Megrendelés

Imre Garaczi[1]: Von der Weltkrise zur Tradition (JURA, 2010/1., 30-48. o.)

Die Genien von Béla Hamvas zwischen dem Goldenen Zeitalter und der Apokalypse

I.

Béla Hamvas untersucht in seinem vor dem Zweiten Weltkrieg verfassten Essay mit dem Titel Die Weltkrise[1] die Genese und die seelischen Zustände der geschichtlichen Krise. Am Anfang des Essays zitiert er die Ideen von Soronkin,[2] der meinte, dass es in den vorangehenden zwei Jahrzehnten mehrere kleinere Krisen gegeben hatte, von dem man gleichsam wie von den Wellen des Ozeans überflutet wurde. Krise politischer, landwirtschaftlicher, kommerzieller und industrieller Art tauchten in verschiedenen Formen und an verschiedenen Orten auf. Man sprach von der Krise der Produktion und des Konsums, der Moral und des Rechts, der Religion, Wissenschaften und Künste, den Krisen des Eigentums, des Staates, der Familie, des Unternehmens, der Republik und der Monarchie, der Autarkie und Demokratie, der Diktatur und Selbstregierung, des Kapitalismus und Sozialismus, des Faschismus und Kommunismus, des Nationalismus und Internationalismus, des Pazifismus und Militarismus, des Konservatismus und Radikalismus; den Krisen des Schönen, Wahren und der Gerechtigkeit, des ganzen Wertsystems der Kultur. Jede solche Krise zeigte sich in einer reichen Vielfalt und auf verschiedenen Kraftstufen, widerhallte in den verschiedenen Zeitungen. Jede dieser Krise erschütterte, so Soronkin, die Grundlagen unserer Kultur und Gesellschaft zutiefst, und jede ließ Legionen von Besiegten und Ruinen hinter sich. Das Ende der Krisen war nicht abzusehen. Jede von ihnen war wie eine "ertönende, schreckliche Symphonie", unvergesslich tief und intensiv. Ihre Motive wurden von einem unerhörten menschlichen Orchester, mit Millionen Chören, Schauspielern und Statisten gespielt. Und die Berge der Besiegten und Opfer wurden zu Jahr zu Jahr immer größer.[3]

Hamvas beschäftigte sich in den dreißiger Jahren in mehreren Werken mit den existenziellen Problemen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, bzw. er reagierte auf jene Werke, die zu dieser Zeit europaweit in großer Zahl erschienen und die Krisenstimmung der Zeit weitgehend reflektierten.[4] Die Geschichte der Menschheit könnte man auch als eine Reihe von Krisen deuten, denn, welche konkrete historische Zeit man auch ins Auge fasst, kann man fast überall Phänomenen begegnen, die, verglichen mit einem früheren Zustand, das Bild eines Untergangs, Zerfalls oder der Krise zeigen. Der Erste Weltkrieg und die ihn abschließenden Frieden konnten die am Ende des 19. Jahrhunderts aufgetürmten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Probleme nicht lösen. Das veranlasste Hamvas, die Krisensituation als eine umfassende und geschichtsphilosophisch interpretierbare Kategorie zu untersuchen. Die oben erwähnte Analyse von Soronkin behandelt die Wertkrise der ganzen europäischen Kultur; er sah zu wenig Chancen dazu, dass dieses Phänomen in einer absehbaren gelöst werden könnte. Daraus erhellt, dass, während die früheren Krisen größtenteils gelöst wurden, der planetare Phänomenkomplex im 20. Jahrhunderts bereits ziemlich hoffnungslos aussah. Diese Krise - wie ihre Syndrome zu erkennen geben - scheint bereits verhängnisvoll, wobei man ganz schwer die Formeln finden kann, die einen Ausweg aus dieser Lage vorweisen könnten. In den Jahren zwischen den Weltkriegen war die Kontinuität der Krisenstimmung bereits eine um- und tief greifende Tatsache für das europäische Bewusstsein. "Die Krise ist die konfus bzw. problematisch gewordene Struktur, bzw. Strukturordnung des sozialen, geistigen Lebens des Menschen. Auf objektiver Seite lässt sich durch die Unlösbarkeit, auf subjektiver Seite durch das Krisenbewusstsein charakterisieren. Krisenbewusstsein heißt: Die Unlösbarkeit des Krisenphänomens ist ein existenzielles Erlebnis, das das ganze menschliche Dasein betrifft und das durch das Gefühl der Verunsicherung und der Fatalität begleitet wird. Das Krisenphänomen kann die Voraussetzung für die Zuwendung zum normalen Zustand in sich bergen."[5]

Zur Darstellung des Phänomens des Krisenprozesses hebt Hamvas zwei Faktoren hervor: Die Struktur der Welt wird zum einen durch Unlösbarkeit gekennzeichnet, deren Wurzeln er auf Nietzsche zurückführt, wobei er hinzufügt, dass die Krise bereits zur versteckten Potenz der Zeit wurde. Zum anderen verweist Hamvas im Bezug auf die Beständigkeit der Krise darauf, dass man dabei auf solche Phänomene des Kapitalismus zu achten habe wie die Fluktuation der Börsenkurse, die gleich dem Bodenwasser überall an die Oberfläche steigen können. Hamvas bemerkt noch zur wirtschaftlichen Krise, dass sie mit der Krise des Goldes zusammenhängt: "So sieht die Vielköpfigkeit der Krise aus. Sie taucht auf ohne gelöst werden zu können, doch verliert sie in der Tiefe nicht an Kraft, sondern wirkt fort, nunmehr so,

- 30/31 -

dass sie unsichtbar bleibt. Indessen führt sie immer bedrohlichere, provokativere und unvermeidlichere, problematischere' Zustände herbei."[6]

In diesem Zusammenhang bemerkt noch Hamvas, dass die Krise des 20. Jahrhunderts ein Symptom aufweist, dass sie von den früheren unterscheidet, nämlich dass die Hoffnungslosigkeit der Unlösbarkeit in den Vordergrund trat. Da die früheren Krisen in der Regel für Teilkrisen gehalten wurden, tauchte die Frage nach der Unlösbarkeit nicht auf. Dabei hält Hamvas die Krise seiner Zeit bereits für einen extremen Grenzzustand, der sich auf die ewige und ursprüngliche Kondition des Menschen auswirkt und vor allem existenziell-philosophisch interpretierbar ist. Die Verantwortung der Menschheit besteht darin, die universelle Krise nicht mehr auf die nächste Generationen zu verschieben. "Die Feststellung also, die Krise sei nichts anderes, als die Offenbarung des ewig menschlichen eschaton (Apokalypse, Revelation, Enthüllung, Offenbarung), verweist allerdings auf jene Auffassung zurück, nach der die Erkenntnis der ewigen Situation von einem bestimmten Umstand gerade heute, wo diese Erkenntnis erfolgt, beschworen werden müsse. Was ist es, das sie beschworen hat? Die radiale Krise der Situation des Menschen. So gelangt der Mensch zurück zum Merkmal der Unlösbarkeit, das nichts anderes ist, als die andere Seite des eschaton. Diese zwei Kennzeichen ergänzen einander und beide zusammen sprechen das objektive Hauptmerkmal der Krise aus."[7]

Das andere wichtige Element, das von Hamvas in diesem Prozess hervorgehoben wird, ist die Verunsicherung des Krisenbewusstseins, dessen grundlegende Quelle der Gefahr sei, dass das Vertrauen der Menschen zur Widerherstellbarkeit der Dinge abnimmt und der feste Boden, der für die Lösbarkeit bürgen könnte, immer geringer wird. Die Gefühle der Angst, Sorge und Gefahr werden zu natürlichen Begleiterscheinungen. Hamvas verweist an dieser Stelle auf die existenziell-philosophischen Prämissen bei Kierkegaard und Nietzsche. Damit interpretiert er die zwei Standpunkte der Krisenverunsicherung. Nach dem einen ist die Krise aus der Verunsicherung entstanden, der andere meint es gerade umgekehrt. Welche der beiden als primär gelten kann, lässt sich erst im Kontext der aktuellen Krise feststellen. Nach Hamvas hängen Krise und Verunsicherung zusammen wie das Subjekt und das Objekt, also setzen sie einander voraus.

Ein weiteres Indiz für das Krisenbewusstsein sei die allgemeines Verbreitung des Gefühls der Fatalität. Wenn dieses entsteht, dann ist das laut Hamvas nichts anderes, als die Wahrnehmung des gefährdeten menschlichen Daseins. Hamvas befürchtet, dass die ganze Kultur zum Gegenstand einer andauernden Gefährdung wird, da die Menschen spüren, dass sie an eine Grenze gelangt sind, die zu überschreiten fatal wäre. Der permanente Übergang wirkt sich negativ auf das Bewusstsein aus, wodurch auch die Seele in einen unheilbaren Zustand gerät. Die Existenz gelangt zu einem Punkt, wo sie keine Reserven mehr findet, um einen normalen Zustand wiederherzustellen. "Wenn nur die Oberfläche, ein Teil, ein Bestandteil, eine Eigenschaft gefährdet wäre, dann wären die Hast, die Spannung und die Hektik völlig unverständlich oder mit einer krankhaften Hysterie vergleichbar. Aus diesem Gesichtspunkt scheint es, dass der in Krise lebende Mensch in seiner Kultur, in seinem Staat, in seiner Politik, Wirtschaft, Wissenschaft eigentlich nicht um die Werke und Lebensformen auf diesem geistigen Niveau, sondern um das vitale und existenzielle Dasein innerhalb deren besorgt ist. Doch wäre diese Sorge nicht ernsthaft, wäre sie nicht unvermeidlich oder wäre sie keine unüberwindbare Notwendigkeit und kein unbezwingbarer Zwang, die man mit keinen Mitteln und Maßnahmen abwenden kann."[8]

Damit im Zusammenhang unterscheidet Hamvas zwischen positivem und negativem Krisenbewusstsein. Jenes deutet auf eine vollständige Identifizierung mit dem Krisenbewusstsein, diese auf die Distanz zu ihm hin. Letztere hat die Unzufriedenheit zur Folge, die wiederum positiv und negativ sein kann und sich im Geiste der Auflehnung bzw. in der Erscheinung des Utopismus manifestiert. Hamvas charakterisiert am Ende seines Essays die Geschichte der Kriseologie. Die Krisenliteratur lasse sich in zwei Gruppen teilen. In die erste Gruppe gehören Werke, die vor der Weltkrise entstanden waren und die künftigen Krisen bereits auf prophetische Weise skizzierten. Ihre Bedeutung liegt darin, dass das Krisenbewusstsein in ihnen die spätere Entstehung derselben vorwegnimmt. Als Beispiele nennt er wiederum die Werke von Kierkegaard und Nietzsche und hält Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes für das letzte Werk in der Reihe der prophetischen Kriseologien. Letzteres bezeichnet bereits eine Grenze, da das Jahr seiner Entstehung mit der Anfangsphase der Krise zusammenfällt. Die zweite Gruppe der Krisenwerke entstand erst als sich die Weltkrise konkret verbreitet hatte. Hamvas betont, dass das Krisenbewusstsein erst nach der großen Wirtschaftskrise von 1929 um sich griff. Er stellt fest, dass sich die Mehrheit der Krisenliteratur mit Detailfragen und lokalen Heilmitteln befasst, während eine Literatur mit umfassenden und weitgreifenden Analysen nur in geringer Zahl vorhanden sei. Auf dieser Grundlage teilt Hamvas die Geschichte der Kriseologie in drei Phasen: "Die erste ist die Zeit der prophetischen Krisenwerke bis

- 31/32 -

zum Ende des Ersten Weltkrieges; die zweite vom Ende des Weltkrieges, dem Buch Spenglers bis zum Ausbruch der amerikanischen Finanzkrise; die dritte ließe sich die Zeit der Säkularisierung nennen, da in dieser Periode die Weltpresse von den verschiedensten Werken überflutet wurde, die den Grund der Krise mal hier, mal dort sahen, ihre Symptome grob beschrieben, ihre Einzelheiten aufdeckten. Die herrschende Atmosphäre der Werke aus der ersten Phase ist philosophisch; in der zweiten Phase wird die Krise aus kultureller und geschichtlicher Sicht beschrieben; die Krisenwerke der dritten Phase sind vor allem politischer, kultureller und wirtschaftlicher Art."[9]

Seine Analyse der Prozesse der Weltkrise ergänzt Hamvas mit einer Zusammenstellung einer Literatur der Weltkrise, die er Moderne Apokalypse betitelte.[10] Darin lässt er die bedeutendste Krisenliteratur seiner Zeit Revue passieren, indem er die folgenden Feststellungen macht:

Die Vorgeschichte der Weltkrise des 20. Jahrhunderts wurde bereits im 19. von mehreren Autoren prophetisch registriert. Den Wendepunkt bildete das Hauptwerk Spenglers, Der Untergang des Abendlandes, doch erwähnt dabei Hamvas auch einige weniger bekannte, dennoch bedeutsame Werke. Ein Beispiel dafür ist die 1917 erschienene Krisis der europäischen Kultur von Rudolf Pannwitz, die seinerseits den Nihilismus-Begriff Nietzsches bearbeitet, andererseits auf die immer mehr um sich greifende Wertkrise Europas hinweist. Hamvas bemerkt dazu, dass man beim Lesen der Krisenliteratur des 20. Jahrhunderts wenig Feststellungen aufzufinden sind, die von Nietzsche direkt oder indirekt nicht erwähnt worden wären. In dieser Reihe nimmt auch Graf Hermann Keyserling Platz, für den die "Hauptfrage nicht darin besteht, wie man die Welt versteht, sondern wie tief man sie versteht. Jeder sinnliche Zusammenhang weist auf einen tieferen hin, und so weiter bis in die Unendlichkeit. Daraus resultiert die weitere Einsicht, dass die metaphysische Erkenntnis tiefer ist als die empirische; das religiöse Erleben der Welt bedeutet keine andere Methode, sondern ein tiefer fundiertes geistiges Durchleben."[11]

Erst wenn man all das in Betracht zieht, lässt sich Hamvas' Betrachtungsweise verstehen, in der der Nihilismus und die Entfernung von der Transzendenz des modernen europäischen Menschen im Mittepunkt stehen. Das Zusammenwirken dieser zwei Faktoren beraubt den europäischen Menschen der Möglichkeit, sein Schicksal schöpferisch zu gestalten.[12] Anschließend kontrastiert Hamvas das religiöse Bewusstsein des modernen Menschen mit dem humanistischen. Er betrachtet die christliche Religion kritisch und lehnt sich an die Idee von Kierkegaard an, nach dem man die neunzehn Jahrhunderte Christentum aus der Geschichte werfen und eine neue "Einübung" in dasselbe beginnen müsste. Berdjajew würde nur die Neuzeit aus der Geschichte des Christentums entfernen, während beide in der Repaganisierung die größte Gefahr sehen.

Die Wurzeln der Krisenliteratur findet Hamvas in Montesqieus Buch über den Untergang des Römischen Reiches, wobei den Gipfelpunkt dieses Vorgangs Nietzsches Theorie des Nihilismus und seine Wertkritik bilden. Hamvas versucht unter den Anschauungen der Krisenliteratur eine Art Gleichgewicht zu erzielen: "Möglich, dass es die Krise gibt, aber es ist wahrscheinlich, dass sie von den Apokalyptikern übertrieben wird. Das Wesentliche ist der Mensch. Und der Mensch ist nicht gefährdet. (...) Der Standpunkt, dass es überhaupt keine Krise gibt, ist haltbar, doch ist er ebenso überflüssig, wie der, für den sie verhängnisvoll ist. Denn der Verleugner der Krise wird von der Wirklichkeit widerlegt. Es muss nur sich in der Welt umsehen, und er wird ganz konkret eine Reihe von kritischen Situationen erfahren. Aber ebenso widerlegt die Wirklichkeit auch jenen, der in der heutigen Welt einen neue Sintflut oder Völkerwanderung sieht. Valéry sagt, dass der Zustand der Welt nie hoffungslos ist, da er nie an denen liegt, die an das Leben nicht mehr glauben, sondern an denen, die daran glauben. Und das wurde in der Geschichte bereits mehrmals bewiesen."[13]

Nach der Vorstellung der Krisenliteratur behandelt Hamvas in seinem Essay Krise und Katharsis die Möglichkeiten der Entfaltung. Katharsis bedeutet hier so viel, dass es die Implikation der Krise im Leben des modernen Menschen zu untersuchen gilt. Der erste Schritt darin ist festzustellen, wer eigentlich der moderne Mensch ist. Dazu zitiert Hamvas die Meinungen verschiedener Autoren, wobei seine wichtigste Konstatierung ist, dass die Vergangenheit des modernen Menschen geographisch zum Römischen Reich gehörte, in dem später auch das Christentum Gestalt gewann, wobei beide die Erben des griechischen Geistes sind. Hamvas meint auch, dass eines der Hauptmerkmale des modernen Menschen der unvollendete Kampf sei, was seinerseits nichts anderes, als eine dramatische Situation sei. Die wichtigste psychische und geistige Dimension des modernen Menschen sind die Kultur und die damit verbundne Unzufriedenheit. Die Bilanz zieht Hamvas darin, wie der europäische Mensch in der dramatischen Zweiheit eine harmonische Ordnung herstellen kann. Katharsis bedeutet hier auch, dass die Gegenüberstellung der Zweiheit integriert wurde. "Das innerste Erlebnis des modernen europäischen Menschen ist dieser dramatische Zusammenstoß, und nur dieser Mensch hat heute eine vollständige

- 32/33 -

und wahre Präsenz in der Zeit, in der er das Drama aktualisieren konnte, und er hat desto mehr Präsenz, je vollständiger er es aktualisiert. Je ferner er von ihm steht, je oberflächlicher er es erlebt, desto weniger lebt er in der Gegenwart."[14]

Nach Hamvas zieht das In-der-Kultur-Sein ernsthafte Verpflichtungen mit sich. Das heißt, man müsse die Arbeit der Vorfahren fortsetzen, nicht einfach nur genießen. Ein besonderer Typ der Krisentheoretiker ist der Outsider, der sich des Problems der Krise bewusst ist, wobei er sie von außen zu lösen sucht und seine Ideen der gegebenen Situation gleichsam aufzwingen will. In Verbindung damit sagt Hamvas, die Lösung solle sich nicht einfach nach den Einzelheiten richten, sondern man müsse immer das Ganze der Probleme einer Kultur existenziell behandeln. Er macht gleichzeitig auf die Fragen der Zeit aufmerksam und meint bezüglich der aktuellen Aufgaben, dass die größte Gefahr in der Zurückgebliebenheit liege. Diese Aufgabe deutet Hamvas auf existenziellphilosophischer Grundlage und vertritt den Standpunkt, die unerfüllte Aufgabe verliere allmählich an ihrer Gegenwärtigkeit, sie werde unzeitgemäß, wodurch "die Distanz zwischen dem Schicksal des Individuums und dem gemeinsamen menschlichen Schicksal" immer größer werde.[15]

Daraus ergibt sich die Frage der Zeitgemäßheit, die von Hamvas nicht im Alltagsgeschehen aktualisiert, sondern mit dem "Weltgeschehen" in Verbindung gesetzt wird.[16]

Hier betont er die Bedeutung der kulturkritischen Standpunkte, deren Wesen ist, dass sie sich nicht auf die einzelnen gesellschaftlichen Bewusstseinsformen, sondern das metaphysische Zentrum beziehen. Nach Hamvas ist fast jeder Punkt der Kultur seiner Zeit fragwürdig, womit auch die Einstellung des modernen Rebellen zusammenhänge. Diese Rebellionen vollziehen sich in allen Bereichen der Kultur und knüpfen sich vor allem an das Erlebnis. "Niemand würde daran zweifeln, dass der Relativismus in der Physik mit den Bestrebungen der modernen Künste parallel läuft, dass der Weltkrieg, die internen, internationalen, wirtschaftlichen und praktischen Krisen aus einem gemeinsamen Punkt ausgehen. Dem entspringt auch das Verhalten des modernen Menschen, gegen sich selbst aufzubegehren."[17]

Im Bezug auf den Nihilismus behauptet Hamvas, dass er sich ganz umgreifend in einer Gesellschaft melden könne, doch bleibt in jeder Situation eine positive Möglichkeit, die man noch retten kann. Im Nihilismus steckt in impliziter Form der Glaube an eine künftige neue Welt; also könne man jenseits des Nihilismus die Katharsis erreichen, d.h. die Katharsis ist das gemeinsame Kind des Nihilismus und der Entfaltung. Man bedürfe dazu zweierlei Dinge: der Entschlossenheit und des Selbstvertrauens. Diese können aber nur in dem Falle in einer relativen Einheit wirken, wenn sie durch Angstlosigkeit beherrscht werden. Die Katharsis verbindet Hamvas mit der Zeit, in der sich die dramatischen Situationen auflösen, insofern der Mensch ein psychologisches Wesen ist und in der modernen Welt die psychischen Eigenschaften korrumpiert werden, wodurch das rebellische Verhalten und die Skepsis vorherrschend werden. Hamvas warnt davor, dass im politischen Leben die Demokratie und der liberale Staat zum Cäsarismus und zu einem bürokratischen Staat entarten, der gleich Marionettenfiguren von Weltkonzernen regiert wird. Die Katharsis hält Hamvas in seiner Zeit für partiell möglich, sie betreffe nämlich nur den einzelnen Menschen, nicht aber das ganze menschliche Geschlecht in seiner Tiefe. Die Zeit der Katharsis sei noch nicht angekommen, man könne lediglich die Absicht der Erneuerung erfahren. Die Politik und das Staatsleben wiederholen nur sich selber, man könne von ihnen keine entscheidenden Veränderungen erwarten. Die Katharsis könne erst eintreffen, sagt Hamvas, wenn der Mensch in allen Bereichen des Lebens seine Tat und sein Wort legitimieren kann. Davon stehe man noch fern, da die Programme sich vor allem auf die Krise beziehen, also darüber nicht hinausweisen können. Die partiellen Lösungsversuche hält Hamvas für vergeblich: "Sie sind mit ihrer Ortgebundenheit und Bedeutungslosigkeit lächerlich. Es sind fernere, tiefere, universellere, persönlichere und gleichzeitig notwendigere Schritte erforderlich. Es gibt keine wirtschaftliche Krise: es gibt nur kritisch betrachtete Wirtschaft; es gibt keine Krise im Familienleben, in der Gesellschaft, in den Sitten: es gibt nur im Familienleben, in der Gesellschaft, in den Sitten Krisen erlebende Menschen, für die die ganze Weltsituation kritisch ist. Die Krise lässt sich nicht an einzelnen Punkten lösen, man kann sie nur in irgendeiner Teilerscheinung in allen ihren Konsequenzen durchleben. Die partielle Lösung kann nur die Folge der großen zentralen Erschütterung und Erneuerung sein. Das ist der durch Katharsis gegangene Menschtypus in der modernen europäischen Gesellschaft."[18]

Der Lösungsversuch von Hamvas widerspricht der europäischen politischen Praxis, denn in der Demokratie sei die Chance für eine umfassende, die ganze Politik betreffende Lösung und Veränderung gering. Die Praxis der politischen Formen der Demokratie bleibt nach wie vor ein Lösungsversuch für die Probleme der Teilbereiche. Hamvas' Katharsis-Begriff als Anspruch lässt sich allerdings nicht auf politischer Ebene, sondern vor allem nur in psychisch-kulturellem und geistigem Sinne messen. Dazu ist aber etwas in der europäischen Zivilisation endgültig verloren

- 33/34 -

gegangen. In den aufeinander folgenden Phasen des Kapitalismus lässt sich ein Prozess beobachten, in dem die von Hamvas erforderten Lösungsmethoden sich allmählich entleerten bzw. in den Hintergrund gerieten. In mehreren Bereichen des Lebens und der Politik wurde seit der Renaissance das Jahrtausende alte natürliche Gleichgewicht des Menschen zwischen dem Äußeren (Körperlichen) und dem Inneren (Seelisch-Geistigen) zu Ungunsten des Letzteren gestört. Der Glaube an die Allmächtigkeit des Rationalismus stellte die materielle und konkrete Welt in den Vordergrund, wobei die Gültigkeit und Wirkung der psychisch-geistigen Faktoren der menschlichen Verhältnisse in den Hintergrund trat. Die finanzielle Macht des Kapitalismus kann sich nur mittels des forcierten wirtschaftlichen Wachstums aufrechterhalten, indem sie sich die ganze Welt lediglich als Konsumfeld vorstellen kann. Der Sinn der Freiheit wird auch immer enger und richtet sich hauptsächlich auf die Teilnahme am Konsum. Der Lösungsversuch von Hamvas zielte genau darauf ab, den Menschen, der sich auf den Genuss von materiellen Gütern einstellte, zum klassischen Gleichgewicht zwischen den äußeren und inneren Komponenten zurückzuführen.

Der humanistische und metaphysische Lösungsvorschlag einer die Krise lösenden Katharsis ist zwar für jeden wohlmeinenden Menschen ein zu befolgendes Ziel, doch wird er im Lichte der euroatlantischen Politik grundlos. Die Demokratie beruht nach wie vor auf Vereinbarungen von Teillösungen und den Vorhaben der finanziellen Weltmächte, die die Massengesellschaft psychologisch beeinflussen. Dennoch lässt sich der Vorschlag von Hamvas als wichtig bewerten, denn er skizzierte eine gesamtgesellschaftliche Idee, die er gegenüber der gegenwärtigen Wirklichkeit von Europa im 20. Jahrhundert formulierte. Als Idee ist sie allerdings binnen kurzer Zeit nicht realisierbar, dennoch ist sie wichtig, erstens insofern man nach ihr strebt, zweitens als reelle kritische Attitüde gegenüber der Allmacht des trans- und multinationalen Kapitalismus.

II.

In den Ausführungen von Hamvas lässt sich u.a. die Wirkung von Paul Valéry nachweisen. Der französische Dichter, Ästhet und Literaturwissenschaftler war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine der leitenden Figuren des europäischen geistigen Lebens. In seinen Regards sur le monde actuel untersuchte er das Schicksal Europas in der modernen Welt kulturkritisch. Die einleitenden Ideen beschreiben den Untergang von Europas Schicksalszustand, dessen Gründe Valéry in der überholten Methodenlehre der Politik,

der kritiklosen Amerikanisierung und der primitiven Durchsetzung der blinden physischen Macht der Massen sah. Eine der Wurzeln der Probleme war für ihn die Entfremdung der Nationen voneinander:

"Les nations sont étranges les unes aux autres, comme le sont des êtres de caractères, d'âges, de croyances, de msurs et de besoins différents. Elles se regardent entre elles curieusement et anxieusement; sourient; font la moue; admirent un détail et l'imitent; méprisent l'ensemble; sont mordues de jalousie ou dilatées par le dédain. Si sincère que puisse être quelquefois leur désir de s'entretenir et de se comprendre, l'entretien s'obscurcit et cesse toujours à un certain point. Il y a je ne sais quelles limites infranchissables à sa profondeur et à sa durée."[19]

Valéry personifiziert die Nationen und meint, sie müssen, um sich für vollkommen zu halten, nach dem Beweis ihrer Vollkommenheit in der Vergangenheit und im Möglichen suchen. Ihre Probleme, ihr Elend geben sie aber ungern zu.[20]

Auf die Ereignisse der Geschichte zurückblickend lässt sich im Prinzip jeder Vorgang, ja sogar sein Gegenteil legitimieren. Nach Valéry besitzen die Nationen als Personen gleiche Eigenschaften wie die Menschen in der Gemeinschaft: Sie sind bitter, stolz, eitel, usw. Er stellt als eine geschichtsphilosophische Lehre fest, dass sich eine der größten Veränderungen in der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert erkennen lasse: Während in der Zeit vor der Moderne die Ereignesse der europäischen Geschichte auf den fernen Kontinenten unbekannt und wirkungslos blieben, lasse sich in Gegenwart jedes polische Ereignis auf planetarer Ebene deuten. Also trat an die Stelle der früheren monotonen Melodie eine Polyphonie. Diese Universalisierung hat eine komplett neue Situation in Europas Gegenwart geschaffen, aus der sich eine neue Verantwortung ergibt:

"Mais qui ne voit que ces entreprises qui se limitaient à un colloque, suivi d'un duel, suivi d'un pacte, entraîneront dans l'avenir de telles généralisations inévitables que rien ne se fera plus que le monde entier ne s'en mêle, et que l'on ne pourra jamais prévoir ni circonscrire les suites presque immédiates ce qu'on aura engagé.

Tout le génie des grands gouvernements du passé se trouve exténué, rendu impuissant et même inutilisable par l'agrandissement et l'accroissement de connexions du champ des phénomènes politiques; car il n'est point de génie, point de vigueur du caractère et de l'intellect, point de traditions même britanniques qui puissent désormais se flatter de contrarier ou de modifier à leur guise l'état et les réactions d'un univers humain auquel l'ancienne géométrie historique et l'ancienne mécanique politique ne conviennent plus du tout."[21]

- 34/35 -

In diesem Zusammenhang macht Valéry auf die Plastizität des Fortschrittsbegriffs aufmerksam, wobei er meint, dass auf den Götzen des Fortschritts der Götze der Verdammung desselben antwortete. Dieser Begriff stammt vor allem aus der Beziehung zwischen Künstler und Bürger in der Zeit der Aufklärung und machte eine neue Denkweise zum Vorbild. In den europäischen Gesellschaften verbreitete sich immer mehr die Ansicht, die das Wissen, die Tätigkeiten und die materiellen Beziehungen für vorläufig hielt. Die Grenzen der Wirklichkeit dehnten sich aus und wurden beweglich. Die Konsequenz davon war, dass die Gewissheit der Sachlichkeit der Einstufung zum Opfer fiel, die ihrerseits von Fachleuten bestimmt wurde. Die Träume der Menschheit gingen teilweise in Erfüllung und die Welt der Vorstellung nahm Gestalt an:

"Le fabuleux est dans le commerce. La fabrication de machines à merveilles fait vivre des milliers d'individus. Mais l'artiste n'a pris nulle part à cette production de prodiges. Elle procède de la science et des capitaux. Le bourgeois a placé ses fonds dans les phantasmes et spécule sur la ruine du sens commun. Louis XIV, au faîte de la puissance, n'a pas possédé la centième partie du pouvoir sur la nature et des moyens de se divertir, de cultiver son esprit, ou de lui offrir des sensations, dont disposent aujourd'hui tant d'hommes de condition assez médiocre."[22]

Diese Gedanken nehmen deutlich die spätere Situation der globalisierten Welt vorweg. Valéry befürchtet, dass man an die Schwell einer Zeit gekommen sei, die durch keine Fäden mehr an die Vergangenheit gebunden ist und alle Bereiche des Lebens unter die Führung der positiven Wissenschaft geraten sind. Die Tradition und die geschichtliche Wirklichkeit verlieren ihren Grund, was auch zur Grundlosigkeit der Individualität und der Persönlichkeit führt.[23]

Am Ende seiner Überlegungen gelangt Valéry zum herrschenden Begriff des Fortschritts, den er mit der Macht der Maschinen, Mechanismen und der Technik gleichsetzt. Die Grundlage davon bildet die durch Nutzen und Kalkül beweisbare Gewissheit. Hinzu kommt noch, dass die zentrale Rolle der materiellen Wirtschaft mit einer großen Verschwendung einhergeht. Als Belege dafür erwähnt Valéry den Ersten Weltkrieg, der sich vielmehr als der Krieg um industrielle und materielle Quellen als eine Fortsetzung der alten Konflikte deuten lässt. Der moderne Krieg dauert bis zur Erschöpfung des Feindes; seine Erfüllung betrachtet Valéry i einer Art dialektischem Chaos.

"[La lumière] est compromise avec la matière sa complice, dans le procès qu'intente le discontinu au continu, la probabilité aux images, les unités aux grands nombres, l'analyse à la synthèse, le réel caché à l'intelligence qui le traque, - et pour tout dire, l'inintelligible à l'intelligible. La science trouverait ici son point critique. Mais l'affaire s'arrangera."[24]

Für Valéry liegt eine große Bedeutung darin, dass sich die klassische Methodik der Politik in der Moderne grundsätzlich veränderte; die alten Mittel sind zwar noch da, aber ihre Gültigkeit und Bedeutung haben sich stark polarisiert. Die Politik ist längst keine Kunst mehr, sondern vielmehr ein psychologischer Kampf und ein psychologisches Geschäft unter den verschiedenen Interessengruppen der Gesellschaft. Dabei wollen die Politiker die früheren Formen der Diplomatie bewahren, wodurch sie aber in der Zeit des Kapitalismus und der Massengesellschaft lächerlich werden.[25]

III.

Der Geist Valérys durchdringt die Werke von Hamvas, wie das sich auch in seinem nationalphilosophischem Essay Die fünf Genien zeigt.[26] Der Essay steht ganz allein in der Hungarologie des 20. Jahrhunderts. Darin teile Hamvas Ungarn in für geistige Einheiten: 1. Süd-West, 2. West, 3. Norden, 4. Tiefebene, 5. Siebenbürgen. Bei der Darstellung der Welt des Karpaten-Beckens kombiniert er geomorphologische, landschaftsphilosophische, psychologische, folkloristische, künstlerische, lebensmethodische und geschichtliche Argumente; bei der Charakterisierung der einzelnen Regionen (Genien) nimmt er die Organisationsmodelle der Gemeinschaften zur Grundlage, indem er vom Westen nach Osten vorgeht. Die Lebensordnung der südwestlichen Region wurde bereits vom Urbanismus, Individualismus und der liberal-demokratischen Einstellung berührt. "Hier bildet nicht die philia des Aristoteles, sondern des Empedokles die Grundlage. Die philia ist in erste Linie keine Freundschaft, sondern Neigung, also ist sie das Sozialgefühl der goldenen Zeit. Die Neigung schafft ein besonderes Maß, die südliche polis myriandros, eine Stadt, die nicht mehr als zehn tausend Menschen in sich aufnimmt, weil es eine Stadt mit zehn tausend Menschen ist, in der alle einander kennen. So schmelzen in der Stadt der Zehntausende die Familie, die Kaste, die ReichArmen zusammen. Und wo mehr als zahntausend Menschen hinziehen, da zieht die Göttin Philia aus. Der Süden mag die Großstadt nicht, will seinen Verstand nicht überentwickeln, sehnt sich nicht nach Weltvermögen und Übermacht. Wo das Leben nicht mehr so intensiv ist wie der das Maß überschreitende Ehrgeiz, dort tritt die Strenge und die Steife an die Stelle der Gelassenheit, die Menschen sehen sich nicht mehr sanft an, und ihre Stimme beginnt einem Kommando zu ähneln. In der südwestlichen Ecke

- 35/36 -

begegnet der Mensch keinem goldenen Zeitalter, es fällt ihm höchstens ein, als ob sich die Wolken erinnern würden."[27]

In dieser Region ist laut Hamvas das Hauptmerkmal der Formkultur die Kreisförmigkeit, während die Linien im Westen perpendikulär steigen oder sich senken. Daraus stammt die Bedeutung der Mittelpunkte. Das Symbol dieser Landschaft sei die Dichtung und die Lebensform von Berzsenyi.[28] Sie zeigt Verwandtschaft mit der Provence und dem klein-asiatischen Griechenland - es fehle nur das Meer, damit sie eine Art Süd-Italien werde. In der südwestlichen Region erreicht die künstlerische Stimmung nach Hamvas die höchste Stufe, die orphische Welt, in der der Mensch sich gleichsam dem Kosmos hinzudenkt. Die landschaftsphilosophischen Merkmale der Welt charakterisiert er wie folgt: "Im Westen senkt sich das elementare Leben, dort ist die Zivilisation an erster Stelle, alles andere folgt erst danach. Im Norden steht die Natur über alles. Im Osten ist das Ich, das die ganze Welt verschlingt, an erster Stelle. Im Süden weiß man, dass das Leben Musik sein muss. Wie man in China sagt: das Lied erweckt den Menschen, die Sitte verstärkt ihn, aber die Musik macht ihn vollkommen."[29]

Die westliche Region, die sich nach Hamvas von Pressburg bis Szentgotthárd erstreckt und die er mit der humanisierten Natur identifiziert, ist durch den hohen Grad an Kultivierung gekennzeichnet. Hamvas bemerkt aber dazu, dass die Kultiviertheit nicht in allen Fällen mit der Kultur identisch ist, da die Kultur eine Stileinheit repräsentiert, die die harmonische Ordnung des gesellschaftlichen, künstlerischen und wirtschaftlichen Lebens realisiert. Nach Hamvas gibt es nur wenig echte Zivilisationen in der Geschichte; ihr Wesen liege darin, dass sich die Struktur der menschlichen Gemeinschaften von der Natur entfernt hat. Die Kultiviertheit als Form habe hingegen keinen Schaffenscharakter, sondern sei lediglich bildend, da sich in ihr kein eigener, sondern nur ein geliehener Geist zeige. Hinsichtlich der Wohnkultur beruhe die westliche Form auf Zielmäßigkeit, der Mensch bewohne jeden Punkt seines Hauses. Das Gegenteil davon sei die für die ungarische Tiefebene charakteristische "reine Zimmer" (tisztaszoba), das mit den besten Möbeln, Mitteln eingerichtet wurde, dessen Fenster eingeschlossen wurden, doch sogar jahrelang von niemandem gebraucht wird. Das ist der magische Ort der östlichen Seele, also ein sakrales Symbol. Im Westen gibt es hingegen keine symbolischen Sakralitäten mehr, alles ist humanisiert, mithin bürgerlich. Im Bezug auf die Zivilisation zeigt die Kultiviertheit in zwei Richtungen: Sie kann entweder Ausstrahlung oder aber Untergang bedeuten. Diese Region erhält seinen Genius aus Paris, doch durch deutsche Wirkungen bereits gründlich gefiltert. In dieser Umgebung ist die Präsenz der Urbanisation stark, die vor allem von einem sozialen Instinkt hervorgebracht wird. Hamvas hält in der Psychologie des Stadtlebens die gemeinschaftliche Leidenschaft für das wichtigste Element, denn diese schafft dem Menschen die Möglichkeit, aus dem Bann der Natur auszutreten. Diese Leidenschaft ist der Trieb des Sich-Gesellens. "Man könnte glauben, dass der Austritt aus der Natur, der die Zivilisation ist, en Verslust ist, und der größte Verlust heißt, die elementare Empfindlichkeit zu verlieren. In der Zivilisation tritt die Wert-Empfindlichkeit an die Stelle der Natur-Empfindlichkeit. Es ist überflüssig, über den Verlust der ersten Unschuld zu lamentieren, wenn der Mensch hier eine höhere Unschuld gewinnt. Er verliert tatsächlich an seiner physischen Kraft, deshalb braucht er komplizierte Schutzmaßnahmen. Doch kann sich das menschliche Dasein erst in einer Gemeinschaft verfeinern. Ist die Gemeinschaft nicht das letzte Ziel, da es immer die menschliche Person ist, dann gibt es erst im Gemeinschaftsleben die Möglichkeit, das Lebensniveau zu erhöhen."[30]

Das wichtigste Ziel des Menschen in der westlichen Region ist das Schaffen seiner Person, da diese im Verhältnis zum Individuum ein Plus bedeutet. Die Individualität als Talent knüpft sich an die Natur, während die Person bereits das Produkt der Zivilisation ist. Dieser Anspruch auf die Person erscheint auch im westlichen Kulturkreis. In dieser Region ist die Gemeinschaft homogen, zeigt keine Brüche und Mängel. Für sie ist die Bildung wichtig und das Schicksal zeigt sich in der Ordnung. Die Person des westlichen Genius wird durch die Gestalt von István Széchenyi repräsentiert, der einer der größten Kämpfer um die Verbreitung der westlichen Kultiviertheit in Ungarn war. Mit der Bildung verbindet sich hier auch die intensive Wirtschaft, die Institutionen funktionieren auf entsprechender Entwicklungsstufe. All das lässt einen größeren Freiheitsgrad im Gemeinschaftserlebnis der Person zu. Literarisch gesehen zeigt sich das am besten in der Prosa, die in Hamvas' Augen der Ausdruck der Zivilisation und der Wirklichkeit ist.[31]

In diesem Kulturkreis treten die Mythen und legenden in den Hintergrund, ihre Stelle wird von der Geschichte besetzt. Nach Hamvas ist die Geschichte schwächer als der Mythos, sie verliert ihre Beziehung zur elementaren Welt, und das sei gleichbedeutend mit dem Verlust der Dunkelheit, die zur "beleuchteten Nacht" wird.

In Hamvas' Deutung ist die nördliche Region die dritte morphologische Einheit des geschichtlichen Ungarn. Ihr Hauptmerkmal ist das Fehlen eines Mittelpunkts, was damit einhergeht, dass sie keine

- 36/37 -

selbstständige Bildung und Zivilisation schöpft, sondern die Mittel der bürgerlichen Welt fertig übernimmt. "In den südlichen Regionen wird die Lebensordnung von philia gelenkt. Im Westen ist das Gesetz des sozialen Gleichgewichts, im Norden die Natur stärker, die hier jede Zivilisation übertrifft."[32]

Hamvas misst unter den fünf Kulturkreisen lediglich der westlichen Region eine Kultur bei, da in den anderen der Provinzialismus und die kulturelle Passivität sich stärker auswirken. Den Begriff der Provinz deutet er als eine Gegend, auf die zwar die Zivilisation eine Wirkung ausübt, die aber die Zivilisation nicht bereichert. Zum nördlichen Kreis gehört in seinen Augen auch die Haltung des Kuruzen, in dem sich drei Eigenschaften vermengen: der primitive Individualismus, die melancholische und die anarchische Provinzialität. Bezeichnend für diese Einstellung seien noch die Schwermut, das Sich-verborgen-Halten, das Verfolgtwerden und die verfehlte Anstrengung. Mit den landschaftlichen Aspekten hänge noch zusammen, dass unter allen Aufständen nur jener der Kuruzen eine selbstständige Dichtung und Musik schuf. Die nördlichen Formen haben laut Hamvas weder Haltung noch Richtung. Sie seien vielmehr durch Unschuld und Keuschheit gekennzeichnet. In diesem Kreis vermenge sich die Provinzialität mit der kulturellen Passivität, hier sei auch der Aberglaube typischer.[33]

Zu den nördlichen Prinzipien gehört noch, dass die Gemeinschaften keine Gesellschaften zu nennen sind, da für sie vielmehr das Zusammenleben von Güter teilenden Familien und Gesellschaftsgruppen typisch ist. Die Einheit des Gesellschaftslebens ist dabei formlos, die Gefühlsbasis ist eng, woraus auch der häufige Klatsch resultiert. Hier steht die Natur zwischen Mythos und Märchen, wobei zwei Extreme dominieren: der menschenscheue Idiot und der verrückte Konservative. In Verbindung mit der Natur steht auch die Melancholie, eine Eigenschaft des nordischen Dichters. Die hier lebenden Menschen bevölkern ihre Umgebung mit Bildern, was von Hamvas mit einer magischen Ohnmacht gleichgesetzt wird. Der Grund dafür sei der Mangel an Tradition, was mit einer anarchischen Wirtschaft und Lebensordnung einhergehe, in der die Irrealität eine wichtige Rolle spielt. Der Mangel an Tradition birgt die Entbehrung der Planlosigkeit in sich. Die wirtschaftlichen Ziele der unterschiedlichen Kulturkreise werden von Hamvas wie folgt charakterisiert:

IV.

Im Süden hat die Wirtschaft das höhere Ziel, die Materie in den Kreis der ewigen Ordnung einzubeziehen. Im Westen ist das Ziel das Land zu institutionalisieren und, wenn möglich, zu veredeln. Im Norden ist das einzige Ziel der Wirtschaft die Existenz mehr oder weniger aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis ist im Süden der sorglose Wohlstand, im Westen die Prosperität, im Norden das Überleben. Der Norden gelangt in der Regel nur bis zur Armut. Die Armut gehört ebenso zum Norden wie die Melancholie, der Aberglaube und das Wunder."[34]

Der symbolische Genius der nördlichen ungarischen Region ist für Hamvas die religiöse Dichtung von Mihály Tompa (1817-1868), in der sich die melancholische Darstellung der Natur mit der Vorstellung der verlassenen Provinz verbindet. Die einzige Ausdrucksform der Gesellschaft ist hier die einfache Atmosphäre der Familie. Nur hier ist das Gefühl der Wärme und des Humanen spürbar.

In der Typologie von Hamvas bildet die ungarische Tiefebene die vierte Landschaftseinheit oder Region. Diese lässt sich psychologisch als ein Querschnitt begreifen, in dem sich die Gelassenheit des Südens und die Kultiviertheit des Westens mit der Provinzialität des Nordens und der siebenbürgischen Brüchigkeit vermischen. Hamvas vergleicht die Tiefebene mit der russischen Welt, einer Art kontinentalem Ozean, in dem Melancholie und tobende Ausschweifung beisammen leben. Hamvas hält das von Petőfi mit der Tiefebene verbundene Freiheitserlebnis für paradox, denn das sei vor alle nur die Freiheit der Sehnsucht, die in einer Offenheit eingekerkert ist. Petőfi betete in der Tiefebene das Unmöglich an und suchte darin nach einer elementaren Kraft. Hamvas hebt das vorläufige Verhältnis zwischen dem Menschen und der Landschaft der Tiefebene und stellt den Mangel an irgendeiner ernsthaften Form des Urbanismus fest.[35]

Die Fremdheit des Menschen auf der Tiefebene zeige sich auch darin, dass er die Festlegung, die Ordnung und das Gesetz häufig nicht erduldet; ein Grund dafür könnte die Zerrissenheit des Landes nach der Schlacht bei Mohács [1526] sein. Das gesellschaftliche Außenseitertum der armen Kerle sei symbolisch, die zwar von der Gesellschaft ausgestoßen wurden, in den Liedern und Legenden aber ein ruhmreiches Leben führten. Nach Hamvas gibt es im Leben der armen Kerle (szegénylegények) eine kuruzenhafte Stimmung, während der Kontrapunkt, der fettige Bauer in der Volksmythologie vielmehr als ein Labanze erscheint. Er arme Kerl ist der Topos der Freiheit, der fettige Bauer der Verräter derselben. Hamvas' Bemerkungen dazu lassen eine politisch anmutende Einstellung erkennen: "Der Labanze ist derjenige, der im Gefängnis zur Ruhe kommt. Diese Lage ist zuvor und auch nachher immer zeitgemäß. Es ist keine größerer Verrat vorstellbar als das sich

- 37/38 -

jemand gegen den Freiheitswunsch seins eigenen Volkes mit dem Wächter verbündet. Ginge es in der Tat um die Freiheit, die das Volk verlor und jetzt wiedererlangen kann, so wäre der Verrat nicht so gravierend. Doch ist nicht die Freiheit in Gefahr, sondern das Wunder, der Traum und der Sinn. Deshalb ist sogar der Gedanke davon unverzeihlich, und jeder Groschen ist verflucht, den der Verräter erheilt, jedes Wort ist verflucht, das er zu seiner eigenen Verteidigung sagte, verflucht ist jede Bestätigung, weil er den tiefsten und nie eingestandenen Durst seines Volkes verriet, und dafür gibt es keine Vergebung."[36] Die sittliche Strenge dieser Sätze ist auch nach der Wende in Ungarn aktuell, die die einander wechselnden Regierungen fürs erste schuldig geblieben sind.

Der Mensch der Tiefebene ist laut Hamvas verdächtig und misstrauisch, dem sich noch Heimtücke und Neid gesellen. Er meint, dass sich kein Volk über seine Daseinsfragen im Klaren ist, da sich diese erst in den geistigen Menschen erschließen. Hinzu kommt, dass man das dem Volk als kein Fehler vorwerfen kann, denn: "Der Mensch der Tiefebene ist, trotz der Tatsache, dass er die wichtigsten Kräfte seiner Existenz aus den öffentlichen Tätigkeiten schöpfte und kein höheres Niveau als dieses erreichen konnte, und trotz auch der Tatsache, dass auch das Papsttum nicht nur militant sondern auch intrigant und geschwätzig wurde, politisch unreif geblieben ist und weder die historische Lage noch seine eigenen Möglichkeiten je erkannt hat."[37]

Hamvas hält die Extensivität für ein Charakteristikum der Lebensordnung in der Tiefebene, welche Extensivität auch dem psychischen Leben ihren Stempel aufdrückt. Die hier wohnenden Menschen leisten sittlichen Widerstand gegen das westliche intensive Denken. In der Organisierung der Produktion gibt es wenig vernünftige und sinnvolle Elemente, es wird vielmehr auf das Glück spekuliert. Dementsprechend gibt es hier auch wenig Kollektivisierung und Industrialisierung.

Einen größeren Teil widmet Hamvas der Vorstellung des siebenbürgischen Genius. Er hebt zunächst die Geschlossenheit hervor, aber auch das hat seine geographischen und geschichtlichen Gründe. Die Siebenbürger haben eigenartige Gesichte und Charakteristika. Hier lassen sich vor allem der byzantinische und der griechisch-christliche Einfluss nachweisen. Hamvas meint, dass Byzanz von keinem Hellenismus berührt wurde, also setzten sich hier vor allem die archaischen griechischen Formen durch. Im Leben der Siebenbürger lasse sich diese Zweiheit erkennen, die laut Hamvas aus der Ikonmalerei stammt: Hinter der Steife der geometrischen Formen befindet sich die mit der Darstellung kontrastierende Leidenschaft. Diese Geometrie will den Dämon verdecken.[38]

Verglichen mit den westlichen Formen, für die der Ausgleich bezeichnend ist, bleiben in Siebenbürgen die unausgeglichenen Gegensätze erhalten, und das Gleiche sei auch für die einzelnen Sozialgruppen charakteristisch. Damit verknüpfen sich auch Zeremonien von magischer Herkunft, die die Beziehungen unter den Menschen umständlich machen. All das führt in den psychischen Verhältnissen der Gemeinschaft zu verschiedenartigen Verhaltensweisen. Die Denkweise ist auch durch Kompliziertheit gekennzeichnet. Der dichterische Ausdruck dieser Lebensform sei die Ballade, die wegen ihrer Zusammensetzung aus mehreren Gattungen zugleich geheimnisvoll und dramatisch ist. Diese Balladenhaftigkeit kennzeichnet nach Hamvas auch die Romankunst von Zsigmond Kemény (1814-1875). Eine ähnliche Stimmung verraten auch die Romane mit siebenbürgischen Themen von Mór Jókai (1825-1904). Das ist eine feilschende Welt, die sich unter den diversen äußeren Welten in dieser Weise in Gleichgewicht erhalten musste: "Es musste ein bisschen immer auf den Rest des Landes achten, aber es musste auch mal diesen, mal jenen täuschen, weil es ein bisschen täuschen musste, um leben zu können. Doch ist dieser geschichtliche Zwang ein Missverständnis. Weder der westliche, noch der nördliche, noch der östliche Mensch hätte in eine ähnliche Lage geraten können. Die geschichtliche Situation entspricht in der Regel dem Charakter, der die Situation auf sich nimmt, wobei er stets gleiche Situationen hervorruft. Siebenbürgen ist immer kompliziert, es ist immer zweifach als ja und als nein, es liegt zwischen den zwei wie auch das byzantinische Ikon und die Ballade zweifach und die Gesellschaft abgründig ist."[39]

V.

Dem byzantinischen Einfluss entstammt auch die Neigung zur Intrige in der siebenbürgischen Welt, welche Neigung auch das politische Leben der verschiedenen Zeiten durchwob. Hamvas charakterisiert die extreme Welt Siebenbürgens mit dem Zusammenleben der Zivilisation und des Wilden, wobei er meint, dass diese Extremität auch im wirtschaftlichen Leben Ausdruck gewinnt. Wirtschaft heißt hier soviel wie luxuriöse Pracht, während die Armut mit dem Sich-über-Wasser-halten gleichbedeutend ist. Die Städte Siebenbürgens sind vor allem Kleinstädte, unter denen die sächsischen herausragen, die den westlichen ähneln. Diese Siedlungen haben eine zentrale Struktur, ihre Häuser vermitteln die Stimmung einer diskreten Verschlossenheit.

Hamvas sieht einen historischen Irrtum darin, dass der Karpaten-Becken als geographisches Gebiet

- 38/39 -

für ein einziges Land gehalten wurde, da im Hinblick auf die hiesigen Nationalitäten und Nationen charakteristisch ist, dass hier äußerst verschiedenen Regionen und Volksgruppen mit sehr unterschiedlicher Vergangenheit und psychologischer Einstellung nebeneinander existierten. Die Nationalitäten verfügen laut Hamvas über Geschichten, während das Magyarentum die tausend Jahre alte Tradition pflegt:

"Der Anspruch von allen Nationalitäten, Kroaten, Deutschen, Slowaken, Rumänen auf Boden, Güter und Macht ist innerhalb des Landes partiell. Der Anspruch ist legitim, denn die Bodengüter gehören dem, der das Land bewohnt. Nationalität und Land sind aber nicht gleichbedeutend. Die Nationalität an sich ist noch kein Grund für Autonomie, und neulich, seitdem dies als Grund betrachtet wird, ruft dieser Irrglaube Krisen nach Krisen hervor. Außer den Ungarn hat kein einziges Volk eine Tradition, die sich über alle fünf Regionen mit gleicher Kraft ausdehnen würde."[40]

Anschließend analysiert Hamvas die Wechselwirkungen, Lebensordnungen und die Lebensführung der fünf Regionen ausführlich. In diesem Zusammenhang deutet er darauf hin, dass das Essen in Ungarn immer eine eminente kulturelle Bedeutung hatte.[41]

Einer der wichtigen Mittepunkte der ungarischen gastronomischen Lebensordnung ist das Verhältnis zum Weinbau. Hamvas analysiert die Regionalkulturen des ungarischen Weins in einem selbstständigen Werk, in einem Essay mit dem Titel Die Philosophie des Weins.[42] Der Weinkultur der fünf Regionen widmet er hingegen in den Fünf Genien lediglich eine kurze Ausführung. Er behauptet, dass jede Weinregion ihren intimen Lokalgenius besitzt und fügt hinzu, dass diejenigen, die vom Wein wirklich verstehen, sogar den eigenartigen Geschmack eines bestimmten Weinkellers erkennen können.

Hamvas legt Wert auf die intellektuelle Rolle des Weinverbrauchs innerhalb der Lebensordnung: "Aber diesseits und jenseits dieser südlichen Natur lebt nicht die elementare Wonne des Lebens, sondern das in den höchsten Eigenschaften des menschlichen Geistes verfeinerte orphische Wissen, die bewusste Realität des Augenblicks, die Einheit von Platon, Anakreon, Epikur und Marcus Aurelius, Ideen, Rausch, Heiterkeit und Weisheit zugleich. In Szekszárd ist das völlig anders als in der Gegend von Gyöngyös, anders als in Siebenbürgen, in Erlau oder in Tokaj. Kann man ohne Wein leben? Man kann, aber dann ist das Ganze nicht die Hälfte wert. Die Schnaps trinkenden Völker können diese Stufe der Freude nie erreichen."[43]

Hamvas vergleicht die Erkenntnis der intellektuellen Welt des Weins mit der hohen künstlerischen und religiösen. Er gliedert seine Theorie des Wein in drei Teile. Im ersten Teil behandelt er die Metaphysik des Weins und darin die philosophischen Aspekte der regionalen Kulturen. Er betont, dass der Wein eine übernatürliche Gegebenheit sei. Im zweiten Teil spricht er von der Natur des Weins und stellt dabei das Verhältnis zwischen Land und Wein bzw. die Eigenschaften der einzelnen Weinsorten dar. Im dritten Teil fasst er die rituelle Ordnung zusammen, in der der Verbrauch von Wein mit den unterschiedlichen Bereichen des Lebens in Verbindung steht. Der theoretische Ausgangspunkt der Philosophie des Weins ist eine Klageschrift, die die seelische Armut der Atheisten entlarvt: "Denn der Atheismus als ein eingeschränkter Verstand und ein entartetes Gemüt würde im ganzen Leben leer ausgehen, wenn er irgendwo kein Surrogat fände. Was ist dieses Surrogat? Die übertriebene Aktivität. So führt der Atheismus notwendig zur Gewalt, und da er dazu führt, mussten die Atheisten die Weltmacht erlangen. Und sie haben sie in der Tat erlangt. Die mit ihnen kämpften, haben sie eigentlich beneidet. Für mich war das ein Irrtum. Als die Atheisten sahen, dass sie beneidet werden, wurden sie übermütig."[44]

VI.

Die Grundlage der Klagrede gegen den Atheismus ist die erste Phase jeden menschlichen Denkens, die Wahrnehmung. Die erkannten und begriffenen Dinge kommen auf der nächsten Stufe des Verstandes zum Ausdruck, in dem mit Hilfe der Analyse der Gehalt des Wissen entsteht, der dann vor den Richterstuhl der Vernunft gelangt, wo es entscheiden wird, was mit der begriffenen Kenntnis werden soll.

In seinem Überblick über den Atheismus wirft Hamvas' diesem vor, dass seine Denkweise auf die seelischen Komponenten der geistigen Kultur der Menschheit verzichtet und die Tatsachen und Vorgänge der Welt auf materialistischer Grundlage szientifisch oder puritanisch betrachtet.[45] Hamvas' Weinmetaphysik blickt auf den Paradiesgarten zurück und beschwört dabei jenes in Vergessenheit geratne Wissen, nach dem die Pflanzen den Genius der Spiritualität der Welt in ihren Duften und Ölen bewahrt haben.

Hamvas' Philosophie des Weins hat Weiten und Tiefen für den menschlichen Intellekt geöffnet, die sich auf die unmittelbarste Weise an die Grundfragen des Daseins knüpfen. Hier taucht die einst idyllische Welt des Goldenen Zeitalters auf, die die harmonische und spirituelle Einheit des Menschen in sich trägt. Die Menschheit hat es allerdings eine für allemal verloren, dennoch hat es ein Sinn, es zu beschwören, weil sich das heutige materialistisch-

- 39/40 -

technische Zeitalter an den Werten der einstigen geistigen Einheit Beispiel nehmen könnte.

Kehren wir aber zur Welt der Fünf Genien zurück. Hamvas analysiert hier die Zusammenhänge zwischen Genien und Kulturen detailliert. Er betont, dass die Genien und die Nationalitäten sich nicht ganz decken, da der Nationalismus vor allem im politischen Ideensystem des Nationalismus zum Vorschein kommt, was auf die Auflösung oder das Fehlen der geistigen Einheit hindeutet. In den Nationalismen kommen die Konkurrenz, die Fehde, der Übermut und die eingebildete Geschichtsfälschung zum Ausdruck. Eines von Hamvas' Steckenpferden ist die Deutung der verschiedenen Formen der geistigen Einheit. Sie werden auch bei der Behandlung von Genien und Kulturen untersucht. Diese geistige Einheit sieht er auch in der Universalität des Römischen Reiches und der mittelalterlichen Kirche, in byzantinischen, spanischen und britischen Reich bzw. in der Habsburgischen Monarchie. Die in der geistigen Einheit erscheinenden Genien verknüpfen die verschiedenen Völker der diversen Regionen und strahlen ihre Kräfte auch auf die umgebenden Regionen aus. Außer den fünf Genien Ungarns beschwört Hamvas noch drei, die in anderen Regionen der Welt eine Rolle spielen: "In Europa leben außer den fünft Genien nur noch drei, die keine Spuren in Ungarn haben. Der eine ist der afrikanische, dessen Anwesenheit man in Süd-Sizilien und in Spanien zu spüren bekommt, der aber auch auf Süd-Italien und Süd-Frankreich überstrahlt. Der andere ist der polare Genius, der sich auf den Norden Russlands, Finnlands und Skandinaviens ausdehnt, den Ural überschreitet und tief nach Sibirien überzieht. Der dritte ist der atlantische Genius, der sich von der östlichen Küste bis Nordpol erstreckt; dieser ist geographisch etwa der Kreis des Golfstroms, aus geistiger Sicht der Ort einer uralten und riesigen Zivilisation. Die Ruinen in Süd-England, Wales, Normandie und Bretagne sind vielleicht verwandt mit jenen in Kreta, Peloponnes und Malta. Es gibt sogar Hypothesen, dass die uralte atlantische Zivilisation über die das Mittelmeer hinaus reichte. Auf jeden fall bildet die Küste des Atlantischen Ozeans einen selbstständigen Genius, und es ist nicht unmöglich, dass die Kelten etwas von dieser Zivilisation vermittelten"[46]

Hamvas tritt für die Einheit von Volk, Nation und Sprache ein, welche Einheit sich am besten in der Tradition zeige. In dieser Einheit spielen die geographischen Gegebenheiten eine bestimmende Rolle; darin unterscheidet Hamvas die Begriffe des Raumes und des Ortes. Der Raum sei vor allem psychisch bestimmbar, er ist eine beschreibbare Entität, während der Ort das metaphysische Gesicht einer gegebenen Umgebung zum Ausdruck bringt. "Der Ort hat nicht nur Physik, sondern auch Metaphysik, er ist nicht nur Anblick, sondern auch Genius (vgl. genius loci). Deshalb ist er nicht zu bestimmen, sondern lediglich zu zeichnen, er ist nicht unberechenbar, weil er ein Gesicht ist. Die Räume sind Begriffe, die Orte sind Namen."[47]

Im Begriff des Ortes erscheint der Genius, der ein psychischer Inhalt von hoher Geistigkeit ist. Dieser Genius widerspiegelt sich oft in den Ortsnamen, worauf auch die die Geistigkeit ausdrückenden Abstraktionen beruhen. Daraus resultieren überdies die kollektiven Kategorien, die eine dreifache Gestalt besitzen: Als Mutterbegriffe enthalten sie die grundsätzlichsten Kategorien eines geographischen Bereichs (z.B. Volk, Kultur, Kaste, usf.); als Konfliktfelder bringen sie den Zusammenprall, die Widerstände der einzelnen Kategorien zum Vorschein; als die architektonischen Elemente der Person zeigen sie die individuellen Haltungen der in den einzelnen Landschaften aufgelösten Personen. So gelangt Hamvas zum Begriff der Gemeinschaft, die sich einst aufgrund des kollektiven Heils verstehen ließ. Die Individualität bedeutete in jener Zeit die Absonderung vom kollektiven Heil, und so kam es zu jener Wende, die die erste große Krise der geistigen Welt der Menschheit verursachte. Das Christentum erhob den Begriff des persönlichen Heils auf Podest, wodurch die Freiheit der Person zum Sinnbild der Erlösung wurde. Hamvas stellt die Frage, ob man das kollektive Heil wieder herstellen könnte: "Die Anstrengungen, die das kollektive Heil wieder herstellen wollen und lehren, dass das Heil von einer auserwählten Rasse, Volksgemeinschaft, Klasse oder Religion erreicht werden könnte, sind allesamt gescheitert und die keine Wirkung haben, werden auch scheitern. Wir leben in einem Äon, in dem die Persönlichkeit, also das einzelne, unwiederholbare und unersetzbare menschliche Individuum das letzte Wort behält. Denn das Heil ist kein kollektiver sondern ein individueller Begriff, also wird nicht das Ganze am Heil beteiligt, wie in der Urzeit, sondern jeder einzelne Mensch im eigenen Namen. Die kollektiven Kategorien leben deshalb im Menschen als unwandelbare, doch im Interesse des individuellen Ziels verwendbare Momente, die keinen Selbstwert mehr, weil keine Heilbedeutung besitzen."[48]

In Hamvas' Schriften kehrt jene Epoche in der Geschichte der Menschheit, die man das Goldene Zeitalter nennt, immer wieder zurück. Die Grenze jener Epoche ist das Jahr sechshundert vor Christi. Damals hatte sich im Laufe von drei-vier Generationen alles verändert. "Etwa sechshundert Jahre vor unsere zeit lebten in China Laotse und Konfuzius, in Indien Buddha, in Iran der letzte Zarathustra, in Klein-Sein Herakleitos, in Ägypten der letzte Toth, in

- 40/41 -

Italien Pythagoras. Diesen Wandel kann man heute wie durch einen niedergelassenen Vorhang sehen. Damals wurde er aber nicht nur erfahren, denn, alles spricht dafür, dass man das, was geschah, besser verstand. Seltsam genug: wie weit jene Gebiete liegen und wie unabhängig auch diese Menschen voneinander handelten, beurteilten den Wandel fast eindeutig und fast mit den gleichen Worten."[49]

Hamvas bewertet diesen Wandel in der Weise, dass die Wirklichkeit von China bis Italien gleichsam in zwei Teile gerissen wurde und das Sein verloren ging. Zur Illustration zitiert er Laotse:

Geht der große Sinn zugrunde,

so gibt es Sittlichkeit und Pflicht.

Kommen Klugheit und Wissen auf,

so gibt es die großen Lügen.

Werden die Verwandten uneins,

so gibt es Kindespflicht und Liebe.

Geraten die Staaten in Verwirrung,

so gibt es die treuen Beamten.[50]

Die Abschließung des Seins verbindet Hamvas mit einer Grenzlinie, als das Leben in Erscheinung trat, was aber mit dem Untergang zusammenhänge. Verglichen mit dem einheitlichen Sein im Goldenen Zeitalter enthält das Leben nunmehr fragmenthaft den Gehalt des wahren Seins, während die Menschheit den ersten Schritt zur Apokalypse macht. Jede Sünde und jedes Leiden lässt sich erst im Verhältnis zum Goldenen Zeitalter deuten, mithin das Goldene Zeitalter ist die Voraussetzung der Apokalypse. In den vergangene mehr als zwei und halb Jahrtausenden erschien der Wunsch nach dem Goldenen Zeitalter wiederholt. Ist aber wohl die Einheit des Goldenen Zeitalters ein für allemal verloren gegangen? "Denn das goldene Zeitalter ist nichts anderes als das Urbild des Lebens. Das ist das gelöste Leben, das vollendete, geformte, fertige, erfüllte, mangellose Sein. Und weil das goldene Zeitalter das Sein ist, ist es nichts anderes, als der Gegenstand der permanenten und unstillbaren Sehnsucht in jedem Menschen und in jeder Zeit. Die Apokalypse ist ihrerseits das aufgelöste und zerrissene Leben, das Leben in fließendem Zustand, formlos, ungelöst. Das goldene Zeitalter ist die Erfüllung, die Apokalypse die Möglichkeit. Und seitdem das goldene Zeitalter verloren gegangen ist, lebt die Menschheit in Apokalypse. Apokalypse heißt wortwörtlich soviel wie revelatio, Erschließung, urteilhafte Offenbarung. Das goldene Zeitalter heißt wortwörtlich soviel wie das Glück des Heils. Die zwei Ausdrücke sind die zwei extreme Lagen des Seins."[51]

Hamvas sieht auch in den Kräften der fünf Genien das Verhältnis zum Goldenen Zeitalter bzw. die apokalyptische Zeit der Gegenwart: "Die Kräfte der fünf Genien sind das Lebensideal (im Süden), die Kultiviertheit und das soziale Gleichgewicht (im Westen), die Naturnähe und die Empfindsamkeit (im Norden), die Sehnsucht nach Freiheit (im Osten) und der verwickelte Reichtum (Siebenbürgen). Heute prägen sie in erster Linie eine Frage der Persönlichkeit, doch in dem Sinne, dass sich die Einheit, Ordnung und das hohe Niveau innerhalb des Volkes erst dann verwirklichen lässt, wenn sich viele Menschen dieser fünf Genien harmonisch bewusst werden. Ungar zu sein heißt Gleichgewicht zu schaffen in der Welt der fünf Genien. Und gerade dieses Gleichgewicht ist es, was sich nach unserem historischem Gedächtnis noch in keinem realisiert hat."[52]

Anschließend analysiert Hamvas die wichtigen Wendepunkte in der ungarischen Geschichte aus der Sicht der Entstehung der Genien und geht dann zu einer Untersuchung der psychischen Archetypen des Ungarntums über. Diese Typologie bringt die Urformen der Genien zustande. Während aber in Europa, wie Hamvas sagt, die einzelnen Völker zwei oder drei Genien in sich vermengen, hat das Ungarntum fünf Urtypen: 1. Den südlichen Typus, gleichbedeutend mit Ruhe bzw. Idealität und rhythmischem Lebensanspruch des Instinkts des goldenen Zeitalters. 2. Den westlichen Typus, in dem die Bildung, das Praktische und das Zivilisierte erscheinen. 3. Den nördlichen Typus, der Provinzialität, Halbbildung und Melancholie enthält. 4. Den östlichen Typus, der lethargisch und heftig, zugleich aber übermütig und gespannt bzw. vorläufig ist. 5. Den siebenbürgischen Typus, der klug, praktisch, raffiniert, vielseitig und zerrissen ist. "Das Ungarntum lebt aus der Einheit dieser fünf Archetypen, er muss sogar aus ihnen leben, denn es hat keine andere Möglichkeit, als aus diesen fünf zu leben. Die Schwierigkeit ergibt sich aber daraus, dass es bei alledem nicht aus ihnen lebt. Die vollkommen ausgeglichene Verwebung ist allerdings selten und gewinnt nur in den besonders großen Persönlichkeiten des Volkes Gestalt. Es ist auch natürlich, dass alle hier lebende Menschen den Stempel der eigenen Region am prägnantesten tragen. Die Schwierigkeit liegt nicht darin, dass er von den anderen vier keine Kenntnis nimmt und sie nicht als mit ihm gleichrangige anerkennt, sondern darin, dass er den anderen Archetypen gegenübersteht, und zwar feindlicher und ausschließlicher als wenn er fremder Herkunft wäre."[53]

Der Meinung von Hamvas über die "Fremdheit" der fünf Genien zueinander widerspricht die Tatsache, dass die Bewohner der verschiedenen Regionen im Laufe der ungarischen Geschichte sehr oft imstande waren, sich zu einem bestimmten Zweck zusammenzuschließen. In diesem Bezug sieht er die Abweichungen unter den einzelnen Regionen als gravierender an, als sie in Wirklichkeit zu Tage

- 41/42 -

traten. Dass es Unterschiede in den Traditionen, Auffassungen und sogar in der psychischen Verfassung der einzelnen Volksgruppen in den verschiedenen Regionen gibt, ist ein natürliches Phänomen, aber dass gerade das das fehlende Element in der Zusammenwirkung der fünf Genien wäre, lässt sich vielmehr als eine Übertreibung bezeichnen, wenn man es im Kontext einer bestimmten geschichtlichen Epoche unter die Lupe nimmt. Hamvas erfordert die Einheit der fünf Genien aufgrund der zweitausend Jahre alten Einheit des Goldenen Zeitalters, die nichts anderes ist, als die auf die Gegenwart projizierte Idee einer ehemals möglichen Einheit. Dieses Prinzip wäre aus der Hinsicht relevant, dass es die Ziele einer jeden Gemeinschaft befördern könnte; es konnte sich aber in den vergangenen zwei und halb Jahrtausenden gerade deshalb nicht verwirklichen, weil die erwähnte Einheit wohl auf immer aufgelöst und für den Menschen der apokalyptischen Epoche zu einem bloßen geschichtlichen Denkmal wurde.

Im nächsten Schritt untersucht Hamvas die Frage nach der Einheit im Bezug auf die Entstehung der Zivilisation. Er geht von der Philosophie des Brahma aus und projiziert sie auf die ungarische Geschichte. Er vertritt den Standpunkt, dass sich das Erscheinen des christlichen Priestertums nach der ungarischen Staatsgründung (im Jahre 1000) als ein anorganischer Prozess abspielte, da die Aufnahme des Christentums bei den Ungarn nicht die Veränderung der geistigen Identität, sondern ein politisches Mittel zur Erhaltung des Ungarntums und seiner Angliederung an den katholischen Westen bedeutete. Man denke nur daran, dass es zur Verbreitung des Christentums Jahrzehnte lang der Gewalt bedurfte und die heidnische Glaubenswelt in der Arpád-Zeit stets parallel mit der neuen Religion im Geheimen zugegen war und wirkte; einige ihrer Elemente haben sich sogar in die geistige Kultur des ungarischen Christentums eingebaut.

Ebenfalls im Bezug auf die Einheit würdigt Hamvas das Schicksal einiger hervorragender historischer Persönlichkeiten: "Das Volk wurde somit zum typischen Bereich der reichen aber nirgends gehörenden Talente zum Land der Nationalitäten und Sekten, ohne ernsthafte universelle Beziehungen. Es lebten hier manchmal überragende, aber immer allein stehende und deshalb verbindungslose Individualitäten ohne Vor- und Nachfahren, die keine Tradition, sondern höchstens nur ein momentanes Gleichgewicht schöpfen konnten, das sich nach ihrem Tod auflöste."[54]

Bei seinen diversen geschichtlichen Untersuchungen wendet sich Hamvas oft an den uralten, aus dem Goldenen Zeitalter abgeleiteten Einheitsbegriff und seiner Gleichgewicht schöpfenden Rolle. Damit in Verbindung hat er 1964 einen Essay mit dem Titel Einheitslogik aus hundertzwanzig Abschnitten geplant, aus denen er sechsunddreißig beenden konnte.[55]

"Die analogische Logik steht im Zeichen der Eins, die rationalistische Logik im Zeichen der Zwei, die Einheitslogik im Zeichen der Drei. Der Schöpfer der Einheitslogik was Jacob Böhme. Die Basis der Einheitslogik ist der Begriff des Inqualierens. Das Inqualieren bedeutet die gegenseitige Durchdringung. Die gegenseitige Durchdringung ist die folgende: Ich ziehe im Denken, wenn ich zwei logische Einheiten einander nähere, die zwei Elemente solange zusammen, bis sie fast identisch werden. Aber: Bevor die Identität eintritt - da in den zwei Elementen noch immer etwa übrig bleibt, das nicht identifizierbar ist -, löst dieser Punkt einen Gegenwirkung aus. Die zwei Elemente beginnen sich wider zu distanzieren, was solange dauert, bis die zwei Elemente die Grenze des Gegensatzes erreicht haben. Aber: Sie werden zu keinen Gegensätzen, da in den zwei Elemente noch immer ein einziger Punkt übrig bleibt, der nach wie vor identisch ist. So beginnen die zwei Elemente sich einander wiederum zu nähern. Die Annäherung dauert solange, bis die zwei Elemente die Grenze der Identität erreicht haben. Und so geht es immer weiter."[56]

In Hamvas' Analyse realisiert sich die Einheitslogik durch die Verknüpfung von analogischer und rationeller Logik. Den Grundsatz ergänzt er noch damit, dass die falsche Wahl einer notwendigen Logik bei der Lösung eines Problems zum Wirrwarr führen kann. Das geschieht z.B. wenn man eine analogische Logik auf die Prozesse der rationellen Logik überträgt. Auf die Relation zwischen Einheit und Logik geht übrigens Hamvas bereits in den Fünf Genien ein.[57] Er zeigt dort, dass der wichtigste Teil jeder Einheit der Mittelpunkt als die Möglichkeit der Bezugnahme ist, der aber keine Identität und keine Gleichheit bedeutet, weil in jener die Bestandteile nicht zu unterscheiden, in dieser aber die Teile gegeneinander austauschbar sind. Die Grundvoraussetzung für die Durchsetzung jedweden Einheitsbegriffs ist somit, dass er durch unterschiedliche Elemente hervorgebracht werde. Außer dem Mittelpunkt ist noch das Gesicht ein wichtiger Teil der Einheit, in dem sich der Mittelpunkt ausdrückt. Die in der ungarischen Geschichte häufig vorkommenden Phänomene der Uneinigkeit, des Verrats oder des Bruderzwistes erklärt Hamvas ebenfalls mit dem Fehlen einer solchen Einheit.[58]

VII.

Anschließend spricht Hamvas ein strenges Urteil über das ungarische Volk im Bezug auf geschichtlichen Situationen aus, nämlich als Fremde das Land

- 42/43 -

eroberten: "Die Eroberer verstanden die unerhörte Menge an anonymen Anzeigen nicht, sie wunderten sich, erschraken und verachteten dieses feige und schlechte Volk, in dem die Menschen ihre eigenen Brüder auf diese Weise verraten und ausliefern konnten"[59]

Man kann dazu immerhin bemerken, dass in Frankreich im Zweiten Weltkrieg während der deutschen Besatzung das kollaborierende Verhalten auch charakteristisch war. Die große Zahl dieser Fälle wurde von der Geschichtswissenschaft auf verblüffende Weise nachgewiesen.

Hamvas betrachtet auch die ungarische Aufklärungs- und Reformzeit im Spiegel des Einheitsbegriffs. Er meint, dass die mit Bessenyei beginnende Erneuerung zum bis dann fehlenden Aufstieg des Ungarntums diente, welchen ein halbes Jahrhundert andauernden Prozess er mit der Erscheinung des Genius gleichsetzt. Vom Beginn der Reformzeit aber, da die politische Tätigkeit vorherrschend wurde, verlor diese Genius an Kraft. Zwei spätere Perioden - zwischen dem Ausgleich und dem ersten Weltkrieg bzw. zwischen den zwei Weltkriegen - hätte für die ungarische Nation erneut eine Möglichkeit schaffen können, den geistigen Genius zu verwirklichen. Die fehlende geistige Tradition hätte wohl dazu beitragen können, dass die vergangenen zwei Jahrhunderte der ungarischen Geschichte im Bezug auf die Selbstverwirklichung erfolgreicher werde. Dafür, dass das nicht so geschehen ist, trägt in den Augen von Hamvas der ungarische adelige Kaste die größte Verantwortung. Ein weitere Grund liege darin, dass "sie nicht die eigenen Kräfte gebrauchte und ordnete, nicht die eigenen Fähigkeiten entwickelte und bewusst machte, wie das von der Kschatrija in sich, ohne eine geistige Kaste auch nicht anders machen kann, sondern an Oberflächen und Äußerlichkeiten, am nicht vorhandenen Ruhm Gefallen fand. (...) Konfuzius sagte, die Herrschaft des Adels dauere höchstens zehn Generationen, die Herrschaft des Bürgertums höchstens fünf Generationen, die Herrschaft der Knechte höchstens drei Generationen lang. Eine geordnete und andauernde Herrschaft kann nur die geistige Kaste schaffen und aufrechterhalten."[60]

Hamvas hält den Adel im Grunde zur Führung eines Volkes oder Staates für unfähig, insofern er im Irrglauben lebt, dass man in einem Lande auch mit Verordnungen und Verkündigungen regieren könne. Diese Idee beherrschte den Adel im ganzen Europa und lässt ihn die Technik der Herrschaft darauf einschränken, Gebote zu erlassen, die dann vom Volk befolgt werden. "Der Platz der Gemeinschaft wird leer. Man lebt nur oberhalb und unterhalb der Gesellschaft, in ihr lebt niemand."[61] Damit im Zusammenhang meint Hamvas, dass die Selbstverderbung, der Todesinstinkt, der Verderbungsinstinkt des Adels nicht nur in Ungarn, sondern auch im ganzen Europa charakteristisch wurde. Diese Situation wurde dadurch noch weiter erschwert, dass nach einer Zeit in der Tat nicht mehr der Adel selbst, sondern sekundäre Machtfaktoren, Banken und Abenteurer im Namen des Adels herrschten. So entstand die parasitäre Macht. Diese Tendenz ging überdies mit verschiedenartigen sophistischen Ideen einher, die Korruption verbreitete sich, der Wille der Schwindler und Hochstapler setzte sich durch.

Für Hamvas ist in diesem Prozess das Bedauerlichste, dass das Fehlen der Einheit der Genien bzw. das Politische ohne Charisma das Schöpfen und die Geltung von geistigen Werten vollends in den Hintergrund drängten. Dennoch glaubt Hamvas unerschütterlich an die Idee der intelligenten Gesellschaft, an die weitgehende Durchsetzung der ethischen Lebensprinzipien, obgleich er selbst darüber im Klaren ist, dass das 20. Jahrhundert als die Zeit der Industrie, des Geldes und der Technik keinen fertilen Boden dafür bietet, dass die Massengesellschaft durch pädagogische und erzieherische Ideale zu einer ideellen menschlichen Welt geführt wird es ist ein interessanter kulturphilosophischer Beitrag in Hamvas' Denken wenn er meint, dass die Zigeunermusik eine bedeutende Rolle im Untergang des Adels hatte: "Die Zigeunermusik ertönt gleichzeitig an den großen Bällen, in den Dorfkneipen, an Hochzeiten und Festen und in den Cafés, und sie ist außer der vokalen und soloinstrumentalen Musik die einzige instrumentale Musik. Es ist unmöglich, dass etwas Wohlmeinendes so tief schlecht wäre. Wahrscheinlich ist das, was sie heute ist, das Ergebnis eines seit Jahrhunderten andauernden Komödierens. Es ist unschwer zu erkennen, dass sie in irgendwelcher Form in der Gefühlstradition schmarotzt; ob sie überheblich und voller patriotischer Melancholie ist oder eben stampft: sie ist mit keiner ernsthaften Musik vergleichbar. Sie ist eine Form des musikalischen Synkretismus, der den Gemeinplatz und die Wirkung erzielt und an die unterste Stufe des Geschmacks appelliert - wenn man das überhaupt Geschmack nennen kann. Wie sich in den untergehenden Epochen einer Gemeinschaft außerhalb und unterhalb der Kasten die Ausgestoßenen einer Gesellschaft zusammentun, so schlägt sich die schwarze Kunst in der Dichtung und in der Musik nieder, welche schwarze Kunst das Exkrement der echten ist."[62] Hamvas weigert sich glatt, die Zigeunermusik die Geheimmusik der ungarischen Dichtung zu nennen, und warnt auch davor, dass diese Art Musik alleinherrschend werde.

Anschließend interpretiert Hamvas den Begriff des Westens aufgrund des Gehalts des Genius und

- 43/44 -

der Wirkungen der Zivilisation. Die Wurzel des Problems sieht er darin, dass nach der Zeit der Streifzüge das westliche Priestertum und Rittertum die Konsolidierung der eindringenden nomadischen Kulturen versuchte, in welchem Prozess der östliche Genius nichts widerstandslos aufnehmen konnte. Hamvas unterstreicht dabei die Meinung , die auch von den Orientalisten seiner Zeit häufig geäuoßert wurde, nach der der Grund für die Wertunterschieden zwischen Westen und Osten darin bestehe, dass für die Völker des Orients die abendländische Zivilisation zur Hindernis ihrer freien Selbstentfaltung wurde. Der Pseudomythos hat sich mit der Wirklichkeit der geschichtlichen Zeit vermischt, was in der Zeit der Krise der westlichen Zivilisation peinliche Folgen hatte. Zum Hass zwischen Ost und West bemerkt Hamvas, er sei eine grundlose kollektive Projizierung, die in allen geschichtlichen Zeiten vorkomme. Daraus stamme die in der Vorstellung der Massen immer zauberhafte Suche nach dem Sündenbock; dadurch wird die Verfolgung der Ketzer, der Juden oder der einzelnen Gesellschaftsgruppen ein leichtes Spiel. Die Methode der Projizierung habe sich außerdem auch in die politische Welt eingebürgert und wurde auch in der Gegenwart zu einem ernsthaften Wirkungsfaktor. "In den schlecht regierten Völkern entsteht irgendwelche Phantasmagorie fast gesetzmäßig, die die eigene Unzufriedenheit und die infolge der schlechten Regierung erlittenen Sorgen auf eine andere soziale Gruppe projiziert und auch solche Gruppen zügellos hasst, die mit den Ursachen der Leiden nichts zu tun hat."[63]

Hamvas fügt hinzu, dass die Projizierung in den eigenartigen geschichtlichen Ereignissen auch eine wirkliche Rolle spielen kann. Die Gedankenwelt des Ostens hat das Christentum schwer aufgenommen und sah darin vor allem nur die Unterdrückungsmechanismen des Westens. Der Hass wurde auf den Westen übertragen, welcher hier eine Selbstschutzfunktion hatte: Daraus erwuchs die große Spannung zwischen den zwei Weltordnungen: Der östliche Westen-Hass und die westliche Ost-Romantik standen einander gegenüber. Hamvas macht den folgenden Vorschlag zur Auflösung dieses Gegensatzes: "Der ost-westliche Gegensatz lässt sich auf einem einzigen Weg beseitigen. Dieser Weg ist, dass sich der Mensch der Fünfschichtigkeit des Ungarntums bewusst wird, zwischen die Schicht der Tiefebene und der Westens die südwestliche, nördliche und siebenbürgische, mithin eine geniale Kraft einschiebt, die die Spannung auflöst. Jeder ungarische geistige Mensch, und vor allem die Dichter haben den Antagonismus in dieser Weise überbrückt."[64]

Als Beispiel dazu erwähnt Hamvas die Lyrik von Mihály Csokonai Vitéz (1773-1805), dessen Erlebnishintergrund aus dem östlichen Gedankengut, während seine poetischen Mittel aus den westlichen Formen stammten. Für Hamvas ist wichtig zu erkennen, dass die Mittel der ungarischen Sprache die östliche Spiritualität bereits verloren, während die rhetorischen Formen des Westens die hinterlassene Leere ausgefüllt haben. Bezüglich der Sprache setzt Hamvas hohe Maßstäbe, da er die Sprache des Goldenen Zeitalters als Vergleichsgrundlage annimmt.[65] Die orphische Prosa verschwand aus der europäischen Tradition parallel mit dem Erscheinen der Nationalsprachen, wodurch auch der Logos aus dem Zentrum in den Hintergrund trat. Die ungarische Spracherneuerung bedeutete auch eine Möglichkeit zur Widerherstellung des Logos, doch konnte hauptsächlich nur die Erweiterung des veralteten Wortschatzes verwirklichen. Daraus erwuchs die Tendenz, dass die Sprache selbst einen sophistischen Charakter erlangte. So musste Hamvas in seiner Zeit wahrnehmen, dass sich zwischen der Umgangsprache und der geistigen Sprache ein immer größerer Abgrund auftat. Den Hauptgrund dafür sah auch er darin, dass die Umgangsprache dermaßen verflachte, dass sie sich immer weniger an die geistige Sprache knüpfen ließ. Hamvas greift auch diesem Kontext gerne zur östlichen Welt der Kasten. Obwohl diese Gesellschaftsschicht immer eng war und von der Gesellschaft abgeschieden, abgeschottet wurde, meint Hamvas dennoch, dass sie nötig ist, da sich ihre Ausstrahlung auf die ganze Gesellschaft auswirkt. Die Grundlage der Herrschaft der Kaste ist nicht die politische, sondern die geistige Macht. Als Beispiel dafür erwähnt er, dass die Zivilisation zwischen der neolithischen Zeit und dem Mittelalter grundsätzlich metaphysische Kulturen mit religiösem Inhalt und theokratischer Ordnung waren.

Nach Hamvas lässt sich die harmonische Lebensordnung lediglich durch eine metaphysische Hauptmacht realisieren. Diese geistige Herrschaft könnte sich in Ungarn in der Gegenwart der fünft Genien verwirklichen; stattdessen wurde diese Forderung lediglich von ein paar überragenden historischen Persönlichkeiten durchgesetzt. "Die Kräfte, wenn ihre Wirkung nicht positiv sein kann, werden negativ und schaffen keine Einheit sondern nur Auflösung. Die andere Seite des Genius ist der Dämon. Der Lenker des ungarischen Volkes im Großteil seiner Geschichte war, nach außen, aber vor allem nach innen, der dämonische Hass."[66] Damit lässt sich auch ein Phänomen in der ungarischen Geschichte erklären, dass nämlich die Herstellung und Durchsetzung der geistigen Kasten nur versuchsweise vorhanden war und der Logoszentrismus in keiner Epoche zur allgemeinen Gültigkeit gelangte. Diese Lage wurde

- 44/45 -

durch die moralische Krise noch gravierender, die jeder ungarischen Schicksalswende gesetzmäßig folgte.[67]

Das Tragischeste in der Geschichte Ungarn liegt für Hamvas darin, dass die sich bietenden Möglichkeiten und Chancen zur Schöpfung einer geistigen Kaste fast immer gescheitert sind. Doch wird diese Chance von jeder Epoche entdeckt, wozu laut Hamvas drei Dinge notwendig sind: Namenlosigkeit, Machtlosigkeit und Vermögenslosigkeit. Dieses Rezept für die Heilung der geschichtlichen und politischen Wirklichkeit des 20. Jahrhunderts hat sich aber verspätet, denn die Regeln des industriellen Kapitalismus, der Massengesellschaft und des technischen Zeitalters haben sich dermaßen eingebettet, dass Hamvas' menschliche und moralisch-geistige Lösung lediglich unter musealen Denkmälern einen Platz finden könnte. Die Unmöglichkeit dieser Lösung sah er selbst allzu gut, denn die in der geistigen und psychischen Krise des Westens wurden bereits die Politik, die Psychologie, die Pädagogik und sogar die Religion unverkennbar von der Wirtschaft beherrscht. Die Möglichkeiten der Teillösungen waren keine Selbstverständlichkeit mehr. "Jede Frage wurde zur Frage der Menschheit. Jede Lösung muss aus diesem Ganzen ausgehen. Und dieser Schlüssel zum Ganzen wurde im Wissen um den menschlichen Grundzustand gefunden. Das ist der Kern des ewigen brahmanischen Wissens. Es ist daran zu erkennen, dass es nicht säkularisierbar ist. Es ist polarisierbar und nicht auflösbar. Es ist nicht nötig, zwischen Exoterikern und Esoterikern zu unterscheiden. Wer dazu nicht reif ist, hat sich selbst ausgeschlossen. Es liegen keine Spannung und kein Reiz darin. Es ist nicht der Bereich der Entdeckungen. Es taugt weder zu Predigten, noch zu Parteiprogrammen. Wer mehr gelitten hat, versteht es besser, wer bewusster ist, der sieht darin tiefer, wer in seinem Leben reiner ist, kommt ihm näher. Es gibt in ihm nichts Abstraktes und keine Willkür. Das ist das naive und komplexe Wissen des Anfangs der Anfänge, in dem aber die kindliche Einfachheit eine endgültig reife Versöhnung ist, und in dem die Mathese und der Traum sich ebenso decken wie das Wunder und die Realität."[68]

Dazu empfiehlt Hamvas den spirituellen Geist der Brahmanen, also ruft er zur moralisch-geistigen Lösung der krisenhaften Probleme des Westens das östliche Denken zur Hilfe. Es ist kein Zufall, sagt er, dass diese Geistigkeit in Europa vor allem in den Werken von Literaten und Künstlern aufzufinden ist. Unter den Denkern des Westens wurden nur wenige vom brahmanischen Geist berührt, doch konnten sie keine zusammenhängende Tradition stiften (Cusanus, Leonardo, Shakespeare, Cervantes, Böhme, Pascal, Bach, Mozart, Hölderlin, Nietzsche, Tolstoj). Es ist auch problematisch, dass die künstlerische und wissenschaftliche Geistigkeit im 20. Jahrhundert seine Leuchtturm-Rolle längst verloren hat.[69]

Dafür, dass der Brahma des östlichen Denkens dem Westen - und darin Ungarn - beim Ausgang aus den permanenten Krisensituationen Hilfe leisten kann, ist laut Hamvas die wichtigste Bedingung, dass diejenigen, die das Leben der anderen leiten, außerhalb der verschiedenen sozialen Prozessen stehen, denn erst auf diese Weise könne man die Interesselosigkeit erreichen und die Voreingenommenheit vermeiden.[70] Auf diesem Grund hofft Hamvas die Weltkrisenphänomene seiner Gegenwart zu beseitigen und dazu beizutragen, "dass sich anstelle der modernen szientischen Atheokratie die Möglichkeit einer neuen Zivilisation eröffnet."[71] Er fügt aber hinzu, die Weltkrise sei noch nicht am Ende, sie habe ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht. Die Sehnsucht nach der universellen Ordnung sei noch nicht generell bezeichnend. "Das Unwissen um die Wirklichkeit ist noch so verbreitet, dass man weltweit wirtschaftliche, politische, militärische und technische, mit einem Wort: abstrakte Lösungen ausprobiert, ohne eine Ahnung von der wirklichen Lage zu haben."[72]

Diese Situation wird noch dadurch erschwert, dass die früheren Werte und adäquaten geistigen Inhalte Europas allmählich in den Hintergrund gedrängt wurden. Hamvas ist der Meinung, dass die Herstellung eines geistigen Europas als Lösung in Ost-Europa realisierbar ist, während im Westen das Gleiche wegen der herrschenden Irrglauben nicht mehr möglich sei. Die Entfaltung ist umso schwieriger, als dass die östliche und westliche Elite gleichermaßen in einem geistigen Parasitismus leben. Das größte Problem der Elite ist, dass sich in ihrer Tätigkeit die Politik von der Moral trennte. "Wo immer die Elite entstand, war sie traditionslos, ein Pöbel ohne Kaste (Chandala), mit dem Unterschied, dass er sich in der Gesellschaft nicht nach unten, sondern nach oben niederschlug; so kam im Laufe der letzten hundert fünfzig Jahre der für Europa typische Übermensch-Chandala ins Leben, der mit seinem Lebensstil nicht nur die Geldmenschen, die Diplomatie, den Großhandel und die Großindustrie, sondern auch die Kirche, die Kunst und die Wissenschaft beeinflusste."[73]

In der Deutung von Hamvas spielen die qualitativen Beziehungen zwischen Persönlichkeit und Gemeinschaft eine wichtige Rolle. Die kollektiven Kategorien können in der Modernität die Bedingungen der positiven geistigen Widerherstellung der Persönlichkeit nicht mehr schaffen. Die Individualität der westlichen Persönlichkeit löst sich im

- 45/46 -

Kollektiv nicht mehr auf, sie baut vielmehr Mauern zwischen sich und die Gemeinschaft. An diesem Punkt gelangt Hamvas zur Idee eines utopistischem oder ideellen Staates: "Der universelle Staat, auf den heute der Mensch wartet, ist deshalb Menschheitsstaat in der Weise, dass in ihm alle Kollektive frei leben können, jede Rasse, jede Klasse, Religion oder Nation ihr Werk frei schaffen kann."[74]

Auf den letzten Seiten der Fünf Genien charakterisiert Hamvas das Verhältnis zwischen Mensch und Boden, und zählt die Werke mancher europäischen Autoren auf, die zu diesem Thema umfangreiche Theorien geschaffen haben. Die Liste ergänzt er mit volkscharakteriologischen und umwelttheoretischen Werken und geht dann zu den Werken der ungarischen Autoren in diesem Thema über. Die Schriften von Gyula Szekfű [siehe oben im Kap. Multikulturalität und Metaphysik) über die Probleme der ungarischen Nation hält er eher für politisch als wohlmeinend. Er ist der Meinung, dass die Schriften von Friedrich Riedl neben jenen von Lajos Fülep und Lajos Prohászka bezüglich der Schicksalsfragen des Ungarntums die authentischsten sind. Prohászkas Der Wanderer und der Exulant (s. Kap. Die Höllenfahrt des Wanderers.) ist in seinen Augen, eben wegen der Einheitsidee, die authentischste ungarische Schicksalsdeutung. Die Zivilisationsfragen betreffend schätzt er die Ergebnisse der kulturmorphologischen Richtung repräsentiert von Spengler und Frobenius als eminent bedeutend. Wiederum im Bezug auf die Einheitsidee findet er die Bestrebungen der Gesellschaft, Tradition und Philosophie nach Einheitlichkeit beachtenswert. Seine eigene Theorie passt gerade in diesen kulturmorphologischen Ansatz hinein, da in ihr die Stileinheit zwischen Landschaft-Mensch-Lebensordnung eine reelle Harmonie begründet. In diesem Bezug unterscheidet Hamvas zwischen Tradition du Zivilisation, insofern die erwähnte Stileinheit nicht auf der Zivilisation, sondern auf einer Grundeinstellung beruht. An diesem Punkt verbindet er die östliche brahmanische Moralphilosophie mit der westlichen Geschichtsphilosophie: "Die brahmanische Geschichte wird heute Geschichtsphilosophie genannt. Spengler, Frobenius, Sorokin, Toynbee stehen dadurch, dass sie sich nicht mit Epochen und Völkern, sondern mit größeren Einheiten, mit Zivilisationen befassten, der brahmanischen Geschichte näher, denn sie suchten nicht danach, was geschehen ist, sondern danach, was der Sinn davon ist und welche Folgen das hat, was geschehen ist."[75]

Im Kontext der Frage nach der Tradition hebt Hamvas die Bedeutung von René Guénon hervor, der im 20. Jahrhundert am ausdrücklichsten verkündete, dass man zur Lösung der Probleme der Gegenwart zum Urwissen der Kulturen zurückkehren müsse. Guénon verwarf den Begriff der Zivilisation und die damit verbundene Fortschrittsidee. Hamvas behauptet in Einvernehmen mit ihm, dass die Rückkehr zur Tradition und die Befreiung von den materialistischen Objektivationen notwendig sind.

VIII.

In den Schlussfolgerungen der Fünf Genien konstatiert Hamvas, dass die Sprache der Metaphysik in Europa kompromittiert wurde, weshalb die Zeit noch nicht gekommen sei, dass der Abendland aufgrund der östlichen und westlichen Traditionen jene geistigen Kasten aufbaut, die die Erneuerung der euroatlantischen Welt versuchen könnten. Darauf müsse man noch geduldig warten, bis sich die Sprache de Szientismus hinlänglich kompromittiert hat und ein Versuch der Neuverwendung des ursprünglichen Sinns der Wörter gemacht werden kann. Sollte dies erfolgen, dann ergäbe sich die Möglichkeit einer Lösung der Probleme der Nationalismen und der Säkularisation.

Die Ergebnisse der geschichtsphilosophischen Theorie von Hamvas können auch für die Denker des 21. Jahrhunderts aufschlussreich sein: Die Tradition verkörpert durch das Goldene Zeitalter, das einst die geistige Einheit verwirklichen konnte, ging nach der Krise im Jahr 600 v. Chr. unter und die Menschheit trat in die geschichtliche Epoche der Apokalypse. An der Schwelle des 21. Jahrhunderts sind die euroatlantischen Weltphänomene der Spätmoderne nach wie vor ungünstig für die Aufnahme der von Hamvas vorgeschlagenen Lösung, doch kann unsere Aufgabe darin bestehen, die Theorie dieses überragenden ungarischen Denkers der Vergessenheit zu entreißen. ■

ANMERKUNGEN

[1] Hamvas Béla: Világválság. (Die Weltkrise, im Weiteren: Weltkrise). Magvető, Budapest 1983

[2] Vgl. Pitirim Soronkin: Social and Cultural Dynamics. London: Allen Unwin 1937, vol. 3: Fluctuation of Social Relationships, War and Revolution. Hier: S. 532f.

[3] Weltkrise, S. 63f.

[4] Wir heben nur einige von Hamvas' Schriften hervor: Kulturmorfológia (Kulturmorphologie). Protestáns Szemle Juni 1935, S. 279-286. Keyserling új könyve. (Das neue Buch von Keyserling). Társadalomtudomány Oktober-Dezember 1934, S. 318-324. A szellem és a háború (Der Geist und der Krieg). Társadalomtudomány Juli-Dezember 1939, S. 200204. A válság pszichológiája (Die Psychologie der Krise). In: Országút, Mai 1936, S. 13-16. A világnézetek lélektana (Die Seelenkunde der Weltanschauungen). Katolikus Szemle Juni 1938, S. 359-361. A mai világ képe (Das Bild der heutigen Welt). Pannónia Juni-September 1938, S. 287-293. W. Kröner: Der Untergang des Materialismus (Rezension). In: Athenaeum 26 (1939), H. 2/3, S. 185-187.

- 46/47 -

[5] Weltkrise, S. 65.

[6] Weltkrise, S. 66f.

[7] Weltkrise, S. 70.

[8] Weltkrise, S. 75.

[9] Weltkrise, S. 80.

[10] Weltkrise, S. 9-33.

[11] Zitat in der Weltkrise, S. 22.

[12] "Und der Nihilismus kulminiert nicht dort, wo der heutige Mensch die Religion verlässt, die ihn verlassen hat, sondern wo er trotz seiner Überzeugung und der Ferne der Religion auf einer Illusion beharrt, an die er subjektiv nicht mehr glaubt und die objektiv keine geschichtliche Wirklichkeit und Gegenwart mehr besitzt. Und das ist eigentlich nicht einmal der endgültige Nihilismus, der jetzt in Europa herrscht. Dieser Standpunkt ist, wie Löwith schreibt, noch unvollkommen wie der Atheismus, der zwar an Gott nicht mehr, aber als Ersatz an das Nichts als einen versteckten Gott glaubt. Der Atheismus ist nur das vorletzte Ergebnis der Auflösung unserer Zustände, ebenso, wie auch der wissenschaftliche Positivismus eigentlich die Vor-Philosophie der Enttäuschung ist. In Ermangelung eines Glaubens glaubt er zunächst an die Glaublosigkeit. Gegenwärtig befindet sich der Mensch in einem Übergangszustand, in dem er im Grunde an nichts glaubt, trotzdem alles beim alten belässt: Er glaubt an kein christliches Jenseits, doch beharrt auf ihm in Form einer weltlichen Eschatologie, er verwirft die christliche Selbstleugnung, stellt sich dennoch nicht an die Seite das natürlichen Selbstvertrauens." Weltkrise, S. 23f.

[13] Weltkrise, S. 31f.

[14] Weltkrise, S. 40f.

[15] Weltkrise, S. 46.

[16] "Der Mensch öffnet sich vor der Zeit, damit sie durch ihn geschieht. Das Verhalten ist nur auf der einen Seite passiv, also nimmt es auf, was die Zeit sagt, auf der anderen aber aktiv, denn es realisiert das von der Geschichte Gesagte. Der Mensch ist der Erleider der Geschichte, doch gleichzeitig auch ihr aktiver Teilnehmer. Er ist das ständige Gleichgewicht und ein ständiger Vermittler zwischen den großen Kräften der Geschichte und der Wirklichkeit. Das ist die Situation, die man als aktuell bezeichnen kann." In: Weltkrise, S. 47.

[17] Weltkrise, S. 49.

[18] Weltkrise, S. 61f.

[19] Paul Valéry: Regards sur le monde actuel. Librairie Stock, Paris 1931, S. 18. (Im Weiteren "Valéry")

[20] "Dans la partie perpétuelle qu'elles jouent, chacune d'elles tient ses cartes. Mais il en est de ces cartes qui sont réelles et d'autres imaginaires. Il est des nations qui n'ont en mains que des atouts du moyen âge, ou de l'antiquité, des valeurs mortes et vénérables; d'autres comptent leurs beauxarts, leurs sites, leurs musiques locales, leurs grâces ou leur noble histoire, qu'elles jettent sur le tapis au milieu des vrais trèfles et des vrais piques." Valéry, ebda.

[21] Valéry, S. 20.

[22] Valéry, S. 53.

[23] "L'un des effets les plus sûrs et les plus cruels du progrès est donc d'ajouter à la mort une peine accessoire, qui va s'aggravant d'elle-meme à mesure que s'accuse et se précipite la révolution des coutumes et des idées. Ce n'était pas assez que de périr; il faut devenir inintelligibles, presque ridicules." Valéry, S. 54.

[24] Valéry, S. 56.

[25] "La politique fut d'abord l'art d'empêcher les gens de se mêler de ce qui les regarde.

A une époque suivante, on y adjoignit l'art de contraindre les gens à décider sur ce qu'ils n'entendent pas.

Ce deuxième principe se combine avec le premier.

Parmi leurs combinaisons, celle-ci: Il y a des secrets d'État dans des pays de suffrage universel. Combinaison nécessaire et, en somme, viable; mais qui engendre quelquefois de grands orages, et qui oblige les gouvernements à mansuvrer sans répit. Le pouvoir est toujours contraint de naviguer contre mon principe. Il gouverne au plus près contre le principe, dans la direction du pouvoir absolu.

Tout état social exige des fictions.

Dans les uns, on convient de l'inégalité des citoyens. Les autres stipulent et organisent l'inégalité.

Ce sont là les conventions qu'il faut pour commencer le jeu. L'une ou l'autre posée, le jeu commence, qui consiste nécessairement dans une action de sens inverse de la part des individus.

Dans une société d'égaux, l'individu agit contre l'égalité. Dans une société d'inégaux, le plus grand nombre travaille contre l'inégalité. " Valéry, S. 28.

[26] Vgl. Béla Hamvas: Az öt géniusz [Die fünf Genien]. Szombathely 1988. (Im Weiteren: "Hamvas")

[27] Hamvas, S. 11.

[28] Dániel Berzsenyi (1776-1836): ungarischer Dichter.

[29] Hamvas, S. 14.

[30] Hamvas, S. 17.

[31] "Das Stichwort der Lyrik ist das Individuum, jenes der Prosa die Person. Im Osten, Norden und in Siebenbürgen ist sogar der Roman lyrisch. Im Westen ist die Prosa die Gattung der Dichtung, weil die Basis des Lebens die Prosa ist. Wenn sie müde ist, dann ist sie banal. Das Dasein ist zweitrangig, vorrangig ist die Zivilisation, der Mensch ist zweitrangig, vorrangig ist die Person." Hamvas, S. 20.

[32] Hamvas, S. 21.

[33] "Der nördliche Mensch ist tief, aber formlos. Das ist die formlose Tiefe, darin di schier sentimentale Religiosität ohne Riten und Dogmen, mithin der Aberglaube. Der Aberglaube ist eine Art Atheismus, sagen wir: der falsch gebrauchte Glaube. Der Aberglaube ist leichtgläubig. Der abergläubische Mensch teilt die Welt in Wirklichkeit und Wunder. Er Mensch stammt aus dem Wunder, doch lebt in der Wirklichkeit. Die Welt wäre st vollkommen, wenn sie en Wunder wäre. Er weiß nicht, dass die Welt ein Mysterium ist, das zugleich Wunder und Wirklichkeit ist. Dadurch, was berechenbar und berechnet, was vorbekannt und gewiss ist, bricht stets etwas Unerwartetes, Unberechenbares und Unmögliches durch. Der abergläubische Mensch ist ebenso wenig religiös wie Mikszáth, der Atheist, doch kann er sich in seiner Vorstellung mit nichts anderem befassen, als mit der wunderbaren Auferstehung von Zrínyi, dem Regenschirm von Sankt Peter du solchen Wundern, und obgleich er scheinbar das Wunder auslacht, dennoch nur das Wunder ernst nehmen kann." Hamvas, S. 24.

[34] Hamvas, S. 26.

[35] "Die Lebensordnung in einer Stadt auf der Tiefebene unterscheidet sich nicht von derjenigen des Dorfes. Und auch diejenige des Dorfes wenig von einem Zeltlager. Debrecen ist weniger eine Stadt als das zehnfach kleinere und ärmere Kőszeg. Die Siedlung ist vorläufig wie eine nomadische Zeltstadt, und wenn man sie morgen abbauen würde, um fortzuwandern, würde sich niemand wundern. Es ist das Zeichen der Stadt, dass dem gewählten Zentrum womöglich alle nah bleiben. Die Stadt in der Tiefebene hat kein Zentrum, deshalb breitet sie sich aus. Das Zentrum ist allerdings nie abstrakt, also repräsentiert es keine wirtschaftliche und administrative oder sonstige Praxis. Wie in der archaisch-griechischen Polis deutet auch das Zentrum auf die Anwesenheit der höheren Kraft hin. Wo dieses Zentrum, bewusst oder unbewusst, lebt, wo die Niederlassung endgültig ist und wo es kein Zentrum gibt, dort ist das, was eine Stadt zu sein scheint, bloß ein Lager." Hamvas, S. 29f.

[36] Hamvas, S. 31f.

[37] Hamvas, S. 33.

[38] "Deshalb gestaltet und harmonisiert Byzanz nicht, sondern es zersprengt. In der byzantinischen Konvention herrscht eine versteifte Kodex-Scholastik, der gegenüber das Feuer der im ganzen Europa verbreiteten attischen Mystik im Hintergrund stand. Nirgendwo anders lässt sich der Bildkrieg

- 47/48 -

vorstellen, nur hier, wo die hinter dem Bild steckenden Kräfte das Bild selbst immer zersprengen wollen. Die zeremonielle Äußerlichkeit steht hier mit dem tiefen Wissen fast in einer solchen Beziehung wie in Tibet, wo das Gute und das Böse lediglich Nuancenunterschiede bedeuten. Von der Grausamkeit bis zur Selbstopferung gibt es nur einen Schritt." Hamvas, S. 36.

[39] Hamvas, S. 38.

[40] Hamvas, S. 40.

[41] "Eine höhere Küchenkultur lässt sich immer an den Fleischsorten erkennen. IN Siebenbürgen findet man häufig drei oder vier Fleischsorten in einer Schüssel, wie auch in China. Das ist eine deutliches Zeichen der Zivilisation. Die Zivilisation ist keine Natur, sondern eine Natur auf höherer Stufe, eine veredelte Natur. Sie hat in Siebenbürgen eine Reihe von gefüllten und gelegten Fleischsorten geschaffen, die vielleicht noch in Byzanz so bevorzugt wurden. Er Struktur nach erinnern die aus mehreren Fleischsorten, Reise und Kraut bestehenden, stark gewürzten Speisen and das serbische Gericht aus Fisch, Tomaten und Paprika, bei der der Geschmack durch die Proportionen entschieden wird, wobei die gleiche Speise köstlich oder eben ungenießbar sein kann. Zu diesen Speisen braucht man keine Kessel mehr, sondern Herde und Ofen und Backofen. Die siebenbürgische Küche liebt solche raffiniert vorbereiteten Teiggerichte und Kuchen und Desserts, die in der Tiefebene nicht nur unbekannt sind, sondern nicht einmal angefertigt werden können, weshalb für sie hier auch kein Bedarf besteht. Die siebenbürgischen Speisen, ohne so fettig zu sein wie diejenigen in der Tiefebene, sind dennoch reicher und ausgiebiger. Aus den gleichen Produkten kann die siebenbürgische Küche Speisen höheren Ranges herstellen." Hamvas, S. 45.

[42] Vgl. Béla Hamvas: A bor filozófiája (Die Philosophie des Weins). Szombathely 1988. (Im Weiteren: Philosophie des Weins)

[43] Hamvas, S. 46.

[44] Philosophie des Weins, S. 115f.

[45] "Der Szientifismus ist die ungefährliche, ungeschickte und komischere Form des Atheismus. Er Puritaner ist eine aggressiver Mensch. Für seine Angriffe schöpft er seinen Kraft nicht zuletzt daraus, dass er glaubt, die einzig richtige Methode des Lebens gefunden zu haben. Man kann auch dann ein Puritaner werden, wenn er eine Materialist ist, auch dann, wenn man en Idealist, und auch dann, wenn man ein Buddhist oder Talmudist ist, denn der Puritanismus ist keine Weltanschauung, sondern ein Temperament. Man braucht dazu zwei Dinge: eine dunkle Eingeschränktheit im blinden Glauben bestimmter Grundsätze und die wahnwitzige und heimtückische Kampfbereitschaft um dieselben. Dem Puritanismus wird die Kraft daraus geliehen, dass man ein desperater Atheist ist. Er würde jede Frau, die überdurchschnittlich schön ist, auf den Scheiterhaufen schicken. Er würde jeden fettigen oder süßen Bissen vor die Hunde werden. Er würde den Lachenden zu lebenslangem Gefängnis verurteilen. Nichts hasst er mehr als den Wein, wobei er sich vor nichts mehr fürchtet als gerade vor dem Wein." Philosophie des Weins, S. 125.

[46] Hamvas, S. 51f.

[47] Hamvas, S. 55.

[48] Hamvas, S. 60.

[49] Béla Hamvas: Scientia Sacra, Bd. I. Medio, Szentendre 1995, S. 15f. (im Weiteren: Scientia)

[50] Laotse: Tao te king. Übersetzt von Richard Wilhelm.

[51] Scientia I, S. 28.

[52] Hamvas, S. 61.

[53] Hamvas, S. 66.

[54] Hamvas, S. 69.

[55] Scientia III, S. 315-332.

[56] Scientia III, S. 328.

[57] "Die Einheit ist kein logischer Begriff, auch kein naturwissenschaftlicher, kein formeller und kein küsterischer, kein psychologischer, kein soziologischer oder politischer, sondern ein Begriff, der allen Lebenstätigkeiten vorangeht, primordialer und ontologischer Natur ist, der nichts festlegt und nichts entdeckt, sondern die Tatsache der Einheit und der Ohnmacht der Vereinigung erkennt. Und zwar erkennt sie so, dass er a priori weiß, was die Einheit ist." Hamvas, S. 71.

[58] "Worum es in diesem Augenblick geht, ist, dass im ungarischem Lande die zueinander gehörenden fünf Elemente, die die Einheit hier allein schaffen und schaffen können, im Laufe der Jahrhunderte zu keiner Einheit wurden. Die Genien, die zueinander gehörten und gehören, führen ein voneinander unabhängiges Leben, einander verkennend, gegeneinander feindlich, voneinander immer getrennt und abgeschieden. Auf ungarischem Boden hat es keine Einheit gegeben. Das Fehlen dieser Einheit hinderte das Volk nicht nur daran, seine historischen Ziele zu erfüllen, sondern auch daran, in sich, wenn es die sonstigen Umstände erlaubt hätten, ein erträgliches Leben zu führen." Hamvas, S. 72.

[59] Hamvas, S. 75.

[60] Hamvas, S. 81.

[61] Hamvas, S. 83.

[62] Hamvas, S. 86.

[63] Hamvas, S. 91.

[64] Hamvas, S. 92.

[65] "Die Probe der Sprache ist die orphische Prosa, in der Heraklit und Platon, Plotin, Konfuzius und Tschuang Tse schrieben, in der die Bücher der hebräischen Propheten und die Upanishaden entstanden." Hamvas, S. 93.

[66] Hamvas, S. 97.

[67] "Die Politik ist eine gesellschaftliche und deshalb eine natürliche Ordnung, der jede Art humane Bewertung fehlt. Die Bewertung der geistigen Kaste beginnt damit, ob etwa moralisch ist oder nicht. Deshalb ist jede politische Tätigkeit und jede Politik verglichen mit dem Geist leer, abstrakt und interessenhaft. Unter den Kräften, die eine Gemeinschaft zusammenhalten ist die Politik die schwächste weil handgreiflichste; je unsichtbarer und unerklärlicher eine Kraft ist, desto größer ist ihre vereinigende Wirkung." Hamvas, S. 98.

[68] Hamvas, S. 100.

[69] "Jedes echte geistige Phänomen ist daran zu erkennen, dass es der Leiter, nicht der Abhängige der Ereignisse einer Geschichte ist. Die Logosnatur des Geistes bedeutet, dass er behauptet. Alles andere ist sekundär, ist höchstens Schicksalskommentar, der die Wirklichkeit zwar erklärt, doch keinen Sinn schöpft." Hamvas, S. 101.

[70] "Wer das Leben der anderen leitet, der darf darin nicht teilnehmen. Als die griechischen Sophoi ein Gesetzbuch für die Stadt schrieben, durften sie nicht mehr in der betreffenden Stadt leben. Der Brahmane steht immer außerhalb und hat, wie die Chinesen sagen, die einzige Aufgabe, nach Süden zu schauen." Hamvas, S. 101.

[71] Hamvas, S. 102.

[72] Hamvas, S. 102.

[73] Hamvas, S. 103.

[74] Hamvas, S. 104.

[75] Hamvas, S. 109.

Lábjegyzetek:

[1] Der Autor ist Universitätsdozent, Pannon Universität Veszprém.

Tartalomjegyzék

Visszaugrás

Ugrás az oldal tetejére