Oliver Wendell Holmes prägte den Ausdruck, dass Recht das ist, was die Gerichte tun werden.[1] Im internationalen Recht jedoch stellt die formale Entscheidung eines rechtlichen Disputs durch ein Gericht oder ein Tribunal eine Ausnahme zur Regel der Selbst-Interpretation des Völkerrechts durch die Staaten dar. Diese sind bei der Wahl der Methode der Streitschlichtung grundsätzlich frei.[2] Ein gerichtliches Urteil ist üblicherweise die letzte in Anspruch genommene Option unter mehreren.
Gleichwohl war das Thema der Streitschlichtung selten so populär wie heute. Ein Dokument des "Project on International Courts and Tribunals" führt nicht weniger als 125 funktionstüchtige internationale Streitschlichtungsorgane auf, von denen zwölf gerichtliche Spruchkörper im engeren Sinne sind.[3] In diesem Zusammenhang sind Befürchtungen von der Fragmentierung des internationalen Rechts von Bedeutung,[4] und es erscheint immer weniger möglich, eine einheitliche internationale Gerichtsbarkeit zu etablieren. Internationale Gerichte und Tribunale müssen einen immer schwieriger werdenden Balanceakt zwischen unterschiedlichen rechtlichen Systemen und unterschiedlichen Wertevorstellungen meistern.
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Im Vergleich zur nationalen Gerichtsbarkeit verändert die Tatsache, dass der Rückgriff auf die internationale Gerichtsbarkeit rein freiwillig erfolgt, deren Charakter: Beide Parteien müssen zustimmen, bevor ein Fall vor ein internationales Tribunal gebracht werden kann. Natürlich kann eine solche Vereinbarung von genereller Natur sein und bereits vorher geschlossen werden; eine Zustimmung aber ist in jedem Fall erforderlich. Das gleiche gilt hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung: Obschon die Urteile nationaler Gerichte nicht immer vollstreckt werden, darf eine Partei auf ihre Durchsetzung vertrauen, namentlich durch den Staat. Im Völkerrecht stellen Rechtsdurchsetzung und Streitschlichtung zwei voneinander getrennte Institute dar; und ungeachtet der Kompetenzen des Sicherheitsrates gem. Art. 94 UN Charter wird ein neutraler Dritter selten, wenn überhaupt, internationale Urteile gegen den Willen der Beteiligten vollstrecken.
Der vorliegende Beitrag ist eine Übung in "nichtidealer Theorie",[5] welche mit einer Darstellung der derzeitigen Praxis beginnt und sich sodann der Frage widmet, ob und wie diese Praxis die Erwartungen und die Kritik reflektiert, die von Seiten der Rechtstheorie erhoben werden. In Anbetracht der zunehmenden Diversität gerichtlicher Spruchkörper, die sich mit internationalem Recht beschäftigen, muss sich die vorliegende Betrachtung auf die zwischenstaatliche Gerichtsbarkeit, insbesondere diejenige vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), beschränken. Ein guter Teil der Problematik aus dem Bereich der zwischenstaatlichen Gerichtsbarkeit tritt allerdings auf die eine oder andere Weise im Zusammenhang mit menschenrechtlichen oder strafrechtlichen Verfahren zwischen einem Staat oder einer internationalen Organisation auf der einen und dem Individuum auf der anderen Seite wieder zutage. Der Pluralismus der internationalen Rechtsordnung stellt nationale Gerichte zudem vor das Problem, dass das nationale Recht die Bezugnahme auf internationale Entscheidungen innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung limitiert.[6] In jedem Fall ist die Herausforderung identisch: die Interpretation und Anwendung des Völkerrechts trotz der rechtlichen und sozialen Fragmentierung der gegenwärtigen internationalen Rechtsordnung.
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Es existieren verschiedene Ansätze, die sich mit diesem ebenso funktionellen wie auch ethischen und religiösen Pluralismus beschäftigen. Ein Ansatz begrüßt die Fragmentierung des Völkerrechts, weil eine Steigerung der Anzahl von spezialisierten Systemen, wie zum Beispiel dem Handelsrecht oder dem internationalen Strafrecht, zu einer Etablierung von wirksameren Mechanismen in der internationalen Gerichtsbarkeit führe. Der Minimalismus befürwortet ein Herbeiführen eines politischen Konsenses, der mit den verschiedenen moralischen und religiösen Doktrinen im Einklang steht. Eine andere Strategie besteht in der Regionalisierung von Streitschlichtungseinrichtungen, da regionale Gerichte von einem dichteren Netz gemeinsamer Werte und Prinzipien unter den Mitgliedstaaten profitieren könnten. Einige liberale Ansätze plädieren für eine Verlagerung weg von einer staatsorientierten hin zu einer menschenrechtsorientierten Auslegung des Völkerrechts und betonen die Rolle der Umsetzung durch die nationalen Gerichte. Ein kritischer oder post-moderner Ansatz würde es zudem begrüßen, wenn die internationalen Gerichte und Tribunale die politische Natur gerichtlicher Entscheidungen begriffen.
Dieser Beitrag möchte aufzeigen, dass keiner der vorgestellten Ansätze allein die Rolle der internationalen Gerichtsbarkeit zu erfassen vermag. Der minimalistische Ansatz erkennt das Problem, trägt aber dem progressiven Element des Völkerrechts nicht genügend Rechnung. Obschon der radikale Liberalismus in seiner moralischen Bewertung und Kritik des Rechts Zustimmung verdient, so mangelt es ihm doch an einer transkulturellen Akzeptanz. Fragmentierung vermag eine Kollision der Werte in verschiedenen Themenbereichen abzumildern, kann sie jedoch nicht vollends verhindern. Die Regionalisierung spiegelt den internationalen Pluralismus wieder, kann aber keine Universalität herstellen. Der postmoderne Ansatz zeigt die Vielfalt der Akteure und Beteiligte im gegenwärtigen Völkerrecht auf, wendet sich aber allzu oft gegen einen Konsens, den es erst einmal herzustellen gilt.
Eine Bezugnahme auf übergeordnete Prinzipien der internationalen Gemeinschaft kann helfen, Lücken im Recht zu schließen. Aber im Gegensatz zu dem Bild, das Ronald Dworkin von der innerstaatlichen Gesellschaft gezeichnet hat,[7] ist die internationale Gemeinschaft zutiefst gespalten in Bezug auf die Prinzipien, welche die Basis der internationalen Rechtsordnung bilden sollen. Derzeit kann die Debatte zwischen dem Recht der Staaten und den Menschenrechten, zwischen Demokratie und Effektivität nicht auf der Grundlage des bestehenden Rechts gelöst werden.[8]
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Während der Erfolg der Postmodernisten in der internationalen Rechtstheorie mit der Vielgestaltigkeit der internationalen Gemeinschaft zu erklären sein mag, so muss die internationale Streitschlichtung doch nicht zu einem reinen Politikum oder einer willkürlichen Wahl zwischen unvereinbaren "Hintergrundnormen" verkommen. Vielmehr beschreibt sie das Verfahren der internationalen Streitschlichtung, um zu Entscheidungen zu gelungen, die nicht nur die rechtlichen Fundamente des internationalen Rechts in Form von Staatenkonsens und qualifiziertem Stillschweigen berücksichtigt, sondern zudem Begründungen zur Verfügung stellt, wenn das Resultat nicht durch Völkerrechtsquellen vorherbestimmt und festgelegt ist. Konfrontiert man den Richter mit widerstreitenden Prinzipen oder einer Rechtslücke, so mag er eine Lösung finden, die der Logik einer bestimmten Unter-Rechtsordnung folgt, sei es Handelsrecht oder Menschenrechte. In anderen Fällen mag das Austarieren und -balancieren von Prinzipien verschiedener Untersysteme eine Lösung herbeiführen. Wenn sich dies als unmöglich erweist, so muss eine vernünftige Entscheidung gefunden werden, die gleichermaßen den Streit der beteiligten Parteien beizulegen hilft und die Entwicklung der "rule of law" im Kontext internationaler Beziehungen stärkt. Dieser Beitrag legt dar, dass die internationale Streitschlichtung ihre Integrität wahren kann, wenn und soweit die Entscheidung zwischen unterschiedlichen - und zum Teil widerstreitenden - Begründungen in einer bewussten und transparenten Weise getroffen wird.
Klassischerweise besteht internationale Streitschlichtung in der Lösung eines Konflikts zwischen zwei oder mehreren Parteien durch eine neutrale dritte Partei, idealerweise ein Gericht oder ein Schiedsgericht, in einem kontradiktorischen Verfahren und auf der Basis des Völkerrechts. Die Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 etablierten das erste universelle Instrument zur Streitschlichtung.[9] Die Schiedsgerichtsbarkeit wurde für die Staaten nicht nur wegen der Fairness der prozessualen Regelungen, wie sie sich in dem Statut und der Geschäftsordnung des entsprechenden Gerichts oder Tribunals wiederfindet, akzeptabel, sondern auch, weil der Bezugspunkt der Streitschlichtung relativ klar und unbestritten war: Es galt, ein Mindestmaß an Ordnung in den Beziehungen der Staaten herzustellen, insbesondere wenn und wo die Souveränität mehrerer Staaten sich überschneidet, und die Auslegung und Anwendung internationalen Rechts auf der Grundlage von
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Verträgen, Gewohnheitsrecht und allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu überwachen.[10] In Bezug auf ein ständiges Gericht sind die Staaten frei, seine Zuständigkeit anzuerkennen oder aber ihre Zustimmung zu verweigern. Sie haben jedoch, über die Grenzen des entsprechenden Statuts hinaus, keinen Einfluss auf die Richterwahl oder das anwendbare Recht.[11]
Die strikt konsensuale Betrachtung der Rolle internationaler Tribunale beeinflusst die Art und Weise, auf welche Richter traditionell das Völkerrecht ausgelegt haben. Ursprünglich basierte die internationale Gerichtsbarkeit allein auf staatlicher Souveränität. Dieser Ansatz bewirkte auch eine Auslegung der Völkerrechtsquellen zugunsten des staatlichen Willens. In den Worten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs (StIGH) im Lotus-Fall (1927), "restrictions on the independence of States cannot ... be presumed."[12] Traditionelle Herangehensweisen der Interpretation sind auf diese Ansicht zugeschnitten.[13] Eine derartige Beschränkung löst auch das Problem der Legitimierung. Hat ein Staat einmal einer Klausel zugestimmt, die Schiedsverfahren oder Streitschlichtung vorsieht, so hat der Staat eine gewisse Vorstellung, worauf er sich einlässt. Mit anderen Worten: Die verhältnismäßige Bestimmt- und Beschränktheit der von internationalen Gerichten und Tribunalen herangezogenen Regeln versah ihre Tätigkeit mit einer Legitimität, die sich aus der nationalen Rechtssphäre herleitete.
Das heutige Völkerrecht hingegen soll Interessen steuern und befördern, die über die Aufrechterhaltung des zwischenstaatlichen Friedens hinausgehen: vom Schutz der Menschenrechte bis zum Schutz der Umwelt. Aber die individuellen Interessen der Staaten - und ihre wechselseitigen Rechte und Pflichten - gehen nicht ohne Weiteres in diesen "Gemeinschaftsinteressen" auf.[14] Ganz im Gegenteil: Es müssen vielmehr die Gemeinschaftsinteressen in die klassische
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bilaterale Struktur reziproker zwischenstaatlicher Pflichten eingepasst werden.[15] Staaten bleiben die hauptsächlichen Subjekte des internationalen Rechts; sie sind ebenso sehr Rechtsetzer wie Rechtsanwender und Rechtsbrecher.
Auch wenn die schlussendliche Rechtfertigung "staatlicher Werte" aus "menschlichen Werten" herrührt, wie z.B. Menschenrechte, Diversität oder Effizienz, so bleiben die internationalen Rechtsquellen doch der Aggregation menschlicher Interessen in und durch Staaten verhaftet, deren Eigen-Interesse mit Rechten einzelner Menschen kollidieren kann. Jüngste Versuche, das staatliche Interesse auf das Gewinnen eines Falls in einem bestimmten Rechtsstreit zu beschränken und den Staaten damit das Interesse an einer stabilen und funktionstüchtigen internationalen Recht- und Justizordnung abzusprechen,[16] zeichnen ein allzu beschränktes Bild staatlicher Interessen. In einer liberalen Konzeption des Staates ist die Realisierung von "Gemeinschaftsinteressen" zugleich ein staatliches Anliegen, welches die nachhaltige Entwicklung oder auch Menschenrechte umfasst. Dies ist auch der Grund für die Kodifizierung entsprechender Grundsätze in einer großen Anzahl von Verträgen und Konventionen. "Gemeinschaftsinteressen" sind gemeinsame Interessen der Staaten in Bezug auf das Wohl der Allgemeinheit, wohingegen individuelle Interessen solche hauptsächlich eigennützigen Interessen sind, die ein Staat nur zum Nachteil eines anderen zu verwirklichen vermag, beispielsweise in Fällen von Grenzstreitigkeiten.
Die fortschreitende Kristallisierung und Kodifizierung internationaler Menschenrechte, des humanitären Völkerrechts und des Völkerstrafrechts, aber auch des Handels-, Entwicklungs- und Umweltrechts, ist keinesfalls beschränkt auf die Regulierung von zwischenstaatlichen Beziehungen im engeren Sinn, sondern geht über die Mediatisierung des Individuums durch den Staat hinaus. In zwei Bereichen des Völkerrechts mit wachsender Bedeutung, namentlich dem Völkerstrafrecht und dem internationalen Handelsrecht, wurden bereits Streitschlichtungsmechanismen von gerichtlichem oder quasigerichtlichem Charakter installiert. Dies illustriert den Bedarf an speziellen Regimen - nicht jedoch in sich abgeschlossener Systeme[17] - welche sich mit
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Probleme befassen, die über den Bereich zwischenstaatlicher Beziehungen hinausgehen. Regionale Gerichte, wie der Europäische Gerichtshof, spielen eine zunehmend wichtiger werdende Rolle. Zudem ziehen nationale Gerichte verstärkt internationales Recht heran - insbesondere solche Regeln des Völkerrechts, denen innerhalb der nationalen Rechtsordnung ein selbstausführender ("self-executing") Charakter zukommt.
Nichtsdestoweniger ist es kein Zufall, dass der Internationale Gerichtshof eine gewisse Zurückhaltung an den Tag legt, wenn es darum geht, sich der Rechte und Pflichten Einzelner anzunehmen. Internationale Gerichte unterliegen nicht den Mechanismen demokratischer Kontrolle und werden daher als nur mangelhaft demokratisch legitimiert wahrgenommen - insbesondere, wenn sie ins nationale Recht intervenieren.[18] In dem wohl charakteristischsten Beispiel, dem Gutachten über die Bedrohung und den Gebrauch von Nuklearwaffen, blieb das Gericht eine Antwort auf die Frage schuldig, ob im Falle eines Konflikts das staatliche Überlebensinteresse oder humanitäre Prinzipien vorgehen. Um die Lotus-Vermutung zu Gunsten staatlicher Souveränität zu modifizieren, schuf der damalige IGH-Präsident Bedjaoui für den Fall eines Konflikts zwischen staatlichen und individuellen Werten die Kategorie von "weder erlaubt, noch verboten".[19]
Manche Richter erachteten Bedjaouis Position als eine unzulässige Abkehr von der eigentlichen Rolle des Gerichts. Mit den Worten einer seiner Nachfolgerinnen, der späteren Gerichtspräsidentin Rosalyn Higgins, "the judge's role is precisely to decide which of two or more competing norms is applicable in the particular circumstances".[20] Ein non liquet, die Unfähigkeit oder Unmöglichkeit eines Gerichts oder eines Tribunals, ein Urteil zu fällen, spiegelt in Wahrheit die Unfähigkeit des Gerichts oder des Tribunals wieder, einen Werte-Konflikt mit juristischen Methoden zu entscheiden. Klassisches Völkerrecht der Lotus-Manier kann kaum in eine solche Situation geraten: Wo rechtliche Regeln fehlen, ist der Staat frei, nach seinem Willen zu handeln, sogar, wenn dies zu Überschneidungen mit der Souveränität eines anderen Staates führt. Und doch erscheint die gegensätzliche Ansicht utopisch, derzufolge ein non liquet nicht durch die Anwendung einer formellen Entscheidungsregel wie im Lotus-Fall, sondern vielmehr unter Heranziehung der Werte der internationalen Gemeinschaft zu vermeiden ist.[21]
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Präsidentin Higgins betont zu Recht, dass der zentrale Zweck internationaler Streitschlichtung in der Befriedung von Konflikten und damit in der Erhaltung von Frieden und Sicherheit liegt, was nicht nur staatlichen, sondern auch menschlichen Interessen zugutekommt. Seit jedoch das allgemeine Gewaltverbot Staaten generell verbietet, Gewalt gegeneinander auszuüben, hat das internationale Recht sich erweitert, um schließlich die ganze Bandbreite staatlicher Interaktion erfassen zu können. Dadurch wird die Regulierung gemeinschaftlicher Interessen ebenfalls der Zuständigkeit internationaler Gerichte zugeführt, sowohl im Rahmen von kontradiktorischen als auch von gutachterlichen[22] Verfahren. Diese vielseitigen Anforderungen an das Völkerrecht erschweren seine kohärente Anwendung.
Während sogar die pluralistischen, westlichen Demokratien noch ein Mindestmaß an gemeinsamen Werten teilen, so ist die "internationale Gemeinschaft" - einer stets wachsenden Anzahl von Verträgen zum Trotz, die von der Einschränkung zwischenstaatlicher Gewalt, über die Menschenrechte bis zu wirtschaftlichen Angelegenheiten alles nur Denkbare regeln - von tief verwurzelten moralischen, ethischen, religiösen und wirtschaftlichen Spaltungen gekennzeichnet, die einen Ausgleich erschweren, wenn nicht gar zeitweise unmöglich machen. Internationale Gerichte und Tribunale haben daher die immer schwieriger werdende Aufgabe, zwischen unterschiedlichen Rechts- und Wertesystemen eine Balance herzustellen.
Gleichzeitig wird es angesichts der zunehmenden Diversität der internationalen Streitschlichtung im weitesten Sinne schwieriger, sie in Gänze zu erfassen, reicht sie doch von klassischen zwischenstaatlichen Streitigkeiten mit einem Compromis vor einem Schiedsgericht oder vor dem IGH über Gutachten des IGH zu Quasi-Gerichten wie dem Streitschlichtungsgremium der Welthandelsorganisation und Straftribunalen, die sich eher mit Individualstraftaten als mit staatlichem Verhalten befassen. In diesem Abschnitt werden wir einige dieser Ansätze identifizieren und uns fragen, wie sie jeweils mit der Pluralität von Themen, Streitfragen und Institutionen umgehen.
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"Fragmentierung" ist angesichts der Vielfalt der Streitschlichtungskörperschaften der heutigen Zeit zu einem Schlüsselbegriff geworden, der herangezogen wird, um die gegenwärtige internationale Gemeinschaft zu beschreiben. Während einige die verloren gegangene Einheitlichkeit beklagen - oder gar danach streben, sie wieder herzustellen[23] -, so befürworten andere diesen Wandel, mit Niklas Luhmanns Worten, "from territoriality to functionality",[24] von einer Welt souveräner Territorialstaaten hin zu einer Welt funktionaler Institutionen. Radikalere Vertreter dieser Ansicht behaupten, dass es den verschiedenen Systemen an einem Mindestmaß von Gemeinsamkeit mangele, so dass es ihnen nicht gelingen könne, ein sie überspannendes System des allgemeinen Völkerrechts in der erforderlichen Kohärenz aufrecht zu erhalten.[25]
Die Fragmentierung des Völkerrechts wird begleitet von einer Fragmentierung der Spruchkörper. Viele dieser Einrichtungen, wie beispielsweise der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), das Streitschlichtungsgremium der Welthandelsorganisation oder die regionalen Menschenrechtsgerichte, befassen sich mit einem einzigen Themenbereich ("issue area"). Folglich scheinen sie ungeeignet zur Lösung von Streitigkeiten oder Wertkonflikten zwischen unterschiedlichen Funktionssystemen, wie zum Beispiel Handel und Menschenrechte.[26] In einem solchen Kontext ist die internationale Streitschlichtung nicht darauf beschränkt, den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen auseinander strebenden staatlichen Interessen zu finden, der sich zwischen staatlicher Aquieszenz und staatlichem Konsens bewegt. Vielmehr ist es die Aufgabe des Streitschlichtungsmechanismus, die Logik des jeweiligen Sub-Systems zu implementieren. Lücken im Recht sind nicht durch den Rückfall auf staatliche Souveränität oder Autonomie zu lösen, so wie ehemals zu Zeiten von Lotus, oder durch Heranziehen internationaler Gemeinschaftsinteressen der kosmopolitischen Welt von morgen; stattdessen bedarf es der Optimierung der Ratio des entsprechenden Systems. Trotz Versuchen, sich für andere Werte zu öffnen, ist und bleibt das
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WTO-Streitschlichtungsorgan doch dazu bestimmt, die Liberalisierung des Handels weiter voran zu treiben und nicht etwa dazu, Menschenrechte zu fördern, das Weltkulturerbe zu bewahren oder die Umwelt zu schützen. Gleichwohl ist die "effet-utile"-Doktrin, welche vom Europäischen Gerichtshof dazu eingesetzt wird, die europäische Integration in Zeiten politischer Widerstände und Paralyse voranzutreiben, ein gutes Beispiel für das Potential der Streitschlichtungsgremien, die internationalen Organisationen und ihre Mitglieder zu transformieren, indem die Funktionalität eines spezialisierten internationalen Rechtssystems gesteigert wird.[27]
Während die Existenz einer Vielzahl von internationalen Streitschlichtungsgremien innerhalb spezialisierter Systeme sicherlich als ein Fortschritt in Richtung auf ein zunehmend "verrechtlichtes" oder vielmehr judizialisiertes internationales Rechtssystem anzusehen ist, so kann dies doch dann problematisch werden, wenn es sich um Bereiche handelt, die über die ursprüngliche Reichweite des jeweiligen Subsystems hinausgehen. Die Schwierigkeit des Dispute Settlement Body im Umgang mit dem Tierschutz in dem sich über lange Zeit hinziehenden Shrimp/Turtle-Fall liefert diesbezüglich ein anschauliches Beispiel.[28] Die ungleiche Institutionalisierung der verschiedenen Subsysteme beschert dem stärkeren System einen Vorteil gegenüber dem schwächeren.[29] Folglich genießt der Handel vor den Gremien der Welthandelsorganisation Vorrang vor den Rechten von Arbeitern; und der Internationale Strafgerichtshof wird dazu tendieren, das Interesse an der Strafverfolgung höher zu bewerten als das Recht des Angeklagten auf einen fairen Prozess.
Obschon dieser Effekt dadurch abgemildert werden kann, dass die Richter auch andere Werte heranziehen als solche, die dem jeweiligen Subsystem immanent sind, so vermag eine derartige Mäßigung dennoch nicht das strukturelle Problem zu lösen, nämlich das Bedürfnis nach einem neutralen Schlichter. Ohne eine obligatorische Zuständigkeit über andere Streitschlichtungsgremien kann der IGH nur selten eine mäßigende Rolle einnehmen, und es mag wohl sein, dass er selbst unter Voreingenommenheit leidet. In Arrest Warrant,[30] zum Beispiel, vermied es der Gerichtshof, eine Entschei-
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dung in dem Wertekonflikt zwischen traditioneller Staatenimmunität und dem universellen Prinzip der Verfolgung von Verstößen gegen das internationale Strafrecht zu treffen, indem er ein geradezu minimalistisches Gutachten vorlegte, welches dennoch eine Präferenz zu Gunsten des letzteren Prinzips erkennen ließ. In dem Application of the Genocide Convention-Fall, eine wenig subtil verpackte Verteidigung seiner Interpretationshoheit über das Völkerrecht, machte der IGH dem Jugoslawientribunal (ICTY) Vorhaltungen für seine großzügige Zurechnung der Taten von Guerillakämpfern an den sie unterstützenden Staat[31] und entließ damit gleichsam die Staaten aus der Verantwortlichkeit für nicht-staatliche terroristische Gruppierungen, und das obwohl der jeweilige Staat eine beträchtliche Rolle bei der Gründung und den Operationen der Gruppierung einnehmen mag.
Selbstverständlich soll dies nicht nahelegen, dass Richter und Schiedsrichter von "funktionalen" Gerichten und Tribunalen grundsätzlich voreingenommen und ignorant gegenüber anderen Systemen sind. In dem Shrimp/Turtle-Fall akzeptierte das WTO Berufungsgremium (Appellate Body) grundsätzlich Kriterien des Tierschutzes, sofern diese in einer nicht diskriminierenden Weise angewendet werden; in Al-Adsani gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Staatenimmunität den Vorzug vor Klagen einzelner gegen Menschrechte missachtende Staaten.[32] Was auch immer man von diesen Entscheidungen halten mag: Man wird kaum behaupten können, dass die Richter des Handelsrechtskörpers dem internationalen Umweltrecht gegenüber verschlossen gewesen wären oder dass die Richter des Menschenrechtsgerichtes die Staatenimmunität völlig außer Betracht gelassen hätten. Trotzdem ist eine solche Einzelfallgerechtigkeit eben nur die zweitbeste Option hinter der Fairness eines institutionalisierten Systems, welches die Repräsentation aller vor dem Streitschlichtungsgremium involvierten Rechte und Interessen zu garantieren vermag.
Folglich ist Funktionalität allein nicht in der Lage, internationale Streitschlichtung über den Willen der Staaten hinaus zu legitimieren. Sie kann aber als ratio dienen, mittels derer die Lücken des Rechts durch ein Tribunal aufgefüllt werden können. Um aber Wertkonflikte zwischen verschiedenen Themenbereichen auflösen zu können, müssen Tribunale über die engen Grenzen ihres eigenen Systems hinausgehen und sich dem allgemeinen Völkerrecht und den Interessen anderer Subsysteme öffnen. Spezialisierte Re-
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gime existieren nicht in einem luftleeren Raum, sondern vielmehr im Kontext einer komplexen Welt von globalen zwischenstaatlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen.[33] In diesem Zusammenhang müssen die Tribunale und Gerichte nicht nur eine Balance zwischen potentiell widerstreitenden Normen innerhalb ihres eigenen Systems finden, sondern darüber hinaus auch zwischen diesen und den Normen anderer Systeme sowie den Regeln des allgemeinen Völkerrechts. Funktionalität vermag diese Rolle der internationalen Streitschlichtung nicht auszufüllen, die angesichts eines zunehmend fragmentierten Völkerrechts noch an Bedeutung hinzugewinnt.
Das zwischenstaatliche Modell der internationalen Gemeinschaft, in welcher Menschen nur über die Mediatisierung durch ihren Heimatstaat Rechte und Pflichten erlangen, scheint dann ins Wanken zu geraten, wenn nicht nur Güter und Dienstleistungen, sondern auch Individuen verstärkt international mobil werden und ihre Gedanken dank des Internets ungehindert Grenzen überschreiten. Obschon Staaten die einzigen Rechtsetzer des Völkerrechts bleiben, so wird dieses Recht doch in zunehmenden Maß von nichtstaatlichen Akteuren beeinflusst: ob im Bereich der Rechtsetzung, zum Beispiel durch Teilnahme an den relevanten Konferenzen, oder im Rahmen der Umsetzung, wenn Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch Staaten "benennen und in Verlegenheit bringen" ("naming & shaming"), die gegen Menschenrechte verstoßen haben sollen. Großdemonstrationen können effektiver sein als diplomatische Interventionen von staatlichen Stellen. So haben Jürgen Habermas und Jaques Derrida die Proteste der jüngsten Vergangenheit gegen den Krieg im Irak als die Geburtsstunde einer gemeinsamen europaweiten (wenn nicht sogar weltweiten) öffentlichen Meinung gefeiert.[34]
Ein liberales Konzept einer internationalen Gemeinschaft zieht die Konsequenzen aus dieser Entwicklung, indem es auf individuelle Rechte und Pflichten fokussiert. Liberale und Neo-Liberale fordern eine Neu-Errichtung des internationalen Rechts auf einer interindividuellen Grundlage. Aus der liberalen Perspektive heraus sind Individuen und nicht Staaten die eigentlichen Akteure im
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Völkerrecht.[35] Staaten beziehen ihre Legitimität daraus, dass sie Menschen repräsentieren. Die Rechte der Staaten müssen vor Gerichten und Tribunalen nicht als Selbstzweck gerechtfertigt werden, sondern anhand ihrer Ausrichtung im Sinne des Individuums. Während eher gemäßigte Anhänger der liberalen Ethik, wie zum Beispiel John Rawls,[36] den Menschen als Grundeinheit der internationalen Rechtsordnung ansehen, verlangen radikalere Liberale die Errichtung einer Weltsozialordnung auf kosmopolitischen Fundamenten.[37]
Gegenüber der internationalen Gerichtsbarkeit legen Liberale eine gewisse Geringschätzung in Bezug auf "kollektive" Legitimität an den Tag und favorisieren ein pragmatisches Konzept internationaler Tribunale als Serviceeinrichtungen für Individuen. Demzufolge ist ein individualistischer Liberalismus auf Einzelfallgerechtigkeit ausgerichtet und nicht auf kollektive Staatsinteressen. Liberale werden die Bedeutung einer Kooperation zwischen internationalen und nationalen Gerichten herausstellen und damit eine beschränkte zwischenstaatliche Perspektive hinter sich lassen. Das führt aber keineswegs zu einem Bedeutungsverlust der internationalen Gerichtsbarkeit. Anne-Marie Slaughter ist zu dem Schluss gekommen, dass "transjudizielle Netzwerke" von Richtern und Anwälten in der professionellen Selbstwahrnehmung der Gerichte und Tribunale an Bedeutung gewinnen, was zu einer "community of courts" jenseits von Staatsgrenzen führt.[38] Für gewöhnlich teilen Richter unterschiedlicher liberaler Staaten mindestens ebenso viel, wenn nicht sogar mehr Gemeinsamkeiten untereinander als mit ihren nationalen Gegenübern in Exekutive und Legislative.
Anti-institutionalistischen Neo-Liberalen zu Folge ist ein freiheitlicher und demokratischer souveräner Staat nicht verpflichtet, internationale Präzedenzfälle zu akzeptieren, die die grundlegendsten Kriterien der demokratischen
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Legitimität und des Schutzes der Menschenrechte nicht erfüllen.[39] Für andere ist internationale Gerichtsbarkeit nur so lange verbindlich, wie sie mit den maßgeblichen freiheitlichen und demokratischen Werten übereinstimmt. Es ist daher bezeichnend, dass viele Liberale die Bedeutung (demokratischer) Legitimität gegenüber internationaler Legalität herausstellen.[40] Netzwerke innerstaatlicher Institutionen seien gegenüber globalen Gerichten und Tribunalen vorzugswürdig, welche Entscheidungen sowohl liberale als auch nicht-liberale Staaten treffen. Zugleich kann aber die Aufwertung individueller Rechte zum einzigen Maßstab internationaler Gerichtsbarkeit werden und zu einer Delegitimierung traditioneller zwischenstaatlicher Streitschlichtung zugunsten von Völkerstraf- und Menschenrechstribunalen führen.
Während dieser Liberalismus Staaten mit "freiheitlichen" Werten gut zu Gesichte steht, darf nicht die anhaltende Bedeutung verschiedener Wertkonzepte unterschätzt werden, und dies nicht nur zwischen "liberalen" und autoritären Staaten.[41] Schließt man Lücken im bestehenden Völkerrecht durch liberale Werte, so öffnet dies dem Vorwurf politischer Voreingenommenheit Tür und Tor. Internationale Gerichtsbarkeit zielt nicht nur darauf ab, "freiheitliche Werte" wie insbesondere die Menschenrechte zu realisieren, sondern auch -und vielleicht sogar vorrangig - auf die friedliche Koexistenz und Kooperation verschiedener Wert- und Glaubenssysteme. Die Differenzierung zwischen Rechten und Pflichten "freiheitlicher" und anderer Staaten oder Menschen kann folglich die friedensstiftende Rolle der internationalen Gerichtsbarkeit gefährden.
Postmodernisten sind gegenüber der Behauptung, dass die internationale Gerichtsbarkeit - oder Streitschlichtungskörper generell - "objektives" Recht auf die Realität anwenden könnten, zutiefst kritisch eingestellt. Der Glaube an eine eindeutige Ausrichtung der Geschichte hin zur Verwirklichung freiheitlicher Werte, gar die Idee des Fortschritts selbst, werden zurückgewiesen; Diversität und Subjektivität werden hochgehalten.[42] Einer "internen" Kritik zufolge
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schließt die Unbestimmtheit von Regeln und Grundsätzen ein eindeutiges Ergebnis der juristischen Analyse strittiger Fälle aus. Das internationale Recht navigiere zwischen einer Entschuldigung engstirniger staatliche Interessenwahrnehmung beziehungsweise staatliches Macht einerseits und einer utopischen Suche nach einem globalen Wertekanon andererseits.[43] Gleichzeitig ziehe die normative Unbestimmtheit die Möglichkeit des Missbrauchs des Völkerrechts zu politischen Zwecken unter dem Deckmantel der vorgeblichen Objektivität rechtlicher Analyse nach sich; dieser Prozess wird als "Reifizierung" bezeichnet.[44] Wohingegen in der internen Kritik das internationale Recht dargestellt wird, als fehle ihm ein determinierter Gehalt, so betrachtet die externe Kritik das internationale Recht als ein leistungsstarkes Werkzeug zur Erreichung politischer Ziele. Obschon es eine offensichtliche Spannung zwischen beiden Ansätzen gibt, widersprechen sie sich nicht notwendigerweise: Das Recht kann missbraucht werden, weil seine Autorität unabhängig von seiner Gehaltlosigkeit gilt und wirkt.
Sowohl die externe als auch die interne Kritik lassen jegliche Bestrebung, sei sie rechtlicher oder anderer Art, vergebens erscheinen, welche darauf abzielt, am Ende einer rechtlichen Analyse eindeutige Resultate zu erhalten, die von der ideologischen Position des Richters unabhängig sind. Es erscheint sinnlos, sich um einen Konsens zu bemühen, der auf der Anwendung formaler Quellen auf neue Fälle basiert, wenn die Abwesenheit eines Konsenses an der Wurzel des Konflikts lag. Frei von jeglicher Substanz oder formaler Verfahren muss das internationale Recht dem politischen Missbrauch anheimfallen.
Die Anfechtung jeglicher Objektivität des Rechts führt die postmodernen Autoren zu der Person des Juristen und seiner sozialen Rolle.[45] Nach Martti Koskenniemis früherer Auffassung liegt die Aufgabe des Juristen darin, zu akzeptablen Lösungen sozialer Probleme beizutragen, und dies sogar dann, wenn es an rechtlichen Vorgaben mang elt.[46] In seinen aktuelleren Arbeiten schlägt er vor, die Vorgehensweise von Richtern und Anwälten als eine "culture of forma-
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lism" zu betrachten, bei der Macht dadurch entschärft wird, dass den Stimmen anderen Gehör geschenkt wird.[47] Aus dieser Perspektive erscheint es sinnvoll, den "Kundenkreis" internationaler Gerichtsbarkeit auf Individuen und, insbesondere, auf Ausgeschlossene, auf die radikal Anderen auszudehnen. Eine solche Rechtsauffassung spräche wohl nicht die Sprache der Mächtigen, gäbe aber den Unterdrückten eine Stimme. Gleichwohl wirft diese Besinnung auf den Juristen - und schließlich auf den Richter - eine Mehrzahl an Fragen auf. Was ist der Jurist ohne die Anwendung des Rechts? Woher leitet sich seine Autorität ab, wenn nicht aus rechtlichen Regeln und Prinzipien, die aus einem Rechtssetzungsprozess hervorgehen, den die Gesellschaft akzeptiert hat?
Wie sich herausstellt, vermag keiner dieser Ansätze allein die Rolle der internationalen Gerichtsbarkeit angemessen zu beschreiben. Obschon der radikale Liberalismus für die ethische Evaluierung und die Kritik des Rechts hilfreich sein mag, so fehlt ihm doch die transkulturelle Akzeptanz, um universelle Geltung zu erlangen. Ohne Universalität jedoch vermag die internationale Gerichtsbarkeit nicht mit einem Konflikt zwischen Beteiligten verschiedener philosophischer und ethischer Traditionen umzugehen. Wenn das Ziel der internationalen Gerichtsbarkeit aber die friedliche Beilegung von Streitigkeiten bleibt, so wäre die Preisgabe des Anspruchs der Universalität ein zu hoher Preis für ideelle Kohärenz.
Obgleich es richtig sein mag, eine rein formalistische Konzeption des Rechts als eine mechanische Anwendung von Regeln in der Tradition von Montesquieu zu kritisieren, so geht eine Hinwendung zu einer politischen Rolle des Juristen am ursprünglichen Sinn der Gerichtsbarkeit vorbei: Eine Gerichtsentscheidung stellt keinen ad-hoc-Kompromiss her, sondern zielt vielmehr darauf ab, Konflikte mittels der Anwendung genereller und abstrakter Standards zu lösen, auf welche sich die Gesellschaft zuvor bereits verständigt hatte oder welche von ihr vereinbart worden waren. Es ist gerade die Loslösung vom politischen Milieu, und eben nicht ein Zusammenwirken mit diesem, aus der sich die Autorität der Regeln und Prinzipien ableitet.
Eine grundsatzfreie "ad-hoc-Begründung" gerichtlicher Entscheidungen würde für die internationale Gerichtsbarkeit einen Vertrauensverlust zur
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Folge haben - und schließlich und letztendlich auch in einer Zurücknahme der Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit resultieren.[48] Internationale Gerichte können und dürfen daher die Quellen, aus denen sie ihre Autorität ableiten, nicht außer Betracht lassen. So muss auch der IGH die Limitierung seiner Jurisdiktion akzeptieren und darf beispielsweise nicht dazu übergehen, über Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu befinden, wenn seine Zuständigkeit auf den Völkermord beschränkt ist.[49] Die bewusste Übernahme einer politischen Rolle jenseits des normativen Programms geht zwangsläufig mit einem Verlust der Autorität eines juristischen Spruchkörpers einher. Damit ist keinesfalls gesagt, dass der Gerichtsbarkeit eine ebenso politische wie auch juristische Rolle zukommt. Aber es ist aufgrund ihrer juristischen und nicht aufgrund ihrer politischen Autorität, dass sie diese Rolle wahrnimmt und ausfüllt.
Eine Möglichkeit, dem Pluralismus internationaler Wertekonzepte zu begegnen, mag das Rawlsche System des "überlappenden Konsenses" darstellen: Ein Mangel an Einigkeit auf philosophischer und religiöser Ebene wird durch einen "politischen" Kompromiss ausgeglichen, der die unterschiedlichen Legitimitätskonzepte unberührt lässt und beiden Seiten die Möglichkeit einräumt, eine Entscheidung in ihr spezifisches Werte- und Glaubenssystem einzupassen.[50] Im Falle des IGH kann eine solche Einbeziehung dadurch erreicht werden, dass umfassendere Begründungen in Separate und Dissenting Opinions erfolgen.[51] Während das Urteil selbst den Kompromiss zwischen unterschiedlichen Rechtsanschauungen repräsentiert, so ergeben die einzelnen Meinungen eine umfassende Begründung, die auf den verschiedenen juristischen und ethischen Ansichten der jeweiligen Richter beruht.
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Natürlich mag der Unterschied zwischen offen liberalen Konzepten der Gerichtsbarkeit und dem konsensualen Modell überzeichnet sein. Rawls verankert seine Idee des "overlapping consensus" in der sogenannten "reasonableness", welche Prinzipien wiederspiegelt, die in der Tradition einer freiheitlich-demokratischen Gemeinschaft inbegriffen und der Idee des Gemeinwohls verpflichtet sind.[52] Für das "Recht der Völker" bezieht Rawls die "reasonable justness" der Gesellschaften von gemäßigten nicht-liberalen Völker mit ein, schließt aber kategorisch autoritäre Regime als "outlaw states" aus.[53] Die Rawls'sche Vision mag daher mit unterschiedlichen Religionen und Glaubenssystemen kompatibel sein, allerdings schließt sie jeglichen Fundamentalismus aus, der eine gemeinsame religiöse (oder ideologische) Basis für die Etablierung einer politischen Gemeinschaft verlangt. Zu einem gewissen Grad erfordert das Modell eines solchen Konsenses daher die vorherige Akzeptanz eines liberalen Verständnisses der politischen Gemeinschaft - ein solcher Konsens ist aber auf der internationalen Ebene gerade nicht vorhanden.
Was die internationale Gerichtsbarkeit demzufolge zu leisten aufgefordert ist, mag in eine noch größere Herkulesaufgabe ausarten, als die Anforderungen, die Ronald Dworkins Konzept der "Einheit des Rechts" an die nationale Rechtsordnung stellt.[54] Dworkin "asks judges to assume, so far as this is possible, that the law is structured by a coherent set of principles about justice and fairness and procedural due process".[55] Er führt an, dass es seinen Kritikern[56] an Beispielen für Lücken im Recht mangele und es des Weiteren an Beweisen fehle, dass eine Anwendung seiner Theorie zu unauflösbaren Widersprüchen führe, die nur nach politischen oder psychologischen Präferenzen der Richter und nicht nach rechtlichen Grundsätzen aufgelöst werden könnten.[57]
Dem gegenwärtigen Völkerrecht scheint es an Beispielen für derartige Widersprüche keineswegs zu mangeln. Dessen Grundlagen sind vielfältig gespalten in die Aufrechterhaltung staatlicher Souveränität auf der einen, und der Men-
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schenrechte auf der anderen Seite, sowie in die Apologie staatlichen Handelns einerseits und in die Utopie einer gerechten internationalen Ordnung andererseits.[58] Für Kollisionen zwischen der Wahrung staatlicher Integrität und den Menschenrechten oder humanitären Erwägungen hat der IGH bisweilen keine allgemein zufriedenstellende Lösung gefunden.[59] Ein weiteres Beispiel ist der Konflikt zwischen der staatlichen Pflicht, Täter von Kernstraftaten des Völkerstrafrechts zu verfolgen, und der staatlichen oder persönlichen Immunität.[60] Das Dworkinsche Konzept vom Völkerrecht als einer Einheit könnte dem entgegnen, dass staatliche und individuelle Interessen so anzuwenden sind, dass Konflikte vermieden werden.[61] "Weiches" Recht, oder vielmehr eine Differenzierung zwischen verschiedenen Graden an Autorität, kann helfen, Lücken im "harten" Recht der Triade des Artikels 38 IGH Statut zu füllen.[62] Nichtsdestoweniger scheint es beinahe unmöglich, sowohl staatliche und individuelle Rechte gleichrangig an die Spitze der Prinzipien des internationalen Rechts zu setzen.
Ohne eine globale freiheitliche und demokratische Gesellschaft - oder eine freie weltumspannende Assoziierung freiheitlich-demokratischer Gesellschaften - kann die internationale Gerichtsbarkeit folglich nicht immer die Kohärenz des Völkerrechts wahren. Wenn ein Ausgleich zwischen staatlichen und individuellen Interessen scheitert, kann es erforderlich sein, entweder für die staatlichen oder die Individualinteressen beziehungsweise für die Gemeinschafts- oder die Staatsinteressen Partei zu ergreifen. Sofern dies offen und transparent erfolgt, kann es der internationalen Gerichtsbarkeit gelingen, die Idee der Integrität des Völkerrechts zu wahren. In einem solchen Fall sollten die Richter offen einräumen, dass die Quellen unbestimmt sind und sich die zugrundeliegenden Prinzipien widersprechen, und anschließend klar zwischen den Schranken des Rechts einerseits und den Gründen für die Wahl einer bestimmten Lösung und für den Vorzug eines bestimmten Prinzips andererseits unterscheiden.
Folglich muss der Richter innerhalb der Grenzen des Rechts entscheiden. Aber die ihm obliegende Verantwortung erstreckt sich auch auf die Aufrechterhaltung der Integrität des internationalen Rechtssystems - mit anderen Worten:
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Der internationale Richter muss (auch) die größere Idee einer internationalen Herrschaft des Rechts ("rule of law") aufrechterhalten. Das kann ein zweischneidiges Schwert sein: In manchen Fällen kann dies bedeuten, dass das Gericht einer wörtlichen Interpretation eines Vertrages zu folgen hat, wenn der Wortlaut hinreichend deutlich ist. Andererseits können Lücken im Recht den Richtern Gelegenheit geben, das Recht weiterzuentwickeln, um den Bedürfnissen seiner konstitutiven Bestandteile, was sowohl Staaten als auch die Menschheit in ihrer Gesamtheit umfasst, gerecht zu werden und einen Präzedenzfall zu schaffen.[63] Ursprünglich war dies auch der Grund, aus dem "allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze" Eingang in den Artikel 38 des IGH Statuts gefunden haben.[64] Im Falle eines Konflikts zwischen verschiedenen Sub-Systemen des Völkerrechts muss das zuständige Gericht oder Tribunal darum bemüht sein, sich ein möglichst umfassendes Bild der einschlägigen Rechtsregeln zu verschaffen, um nicht einseitig einer Zielsetzung des Rechts auf Kosten einer anderen zur Durchsetzung zu verhelfen.[65] Auch Artikel 31 Abs. 3 lit. c der Wiener Vertragsrechtskonvention weist in diese Richtung, wenn er fordert, dass bezüglich der Interpretation eines völkerrechtlichen Vertrages "jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz" heranzuziehen ist.[66] Das Gericht, beziehungsweise das Tribunal, muss die weiteren systematischen Implikationen seiner Interpretation für die gesamte internationale Gemeinschaft bedenken.[67] Trotzdem mag es nicht zu jedem Dilemma des Völkerrechts eine eindeutige und unmissverständliche Lösung geben. Rechtsprinzipien können zwar helfen, Lücken zu schließen, sie können aber auch zu weiteren Widersprüchen führen.
Konfrontiert mit diesem Problem kann sich die Aufgabe des Juristen nicht darauf beschränken, einen bereits bestehenden Konsens (neu) zu formulieren. Vielmehr ist der Richter aufgefordert, seinen Teil in der Erhaltung der Integri-
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tät des Systems zu spielen.[68] Jürgen Habermas hat einmal vorgeschlagen, dass der Konflikt zwischen Menschenrechten und dem Gewaltverbot nicht auf Basis des gegenwärtigen Völkerrechts zu beurteilen sei, sondern auf Basis des zukünftigen internationalen Rechtssystems.[69] Zudem autorisiert das schweizerische Zivilrecht den inländischen Richter, auf Grundlage des Rechts zu entscheiden, welches er setzen würde, wenn er dazu berufen wäre, um ein non liquet zu vermeiden.[70] Unter Bezugnahme auf Kant und Dworkin verweist Martti Koskenniemi auf eine Anwendung von "constitutionalism as a mindset", um eine Lösung zu finden, die möglichst viele der einschlägigen Interessen und Rechte einbezieht.[71] Die Kompetenz, die die Staaten an das Gericht übertragen haben, muss als ausreichend dafür erachtet werden, solche Lücken zu füllen, deren Schließung es um der Lösung des Konfliktes willen bedarf. Es ist daher nicht zweckmäßig, wenn ein Gericht den Fall wieder an die Staaten zurückverweist, anstatt die entsprechenden Rechtslücken selbst zu schließen.[72]
Doch die Schließung solcher Rechtslücken ist eng begrenzt durch die Bereitschaft der Staaten und anderer Rechtssubjekte des Völkerrechts, die Entscheidung des Gerichts umzusetzen. Es bleibt den Staaten überlassen, die vom Gericht vorgebrachte Regel (kollektiv) zu modifizieren.[73] Es ist daher irreführend, von "Rechtsetzung" im eigentlichen Wortsinne zu sprechen, weil das Recht dem internationalen Richter Grenzen setzt und nicht andersherum.[74] Eine sol-
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che Argumentation verkennt aber nicht den faktischen Einfluss, den das Urteil eines autoritativen internationalen Gerichts auf die Parteien eines Konflikts und auf das Völkerrecht im Allgemeinen haben wird - nicht zuletzt deshalb, weil die siegreiche Partei kaum einen Anreiz haben wird, eine von einem internationalen Gericht artikulierte Regel zu ändern.
Daher bedarf die Methodologie der internationalen Gerichtsbarkeit eines Vorgehens in drei Schritten: Zunächst eine "positivistische" Achtung der Beschränkung der juristischen Tätigkeit auf die Interpretation bestehender Rechtsregeln; eine Dworkinsche Untersuchung der einer internationalen Rechtsordnung zugrundeliegenden Prinzipien unter Berücksichtigung juristischer Entscheidungen; und schließlich das postmoderne Verständnis von einem disponiblen Element ("element of choice"), welches jeglicher Rechtsinterpretation innewohnt und den Richter in die Lage versetzt, sein eigenes begründetes Ermessen, im Rahmen der durch das gültige Recht gesetzten Grenzen, bewusst und transparent auszuüben.
Die heutige internationale Gerichtsbarkeit hat die Grenzen eines traditionellen, quasi-schiedsrichterlichen Systems, innerhalb dessen für den Richter keine unabhängige Rolle vorgesehen war, bei Weitem überschritten. Aber der Verlust eines eindeutigen Bezugspunktes zog Unsicherheiten im Umgang mit der neugewonnen Unabhängigkeit nach sich, zumal es galt, sich die unabdingbare Unterstützung der Staaten zu erhalten. Hin und wieder kommt es vor, dass Gerichte und Tribunale ihre Rolle zu strikt interpretieren und sich auf eine rein funktionale Rolle beschränken, ohne darüber hinaus auch generellen Normen und Prinzipien Beachtung zu schenken. Weitaus öfter aber haben sie ihre Aufgabe deutlich großzügiger interpretiert und sich als Förderer der Herrschaft des Rechts in den internationalen Beziehungen verstanden, in welche Gerichte und Tribunale gleichsam als eine dritte Partei eingreifen.
Dieser Beitrag will nicht eine zusätzliche und höherrangige Version der Gerichtsbarkeit vorstellen. Auch will er keine Rückkehr zu einer Art juristischem Minimalismus proklamieren, welcher den ehrgeizigen Aspekt der internationalen Gerichtsbarkeit, nämlich die Etablierung einer internationalen Rechtsordnung, verkennt. Die ideale internationale Gerichtsbarkeit wird in sich die
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Charakteristika aller verschiedenen Ansätze vereinigen: Sie wird Lücken des Völkerrechts durch Heranziehung der Zielsetzung der betroffenen rechtlichen Institution(en) und Staaten, denen sie dient, schließen und sich dabei der weiteren Auswirkungen bewusst sein; sie wird berücksichtigen, dass es auf der internationalen Ebene eine Tendenz hin zur Regelung menschlicher Rechte und Pflichten gibt, wird dabei aber nicht vergessen, dass der westliche Individualismus anderen nicht aufgezwungen werden kann (und darf); sie wird sich bei der Anwendung von Rechtsvorschriften auch der Relevanz politischer Umstände bewusst sein, dabei aber stets wissen, dass die Gerichtsbarkeit ihre Kompetenz aus den Rechtsquellen ableitet, die wohl oder übel einem von Staaten gesetztes Recht entstammen.
Rechtliche Antworten sollen sich auf Standards, Regeln und Grundsätze stützen, welche durch ein allgemein anerkanntes formelles Verfahren gesetzt wurden. Sollte ein Richter es unterlassen, solche Standards anzuwenden, so würde das in Willkür und folglich in einer Amtspflichtverletzung resultieren. Dennoch verbleibt dem einzelnen Richter ein weiter Raum an Einfallsreichtum und Kreativität, wenn es darum geht, diese Standards, Regeln und Grundsätze optimal auf die Vielfalt und Vielgestaltigkeit des Lebens anzuwenden. In einer rechtlichen Analyse, die sich ihrer eigenen Beschränkungen bewusst ist, erfolgt eine solch individuelle wertende Beurteilung nicht hinter verschlossenen Türen, sondern in einer transparenten Art und Weise.[75] Das schließt Anstrengungen ein, die traditionellen Gemarkungen des Völkerrechts zu verlassen und sich, über seine traditionelle Anwendung im zwischenstaatlichen Bereich hinaus, auf eine Einbeziehung privater Akteure, wie beispielsweise Nichtregierungsorganisationen, sowie auf die Akzeptanz und auf Ermutigung kultureller Diversität einzulassen.
Die internationalen Gerichte müssen innerhalb ihrer Staatengefolgschaft einen Konsens finden, was ihnen kaum gelingen dürfte, wenn sie aus der Rolle fielen und von Rechtsanwendern zu Rechtssetzern würden. Globale Gerichtsbarkeit wird immer einen Kompromiss zwischen Interessen des Staates und der Gemeinschaft sowie Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichen Kulturen und Religionen finden müssen, und einen Ausgleich zwischen fachlichen Empfindlichkeiten in unterschiedlichen Themenbereichen herbeiführen, indem sie auf allgemein anerkannte Standards verweist, die über das Eigeninteresse der Parteien und über die Eigenarten des funktionellen Sub-Systems, in welchem sich der Richter bewegt, hinausgehen. Diese wertenden Urteile können einen
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internationalen öffentlichen Diskurs ermöglichen, der gerade die Bereiche eines internationalen Konsenses herstellen und vervollkommen kann, die über dogmatischen Formalismus und postmodernen Partikularismus hinausgehen. Somit ist internationales Recht nicht (nur) all das, was die Gerichte tun. Das, was die internationalen Gerichte tun, hat aber nicht nur Einfluss auf das Recht der internationalen Gemeinschaft, sondern hat selbst einen Anteil an der Bildung und Ausgestaltung dieser Gemeinschaft. ■
ANMERKUNGEN
[1] Holmes, O.W., 'The Path of the Law', Harvard Law Review, 10 (1897): "Law is what the Courts will do".
[2] Collier, J., und Lowe, V., The Settlement of Disputes in International Law (Oxford: Oxford University Press, 1999), 3.
[3] Project on International Courts and Tribunals, International Judiciary in Context, synoptic chart, November 2004, abrufbar unter http://www.pict-pcti.org/publications/synoptic_chart.hmtl (Stand 07.09.2010).
[4] Vgl. Koskenniemi, M. und Leino, P., 'Fragmentation of International Law. Postmodern Anxieties?', Leiden Journal of International Law, 15 (2002), 553; Report of the Study Group of the International Law Commission, ausgearbeitet von Koskenniemi, M., 'Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law' (International Law Commission, 2007), UN Doc. A/CN.4/L.682.
[5] Bezüglich der Unterscheidung zwischen "idealer" und "nicht idealer Theorie" vgl. Rawls, J., The Law of the Peoples (Cambridge, Mass., und London: Harvard University Press, 1999), 59.
[6] Vgl. dazu die Beiträge von Nollkaemper, A. und Nijman, J. E. (Hrsg.), New Perspectives on the Divide between National and International Law (Oxford: Oxford University Press, 2007). Für aktuelle Beispiele von nationalen Gerichten, die entweder auf internationale Entscheidungen Bezug nehmen oder aber sich von ihnen distanzieren vgl. z.B. Sanchez-Llamas v. Oregon, S.48 U.S.331 (2006); Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Kammerentscheidung, 2 BvR 2115/01, BVerfG 9, 74, abrufbar unter www.bverfg.de; Mara 'abe v. Prime Minister of Israel, HCJ 7957/04 (Supr. Ct. Isr. 2005).
[7] Dworkin, R., Law's Empire (Cambridge, Mass.: Belknap Press, 1986), 239.
[8] Fastenrath, U., 'Relative Normativity in International Law', European Journal of International Law, 4 (1993), 333.
[9] Vgl. das Haager Abkommen betreffend die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle, 54 LNTS 435 (18. Oktober 1907).
[10] Spiermann, O., International Legal Argument in the Permanent Court of International Justice (Cambridge: Cambridge University Press, 2005), 106.
[11] Bezüglich der Differenzierung zwischen Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit vgl. Advisory Committee of Jurists, Documents Presented to the Committee Relating to Existing Plans for the Establishment of a Permanent Court of International Justice (1920), 113.
[12] StIGH, S.S. 'Lotus', Series A, No. 10 (1927), 18.
[13] Vgl. StIGH, Mossul (Interpretation of Article 3, Paragraph 2, of the Treaty of Lausanne), Gutachten, PCIJ, Series B, No. 12 (1925), 25: '[I]f the wording of a treaty provision is not clear, in choosing between several admissible interpretations, the one which involves the minimum of obligations for the Parties should be adopted'.
[14] Vgl. Simma, B., 'From Bilateralism to Community Interest in International Law', Recueil des Cours, 250 (1994 VI), 217; Tomuschat , C., 'International Law: Ensuring the Survival of Mankind on the Eve of a New Century', Recueil des Cours, 281 (1999), 9, 78-79, Rn. 33; Henkin, L., International Law: Politics and Values (Den Haag: Kluwer Law International, 1995), 97; Paulus, A. L., Die Internationale Gemeinschaft im Völkerrecht (München: C.H. Beck, 2001), 250.
[15] Vgl. Simma, B., 'From Bilateralism to Community Interest' (o. Fn. 14), 248.
[16] Goldsmith, J. L. und Posner, E. A., The Limits of International Law (Oxford: Oxford University Press, 2005), 7; Posner, E. A. und Yoo, J. C., 'Judicial Independence in International Tribunals', California Law Review, 93 (2005), 14; dazu kritisch Helfer, L. R. und Slaughter, A.-M., 'Why States Create International Tribunals: A Response to Professors Posner and Yoo', California Law Review, 93 (2005), 905.
[17] Vgl. Simma, B., 'Self-Contained Regimes', Netherlands Yearbook of International Law, 16 (1985), 111; Simma, B. und Pulkowski, D., 'Of Planets and the Universe: Self-Contained Regimes in International Law', European Journal of International Law, 17 (2006).
[18] Dazu kritisch u.a. Goldsmith, J. L. und Posner, E. A., Limits of International Law (o. Fn. 16), 205 et seq.; Posner, E. A. und Yoo, J. C., 'Judicial Independence' (o. Fn. 16), 27.
[19] IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ Rep. 1996, 226; Decl. Bedjaoui, ICJ Rep. 1996, 271, Rn. 14.
[20] IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Diss. Op. Higgins, ICJ Rep. 1996, 592, Rn. 40.
[21] So aber Lauterpacht, H., The Function of Law in the International Community (Oxford: Clarendon Press, 1933), 123.
[22] Vgl. zum Beispiel das Gutachten des IGH im Nuclear-Weapons-FaW (o. Fn. 19).
[23] Dupuy, P. M., 'L'Unité de l'ordre juridique international', Recueil des Cours, 297 (2002).
[24] Luhmann, N., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt/Main: Suhrkamp, stw, 1995), 571 et seq.; Luhmann, N., Die Gesellschaft Der Gesellschaft (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1997); 158-160; vgl. auch Paulus, A. L., 'From Territoriality to Functionality? Towards a Legal Methodology of Globalization', in Dekker, I. F. und Werner, W. G. (Hrsg.), Governance and International Legal Theory (Leiden, Boston: Martinus Nijhoff, 2004), 59.
[25] Fischer-Lescano, A. und Teubner, G., 'Regime-Collisions: The Vain Search for Legal Unity in the Fragmentation of Global Law', Michigan Journal of International Law, 25 (2004), 1004.
[26] Vgl. Leebron, D. W., 'Linkages', American Journal of International Law, 96 (2002).
[27] Vgl. Weiler, J. H. H., The Constitution of Europe (Cambridge: Cambridge University Press, 1999), 22-23; vgl. auch IGH, Reparation for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, ICJ Rep. 1949, 182.
[28] WTO, United States - Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products, 38 International Legal Materials (1999), 118.
[29] Howse, R., 'Human Rights in the WTO: Whose Rights, What Humanity? Comment on Petersmann', European Journal of International Law, 13 (2002), 651, 658; Paulus, A. L., 'From Territoriality to Functionality?' (o. Fn. 24), 88.
[30] IGH, Arrest Warrant of 11 April 2000 (DR Congo v Belgium), (2002) ICJ Rep. 3.
[31] IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v Serbia and Montenegro), Urteil vom 27. Februar 2007, abrufbar unter http://www.icj-cij.org, Rn. 403-407.
[32] Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Al-Adsani v UK, (2002) 34 EHRR, 11.
[33] Vgl. diesbezüglich den ersten Bericht des WTO Appellate Body, US - Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, 35 International Legal Materials (1996), 621: Das GATT 'is not to be read in clinical isolation from public international law'. Siehe dazu auch Artikel 3 II WTO Dispute Settlement Understanding.
[34] Habermass, J., Der Gespaltene Westen (Kleine Politische Schriften X; Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2004), 44.
[35] Buchanan, A. E., Justice, Legitimacy and Self-Determination: Moral Foundations for International Law (Oxford und New York: Oxford University Press, 2004); Buchanan, A. und Keohane, R. O., 'The Legitimacy of Global Governance Institutions', Ethics and International Affairs, 20 (2006), 406, 417.
[36] Rawls, J., A Theory of Justice (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1971), 377 et seq.; Rawls, J., Law of Peoples (o. Fn. 5), 37.
[37] Vgl. Beitz, C. R., Political Theory and International Relations (Princeton: Princeton University Press, 1979), 8-9, 128; Pogge, T. W., Realizing Rawls (Ithaca, NY und London: Cornell University Press, 1989), 244 et seq.; siehe aber auch Rawls, Theory of Justice (o. Fn. 36), 457.
[38] Slaughter, A.-M., 'A Global Community of Courts', Harvard International Law Journal, 44 (2003); Slaughter, A.-M., A New World Order (Princeton und Oxford: Princeton University Press, 2004), 68; Keohane, R. O., Moravcsik, A. und Slaughter, A.-M., 'Legalized Dispute Resolution: Interstate and Transnational', International Organization, 54 (2000).
[39] Goldsmith, J. L und Posner, E. A., Limits of International Law (o. Fn. 16), 205 et seq.
[40] Siehe dazu u.a. Buchanan, A. und Keohane, R. O., 'Legitimacy of Global Governance Institutions' (o. Fn. 35), 406.
[41] Vgl. aber auch Rawls, J., Law of Peoples (o. Fn. 5), 5 et passim, welcher für ein Völkerrecht argumentiert, dass nur auf freiheitliche und "anständige", menschenrechtstreue Staaten Anwendung findet.
[42] Baumann, Z., Intimations of Postmodernity (London und New York: Routledge, 1992), 189-196; Lyotard, J. F., La Condition postmoderne: Rapport sur le savoir (Paris: Éditions de Minuit, 1979), 8-9.
[43] Koskenniemi, M., From Apology to Utopia: The Structure of International Legal Argument (Helsinki: Lakimiesliiton Kustannus, 1989), 48.
[44] Carty, A., 'Critical International Law: Recent Trends in the Theory of International Law', European Journal of International Law, 2 (1991), 66, 67 Fn. 1.
[45] Koskenniemi, M., From Apology to Utopia (o. Fn. 43), 490; Korhonen, O., 'New International Law: Silence, Defence or Deliverance', European Journal of International Law, 7 (1996), 1.
[46] Koskenniemi, M., From Apology to Utopia (o. Fn. 43), 486. Vgl. auch Kennedy, D., 'The Disciplines of International Law and Policy', Leiden Journal of International Law, 12 (1999), 9, 83, welcher das Völkerrecht als eine "group of professional disciplines in which people pursue projects" vor wechselnden institutionellen Hintergründen beschreibt.
[47] Koskenniemi, M., The Gentle Civilizer of Nations: The Rise and Fall of International Law, 1870-1960 (Cambridge: Cambridge University Press, 2002), 502.
[48] Fastenrath, U., 'Relative Normativity' (o. Fn. 8). Im Rahmen von gerichtlichen Mechanismen in spezialisierten Gebieten, wie dem Handelsrecht, kommen solche Effekte wohl noch stärker zum Tragen, vgl. Abi-Sabb, G., 'The Appellate Body and Treaty Interpretation', in Sacerdoti, G., Yanovich, A., und Bohanes, J. (Hrsg.), The WTO at Ten: The Contribution of the Dispute Settlement System (Cambridge: Cambridge University Press, 2006), 461.
[49] Vgl. IGH, Application of the Genocide Convention (o. Fn. 31), Rn. 147-148.
[50] Rawls, J., Political Liberalism (New York: Columbia University Press, 1996), 133, insbesondere 147. Bezüglich einer Anwendung des "overlapping consenus" auf einer globalen Ebene, vgl. u.a. Franck, T., Fairness in International Law and Institutions (Oxford: Clarendon Press, 1995), 14; Pogge, T., Realizing Rawls (o. Fn. 37), 277; Roth, B. R., Governmental Illegitimacy in International Law (Oxford: Clarendon Press, 1999), 6.
[51] Vgl. IGH Statut, Artikel 57; siehe auch Hofmann, R. und Laubner, T., 'Article 57', in Zimmermann, A., Tomuschat, C. und Oellers-Frahm, K. (Hrsg.), The Statute of the International Court of Justice - a Commentary (Oxford: Oxford University Press, 2006). Für ein aktuelles Beispiel vgl. IGH, Oil Platforms (Iran v US), Sep. Op. Simma, ICJ Rep. 2003, 161, 324-325; vgl. auch Jouannet, E., 'Le Juge international face aux problèmes d'incohérence et d'instabilité du droit international', Revue générale de droit international public (2004), 929.
[52] Rawls, J., Political Liberalism (o. Fn. 50), 36-37; Rawls, J., Law of Peoples (o. Fn. 5), 172-173. Rationalität ist eine Voraussetzung für die Ordnung der internationalen Gesellschaft, ebd., 32.
[53] Rawls, J., Law of Peoples (o. Fn. 5), 5, 17, 62-63.
[54] Vgl. Dworkin, R., Law's Empire (o. Fn. 7), 239-240.
[55] Ders., 243.
[56] Altman, A., 'Legal Realism, Critical Legal Studies, and Dworkin, Philosophy and Public Affairs, 15 (1986); Waldron, J., 'Did Dworkin Ever Answer the Crisis?' in Hershovitz, S. (Hrsg.), Exploring Law's Empire: The Jurisprudence of Ronald Dworkin (Oxford: Oxford University Press, 2006), 155.
[57] Dworkin, R., Justice in Robes (Cambridge, Mass. und London: Belknap Press, 2006), 105; Dworkin, R., 'Response', in Hershovitz, S. (Hrsg.), Exploring Law's Empire (o. Fn. 56), 299 et seq.
[58] Vgl. Koskenniemi, M., From Apology to Utopia (o. Fn. 43), 8-50.
[59] IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, Gutachten, ICJ Rep. 1996, 266.
[60] IGH, Arrest Warrant (o. Fn. 30); Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Al-Adsani v UK (o. Fn. 32); UK, R v Bow Street Metropolitan Stipendary Magistrate ex parte Pinochet (No. 3), [2000] AC, 151.
[61] Dworkin, R., Justice in Robes (o. Fn. 57), 112, 116.
[62] Fastenrath, U., 'Relative Normativity' (o. Fn. 8), 339-340.
[63] Ähnlich Lowe, V., 'The Politics of Law-Making: Are the Method and Character of Norm Creation Changing?' in Byers, M. (Hrsg.), The Role of Law in International Politics (Oxford: Oxford University Press, 2000), 207-226, 215.
[64] Vgl. Pellet, A., 'Article 38' in The Statute of the International Court of Justice (o. Fn. 51).
[65] Dies erkannte auch der WTO Appellatte Body in seinem ersten Report an, vgl. US - Gasoline, WT/DS2/AB/R, III.B, 17; vgl. auch Pauwelyn, J., 'The Role of Public International Law in the WTO: How Far Can We Go?', American Journal of International Law, 95 (2001), m.w.N.
[66] Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, 23. Mai 1969, 1155 UNTS 331; bezüglich der Bedeutung dieser Vorschrift für den WTO Dispute Settlement Body beziehungsweise für den IGH, vgl. Abi-Saab, G., 'The Appellate Body and Treaty Interpretation' (o. Fn. 48), 462-464; Guillaume, G., 'Methods and Practice of Treaty Interpretation by the International Court of Justice' in The WTO at Ten (o. Fn. 48), 470-471.
[67] Fastenrath, U., 'Relative Normativity' (o. Fn. 8), 337.
[68] Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Jouannet, E., Le Juge international (o. Fn. 51), 943-944.
[69] Habermas, J., 'Bestialität Und Humanität. Ein Krieg an Der Grenze zwischen Recht und Moral' in Merkel, R. (Hrsg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht (Frankfurt: Suhrkamp, 2000), 51.
[70] Schweizerisches Zivilgesetzbuch, § 1 II: "Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.
[71] Koskenniemi, M., 'Constitutionalism as Mindset: Reflections on Kantian Themes about International Law and Globalization', Theoretical Inquiries in Law, 8 (2007), 32.
[72] Aber vgl. IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary v Slovakia), ICJ Rep. 1997, 83, welcher den Fall an die Parteien zurückverweist. Bis dato konnte diese Angelegenheit keiner Lösung zugeführt werden.
[73] Vgl. die Einführung der Ausschließlichen Wirtschaftszone in das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, 1833 UNTS 397, Art. 55 et seq., nach der gegenteiligen Entscheidung in Fisheries Jurisdiction, IGH, United Kingdom v Iceland and Germany v Iceland, ICJ Rep. 1974, 3, 175. Das Gericht bestätigte diese Entwicklung in Continental Shelf (Libyan Arab Jamahiriya/Malta), ICJ Rep. 1985, 33, Z. 34; vgl. diesbezüglich Schulte, C., Compliance with Decisions of the International Court of Justice (Oxford: Oxford University Press, 2004) 154-155.
[74] Aber vgl. Ginsburg, T., 'Bounded Discretion in International Judicial Lawmaking', Virginia Journal of International Law, 45 (2005), 635-637, welcher auf Shapiro, M., 'Judges as Liars', Harvard Journal of Law and Public Policy, 17 (1994) verweist, dem zufolge Gerichte dann "Lügner" sind, wenn sie ihre Entscheidungen so darlegen, wie es das geltende Recht erfordert.
[75] Für eine Kritik einiger Praktiken des Streitschlichtungsgremiums der Welthandelsorganisation vgl. Abi-Saab, G., 'The Appellate Body and Treaty Interpretation' (o. Fn. 48), 461-462.
Lábjegyzetek:
[1] Der Beitrag gibt nur meine eigene Auffassung wieder. Der Verfasser dankt Frau stud.jur. Elena-Josephine Woltaire für die Übersetzung aus dem Englischen. Die Verantwortung für alle Fehler liegt beim Verfasser. Der englischsprachige Original-Beitrag erschien unter dem Titel "International Adjudication" in: Besson, S., und Tasioulas, J., The Philosophy of International Law (Oxford: Oxford University Press, 2010), 207-224.
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