.
Art. 11 des im Mai 2002 veröffentlichten Vorentwurfs sah eine freie, aber lediglich ausdrückliche Rechtswahl der Parteien vor. Diese Rechtswahl war zeitlich nicht beschränkt, hatte sowohl vor dem schädigenden Ereignis als auch
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nachträglich erfolgen können. Der einige Jahre früher von der GEDIP (Groupe Européen de Droit Intenational Privé) ausgearbeitete Vorschlag[30] hatte nur eine nachträgliche Rechtswahl für wünschenswert gehalten.
Abweichend von dem Vorentwurf hat der offizielle Vorschlag ein Jahr später nur eine nachträgliche Rechtswahl vorgeschlagen (Art. 10). Für den Bereich des geistigen Eigentums hat der Entwurf die Rechtswahl nicht zugelassen. Genauso wie bei den vertraglichen Schuldverhältnissen im EVÜ hat der Verordnungsvorschlag die Rechtswahl auch bei reinen Inlandstatbeständen vorgesehen. In diesen Fällen ist jedoch die Rechtswahl nur eine materiellrechtliche, das heißt, dass die unabdingbaren Normen des Rechts, zu dem das Rechtsverhältnis gehört, nicht abgewählt werden können. Eine andere Schranke sind die Rechte Dritter. Als zusätzliches neues Element hat der Vorschlag die EG auch als ein einheitliches Rechtsgebiet angesehen und bei Gemeinschaftstatbeständen gegenüber die Rechte von Drittstaaten rechtswahlfest gemacht. Die sonstigen Schranken, wie Eingriffsnormen und ordre public, gibt es natürlich auch.
Das Europäische Parlament hat im Sommer 2005 im Mitentscheidungsverfahren viele Änderungen vorgeschlagen und die Kommission aufgefordert, sich mit dem Vorschlag erneut zu befassen, ihn entscheidend zu ändern oder durch einen anderen Text zu ersetzen. Der von der englischen Parlamentsabgeordneten Diana Wallis konzipierte Gegenvorschlag des Parlaments hat betreffend der Rechtswahl zwei Neuerungen aufgeworfen. Die erste betrifft die Struktur der Verordnung, indem die Rechtswahl an die Spitze der Bestimmungen gesetzt wird. Die andere Änderung betrifft den Inhalt. Das Parlament hat vorgeschlagen, in B2B-Verhältnissen auch eine vorherige Rechtswahl zuzulassen. Das Parlament sah in den B2B-Fällen keine Gefahr des Missbrauchs, denn die Parteien sind gleichrangig, und die vorherige Rechtswahl kann zur Stabilität und Vorhersehbarkeit der Koordinierung von vertraglichen und außervertraglichen Verhältnissen bezüglich des anzuwendenden Rechts beitragen. Ähnliche Vorschläge und Argumente hat auch die Wissenschaft betont.[33]
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Die Kommission hat auf den Parlamentsvorschlag im Frühjahr 2006 reagiert und einen geänderten Vorschlag veröffentlicht. In diesem geänderten Vorschlag hat die Kommission einen Teil der Parlamentsvorschläge gänzlich angenommen, einen Teil gänzlich verworfen und einen Teil teilweise angenommen. Im Grunde genommen hat dieser Kompromissvorschlag die Parlamentsvorschläge betreffend der Rechtswahl inhaltlich angenommen. Der Vorschlag wurde dann im Mai 2007 strukturell verändert in den entgültigen Text der Verordnung übernommen.
Mit der Verabschiedung des endgültigen Textes und mit dem Inkrafttreten der Verordnung beginnt eine neue Epoche des gesamteuropäischen Kollisionsrechts. Die Rechtswahl hat sich auch in den außervertraglichen Schuldverhältnissen durchgesetzt. Nur im Bereich der Verletzung des geistigen Eigentums und der Wettbewerbsrechtsverleztungen ist die Rechtswahl ausgeschlossen. In den sonstigen Fällen des internationalen Deliktsrechts sowie in anderen außervertraglichen Schuldverhältnissen ist sie zulässig.
Als Hauptregel gilt die nachträgliche Rechtswahl, wobei der entscheidende Zeitpunkt der Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses ist. Der Schaden wird als sämtliche Folgen einer Schädigung, einer ungerechtfertigten Bereicherung, Geschäftsführung ohne Auftrag oder culpa in contrahendo definiert. Der Schaden muss nicht unbedingt eintreten, es genügt, wenn die Schädigung wahrscheinlich ist. Die Rechtswahl kann sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend erfolgen. Zur letzteren genügt eine hinreichende Sicherheit, die sich aus den Umständen des Falles ergibt. Die antizipierte Rechtswahl ist für die Fälle vorgesehen, wenn alle Parteien eine Handelstätigkeit ausüben. Diese vorherige Rechtswahl muss frei ausgehandelt sein, eine in den AGB enthaltene Rechtswahl ist infolge dessen unwirksam. Die antizipierte Rechtswahl ist das Ergebnis einer Kompromisslösung mit den typischen Schwächen eines Kompromisses. Sie ist zu kompliziert, der relevante Zeitpunkt ist bei der ungerechtfertigten Bereicherung, bei der culpa in contrahendo und bei der Geschäftsführung ohne Auftrag unklar, und die Gefahr, die aus der ungleichen wirtschaftlichen Stärke der Parteien entsteht, kann auch sie nicht unbedingt entschärfen.
Im Jahre 1970 - als die Kodifikation des ungarischen IPR im Gange war - hat Professor László Réczei gemeint, Aufgabe der Wissenschaft sei es, dem Gesetzgeber Alternativen auszuarbeiten. Wenn die Wissenschaft diese Aufgabe
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nicht erfüllen kann, wird der Gesetzgeber ohne Rücksicht auf die Wissenschaft eine Entscheidung treffen und die weitere Entwicklung des Rechtsgebiets bestimmen. Etwas Ähnliches ist im europäischem IPR passiert. Der europäische Gesetzgeber hat eine Entscheidung getroffen.Er hat die Rechtswahl als eine Grundinstitution im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse eingeführt und sie so weit wie möglich der vertragsrechtlichen Rechtswahl gleichgestellt. Damit scheint die Polemik darüber, ob die Rechtswahl in beiden Gebieten ähnlich oder unterschiedlich behandelt werden muss, - zumindest was die europäische Kollisionsregelung anbelangt - vom Tisch zu sein. Ob die Zweifel der Wissenschaft an der Richtigkeit der gewählten Lösung berechtigt sind, wird sich in der Paxis zeigen.
Obwohl die Würfel schon gefallen sind, möchte ich meine Meinung zu der von der Rom II-Verordnung gewählten Lösung äußern. Wenn man darüber nachdenkt, dass die antizipierte Rechtswahl auch stillschweigend erfolgen kann, muss das Verhältnis dieser Bestimmungen zu den Bestimmungen des Art. 4 Abs. 3 der Rom II-Verordnung geklärt werden. Art. 4 Abs. 3 bestimmt das anzuwendende Recht aufgrund einer offensichtlich engeren Verbindung des deliktischen Schuldverhältnisses zu dem Recht eines anderen Staates, was natürlich nur mangels einer Rechtswahl greifen kann. Eine wesentlich engere Beziehung kann typischerweise ein Vertrag zwischen den Parteien begründen. Mit Hilfe dieser Ausweichsklausel kann also das Gericht nur dann das anzuwendende Recht bestimmen, wenn für das Deliktsverhältnis kein Recht gewählt wurde. Wenn aber die eine Handelstätigkeit ausübenden Parteien das anzuwendende Recht für ihr potentielles Deliktsverhältnis nicht ausdrücklich vereinbart haben, kann es zu schweren Abgrenzungsproblemen kommen. Es ist kaum vorstellbar, dass die Parteien weder ausdrücklich noch stillschweigend ein Recht für ihren Vertrag, aber stillschweigend ein Recht für ihr künftiges potenzielles Deliktsverhältnis vereinbaren. Deswegen halte ich die Zulassung einer stillschweigenden antizipierten Rechtswahl für überflüssig. Wenig überzeugend scheint aber auch die ausdrückliche antizipierte Rechtswahl zu sein. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Parteien ein Recht ausdrücklich nur für das zukünftige außervertragliche Verhältnis, nicht aber für ihren Vertrag wählen. Letzten Endes bedeutet das meiner Meinung nach, dass die vorherige Rechtswahl in außervertraglichen Rechtsverhältnissen eher eine Konstruktion der Wissenschaft ist, die sich in der Praxis nicht sehr oft durchsetzen wird. ■
ANMERKUNGEN
[1] ABl. EU L 199/40. Zum Problem des zeitlichen Anwendungsbereichs der Verordnung siehe Jochen Glöcnker: Keine klare Sache: der zeitliche Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung, IPRax 2009, 121-124, und Alexander Bücken: Intertemporaler Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung, IPRax 2009, 125-128.
[2] Die Rom II-Verordnung gilt in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks (Art.1 Abs. 4), da Dänemark seine Opt-out-Möglichkeit nach Art. 69 EG i.V.m. dem Protokoll über die Position Dänemarks ausgeübt hat.
[3] Zu den Änderungen der IPR-Gesetze der Mitgliedstaaten siehe den Überblick in IPRax 2010, II. und VII. In Ungarn wurde das IPRG mit dem Gesetz Nr. IX aus dem Jahre 2009 geändert (Magyar Közlöny Nr. 35). Für die außervertraglichen Schuldverhältnisse, die nicht in den Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung fallen, gibt es weiterhin keine Rechtswahlmöglichkeit. Kritisch über die Gesetzesänderung Lajos Vékás: A nemzetközi magánjogi törvény módosításáról, Magyar Jog 2009, S. 321-326.
[4] Dies betont Erwägungsgrund Nr. 11 mit Verweis auf die Wichtigkeit der autonomen Auslegung des Begriffes.
[5] So enthält beispielsweise das ungarische IPRG eine Kollisionsregel nur für unerlaubte Handlungen und für die ungerechtfertigte Bereicherung.
[6] Zur Problematik der culpa in contrahendo in der Rom II-Verordnung Ioanna Thoma: Culpa in Contrahendo in the Rome II Regulation, in: Revue hellénique de Droit International 61 (2008), S. 669-685.
[7] Leo Raape: Nachträgliche Vereinbarung des Schuldstatuts, in: Festschrift Boehmer (1954), S. 110-123.
[8] Jan Kropholler: Ein Anknüpfungssystem für das Deliktsstatut, RabelsZ 33 (1969), S. 601-653.
[9] Werner Lorenz: Die allgemeine Grundregel betreffend das auf die außervertragliche Schadenshaftung anzuwendende Recht, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse, Ernst von Caemmerer (Hrsg.), Tübingen 1983.
[10] Peter Schlechtriem: Bereicherungsansprüche im IPR, in: Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse, Ernst von Caemmerer (Hrsg.) 1983, S. 61.
[11] Christian Meyer-Grimberg: Rechtswahl im internationalen Bereicherungsrecht, IPRax 1992, 154; Dorothe Einsele: Das Kollisionsrecht der ungerechtfertigten Bereicherung, JZ 1993, 1033; Peter Schlechtriem: Internationales Bereicherungsrecht. Ein Beitrag zur Anknüpfung von Bereicherungsansprüchen im deutschen IPR, IPRax 1994, 71.
[12] Einen umfassenden Überblick über die nicht deutschsprachige Literatur siehe Marcin Czepelak: Wybór prawa właściwego dla zobowiązań pozaumownych w rozporządzeniu rzymskim II. In: Kwartalnik Prawa Prywatnego 2009/2, S. 513-571.
[13] Siehe oben, Fn. 7.
[14] Bundesgesetz vom 15.6.1978 über das IPR, BGBl. I Nr. 304; siehe: Wolfgang Riering (Hrsg.): IPR-Gesetze in Europa (1997).
[15] Michael Schwimann: Internationales Privatrecht (1999), S. 30 ff.
[16] Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 1987; siehe: Internationales Privatrecht, Textausgabe Bundesgesetz und Staatsverträge, Andreas Bucher (Hrsg.), Helbing und Lichtenhahn, 1988.
[17] Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG), Schlussbericht der Expertenkommission zum Gesetzesentwurf, Schultess Poligraphischer Verlag, Zürich 1979, S. 237-238, in: Schweizer Studien zum Internationalen Recht, Band 13.
[18] Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18.8.1896, in der Fassung des IPR-Gesetzes vom 25.7.1986. Das für außervertragliche Schuldverhältnisse geltende Recht beinhaltet die Modifizierung des Gesetzes aus dem Jahre 1999: Gesetz zum IPR für außervertragliche Schuldverhältnisse und Sachen v. 21.5.1999.
[19] So die Meinung von Gerhard Wagner: Internationales Deliktsrecht, die Arbeiten an der Rom II-Verordnung und der Europäische Deliktsgerichtsstand, IPRax 2006, 373.
[20] Jan von Hein: Rechtswahlfreiheit im internationalen Deliktsrecht, RabelsZ 64 (2000), 594-613.
[21] Jan von Hein, ebd., 600.
[22] Jan von Hein ebd.
[23] Jan von Hein ebd.
[24] Zu den Motiven des Regierungsentwurfs zum Anpassungsgesetz siehe Rolf Wagner: Änderungsbedarf im autonomen deutschen internationalen Privatrecht aufgrund der Rom II-Verordnung?, IPRax 2008, 315-318.
[25] Umfassend über die Rechtswahl im deutschen IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse und in der Rom II-Verordnung Sven Rugullis: Die Antizipierte Rechtswahl in außervertraglichen Schuldverhältnissen, IPRax 2008, 319-323.
[26] Wet conflictenrecht onrechtmatige daad, Stb.2001, 190, in Kraft getreten am 1.6.2001; Siehe Kramer: Dutch Private International Law - Overview 1998-August 2002, IPRax 2002, 541.
[27] Gesetz vom 16. 07. 2004. Belgisch Staatsblad/Moniteur belge 27. Juli. 2004, In Kraft getreten am 1.10.2004. Für eine inoffizielle englische Übersetzung des Gesetzes siehe: www.ipr.be/data/B.WbIPR[EN].pdf.
[28] Über das belgische Gesetz, Marta Pertegas: The Belgian Code on Private International Law: a tour d'horizon, IPRax 2006, 53-61.
[29] Text des Entwurfes mit Kommentar siehe Hamburg Group for Private International Law Comments on the European Commission's Draft Proposal for a Council Regulation on the Law Applicable to Non-Contractual Obligations, RabelsZ 67 (2003), 1-56.
[30] European Review of Private Law 7 (1999), 45.
[31] Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II"), KOM (2003) 427 endgültig.
[32] Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II"), KOM (2003) 0427 - C5-0338/2003-2003/0168(COD) endgültig.
[33] So z.B. Stefan Leible: Parteiautonomie im IPR, in: Festschrift für Erich Jayme, Sellier, European Law Publishers 2004, S. 485-503.
[34] Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ("Rom II"), KOM (2006) 83 endgültig.
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