Eine landesweite, umfassende und objektive Analyse der, den Gegenstand meiner Arbeit bildenden Strafverfahren lässt - trotz der seit ihrem Ablauf vergangenen beinahe hundert Jahre - bis heute auf sich warten. Das bedeutet natürlich nicht, dass keine geschichtlichen Arbeiten in Bezug auf bestimmte Verfahren bzw. konkrete Prozesse entstanden sind, diese sind jedoch nicht geeignet, die berechtigten Erwartungen der Interessenten von heute zu befriedigen. Zum 50. und zum 60. Jubiläum der Ausrufung der Ungarischen Räterepublik war die Bewahrung des Gedenkens an die erste ungarische kommunistische Diktatur für die ungarische Kulturpolitik von besonderer Priorität, unter anderem durch die Förderung der Erstellung von geschichtlichen Arbeiten. 1969 ist auch das Buch von Erika Rév, Kandidatin der Rechtswissenschaften und praktizierende Richterin erschienen, welches die rechtliche Verfolgung der zweiten Führungsebene der Kommune (da die wichtigsten Teilnehmer, mit Béla Kun an der Spitze, zumeist emigriert haben), ihr "Schauprozess" bearbeitet hat.[1] Dieses Werk stellte (und durch die diesbezüglichen Schulden der Geschichtswissenschaft stellt es auch bis heute) den Anfangspunkt dar, auf dem stützend die Autoren nach Erika Rév das Thema behandelt haben. Die Grundlegung von Erika Rév kann in einem Satz zusammengefasst werden: Der "Prozess der Volkskommissare" und die damit zusammenhängenden, ähnlichen, parallel laufenden Verfahren sind eindeutig Schauprozesse gewesen, sie waren eigentlich Teil des weißen Terrors.
Die Frage ist, ob bei Betrachtung der Erscheinung heutzutage es akzeptabel ist, dass die strafrechtliche Verfolgung der Leiter der Kommune jegliche rechtliche Ordnungsmäßigkeit entbehrt und einen festen Teil des weißen Terrors gebildet hat. Die Untersuchung der Prozesse im Komitat Győr leistet wichtige Beiträge zur Beantwortung dieser Frage. Gemeinsames Merkmal dieser Verfahren ist, dass die meisten von ihnen der öffentlichen Meinung früher eigentlich unbekannt waren. Auch ihre Durchführung ist nicht auf landesweites Interesse gestoßen bzw. sind sie zumeist auch bei den Historikern außer Betracht
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geblieben. Es wäre jedoch in Bezug auf das Thema in vielerlei Aspekten sehr nützlich gewesen, sie auch näher zu betrachten. Da die als Grundlage der Verfahren dienenden Taten generell als weniger "sensationell" galten - als z. B. die Taten von Ottó Korvin oder József Cserny - beleuchten sie viel besser die Fragen, die die Gesetzgeber und Rechtsanwender damals massenweise beantworten mussten. Wie sollen sie den Staat der Kommune beurteilen, ist ihre Staatlichkeit überhaupt akzeptabel? Können sie im Zusammenhang damit die Rechtmäßigkeit der Taten ihrer, in amtlicher Eigenschaft handelnden ehemaligen Funktionsträger bezweifeln? Bei Anwendung welcher Rechtsvorschriften sollen die Tathandlungen der Beschuldigten beurteilt werden? Was soll mit den Begehungsformen geschehen, die früher nicht vorgekommen sind, und somit auch ihre Integration zwischen die Rahmen des geltenden strafrechtlichen Tatbestandssystems nicht als begründet erschien? Ich versuche in meiner Arbeit Beispiele dafür zu geben, welche Antworten die "kommunistischen Strafprozesse" des Zeitalters auf all diese Fragen gebracht haben, und ob diese Antworten den Taten der Einheit von Pál Prónay und sonstiger Einheiten bzw. den Schauprozessen der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gleichgestellt werden können.
Die Kritik der, die Prozesse für Schauprozesse haltenden Autoren beruhte auf vielen, beanstandeten Faktoren. Unter den Wichtigsten darunter war die Frage der Geltung der während der Verfahren angewendeten Rechtsvorschriften. Erika Rév hat z. B. alle Verfahren aufgrund dessen als grundsätzlich ungerecht beurteilt, dass jeder von diesen bei Anwendung der rückwirkend geltenden Verordnung Nr. 4039/1919. des Ministerpräsidenten über das beschleunigte Strafverfahren durchgeführt worden ist.[2] Wichtiger, als die Frage der Geltung der verfahrensrechtlichen Regeln war jedoch, welche materiellrechtlichen Vorschriften die Gerichte anwenden wollten bzw. konnten.
Die Problematik der strafrechtlichen Verfolgung politischen Charakters nach Niederlagen oder Wenden erschien in der Geschichte immer wieder. Da die politischen Akteure längst vergangener Zeiten meistens keine Taten begangen haben, die nach der damaligen Rechtsordnung strafbar gewesen sind, konnten sie am einfachsten durch rückwirkend geltende Rechtsanwendung bestraft werden. 1919 wurde jedoch nicht dieser Weg gewählt, sondern der schwierigere: Man ist nach dem geltenden Recht vorgegangen.
Wie öffentlich bekannt, wurden damals die Straftaten bzw. die Strafen für diese durch das erste ungarische Strafgesetzbuch, in der Fachliteratur oft als Csemegi-Kodex erwähnte Gesetzesartikel Nr. V. von 1878 geregelt. Er wurde auch
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während der Räterepublik nicht außer Kraft gesetzt. Das Problem war, dass dieser - obwohl er im Allgemeinen über ein ganz strenges Sanktionssystem verfügt hat - zur hervorgehobenen Bestrafung von politischen Taten nicht geeignet gewesen ist. Aus dem Aspekt unseres Themas ist es wichtig, dass - im Zeichen der Vorbereitung für den bevorstehenden Krieg - auch der, die bei Notstand geltenden Regeln enthaltende Gesetzesartikel Nr. 63 von 1912 über die außerordentliche Macht für die Zeit der Taten als Geltend betrachtet wurde. In den später beschriebenen Prozessen sind die Fälle von Gewalt gegen Behörden aufgrund von Gesetzesartikel Nr. 40 von 1914 über den strafrechtlichen Schutz der Behörden beurteilt worden.[3]
Diese strengere Sanktionen konnten in jenen Verfahren auferlegt werden, die durch Gesetzesartikel Nr. 33 von 1896 über die Strafprozessordnung, dessen Novelle, Gesetzesartikel Nr. 18 von 1907, sowie Gesetzesartikel Nr. 13 von 1914 über die Änderung der Bestimmungen zum Schwurgerichtsverfahren und zur Kassationsbeschwerde geregelt worden sind. Von besonderer Bedeutung in Hinsicht der betroffenen Prozesse war die im Herbst 1919 verabschiedete Verordnung Nr. 4039/1919. des Ministerpräsidenten über die beschleunigte Strafprozessordnung, die bestimmte, mit dem Verfahren zusammenhängenden Rechte bzw. Möglichkeiten der Beschuldigten über die in den o. g. Rechtsvorschriften erwähnten hinaus weiter eingeschränkt hat. Dieser Umstand war natürlich sowohl in den Reaktionen der damaligen Linksemigranten, als auch in den späteren geschichtlichen Arbeiten eines der wichtigsten Argumente zur Belegung der Unrechtmäßigkeit der Verfahren - er war ein bei allen betroffenen zeitgenössischen Autoren[4] erscheinender "Topos".
An den 100 Prozessen im Komitat Győr waren beinahe 250 Beschuldigte beteiligt, was im Grunde genommen 169 verschiedene Personen bedeutet, da mehrere von ihnen in mehreren unterschiedlichen Verfahren betroffen waren. Von ihnen hervorzuheben ist Zsigmond Kósa, politischer Beauftragter für Agrarwesen des Komitates Győr, der in zehn, oder Mihály Rainer, Mitglied des Direktoriums für die Verwaltung des Kirchenvermögens, der in acht verschiedenen Verfahren Beschuldigter war, und dessen Strafen in einem gesonderten Verfahren auch als Gesamtstrafe auferlegt wurden. Unter anderem war aber auch István Stiener, Fahnder der Roten Wächter, in vier Grundverfahren Beschuldigter gewesen. Von den obigen Daten kann leicht errechnet werden, dass in den Prozessen im Durchschnitt gegen zweieinhalb Beschuldigten ein Verfahren durchgeführt worden ist. Diese Zahl ist jedoch nicht nur ein arithmetisches, als Ausgleich der Extremitäten
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entstandenes Mittel: Die meisten Prozesse hatten tatsächlich 2-3 Beschuldigten, Monstre-Prozesse mit mehr als 10 Beschuldigten galten aus Ausnahme, es gab aber auch nicht viele Verfahren mit nur einem Beschuldigten.
Den Gegenstand der Prozesse umfassend betrachtet wurden Verfahren grundsätzlich wegen Handlungen zweier "Arten" eingeleitet. Unter den Fällen findet man, wenn auch nur eine geringe Zahl an Prozessen, die in Bezug auf die Taten von Personen durchgeführt worden sind, die als Privatperson vorgegangen bzw. gehandelt haben. Ein solches Verfahren ist zum Beispiel das vor dem Königlichen Gerichtshof Győr stattgefundene Verfahren Nr. B.455/1919., in dem die Staatsanwaltschaft deshalb Anklage erhoben hat, weil im Januar 1919 (also noch vor Ausrufung der Räterepublik) die zwei Angeklagten nach einem Kneipenstreit das Jagdgewehr und die Jagdtasche des Opfers weggenommen haben.
Oder Verfahren Nr. B.2252/1919., in dem Lajos Taschner der Anzeige von Personen konterrevolutionärer Besinnung beschuldigt wurde. Natürlich war die Anzahl der Beschuldigten wesentlich größer, die wegen einer, in ihrer amtlichen Eigenschaft begangenen Tat verklagt wurden. Diese Anklagepunkte können jedoch immer noch in zwei weitere Gruppen geteilt werden. In vielen Fällen gibt es eigentlich keine enge Verbindung zwischen dem Amt und der Handlung des Beschuldigten. Gyula Tóth, Mitglied des Direktoriums Győrújfalu wurde z. B. wegen seinen linksgesinnten Aussagen verklagt.[5] Der größte Teil der Prozesse fand jedoch wegen Handlungen von Personen statt, die in ihrer, während des Bestehens der Räterepublik als amtlich betrachteten Eigenschaft vorgegangen sind, und deren Handlungen mit dieser Eigenschaft in Verbindung gewesen sind - Requisition, Gefangennahme, Anklage usw.
Die als Gegenstand der Anklagen dienenden Tatbestände des Btk. (ungarisches StGB) wiederholten sich stets, bei allen unter die Lupe genommenen Gerichten (und übrigens wie es von anderen Quellen hervorgeht, auch landesweit). Unter den Anklagepunkten findet man am meisten Erpressung, Diebstahl, Agitation, Verletzung der persönlichen Freiheit, aber auch Verschwörung zum Mord, Gewalt gegen Behörden, leichte Körperverletzung, Aufruhr, Übertretung gegen Eigentum, Beleidigung, Begünstigung, Amtsmissbrauch, Hausbesetzung, Blasphemie, Hausfriedensbruch, Gewalt gegen Privatpersonen, Beschädigung fremden Eigentums, Hehlerei und Untreue kommen vor. Im Gegensatz zum Nahelegen der im vergangenen System geschriebenen Arbeiten[6] haben die unter die Lupe genommenen Gerichtshöfe nicht alle Beschuldigten in den, durch die Staatsanwälte beantragten Anklagepunkten verurteilt. In Győr wurden zum Beispiel 27 Fälle mit Teilfreispruch und 89 Fälle mit Freispruch beendet, das bedeutet, dass hier von den, den Beschuldigten in den Urteilen rechtskräftig auferlegten 170 Anklagepunkten das Gericht 116 Anklagepunkte fallen ließ, d. h. nur 60 Prozent der Anklagepunkte
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für begründet hielt. (Obwohl gewiss auch das ein wichtiger Umstand ist, dass die Freisprüche zumeist nicht in den, unmittelbar nach den Ereignissen, sondern in den 1920 eingeleiteten Verfahren gefällt wurden.)
Aufgrund der Lehre aus der Analyse der Prozesse gab es auch im Falle der scheinbar wegen der politischen Auffassung als zu verfolgend geltenden Handlungstypen eine hohe Anzahl an "echten" allgemeinen Straftaten. Trotzdem habe ich die, unter die einzelnen Tatbestände fallenden Straftaten nach ihrem scheinbar politischen Charakter gruppiert untersucht, und in der Reihenfolge ihrer Behandlung habe ich jene Gruppen vorgenommen, zu denen nach der allgemeinen Auffassung die tatsächlich als allgemeine Straftaten geltenden Delikte gehören. Die Begründung für meine Wahl ist, dass laut den Kritikern der Verfahren die Rechtsanwender die einschlägigen Tatbestände des Csemegi-Kódex in diesen Fällen am meisten verdreht haben, und so kann die Vorstellung der untersuchten Straftatgruppen entlang einer Linie erfolgen, die aufgrund der durch ihnen nahegelegten von den scheinbar am meisten umideologisierten Verfahren zu den weniger konzeptionellen führt.
Fälle, in denen die Vermögenswerte einer natürlichen oder juristischen Person durch Beamte der Räterepublik "entwendet" worden sind, wurden von den Richtern der untersuchten Verfahren grundsätzlich in drei Straftatenfeldern eingeordnet: Sie haben diese entweder als Diebstahl, oder Erpressung oder als Untreue beurteilt. Demgegenüber wurde in anderen Regionen des Landes in mehreren Fällen auch der Tatbestand des Raubs festgestellt.[7] "Unter normalen Umständen" (allgemeine Straftaten ohne politische Obertöne) ist das gemeinsame Element der vier Delikte die Entwendung von fremdem Eigentum und das unberechtigte Nutzenziehen, während sie in erster Linie durch die Art bzw. den Mittel der Entwendung unterschieden werden können. Etwas vereinfacht (bei den beschriebenen Prozessen werden sie detaillierter dargelegt): Bei Diebstahl hat der Täter eine, durch eine andere Person besessene oder innegehabte Fremdsache entwendet, bei Untreue ist die Fremdsache zum Zeitpunkt der Entwendung bereits in seinem eigenen Besitz oder Innehabung gewesen, während beim Raub Gewalt, Drohung oder die Versetzung des Geschädigten in einen bewusstlosen Zustand als Mittel den Unterschied zum Tatbestand des Diebstahls bedeutet. Erpressung ist eigentlich ein privilegierter Fall des Raubs.[8]
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In den analysierten Prozessen ist das Verbrechen oder das Vergehen des Diebstahls, den oben beschriebenen entsprechend, wegen einer, durch einen örtlichen Beamten der Räterepublik vollgezogenen oder durchgeführten Beschlagnahme, Requisition oder Einziehung festgestellt worden. Im Komitat Győr sind durch das Gericht insgesamt 34 Personen des Verbrechens oder des Vergehens des Diebstahls schuldig gesprochen worden, ihre Hauptstrafen erstreckten sich von dem acht Jahre im Zuchthaus zu verbüßenden Freiheitsstrafe bis zu einigen Tagen Haftstrafe (natürlich abhängig von der Beurteilung ihrer Tat bzw. der allfälligen Tatmehrheit). Die in den einzelnen Prozessen abgeurteilten Taten sind einander ziemlich ähnlich gewesen - durch die Vorstellung jeweils eines typischen Falles kann man sich von allen Verfahren ein Bild machen.
Ein solcher Fall ist z. B. der aus Táplány. Da während der 133-Tage-Herrschaft die Landes- und lokalen Führungskräfte stets konterrevolutionäre Bewegungen befürchteten, versuchten sie diesen zuvorzukommen. Um ihre Macht hinsichtlich der noch nichts begangenen, jedoch als potentielle Feinde, als "konterrevolutionär gesinnt" gegoltenen Personen in Sicherheit zu wissen, haben sie überall Geisel genommen. So hat zum Beispiel die Verwaltungskommission des Komitates Győr auch die Geiselnahme von Baron Ferenc Lévay, Grundbesitzer aus Táplány angeordnet, von dem bei seiner Gefangennahme Zsigmond Kósa, Mitglied der Verwaltungskommission, den Schlüssel seines Schlosses weggenommen hat. Den Schlüssel hat er später Jolán Draskovics, Sándor Kaszt, Károly Müller und Dr. Imre Pogány übergeben, die den Schloss geöffnet haben, und alle dort befindlichen beweglichen Sachen ausgetragen und verspendet haben. Das Gericht hat Zsigmond Kósa wegen dieser Tat unter dem Titel gegen § 333 des Btk. (ung. StGB) stoßendes, gemäß § 336 Ziffer 10 beurteiltes Verbrechen des Diebstahls ("der Dieb oder wenn sie mehrere Personen sein würden, eine von ihnen täuscht zwecks Begehung des Diebstahls vor, ein Staatsbeamter oder behördlich beauftragt zu sein"),[9] die anderen aufgrund von § 336 Ziffer 4 ("zum Öffnen wird ein gefälschter oder gestohlener Schlüssel verwendet"),[10] als Mittäter wegen dem Straftat Diebstahls verurteilt. Bei der Auferlegung der Urteile hat das Gericht natürlich bereits aufgrund von Art. XIV der ersten Strafnovelle (Bn.) sanktioniert, so wurde Kósa aufgrund von § 49 Absatz 1 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis, die anderen Angeklagten aufgrund von Absatz 2 Ziffer 1 zu zweieinhalb bis dreieinhalb Jahren Zuchthausstrafe als Hauptstrafe, und drei bis zehn Jahren Entfernung aus dem Dienst bzw. Suspendierung der Ausübung politischer Rechte als Nebenstrafe verurteilt.[11]
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Es gab nur einen Fall, in dem das Gericht Personen tatsächlich wegen dem Vergehen der Untreue verurteilt hat. József Tóth und Lajos Pozsonyi, Vorsitzender und Mitglied des Arbeiterrates Gyömrő haben für die Rote Armee aus dem - früher für gemeinschaftliche Zwecke beschlagnahmten - Getreidespeicher einer Privatperson Hafer ausgegeben. Wegen dieser Tat hat ihnen das Gericht jeweils vier Monate Haftstrafe auferlegt.[12]
Erpressung, diese für die Handlungen im Zusammenhang mit der Diktatur oft auch landesweit als "Gummi-Tatbestand" verwendete Straftatart war in den von mir untersuchten Prozessen unter den häufigsten. Auch in den Prozessen in Győr hat das Gericht in 36 Fällen Erpressung festgestellt. Wie "beliebt" die Feststellung dieser Straftat in der Rechtsprechung damals gewesen ist, haben bereits auch die Zeitgenossen bemerkt.[13] Dieser Umstand hat auch die Kurie dazu veranlasst, dem Thema schon 1920 mehrere Rechtseinheitsbeschlüsse zu widmen.[14]
Die Anklage hat unter Erpressung beinahe ausnahmslos solche Tathandlungen der Täter verstanden, wenn diese in ihrer amtlichen Eigenschaft als Funktionsträger Geldbußen oder sonstige, in Bargeld oder in natura zu entrichtende "Tribute" gefordert haben. Laut den, die damals geltenden strafrechtlichen Regeln im Detail behandelnden Lehrbüchern[15] sind die wesentlichen Tatbestandsmerkmale der Straftat Gewalt oder Nötigung durch Drohung (die viel weniger direkt sein muss, als beim Raub), sowie, dass diese Nötigung eine Handlung, Unterlassung oder ein Dulden bezwecken muss. Natürlich muss zwischen den letzteren und dem Zwang ein enger Zusammenhang bestehen bzw. muss die Handlung den Erwerb eines unrechtmäßigen Vermögensvorteils bezwecken. Laut Stellungnahme der Kurie muss in erster Linie nicht der Vorteil unrechtmäßig sein, sondern die Art und Weise des Erwerbs - also eine durch Zwang "eingetriebene" berechtigte Forderung galt ebenfalls als Erpressung.[16]
Bei den oben dargelegten Tatbeständen hing die Beurteilung dieses Anklagepunktes von einer verfassungrechtlichen-politischen Frage ab: Für was die Räterepublik und ihr Magistratsystem betrachtet werden konnte, ob sie als legaler Staat anerkannt wurde. Die Antwort war in dem Zeitalter natürlich nein. Wenn man von dieser Grundlegung ausgeht, - wie von den damaligen Kommentaren festgestellt[17] - in Kenntnis der Verfahren des Revolutionstribunals, insbesondere in
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Anbetracht der Handlungen der Roten Garde oder der unterschiedlichen Terrorgruppen konnten die einfachen Bürger zu recht denken, dass sie bei Verweigerung der durch die Organe der Kommune gestellten Forderungen in ihrer Person bedroht sind. Und in diesem Fall konnten natürlich die auferlegten Geldbußen bzw. die Art von deren Beitreibung auch nur "unrechtmäßig" sein.
Unter den untersuchten "kommunistischen Strafprozessen" stellen die gegen Personen gerichteten, mit Personen verbundenen Straftaten einen wesentlich kleineren Kreis dar, als Delikte gegen das Eigentum. Das Gericht hat in den meisten Fällen Gewalt gegen Privatpersonen bzw. Behörde festgestellt, die anderen Tatbestände kommen in den Akten nur in einigen Fällen vor. Ein großer Teil der im Folgenden behandelten Straftatenarten zeigt ziemlich ähnliche Merkmale, sie können nur durch ein, zwei Tatbestandselemente abgegrenzt werden.
Dieses Delikt wurde durch das Gericht beinahe in allen Fällen als mit einer anderen Straftat in Tateinheit begangen beurteilt. Nur wegen diesem Tatbestand wurde nur eine Person verurteilt - aber auch in diesem Fall als Mittäter, und zwar so, dass seine Komplizen auch andere Straftaten begangen haben.[18]
Laut Gericht haben György Bubornik jun. und István Auer die Straftat in Tateinheit mit Agitation begangen. Sie arbeiteten als Knechte auf dem Anwesen von Gyula Glázer, während der Diktatur des Proletariats natürlich aufgrund eines, vom früheren abweichenden Rechtsverhältnisses. Unter den ungeordneten Umständen ergaben sich Störungen in der Wirtschaft, gegen welche Ignác Steiner, der Gutsverwalter versucht hat, verschiedene Maßnahmen zu treffen. Die zwei Angeklagten, als Vertrauenspersonen des Gesindes (aus den Akten geht nicht hervor, ob sie ihr Mandat durch Wahl oder Selbsternennung erworben haben bzw. ob dieses überhaupt formell gewesen ist, oder sie nur deshalb als Führer betrachtet wurden, weil sie die Fürsprecher waren) haben sich mehrmals so geäußert, dass Glázer, als Mieter, bzw. Steiner, als Gutsverwalter bereits über keine Rechte in Bezug auf die Führung des landwirtschaftlichen Betriebs mehr haben, weil dieser ins Eigentum des Proletariats übergangen ist. Durch diese Handlungen haben sie laut Gericht das, gegen §172 des Btk. (ung. StGB) verstoßende und gemäß §19 des Gesetzes Nr. LXIII von 1912 beurteilte Verbrechen der Agitation begangen.[19] Das Gericht sah das Begehen der Gewalt gegen Privatpersonen deshalb als verwirklicht, weil als Steiner während eines Streiks eine Rede an die
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Arbeiter halten wollte, um sie über die Verrichtung der auf dem Anwesen dringend zu erledigenden Arbeiten zu überzeugen, die zwei Angeklagten mit mehreren, zum Zeitpunkt des Prozesses noch unbekannten Gehilfen, als Führer von diesen vorgehend Steiner mit Gewalt in den Fronhof zurückgedrängt und dadurch verhindert haben, dass er einen Einfluss auf den Betrieb des Anwesens ausüben kann. Das Gericht hat beide zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt.[20]
Die Frage der Feststellung der Gewalt gegen Behörden ist scheinbar ziemlich bestreitbar, weil die Bestimmung des Wesens der Behörde ein sehr subjektives Tatbestandselement ist. Vom Dualismus bis zur Horthy-Ära existierten die meisten Behörden eigentlich rechtskontinuierlich, und diese Rechtskontinuität hat gerade die Periode der Räterepublik unterbrochen, denn diese Beamten galten damals zum größten Teil als illegitim. Diesen Standpunkt hat die Rechtsordnung der Konterrevolution natürlich nicht anerkannt, sie hat jedoch auch die Legitimität der Diktatur des Proletariats bestritten. So ist es ziemlich fraglich, ob aufgrund der formalen Logik damals eine Straftat gegen Behörden überhaupt begangen werden konnte.
Abweichend von den obigen hatten die einschlägigen Straftaten jedoch auch ein Tatbestandselement, das ziemlich objektiv beurteilt werden konnte. In Gönyű, am 25. März 1919 hatten mehrere Personen eine Atrozität mit Lajos Sziva, ehemaliger Gendarm-Offiziersstellvertreter. Die Angeklagten wurden vom Gendarm wegen der früher gemeinsam durchgeführten Wilderei angezeigt, und waren ihm deswegen böse. Gemäß Anklage haben sie an der, durch die ins Dorf gekommenen kommunistischen Agitatoren gehaltenen Volksversammlung, während "dessen Hetzrede" den sich ebenfalls dort aufhaltenden Opfer erkannt und begannen ihn gemeinsam zu misshandeln. Da ist Sziva ein Roter Wächter zu Hilfe geeilt, und er konnte vor den Angeklagten flüchten, sie haben ihn jedoch in einem Hof erwischt und weiter missbraucht. Das Gericht konnte aufgrund der zur Verfügung stehenden Daten, zum Teil durch sein eigenes Geständnis, nur die Schuld von Gyula Takács hinsichtlich des Vergehens leichte Körperverletzung feststellen, bzw. wurde er des Vergehens Gewalt gegen Behörden gemäß §4 Absatz 1 des Gesetzesartikels Nr. 11 von 1914 für schuldig befunden. Dieser Passus verordnet jedoch eindeutig, auch Handlungen zu bestrafen, wenn jemand eine amtliche Person aus Rache, wegen ein früheres amtliches Vorgehen misshandelt, und da das Gericht diese Handlung eindeutig dementsprechend beurteilt hat, kann auch die Strafe als rechtmäßig, frei von politischen Motivationen bewertet werden.[21]
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Im Gegensatz zu Regionen mit Zuständigkeiten anderer Gerichtshöfe wurden im Komitat Győr keine Verfahren wegen Mord eingeleitet.[22] Abschließend sollte auch eine der leichtesten von den Straftatenarten gegen die Person erwähnt werden, die jedoch in zahlreichen Fällen vorkommt: Die Beleidigung. Das Gemeinsame an der wegen Beleidigung auferlegten Strafen ist, dass die Beschuldigten diese mit anderen Straftaten in Tateinheit begangen, und die durch ihnen verwendeten Begriffe den für das Delikt erforderlichen Tatbestand von den Umständen unabhängig erfüllt haben.[23]
Diesem Kreis können, nicht die ursprüngliche Typisierung, sondern die Tathandlungen und den Grad der Beteiligung berücksichtigend, drei Straftatenarten zugeordnet werden: Das Vergehen Verletzung der persönlichen Freiheit, die Fälle des Hausfriedensbruchs und der Amtsmissbrauch.
Das Gericht hat in den dargestellten Prozessen die meisten Handlungen, in denen jemand als Beamter der Räterepublik andere gefangen nehmen ließ, als Verletzung der persönlichen Freiheit beurteilt. Es ist interessant, dass im Vergleich zu den bisherig behandelten Delikten das Gericht in vielen, etwa zwei Drittel der Fälle die Angeklagten nur mit diesem Vergehen belastet hat. Das weist unter anderem auch darauf hin, dass die Gerichte dazu neigten, neben der Erpressung auch diesen Tatbestand als "Gummiparagraph" anzuwenden. Wenn die kommunistischen Potentate keine anderen, schwereren Straftaten begangen haben, jedoch mit der rechtswidrigen Inhafthaltung von jemanden verdächtigt werden konnten, wurden sie "zumindest" für diese Tat verurteilt.
Auf den ersten Blick kann die Einstufung der aufgrund des gegebenen Abschnittes gefällten Urteile als Amtsdelikt merkwürdig klingen, denn zur Sanktionierung der in amtlicher Eigenschaft begangenen rechtswidrigen Inhafthaltungen gab es bei den Amtsdelikten auch einen anderen Tatbestand. Die Rechtsprechung hat jedoch in dem Fall, wenn die Amtsperson ihren Kompetenzbereich oder ihre Zuständigkeit überschreitend vorgegangen ist, die Tat des Beschuldigten aufgrund von § 323 als die Tat einer Privatperson beurteilt. In Anbetracht der o. g. müssten wir nur entscheiden, welcher Beschuldigter bei seiner Handlung seine Amtsbefugnisse nicht überschreitend, rechtmäßig vorgegangen ist, und wer diese überschreitet hat. Da aber das Verwaltungsverfahrensrecht (sowie das Zivil-und Strafverfahrensrecht) der Räterepublik bekanntlich vollkommen mangelhaft
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gewesen ist, ist das allerdings ziemlich schwer zu realisieren. Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Fälle herrschte in der damaligen Rechtsliteratur der Standpunkt, dass die Entscheidungen der Gerichte "der strengen Kritik standhalten".[24]
Entlang der oben erwähnten Logik könnte im Zusammenhang mit der Räterepublik die Feststellung von Amtsmissbrauch begrifflich ausgeschlossen sein, einen Bereich gab es jedoch, wo es möglich war. Da die Diktatur des Proletariats wegen ihres plötzlichen Entstehens und verhältnismäßig kurzen Bestehens keine ausreichende Menge an eigenen Beamten heranbilden konnte, litt sie stets an Kadermangel, und wollte dies durch die Belassung der als zuverlässig geltenden Beamten des vorigen Systems in ihren Positionen bekämpfen. Diese Leute (vom Bürgermeister bis zum Polizisten) haben dann entweder versucht im Geist ihrer früheren Tätigkeit weiterzuarbeiten oder haben sich an die neue Moralität angepasst, und sind treue Diener der Diktatur geworden. Während der Konterrevolution wurden überall Bestätigungskommissionen_aufgestellt, um die in den "133 Tagen" begangenen Taten zu beurteilen, und sie haben einen großen Teil von denen auch vom Verdacht freigesprochen. Diese konnten ihre Positionen - nunmehr auch nach der zweiten Wende - problemlos besetzen. Wer jedoch sein Amt früher erhalten hat, auch während der Räterepublik in seinem Amt geblieben ist und ihm eine Handlung vorgeworfen werden konnte, die den Tatbestand des Amtsmissbrauchs erfüllt hat, der wurde durch das Gericht als Amtsperson bewertet und auch seine Tat wurde dementsprechend beurteilt. So wurde z. B. Jenő Major Polizeidetektiv, der eine Person durch Bedrohung mit Erstechen zur Übergabe eines Juwelenschachtels gebracht hat, wegen seiner Tat als Amtsmissbrauch zu ein Jahr Haftstrafe und Entfernung aus dem Dienst verurteilt.[25]
Natürlich war, genauso wie landesweit, auch in den durch mir untersuchten Fällen Agitation ein sehr häufiger Anklagepunkt gewesen. Den verschiedenen Koryphäen haben oft anstiftende Reden gehalten, in denen sie die zur Feststellung der Agitation bei Begehung vor aller Öffentlichkeit erforderlichen Tatbestandselemente meistens auch verwirklicht haben, am meisten die in §172 Absatz 2 des Btk. (ung. StGB) enthaltenen:"[...] eine Klasse, Nationalität oder Glaubensgemeinschaft gegen die andere, und auch diejenigen, die gegen die Rechtsinstitute des Eigentums oder der Ehe agitieren. dass ihre Rede direkt die Begehung der
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Straftat bezweckt."[26] Die Reden richteten sich am häufigsten gegen die "Bourgeois", die Redner haben die Zuhörerschaft direkt oder indirekt zu ihrer Vernichtung aufgefordert.
Der Tatbestand der Agitation kam auch ursprünglich - gemeinsam mit der im Späteren behandelten Aufruhr - zur Sanktionierung von politischen Handlungen zustande. Der früher erwähnte Umstand, und zwar, dass für diese die Btk. (ung. StGB) meistens milde Strafen auferlegt hat, wurde in diesem Fall durch die Tatsache abgestuft, dass Gesetzesartikel Nr. 63 von 1912 über die außerordentliche Macht über die Verschärfung der Strafe gemäß §172 des Btk. in Kriegszeit verfügt hat: Sie sollten mit bis zu 5 Jahre Gefängnis bestraft werden. Dieser Passus wurde in den Urteilen auch regelmäßig angewendet, wobei Gesetzesartikel Nr. 63 von 1912 auch trotz Kritiken für geltend gehalten wurde.
Wegen Agitation eingeleitete Strafverfahren gab es auch bereits vor dem ersten Weltkrieg. Durch die verschiedenen Entscheidungen[27] der Kurie schien die richterliche Beurteilung dieser Fälle bis zum behandelten Zeitalter sich vereindeutigt und herauskristallisiert zu haben. Es ist wichtig, klarzustellen, dass die in den untersuchten Prozessen behandelten Tatbestände der Agitation heute betrachtet viel "überzeugender" feststehen, als zum Beispiel die oben behandelten Erpressungsfälle. Die Frage der Beurteilung war "systemunabhängig". Reden, die vor Öffentlichkeit gehalten wurden und zum Insult oder insbesondere zu Handlungen gegen eine Gemeinschaft bzw. "Klasse" angespornt haben, wurden auch früher ausnahmslos bestraft. In dieser Hinsicht war also bezüglich der oben beschriebenen, gegen die "Kapitalisten", die "Bourgeoisie" gerichteten, ihre erforderliche Vernichtung schildernden Reden überhaupt keine "kreative" (Um)deutung des Btk. (ung. StGB) nötig gewesen.
Jenő Pápai hat z. B. in mehreren Volksversammlungen Reden gehalten und immer wieder seine Ansicht geäußert, dass das Proletariat solange keine Ruhe haben wird, bis "die Bourgeois nicht vernichtet sind". Er wurde wegen seinen Taten (in Tateinheit mit Erpressung und Verletzung der persönlichen Freiheit) zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt.[28] József Barbara, politischer Beauftragte des győrer Roten Bataillons hat vor dem Bataillon die folgenden gesagt: "In Odessa wurden die Offiziere so hingerichtet, dass zusammengebunden dreißig auf einmal ins Meer geworfen wurden - schade, dass es hier nicht so vorgeht!" Er wurde deswegen und wegen anderer Äußerungen zu drei Jahre Gefängnis verurteilt.[29] Die Strafen wurden aufgrund der Anwendung von §19 des Gesetzesartikels Nr. 63 von 1912 auferlegt, somit wurden schwerere Strafen verhängt, als die ursprünglichen Bestimmungen des Csemegi-Kodex.
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Aufruhr kann laut Csemegi-Kodex auf zwei Arten begangen werden: Entweder durch die Nötigung der obersten Staatsorgane durch Gewalt oder Bedrohung (§ 152), oder durch Begehung der in § 153 beschriebenen Taten. Die gerichtliche Beurteilung der Aufruhrfälle war in der damaligen Ära bereits ziemlich stabil und einheitlich geworden, wie das auch aus dem Schriftwerk von Edvi hervorgeht.[30] Aus dem Komitat Győr liegen zwei Fälle vor, in denen auch das Urteil zur Verfügung steht. In dem einen wurde der Angeklagte wegen einer, im März 1920 - also eigentlich nicht in der gegenständlichen Periode, jedoch damit im Zusammenhang - gehaltenen Rede in Győr zu zweieinhalb Jahren Haftstrafe verurteilt, weil er das Proletariat zu den Waffen gerufen hat, um die Bourgeoisie zu stürzen.[31] Der Fall ist vor allem deshalb lehrhaft, weil es zeigt, dass die Aktivisten trotz des "allgemeinen Terrors der Konterrevolution" den Mut hatten, solche Taten durchzuführen...
Auch unter den bisher dargestellten Teil der "kommunistischen Strafprozesse" waren viele Fälle, bei denen die Entscheidung der ehemaligen Mitarbeiter des Parteihistorischen Instituts über die Einordnung dieser Fälle in den o. g. Bereich ziemlich gezwungen scheint, da, wie ich bereits darauf hingewiesen habe, diese zur Illustration der widerrechtlichen, politischen Verfolgung der ehemaligen "Aktivisten" zusammengebracht wurden. Mit ihrer Meinung einverstanden zu sein ist jedoch vielleicht bei einigen Fällen der Begünstigung und der Hehlerei am schwierigsten.
Zum Beispiel ist von den als Hehlerei bewerteten Fällen der von Ödön Galhos vom Bestehen der Räterepublik völlig unabhängig gewesen. Er hat im Juli 1919 mehrere kleine Gebrauchsgegenstände zwecks Weiterverkauf und Verschaffung eines finanziellen Vorteils gekauft, so dass er gewusst hat, dass diese gestohlen worden sind. Für diese Tat wurde ihm zwei Jahre Gefängnisstrafe verhängt.[32]
Der Fall von István Stiener könnte etwas anders beurteilt werden: Das Gericht hat ihn des Vergehens der Hehlerei deshalb schuldig gesprochen, weil er nach der Plünderung des Schlosses Hédervár von dort stammende Sachen in Kenntnis von deren Ursprung zwecks Verschaffung eines finanziellen Vorteils übernommen hat (er wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt). Er hat dies jedoch nicht im "üblichen" Sinne getan, sondern als anwesende Beamter der Räterepublik, Gegenstände quasi als Beute zu sich genommen. In diesem Sinne hat das Gericht
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das Vergehen der Hehlerei eigentlich als anstelle des Diebstahls angewendeten subsidiären Tatbestand behandelt.[33]
Die Analyse der Freisprüche im Detail wäre mindestens genauso interessant, wie die gemäß der Urteile begangenen Straftaten, darauf muss ich hier jedoch wegen der Länge dieser Arbeit verzichten. Obwohl beinahe bei allen früher beschriebenen Straftatenarten auch Freisprüche erteilt worden sind, war es eher typisch, dass die Angeklagten von der Anklage der Hehlerei, Erpressung und Agitation freigesprochen wurden. Bei Hehlerei fiel der Verdacht meistens auf "Zivile", die laut Gericht nicht wissen konnten, woher die Gegenstände der Straftat stammen. Die in den Fällen von Erpressung und Agitation fallen gelassenen Anklagen sind ein sehr gutes Beispiel dafür, dass das Gericht im Gegensatz des über ihn im vorherigen System gemachten Bildes eigentlich Objektivität statt Rache bestrebt hat, und falls der Tatbestand nicht ausreichend bewiesen werden konnte, sind die Angeklagten freigesprochen worden. Das Landgericht hat wegen Erpressung von den Beschuldigten z. B. im Komitat Győr 36 Personen verurteilt, während 26 - 42 Prozent aller Beschuldigten - freigesprochen wurden.
Die Einordnung der zum Gegenstand der Anklage gemachten Straftaten in Gruppen scheint nicht nur hinsichtlich ihrer Art, sondern auch der nachträglichen Bewertung der gefällten Urteile begründet zu sein. Die Beurteilung der im Bereich der Delikte wegen der Verschaffung von materiellen Vorteilen auferlegten Strafen ist am unsichersten, sie kann stark vom Geschmack der Nachwelt abhängen. Wie ich es unterstrichen habe, zur Feststellung der Verwirklichung des Diebstahls und der Erpressung war es nötig, dass das Gericht die Legitimität der Räterepublik und folglich auch deren Beamten nicht anerkennt. Die Beurteilung der Räterepublik ist auch heute nicht eindeutig, die Frage ist auch von politischen Obertönen nicht frei. Die legitimen oder illegitimen Formen der Ausübung der staatlichen Obergewalt sind schwer zu definieren. Es ist offenbar, dass heute weder der dualistische Staat, noch das Königreich Ungarn der Horthy-Ära als eine, die öffentliche Gewalt auf der Bevollmächtigung durch die breiten Volksmassen beruhend ausübende Staatseinrichtung bzw. moderne Demokratie betrachtet werden können. Ihre Legitimität wird jedoch üblicherweise nicht bezweifelt. Die Räterepublik wurde jedoch im untersuchten Zeitraum (und durch viele auch heute noch) nur als ein, ein Interregnum ausnutzender, durch Putsch an die Macht gekommener "Quasi-Staat" beurteilt, in dem die Minderheit die Mehrheit mittels
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Terror lenkt. So war es eindeutig, dass auch seine Beamten nicht als im Besitz der öffentlichen Gewalt tätige Personen betrachtet werden konnten.
Tatsache ist weiters, dass es gerade während die Räterepublik zum ersten Mal vorkam, dass ungarische Staatsangehörige wegen ihrer (vielmehr vermuteten als geäußerten) politischen Meinung massenweise eingesperrt (mit dem damaligen Wortgebrauch "als Geisel genommen"), ganze Klassen als verdächtig behandelt bzw. geplündert wurden. Oder, dass in der ungarischen Geschichte bis dahin einzigartig laut einem Teil der Macht die Streifen der "Terroreinheiten" und die durch ihnen begangenen Morde dazu notwendig waren, den Status quo aufrechtzuerhalten. All dies zeigt auf jeden Fall, dass bereits die Leiter der Kommune bezüglich ihrer Legitimität nicht beruhigt waren.
Nach solchen Systemen folgten beinahe zwangsmäßig Retorsionen. Ein wichtiger Teil der "Ordnungsschaffung" war - neben dem in dieser Arbeit nicht behandelten, als Reaktion kommenden weißen Terrors - die strafrechtliche Verfolgung. Der Ablauf von dieser wurde von vielerlei Umständen gehindert, ein Teil ihrer Ergebnisse wurde zugleich von denselben Umständen in Frage gestellt. Diese Verfahren wurden in den Arbeiten des vergangenen Systems stets als vollkommen illegitim betrachtet.
Auch wenn man von den politischen Obertönen absieht, hat der rechtlicherphilosophischer Umfeld die Rechtsanwender zu irgendeiner Lösung verpflichtet. In Ungarn herrschten damals im Sinne des Eigentumsrechtes "bürgerliche", stabile Zustände, die durch die Räterepublik völlig zerstört wurden. Die ehemaligen Eigentümer erwarteten zu Recht eine rechtliche (und möglicherweise auch finanzielle) Genugtuung wegen der früheren Verletzung ihrer erneut anerkannten Eigentumsrechte. Diese Genugtuung mussten sie (mangels einer rückwirkenden Gesetzgebung) zwischen den Rahmen des geltenden Btk. (ung. StGB) erhalten. Es sollte aber auch nicht verschwiegen werden, dass - obwohl die Existenzberechtigung der Verfahren von beinahe niemandem bestritten wurde - es bereits damals trotzdem zu ernsthaften Debatten im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die Beamten der Kommune kam.
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• Angyal Pál - Degré Miklós (1917): Anyagi és alaki büntetőjog. I. In: Bűnügyi Szemle. Wessely és Horváth Könyvnyomda, Pécs.
• Auer György (1921): Közhivatalnoki minőség és általános terror a kommün alatt. In: Jogállam: jog- és államtudományi szemle. Jogállami kiadóhivatal, Budapest.
• Degré Miklós (1921): Büntető jogszolgáltatásunk az 1920. évben. In: Jogállam: jog- és államtudományi szemle. Jogállami kiadóhivatal, Budapest.
• Edvi Illés Károly (1909): A magyar büntetőtörvénykönyv magyarázata. Politzer és Fia, Budapest.
• Finkey Ferenc (1914): A magyar büntetőjog tankönyve. Grill, Budapest.
• Finkey Ferenc (1927): A politikai bűncselekmények és a büntető törvénykönyv. MTA, Budapest.
• Rév Erika (1969): A népbiztosok pere. Kossuth kiadó, Budapest.
• Sík Ferenc (1974): Jogi megtorlás a tanácsköztársaság politikai szereplői ellen Magyarországon (1919-1921). In: Jogtörténeti tanulmányok. Közgazdasági és Jogi Könyvkiadó, Budapest.
• Magyar Nemzeti Levéltár Győr-Moson-Sopron Megye Győri Levéltára. (Ungarisches Nationalarchiv Győrer Archiv des Komitats Győr-Moson-Sopron, nachfolgend MNL GyMSMGyL genannt) VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.159/1920.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.1174/1919.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.2453/1920.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.1179/1919.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.1115/1919.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.3297/1920.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.1113/1919.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.2293/1919.
• MNL GyMSMGyL. VII.1.b A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.1805/1920.
• MNL GyMSMGyL VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.2377/1919.
• MNL GyMSMGyL VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.1043/1920.
• MNL GyMSMGyL VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.1078/1919.
• MNL GyMSMGyL VII.1.b. A Győri Királyi Törvényszék iratai (Akten des Königlichen Gerichtshofs Győr). Peres iratok (Prozessakten). B.2806/1919. ■
ANMERKUNGEN
[1] Rév, 1969.
[2] Rév, a.a.O, S. 16.
[3] Finkey, 1927, S. 21-22.
[4] Z. B. zitiertes Werk von Rév, Sík, 1974, S. 57-70.
[5] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.159/1920.
[6] Z.B. Rév, a.a.O. S. 20.
[7] Z.B. Rév, a.a.O. S. 17.
[8] Angyal - Degré, 1917, S. 412-492.
[9] Angyal - Degré, a.a.O. S. 431.
[10] Angyal - Degré, ebd.
[11] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.1174/1919.
[12] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.2453/1920.
[13] Auer, 1921, S. 163.
[14] Degré, 1921, S. 101.
[15] Z. B. Finkey, 1914, S. 716-718.
[16] Angyal - Degré, a.a.O. S. 463.
[17] Z.B. Auer, a.a.O. S. 163.
[18] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.1179/1919.
[19] "§ 19. Diejenige, die die in § 172 des Gesetzesartikels V von 1878 definierte Handlung während eines Kriegs begehen, können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden."
[20] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.1115/1919.
[21] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.3297/1920.
[22] Im Gegensatz zum z. B. Komitat Veszprém, siehe Nagy, 2016.
[23] Z.B. Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.1113/1919.; Flórián Bankó hat anlässlich einer Rätewahl Ignác Csiszár vor 15-20 Personen Dreckskerl genannt.
[24] Degré, a.a.O. S. 95.
[25] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.2293/1919.
[26] Angyal - Degré, a.a.O. S. 207.
[27] Finkey, a.a.O. S. 840.
[28] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.1805/1920.
[29] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.2377/1919.
[30] Edvi-Illés, 1894, S. 630.
[31] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.1043/1920.
[32] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.1078/1919.
[33] Magyar Nemzeti Levéltár; Győri Királyi Törvényszék, B.2806/1919.
Lábjegyzetek:
[1] A szerző igazgatóhelyettes, PhD hallgató, MNL VeML, SZE Deák Ferenc Állam- és Jogtudományi Kar.
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