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Robert Kert[1]: Die Angleichung von Strafen in der Europäischen Union (MJSZ, 2019., 2. Különszám, 2/2. szám, 7-20. o.)

Seit vielen Jahren setzt sich Ákos Farkas als Präsident der Association of Hungarian Lawyers for the European Criminal Law mit großem Engagement für die Idee eines europäischen Strafrechts ein. Dies hat auch zu einer Intensivierung der Beziehungen zwischen der österreichischen und ungarischen Vereinigung geführt. Daraus hat sich eine ungarisch-österreichische Freundschaft entwickelt, die ich auf wissenschaftlicher und persönlicher Ebene sehr schätze. Es ist für mich eine große Freude und Ehre, Ákos Farkas den folgenden Beitrag widmen zu dürfen.

1. Die Angleichung von Tatbeständen und Sanktionen bis zum Vertrag von Lissabon

Seit mehr als zwanzig Jahren ist die EU um eine Angleichung des materiellen Strafrechts bemüht. Es begann im Rahmen der sog Dritten Säule mit dem Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der EU[1], dem Übereinkommen zur Bekämpfung von Bestechung[2] und verschiedenen Gemeinsamen Maßnahmen und Rahmenbeschlüssen zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Menschenhandel, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie Korruption im privaten Sektor. Das Ziel war dabei die Schaffung von Mindeststandards der Kriminalisierung für bestimmte schwere Straftaten.

Im Hinblick auf die Sanktionen beschränkten sich die Rechtsakte in den 90er-Jahren auf die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Verstöße gegen das Gemeinschafts- bzw Unionsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln zu ahnden wie nach Art und Schwere gleichartige

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Verstöße gegen nationales Recht. Diese Sanktionen mussten jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.[3]

Der Europäische Rat von Tampere 1999 erklärte, dass künftig Kriminalitätsprävention und -bekämpfung auf EU-Ebene konsequent miteinander verknüpft werden sollten. Unter anderem müssten "gemeinsame Definitionen, Straftatbestände und Sanktionen vereinbart und ins innerstaatliche Strafrecht aufgenommen" werden. In Folge des Vertrags von Amsterdam begann die EU in Rahmenbeschlüssen sog Mindesthöchststrafen für Freiheitsstrafen vorzusehen, das heißt, es wurden in den Rechtsakten der EU Mindestmaße für die Obergrenzen der Freiheitsstrafen für bestimmte Verstöße festgelegt.[4] Solche Mindesthöchststrafen fanden sich beispielsweise in den Rahmenbeschlüssen 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung[5], 2002/629/JI zur Bekämpfung des Menschenhandels[6], 2004/757/JI zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels[7] oder sowie 2005/222/JI über Angriffe auf Informationssysteme[8].

Der Rat folgte dabei zumeist den Vorschlägen der Europäischen Kommission. Während einige Mitgliedstaaten diese Bestrebungen zu einer Angleichung der Strafen unterstützten, machten andere auf die Schwierigkeiten aufmerksam, die mit der Umsetzung solcher Mindest- und Höchststrafmaße verbunden sind, da die in den europäischen Rechtsakten vorgesehenen Mindesthöchststrafen nicht mit den nationalen Strafdrohungen und Strafrahmen in Einklang zu bringen sind. Wenn nämlich eine nationale Strafrechtsordnung bspw Höchststrafen von drei, fünf und zehn Jahren vorsieht, sind diese nur schwer mit Mindesthöchststrafen von vier, sechs und acht Jahren in Einklang zu bringen.

Um einen einheitlicheren Zugang zu finden, verabschiedete der Rat im Jahr 2002 "Schlussfolgerungen des Rates über einen Ansatz zur Angleichung der Strafen".[9] Darin stellte er fest, dass "bei der Prüfung der Frage, wie die strafrechtlichen Sanktionen in bestimmten Bereichen zu harmonisieren sind, nicht aus dem Auge verloren werden [dürfe], dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtstraditionen haben. Um den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, die Kohärenz ihrer nationalen Sanktionssysteme zu wahren, bedarf es zur Harmonisierung der strafrechtlichen Sanktionen einer gewissen Flexibilität." Der Rat vereinbarte ein System standardisierter Niveaus strafrechtlicher Sanktionen: Niveau 1:

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Höchststrafen von mindestens 1 bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe; Niveau 2: Höchststrafen von mindestens 2 bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe; Niveau 3: Höchststrafen von mindestens 5 bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe; Niveau 4: Höchststrafen von mindestens 10 Jahren für Fälle, in denen sehr schwere Strafen erforderlich sind. Größere praktische Bedeutung haben diese Niveaus nicht erreicht.

Die Mindesthöchststrafen verpflichteten die Mitgliedstaaten somit, ein bestimmtes Niveau von Höchststrafen einzuführen. Die Mitgliedstaaten sollen dadurch aber nicht zur Einführung bestimmter Mindeststrafen oder Höchststrafen verpflichtet werden. Die Strafobergrenze muss lediglich die Mindesterfordernisse des jeweiligen EU-Rechtsaktes erfüllen. Der nationale Gesetzgeber kann jederzeit höhere Obergrenzen vorsehen. Die Untergrenzen der Strafrahmen wurden durch die Schlussfolgerungen des Rates in keiner Weise angesprochen. Betrachtet man die bisherigen Maßnahmen zur Angleichung von Strafen, waren diese stets von dem Gedanken und Ziel einer Erhöhung des Niveaus der Strafdrohungen geprägt. Umgekehrt fanden Überlegungen, auch nach oben hin Grenzen vorzusehen (also "maximale Höchststrafen"), bisher keinen Konsens.

2. Entwicklungen nach dem Vertrag von Lissabon

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die sog Dritte Säule vergemeinschaftet und erhielt die EU eine Kompetenz zur Angleichung von Strafbestimmungen durch Richtlinien, die mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden können. Gem. Art. 83 Abs. 1 AEUV können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festgelegt werden, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Ebenso ist es nach Art. 83 Abs. 2 AEUV möglich, Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf einem Gebiet zu erlassen, auf dem Harmonisierungsmaßnahmen erfolgt sind, sofern sich die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union erweist ("Annexkompetenz").

Aufgrund dieser Kompetenzregelungen können strafrechtliche Sanktionen mittels Richtlinien angeglichen werden. Die Entscheidungsfindung findet im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens statt. Das bedeutet, dass auf der einen Seite keine Einstimmigkeit erforderlich ist, auf der anderen Seite auch die Rolle des EuGH gestärkt wird.

Die EU kann somit Mindestvorschriften für Strafen für bestimmte Delikte festgelegen. Die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Strafobergrenzen dürfen nicht unter diesen Mindeststandards bleiben, sie dürfen aber höher sein. Hinsichtlich Strafuntergrenzen erklärten die Mitgliedstaaten beim Abschluss des Vertrags von Amsterdam, dass "ein Mitgliedstaat, dessen Rechtssystem keine

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Mindeststrafen vorsieht, nicht aufgrund von Artikel K.3 Buchstabe e des Vertrags über die Europäische Union verpflichtet ist, Mindeststrafen einzuführen".[10] Es ist nicht klar, ob diese Grundsatzerklärung auch nach dem Vertrag von Lissabon noch eine Bedeutung hat.[11]

Heute enthalten beinahe alle Rechtsakte zur Angleichung der nationalen Strafrechtsordnungen Mindestvorschriften für die von den Mitgliedstaaten vorzusehenden Höchstgrenzen der Strafen.[12]

3. Wirkung von Mindesthöchststrafen am Beispiel des Rahmensbeschlusses Drogenhandel

Die Auswirkungen von Mindesthöchststrafen soll anhand des Beispiels des Rahmenbeschlusses zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels[13] illustriert werden, der 2004 angenommen wurde. Beim Drogenhandel handelt es sich in seiner organisierten und grenzüberschreitenden Form (nicht Straßenhandel) um transnationale Kriminalität, die einer grenzüberschreitenden Bekämpfung bedarf. Neben Definitionen von Straftatbeständen schreibt der Rahmenbeschluss Mindesthöchststrafen sowohl für die Grunddelikte als auch für bestimmte Qualifikationen vor. Für die schwersten Straftaten, nämlich wenn große Mengen Suchtmittel im Rahmen krimineller Vereinigungen gehandelt werden, sind Mindesthöchststrafen von 10 Jahren vorgeschrieben.

Eine rechtsvergleichende Untersuchung der Strafdrohungen in den Mitgliedstaaten aus dem Jahr 2013[14] zeigt, dass beinahe alle mitgliedstaatlichen Gesetze grundsätzlich mit den Vorgaben des Rahmenbeschlusses in Einklang stehen und die Strafdrohungen großteils deutlich über den Mindeststrafdrohungen des Rahmenbeschlusses liegen. Ebenso zeigt sich aber, dass es trotz der Angleichungsvorschriften große Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten vorgesehenen Strafen gibt und die Mitgliedstaaten viel differenziertere Strafhöhen vorsehen als der Rahmenbeschluss. In den meisten Mitgliedstaaten werden verschiedene Strafdrohungen abhängig von den Tathandlungen und anderen

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Faktoren, wie beispielsweise Mengen, Reinheit oder Gewicht der gehandelten Drogen, bestimmten Adressaten der gehandelten Drogen (zB Jugendlichen) oder speziellen Begehungsweisen, vorgesehen. Schon ein Blick auf die Höchststrafen für die schwersten Straftaten, für die der Rahmenbeschluss eine Mindesthöchststrafe von zehn Jahren vorsieht, illustriert markante Unterschiede: Nicht weniger als 12 Staaten sehen für solche schweren Fälle zumindest unter bestimmten Umständen lebenslange Freiheitsstrafen vor. Außer zwei Staaten sehen alle Staaten Strafdrohungen vor, die deutlich über 10 Jahren, großteils über 15 Jahren liegen. Nachdem der Rahmenbeschluss lediglich Mindesthöchststrafen vorsieht, sind solche darüber hinausgehende Strafdrohungen zulässig.

Tabelle: Höchststrafen für schwerste Fälle von Drogenhandel

Max. FreiheitsstrafeMitgliedstaaten
Lebenslange FSAT, CY, EE, FR, GR, HU, IE, LT, LU, MT,
SK, UK
Mehr als 20 JahreIIT, PT, RO
Mehr als 15 - 20 JahreBE, CZ, DK
Mehr als 10 - 15 JahreBG, DE, ES, LV, NL, PL, SI
Bis 10 JahreFI, SE

Da die Strafdrohungen in den meisten Mitgliedstaaten bereits durchwegs höher waren, mussten auch nur wenige Staaten ihre Strafdrohungen ändern, vielfach betrafen Änderungen nur den unteren Kriminalitätsbereich, in dem die Mitgliedstaaten unterschiedliche Konzepte des Umgangs mit Suchtmittelkriminalität verfolgen und wo die Notwendigkeit einer Angleichung der Rechtsordnungen auf Unionsebene zweifelhaft ist. Im Ergebnis hatten daher die Mindesthöchststrafen fast keinen Angleichungseffekt, große Unterschiede zwischen den mitgliedstaatlichen Strafen blieben bestehen.[15]

Die Untersuchungen zeigen aber auch, dass trotz dieser Unterschiede in allen Mitgliedstaaten - egal, ob sie hohe oder weniger hohe Strafenniveaus vorsehen -eine weitgehende Zufriedenheit mit den angedrohten Strafen bei den Rechtsanwendern besteht und in keinem Staat der Grund für die Kriminalitätsentwicklung in zu niedrigen oder zu hohen Strafdrohungen gesehen wird.

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In einer daran anschließenden Folgestudie - durchgeführt vom Europäischen Strafrechtsnetzwerk ECLAN und vom European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) - wurde anhand konkreter Fallszenarien untersucht, welche Strafen für diese Szenarien in den Mitgliedstaaten angedroht sind und welche Strafen Richter in solchen Fällen verhängen würden.[16] Eine Konstellation betraf den Handel mit 1 kg Heroin bei einem Ersttäter. Die in den Mitgliedstaaten dafür gesetzlich vorgesehenen Höchststrafdrohungen reichen von 10 Jahren bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Noch gravierender sind die Unterschiede bei den Strafen, die Richter in einem solchen Fall tatsächlich verhängen würden: Die Bandbreite reicht von 3 Monaten bis zu 20 Jahren. Auch wenn man diese Angaben mit Vorsicht betrachten muss, da sie - mangels entsprechender Statistiken - nur auf Interviews mit Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten in den Mitgliedstaaten beruhen, werden die eklatanten Unterschiede zwischen den in den Mitgliedstaaten tatsächlich verhängten Strafen sichtbar.

Quelle: Kert -Lehner -Hughes -Dalbinoë: EMCDDA Study Drug Trafficking 2014

Die Strafdrohungen entsprechen in den meisten Mitgliedstaaten zwar den Vorgaben des Unionsrechts, allerdings bleiben dennoch große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen - insbesondere auch bei den tatsächlich verhängten Strafen und der tatsächlich im Gefängnis verbrachten Zeit. Zu den Unterschieden in den Strafdrohungen kommt noch eine Reihe unterschiedlicher Regelungen in den mitgliedstaatlichen Sanktionensystemen hinzu, etwa

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Möglichkeiten der bedingten Strafnachsicht, der bedingten Entlassung, der Verhängung einer Geldstrafe anstatt einer Freiheitsstrafe oder die Berücksichtigung von Erschwerungs- und Milderungsgründen.

4. Friktionen durch Mindesthöchststrafen am Beispiel der PIF-Richtlinie

4.1. Anforderungen der PIF-Richtlinie. Der Vertrag von Lissabon brachte mit der Möglichkeit der Rechtsangleichung durch Richtlinien gem Art. 83 AEUV auch die Abkehr vom Einstimmigkeits- hin zum Mehrheitsprinzip. Im Hinblick auf die Mindesthöchststrafen kann dies viel eher als bei den - einstimmig angenommenen - Rahmenbeschlüssen dazu führen, dass Mitgliedstaaten durch die Richtlinie zur Einführung von Strafen gezwungen sind, die nicht mit ihrem nationalen System im Einklang stehen, weil die Mindesthöchststrafen deutlich höher sind. Dies kann zu Systembrüchen innerhalb der nationalen Strafrechtsordnungen führen. Dies soll am Beispiel der PIF-Richtlinie[17] und dem österreichischen Strafrecht veranschaulicht werden.

Die PIF-Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, die von der Richtlinie umfassten Straftaten mit wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden strafrechtlichen Sanktionen zu ahnden. Für die meisten Straftaten sind jedenfalls Freiheitsstrafen vorzusehen. Wenn die Straftaten einen erheblichen Schaden oder Vorteil beinhalten, sieht die Richtlinie Mindesthöchststrafen von vier Jahren vor. Ein erheblicher Schaden oder Vorteil liegt vor, wenn er mehr als EUR 100.000 beträgt; bei Betrügereien in Bezug auf Einnahmen aus Mehrwertsteuer-Eigenmitteln bei einem Gesamtschaden von mehr als EUR 10 Mio (Art. 7 Abs. 3 Betrugs-RL). Die Mitgliedstaaten sind daher verpflichtet, für die genannten Straftaten Höchststrafen von mindestens vier Jahren vorzusehen.

Für den Umsetzungsbedarf in Österreich sind die Einnahmen- und Ausgabenseite getrennt zu betrachten, da im Steuerstrafrecht andere Strafen vorgesehen sind als im Strafgesetzbuch.

4.2. Änderungsbedarf im Finanzstrafrecht. Einnahmenseitig sehen im Finanzstrafrecht die zentralen Tatbestände Abgabenhinterziehung, Schmuggel sowie Hinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgaben Geldstrafen als primäre Strafen vor, während Freiheitsstrafen lediglich zusätzlich vorgesehen sind. Primäre Freiheitsstrafen sind nur bei Vorliegen erschwerender (qualifizierender) Umstände wie Begehung als Mitglied einer Bande oder unter Gewaltanwendung oder bei Abgabenbetrug (unter Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden, Daten oder Beweismittel oder unter Verwendung von Scheingeschäften und Scheinhandlungen) vorgesehen.

Gem Art. 7 Abs. 2 Betrugs-RL sind Straftaten im Sinne der Art. 3 und 4 Betrugs-RL mit einer Höchststrafe zu ahnden, die Freiheitsentzug vorsieht. Diesen

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Anforderungen entsprechen die Regelungen des Finanzstrafrechts, da alle Finanzvergehen, welche der Umsetzung der Betrugs-RL dienen, (auch) mit Freiheitsstrafe bedroht sind. Dies gilt auch für solche Finanzvergehen, deren Ahndung in die Zuständigkeit der Finanzstrafbehörde fällt, auch wenn die von den Verwaltungsbehörden verhängten Freiheitsstrafen das Maß von drei Monaten nicht überschreiten dürfen.

Allerdings verlangt - wie ausgeführt - die Richtlinie (Art. 7 Abs. 3) darüber hinaus, dass Straftaten im Sinne der Art. 3 und 4 mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens vier Jahren geahndet werden können, wenn sie einen erheblichen Schaden oder Vorteil beinhalten. Als erheblich gilt der Schaden oder Vorteil aus einer Straftat im Sinne von Art. 3 Abs. 2 lit. a, b oder c und im Sinne von Art. 4, wenn der Schaden oder Vorteil mehr als EUR 100.000 beträgt.

Diesen Anforderungen entspricht das österreichische Finanzstrafrecht dann nicht, wenn keine qualifizierenden Voraussetzungen vorliegen (zB Verwendung einer falschen Urkunde oder eines falschen Beweismittels, eines Scheingeschäfts oder einer Scheinhandlung) und das Verhalten nur wegen Abgabenhinterziehung (§ 33 FinStrG), Schmuggels oder Hinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgaben (§ 35 FinStrG) strafbar ist. Denn für die Abgabenhinterziehung oder den Schmuggel sind neben Geldstrafen nur Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren vorgesehen. Damit bleibt die Strafdrohung jedoch unter der in der Richtlinie vorgesehenen Mindeststrafdrohung von vier Jahren.

Selbst wenn die Voraussetzungen für einen Abgabenbetrug (§ 39 FinStrG) vorliegen, entspricht das österreichische Finanzstrafrecht nicht in allen Fällen den Anforderungen der Richtlinie. Beträgt der Hinterziehungsbetrag bis zu EUR 250.000, ist lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorgesehen. Der österreichische Gesetzgeber muss diesbezüglich somit das Finanzstrafrecht in richtlinienkonformer Weise ändern.

Gem Art. 7 Abs. 4 Betrugs-RL können Mitgliedstaaten andere als strafrechtliche Sanktionen vorsehen, wenn eine Straftat zu einem Schaden von weniger als EUR 10.000 führt. Das österreichische Finanzstrafrecht sieht gem § 53 FinStrG verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen bis zu einem strafbestimmenden Wertbetrag von EUR 100.000 bei einer Abgabenhinterziehung bzw EUR 50.000 bei Schmuggel und Hinterziehung von Eingangs- und Ausgangsabgaben vor. Fraglich ist, ob Verwaltungsstrafen nach dem österreichischen Recht als strafrechtliche Sanktionen im Sinne der Richtlinie anzusehen sind. Würden nur kriminalstrafrechtliche Sanktionen diesem Erfordernis entsprechen, hätte dies zur Folge, dass eine grundlegende Änderung des Finanzstrafrechts durch Herabsetzung der Grenzen zwischen verwaltungsbehördlichem und gerichtlichem Finanzstrafverfahren erforderlich wäre.

Die Richtlinie wird in Österreich mit dem EU-Finanz-Anpassungsgesetz 2019 umgesetzt.[18] Als Konsequenz der PIF-Richtlinie wird die Strafdrohung für Abgabenhinterziehung auf vier Jahre Freiheitsstrafe erhöht, bei Schmuggel und Abgabenhehlerei soll dies bei einem EUR 100.000 übersteigenden Wertbetrag der

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Fall sein. Beim Abgabenbetrug wird die Grundstrafdrohung auf fünf Jahre erhöht sein. Schließlich wird ein eigener Tatbestand des grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugs bei einem Einnahmeausfall an Umsatzsteuer von mindestens EUR 10 Mio vorgeschlagen, um alle von der RL geforderten Tatbestandsvarianten zu erfassen. Als Strafe ist dafür eine Freiheitsstrafe von ein bis zehn Jahren vorgesehen. Die PIF-Richtlinie bringt somit im Finanzstrafrecht eine deutliche Anhebung der Freiheitsstrafdrohungen.

4.3. Änderungsbedarf im Strafgesetzbuch. Betrachtet man ausgabenseitig die Tatbestände des StGB, zeigt sich auch hier ein Spannungsverhältnis mit den bestehenden Vorschriften. Das österreichische Vermögensstrafrecht ist dadurch geprägt, dass für die Verwirklichung eines Grunddelikts relativ niedrige Strafen angedroht sind, die sich bei Vorliegen bestimmter qualifizierender Elemente (etwa höherer Schaden oder höherer Wert einer Sache) deutlich erhöhen. So kennt das StGB im Vermögensstrafrecht in der Regel zwei Wertqualifikationsstufen, bei deren Überschreiten sich die Strafen erhöhen. Der österreichische Gesetzgeber hat erst mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015 diese Schwellenwerte mit der Begründung erhöht, dass die Straftaten gegen fremdes Vermögen im Verhältnis zu Straftaten gegen Leib und Leben weniger streng bestraft werden sollten. Daher wurden die sogenannten Wertgrenzen von EUR 3.000 auf EUR 5.000 und - im gegebenen Zusammenhang vor allem von Interesse - von EUR 100.000 auf EUR 300.000 erhöht.

Die finanziellen Interessen der EU werden ausgabenseitig im Wesentlichen durch den Betrugstatbestand (§§ 146 ff StGB) umgesetzt. Dieser sieht bei Vorliegen des Grundtatbestandes Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen vor. Bei einem Schaden von mehr als EUR 5.000 ist eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, bei einem Schaden von mehr als EUR 300.000 eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren vorgesehen. Die PIF-Richtlinie verlangt nun jedoch Mindesthöchststrafen von vier Jahren bei einem Schaden von mehr als EUR 100.000. Was aber bedeutet dies für den österreichischen Gesetzgeber? Soll eine der Richtlinie entsprechende Rechtslage geschaffen werden, müsste eine soeben erst in Kraft getretene - und weithin positiv aufgenommene - Reform des Vermögensstrafrechts wieder rückgängig gemacht werden; und zwar nur in Bezug auf den Tatbestand des Betrugs. Damit führen die Umsetzungsverpflichtungen aber jedenfalls zu Brüchen im Sanktionensystem des nationalen Strafrechts. Denn der Gesetzgeber kann entweder insgesamt für den Betrug die Wertgrenzen auf EUR 100.000 senken oder er führt spezielle Regelungen für den "Europäischen Betrug" ein, für den ab einem Schaden von mehr als EUR 100.000 Freiheitsstrafen von mindestens vier Jahren vorgesehen werden. In beiden Fällen passen die in Umsetzung der RL eingeführten Bestimmungen nicht mehr in das Gesamtsystem des nationalen Strafrechts. Denn dass der Betrug oder auch nur der Betrug in Bezug auf das EU-Budget mit höheren Strafen bedroht ist als andere Delikte zum Schutz des Vermögens, ist sachlich nur schwer zu begründen.

Die Festlegung von Mindesthöchststrafen in der PIF-Richtlinie führten daher sowohl im StGB als auch im Finanzstrafgesetz zu einer deutlichen Erhöhung der

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Strafdrohungen und zu Brüchen mit dem System der jeweiligen Gesetze, obwohl dafür aus präventiven Gründen keine Notwendigkeit erkennbar ist.

5. Mindest-Mindestfreiheitsstrafen

Wie oben gezeigt, blieb die harmonisierende Wirkung der Mindesthöchststrafen in EU-Rechtsakten in den meisten Bereichen weitgehend aus. Insbesondere die Strafen, die tatsächlich von den mitgliedstaatlichen Gerichten verhängt wurden, änderten sich kaum, selbst wenn die nationalen Gesetzgeber die Strafobergrenzen in ihren nationalen Gesetzen anhoben. Aus diesem Grund schlug die Kommission im Vorschlag für die Richtlinie über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union gerichtetem Betrug vom Juli 2012[19] und im Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz gegen Geldfälschung[20] neben den Mindesthöchststrafen auch Mindestmindeststrafen für Freiheitsstrafen vor, also verpflichtende Mindest-Untergrenzen, unter die Richter nicht gehen sollen, um -wie die Kommission sagt - "EU-weit für Kohärenz bei den Sanktionen zu sorgen". Diese sollten zumindest sechs Monate betragen (Art. 8 Abs. 1 Vorschlag PIF-Richtlinie). Die Kommission erachtete die Einführung von Mindestsanktionen als "notwendig, um EU-weit eine wirksame Abschreckung zu ermöglichen". Der Rat und das Europäische Parlament folgten diesen Vorschlägen nicht, beide Richtlinien wurden ohne Mindestmindeststrafen beschlossen.

Eine von der Kommission in Auftrag gegebene Forschungsstudie zu Mindestmindeststrafen[21] brachte u.a. als folgendes Ergebnis: Zwar sehen alle Mitgliedstaaten außer den Niederlanden zumindest für einzelne Delikte Strafuntergrenzen vorsehen, jedoch sind die Systeme vollkommen unterschiedlich und in jedem Staat sind andere Wege vorgesehen, diese zu unterschreiten.

Dies soll anhand der Strafuntergrenzen für die schwersten Fälle von Betrug (darunter fallen auch Betrügereien gegen die finanziellen Interessen der EU) veranschaulicht werden:

Strafuntergrenzen Betrug (schwerste Fälle)
Keine UntergrenzeCY, DK, EE, E&W, FR, IE, LT, NL
15 TageBE
2 MonateMT
4 MonateFI, LU
6 MonatePL, SE Vorschlag PIF-Richtlinie
der Kommission

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Strafuntergrenzen Betrug (schwerste Fälle)
1 JahrAT, DE, IT, HR, SI
2 JahreEL, LV, PT, RO
3 JahreES
5 JahreCZ, HU
10 JahreBG, SK

8 Mitgliedstaaten sehen überhaupt keine Untergrenzen vor; in jenen Staaten, die Untergrenzen vorsehen, reichen diese von 15 Tagen über einige Monate bis zu 10 Jahren. Damit sind die Untergrenzen in Bulgarien und der Slowakei in den schwersten Fällen fast drei Mal so hoch wie die Obergrenzen in den Staaten mit den niedrigsten Obergrenzen. Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zum Schutz der finanziellen Interessen der Union sah für schwere Fälle Mindest-Untergrenzen von 6 Monaten vor. Für 16 Mitgliedstaaten hätte eine solche Vorgabe keinerlei gesetzliche Änderung erfordert, 12 Staaten hätten aber ihr Gesetz ändern und damit teilweise einen Bruch in ihrem Sanktionssystem hinnehmen müssen, da zB der Betrug dann das einzige Vermögensdelikt mit einer Strafuntergrenze gewesen wäre.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Korruption: 6 Mitgliedstaaten sehen keine Strafuntergrenzen vor. In einer Mehrheit von Staaten beträgt die Strafuntergrenze bis zu einem Jahr. 9 Staaten sehen aber Untergrenzen von 2 und mehr Jahren vor, die bis zu 10 Jahren reichen. Zum Vergleich: Damit ist die Strafuntergrenze in Luxemburg und der Slowakei so hoch wie die Obergrenze in Österreich.

Strafuntergrenzen für aktive Korruption (schwerste Fälle)
Keine UntergrenzeBG, CY, DK, E&W, IE, NL
4 MonateFI
6 MonateHR, SE
1 JahrAT, BE, CZ, DE, FR, EL, HU, MT, PL, SI
2 JahreEE, LT, LV, PT
3 JahreES, RO
4 JahreIT
10 JahreLU, SK

Die weiteren Untersuchungen zeigten, dass sich kein direkter Bezug zwischen den im Gesetz vorgesehenen Mindeststrafen und den in der Praxis tatsächlich verhängten bzw tatsächlich vollstreckten Strafen feststellen lässt. Dafür sehen die verschiedenen Sanktionensysteme zu viele andere unterschiedliche Regelungen vor, wie etwa für die Unterschreitung dieser Grenzen bei Vorliegen von Milderungsgründen, über die Verhängung einer anderen Strafe anstelle einer Freiheitsstrafe, über bedingte Strafnachsicht und bedingte Entlassung.

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Mindeststrafen schränken dieses richterliche Ermessen ein, indem vorgegeben wird, dass bestimmte Strafgrenzen grundsätzlich nicht unterschritten werden dürfen. Je enger die Strafrahmen sind, desto beschränkter sind auch die Möglichkeiten des Richters, auf individuelle Fälle einzugehen. Es gibt in keinem der Mitgliedstaaten einen Nachweis dafür, dass die Androhung von Mindeststrafen in irgendeiner Weise präventiv wirken würde. Meist sind die angedrohten Strafuntergrenzen der Allgemeinheit weitgehend unbekannt. Die Studie zeigte, dass eine Angleichung von Mindeststrafen keinen zusätzlichen Nutzen bringen würde, aber unter Umständen Eingriffe in die Sanktionensysteme der Mitgliedstaaten zur Folge hätte.

6. Schlussfolgerungen

Analysiert man die Ergebnisse der Untersuchungen, zeigen sich die Probleme einer Angleichung von Strafen innerhalb der EU: Es mag auf den ersten Blick vielleicht unerwünscht erscheinen, dass gleiche Taten in den Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Strafen bedroht sind und unterschiedliche Strafen verhängt werden. Die Strafensysteme in den Mitgliedstaaten sind aber derart unterschiedlich, dass eine verstärkte Angleichung in erster Linie zu Problemen in den Mitgliedstaaten führt, weil die unionsrechtlich vorgegebenen Strafen nicht mehr in die nationalen Systeme passen.

Die tatsächlich verhängten Strafen ändern sich hingegen auch dann nicht merkbar, wenn aufgrund europarechtlicher Vorgaben die Strafdrohungen angehoben werden. Richter sind mit ihren Strafensystemen vertraut und wenden das Sanktionsinstrumentarium in einer Weise an, dass es in dieses System passt. Bedenkt man, dass der Sinn der Strafbemessung in der Individualisierung der strafrechtlichen Reaktion auf unerwünschtes und kriminalisiertes Verhalten von Tätern besteht, überrascht dies wenig. Eine geeignete und adäquate Anwendung von Sanktionen erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Ermessensspielraum beim Richter, um im Einzelfall zu einer angemessenen Bestrafung zu gelangen. In den Staaten haben sich unterschiedliche Systeme herausgebildet, für diese individuelle Zumessung der Strafen einen geeigneten Rahmen zu bilden. Diese Systeme sind in sich konsistent, aber schwierig zu kombinieren.

Wie für alle Harmonisierungsmaßnahmen ist auch im Hinblick auf die Angleichung von Strafen die Frage zu beantworten, warum eine stärkere Angleichung von Strafen überhaupt notwendig ist. Allein das Ziel, dass die Strafdrohungen in den Mitgliedstaaten höher sein sollen, reicht als Begründung für eine Einführung von Mindeststrafen nicht aus. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass höhere Strafdrohungen präventiv wirksamer sind. Viel relevanter sind hier andere Faktoren, nämlich, ob die Straftaten überhaupt strafbar sind, ob sie (auch grenzüberschreitend) verfolgt werden und wie hoch das Risiko der Strafverfolgung ist. Es gibt auch keine Hinweise dafür, dass die Höhe angedrohter Mindeststrafen ein Grund für ein sog. Forumshopping sein könnten, also Straftäter sich solche Länder zur Begehung von Straftaten aussuchen würden, in denen die

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Mindeststrafen niedrig sind.

Für eine Strafrechtsangleichung muss ein unionsrechtlich anzuerkennendes rechts- und kriminalpolitisches Bedürfnis nachgewiesen werden. Eine Angleichung der Strafen kann - wenn überhaupt - nur durch weitere Ziele gerechtfertigt werden, etwa dass dies erforderlich ist, um die Zusammenarbeit und Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten zu ermöglichen oder zu erleichtern, und dass diese Ziele sonst nicht erreicht werden können. Insbesondere sind hier die Grundsätze der Achtung der nationalen Identität und der verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen in den Mitgliedstaaten sowie der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Es mag als legitimes Ziel angesehen werden, in einem gemeinsamen Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts Straftäter in allen Staaten auf gleiche Weise zu bestrafen. Allerdings zeigen die genannten Studien, dass die Angleichung der Strafdrohungen für sich genommen nur geringe Auswirkungen auf die tatsächlich verhängten Strafen hat. Das wäre auch mit einer Angleichung der Mindeststrafen nicht gewährleistet. Denn eine Mindeststrafe ist nur ein Faktor, der die tatsächliche Strafzumessung beeinflusst. Zahlreiche rechtliche Rahmenbedingungen sind für die Strafzumessung und den -vollzug relevant. Diese Systeme sind so unterschiedlich, dass auch durch eine Angleichung kaum gewährleistet wäre, dass die tatsächlich verhängten und vollstreckten Strafen sich signifikant angleichen würden. Was bedeutet dies für ein europäisches Straf- und Sanktionenrecht?

1. Ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erfordert auch eine enge Zusammenarbeit in der Strafverfolgung. Dies macht auch eine Angleichung von strafrechtlichen und strafprozessualen Bestimmungen notwendig, zum einen, um zu vermeiden, dass Straftaten mit grenzüberschreitender Dimension in manchen Mitgliedstaaten gar nicht strafbar sind, zum anderen, um die Zusammenarbeit und Rechtshilfe mit anderen Mitgliedstaaten zu ermöglichen sowie die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten zu erleichtern.

2. Die Frage ist nicht mehr "Gibt es ein europäisches Strafrecht?", sondern sie muss lauten: "Wie soll ein europäisches Straf- und Sanktionenrecht ausgestaltet sein?". Eine Angleichung von Strafbestimmungen ist vor allem in jenen Bereichen schwerer Kriminalität, die einen grenzüberschreitenden Charakter haben und die sich gegen grundlegende Werte der Union richten, sinnvoll und notwendig, um zu gewährleisten, dass gleichartige Verstöße auch in allen Mitgliedstaaten strafrechtlich verfolgt und geahndet werden. Eine Angleichung der Straftatbestände ist auch dort geboten, wo das Unionsrecht Verhaltensnormen vorsieht und Verstöße dagegen zu ahnden sind.

3. Maßnahmen der Angleichung von Strafen im Kriminalstrafrecht sind -zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt - weder notwendig noch wirksam oder sinnvoll. Die nationalen Strafensysteme weisen eine derart große Vielfalt und Unterschiedlichkeit auf, dass das Vorschreiben einer bestimmten Dauer von Freiheitsstrafen durch europäische Normen zu Systembrüchen in den nationalen Sanktionssystemen führt. Solche Systembrüche würden sich aus

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den erwähnten Gründen nur dann rechtfertigen lassen, wenn dadurch die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Verfahren ermöglicht wird oder die Strafverfolgung sonst erschwert oder verunmöglicht würde. Der Ansatz der EU ist bisher aber vor allem von einem stark punitiven Denken und der Ansicht geprägt, höhere Strafen würden in größerem Ausmaß abschreckend wirken.

Ziel sollte vielmehr sein, ein europäisches Sanktionenrechtssystem zu entwickeln, das eine effiziente Strafverfolgung, insb. auch wenn grenzüberschreitende Sachverhalte und der Schutz europarechtlich geschützter Rechtsgüter betroffen sind, gewährleistet, ohne dass die Mitgliedstaaten zu einer kontinuierlichen Erhöhung der Strafdrohungen und Systembrüchen in ihren Strafrechtsordnungen verpflichtet werden. ■

ANMERKUNGEN

[1] Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl 1995 C 316, 49.

[2] Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c) des Vertrags über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, ABl 1997 C 195, 2.

[3] Vgl EuGH 21.9.1989, Rs 68/88 Kommission/Griechische Republik, Slg 1989, 2965; Tiedemann, Klaus: Anmerkung zu EuGH Slg. 1989. 2965 ff., EuZW, 1990, 100; vgl Klip, André: European Criminal Law. 3. Aufl., Intersentia, Cambridge, 2016. 75 ff., 352 ff.; Kert, Robert: Lebensmittelstrafrecht im Spannungsfeld des Gemeinschiaftsrechts. NWV, Wien, 2004. 452 ff.; Gröblinghoff, Stefan: Die Verpflichtung des deutschien Strafgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europäischen Gemeinschaften. C.F. Müller, Heidelberg, 1996. 27 ff mwN.

[4] Vgl Hecker, Bernd: Europäisches Strafrecht 5. Aufl., Berlin-Heidelberg, 2015. § 11 Rz 7; Satzger, Helmut: Internationales und Europäisches Strafrecht 8. Aufl., Nomos, Baden-Baden, 2018. § 9 Rz 45.

[5] ABl 2002 L 164, 2.

[6] ABl 2002 L 203, 1.

[7] ABl 2004 L 335, 1.

[8] ABl 2005 L 69, 1.

[9] Schlussfolgerungen des Rates über einen Ansatz zur Angleichung der Strafen vom 24. und 25. April 2002, 7266/4/02 DROIPEN 14 REV 4.

[10] Vertrag von Amsterdam, Erklärung zu Artikel K.3 Buchstabe e des Vertrags über die Europäische Union, siehe auch Vogel, Joachim - Eisele, Jörg: Artikel 83 AEUV. In: Grabitz, Eberhard - Hilf, Meinhard (Hrsg): Das Recht der Europäischen Union. C.H. Beck, München, 2015. Rz 37.

[11] Zur Angleichung von Strafuntergrenzen siehe unten 5.

[12] Vgl Hecker, Bernd, in Sieber, Ulrich u.a. (Hrsg.), Europäisches Strafrecht, 2. Aufl., Nomos, Baden-Baden, 2014, 287 f.

[13] Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels, ABl 2004 L 335, 8.

[14] Report on the evaluation of the transposition and impacts of the Framework Decision 2004/757/JHA on drug trafficking, Studie im Auftrag der Kommission durchgeführt von ECORYS und ECLAN, https://publications.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/7cef13cc-6eaf-44d9-8127-84c55ed5538e/language-en/format-PDF/source-search (7.7.2019).

[15] Siehe ausführlich Kert, Robert - Lehner, Andrea: Content and impact of approximation - The case of drug trafficking. In: Galli, Francesca - Wyembergh, Anne (Eds): Approximation of Substantive criminal law in the EU: the Way Forward, L Université De Bruxelles, Brüssel, 2013. 169-188.

[16] Kert, Robert - Lehner, Andrea - Hughes, Brendan - Dalbinoë, Olga: Drug trafficking penalties a cross the European Union. A survey of expert opinion. 2017.; abrufbar unter http://www.emcdda.europa.eu/system/files/publications/3573/Trafficking-penalties.pdf (7.7.2019).

[17] Richtlinie (EU) 2017/1371 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug, ABl 2017 L 198, 29.

[18] 644 BlgNR 26. GP 1.

[19] Dok COM(2012) 363 final.

[20] Dok COM(2013) 42 final.

[21] Directorate-General for Justice and Consumers (European Commission)/ECLAN/ECORYS, Study on minimum sanctions in the EU Member States, Brüssel, 2016.

https://publications.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/1226bed2-be78-11e5-9e54-01aa75ed71a1/language-en (7.7.2019).

Lábjegyzetek:

[1] Der Autor ist Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht und Vorstand des Instituts für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht, Wirtschaftsuniversität Wien.

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