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Gábor Hamza[1]: Privatrechtsentwicklung in den baltischen Staaten (Annales, 2005., 49-64. o.)

Das Baltikum bis 1918

1. Im Jahre 1710 unterwarfen sich Livonien und Estland in einem Kapitulationsvertrag dem russischen Zarenreich. Der im Jahre 1721 geschlossene Friedensvertrag von Nystadt, der den Nordischen Krieg beendete, hat die Kapitulation der Stände und der Städte wieder festgelegt. Die Angliederung Kurlands an das Zarenreich im Jahre 1795, d.h. nach der dritten Teilung des polnisch-litauischen Doppelstaates, erfolgte auf die gleiche Weise.[1]

Der Einfluß der deutschen Pandektenwissenschaft in den - bis zum Jahre 1918 zu Rußland gehörigen - baltischen Gebieten wird in dem auf Deutsch verfaßten[2] Liv-, Est- und Curländischen Privatrecht vom Jahre 1864 deutlich. Das als Kodex redigierte Liv-, Est- und Curländische Privatrecht wurde als dritter Band des "Provinzialrechts des Ostseegouvernements" herausgegeben. Dieser umfangreiche, aus 4636 Artikeln bestehende Kodex war in Estland, Lettland und in manchen Gebieten des heutigen Litauens[3] noch geraume Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gültig: In Lettland bis zum 1. Januar 1938, d.h. bis zur Verkündung des lettischen Zivilgesetzbuches, und in Estland bis Anfang der 1940-er Jahre.

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2. Der öfters (in den Jahren 1890, 1912, 1913 und 1914) überarbeitete Kodex wurde von Friedrich Georg von Bunge[4] (1802-1897), dem namhaften Pandektisten und Professor der Universität von Dorpat (Tartu, ab dem Jahre 1893 Jurjev), erstellt. Als Vorarbeit zu dem Liv-, Est- und Curländischen Privatrecht diente Bunges rechtsgeschichtliches Werk Einleitung in die liv-, esth- und curländische Rechtsgeschichte und Rechtsquellen (Reval, 1849).

Das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht gliedert sich in familien-, sachen-, erb- und schuldrechtliche Teile. Er weicht aber insofern vom Pandektensystem ab, als ihm kein Allgemeiner Teil vorangestellt ist. Der Kodex spiegelt feudale Rechtsideen wieder, vor allem im Bereich des Sachenrechts. Das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht regelt auch das geteilte Grundeigentum; diese feudale Form des Grundeigentums blieb auch nach der russischen Bodenreform erhalten. Gleichwohl ist das Werk wesentlich moderner als das in den lettischen Gebieten gültige Zehnte Buch des Svod Zakonov, das die privatrechtlichen Verhältnisse regelte.

3. Im Gegensatz zu den Territorien, die heute zu Estland und Lettland gehören, wurde in den meisten litauischen Gebieten das vor der russischen Eingliederung bestehende Recht nicht beibehalten. Nach der Einführung des Svod Zakonov in den meisten Gebieten des Zarenreiches wurde diese Kompilation auch auf den litauischen Gebieten in Kraft gesetzt. (Es sei vermerkt, daß der russische Svod Zakonov auf gewissen Gebieten des russischen Zarenreiches, so z.B. in manchen Gebieten Polens und der Ukraine, Finnland, Bessarabien und auf dem Baltikum nicht in Kraft gesetzt wurde.)

4. Die Rezeption des römischen Rechts, d.h. die aber keine receptio in complexu bzw. receptio in globo war,[5] wurde auf den Gebieten des heutigen Lettland und Estland unter Vermittlung der deutschen, hauptsächlich der sächsischen Siedler vollzogen, die das deutsche Stadtrecht mit sich brachten. Carl Eduard Erdmann (1841-1898), der zwischen den Jahren 1872-1897 als Nachfolger von Carl Christoph Leopold von Rummel (1812-1887) Professor an der Universität von Dorpat war, verfaßte das vierbändige Werk System des Privatrechts der Ostseeprovinzen Liv- Est- und Kurland, das bedeutenden Einfluß auf die damalige Rechtspraxis ausübte. Dieses Werk ist bis heute das einzige, das das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht umfassend und mit wissenschaftlichem Anspruch darstellt.

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5. Die Universität von Dorpat (Academia Gustaviana) wurde vom schwedischen König Gustav Adolf II. (1594-1632) gegründet. Der schwedische König unterzeichnete die Gründungsurkunde am 30. Juli 1632 bei Nürnberg. Die Unterrichtssprache an der Universität war ab dem Jahre 1802, d.h. ab dem Jahre der Wiederaufnahme des Unterrichts, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts deutsch. Die Unterrichtssprache wurde aber allmählich (immerhin neben der deutschen Sprache) russisch. Die Universität verlor im Jahre 1889 - gleich den anderen Universitäten im russischen Zarenreich - ihre Autonomie. Die estnische Sprache als Unterrichtssprache wurde erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges eingeführt.

Der Unterricht des römischen Rechts spielte immer eine wichtige Rolle an der juristischen Fakultät der Universität zu Dorpat. Besondere Erwähnung verdient der Romanist Ernst Ein (1898-1976), der im Jahre 1933 auch das Amt des Justizministers innehatte. Ernst Ein war Schüler des hervorragenden italienischen Romanisten Pietro Bonfante (1864-1932). Sein Forschungsinteresse war in erster Linie auf die Fragen des Miteigentums (condominium) gerichtet.[6]

Die heute in Estland liegende Stadt Dorpat selbst war zur Zeit der schwedischen Herrschaft auch in juristischer Hinsicht die bedeutendste Stadt im Baltikum. Dorpat war Sitz des Hofgerichts, außerdem das Verwaltungszentrum Livlands.

Estland

6. Estland wurde im Jahre 1918 von Rußland unabhängig. In der Zwischenkriegszeit galt das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht fort.

Der Entwurf des Zivilgesetzbuchs vom Jahre 1936, der stark von den pandektistischen Traditionen geprägt war, trat nicht in Kraft. Nicht lange nach der Erlangung der Unabhängigkeit, im Jahre 1923, wurde im Rahmen des Justizministeriums die Vorbereitungskommission für die Erstellung eines Zivilgesetzbuches aufgestellt, deren Präsidenten Jüri Uluots (Professor für Privatrecht an der Universität von Tartu), und Jüri Jaakson (Anwalt und Politiker) waren. Die Redaktionsmitglieder haben den Kodex von Georg Friedrich von Bunge, den Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches für das zaristische Rußland, das deutsche BGB, das schweizerische Zivilgesetzbuch bzw. das schweizerische Obligationenrecht, den französischen Code civil, die ungarischen BGB-Entwürfe einschließlich des Entwurfes vom Jahre 1928 und die polnischen Teilentwürfe für die Privatrechtskodifikation berücksichtigt.

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Die ersten Kapitel des estnischen Zivilgesetzbuchentwurfes wurden in den Jahren 1935 und 1936 fertiggestellt. Die Regierung hat den Entwurf im Jahre 1939 dem estnischen Parlament zur Diskussion gestellt. Das estnische Parlament rief eine parlamentarische Kommission ins Leben, die im Jahre 1940 den aus 2135 Paragraphen bestehenden Entwurf des BGB mit geringfügigen Änderungen gutgeheißen hat. Die Annahme des Entwurfs scheiterte an der Angliederung Estlands an die Sowjetunion.

7. Nach Angliederung Estlands an die Sowjetunion wurde durch eine Verordung des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht mit Wirkung zum 16. Juni 1940 außer Kraft gesetzt und das sowjetrussische Zivilgesetzbuch vom Jahre 1922 zusammen mit den anderen Gesetzbüchern (so z.B. mit dem Familienrechtskodex) eingeführt.

Im Jahre 1961 wurden auch in Estland die Grundlagen der Zivilgesetzgebung der Union der SSR und der Unionsrepubliken (Osnovy Graždanskogo Zakonodat'elstva) als normative Gesetzesgrundlage verkündet. Die Grundlagen ersetzen weitgehend das Zivilgesetzbuch vom Jahre 1922. Die Grundlagen bildeten weitgehend - gleich den anderen Sowjetrepubliken - die Basis des estnischen Zivilgesetzbuches vom Jahre 1964.

Seiner Struktur und seiner Terminologie nach war das Zivilgesetzbuch der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik vom Jahre 1964 pandektistisch orientiert. Dieses Gesetzbuch unterschied sich nur geringfügig vom Zivilgesetzbuch der russischen Föderation vom demselben Jahre und den Zivilgesetzbüchern der anderen Sowjetrepubliken.

Nachdem Estland im Jahre 1991 seine Unabhängigkeit wiedererlangt hatte, begann man mit der Reform des Privatrechts. Die Grundlagen der Zivilgesetzgebung der Sowjetunion vom 31. Mai 1991 hatten bzw. haben in Estland keine Geltung.

8. Das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht wurde zwar nicht wieder in Kraft gesetzt, wurde aber vor allem im Bereich der Reprivatisierung des Eigentums als eine Art subsidiäre Rechtsquelle betrachtet.

Man zog zunächst, dem Beispiel Lettlands folgend, die Promulgation des damals aus politischen Gründen nicht in Kraft gesetzten ZivilgesetzbuchEntwurfes aus dem Jahre 1940 in Erwägung. Das estnische Justizministerium war ursprünglich für die Annahme in revidierter Fassung dieses Entwurfes. Im Oktober 1992 führte die vom Justizministerium beauftragte Kommission die nötigen Revisionsarbeiten durch. Die gleiche Kommission nahm aber von ihrem früheren Standpunkt Abstand und freundete sich mit der Idee der Erstellung eines neuen, modernen Zivilgesetzbuches an.

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Der Gesetzgeber entschloß sich aber dazu, daß eine teilweise Kodifikation des Zivilrechts, die im Einklang mit den Bestimmungen der im Jahre 1992 verkündeten Verfassung steht, erfolgen sollte. Der aus 180 Paragraphen bestehende Allgemeine Teil des Zivilgesetzbuchs wurde vom Parlament (Riigikogu) im Jahre 1994 verabschiedet. Er ist eindeutig vom pandektistischen Denkmodell geprägt. Das aus 365 Artikeln bestehende Gesetz über das Sachenrecht wurde schon ein Jahr vorher, im Jahre 1993, in Kraft gesetzt. Das Familiengesetz stammt aus dem Jahre 1994, das Gesetz über das Erbrecht wurde im Jahre 1996 verabschiedet. Das Gesetz über das Arbeitsrecht wurde bereits im Jahre 1992 verabschiedet.

Teile des Allgemeinen Teils des Schuldrechts waren zunächst im Gesetz über den Allgemeinen Teil des Zivilrechts enthalten. Im Bereich des Besonderen Teils des Schuldrechts waren die Normen des Besonderen Teils des Schuldrechts des Zivilgesetzbuchs der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik vom Jahre 1964 gültig. Die Regierung hat im November 1998 den Entwurf eines umfangreichen, aus mehr als 1200 Paragraphen bestehenden Gesetzes über das Schuldrecht diskutiert. Dieses Gesetz, der im Jahre 1999 vom Parlament angenommen wurde und am 1. Januar 2000 in Kraft trat, hat sowohl den Allgemeinen Teil wie den Besonderen Teil des Schuldrechts.

9. Mit der Annahme des Gesetzes über das Schuldrecht ging der Prozeß der Kodifikation des Zivilrechts noch nicht zu Ende: Die Vorbereitung der Kodifikation des internationalen Privatrechts (dies wäre gleichsam das 6. Buch des estnischen Zivilgesetzbuchs gewesen) ist immer noch im Gange. Bis dahin wird das IPR im fünften Teil des Gesetzes über den Allgemeinen Teil geregelt.

Die Kodifikatoren berücksichtigen bei der Erstellung der verschiedenen Teile der estnischen Zivilgesetzbuches vor allem folgende Quellen: das deutsche BGB, das schweizerische Zivilgesetzbuch bzw. Obligationenrecht, das neue niederländische Bürgerliche Gesetzbuch, den italienischen Codice civile vom Jahre 1942, den neuen Code civil von Québec vom Jahre 1994 und die neuere französische und dänische Zivilrechtsgesetzgebung. Erwähnung verdient, daß die Redaktoren den Louisiana Civil Code und dessen Modifikationen in ihre Arbeiten miteinbezogen.

10. Das aus 541 Paragraphen bestehende Handelsgesetzbuch vom Jahre 1995 ist trotz seines Namens (Äriseadustik) nicht als umfassendes Handelsgesetzbuch im herkömmlichen Sinne zu betrachten, da es außer den allgemeinen Regeln des Handelsrechts nur die verschiedenen Formen der Handelsgesellschaften regelt. In Estland wird die Idee der Erschaffung eines code unique nicht angenommen. Das monistische Konzept kommt insoweit zur Geltung, als es keine spezielle, von der zivilrechtlichen Regelung unterschiedliche Regelung im Hinblick auf Handelsverträge gibt. Das estnische Handelsgesetzbuch wurde zuletzt im März und im Juni 2000 modifiziert.

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11. Ein herausragender Vertreter der Zivilrechtswissenschaft in Estland war in der Zwischenkriegszeit Elmar Ilust (1898-1981), Professor an der Universität von Tartu (früher Dorpat). Ilust verfaßte das erste estnische Lehrbuch des Zivilrechts, das im Jahre 1930 erschienen ist. Dieses Lehrbuch war das letzte Lehrbuch im ganzen Baltikum, das das Zivilrecht auf der Grundlage des Liv-, Est- und Curländischen Privatrechts darstellte.

Lettland

12. Der Einfluß der deutschen Pandektenwissenschaft zeigte sich in Lettland besonders stark in der Zwischenkriegszeit. Dies ist besonders am Bürgerlichen Gesetzbuch vom Jahre 1937 ersichtlich. Das aus 2400 Paragraphen bestehende lettische BGB wurde unter der Regierung des Staats- und Ministerpräsidenten Karlis Ulmanis redigiert und am 1. Januar 1938 in Kraft gesetzt. Die Redaktoren des lettischen Zivilgesetzbuches berücksichtigten daneben die schweizerische Zivilrechtskodifikation bzw. deren im Jahre 1936 erfolgte Revision.

Die Struktur des Kodex ist die folgende: Einleitende Bestimmungen (§§ 1-25), Familienrecht (§§ 26-381), Erbrecht (§§ 382-840), Sachenrecht (§§ 841-1400) und Schuldecht (§§ 1401-2400). Der aus vier Büchern bestehende Kodex hat demnach keinen Allgemeinen Teil. Die deutsche Pandektenwissenschaft beeinflußte nur beschränkt die Regelung der einzelnen Rechtsinstitute. Für diesen eher geringen Einfluß der Pandektistik hat der Umstand eine erhebliche Rolle gespielt, daß die Redaktoren die damaligen (weniger entwickelten) sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse betont berücksichtigten. Dies spiegelt sich unter anderem darin wieder, daß die auf das geteilte Bodeneigentum bezogenen Regelungen erst nach der Einführung des Zivilgesetzbuches, nämlich in einem im Dezember 1938 verabschiedeten Gesetz, außer Kraft gesetzt wurden.

13. Nach Angliederung Lettlands an die Sowjetunion wurde durch eine Verordung des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion das sowjetrussische Zivilgesetzbuch vom Jahre 1922 samt anderen Gesetzbüchern (so z.B. mit dem Familienrechtskodex) in Kraft gesetzt.

Im Jahre 1961 wurden die Grundlagen der Zivilgesetzgebung der Union der SSR und der Unionsrepubliken (Osnovy Graždanskogo Zakonodat'elstva) verkündet, welche normative Kraft besaßen. Die Grundlagen bildeten weitgehend - gleich den anderen Sowjetrepubliken - die Basis des neuen, im Jahre 1964 in Kraft getretenen Zivilgesetzbuches.

Der Kodex vom Jahre 1964 unterschied sich nur geringfügig vom Zivilgesetzbuch der russischen Föderation vom Jahre 1964 und den Zivilgesetzbüchern der anderen Sowjetrepubliken. (Ein geringfügiger Unterschied war z.B., daß

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das lettische Zivilgesetzbuch das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag (negotium gestum) regelte.) Seiner Struktur und Terminologie nach war also auch das Zivilgesetzbuch der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik pandektistisch orientiert.

14. Nach dem Wiedererlangen der Unabhängigkeit Lettlands im Jahre 1991 trat das Gesetzbuch vom Jahre 1937 mit geringfügigen Abänderungen stufenweise wieder in Kraft.[7] Der erbrechtliche und sachenrechtliche Teil wurde am 1. September 1992, der schuldrechtliche Teil am 22. Dezember 1992 und der familienrechtliche Teil am 1. September 1993 in Kraft gesetzt. Die Änderungen betrafen vor allem das Familien- und das Erbrecht. Die Grundlagen der Zivilgesetzgebung der Sowjetunion vom 31. Mai 1991 wurden nicht in Kraft gesetzt.

15. In der Rechtswissenschaft hat in Lettland in der Zwischenkriegszeit die in der römischrechtlichen Tradition wurzelnde Pandektistik eine bedeutende Rolle gespielt. Vasil Sinaiska (1876-1949), der zwischen 1918 und 1944 an der Universität von Riga römisches Recht unterrichtete, war ein international anerkannter Repräsentant seines Faches. Früher, vor 1918, nahm er eine Professur zunächst in Dorpat, später in Kiew war.

In der Zwischenkriegszeit kam es nicht zur Verabschiedung eines Handelsgesetzbuches. Erwähnung verdient, daß das im Dezember 1937 verabschiedete Gesetz über die Aktiengesellschaften zusammen mit dem Zivilgesetzbuch vom Jahre 1937 in Kraft gesetzt wurde. Dieses Gesetz setzte den ersten Teil des Zehnten Buches des Svod Zakonov und die Regeln eines im Jahre 1836 promulgierten russischen Gesetzes außer Kraft. Hinsichtlich der Rechtsentwicklung im Handelsrecht, nach Erlangung der Unabhängigkeit sind das Gesetz über die Handelsgesellschaften vom 5. Februar 1991, das Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung vom 1. Februar 1991, das Gesetz über die Aktiengesellschaften vom 18. Mai 1993 und das Gesetz über die Insolvenz von Unternehmen und Gesellschaften vom 12. Dezember 1996 zu erwähnen.

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16. Zu einer Gesamtkodifikation des Handelsrechts ist es bis heute nicht gekommen. In Lettland wurde dem monistischen Konzept nicht Rechnung getragen. Der Gesetzgeber hat die Idee der Erschaffung eines code unique nicht angenommen.

Litauen

17. Das russische Zarenreich gewann seit Peter I. (dem Großen) und Katharina II. (der Großen) wachsenden Einfluß auf die politische Entwicklung des polnisch-litauischen Doppelreiches (die polnisch-litauische Konföderation). Rußland gelang es, nach den drei Teilungen des polnisch-litauischen Staates (1772, 1793 und 1795) ganz Litauen für sich zu sichern. Es entstanden die russischen Gouvernements Wilna, Kowno sowie Suwalki, das erst nach vorübergehender preußischer Herrschaft (Neu-Ostpreußen 1795-1807) hinzukam.

Litauen erlangte im Jahre 1918 seine Unabhängigkeit, die zwei Jahre später auch von Sowjetrußland anerkannt wurde.

Erwähnung verdient, daß das ab dem Jahre 1923 zu Litauen gehörige Memelgebiet (Klaipeda-Region) seine Autonomie im rechtlichen Bereich bewahren konnte (das Recht der Klaipeda-Region).

18. Nachdem am 21. Juli 1940 die Sowjetrepublik Litauen ausgerufen worden war, wurde Litauen am 3. August desselben Jahres in die Sowjetunion eingegliedert. Am 11. März 1990 proklamierte Litauen seine Unabhängigkeit; aufgrund dessen Litauen seine Unabhängigkeit am 29. Juli 1991 wiedererlangt hat.

Im Territorium des heutigen Litauen galt, im Gegensatz zu Estland und Lettland, nicht das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht, sondern ab dem Jahre 1835 der Svod Zakonov. Nach dem Jahre 1918 blieb der Svod Zakonov mit Änderungen weiterhin in Kraft. Die Modernisierung des Rechtssystems erfolgte durch Teilgesetzgebung. In der Zwischenkriegszeit kam es zu keiner Verabschiedung eines Zivilgesetzbuches. In der Doktrin kam der Pandektenwissenschaft eine immer bedeutendere Rolle zu. Dabei spielte auch der Unterricht des römischen Rechts eine erhebliche Rolle. Der aus Ungarn stammende namhafte Romanist, Zivilist und Rechtsvergleicher Elemér Balogh (1881-1955) unterrichtete an der Universität Kaunas, der damaligen Hauptstadt, römisches Recht und Zivilrecht.[8]

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19. Nach Angliederung Litauens an die Sowjetunion wurde durch eine Verordnung des Präsidiums des Obersten Sowjets der Sowjetunion das sowjetrussische Zivilgesetzbuch vom Jahre 1922 mitsamt anderen Gesetzbüchern (so z.B. mit dem Familienrechtskodex) in Kraft gesetzt.

Im Jahre 1961 wurden auch in Litauen die Grundlagen der Zivilgesetzgebung der Union der SSR und der Unionsrepubliken (Osnovy Graždanskogo Zakonodat'elstva) als normative Gesetzesgrundlage verkündet. Die Grundlagen ersetzten weitgehend das Zivilgesetzbuch vom Jahre 1922. Die Grundlagen bildeten weitgehend - gleich den anderen Sowjetrepubliken - die Basis des neuen litauischen Zivilgesetzbuches vom Jahre 1964.

Seiner Struktur und seiner Terminologie nach war das Zivilgesetzbuch der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik vom Jahre 1964 pandektistisch orientiert. Dieses Gesetzbuch unterschied sich nur geringfügig vom Zivilgesetzbuch der russischen Föderation vom demselben Jahre und den Zivilgesetzbüchern der anderen Sowjetrepubliken. Das Zivilgesetzbuch wurde nach Erlangung der Unabhängigkeit mehrfach reformiert. Die Grundlagen der Zivilgesetzgebung der Sowjetunion vom 31. Mai 1991 hatten bzw. haben keine Geltung.

20. Bereits am Anfang der 1990-er Jahre hat man in Litauen mit der Vorbereitung eines neuen, marktwirtschaftlich orientierten Zivilgesetzbuches begonnen. Der Erste Entwurf entstand im Jahre 1994, die überarbeitete Variante wurde im Jahre 1996 veröffentlicht. Die endgültige Fassung wurde am 18. Juli 2000 vom litauischen Parlament (Seimas) gebilligt. Das neue Zivilgesetzbuch trat am 1. Juli 2001 in Kraft. Unter den Redaktoren spielte der namhafte Professor an der Universität Vilnius, V. Mikelenas, die entscheidende Rolle. Bei der Kodifikation wurden vor allem der italienische Codice civile vom Jahre 1942, das neue Zivilgesetzbuch von Québec vom Jahre 1994 und das neue niederländische Bürgerliche Gesetzbuch als Modell herangezogen. Berücksichtigt wurden auch der französische Code civil, mit seinen Modifikationen, und das deutsche BGB. In diesem Gesetzbuch findet man eine einheitliche Regelung im Hinblick auf das Vertragsrecht ohne Unterscheidung zwischen zivilrechtlichen und handelsrechtlichen Verträgen (monistisches Prinzip). Die verschiedenen Formen der Handelsgesellschaften werden unter den verschiedenen Formen der juristischen Personen geregelt.

21. Das Gesetzbuch über die Ehe und Familie vom Jahre 1969 wurde zunächst im Jahre 1993 durch ein neues Gesetz ersetzt. Mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde auch dieses Gesetz außer Kraft gesetzt und das Ehe-und Familienrecht in das Dritte Buch des neuen Zivilkodex inkorporiert.

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22. In der Zwischenkriegszeit wurde in Litauen kein vollständiges Handelsgesetzbuch promulgiert. Das am 5. Mai 1937 verabschiedete Gesetz bezog sich ausschließlich auf das Handelsregister. Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit wurde das Handelsrecht in einem eigenständigen Handelsgesetz geregelt, das im Jahre 1995 verabschiedet wurde. Das Gesetz über die Aktiengesellschaft stammt aus dem Jahre 1994. Nach der Inkraftsetzung des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Juli 2001 sind darin auch die Handelsverträge, einheitlich mit den zivilrechtlichen Verträgen, geregelt. In Litauen verfolgt der Gesetzgeber dementsprechend das monistische Prinzip (concept moniste. Im Einklang mit diesem Prinzip werden nur die speziellen Vorschriften im Hinblick auf die Handelsgesellschaften in separaten Gesetzen geregelt.

Schrifttum

Das Baltikum bis 1918

C. E. Erdmann: System des Privatrechts der Ostseeprovinzen Liv,- Est-, und Kurland I-IV. Riga, 1889-1894.; D. Schmidt: Rechtsgeschichte Liv-, Esth- und Kurlands. Dorpat, 1895.; G. Rutenberg: Die baltischen Staaten und das Völkerrecht: Die Entstehungsprobleme Litauens, Lettlands und Estlands im Lichte des Völkerrechts. Riga, 1928.; C. von Schilling: Die Einleitung zum neuen lettischen Zivilgesetzbuch (Rechtsauslegung und internationales Privatrecht). ZfOR. N. F. 4 (1937/38) S. 219-240.; A. Bilmanis: Latvia as an Independent State. Washington, D.C., 1947.; T. G. Chase: The Story of Lithuania, New York, 1946; C. R. Jurgela: History of the Lithuanian Nation. New York, 1948.; R. Wittram: Baltische Geschichte. Die Ostseeländer Livland, Estland, Kurland 1180-1918. München, 1954.; J. Balys: Lithuania and Lithuanians. New York, 1960.; H. Blaese: Einflüsse des römischen Rechts in den baltischen Gebieten. IRMAE V, 9, Milano, 1962.; M. Hellmann: Grundzüge der Geschichte Litauens und des litauischen Volkes. 1966. G. v. Rauch: Geschichte der baltischen Staaten. Hannover-Döhren, 1986.; G. v. Rauch: Geschichte der baltischen Staaten. München, 1990[3].; H. J. Uibopuu: Die Rechtsentwicklung der baltischen Staaten in der neuesten Zeit. Marburg an der Lahn, 1993.; Baltische Rechtsangleichung - 10 Jahre Gesetzgebung Estlands und Lettlands: Referate der 1. Baltischen Juristenkonferenz zu Dorpat aus Anlass der 18. Baltischen Konferenz zu Geschichte der Wissenschaften am 17-19. Januar in Riga. Hamburg, 1996.; Das Baltikum im Patt der Mächte. Zur Entstehung Estlands, Lettlands und Litauens im Gefolge des Ersten Weltkrieges. Berlin, 1997.; M. Luts: Die Modernisierung der Rechtswissenschaft und Juristenausbildung in den Ostseeprovinzen im 19. Jahrhundert im Rahmen der alteuropäischen Ständeverfassung. Acta Baltica:

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Liber Annalis Instituti Baltici 35 (1997) S. 231-256.; I. Kull: Effect of Harmonisation of European Civil Law on Development of Estonian Law of Obligations. Juridica International III. Tartu, 1998. S. 98-102.; D. A. Loeber: Harmonization of the Law of the Baltic States: the Inter-War Period. (1918-1940) Humanities and Social Sciences Latvia 1998. S. 197-223.; E. Salumaa: The Estonian Family Law Act. Il Diritto Ecclesiastico. Milano, 1998. S. 155164.; J. Sootak - M. Luts: Rechtsreform in Estland als Rezeptions- und Bildungsaufgabe. Juristen Zeitung (1998) S. 401-403.; K. Torgans: Commercial Rights in the Baltic States. The Baltic States at Historical Crossroads: Political, Economic and Legal Problems in the Context of International Cooperation on the Doorstep of the 21[st] Century. Riga, 1998.; P. Järvelaid: Millenniumtext. Estonia: The Development of the Estonian Legal System. Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht 41 (2000) S. 122-123.; P. Järvelaid: The Development of the Estonian Legal System. ZEuP 7 (2000) S. 873-877.; M. Luts: "Eine Universität für Unser Reich, und insbesondere für die Provinzen Liv-, Esth- und Kurland": Die Aufgaben der Juristenfakultät zu Dorpat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. ZSS GA 117 (2000) S. 607-639.; C. Taube: Constitutionalism in Estonia, Latvia and Lithuania. A Study in Comparative Law. Uppsala, 2001.; T. Anepaio: Die Justizreform von 1889 in den Ostseeprovinzen und das Baltische Privatrecht: die gegenseitige Beeinflussung - der Dialog oder der Konflikt. In: Geschichte und Perspektiven des Rechts im Ostseeraum. Erster Rechtshistorikertag im Ostseeraum. 8-12, März, 2000. (Hrsg.: J. Eckert - K. A. Modeer). 2002. S. 59-79.; M. Luts: Die Begründung der Wissenschaft des provinziellen Rechts der baltischen Ostseeprovinzen im 19. Jh. In: Geschichte und Perspektiven des Rechts im Ostseeraum. Erster Rechtshistorikertag im Ostseeraum. 8-12, März, 2000. (Hrsg.: J. Eckert - K. A. Modeer). 2002. S. 147-169.; R. Weber: Eine kleine Rechtsgeschichte Estlands vom 12. bis 18. Jahrhundert. In: Geschichte und Perspektiven des Rechts im Ostseeraum. Erster Rechtshistorikertag im Ostseeraum. 8-12, März, 2000. (Hrsg.: J. Eckert - K. A. Modeer). 2002. S. 349-397.; F. Anton - L. Luks (Hrsg.): Deutschland, Russland und das Baltikum. Beiträge zu einer Geschichte wechselvoller Beziehungen. Festschrift zum 85. Geburtstag von P. Krupnikow. Eichstätt, 2005.

Estland

E. Berendts: Die Verfassungsentwicklung Estlands. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 12 (1924) S. 191-206.; H. v. Nottbeck: Der Entwurf des estländischen Zivilgesetzbuches von 1936. ZfOR. Neue Reihe 4 (1937/38) S. 269-282.; A. Mägi: Das Staatsleben Estlands während seiner Selbständigkeit. I. Das Regierungssystem. Stockholm, 1967.; G. Tavits: Scope of Application of Estonian Labour Legislation. Juridica International I. Tartu, 1996. S. 114-124.;

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Ders.: The Nature and Formation of Labour Law. Juridica International, II. Tartu, 1997. S. 103-111.; M. Silnizki: Geschichte des gelehrten Rechts in Rußland, Jurisprudencija an den Universitäten des Russischen Reiches. 17001835. Frankfurt am Main, 1997.; M. Luts-J. Sootak: Rechtsreform in Estland als Rezeptions- und Bildungsaufgabe. In: Juristenzeitung, 4. Heft. 1998.; P. Varul - H. Pisuke: Louisiana's Contribution to the Estonian Civil Code. TLR 73 (1999) S. 1027-1031.; G. Tavits: Freedom of Contract in Labour Relations. Juridica International, IV. Tartu, 1999. S. 179-188.; E. Gustavus: Änderungen des estnischen Handelsgesetzbuches aus der Sicht des deutschen und europäischen Handelsrechts. Grundbuch- und Notartage 28-30. Mai, 1998: Referate. Tallinn, 1999. S. 325-338.; V. Peep: Veränderungen im estnischen Handels- und Gesellschaftsrecht. Grundbuch- und Notartage 28-30. Mai, 1998: Referate. Tallinn, 1999. S. 311-324.; M. Luts: "Eine Universität für Unser Reich und insbesondere für die Provinzen Liv-, Est- und Kurland.": Die Aufgaben der Juristenfakultät zu Dorpat in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. ZSS GA 117 (2000).

Lettland

Von Schilling: Lettlands neues Zivilgesetzbuch. Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 11 (1937) S. 484-505.; B. v. Klot: Lettlands Zivilgesetzbuch vom 28. Januar 1937 in Einzeldarstellungen. Riga, 1940.; G. Bužinskas: Recepcija rimskovo prava v sovremennom graždanskom zakonodatelstve Litovskoj Respubliki. Ius Antiquum - Drevneje Pravo 1 (1998) S. 136-140.

Litauen

H. Blaese: Einflüsse des römischen Rechts in den baltischen Gebieten. IRMAE V 9, 1962.; J. Tauber: Überlegungen zur Geschichte der Republik Litauen in der Zwischenkriegszeit. In: B. Meissner - D. A. Loeber - C. Hasselblatt (Hrsg.): Der Aufbau einer freiheitlich-demokratischen Ordnung in den baltischen Staaten. Staat. Wirtschaft. Gesellschaft. Hamburg, 1995, S. 61-71.; G. Buzinskas: Recepcia rimskovo prava v sovremennom graždanskom zakonodatjelstve Litovskoj Respubliki. Ius Antiqum - Drevneje Pravo 1 (1998) S. 136-140.; A. Harmathy: Zivilgesetzbuch in mittel- und osteuropäischen Staaten. ZEuP 6 (1998) S. 553.ff.; V. Mikelenas: Unification and Harmonisation of law and the Turn of Millennium: The Lithuanian Experience. Uniform Law Review/ Revue de droit uniforme 5 (2000), S. 243-261.; U. W. Schulze: Das litauische Zivilrecht - Entwicklung, IPR und Allgemeiner Teil, WGO Monatshefte für Osteuropäisches Recht 43 (2001) S. 331-355.

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Resümee - Privatrechtsentwicklung in den baltischen Staaten

Auf dem Gebiet der nach dem I. Weltkrieg unabhängig gewordenen Baltischen Staaten widerspiegelt das deutschsprachige, aber auch in russischer Sprache amtlich veröffentlichte Liv-, Est- und Curländische Privatrecht, das in Lettland (bis 1. Januar 1938) und in Estland sogar noch eine geraume Zeit nach dem I. Weltkrieg (bis 1945) in Kraft war, die Wirkung der deutschen Pandektistik.

Den Auftrag zur Verfassung des Kodexes erhielt 1857 Friedrich Georg von Bunge (1802-1897). Das Gesetzbuch besteht aus den Teilen Familien-, Sachen-, Erb- und Schuldrecht, enthält aber keinen Allgemeinen Teil, und insofern weicht es vom Pandektensystem ab. Das sachenrechtliche Teil des Kodexes widerspiegelt Traditionen des feudalistischen Rechts.

Die Quelle des Privatrechts war in Estland zwischen den beiden Weltkriegen das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht. Es kam jedoch nicht zur Schaffung eines Zivilgesetzbuches.

Nach der Eingliederung Estlands in die Sowjetunion wurde gemäß der Anordnung des Obersten Sowjets der Sowjetunion das Sowjetrussische Zivilgesetzbuch - zusammen mit anderen Gesetzbüchern, unter anderen zum Beispiel dem Familienrechtlichen Kodex - in Kraft gesetzt. Auf die gleiche Weise trat das Sowjetrussische Zivilgesetzbuch auch in Lettland und in Litauen in Kraft.

Nachdem Estland 1991 seine Souveränität wiedererlangt hatte, wurde das Liv-, Est- und Curländische Privatrecht nicht in Kraft gesetzt.

Der Prozess der zivilrechtlichen Gesetzgebung begann im Einklang mit den Bestimmungen der 1992 verkündeten Verfassung mit der Teilkodifikation des Zivilrechts. Der auf pandektistischen Grundsätzen beruhende Allgemeine Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde 1994 verabschiedet. Der Allgemeine Teil, der bezüglich der Vertretung eine sehr eingehende Regelung enthält, wurde hinsichtlich der juristischen Personen 1995 geändert.

Zur Inkraftsetzung des Gesetzes über das Sachenrecht kam es ein Jahr früher, 1993. Das Familiengesetz wurde 1994 verkündet, während das Gesetz zur Regelung des Erbrechts 1996 angenommen wurde. Einzelne Bestimmungen der allgemeinen Vorschriften des Schuldrechts sind im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches enthalten.

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Die Kodifizierung des Zivilrechts wurde aber mit der Annahme des Gesetzes zur Regelung des Schuldrechts noch nicht abgeschlossen. Das Handelsgesetzbuch (Äriseadustik) enthält neben der Regelung der Form einzelner Handelsgesellschaften auch die allgemeinen Regeln des Handelsrechts.

In Lettland kam es in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, 1937, zur Verkündung des am 1. Januar 1938 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuches. Dieses Gesetzbuch aus 2400 Paragrafen bzw. vier Büchern enthält keinen Allgemeinen Teil. Die Pandektistik beeinflusste das Bürgerliche Gesetzbuch Lettlands nur im Bereich der Regelung gewisser Rechtsinstitute.

Das Handelsrecht wurde in Lettland bislang noch nicht neu kodifiziert. Die Handelsgesellschaften sind in selbständigen Gesetzen geregelt.

Nach Erlangung der Unabhängigkeit kam es in Litauen zur Vorbereitung des neuen, den Anforderungen der Marktwirtschaft angepassten Bürgerlichen Gesetzbuches. Das Parlament Litauens verabschiedete am 18. Juli 2000 den endgültigen Text des Bürgerlichen Gesetzbuches.

Die Autoren des auf einem monistischen Konzept beruhenden Kodexes berücksichtigten das Bürgerliche Gesetzbuch Italiens aus 1942, das neue Bürgerliche Gesetzbuch Quebecs und das neue Bürgerliche Gesetzbuch der Niederlande. Gleichzeitig beachteten sie den französischen Code civil, sowie auch das deutsche BGB.

Das 1969 verabschiedete Gesetz über Ehe und Familie wurde durch ein in 1993 geschaffenes Gesetz außer Kraft gesetzt. Mit Annahme des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches wurde auch dieses Gesetz außer Kraft gesetzt, und das Ehe- bzw. Familienrecht ist derzeit im dritten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches geregelt. Das Handelsrecht ist in 1995 verabschiedeten Gesetz über das Handelsrecht geregelt. Das Gesetz zur Regelung der Aktiengesellschaften wurde 1994 verabschiedet.

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Summary - Development of Private Law in the Baltic States

In the Baltic States following the First World War, when those States assumed independence, private law was under the influence of German pandectistics (Pandektenwissenschaft). The code Liv-, Est- und Curländisches Privatrecht was originally written in German, but it was officially promulgated in Russian as well. In Latvia it was in force until 1 January 1938 and in Estonia until 1945. Friedrich Georg von Bunge (1802-1897) was commissioned to draft that code in 1857. It consists of the following divisions: family law, property law, inheritance law and contract law. It differs from the pandectic system inasmuch as it involves no General Part. The chapter on property law is based on feudal traditions.

During the interwar period the Liv-, Est- und Curländisches Privatrecht was the source of private law in Estonia. However, no civil code was enacted there. Following the Soviet annexation of Estonia, as decreed by the Presidium of the Supreme Soviet of the Soviet Union, the Soviet-Russian Civil Code was enacted, alongside other codes of law, as for instance the code of family law. The Soviet-Russian Civil Code was also enacted in Lithuania and Latvia. The Liv-, Est- und Curländisches Privatrecht was enacted in Estonia after that country regained sovereignty, that is, after 1991. Legislation in the field of civil law began with the partial codification of civil law, in accordance with the Constitution, which was promulgated in 1992. The General Part of the Civil Code, which relies on pandectist traditions, was enacted in 1994. It includes detailed provisions on agency. In 1995, the rules from the General Part, which refer to legal entities, were amended. The Property Law Act was enacted a year earlier, in 1993. The Act on Family Law was promulgated in 1994, and the Act on Inheritance Law in 1996. Certain provisions from the General Part of contract law can be found in the General Part of the Civil Code. The enactment of the Act on Contract Law did not mean the completion of the codification of civil law. The Code of Commercial Law (Äriseadustikk) covers the various forms of companies and the general rules of commercial law.

In Latvia the Civil Code was promulgated between the two world wars, in 1937, and it came into effect on 1 January 1938. That code consists of four volumes and 2400 articles, however, it includes no General Part. Pandectistics influenced the Latvian Civil Code only in the area of certain legal institutions. In Latvia commercial law has not been re-codified yet. There are separate laws to regulate the various business associations.

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In Lithuania the preparation of a new Civil Code, one that satisfies the requirements of market economy, began after regaining national independence. The Lithuanian Parliament enacted the final version of the Civil Code on 18 July 2000. The Lithuanian Civil Code was conceived along monistic principles, and its framers took into consideration the Italian Civil Code of 1942, the new Civil Code of Québec and the new Civil Code of The Netherlands. They also found inspiration in the Code Civil of France and the BGB of Germany. The Act on Marriage and Family Affairs of 1969 was abrogated by a law, enacted in 1993. When the Civil Code was adopted, that latter law was also repealed. Presently the third volume of the Civil Code regulates marriage and family affairs. Commercial law is regulated by the Act on Commercial Law, adopted in 1995. In 1994, a law was enacted on companies limited by shares. ■

ANMERKUNGEN

[1] Hinsichtlich der Privatrechtsentwicklung in Polen siehe Hamza G.: Az európai magánjog fejlődése. A modern magánjogi rendszerek kialakulása a római jogi hagyományok alapján. (Die Entwicklung des europäischen Privatrechts. Entstehung der modernen Privatrechtsordnungen auf römischrechtlicher Grundlage) Budapest, 2002. S. 76 f. und 169 ff. Siehe noch G. Hamza: Die Entwicklung des Privatrechts auf römischrechtlicher Grundlage unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsentwicklung in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Ungarn. Budapest, 2002. S. 149 ff.

[2] Dieses Gesetzbuch wurde auch auf Russisch im Amtsblatt verkündet.

[3] Die Privatrechtsentwicklung Litauens, das Teil des polnisch-litauischen Doppelstaates war, folgte nicht der Rechtsentwicklung der übrigen Gebiete des heutigen Estland und Lettland.

[4] Friedrich Georg von Bunge war Verfasser des Werkes Geschichte des Gerichtswesens und Gerichtsverfahrens in Liv-, Est- und Curland (Reval, 1874). Über den Rechtsgelehrten von Bunge siehe W. Greffenhagen: Dr. jur. Friedrich Georg v. Bunge. Reval, 1891.

[5] In Bezug auf die Frage der Rezeption des römischen Rechts siehe Földi A.-Hamza G.: A római jog története és institúciói (Geschichte und Institutionen des römischen Rechts) Zehnte verm. und überb. Auflage. Budapest, 2005. S. 107 ff.

[6] Eins Studie über das Miteigentum mit dem Titel Le azioni dei condomini, erschienen im Bullettino dell'Istituto di Diritto Romano 39 (1931), ist heute noch wegweisend.

[7] Diese originelle Lösung, d.h. die Wiedereinführung der Gesetze aus der Zwischenkriegszeit, wurde auch im Hinblick auf die Verfassung angewandt: Die Verfassung vom Jahre 1922 wurde durch das lettische Parlament (Saeima) im Jahre 1993 wieder in Kraft gesetzt. Im Jahre 1997 wurde diese Verfassung in erheblichem Maße geändert. Vgl. I. Feldmanis: Die Erfahrungen mit parlamentarischer Demokratie und autoritärer Herrschaftsform (1918-1940) in Lettland. In: B. Meissner - D. A. Loeber - C. Hasselblatt (Hrsg.): Der Aufbau einer freiheitlich-demokratischen Ordnung in den baltischen Staaten. Staat. Wirtschaft. Gesellschaft. Hamburg, 1995, S. 53-60 und C. Taube: Constitutionalism in Estonia, Latvia and Lithuania. A Study in Comparative Law. Uppsala, 2001. Aus der älteren Literatur siehe M. M. Laserson: Die Verfassungsentwicklung Lettlands. Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 11 (1922) S. 218-226.

[8] Im Hinblick auf das wissenschaftliche Oeuvre von Elemér Balogh siehe G. Hamza: Balogh Elemér (Elemér Balogh) In: Magyar Jogtudósok I. Budapest, 1999, S. 137-146.

Lábjegyzetek:

[1] Lehrstuhl für Römisches Recht, Telefonnummer: (36-1) 411-6506, e-mail: gabor.hamza@ajk.elte.hu

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