https://doi.org/10.55194/GI.2024.3-4.13
In der vorliegenden Studie untersuche ich die geltende ungarische Regelung, in deren Rahmen es derzeit möglich ist, ausländische Gerichtsentscheidungen und andere - ebenfalls unter diese Kategorie fallende - das heißt nicht im Inland, sondern außerhalb des Hoheitsbereichs Ungarns gefasste - Beschlüsse zu vollstrecken. Zielrichtung meiner Analyse ist es auch, Fälle in der Rechtsprechung zu identifizieren, wo die ungarischen Gerichte sich weigerten, einen ausländischen Beschluss für vollstreckbar zu erklären (mit Vollstreckungsbescheinigung zu versehen), obwohl die rechtliche Grundlage zur Vollstreckung - zumindest anscheinend - im Hinblick auf die auf einem Abkommen beruhende Gegenseitigkeit bzw. auf Brüssel la-VO - als gegeben hätte betrachtet werden können. Auf diesem Wege gelange ich zu solchen Begriffen, wie die öffentliche Ordnung Ungarns als Vollstreckungshindernis oder die Prozessfähigkeit des Vollstreckungsgläubigers und deren mögliche Auslegungen, die sich im Fallrecht der Gerichte in den letzten Jahren herauskristallisiert haben.
Schlüsselwörter: Anerkennung ausländischer Beschlüsse, Vollstreckung ausländischer Beschlüsse, ungarische Regelung, Vollstreckungshindernis, öffentliche Ordnung, materielle Rechtskraft
In the present study, I will analyse the current Hungarian regulation under which it is currently possible to enforce foreign court decisions and other decisions that also fall into this category, i.e. those issued outside the territory of Hungary. The aim of my analysis is also to identify cases in case law where the Hungarian courts refused to declare a foreign decision enforceable (issue a certificate of enforceability), although the legal basis for enforcement - at
- 207/208 -
least apparently - could have been considered given in view of the reciprocity based on an agreement or of the Brussels Ia Regulation. In this way, I arrive at concepts such as Hungarian public policy as an obstacle to enforcement or the legal capacity of the enforcement creditor and their possible interpretations, which have crystallised in the case law of the courts in recent years.
Keywords: recognition of foreign decisions, enforcement of foreign decisions, Hungarian regulation, obstacle to enforcement, public policy, substantive legal force
Auch bei der Untersuchung einer Frage von grenzüberschreitender Bedeutung lohnt es sich, zuerst die mutmaßlichen, in den innerstaatlichen Gesetzgebungen zur Geltung kommenden rechtspolitischen Erwägungen unter die Lupe zu nehmen, die die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsentscheidungen anfänglich eher hinderten, heutzutage aber wiederum rechtfertigen, bzw. auf denen die besonderen Regelungen beruhen und aus denen sie daher ihre Daseinsberechtigung schöpfen.[1]
Es kann als Ausgangspunkt betrachtet werden, dass jeder Gerichtsbeschluss einen Souveränitätsakt eines gewissen Staates darstellt. Daraus folgt, dass die Durchsetzung eines Gerichtsbeschlusses bzw. des darin enthaltenen richterlichen Befehls in erster Linie über den Zwang desjenigen Staates erfolgen kann, in dem der Beschluss gefasst worden ist. Diese Formulierung - wie oben schon erwähnt - scheint jedwede Möglichkeit, einen im Ausland gefassten Beschluss in einem anderen Land zu vollstrecken, eher auszuschließen als zu ermöglichen, dies ist aber keineswegs der Fall, weil es in einer sich internationalisierenden Welt unvorstellbar wäre und die allgemeine Rechtssicherheit weitgehend gefährden würde, wenn in den einzelnen Ländern ausschließlich inländischen Gerichtsentscheidungen Geltung verschafft werden könnte. Dementsprechend ist die Aufgabe, die oben angeführten Erwägungen und das (berechtigte) Bedürfnis nach der Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen miteinander in Einklang zu bringen, den Gesetzgebern der betreffenden Länder anheimgefallen, die sie schlussendlich auch bewältigen konnten.
- 208/209 -
Als Lösung - und zugleich als Ausgangspunkt zu den weiteren Erörterungen - bietet sich daher die allgemeine Feststellung dar, dass an einen im Ausland gefassten Beschluss Rechtswirkungen in einem anderen Staat sich nur insoweit knüpfen können, als dieser die nötigen Bedingungen dazu selbst schafft, weil er sie auf irgendwelcher Grundlage schaffen muss.
Nach der allgemeinen Einführung über die Vereinbarkeit der staatlichen Souveränität mit dem Bedürfnis nach der Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen könnte es sich als aufschlussreich erweisen, die derzeitige ungarische Regelung aus diesem Blickwinkel unter die Lupe zu nehmen. Es ist empfehlenswert, die Problematik vor dem gesetzlichen Hintergrund, bzw. davon ausgehend zu betrachten. Das in der Rechtsquellenhierarchie Ungarns auf höchster Stufe stehende Grundgesetz sieht vor, dass Ungarn ein demokratischer Rechtstaat sei, wovon auch abgeleitet werden kann, dass die Rechtstreitigkeiten durch Gerichtsbeschlüsse entschieden werden, und Entscheidungen, die Rechtskraft erlangt haben, vollstreckbar und zu vollstrecken sind. Das Grundgesetz selbst schweigt aber davon, ob diese Gerichtsbeschlüsse auch ausländische sein können, und falls ja, dann unter welchen Voraussetzungen. Dies zu regeln, ist nämlich die Aufgabe von auf niedrigerer Stufe der Rechtsquellenhierarchie befindlichen nationalen und internationalen Rechtsvorschriften. Wenn wir nun unser Augenmerk zuerst auf die innerstaatliche Regelung richten, welche jedoch keineswegs unabhängig von den internationalen Rahmenvorschriften behandelt werden kann, lässt sich feststellen, dass in erster Linie - und im Hinblick auf unser engeres Thema - zwei Gesetzen besondere Wichtigkeit zukommt: einerseits dem Gesetz LIII von 1994 über die Zwangsvollstreckung (Abschnitt XII, § 205-210/B) und andererseits dem Gesetz XXVIII von 2017 über das internationale Privatrecht. Auf dieser Grundlage können die Vorbedingungen der Vollstreckung im Allgemeinen dahingehend zusammengefasst werden, dass der betreffende ausländische Beschluss zuerst einmal als theoretisch vollstreckbar anerkannt werden oder ipso iure anerkannt sein, gleich darauf aber auch für tatsächlich vollstreckbar erklärt werden muss. Einleuchtende Beispiele für die sogenannte ipso iure Anerkennung lassen sich in der Brüssel la-VO, dem Lugano Übereinkommen und anderen internationalen Rechtsquellen reichlich finden[2].
- 209/210 -
Auch eine Übersicht der vollstreckbaren ausländischen (privatrechtlichen) Beschlüsse und der möglichen Grundlagen einer Vollstreckung in Ungarn ergibt sich anhand der oben angeführten Rechtsquellen. Demzufolge können Beschlüsse ausländischer Gerichte bzw. Schiedsgerichte unter den in den Gesetzen aufgelisteten Voraussetzungen vollstreckt werden.[3] Eine Vollstreckungsgrundlage stellen Gesetze, internationale Übereinkommen und Gegenseitigkeit dar. Die Logik der ungarischen Regelung lässt sich folgendermaßen beschreiben, wobei wir uns auf die Frage konzentrieren, in welchem Fall ein Beschluss als vollstreckbar betrachtet werden kann. Erstens sind die allgemeinen Bedingungen der Vollstreckbarkeit zu erwähnen, die in § 13 des Zwangsvollstreckungsgesetzes aufgezählt werden und gleichzeitig erfüllt werden müssen. Dementsprechend kann der sogenannte Vollstreckungstitel nur ausgestellt werden, wenn der zu vollstreckende Beschluss eine Verpflichtung (Verurteilung) beinhaltet, rechtskräftig, endgültig oder vorläufig vollstreckbar ist, und die Erfüllungsfrist abgelaufen ist. Zweitens (und innerhalb des Anwendungsbereichs des § 13 des Zwangsvollstreckungsgesetzes), ist auf die Bedingungen der Ausstellung eines Vollstreckungsblattes in diesem Zusammenhang hinzuweisen, die in § 15 des Zwangsvollstreckungsgesetzes aufgezählt werden. Demzufolge können der verurteilende Beschluss eines Gerichts in einer Zivil- oder Verwaltungssache, ein Gerichtsbeschluss in einer Strafsache, welcher einem zivilrechtlichen Anspruch stattgibt, oder die Kosten der Strafsache einer Person aufbürdet und schließlich ein gerichtlich bestätigter Vergleich einem Vollstreckungsblatt zugrunde liegen. Hier ist aber eine erweiterte Auslegung geboten, denn auch die Beschlüsse ausländischer Behörden müssen aus diesem Blickwinkel als Gerichtsbeschlüsse betrachtet werden.
In erster Linie die Fachliteratur hat die Frage im Allgemeinen aufgeworfen, ob auch ausländische Feststellungsbeschlüsse vollstreckbar sind. Von einer ausführlichen Analyse muss diesmal aus räumlichen Gründen Abstand genommen, und die Beantwortung der Frage lediglich auf eine zusammenfassende Feststellung beschränkt werden, und zwar dahingehend, dass nach derzeitiger Praxis ausschließlich Feststellungsklagen nicht vollstreckbar sind, fallweise ist es aber möglich, die Anerkennung auch eines solches Beschlusses zu beantragen (siehe: Brüssel Ia-VO).
- 210/211 -
Die Vollstreckung ausländischer Beschlüsse ist ein aus mehreren Schritten bestehendes, im Gesetz genau geregeltes Verfahren. Der erste Schritt ist die Einreichung von bestimmten Urkunden durch den Vollstreckungsgläubiger, d.h. durch diejenige berechtigte (juristische oder natürliche) Person, die zum Beispiel eine ausländische Gerichtsentscheidung in den Händen hält und dieser in Ungarn (gegenüber einem ungarischen Schuldner) Geltung verschaffen möchte. Der Vollstreckungsgläubiger muss beim zuständigen Gericht (siehe später) die Ausstellung eines Vollstreckungstitels oder eines Vollstreckungsblattes mithilfe eines Formulars beantragen.
Der Vollstreckungsgläubiger muss seinem Antrag den zu vollstreckenden, beglaubigten ausländischen Beschluss, dessen ungarische Übersetzung (aber nur bei Bedarf, nach Aufforderung des Gerichts) und in unter Brüssel la-VO fallenden Fällen, die vom ausländischen Gericht ausgestellte Bescheinigung über die Vollstreckbarkeit des ausländischen Beschlusses beilegen.[4] Im Lichte der Praxis lässt sich zusammenfassend feststellen, dass eine Übersetzung des ausländischen Beschlusses nur dann nötig ist, wenn das Gericht die Sprache, in welcher das Dokument verfasst ist, und gewisse, im Hinblick auf die Vollstreckbarkeit wichtige Fragen und Umstände ausschließlich auf diese Weise beurteilen kann. Falls die oben erwähnten Urkunden mangelfrei eingelangt sind, schreitet das Gericht zur Prüfung bzw. Feststellung der (theoretischen) Vollstreckbarkeit, indem es sorgfältig prüft, ob die Vollstreckbarkeit auf Gesetz, auf einem Übereinkommen oder auf Gegenseitigkeit beruht und ob der Beschluss seinem Charakter nach dem § 15 des Zwangsvollstreckungsgesetzes entspricht. (Dabei müssen auch die EU-Verordnungen und die auf Gegenseitigkeit beruhende Praxis berücksichtigt werden.) Erweist sich der ausländische Beschluss als vollstreckbar und liegt keine ipso iure Anerkennung vor, fügt das zuständige Gericht eine Vollstreckbarkeitsbescheinigung dem Beschluss hinzu, in der es bestätigt, dass der Beschluss bzw. die Entscheidung nach ungarischem Recht genauso wie der Beschluss eines inländischen Gerichts (Schiedsgerichts) vollstreckt werden kann. Es ist wichtig zu betonen, dass diese Bescheinigung einer Anordnung der Vollstreckung nicht gleichkommt und sie ausschließlich die Rechtswirkung entfaltet, dass der auf diese Weise bescheinigte Beschluss mit den inländischen Beschlüssen als gleichwertig betrachtet und behandelt werden muss. Im Falle einer ipso iure Anerkennung (z.B. laut Brüssel la-VO Artikel 39, Eur. Verfahren für geringfügige Forderungen, Eur. Zahlungsbefehl etc.) ist die Prüfung der Vollstreckbarkeit und die Ausstellung einer solchen Vollstreckbarkeitsbescheinigung
- 211/212 -
nicht nötig und entfällt deshalb.[5] Es ist wichtig zu bemerken, dass eine in diesem Sinne vollstreckbare ausländische Entscheidung auch die Befugnis von Rechts wegen umfasst, jede Sicherungsmaßnahme zu veranlassen, die im ungarischen Recht vorgesehen ist.
Nach all dem sind wir bei dem zweiten - im Falle der ipso iure Anerkennung dem einzigen - Schritt angelangt.
Wenn der Beschluss theoretisch vollstreckbar ist, prüft das Gericht, ob er auch (tatsächlich) vollstreckt, d.h. ob die Zwangsvollstreckung ohne Hindernis angeordnet und eingeleitet werden kann.
Diese Prüfung der tatsächlichen Vollstreckbarkeit erstreckt sich insbesondere darauf, ob der Beschluss sich auf eine fällige Forderung bezieht, ob die Erfüllungsfrist ergebnislos abgelaufen ist, ob der Beschluss rechtskräftig und endgültig ist, und ob gegebenenfalls vorläufige Vollstreckbarkeit vorliegt. Die Frage der Verjährung - d.h. ob diese zum Nachteil des Berechtigten eingetreten ist - wird im Einklang mit Artikel 6:23 (4) des Bürgerlichen Gesetzbuches Ungarns (Ptk.) während dieses Verfahrens des Gerichts nicht von Amts wegen geprüft. Der Schuldner kann sich hingegen während der Zwangsvollstreckung auf die Verjährung des Rechts zur Vollstreckung berufen. Wenn der Vollstreckungsgläubiger die Verjährung bestreitet, muss der Schuldner eine Klage auf Beschränkung oder Einstellung der Zwangsvollstreckung aufgrund der von ihm behaupteten Verjährung einreichen und den Eintritt der Verjährung entsprechend nachweisen.
Ist der Beschluss sowohl theoretisch als auch tatsächlich vollstreckbar, stellt das Gericht ein Vollstreckungsblatt (oder einen entsprechenden anderen Vollstreckungstitel) aus.
Wie oben schon angedeutet, verdient die Gerichtszuständigkeit besonderes Augenmerk. Es ist eine Hauptregel hervorzuheben, welche besagt, dass die territoriale Gerichtszuständigkeit grundsätzlich durch den Wohnsitz bzw. Sitz des Schuldners, mangels dessen durch den Ort der verpfändbaren Vermögensgegenstände des Schuldners begründet wird. Daneben gibt es auch einige Sonderfälle, wo die Zuständigkeit aufgrund anderer Umstände beurteilt wird. Sachlich zuständig sind allerdings die jeweiligen Bezirksgerichte, in Budapest das Zentrale Bezirksgericht Buda.
Das zuständige Gericht leitet das - als Ergebnis des oben geschilderten Verfahrens ausgestellte - Vollstreckungsblatt an den Gerichtsvollzieher
- 212/213 -
weiter, der die Vollstreckung gemäß Zwangsvollstreckungsgesetz einleitet und durchführt. Für die Zwangsvollstreckung selbst wird eine bestimmte Durchführungsreihenfolge in dem genannten Gesetz vorgesehen, welcher der Gerichtsvollzieher in jedem einzelnen Verfahren Rechnung tragen muss. Demzufolge verläuft der Zwangsvollstreckung in folgenden Schritten. Zuerst - wenn eine Aufforderung zur freiwilligen Zahlung durch den Gerichtsvollzieher ohne Ergebnis bleibt - kommt es zur Pfändung von Arbeitseinkommen und sonstigen Bezügen des Schuldners mit der Einschränkung, dass ein Teil des Einkommens pfändungsfrei ist, d.h. - abhängig von gewissen, in dem Gesetz detaillierten Umständen - nicht mehr als 33 bzw. 50% des Gesamteinkommens abgezogen werden kann. Wenn diese Maßnahme zu keinem (befriedigenden) Ergebnis führt, nimmt der Gerichtsvollzieher die Pfändung und Verkauf von beweglichen Sachen des Schuldners vor, die zu seiner Existenz Unerlässlichen sind aber von dieser Handlung befreit. Der nächste Schritt, der im Falle der Ergebnislosigkeit des Vorherigen vorgenommen wird, ist die Pfändung der bei einer Finanzinstitution verwalteten Summe in Höhe der gegenüber dem Schuldner geltend gemachten Forderung, um deren Eintreibung das Vollstreckungsverfahren eingeleitet wurde. Die vorletzte, der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen vorausgehende Maßnahme ist die Pfändung von Forderungen des Schuldners gegenüber Dritten. Das Gesetz sieht vor, dass der Gerichtsvollzieher dem Schuldner auf Antrag unter gewissen Voraussetzungen Ratenzahlung genehmigen kann.
Aufgrund von Brüssel la-VO und internationalen Abkommen kann derzeit die (gegenseitige) Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen eher als Regelfall als Ausnahme betrachtet werden. Deshalb ist es empfehlenswert und aufschlussreicher, uns mit Fällen zu befassen, in denen die Gerichte die Anerkennung und/oder die Vollstreckung eines ausländischen Beschlusses aus irgendeinem Grund, z.B. im Hinblick auf die öffentliche Ordnung Ungarns verweigern mussten.
Aus dem Text solcher - den Vollstreckungsantrag abweisenden - Beschlüsse können Konsequenzen gezogen werden, die einerseits eine Verallgemeinerung hinsichtlich der Einstellung der Gerichte zur Frage der öffentlichen Ordnung ermöglichen, andererseits aber auch einen tieferen Einblick in die Auslegung dieses Begriffs durch die derzeitige Rechtsprechung gewähren.
- 213/214 -
In einem der bedeutendsten Fälle weigerte sich das zuständige Gericht einen ausländischen Beschluss mit Vollstreckungsbescheinigung zu versehen (Vollstreckungsversagung).[6] Der Beklagte war das Hauptkonsulat Ungarn. Es lag eine Verurteilung des Beklagten in einer arbeitsrechtlichen Sache wegen gesetzwidriger Kündigung vor. Der Kläger wollte Zwangsvollstreckung in Ungarn einleiten.
Die Begründung der Ablehnung war: die Anerkennung bzw. die Vollstreckung würde der öffentlichen Ordnung (ordre public) Ungarns offensichtlich widersprechen.
Das Gericht befasste sich in dieser Entscheidung ausführlich mit der Frage "öffentliche Ordnung". Es konnte festgestellt werden, dass der Beklagte nach ungarischem Zivilverfahrensrecht keine Prozessfähigkeit besaß. Nach dem von der Kuria eingenommenen Standpunkt sei die Zwangsvollstreckung gegen ein Rechtsgebilde, das keine Prozessfähigkeit nach ungarischem Recht besitzt, mit den verfassungs- und verfahrensrechtlichen Grundsätzen Ungarns unvereinbar, und widerspreche öffentlichen Ordnung Ungarns.
Demzufolge kann diese Entscheidung als ein Schulbeispiel der Anwendung und Auslegung der "öffentlichen Ordnung-Klausel" betrachtet werden und ist daher eine nähere Analyse wert.
"Die öffentliche Ordnung umfasst die vom Staat geschützten Grundprinzipien der Gerechtigkeit und der Moral, diejenigen Gesetze also, die dazu dienen, die Grundsätze der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Einrichtung eines Staates zu regeln, sie umfasst außerdem den Schutz der durch die Staaten übernommenen internationalen Verpflichtungen gegenüber anderen Staaten bzw. internationalen Organisationen." - verlautbarte die Kuria in ihrer Entscheidung zu der Sache. Ein weiterer Schlüsselsatz des den Antrag auf Anerkennung abweisenden Beschlusses lautet wie folgt:
"Der Inhalt der öffentlichen Ordnung ändert sich geschichtlich, so wie auch die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und Lebensverhältnisse sich ändern, dementsprechend kann die öffentliche Ordnung nur individuell, auf die gegebene Sache bezogen bestimmt werden, hingegen ist der Anspruch auf den Schutz der öffentlichen Ordnung unverändert. Das Wesen der öffentlichen Ordnung ist, dass das Recht die unter den Begriff "öffentliche Ordnung" zu ziehenden Institutionen und Prinzipien unbedingt beschützen will. Die Anwendung ausländischen Rechts ist unerwünscht, wenn sie eine mit der inneren Rechtsauffassung unvereinbare tatsächliche Wirkung verursachen würde."
Zusammenfassend kann es als eine Art Schlussfolgerung gezogen werden, dass ein Rechtsgebilde, welches in Ungarn mangels Prozessfähigkeit nicht hätte
- 214/215 -
verklagt werden können, auch keiner Zwangsvollstreckung unterzogen werden kann. Der ausländische Beschluss existiert in solchen Fällen daher nur formell.
Abschließend sollte noch eine - unser engeres Thema nur von weitem berührende - Rechtsentwicklung hervorgehoben werden, die aber auch auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen - zumindest mittelbare - Auswirkungen haben kann. In ihrem Rechtseinheitlichkeitsbeschluss Nr. 6/2022 befasst sich die Kuria mit der materiellen Rechtskraftwirkung im Falle der Geltendmachung einer Teilforderung, und formuliert folgendermaßen: "Wenn eine Partei nur einen Teil seiner auf materielles Recht gestützten Forderung geltend macht, erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils nicht auf den Teil der Forderung, der nicht geltend gemacht wurde. Im Rahmen des neuen Prozesses, dessen Gegenstand der noch nicht geltend gemachte Teil der Forderung ist, dürfen die noch nicht sachbezüglich beurteilten Voraussetzungen des mit der Klage geltend gemachten materiellen Rechts geprüft werden." Daraus folgt, dass der Kläger seine Forderung beliebig "zerstückeln", und auf diese Weise getrennt und sogar nacheinander geltend machen kann.
Meiner Ansicht nach wirft die Entscheidung gewisse Bedenken auf, was auch dadurch bestätigt zu sein scheint, dass zwischen der Anzahl der sie unterstützenden und der sich ihr widersetzenden Richter kein bedeutender Unterschied besteht. Auch in der Minderheitsmeinung wird - meiner Ansicht nach nicht unbegründet - darauf hingewiesen, dass die Entscheidung auch in grenzüberschreitender Relation die Gefahr einander widersprechender Beschlüsse heraufbeschwören könne, z.B. dann, wenn durch die Wohnsitzänderung des Klägers das Gericht eines anderen Mitgliedstaates für den späteren Prozess zuständig wird. Eine solche Möglichkeit stimmt nämlich mit der Zielsetzung nicht überein, laut deren es im Interesse des harmonischen Funktionierens der Justiz zu gewährleisten ist, dass keine einander widersprechenden und miteinander unvereinbaren Gerichtsurteile in den einzelnen Mitgliedstaaten gefällt werden.[7] ■
ANMERKUNGEN
[1] Siehe dazu ausführlich: Gelencsér Dániel - Udvary Sándor (Hrsg.): A bírósági végrehajtásról szóló törvény és a kapcsolódó jogszabályok kommentárja - Magyarázatok a magyar, uniós és nemzetközi jogi végrehajtási rendelkezésekhez. Kommentar zum Art. 205 des Gesetzes LIII von 1994 über die Zwangsvollstreckung, HVG-ORAC, Budapest, 2021.
[2] Als Übereinkommen von Lugano wird der Beschluss 2009/430/EG des Rates - Abschluss des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen bezeichnet.
[3] Zur Vollstreckung von Beschlüssen ausländischer Schiedsgerichte siehe z.B.: Kecskés László - Murányi Katalin: A hazai és a külföldi választottbírósági ítéletek végrehajtásának elrendelésével kapcsolatos gyakorlati tapasztalatok Magyarországon. Magyar Jog, 2013/3, 129-138., siehe noch: Boóc Ádám: Some Basic Questions of Hungarian Arbitration Law. Oradea, Partium Kiadó, 2023.
[4]
[5] Siehe Art. 39-51. der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012., und dazu ausführlich: Geimer, Reinhold - Schütze, Rolf A. - Garber, Thomas - Geimer, Ewald - Geimer, Gregor: Europäisches Zivilverfahrensrecht, Kommentar, C. H. Beck, 4. Auflage, 2020, 607-809.
[6] Siehe den Beschluss Nr. Pfv.20.543/2021/7. der Kuria und deren Begründung.
[7] Zur Frage der (materiellen) Rechtskraft in Sachen mit internationalen (grenzüberschreitenden) Bezügen siehe z.B.: Ofner, Helmut: Materielle Rechtskraft ausländischer Entscheidungen. Zeitschrift für Rechtsvergleichung, 2023/6, Manz, Wien, 285-290, siehe dazu auch das Urteil Nr. 10 oB 62/22y des Obersten Gerichtshofs vom 22. August 2023 (Wien), und über gewisse Auswirkungen der materiellen Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen siehe z.B.: Garber, Thomas - Neumayr, Matthias: Third party notice and binding effects in case of intervention or non-intervention in austrian civil procedure law. Central European Legal Studies, Prof. Dr. Szabó Imre (Hrsg.), Oradea - Nagyvárad, Partium Kiadó, 2023, 7-27.
Lábjegyzetek:
[1] Der Autor ist habilitierter Dozent (Károli Gáspár Universität der Reformierten Kirche in Ungarn, Staats- und Rechtswissenschaftliche Fakultät).
Visszaugrás