Der Blick auf die Rechtsprechung zu Dreiecksfällen hat gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht zur Lösung der Grundrechtskollisionsfälle die Figur der grundrechtlichen Schutzpflichen herangezogen hat.[1] Schon mit der Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch hatte die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts ihre endgültige dogmatische Form gefunden. Zwar ist in der Folgezeit noch viel dogmatische Feinarbeit geleistet worden, an der Grundstruktur hat sich aber nichts geändert. Im folgenden soll dieses dogmatische Konzept in Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007 - 1 BvR 1783/05 - untersucht werden.
Die Verfassungsbeschwerde eines Verlags richtet sich gegen das von der früheren Lebensgefährtin des Autors und deren Mutter erwirkte Verbot, das Buch "Esra" von Maxim Biller zu veröffentlichen, zu vertreiben und hierfür zu werben.
Der Roman "Esra", der im Frühjahr 2003 erschienen ist, erzählt die Liebesgeschichte von Adam und Esra, einem Schriftsteller und einer Schauspielerin. Die Liebesbeziehung zwischen den beiden Hauptfiguren spielt in München-Schwabing und wird über einen Zeitraum von etwa vier Jahren geschildert. Der Liebesbeziehung stellen sich Umstände aller Art in den Weg: Esras Familie, insbesondere ihre herrschsüchtige Mutter, Esras Tochter aus der ersten, gescheiterten Ehe, der Vater ihrer Tochter, und vor allem Esras passiver schicksalsergebener Charakter. Im Nachwort des Buches steht: "Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt."
Der Schriftsteller, Maxim Biller übermittelte jedoch ein Exemplar des Buches seiner Exfreundin, mit der Widmung: "Liebe A..., dieses Buch ist für Dich. Ich habe
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es nur für Dich geschrieben, aber ich verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind - und siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich geliebt habe. Maxim. Berlin, den 22.2.03."Daraus ist ganz eindeutig, dass der Autor von seiner Liebesbeziehung inspiriert worden war.
Die Romanfigur der Esra wird als eine von dem Willen ihrer Mutter abhängige, unselbständige Frau geschildert, die den "Fritz-Lang-Preis" für eine Filmrolle gewonnen hat. Die Beziehung zu dem Ich-Erzähler ist durch einen fortdauernden Wechsel von Zuneigung und Ablehnung und die enttäuschte Liebe des Ich-Erzählers gekennzeichnet. Sie ist deshalb zum Scheitern verurteilt, weil sich Esra nicht aus der Umklammerung durch ihre Mutter, ihre schwerkranke Tochter Ayla und den Vater ihrer Tochter lösen kann. Die Beziehung des Ich-Erzählers zur Romanfigur Esra wird auf verschiedenen Ebenen unter Brechung der Chronologie durch mehrfache Rückblenden und in zahlreichen Details geschildert. Davon umfasst sind auch Überlegungen Esras darüber, ihr zweites Kind abtreiben zu lassen, wozu es schließlich nicht kommt, weil sie dieses Kind anstelle ihrer todkranken Tochter haben möchte. Der Roman enthält an mehreren Stellen die Schilderung sexueller Handlungen zwischen Esra und dem Ich-Erzähler.
Esras Mutter, die Romanfigur Lale, die ein Hotel an der Ägäischen Küste in der Türkei besitzt und für ihre Umweltaktivitäten den "Karl-Gustav-Preis" erhalten hat, ist deutlich negativ gezeichnet, ihr wird wesentliche Verantwortung für das Scheitern der Beziehung zwischen Adam und Esra zugeschrieben.
Es gibt deutliche und markante Übereinstimmungen zwischen dem Lebenslauf der Exfreundin und ihrer Mutter und den im Roman geschilderten zwei Hauptfiguren. Billers Exfreundin ist Trägerin des Bundesfilmpreises 1989. Mit 17 Jahren heiratete sie und aus der Ehe stammt eine Tochter. Nach dem Scheitern dieser Ehe hatte sie über eineinhalb Jahre ein intimes Verhältnis mit dem Autor. Während dieser Beziehung ist ihre Tochter schwer erkrankt. Nach der Trennung vom Autor hatte sie über kurze Zeit eine weitere Beziehung mit einem ehemaligen Schulfreund. Aus dieser Beziehung, die zwischenzeitlich ebenfalls gescheitert ist, stammt ein Kind. Ihre Mutter ist Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2000 und Besitzerin eines Hotels in der Türkei.
Die Exfreundin und ihre Mutter reichten kurz nach Erscheinen des Romans, von dem bis dahin rund 4.000 Exemplare verkauft worden waren, beim Landgericht einen Unterlassungsanspruch ein. Das Landgericht hat dies gemäß §§ 1004, 823 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG als begründet gehalten. Der Verlag reicht gegen das Urteil des Landgerichts eine Berufung ein, die das Oberlandesgericht damit zurückwies, dass die Klägerinnen durch die Veröffentlichung des Romans in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt sind. Es bleibt beim Verbot des Buchs. Gegen das Urteil des Oberlandesgerichts reicht der Verlag eine Revision ein, die der Bundesgerichtshof zurückwies. Die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG grundrechtlich garantierte Kunstfreiheit muss hinter dem gemäß Art. 2 Abs. 1 GG ebenfalls grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen zurückzutreten. Der Verlag hat Verfassungsbeschwerde eingereicht und rügt unter anderem die Verletzung ihres Rechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.
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Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Zivilurteilen ist die Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts zunächst grundsätzlich auf den Maßstab der sog. Heckschen Formel[3] beschränkt. Das BVerfG hat nicht die Aufgabe, als eine Art Supertatsachen- und Superrevisionsinstanz die Tatsachenfeststellungen und die Rechtsanwendung durch die Fachgerichte zu überprüfen. Angesichts ohnehin zu beklagender chronischer Überlastung wären die mit jeweils 8 Richtern besetzten Senate hierzu schon kapazitätsmäßig gar nicht in der Lage.[4] Deshalb muss eine Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen auf eine mögliche Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt bleiben. Nach den sog. Hecksche Formel ist die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts und die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts allein Sache der Fachgerichte und der Überprüfung durch das BVerfG entzogen[5].
Nun liegt das Problem gerade darin, dass die Grenze zwischen dem einfachen Recht, dessen sich die anderen Gerichte annehmen sollen, und dem Verfassungsrecht, dessen Hüter das BVerfG ist, nicht vorgegeben ist. Die beständigste Formel zur Bestimmung des Spezifischen beim Begriff des spezifischen Verfassungsrechts lenkt die Kontrolle des BVerfG darauf, ob bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt wurde.[6]
Eine grundlegende Verkennung des Einflusses der Grundrechte oder allgemein des Verfassungsrechts liegt vor, wenn die einschlägige Verfassungsnorm übersehen oder grundsätzlich falsch angewendet worden ist und die gerichtliche Entscheidung darauf beruht. Die grundsätzlich falsche Anwendung kann sich darin zeigen, dass der Umfang eines grundrechtlichen Schutzbereichs, die Voraussetzungen des Vorliegens eines Eingriffs, die Anforderungen an die Rechtfertigung, besonders die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs, oder der Schutzzwecke einer grundrechtlichen Schutzpflicht grundsätzlich falsch gesehen wurden[7]. Ob eine gerichtliche Entscheidung eine solche falsche Anwendung erkennt, hängt entscheidend von der Sorgfalt der Überprüfung ab.
Das BVerfG stellt programmatisch auf die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab; je entscheidender eine gerichtliche Entscheidung grundrechtliche Freiheit und deren Betätigung verkürze, desto eingehender muss die verfassungsgerichtliche Prüfung sein.[8] Das BVerfG prüft dies bei Kommunikationsgrundrechten besonders eingehend.[9] Das heißt, es begnügt sich oftmals nicht mit dem sonst
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üblichen Maßstab der Heckschen Formel, sondern es greift zum Mittel der sogenannten intensiverten Nachprüfung.[10]
Im Fall Esra beginnt die Überprüfung von den zivilgerichtlichen Entscheidungen gemäß der Heckschen Formel mit der Frage, ob die angegriffene Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruht. Schließlich verschafft sich das Bundesverfassungsgericht jedoch eine umfassende Prüfungskompetenz, in dem es, bezogen auf die Intensität des Grundrechtseingriffs (wonach das Verbot eines Romans einen besonders starken Eingriff in die Kunstfreiheit darstellt) die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts überprüft.[11]
Im Fall Esra liegen erkennbar zwei Grundrechtsdreieckkonstellationen als Ausgangsituation vor. In beiden Fällen stehen zwei Grundrechtsträger mit gegensätzlichen Interessen der Staatsgewalt gegenüber. In den ersten Fallkonstellation gerät der Schutzanspruch der Exfreundin aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (das allgemeine Persönlichkeitsrecht) mit den Abwehransprüchen des Verlags aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 (Kunstfreiheit) in Konflikt. Die zweite Fallkonstellation sieht ähnlich aus: Dritter Beteiligter in diesem Rechtsdreieck bleibt der Verlag, der Ausgangspunkt der die Schutzpflicht auslösenden Gefahren ist, gleichwohl aber in seinem Abwehrrecht aus Art. 5 Abs. 3 A. 1 betroffen begründet; zweite Beteiligte ist hier die Mutter mit ihren Schutzanspruch aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Damit handelt es sich um ein mehrpoliges Verfassungsrechtsverhältnis, wo der Staat die gegensätzlichen Grundrechtspositionen auszugleichen und jeder angemessener Geltung zu verschaffen soll[12].
Dies ist an sich nichts besonders, da auch die Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Funktion spätestens auf der Ebene der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Beziehung zu anderen Schutzgütern oder sonstigen Zwecken gesetzt werden müssen, um die Verfassungsmäßigkeit eines Eingriffs bewerten zu können. Im Falle der Kunstfreiheit als vorbehaltlos gewährleistetem Grundrecht stellt sich der Konflikt zudem immer als Konflikt zwischen zwei unmittelbaren Verfassungsgütern dar. Diese Konstellationen entsprechen jedoch der typischen Dreieckskonstellationen staatlicher Schutzpflichten, da das unmittelbare grundrechtsgefährdende Verhalten eines Dritten aus Gründen der Schutzpflicht eingeschränkt wird. (Schutz durch Eingriff). Damit
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steht das immer wiederkehrende Grundproblem dieser Konstellation des Dreiecksverhältnisses auf die Tagesordnung: der einen Seite kann nur dadurch etwas gegeben werden, dass der anderen etwas genommen wird.
Im Fall Esra hat nicht der Staat, sondern eine Privatperson, namentlich der Autor des Romans in die Persönlichkeitsrechte seiner früheren Partnerin und ihrer Mutter eingegriffen. Das wirft die Frage auf, ob auch Privatpersonen an die Grundrechte gebunden sind. Eine derartige Geltung zwischen den in diesem Fall beeinträchtigten Privatpersonen wurde oben als das Problem der "Drittwirkung der Grundrechte" diskutiert und es wurde festgestellt, dass eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte abzulehnen ist. Allerdings versteht das Bundesverfassungsgericht spätestens seit seiner Lüth-Entscheidung die Grundrechte auch als eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Das Bundesverfassungsgericht knüpft auch in diesem Fall an seine Lüth Entscheidung an[13], um die Wirkung der Grundrechte im Verhältnis von Privaten zu begründen.
Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte zeigt sich in der weiteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere hinsichtlich der Schutzpflichtenperspektive der Grundrechte. Aus den objektiven Wertentscheidungen wurden die staatlichen Schutzpflichten hergeleitet, denen entsprechende Ansprüche der Grundrechtsinhaber korrespondieren. Infolgedessen ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Privatrechtsordnung so auszugestalten, sind die Gerichte verpflichtet, sie in einer Weise anzuwenden und auszulegen, wie es den grundrechtlichen Wertungen entspricht. Dabei verbleibt dem Staat, wie stets bei den Schutzpflichten, ein Gestaltungsspielraum. Privatpersonen sind somit zwar nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden, aber diese mediatisieren durch einfaches Gesetz das Verbot, Schutzgüter anderer zu verletzen. Die Schutzpflichten zeigen damit positive Wirkung für den Staat und negative Drittwirkung für den Privaten. Die Grundrechte sparen daher die Beziehungen zwischen den Bürgern grundsätzlich aus und halten Raum für das Privatrecht.
Daran hält sich das Bundesverfassungsgericht auch im Fall Esra, in dem es feststellt: auch wenn die Parteien in einem Zivilrechtsstreit, in dem es um den Konflikt von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht geht, um grundrechtlich geschützte Positionen streiten, handelt es sich um einen Rechtsstreit zwischen privaten Parteien, zu dessen Entscheidung in erster Linie die Zivilgerichte berufen sind.[14]
Im Fall Esra stellt die Veröffentlichung des Romans durch den Verlag keinen Grundrechtseingriff dar, weil die Grundrechte zwischen den Verlag und die
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Klägerinnen des Ausgangverfahrens nicht unmittelbar gelten. Folglich unterliegt der Verlag auch nicht dem grundrechtstypischen einseitigen Rechtfertigungszwang. Das Verbot des Romans durch Gerichte stellt allerdings einen besonders starken Eingriff in die Kunstfreiheit dar. Der abwehrrechtliche Gehalt des Grundrechts der Kunstfreiheit hat als Bewahranspruch eine ganz konkrete, spezifische und genau bezeichnete Bedeutung: er verlangt das Unterlassen des schon ergangenen Eingriffaktes, des Verbotes des Romans durch die Fachgerichte. Dieser Abwehranspruch des Verlags kollidiert mit den Schutzansprüchen aus dem gefährdeten Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
Bei der Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Exfreundin und der Mutter mit der Kunstfreiheit des Verlags, gerade wegen der vom Verlag ausgelösten Gefährdung, ist der Staat mit den Schutzansprüchen der Klägerinnen konfrontiert.
Ganz anders wie beim Abwehrrecht ist der Inhalt und die rechtliche Wirkungsweise grundrechtlicher Schutzpflichten schwer zu bestimmen. Die Schutzpflichten sind ihrem Inhalt nach unbestimmt und unspezifisch. Auch in diesem Fall wo Schutz mit einer Freiheitsbeschränkung Dritter einhergehen muss, sind die Schutzmaßnahmen nicht verfassungsmäßig genau vorgezeichnet, es besteht im Gegenteil sowohl hinsichtlich Art und Weise des Schutzes als auch hinsichtlich Intensität ein weiter Gestaltungs- und Ausgestaltungsspielraum. Die Rechtswirkung der Schutzpflicht ist somit als Grundsatzwirkung zu charakterisieren.[15] Die Schutzpflicht ist somit vollzugs- und umsetzungsbedürftig. Es stellt sich die Frage, wer die Schutzpflicht erfüllen muss und kann.
Die Literatur hält den Gesetzgeber für den vornehmlichen Adressaten und hält die Schutzpflicht grundsätzlich für gesetzmediatisiert. Die Schutzpflicht trifft gemäß Art. 1 Abs. 3 GG alle Gewalten als unmittelbar geltende Verpflichtung, sie schafft ihnen aber keine neuen Kompetenzen, so ist die Schutzpflicht funktions- bzw. gewaltenspezifisch umzusetzen. Ist Schutz ohne Beschränkung der Freiheitsrechte anderer nicht möglich, so schuldet diesen Schutz nur der Gesetzgeber durch Eingriffgesetze. Trifft die Schutzabsicht des Gesetzgebers auf vorbehaltlos formulierte Grundrechte, wie bei der Kunstfreiheit, kann er einschränkende Regelungen vornehmen, soweit die immanenten Schranken reichen.[16]
Die traditionelle zweiseitige Beziehung Bürger - eingreifender Staat ist in diesem Fall erweitert zum grundrechtlich fundierten Dreiecksverhältnis, in dem auch benannt wird, warum der Staat eingreift: Eingriff um des Schutzes willen. Es muss sichergestellt sein,
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dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, in diesen Rechten einen wirksamen Schutz erfahren. Deshalb greift der Staat auf private Klagen hin in die Kunstfreiheit ein, ohne dass dies eine staatliche "Kunstzensur" darstellen würde.[17] Damit wird der traditionell als Konflikt Staat-Bürger verstandene Fall bearbeitet werden, Grundrecht gegen Grundrecht, objektivrechtliche Schutzdimension gegen subjektive Abwehrdimension. Dieser Ansatz wirft die Folgefrage nach dem Verhältnis zwischen Schutzdimension und Eingriffabwehrdimension der Grundrechte auf. Im Bild des Dreieckverhältnisses gesprochen lässt sich fragen nach dem Verhältnis der Schutzseite und Eingriffsseite des Dreiecks.
In diesem Fall, in dem sich eigentlich zwei Grundrechtsträger als Konfliktparteien gegenüberstehen, muss der Staat als Grundrechtsadressat vermitteln. Das Bundesverfassungsgericht weist die Auflösung dieses mehrpoligen Spannungsverhältnisses in erster Linie dem Gesetzgeber zu, der die Konfliktlösung durch Benennung des Maßstabes und Bereitstellung von Lösungswegen vorzeichnen soll. Die Gesetzeslage berührt auch in diesen Fällen die Freiheitssphäre des Grundrechtsträgers noch nicht unmittelbar, weder beschneidet sie seinen tatsächlichen Freiheitsraum noch sichert sie ihn wirksam gegen Dritte. Die von ihm erwünschte Sicherheit wird aus seiner Sicht weniger von Gesetzen denn von im konkreten Fall handlungsfähigen Einrichtungen wie Gerichten repräsentiert. Die Wirksamkeit der grundrechtlichen Schutzpflicht erweist sich erst auf der Ebene ihrer Umsetzung durch Exekutive oder Jurisdiktion.[18]
Im Fall Esra zeichnet der Gesetzgeber keine Lösungswege vor. Grund dafür ist vor allem, dass die Kunstfreiheit keinem gesetzlichen Vorbehalt unterliegt. Zudem ist das zu schützende Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht im BGB zu unterscheiden. Damit sind die Zugrundelegung von Annahmen und Abwägungsregeln sowie die Abwägung innerhalb des den Entscheidungsträgern gewährten Einschätzungsspielraums auf die Gerichte geblieben. Die Fokussierung auf das judikative Handeln des Staates findet seine verfassungsprozessuale Bestätigung im Erfordernis einer Antragsbefugnis der Verfassungsbeschwerde. Demgemäß sind die Ergebnisse, die getroffenen Urteile der Zivilgerichte auf die Beschwerde des Verlags, der der Roman "Esra" veröffentlichte, verfassungsrechtlich vom Bundesgerichtshof überprüft worden.
Für die Abwägung zwischen Kunstfreiheit und allgemeine Persönlichkeitsrecht hat das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von einzelnen Abwägungs- und Kollisionsregeln entwickelt. In dieser Entscheidung werden unterschiedliche verfassungsdogmatische Kriterien parallel genannt. Die Abwägung erfolgt vor allem nach den
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genannten "Prinzip des schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen"[19] was praktisch die Herstellung praktischer Konkordanz im Sinne von Konrad Hesse bedeutet. [20]
Auch ohne ausdrückliche Erwähnung dieses Begriffs in den Fall Esra spielt das dahinter liegende Prinzip in dem Ausgleich beider Grundrechtsverbürgungen eine erhebliche Rolle. Hierbei geht es darum, eine Lösung zu finden, die Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, einen möglichst weitgehenden Persönlichkeitsschutz zu gewähren, ohne andererseits die Ausübung der Kunstfreiheit übermäßig einzuschränken. "In dieser Situation sind die staatlichen Gerichte den Grundrechten beider Seiten gleichermaßen verpflichtet."[21] Auch das Bundesverfassungsgericht prüft an dieser Stelle, "ob sie (die Gerichte) den Grundrechten von Künstlern und der durch das Kunstwerk Betroffenen gleichermaßen gerecht werden."[22] Lässt sich dies nicht erreichen, so ist unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltung und der besonderen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden, welche Interessen zurücktreten muss. Dieser Ausgleich geschieht durch eine materielle Abwägung nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit, ohne dass dabei von vornherein eine vorrangige Tendenz in die eine oder andere Richtung gegeben ist. Weitere Anknüpfungspunkte für den Ausgleich bringen einerseits die Schwere der Persönlichkeitsverletzung aber andererseits die überragende Bedeutung der Kunstfreiheit.
Die formelle Rechtsgrundlage, innerhalb derer die materiell-inhaltliche Abwägung zu treffen ist, ist die Grundrechtsprüfung des Bundesverfassungsgerichts. Der klassische dreistufige Aufbau der Grundrechtsprüfung mit den Argumentationsebenen des Schutzbereiches, des Grundrechtseingriffs und der verfassungsrechtlichen Eingriffsrechtfertigung soll in Schutzpflichtkonstellationen ergänzt werden. Es stellt sich die Frage, was für Strategien und Instrumente das Bundesverfassungsgericht bereit hält, um den Konflikt der staatlichen Schutzpflichten aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht mit dem Abwehranspruch aus der Kunstfreiheit zu lösen und wie sie sich mit dem klassischen Aufbau der Grundrechtsprüfung vereinbaren lassen?
Die Bemühungen in Rechtsprechung und Schrifttum, eine allgemeingültige Definition der Kunst zu entwickeln, waren bislang vergebens.[23] "Kunstwissenschaft und Rechtswissenschaft wandeln auf getrennten Straßen", konstatiert Ernst Beling
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1924[24]. Trotzdem muss das rechtsexogene Phänomen Kunst um seines Schutzes willen in rechtlichen Koordinaten erfasst werden.[25] Dabei muss jedoch akzeptieren, dass solche rechtserzeugten Schutzbereiche wie "Kunst" aber auch "Glaube", "Gewissen" oder "Wissenschaft"[26] verfassungsrechtlich nur unvollkommen umsetzbar sind. Zunehmend setzt sich die Einsicht durch, dass eine Definition gar nicht möglich ist.
Das Bundesverfassungsgericht war noch im Mephisto-Beschluss von der Definierbarkeit der Kunst ausgegangen. Später spricht das Gericht aber von der "Unmöglichkeit, Kunst generell zu definieren"[27]. Im Fall Esra betont das Gericht nur die Schwierigkeit, den Begriff Kunst abschließend zu definieren.[28] Dies hindert ihn aber nicht, zwei unterschiedliche Typen von "Kunst"- Begriffen heranzuziehen um damit zu beweisen, dass die Kunstwerkqualität des Romans nicht ernsthaft zweifelhaft sein kann. Es knüpft erstens an seine Mephisto-Entscheidung an in dem es feststellt, dass der Roman "Esra" ein Kunstwerk sei, nämlich eine freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur Anschauung gebracht werden.[29] Neben dem materiellen Kunstbegriff hat das Bundesverfassungsgericht die im Beschluss zum "Anachronistischen Zug" entwickelte formale Kunstdefinition angewendet, insoweit es das Kunstwerk einem bestimmten Werktyp zuordnet und an das Ergebnis (Kunstform des Romans) einer Tätigkeit (des Dichtens) anknüpft.[30]
Denn, wesentlicher Gegenstand des Rechtsstreits im Fall Esra das Ausmaß ist, in dem der Autor in seinem Werk existierende Personen schildert, ist, entnimmt das Gericht den Lösungen des Mephisto Beschluss in diesem Fall als tragfähig erachteten Gesichtspunkt, dass die Kunstform des Romans häufig unauflösbaren Verbindung von Anknüpfungen an die Wirklichkeit mit deren künstlerischer Gestaltung ist.[31] Das Bundesverfassungsgericht schreibt die Mephisto Rechtsprechung fort, in dem es diese unauflösbare Verbindung durch die Auslegung der Kunstfreiheit in rechtlichen Koordinaten zu erfassen versucht. Es stellt fest, dass die Gewährleistung der Kunstfreiheit verlangt, den Leser eines literarischen Werks für mündig zu halten, dieses von einer Meinungsäußerung zu unterscheiden und zwischen der Schilderung tatsächlicher Gegebenheiten und einer fiktiven Erzählung zu differenzieren.[32] Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, ist daher zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Die Vermutung für die Fiktionalität
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eines literarischen Textes gehört damit zu den Eigenarten des Romans als Kunstwerk. Diese Vermutung gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind.[33] Das Bundesverfassungsgericht präzisiert den Inhalt der Kunstfreiheit und stellt fest, dass die Kunstfreiheit in ihrer Ausformung das Recht des Dichtens zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit verbürgt.[34] Dabei muss es sich allerdings tatsächlich um Literatur handeln, ein fälschlicherweise als Roman etikettierter bloßer Sachbericht käme nicht in den Schutzbereich der Kunstfreiheit.
Vor diesem Hintergrund stellt das Gericht im Einzelfall fest, dass der Anspruch des Autors die Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten, deutlich ist und es bestünden auf künstlerischen Verfremdungen beruhende erhebliche Unterschiede zwischen den Romanfiguren und Handlungen einerseits und der Realität andererseits. Aus alledem ergebe sich, dass die Romanfiguren durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs so verselbständigt erschienen, dass das Individuelle, das Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figuren objektiviert sei. Der Autor habe daher - anders als es das Bundesverfassungsgericht bei Klaus Manns Mephisto-Roman attestiert hatte - kein Porträt der Klägerinnen als Urbilder gezeichnet. Der Bundesgerichtshof gehe zu Unrecht von einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung aus, er nehme unzutreffend an, es würden mit den beiden Romanfiguren keine Typen, sondern die Klägerinnen in ihrem sozialen Bezug dargestellt. Es ist nicht Sache staatlicher Gerichte, Qualitätsmaßstäbe zur Bestimmung hinreichender Verfremdung und damit des künstlerischen Schaffensprozesses zu definieren. Der weite Beurteilungsspielraum, den die Gerichte sich in diesem Punkt einräumten, gefährde die Kunstfreiheit erheblich.[35]
Der persönliche Schutzbereich muss ähnlich wie der sachliche Schutzbereich weit ausgelegt werden. Dass das Kunstschaffende selbst (sog. Werkbereich) Träger des Grundrechts der Kunstfreiheit ist, ist evident. Durch die Nachfolgeentscheidungen zum Mephisto Beschluss[36] ist aber deutlich geworden, dass neben dem Künstler auch die Personen, die das Kunstwerk der öffentlichkeit zugänglich machen (sog. Wirkbereich) vom Schutzbereich der Kunstfreiheit erfasst sind.
Im Fall Esra stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Kunstfreiheitsgarantie in gleicher Weise den "Werkbereich" und den "Wirkbereich" künstlerischen Schaffens betrifft. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks (Wirkbereich) sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen
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Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben.[37] Demgemäß kann sich auf dieses Grundrecht auch der Verlag berufen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 entwickelt worden. Es ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen.[38] Es wird nicht auf bestimmte Lebensbereiche begrenzt, sondern wird in allen Lebensbereichen relevant. Den Einzelnen schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht weniger mit seinem Verhalten als vielmehr in seiner Qualität als Subjekt wie die Menschenwürde.[39] Diesem ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonders hoher Rang beigemessen worden, das insbesondere für seinen Menschenwürdekern gilt.[40]
Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben.[41] Zu den anerkannten Inhalten gehören die verschiedenen Entfaltungsweisen des Subjekts. Sie gelten der Selbstbestimmung, Selbstbewahrung und Selbstdarstellung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausformung als Recht der Selbstdarstellung verbürgt im Fall Esra das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person. Es umschließt die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre mit Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind. Das Recht der Selbstdarstellung verbürgt aber als parallel zum Recht am eigenen Bild kein Recht am eigenen Lebensbild, wenn dies als Recht verstanden würde, nicht zum Vorbild einer Romanfigur zu werden.[42]
Im Fall Esra kommt der vom Bundesverfassungsgericht zum Recht der Selbstbewahrung entwickelten Sphärentheorie große Bedeutung zu. Diese Theorie unterscheidet zwischen einer der öffentlichen Gewalt verschlossenen Intimsphäre und einer Privatsphäre, in die unter strenger Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingegriffen werden darf.[43] Der Schutz der Intimsphäre wird vom Bundesgerichtshof als der Wesengehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen, wurde aber nie näher bestimmt. In diesem Fall stellt das Gericht jedoch fest, dass statt des Rechts der Selbstbewahrung, das Recht der Selbstdarstellung betroffen ist. Der Eindruck des Lesers, die Einzelheiten des Sexuallebens der Romanfigur Esra
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hätten sich auch im Leben der Exfreundin abgespielt, sei nicht zwingend und deshalb ist nicht die einer Güterabwägung unzugängliche Intimsphäre, sondern die persönlichkeitsrechtliche Fallgruppe der Verzerrung des Lebensbilds der Frau betroffen. Damit offenbare das Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine grundsätzlich unrichtige Anschauung vom Umfang des Schutzbereiches.[44]
Die Betroffenheit der Privatsphäre kommt soweit in Betracht, dass das Bundesverfassungsgericht den Schutz des Persönlichkeitsrechts auch auf die Beziehungen von Eltern zu ihren Kindern erstreckt hat.[45] Der Schutzbereich stellt es grundsätzlich jedem frei, wo und wie er sich zurückzieht und abschirmt und für sich seine Privatsphäre findet oder schafft; allerdings ist der Schutz der familiären Privatsphäre und vor allem von Kindern besonders stark.[46] Grund dafür ist, dass Kinder eines besonderen Schutzes bedürfen, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen. Der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, muss deswegen umfassender geschützt sein als derjenige Erwachsener Personen. Für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Soweit die Erziehung von ungestörten Beziehungen zu den Kindern abhängt, wirkt sich der besondere Grundrechtsschutz der Kinder nicht lediglich reflexartig zugunsten des Vaters und der Mutter aus. Vielmehr fällt auch die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern grundsätzlich in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfährt dann eine Verstärkung durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.
Trotzdem stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass das Oberlandesgericht mit der Einbeziehung der Darstellung der Krankheit der Romanfigur Ayla der Privatsphäre eine zu weitgehende Definition der Grenzen der Privatsphäre gefasst hat. Auch in diesem Falle ist das Recht der Selbstdarstellung berührt.[47]
Die sorgfältige Bestimmung der Schutzbereiche ist bei der inhaltlichen Konkretisierung der Schutzpflichten wichtig, denn was gar nicht in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, muss nicht durch einen Eingriff in das Grundrecht daran gehindert werden, mit Schutzansprüche zu kollidieren. Zugleich aber muss verhindert werden, dass die Schutzbereiche der vorbehaltlosen Grundrechte nur soweit reichen, wie es einer praktischen Konkordanz erfolgender Ausgleich mit kollidierenden anderen Grundrechen jeweils erlaubt. Das Defizit des Ansatzes der Schutzbereichsbegrenzung liegt gerade im Verlust der Bestimmtheit der Reichweite des Schutzbereichs.[48] Bei vorbehaltslosen Grundrechten, wie auch der Kunstfreiheit ist besonders zu beachten, dass zur Erhaltung des Axioms der Unbeschränkbarkeit nicht der sachliche Gewährleistungsbereich verkürzt werden darf.[49] Die Berufung des Bundesverfassungsgerichts
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klingt mit der Ausnahme des Beschlusses "Sprayer von Zürich"[50] gegen eine Begrenzung des Schutzbereiches der Kunstfreiheit durch kollidierendes Verfassungsrecht.[51]
Dem entspricht die Feststellung des Bundesverfassungsgericht im Fall Esra, dass die angegriffenen Urteile auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Kunstfreiheit beruhen. So sei in der von den Gerichten vorgenommenen Abwägung der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der beiden Klägerinnen überdehnt und dadurch der Schutzbereich der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin unzulässig einengt worden.[52]
Den klassischen Eingriffsbegriff eines unmittelbaren, normativen und finalen Einwirkens auf den Schutzbereich eines Freiheitsrechts lehnt das moderne Grundrechtsverständnis als zu eng ab. Der moderne Eingriffsbegriff wird auch auf mittelbare Maßnahmen, die den Grundrechtsträger erst über zwischengeschaltete dritte Private erreichen, erweitert.[53] Einen spezifischen Bedeutungsgehalt hat die Figur des Grundrechtseingriffs jedoch bewahrt, namentlich zwar die staatliche Handlungszurechnung.[54]
Im Fall Esra war der Anknüpfungspunkt der Grundrechtswirkung nicht ein staatliches, sondern ein privates Handeln. Ein privater Dritter, hier der Verlag veröffentlicht einen Roman, der andere Private, hier die Exfreundin des Autors und ihre Mutter in ihrem Persönlichkeitsrechten stört. Da Private eigenverantwortlich handeln, kann das Verhalten Privater im Regelfall, ohne dass besondere Umstände vorliegen, dem Staat nicht als Grundrechtseingriff zugerechnet werden.[55] Da das störende Verhalten dem sachlichen Schutzbereich der Kunstfreiheit unterfällt und der Störer sein Abwehrrecht für sich in Anspruch nehmen kann, soll seine für Störung oder auch nur drohende Störung (Gefährdung) der Freiheitssphäre der gefährdeten Grundrechtsträger[56] konsequent der Begriff vom Grundrechtsübergriff[57] verwandt werden.
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In diesem Sinne stellt der Umstand, dass durch den Prozess und durch die Presseberichterstattung über das Verfahren die Klägerinnen erkennbar machende Bezüge an die Öffentlichkeit gelangt sind, keinen Übergriff dar. Diese Umstände liegen außerhalb des Romans und können weder dem Autor noch dem Verlag zugerechnet werden.
Der Staat muss auf den Übergriff des Verlags jedoch reagieren, denn es muss sichergestellt sein, dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, ihre Rechte auch verteidigen können und in diesen Rechten einen wirksamen Schutz erfahren. Das gewählte Schutzinstrument war in diesem Fall der Schutz durch Eingriff, Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem Verbot des Romans. Das Verbot des Romans stellt allerdings einen besonders starken Eingriff in die Kunstfreiheit dar.
Bei der Auswahl des Schutzinstrumentes haben die Gerichte die Art und Ausmaß möglicher Gefahren und die Art und Schwere der Folgen des Übertritts berücksichtigt. Sie haben die Erkennbarkeit der Klägerinnen als Urbilder für den Roman angenommen und eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung wegen der nicht hinreichenden Verfremdung im Roman bejaht.[58]
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgericht war die Einschätzung der Gerichte überzogen. Schon die Erkennbarkeit in den Bekanntenkreis der Klägerinnen reiche für die individuelle Betroffenheit seit dem Mephisto Beschluss nicht aus. Zudem handelt es sich nur um die Möglichkeit einer schwerwiegenden Rechtsverletzung, soweit der Leser tatsächlich nicht erkennen kann, welche Teile des Romans Fiktion und welche Passagen Wahrheitsanspruch erhebende Mitteilungen über die Klägerinnen enthielten. Die Intimsphäre der Exfreundin konnte auch wenn sie gar betroffen gewesen wäre, nicht durch fiktive Schilderung von Verhalten, die es in der Realität nicht gegeben habe, verletzt werden können. Demgemäß gehen die Gerichte zu Unrecht von einer schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzung aus.
Die Freiheitsrechte des Grundgesetzes sind, wenn man dessen Text folgt, in unterschiedlichem Maße staatlicher Beschränkung unterworfen. Gewährleistungen mit einfachem und qualifiziertem Gesetzesvorbehalt[59] stehen Freiheiten gegenüber, bei denen in der Verfassung überhaupt keine gesetzlichen Einschränkungen vorgesehen sind.[60] Die Freiheit der Kunst gehört wie die Glaubens-, Gewissens- und
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Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG), die Wissenschaftsfreiheit (art. 5 Abs. 3 GG), die Versammlungsfreiheit in geschlossenen Räumen (Art. 8 Abs. 1 GG), die Freiheit der Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte (Art. 12 Abs. 1 GG), das Auslieferungsverbot, das Asylrecht (Art. 16 Abs. 2 GG) und das Petitionsrecht zu den ohne einen geschriebenen Schrankenvorbehalt gewährleisteten Grundrechten.[61] Nichts liegt näher, als daraus den Schluss zu ziehen, dass staatliche Eingriffe in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte schlechterdings unzulässig sind.[62] Im Verfassungsdiskurs dominiert spätestens seit den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts zur Kriegsdienstverweigerung durch Soldaten der Bundeswehr[63] und dem Mephisto Beschluss[64] eine ganz andere Auffassung.[65] Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 3 S. 1 besteht demnach nicht in absolut schrankenfreier Form. Strittig ist allerdings, welche Grundrechtsschranken der Kunstfreiheit gegenüber wirksam sind.
Der Hauptstreit um die Beschränkbarkeit der Kunstfreiheit bewegt sich um die Frage, ob der Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 auch auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 anzuwenden ist. Die sog. Schrankensleihe[66] scheidet im Fall des Vorbehalts der "allgemeinen Gesetze" aus systematischen Gründen aus, da er sich nur auf die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 beziehe, die Vorbehalte den "gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend" und des "Rechts der persönlichen Ehre" scheiden wegen der Spezialität der Meinungsfreiheit gegenüber Kunstfreiheit aus. Ein Rückgriff auf die Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 ist wegen der Subsidiarität der allgemeinen Handlungsfreiheit zur Spezialität der Einzelfreiheitsrechte unzulässig.[67] Zudem kennt der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes keine generell gültige Schrankensystematik. Stattdessen gilt für alle Grundrechte das Prinzip der konkreten Schrankenbestimmung, für jedes Grundrecht ist das Maß seiner zulässigen Beschränkbarkeit gesondert zu ermitteln.[68]
Schrankenlose Grundrechte kann es freilich nicht gegeben. Alle Freiheitsrechte sind in die staatliche Rechtsordnung eingebunden und lösen Sozialkontakt aus, damit stellt sich die Frage seiner Beschränkung. Das Bundesverfassungsgericht hat darum einen verfassungsimmanenten Schrankenvorbehalt[69] statuiert. Die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie seien nur von der Verfassung selbst zu bestimmen, eine Rechtfertigung könne insofern nur durch kollidierendes Verfassungsrecht erfolgen. Nur kollidierende Grundrechte Dritter (Beschränkung durch Grundrechtskollision) und andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang[70] können die Kunstfreiheit wirksam ein
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schränken. Die Akzentuierung der Verfassungsrangigkeit der kollidierenden Rechtsposition verhindert, dass die Kunstfreiheit durch die einfachgesetzliche Rechtsordnung relativiert wird.[71]
Die Schrankenfrage lässt sich auch nicht dadurch entschärfen, dass man dem Wirkbereich minder starken Schutz einräumt und stärkeren Beschränkungen unterwirft als den Werkbereich.[72]
Konflikte zwischen der Kunstfreiheit einerseits und anderen durch Verfassungsbestimmungen geschützten wesentlichen Rechtsgütern bzw. obersten Grundwerten der Verfassung müssten nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems[73] durch Verfassungsauslegung und unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles gelöst
werden.[74]
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Linie im Fall "Josefine Mutzenbacher" weitergeführt, indem es für die Gewichtung der Kunstfreiheit ebenfalls auf den konkreten Einzelfall abstellt. Danach sind der Grad der Außenwirkung der umstrittenen Handlung und die Stärke des Kunstbezugs die Basis für eventuelle Einschränkungen der Kunstfreiheit.[75]
Mit der Anerkennung verfassungsimmanenter Schranken als ungeschriebene Eingriffsvorbehalte ist noch nichts darüber gesagt, ob es sich dabei auch um einen Gesetzvorbehalt handelt. Es stellt sich die Frage, ob die Schutzpflichten unmittelbare
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Eingriffstitel auch der Exekutive oder der Fachgerichte darstellen, die unter Berufung auf die Bindungswirkung grundrechtlicher Schutzpflichten, ein Dazwischentreten des Gesetzgebers entbehrlich machen.[76]
Aus den einschlägigen Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts[77] ergibt sich nicht, dass die Schutzdimension der Grundrechte die grundrechtliche Freiheitsdimension anderer verfassungsunmittelbar einschränken würde. Vielmehr geht das Gericht von einer dem Rechtstaatprinzip[78] und Demokratieprinzip[79] entsprechenden Differenzierung der Schutzpflicht gerade durch den Gesetzgeber aus.[80] Ein Totalvorbehalt des Gesetzes hat das Bundesverfassungsgericht jedoch abgelehnt.[81] Gewisse Entscheidungen kann der Gesetzgeber durch Generalklauseln der Verwaltung überlassen (Frage der Regelungsdichte). Für ein verfassungsunmittelbares Moratorium hingegen, das die Fachgerichte nur zu erkennen hätten, gibt die Verfassungsjudikatur nichts her.[82]
Im Schrifttum herrscht die Auffassung, dass Eingriffe auf der Grundlage verfassungsimmanenter Schranken nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen dürfen.[83] Es kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die vorbehaltslosen Grundrechte einem besonderen Schutz unterliegen, deshalb wäre widersinnig, sie in diesem Punkt hinter die übrigen Grundrechte zurückfallen lassen. Freilich sollte nicht übersehen werden, dass das Grundgesetz auch die seltene Figur verfassungsunmittelbarer Schranken kennt. Art. 13 Abs. 7 Satz 1GG lässt den Abwehr einer akuten gemeinen Gefahr oder Lebensgefahr gegebenenfalls auch ohne gesetzliche Grundlage zu. Es spricht manches dafür, diesen Gedanken auf vorbehaltslose Grundrechte zu übertragen.[84]
Im Fall Esra knüpft das Bundesverfassungsgericht an seinem Mephisto Beschluss wie etwa an dem Beschluss zum Anachronistischen Zug und stellt fest, dass die Kunstfreiheit zwar nicht mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen ist, sie ist trotzdem nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen unmittel-bar[85] in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung
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des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen. Dies gilt auch für das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht, der als Schranke für künstlerische Darstellungen in Betracht kommt. (Esra)
In diesem Fall stützen die Gerichte die Grundrechtsbeschränkung auf die Generalklausel des § 823 Abs. 1 BGB[86]. Nun wird der Eingriff mittelbar, durch ein Parlamentgesetz legitimiert.
VERFASSUNGSIMMANENTE GRUNDRECHTSSCHRANKE Die Kunstfreiheitsgarantie kann mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht in Konflikt geraten, weil ein Kunstwerk auch auf der sozialen Ebene Wirkungen entfaltet.[87] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt damit als verfassungsimmanente Grundrechtsschranke der Kunstfreiheit.
Die maßgebenden Grundsätze zur Lösung des Konflikts hat das Bundesverfassungsgericht im Mephisto Urteil aufgestellt, in dem es feststellt, dass der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen ebenso wenig der Kunstfreiheit übergeordnet wie sich die Kunst ohne weiteres über den allgemeinen Achtungsanspruch des Menschen hinwegsetzen darf.[88]
Im Konflikt mit anderen Grundrechtspositionen kommt daher der Kunstfreiheit kein absoluter Vorrang zu. Umgekehrt genießt auch der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts keinen generellen Vorrang gegenüber dem Recht aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG, es muss in Konkordanz zu diesen Grundrechten gebracht werden. Soweit das allgemeine Persönlichkeitsrecht allerdings unmittelbarer Ausfluss der Menschenwürde ist, wirkt diese Schranke absolut ohne die Möglichkeit eines Güterausgleichs. Bei Eingriffen in diesen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre liegt immer eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes vor, die nach der Rechtsprechung[89] durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht mehr gedeckt ist.[90]
In diesen Fällen einer "echten", weil unvermeidlichen Grundrechtskollision muss es bei dem im Mephisto Beschluss vorgezeichneten Lösungsweg folgen. Die hiernach erforderliche Abwägungsentscheidung sei im Einzelfall danach zu treffen, ob und inwieweit das Abbild (Figur Mephisto) gegenüber dem Urbild (Schauspieler Gustaf Gründgens) durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheinen, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figur objektiviert ist. Ergebe sich bei dieser, das Kunstspezifische
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berücksichtigenden Betrachtung, dass der Künstler ein Porträt des Urbildes gezeichnet habe oder gar zeichnen wollte, so komme es auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der Verfälschung für den Ruf des Betroffenen an.[91]
Den methodisch richtigeren und genaueren Ansatz bildet jedoch, dem Wesen der Grundrechtskollision und ihrer Lösung gemäß, nicht das Prinzip der Güterabwägung, sondern das Prinzip des verhältnismäßigen Ausgleichs.[92]
Im Fall Esra sind die Exfreundin (Figur Esra) und ihre Mutter (Figur Lale) nicht so geringfügig betroffen, dass ihr Persönlichkeitsrecht von vornherein hinter der Kunstfreiheit zurücktreten müsste. Den Romanfiguren, als deren Vorbild sie erkennbar sind, werden Handlungen und Eigenschaften zugeschrieben, die, wenn der Leser sie auf die Klägerinnen beziehen kann, geeignet sind, ihr Persönlichkeitsrecht erheblich zu beeinträchtigen. Allerdings zieht die Kunstfreiheit ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen. Das gilt im Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht auch deshalb, weil die Durchsetzung dieses Rechts gegenüber der Kunstfreiheit geeignet ist, der künstlerischen Freiheit inhaltliche Grenzen zu setzen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht öffentliche Kritik und die Diskussion von für die öffentlichkeit und Gesellschaft wichtigen Themen unterbunden werden.[93]
Beide konkret betroffenen und in Widerstreit stehenden Grundrechtspositionen können sich nicht gleichermaßen durchsetzen. Vielmehr kann die Abwägung dazu führen, dass eine Position zurücktreten muss. Es bedarf daher der Klärung, ob die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten muss. Eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. Lässt sich freilich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden.[94]
Bei der Beurteilung der Frage nach der Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts muss insbesondere das konkrete Gefährdungspotenzial des Romans auf der einen und sein künstlerisches Konzept auf der anderen Seite berücksichtigt werden.[95]
Zu den Spezifika erzählender Kunstformen wie dem Roman gehört, dass sie regelmäßig an die Realität anknüpfen, der Künstler dabei aber eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Die künstlerische Darstellung kann nicht am Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen
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werden. Das bedeutet, dass die Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben kann, sondern auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen muss. Dabei muss die vom Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung ausgearbeitete Vermutung über die Fiktionalität eines literarischen Textes und das Recht des Künstlers zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit, beachten.
Die Entscheidung darüber, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, kann daher nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden. Dabei ist, nach den Lösungsansätzen der Mephisto Entscheidung, zu beachten, ob und inwieweit das "Abbild" gegenüber dem "Urbild" durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der "Figur" objektiviert ist. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen. Damit besteht zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts eine Wechselbeziehung.[96]
Nach diesen Maßstäben hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Gerichte den Anforderungen der Freiheit der Kunst nur teilweise gerecht geworden sind, weil sie den Klagen beider Klägerinnen uneingeschränkt stattgegeben haben, obwohl diese hinsichtlich der Abwägung zwischen Freiheit der Kunst und Persönlichkeitsrecht deutliche Unterschiede aufweisen.[97] In diesem Fall haben wir mit zwei Dreieckskonstellationen zu tun, demgemäß muss man anders abwägen.
In der zweiten Grundrechtsdreieckkonstellation sehen die Gerichte eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung darin, dass die Romanfigur Lale sehr negativ gezeichnet ist. Lale spielt eine wichtige Rolle im Gesamtgefüge des Romans.[98] Der Autor schildert ihre Lebensgeschichte anders als bei Esra ganz überwiegend nicht aus eigenem Erleben, sondern durch Wiedergabe fremder Erzählungen, Gerüchte und Eindrücke. Ein solches Verständnis des Rechts am eigenen Lebensbild, welches die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den negativen Zügen der Romanfigur andererseits sieht, würde der Kunstfreiheit nicht gerecht.[99]
In der ersten Grundrechtsdreieckkonstellation dagegen ist die Exfreundin des Autors nicht nur, wie die Gerichte zutreffend festgestellt haben, in der Romanfigur der Esra erkennbar dargestellt. Vielmehr wird gerade durch die aus dem Autor unmittelbar
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Erlebtem stammende, realistische und detaillierte Erzählung der Geschehnisse ihr Persönlichkeitsrecht besonders schwer betroffen.[100] Dies geschieht insbesondere durch die genaue Schilderung intimster Details einer Frau, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist. Hierin liegt eine Verletzung ihrer Intimsphäre und damit eines Bereichs des Persönlichkeitsrechts, der zu dessen Menschenwürdekern gehört.[101] Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat in solchen Fällen, wenn durch die betreffende Darstellung die Menschenwürde eines anderen angetastet wird, absolute Vorrangigkeit vor Kunstfreiheit. Dieser Angriff auf die Menschenwürde als Ausgleichsmaßstab für die zwischen den betroffenen Grundrechten vorzunehmende Abwägung kann auch als die Berücksichtigung der Wesengehaltsgarantie angenommen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat auf dieser Seite des von den Schutzmaßnahmen in seiner Intimsphäre Betroffenen auch das Kriterium der Zumutbarkeit hingezogen, in dem es festgestellt hat, dass die eindeutig als Esra erkennbar gemachte Exfreundin des Autors nicht hinnehmen muss, dass sich Leser die Frage stellen, ob sich die im Roman berichteten Geschehnisse auch in der Realität zugetragen haben.[102]
Durch die Schilderung der tatsächlich bestehenden lebensbedrohlichen Krankheit der Tochter besteht eine schwere Verletzung der Privatsphäre der Mutter einerseits, andererseits hat angesichts des besonderen Schutzes von Kindern und der MutterKind-Beziehung die Darstellung der Krankheit und der dadurch gekennzeichneten Beziehung von Mutter und Kind bei zwei eindeutig identifizierbaren Personen in der Öffentlichkeit nichts zu suchen.
Als verfassungsrechtliches Kriterium, mit dem der Ausgleich zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen beurteilt werden kann, ist auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip herangezogen werden. Die Figur des Untermaßverbotes wird in der Literatur seit dem zweiten Fristenregelungsurteil regelmäßig zur Lösung von Schutzpflichtenfallen herangezogen. Dennoch besteht vielfach Skepsis, ob dieser, die Grenzen des staatlichen Gestaltungsspielraumes bei der Erfüllung von Schutzpflichten markierende Maßstab nutzbare Beurteilungskriterien liefern kann.[103] Eine grundlegende Kritik, die in dieser Arbeit vertreten wird, spricht dem Untermaßverbot eine eigenständige Qualität ab und nimmt eine vollständige Kongruenz von Untermaß-und Übermaßverbot zumindest in Dreiecksverhältnissen an. Zwischen Mindest- und Höchstmaß des Schutzes gebe es keine Spanne, ein schonender Ausgleich zwischen Abwehranspruch und Schutzanspruch ist jeweils nur in einem Punkt möglich.[104]
Die Annahme der Gerichte, je schwerwiegender die Folgen der Störung für ein Schutzgut sind, desto geringer sind die Anforderungen für einen schutzpflichtenrealisierenden Eingriff in das Störergrundrecht, ist richtig. Trotzdem muss man danach fragen, ob kein milderes Mittel gleicher Effektivität, das den Störer weniger belastet, zur Verfügung steht.
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Mit der Änderung des Romans durch die Streichung der unwahren Eindrücke erweckenden Romanpassage im Falle der Mutter, könnten Rechtsverletzungen zukünftig vermeiden werden.[105]
Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, bestimmte Streichungen oder Abänderungen vorzunehmen, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen, allerdings erfordert die Kunstfreiheit, dass die Kennzeichnung der Persönlichkeitsrechtsverletzung so konkret ist, dass Autor und Verlag erschließen können, wie sie den Mangel beseitigen können. So hätten die Gerichte begründen müssen, durch welche unwahren Tatsachenbehauptungen das Selbstdarstellungsrecht der Mutter in rechtswidriger Weise verletzt worden ist. Das Unterlassen der Gerichte, eine Trennlinie zwischen erlaubten und rechtsverletzenden Romanpassagen nachvollziehbar darzustellen, verletzt das Grundrecht auf Kunstfreiheit. Das Gesamtverbot ist in dieser Grundrechtsdreieckkonstellation unverhältnismäßig, weil nicht erforderlich. Im Falle der Exfreundin ist die Kennzeichnung der Persönlichkeitsrechtsverletzung konkret genug, um nicht unverhältnismäßig zu sein. Trotzdem bleibt es beim Gesamtverbot, damit das Bundesverfassungsgericht den Weg zeigt, wie durch Änderungen, die die Identifizierbarkeit verringern oder durch den Wegfall persönlichkeitsrechtsverletzender Teile einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen ist.[106]
Schon seit 1971 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit Fällen befasst, in denen die Kunstfreiheit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht kollidierte. Diese gewinnen immer besondere Aufmerksamkeit. Das Mephisto-Urteil[107] gilt als das bekannteste "Literatur-Prozess" der deutschen Nachkriegsgeschichte, das über die Definition von "Kunst" hinaus grundlegende Aussagen zum Schutzbereich und zu den Schranken der Kunstfreiheit sowie zum Verhältnis der Kunstfreiheit zu anderen Grundrechten Aussagen enthält. Die im Mephisto-Beschluss erörterten grundlegenden Fragen in Bezug auf Inhalt und Schranken der Kunstfreiheit sind in den Beschlüssen der "Post-Mephisto-Ära", wie etwa dem Beschluss zum "Anachronistischen Zug"[108], dem "Karikatur-Beschluss"[109], dem Beschluss zum "Herrnburger Bericht"[110], dem "Bundesflagge"-Beschluss[111] oder dem Beschluss in der Sache "Josefine Mutzenbacher"[112] bestätigt und weiterentwickelt worden. Das "Esra" Urteil
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wirkt ebenfalls an der Fortschreibung der "Mephisto"-Rechtsprechung. Es wird darin das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ausdrücklich als Gewährleistungsinhalt der Kunstfreiheit namhaft gemacht. Auch das Gebot der kunstspezifischen Betrachtung wird mit einer Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes ergänzt.
Die formelle Rechtsgrundlage, innerhalb dessen die materielle Abwägunng getroffen war, war die Grundrechtsprüfung des Bundesverfassungsgerichts. Es hat bei der Prüfung der angegriffenen Entscheidungen sowohl danach gefragt, ob der gerichtliche Verbot eines Romans als besonders starkem Eingriff in die Kunstfreiheit den abwehrrechtlichen Anforderungen Genüge getan hat, als auch danach, ob die Gerichte hinsichtlich ihren grundrechtlichen Verpflichtung zum Schutz vor Übergriffen durch Dritte das erforderliche getan haben. Den Grundrechtskonflikt löst das Bundesverfassungsgericht mit den Grundsätzen für Dreieckskonstellationen (oder Drittwirkungskonstellationen, oder mehrpolige Rechtsverhältnisse). Es hat die betroffenen Grundrechtspositionen einander gegenübergestellt und eine Lösung gefunden, die den Anforderungen an die Herstellung praktischer Konkordanz genügt.■
JEGYZETEK
[1] Zakariás, Kinga: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtswirkung im Privatrecht. Iustum Aequum Salutare V. 2009/4, 147-166.
[2] BVerfGE 119, 1, (2 ff.)
[3] Entwickelt in BVerfGE 18, 85 (92 f.)
[4] Pieroth Bodo - Schlink Bernhard: Grundrechte. Staatsrecht II. Heidelberg: C. F. Müller, 2004, 308-310.
[5] BVerfGE 18, 85 (92)
[6] BVerfGE 89, 276 (285)
[7] BVerfGE 85, 248 (258); 89, 276 (286); 95, 96 (128)
[8] BVerfGE 61, 1 (6); 75, 302 (314)
[9] BVerfGE 75, 369 (376); 81, 278 (289 f); 82, 236 (259 f); 84, 203 (210 f)
[10] In diesem Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts wird eine Überschreitung seiner Prüfungkompetenz gesehen, da es so bei Urteilverfassungsbeschwerden nicht nur verfassungsspezifische Grundrechtsverletzungen, sondern zum Teil auch die von Fachgerichten vorgenommenen Deutungen und Wertungen überprüft sowie durch eigene ersetzt. Gosche Anna: Das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz in der fragmentierten Öffentlichkeit. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 2008, 60.
[11] BVerfGE 119, 1, (22)
[12] BVerfGE 92, 26 (46)
[13] BVerfGE 119, 1 (21)
[14] BVerfGE 119, 1 (22)
[15]Wahl Rainer - Masing Johannes: Schutz durch Eingriff. Juristen Zeitung 1990/12, 558.
[16] Auch in diesem Fall muss die Eingriffseite den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts Genüge tun. Vgl. Pieroth-Schlink Rn. 380.
[17] BVerfGe 119, 1 (23)
[18] Krings Günter: Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche. Berlin: Dunker&Humblot, 2003, 243.
[19] BVerfGE 39, 1 (43)
[20] Hesse, Konrad: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg: 1995, 317.
[21] BVerfGE 119, 1 (23)
[22] BVerfGE 119, 1 (23)
[23] Pieroth-Schlink 153. Rn. 610.
[24]Beling Ernst: Kunstfreiheit und Rechtsbann. In: Festschrift für Heinrich Wölfflin: Beiträge zur Kunst und Geistesgeschichte. München: 1924, 19.
[25]Sachs Michael - Battis Ulrich (Hrsg.): Grundgesetz: Kommentar. München: Beck, 2003, 347. Rn. 182.
[26]Denninger, Ernhard: Freiheit der Kunst. In: Isensee, Josef - Kirchhof, Paul (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg: Müller Juristischer Verlag, 2000. (HStR)VI. § 146. 854. Rn. 9.
[27] BVerfGE 67, 213 (225)
[28] BVerfGE 119, 1 (20)
[29] BVerfGE 119, 1 (20 f.)
[30] BVerfGE 119, 1 (21)
[31] BVerfGE 119, 1 (21)
[32] BVerfGE 119, 1 (28)
[33] BVerfGE 119, 1 (28)
[34] BVerfGE 119, 1 (28)
[35] BVerfGE 119, 1 (14)
[36] vor allem BVerfGE 36, 321 (331)
[37] BVerfGE 119, 1 (21)
[38] BVerfGE 119, 1 (23)
Pieroth-Schlink 88. Rn. 373.
[40] BVerfGE 119, 1 (23)
[41] BVerfGE 119, 1 (24)
[42] BVerfGE 119, 1 (24)
[43] BVerfGE 6, 32 (41); 38, 312 (320)
[44] BVerfGE 119, 1 (15)
[45] BVerfGE 119, 1 (24)
[46] Pieroth-Schlink 89. Rn. 376.
[47] BVerfGE 119, 1 (16)
[48] Pieroth-Schlink 74. Rn. 320f.
[49] Sachs348. Rn. 188.
[50] Das Bundesverfassungsgericht hat nur diesmal, ohne dies in seiner übrigen Rechtsprechung zu wiederholen und zu vertiefen, im Hinblick auf den Konflikt zwischen Kunst- und Eigentumsfreiheit ausgeführt, dass der Schutzbereich der Kunstfreiheit umfasse von vornherein nicht den Zugriff auf fremdes Eigentum (verfassungsimmanente Schutzbereichsbegrenzung).
[51] Überwiegend werden Kollisionen zwischen verschiedenen Grundrechten nicht auf Schutzbereichs-, sondern erst auf Rechtfertigungsebene gelöst (verfassungsimmanente Schranken)
[52] BVerfGE 119, 1 (12)
[53]Pieroth-Schlink 58. Rn. 239 f.
[54]Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht. Pieroth-Schlink 58. Rn. 240
[55]Krings 27.
[56] Die Umschreibung der Schutzpflichtenkonstellationen im Sinne der im Polizeirecht etablierten Nomenklatur Staat - opfer - Störer wird gerade wegen des Grundrechtsträgerschaft des Störers nicht akzeptiert. Der Störer wird in Folge des staatlichen Reaktion auf diese Störung selbst Opfer.
[57] Dieser Komplementärbegriff zum "Eingriff' wird aus Schrifttum übernommen, das Bundesverfassungsgericht gebraucht dieser Terminus weder im Fall Esra noch in anderen Entscheidungen. Das Bundesverfassungsgericht gebraucht den Terminus "Eingriff" in diesem Entscheidung sowohl für staatliche, als auch für Ingerenzen von seiten Dritter.
[58] BVerfGE 119, 1 (25)
[59] Der Normalfall der Grundrechtsdogmatik ist das Grundrecht unter Gesetzesvorbehalt. Die Mehrzahl der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte macht die Zulässigkeit von Eingriffen lediglich von dem Vorliegen eines Gesetzes abhängig (einfache Gesetzesvorbehalt), andere hingegen stellen zusätzlich bestimmte inhaltliche oder formale Anforderungen an das Gesetz bzw. den Eingriff (qualifizierte Gesetzvorbehalt).
[60] Hase, Friedhelm: Freiheit ohne Grenzen. In: Otto Depnheuer (Hrsg.): Staat im Wort. Festschrift für Josef Isensee. Heidelberg: C. F. Müller, 2007, 549.
[61] Isensee-Kirchof: HbdSR VI. § 146. Rn. 38
[62] Pieroth-Schlink Rn. 252ff, 259.
[63] BVerfGE 28, 243 aus 1970
[64] BVerfGE 30, 173 aus 1971
[65] Isensee Josef: Das staatliche Gewaltmonopol als Grundlage und grenze der Grundrechte. In : Everhardt Franben (Hrsg.): Festschrift für Horst Sendler. München: C. H. Beck, 1991. 39, 56 ff.
[66] Graf, Sebastian: Grundfälle zu den allgemeinen Grundrechtslehren. Juristische Schulung 2009/2.123
[67] BVerfGE 30, 173 (192)
Maunz, Theodor - Dürig, Günter: Grundgesetz Kommentar. München: C. H. Beck, 1988. 126. Rn. 56
[69] Diese kann man auch als ungeschriebene qualifizierte Vorbehalt bezeichnet werden.
[70] namentlich der Bestand der Bundesrepublik und die freiheitliche demokratische Grundordnung
[71] Sachs 351. Rn. 198.
[72] "Da die Kunstfreiheit um des künstlerischen Schaffens willen gewährleistet wird, demgegenüber die Vermittlung des Kunstwerks dienende Funktion hat, entspricht es allerdings den Wertvorstellungen des Verfassungsgebers, den Werkbereich, die eigentliche Kunstschöpfung, grundsätzlich für weniger einschränkbar zu halten als die ebenfalls notwendige Kommunikation zwischen dem Künstler und der Außenwelt. Die eigentliche Kunstschöpfung ist zudem von der Natur der Sache her regelmäßig weniger geeignet, die Rechte Dritter oder andere bedeutende Rechtsgüter zu beeinträchtigen als die Vermittlung des Kunstwerks, die zwangsläufig Außenwirkung beansprucht. Daraus lässt sich allerdings nicht eine nach Werk- und Wirkbereich trennende Stufentheorie für die Einschränkung der Kunstfreiheit in dem Sinne entwickeln, dass für den Werkbereich ausschließlich die verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter als Schranken heranzuziehen sind, für den Wirkbereich dagegen die allgemeine Rechtsordnung maßgeblich ist, die nicht auf grundgesetzlich geschützte Rechtsgüter zurückgeführt werden muss, sondern sich mit der Privilegienfeindlichkeit der demokratischen Rechtsordnung begründen lässt." BVerfGE in: NJW 1988, S. 325 (326) Anders die Wertung Würkners, nach dem diese Ausführungen die besonders schutzbedürftige kommunikative Achtsphäre des Wirkbereichs zu einer "Freiheit zweiter Klasse" herabmindert. Denninger 875. Rn. 44. Anders auch Dürig, nach deren Meinung, gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Beschränkungen im Werkbereich überhaupt nur in Ausnahmefällen möglich sind, Beschränkungen im Wirkbereich sind dagegen nach Maßgabe der verfassungsimmanenten Schrankenvorbehalt statthaft. Maunz-Dürig 130-132. Rn. 65
[73] Die Grundsätze der Grundrechtskollision und der Einheit der Verfassung bzw. entsprechend systematischer Grundrechtsbeschränkung führen mittelbar und teilweise zur Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 zurück. Siehe Maunz-Dürig 126-128. Rn. 57
[74] BVerfGE 30, 173 (193, 196)
[75] BVerGE 83, 130 (148)
[77] BVerGE 39, 1; 46, 160; 53, 30; 56, 54
[78] Insoweit der Gesetzesvorbehalt die Gesetzesbindung von Verwaltung und Judikative (Vorrang des Gesetzes) durch eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Parlamentgesetzgebung notwendig ergänzt und dadurch die Freiheit des einzelnen sichert. BVerfGE 40, 237 (248ff.)
[79] Insoweit der Gesetzesvorbehalt gebietet, dass jede Ordnung eines Lebensbereichs durch Sätze objektiven Rechts auf eine Willentscheidung des Volkes zurückgeführt werden muss. BVerfGE 40, 237 (248ff.)
[80] Alle "grundsätzlichen", "grundlegenden" oder "wesentlichen" Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen, vom Gesetzgeber selbst entschieden und geregelt werden müssen (Wesentlichkeitstheorie) BVerfGE 47, 46 (78 f.)
[81] BVerfGE 49, 89
Wahl-Masing 557
[83] Dreier, Horst (Hrsg.): Grundgesetz: Präambel, Artikel 1-19. Tübingen: Mohr Siebeck, 2004. 224.
[84] Graf 124.
[85] Die Entscheidungen sagen nichts darüber, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht unmittelbare Eingriffstitel der Fachgerichte darstelle, ganz im Gegenteil beruht der Schutz der Persönlichkeit auf der Grundlage der durch die Wertentscheidungen in Art. 1 und Art. 2 GG ausgefühlten Generalklausel des § 823 Abs. 1 BGB. BVerfGE 30, 173 (180) Hier geht es um die verfassungsrechtlichen Ausstrahlungswirkungen bei der anwendung bürgerlich-rechtlicher Normen. BVerfGE 30, 173 (188)
[86] Durch diese hat sich das vom Gesetzgeber des BGB noch abgelehnte allgemeine Persönlichkeitsrecht, noch ehe es als Grundrecht anerkannt war, in der Weise durchgesetzt, das es als sonstiges Recht gilt und im Falle seiner Verletzung entgegen § 253 BGB Geldentschädigung verlangt erden kann. Pieroth/Schlink Rn. 378
[87] BVerfGE 30, 173 (193)
[88] BVerfGE 30, 173 (193)
[89] BVerfGE 67, 213 (228); 75, 369 (380)
[90] Sachs 352. Rn. 198 b
[91] BVerfGE 30, 173 (195 )
[92] Maunz-Dürig 131-132. Rn. 66.
[93] BVerfGE 119, 1 (26)
[94] BVerfGE 119, 1 (27)
[95] BVerfGE 119, 1 (27)
[96] BVerfGE 119, 1 (30)
[97] BVerfGE 119, 1 (30)
[98] BVerfGE 119, 1 (32)
[99] BVerfGE 119,1 (33)
[100] BVerfGE 119, 1 (34)
[101] BVerfGE 119, 1 (34)
[102] BVerfGE 119, 1 (34)
[103] Dreier Rn. 64
[104] in Anknüpfung an Hain, Krings 299.
[105] BVerfGE 119, 1 (35)
[106] BVerfGE 119, 1 (16)
[107] Siehe zusammenfassend: Schulte zu Sodingen, Beate: BVerfGE 30, 173- Mephisto, Die Freiheit der Kunst und postmortale Ehrenschutz. In Menzel Jörg - Ackermann Thomas (Hrsg.): Verfassungsrechtsprechung. Hundert Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Retrospektive. Tübingen: Mohr Siebeck, 2000, 169-175
[108] BVerfGE 67, 213
[109] BVerfGE 75, 369
[110] BVerfGE 77, 240
[111] BVerfGE 81, 278
[112] BVerfGE 83, 130
Lábjegyzetek:
[1] A szerző Universitätsassistentin (PPKE JÁK)
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