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Máté Szabó: Weimarisierung in Ungarn? Institutionelle Vorbilder der Deutschen Demokratien in den Ungarischen Grundgesetz ohne entsprechende politische bzw. Verfassungs-Kultur (Annales, 2013., 115-135. o.)

Ein plädoyer für die Europäische und insbesondere in Deutschland gültige aktualität unseres themas - das Grundgesetz von Ungarn und die Deutsche Demokratie*

In Europa entsteht ein neuer Typ der Hassrede (hate speech), die ethnische Minderheiten und Nationalitäten oder sogar Nationen (eingewanderte Roma, Rumänen, Polen, Ungaren im westen Europas, die Griechen "auf unser Lasten" in Deutschland, "Ostler", die geizigen Nazi-Deutschen in Griechenland und Zypern usw.) verurteilt, stigmatisiert, schuldet, und als Sündenböcke der europäischen Wirtschafts- und Finanzkrise verantwortet, und damit die Werte von Europa, die Demokratie und Toleranz gefährdet. Wenn man aber nun einen Versuch machen würde, eine europäische "Gedankenpolizei" aufzustellen, dann weicht man gerade die die Durchsetzung der Freiheiten sichernde Freiheit der freien Meinungsäußerung auf, ohne die die freie Atmosphäre der politischen Diskussion in der europäischen Öffentlichkeit unvorstellbar ist. Die Einschränkung der krisenbedingten Hassrede in und über Europa kann man nicht mit EU-konformen rechtlichen Instrumenten antreiben, sondern mit Hilfe der längerfristigen politischen Bildung und der politischen Kultur verändernde Entwicklung der europäischen Zivilgesellschaft behandeln. Ein Verbot und seine praktische Durchsetzung könnten nur zur europäischen Hexenjagd, zu den Abrech-

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nungsversuchen mit den politischen Gegnern und zu erschaffenen Sündenböcken führen, die die europäischen Institutionen überlasten würde. M. E. besteht diese Gefahr jetzt im März 2013 in Europa auch in Bezug auf das Grundgesetz von Ungarn in Deutschland!

I. These: Modell Deutschland?

Die neue ungarische Verfassung vom 2011 wurde Grundgesetz genannt[1] (Ablonczy 2012: 173-228; Küpper 2012.) - wie die von der Bundesrepublik - und ist ins Kreuzfeuer von Diskussionen in internationalen und innenpolitischen Debatten geraten. Insbesondere die 2013 verabschiedete vierte Novellierung von dem ungarischen Grundgesetz/der Verfassung hat massive Kritik auch seitens der Regierung der Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgrund des Staatsbesuchs des ungarischen Staatspräsidenten im März 2013 ausgelöst. (Im März 2013 hat Barbara Stamm, die Parlamentspräsidentin von Bayern, den Besuch des ungarischen Parlamentspräsidenten, László Kövér, kurzfristig abgesagt.)

Eine fragwürdige und ambivalente "Berühmtheit" dieser Novellierung in der Bundesrepublik lässt - z.B. die Grundrechtsbeauftragte war vom ungarischen Parlament in 2007 gewählt für sechs Jahren[2] - aufgrund dieser in der Ungarischen und vielleicht auch in der Deutschen Presse detailliert berichteten Prozesse bestätigen. Man kann die positive Seite dieser internationalen Diskussion, - wie die zwei "Schöpfer" vom Grundgesetz József Szájer und Gergely Gulyás (Themenheft 2011:15-173), erster europäische, zweiter ungarische Parlamentsabgeordnete - sehen, und die Diskussion als solche über die neue Ungarische Verfassung begrüßen. Die beiden oben genannten "Verfassungsväter" haben am Hearing des US Kongresses (am 19.03.2013 Washington D.C.) teilgenommen und den offiziellen Ungarischen Standpunkt verteidigt, wo Experten vom Helsinki Committee die USA vertreten haben. Ihre Argumente wurden gegen die verfassungs- und politische Entwicklung bzw. "Erinnerungspolitik" in Ungarn in 2011-2012 öffentlich vorgelegt.

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Man kann sich über die Kritik soweit freuen, dass sich das ungarische Parlamentarismus und die demokratische politische Kultur noch lange entwickeln sollen, um mit der z.B. bundesrepublikanischen oder österreichischen vergleichend entwickelt und stabilisiert zu werden (Küpper/Halmai 12. Dezember 2011: 135-157). Es fehlen große institutionelle Lösungen und kulturelle Muster von Vergangenheitsbewältigung[3] und von Konfliktlösung über die Demokratie belastenden historischen Traditionen die in der BRD und im Österreich mehr oder weniger effektiv gegen antidemokratische Traditionen wirksam geworden sind.

Die Frage der Verfassung ist in Ungarn eine Spätentwicklung im kontinental-europäischen Sinne (Bos 2004: 225.S.). Ungarn hatte lange - ähnlich wie England - keine geschriebene Verfassung, und wie England, hat auch keine im Zeitalter der Revolutionen verabschiedet. Die erste geschriebene Verfassung ist nach dem zweiten Weltkrieg entstanden und ihr Platz wurde bald nach der kommunistischen Machtübernahme von einer stalinistischen Verfassung genommen. Dieser aus 1949 stammende Text ist während des Systemwechsels 1989-1990 völlig modifiziert worden, aber keine neue Verfassung wurde verabschiedet (Themenheft 2011 225-259). Eine Zweidrittelmehrheit zu den Verfassungsveränderungen hat es fast immer bis 2010 gefehlt, als die Parteikoalition Fidesz/KDNP mit einem überwältigenden Sieg an den nationalen Parlamentswahlen über ihre sozialistischen und liberalen Kontrahenten gewonnen hat (Szabó/Lux 2010; Kurtán/Ilonszki: 131-166). Zwischen 1991 und 2010 einige seltenen Sekunden von Parteienkonsens und die permanente Korrektions- und Interpretationsarbeit des Verfassungsgerichts haben ungarische Verfassungsänderungen erzielt - also wiederum der ursprünglich nach der Verfassung der Sowjetunion verfasste Text von 1949 ist weiterentwickelt worden. Zwei Anläufe der Verfassungsgebung sind in den Jahren 1994 und 1998 mangels eines politischen Konsenses unter den politischen Parteien ohne Ergebnisse geblieben (Themenheft 2011: 263-272). Die Parlamentswahlen von 2010 in Ungarn haben eine Regierung der Rechts-Mitte mit einer so hohen, Zweidrittelmehrheit aufgestellt, dass die Verfassungsgesetzgebung durch Parlamentswahlen zustande gekommen ist, welche sich seit den Jubeljahren 1989/1990 nie ergab. Erstmal hat eine Partei - bzw. eine

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Parteikoalition nach dem Muster der SCU/CSU - die Zweidrittelmehrheit in Ungarn in der post-kommunistischen Geschichte gewonnen. Es bedeutete Möglichkeit für große Änderungen und auch für Missbrauch.

Ungarn hat in dem Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2011 zum ersten Mal den EU-Vorsitz, die Ratspräsidentschaft übernommen. Die innen- und außenpolitischen Tätigkeiten der Regierung von Viktor Orbán haben in der internationalen Presse und Öffentlichkeit eine vielfältige Kritik provoziert. In der Kritik handelte es sich um eine "kräftige Regierung" ("Tyrannei der Mehrheit"). Diese Kritik entstand zuerst wegen des Mediengesetzes aus 2010. Später aber mehrere westlichen Presseorgane und internationale Organisationen bzw. einzelne Regierungen haben Kritik an die Politik der ungarischen Regierung und insbesondere die neuen Schritte der Rechtschöpfung von Ungarn geübt: z. B. wegen einer national orientierten, sich auf die ungarische Krisenbewältigung konzentrierende Wirtschafts- und Finanzpolitik und Sozialpolitik, die Restriktion der Kompetenz des Verfassungsgerichtes in den Gesetzen und im Grundgesetz, und in verschiedenen Fällen - wie Obdachlosigkeit, Bildungs- und Hochschulpolitik, Kunstförderung, Arbeitsmigration ins Ausland, Familienpolitik und die Einführung der retrospektiven Gerechtigkeit in bestimmten Fällen. Es gab kritische Töne auch innerhalb Ungarns von politischen Parteien, Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen und einzelnen Politikern und Intellektuellen bezüglich der Verletzung von internationalen und europäischen Normen seitens der ungarischen Regierung und damit schärfte sich weiter die Stimme der Kritik an Ungarn auch im Ausland. Die Kritik im In- und Ausland hat eine einander verschärfende und vermehrende Dynamik entwickelt, sogar in einzelnen Fällen, wie z.B. die Verabschiedung der vierten Novellierung des Grundgesetzes, die in gegenseitigen publizistischen und medialen Diffamierungskampagnen eskaliert hat, ebenso wie zwischen der BRD und Ungarn, und wie zwischen die EU Beauftragte des EU Ausschusses für Justiz, Viviane Reding und Justizminister Ungarns Tibor Navracsics.

Die an den 2010 Parlamentswahlen siegreichen Parteien, Fidesz/KDNP wollten diesem Stillstand ein Ende setzen und eine nagelneue Verfassung mit ihrer überwältigenden Zweidrittelmehrheit verabschieden. In dem Zeitraum zwischen 2010 und 2013 sind sowohl die Verfassung als auch die grundlegenden Gesetze - u. a. Kodexe wie Zivil-, Strafrecht und Ar-

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beitsrecht usw. - ohne Konsens der Opposition schnell über das Parlament gepeitscht verändert geworden. Das Grundgesetz und die jährlich etwa durchschnittlich über 200-mal geänderten Gesetze waren vor dem Verfassungsgericht mehrfach angefochten. Nun aber während das Wort des ungarischen Verfassungsgerichtes im Zeitraum von 1990-2010 als letztes und unanfechtbares für die unterschiedlichen Regierungen und Parteien gegolten hat, hat aber die Koalitionsregierung mit Zweidrittelmehrheit eine Reihe von Gesetzen verabschiedet - als Antwort auf die Kritik an der Gesetzgebung und Verfassungsschöpfung des Verfassungsgerichtes -, die die Kompetenz und Autorität des Verfassungsgerichtes und ihrer einzelnen Urteile untergraben haben. M. E. speist sich diese Tendenz von der neuen Machtkonstellation. Während die Parteien früher ohne große Mehrheiten alle bereit waren, eine Art "Schiedsrichterfunktion" in ihren Diskussionen und Konflikten dem Verfassungsgericht zuzusprechen, und dessen Urteile als Regelwerk verbindlich über ihre Konflikte und Spannungen betrachtet haben, nach den Parlamentswahlen in 2010 haben die Parteien mit der Zweidrittelmehrheit diese Korrektionsarbeit des Verfassungsgerichtes nur als die "Beschränkung" ihrer angeblichen "Vollmacht" angesehen. Es wird in ihren Argumenten gegen das Verfassungsgericht ständig auf die "Volkssouveränität", auf die von der Regierung über aktuelle politische Fragen initiierten "Bürgerbefragungen", auf das "Wille der Mehrheit" gegenüber einer "dogmatisch und absolut-utopisch verstandenen Rechtstaatlichkeit" hingewiesen, die im Interesse von Sozialisten und Liberalen[4] (Techet 20.3.2013:.6), die in der Nähe von "fremden Mächten" - wie andere Staaten von Europa, oder ausländische und internationale Unternehmen "ohne nationale Identität" stehen, oder sogar mit denen gegen die Interessen von Ungarn kollaborieren.

Die gegen die Verfassungsgerichtsbarkeit und Rechtstaatlichkeit gezielten politischen Argumente würde ich in die Kategorie von elite- und institutionsfeindliches Populismus[5] einordnen, die sich in Ost-Mitteleuropa gegen die Ideen und Traditionen der politischen Wende von 1989/1990

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wendet, unter denen die gewaltlose Konfliktlösung und die europäische Erhabenheit über den Nationalismus von erheblicher Bedeutung sind. Dieser Populismus übt Kritik an dem Prozess der Europäisierung und der Globalisierung, die wirklich einige negative gesellschaftliche Folgen bzw. Verlierer produzieren. Die Verlierer der Krise sind für die Botschaft des Populismus anfällig - wie es wir aus mehreren bekannten historischen Krisensituationen in Europa und auch aus der Zwischenkriegszeit lernen konnten. Das Gegenmodell bezüglich des Kosmopolitismus und Europa ist der traditionelle "Dritte Weg" des traditionellen mitteleuropäischen Populismus, der sich sowohl gegen Osten als auch gegen Westen richtet, und darauf abzielt, einen "eigenen Weg" gegen diesen zwei Polen einzuschlagen und durch die Integration der traditionellen Werte des "Volkes" einen starken Nationalstaat zu schaffen. Volkstümlich und National, Europäisch und Zivil werden sind in diesen Diskussionen einander gegenübergestellt.

Eine Diskussion über unsere neue Verfassung zieht sich in Ungarn schon länger heran, sogar an mehreren Ebenen: in politischen, in publizistischen und in staatsrechtlichen bzw. politikwissenschaftlichen Dimensionen. (Csink/Fröhlich 2012; Jakab 2011; Jakab/Körösényi 2012)

Ich möchte im Folgenden ein Essay zu dieser Diskussion besonders in Bezug auf die Deutsch-Ungarischen Beziehungen im Zusammenhang mit dem "Verfassungstransfer" und einige Überlegungen über das Verhältnis des ungarischen staatsrechtlichen und politischen Systems[6] zu den bekannten Deutschen "Modellen" der Demokratie und Rechtstaatlichkeit im 20. Jahrhundert beitragen. Die Relevanz besteht nicht nur darin, dass die Bundesrepublik als einer der Modelle der neuen postkommunistischen Demokratien von Ostmitteleuropa nach 1989 gedient hat, sondern als ein Paradebeispiel einer stabilen Demokratie nach autoritären nazionalsozialistischen (1945) und später kommunistischen (1989) totalitären bzw. autoritären Regime gilt. Bonn und Berlin verschmelzen sich in der Per-

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zeption der Modellsuche der Verfassungsschöpfer in Osteuropa trotz erheblicher Veränderungen, die die nach dem zweiten Weltkrieg erschaffene Grundstruktur doch in vielerlei Hinsicht verändert haben. Es gibt aber auch das negative Modell in der Geschichte des deutschen zwanzigsten Jahrhunderts, nämlich das Weimarer Modell. Die vielgepriesene Kulturstadt ist in europäischen, sogar in globalen Verfassungsdiskussionen ein Symbol der zum Tod verurteilten Missgeburt einer Krisensituation in der Mitte Europas mit den leider bekannten weltgeschichtlichen Folgen geworden. Ist es gerecht gegenüber einer Verfassung, die Pionierarbeit in der Angelegenheit von sozialen Rechten und Sozialstaat geleistet hat? -lässt es sich fragen. Aber das traurige Ende hat die Weimarer Verfassung nicht nur für Osteuropa, sondern im Allgemeinen zu einem Ausgangspunkt des Lehrstücks von Sackgasse der postautoritären Demokratisierungen gemacht. Kurz und sehr simplifizierend gefasst, die Verfassungsentwicklung von Deutschland im 20. Jahrhundert lehrte die neuen Verfassungsstaaten von Osteuropa sowohl ein negatives als auch ein positives Lehrstück.

Die "Weimarisierung Ungarns" ist eine oft erwähnte Trendprognose in unseren eigenen Diskussionen schon lange her. Ich möchte dies als Ausgangspunkt nehmen und kurz meine Thesen vorlegen. Um meinen Stadtpunkt von vornherein darzulegen, ich glaube, dass die Verfassungslage in Ungarn Aufsehen und Kritik verdient hat, trotzdem sehe ich doch kein Trend einer Diktatur der Mehrheit. Obwohl viele Warnzeichen dazu vorliegen, ist Ungarn weiterhin m.E. ein Rechtstaat und Demokratie auch nach den Prinzipien der EU: Die europäischen und Welt-Krisen haben aber die populistisch politische Rolle als "Bevollmächtigte für Krisenbewältigung" agierende Regierung mit großer Mehrheit im Rahmen der geltenden Gesetze und vom Parlamentarismus in den Sattel der Macht erhoben. Diese Situation ist eine Herausforderung auch gegenüber jeglichem liberalen, progressiven, post-demokratischen, grün-alternativ verstandenen, an die Freiheit und Konsens der Minderheiten aufgebauten reflexiven (Basis)demokratischen Demokratieverständniss. Dies hat zur permanenten Kritik Ungarns wegen des neuen Regierungsstiels und Orientation als antidemokratisch und antieuropäisch im europäischen Parlament seitens der Grünen, Sozialisten und Liberalen geführt, während die Parteien der Rechts-mitte nur die extremen Exzesse der Zweidrittelmehrheit gegen Marktwirtschaft - z.B. Solidaritätssteuern über

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Unternehmen - und Rechtstaat - z.B. Reduktion der Macht und Rolle des Verfassungsgerichtes in Wirtschaft und Haushaltsfragen - kritisiert haben. Die post 1989 Verfassungsstruktur von Ungarn ist nicht an der Weimarer Republik modelliert, und die Krisenerscheinungen von Politik und Gesellschaft trotz allgemeiner Analogien haben nichts mit Deutschland in der Zwischenkriegszeit zu tun. Gerade das Gegenteil: Budapest, Bonn/Berlin "kopiert" also in vielerlei Hinsicht die Verfassungsstruktur der Bundesrepublik als Modell, natürlich unter völlig unterschiedlichen sozialen und politischen Umständen. (z. B. das "Leib und Seele" von öffentlich rechtlichen und politischen Dimensionen der Bundesrepublik, die föderative Struktur fehlt völlig bei uns, Ungarn ist eine "jakobinische", zentralisierte Republik.) Das Grundgesetz von 2011 hat die in 1989/1990 geschaffenen Institutionen, die Staatsstruktur, die an den bundesrepublikanischen Vorbildern ruhen, mehr oder weniger aufrecht erhalten.

Abgesehen von der abgelehnten oder wenigstens nach Intentionen nachgeahnten deutschen Modellen der Verfassungs- und Politikentwicklung, ähnliche Verfassungsmodelle haben keineswegs ähnliche politische Prozesse initiiert, die aufgrund der Rahmenbedingungen von der gesellschaftlichen und politischen Lage Ungarns entwickelt bzw. nicht entwickelt sind. Also weder Krise noch Stabilität ergibt sich von übernommenen öffentlich rechtlichen Strukturen. (Ein bekanntes Beispiel ist die Verfassung der USA, die trotz der sich wiederholenden Versuche nirgendwo - z. B. in Südamerika - mit ähnlichen Folgen fortgepflanzt werden konnte.)

Demokratie kann durch die Reduktion der Lasten der Wirtschaftskrise und ihre gerechte und faire Verteilung und das in die Richtung der Stabilisierung wirkende institutionelle System geschützt werden. Das Letztere steht in Ungarn zur Verfügung und kopiert in ihren Formen die Bonner und Berliner Demokratie, die aus dem Fehlschlag von Weimar lernen wollen. Das Erstere, das gerechte und faire Krisenmanagement ist m. E. heutzutage noch eine gravierende Mangelware.

II. Reminiszenzen der deutschen Demokratie in Ungarn

Die deutsche Demokratie zwischen den zwei Weltkriegen hatte den Namen der Weimarer Republik. Warum ist das so? Die Verfassunggebende

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Versammlung musste in einem kleinen ruhigen Städtchen anstatt der Hauptstadt des Kaiserreiches Berlin organisiert werden, denn Berlin gefährdete mit ihren aktiven politischen Subkulturen von den linken und rechten Radikalismus die Versammlung (Merseburger 2003). Damit trug die Weimarer Republik schon bei ihrer Geburt das Schicksal des vielleicht unvermeidlichen Endes; die durch die sozio-politische Polarisierung entstehenden scharfen Konflikte stürzten sie und führten zu dem Machtantritt der deutschen Nazis und des Führers, Adolf Hitler. Es gibt eine sehr große Anzahl der Analysen in der Politikwissenschaft, Geschichte und Jura, vorwiegend im deutschsprachigen Gebiet, die sich mit der Weimarer Republik beschäftigen (Ullrich 2009); war sie lebensfähig oder von vornherein nicht lebensfähig, warum wurden ihre eigenen Kinder ihre Totengräber; hätte sie gerettet werden können? Für das deutsche Denken wurde Weimar die warnende Drohung der Unterbrechung von Demokratisierungsprozessen von inneren Gegen- Kräften.

Woran ist die Weimarer Republik gescheitert, und wie kann man die Wiederholung einer Niederlage der Demokratie vermeiden? Diese Frage erschien im Denken Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Antworten waren unterschiedlich, aber die Mehrheit war einverstanden: Bonn darf nicht Weimar sein. Das Grundgesetz enthielt viele neue Lösungen, die zu der Vermeidung der Weimarisierung dienten. Einige von ihnen sind besonders aktuell bei uns in Ungarn bei unseren Verfassungsdiskussionen heute, die sogenannte Kanzlerdemokratie, beziehungsweise, die Institution des konstruktiven Misstrauensvotums und das nicht direkt gewählte Staatsoberhaupt und das System des Mehrheitswahlrechts, das Parteiengesetz, und die starke Verfassungsgerichtsbarkeit gehören auch zu den institutionellen Lösungen, die aus der sich über den Fehlschlag von Weimar Gedanken machenden Bonner Demokratie in Ungarn in und nach 1989 übernommen wurden.

Die Krise und das Ende der Weimarer Republik traten zum Teil auf, denn die aufeinander folgenden Regierungen stürzten schnell und leicht wegen der sozialen Folgen der Wirtschaftskrise, mit den Misstrauensstimmen des Parlaments, und in dieser Situation machte das direkt gewählte Staatsoberhaupt Hindenburg, Adolf Hitler zum Kanzler (Neumann 2004). Faschisten und Kommunisten, die einander in Straßenkämpfen forderten in der Zwischenkriegszeit, haben eine Krisensituation in der Weimarer De-

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mokratie produziert, wo die totalitäre Bewegung mit seinem rassistischen, antiliberalen, antiparlamentarischen, antidemokratischen "Nationalsozialismus" einen Sieg über das Parlamentarismus und liberale Demokratie verbuchen konnte (Eckhard 1996).

Die heutige ungarische Verfassungskultur ist also eines der politischen Systeme von der postkommunistischen Zentraleuropa, das aus dem Bonner/Berliner Modell der westdeutschen politischen institutionellen Logik im Zeitraum 1989 des konstitutionellen ,Einkaufs" (Wolfgang 2010) viel annahm, das die Deutsche politische Kultur aus dem Fehlschlag der Weimarer Republik gelernt hat. Wie ist das Repertoire der gegen die Weimarisierung wirkenden "Checks and Balances"? Das oft erwähnte konstruktive Misstrauensvotum will erreichen, dass Regierungen nicht leicht und schnell gestürzt werden. Also stellt es der direkten demokratischen Werteordnung die Werte der Wirksamkeit und der Stabilität gegenüber. Die Institution der indirekten Wahl des Staatsoberhauptes macht dasselbe, denn neben der politischen Regierungsinstabilität genau die starke Position des "Plebiszitäres," des Präsidenten drückte tödlich die Weimarer Republik. Populismus lässt es vielleicht weniger Popular Vote vermeiden - wenn überhaupt - im 21. Jahrhundert (Themenheft 30.01.2012).

Während die parlamentarische Abstimmung früher auch die einzelnen Minister drohte, kann nur der Kanzler und mit ihm die ganze Regierung in der Bonner Kanzlerdemokratie gestürzt werden, nur dann, wenn die fordernde Parteien zugleich ein eine vollständige Regierungsalternative enthaltendes Paket einreichen (das bedeutet Konstruktivität). So ist die Schwelle höher für die Feststellung der Regierungsverantwortung, und die Verantwortung der Minister als einzelne Spieler gilt nur durch den Kanzler-Premierminister. Also kann das Parlament sich in die Arbeit der Regierung nicht einfach einmischen, die sich auf diese Weise weitgehend von dessen Kontrolle unabhängig macht.

Anstatt der Direktwahl des Staatsoberhauptes ist eine andere alternative Lösung die Wahl des Präsidenten von dem Parlament. Gleichzeitig sinkt auch die Legitimität und damit die politische Macht des Präsidenten, dass er nicht direkt von dem Volk, plebiszitär sondern aufgrund der Kräfteverhältnisse der Parteien des Parlamentes gewählt wird. Mangels der starken Volksunterstützung kann der Präsident so keine politische Macht sein, die

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das Ansehen des Parlamentes beeinträchtigt oder beseitigt. Seine Funktion ist die von einer neutralen Macht, die ihn über den Streit und die Konflikte der staatlichen Gewalten und von politischen Parteien setzt. Also politisiert dieser Präsident nicht wirklich mit dem Volk sondern mit den Parteien und der parlamentarischen Mehrheit und er kann kein Zwingherr sein, der die parlamentarischen Regeln über Bord wirft (Fraenkel 1990:.48-204).

Das deutsche Wahlsystem begünstigt die starken Mehrheitspositionen und verteilt die Stimmen in Mandate nicht proportional, sondern es bevorzugt die großen Parteien (Beyme: 1991: 80-182). Das wirkt gegen die Fragmentation des Parteiensystems, die vielen kleinen Parteien können sich schwer behaupten. Sie wirkt gegen die Bildung eines Systems, das sich eine Unregierbarkeit ergibt. Und sie begünstigt die Bildung der großen, vereinheitlichenden, rechten und linken Typen von der Volkspartei. Um zu verhindern, dass die Parteien Zielpunkte der Korruption der Großunternehmen - wie die Nazis in die Weimarer Republik - werden, verordnete die Bonner Demokratie, so wie die sie im Jahr 1989 kopierende Budapester Demokratie, die Regelung der Tätigkeit und Organisation und Finanzierung der Parteien in einem speziellen Gesetz. Dadurch wollte sie die Bildung der diktatorischen Tendenzen innerhalb der Partei vermeiden, und sie wollte die Korrumpierung der Politik mit der staatlichen Parteienfinanzierung reduzieren.

Der Typ der Volkspartei lernte ebenfalls aus dem Fehlschlag der Weimarer Demokratie. Sein Prototyp war die CDU nach dem Zweiten Weltkrieg in der BDR, die einheitliche rechte Partei, die von dem ganzen Spektrum der Christen unterstützt wurde, unterschied sie nämlich nicht aufgrund der in der deutschen Geschichte verhängnisvollen konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken. Wie die Österreicher sagen, sie war die Baracken-Gemeinschaft der Konzentrationslager, die in den Zeitraum nach dem Krieg hinübergerettet wurde. Die Parteien sollten so sein, dass alle Bürger mit jeglichen konfessionellen Generationszugehörigkeit und Vermögens bzw. Sozialstatus für sie stimmen können, niemand von vornherein ausgeschlossen wird, der mit ihren Programmen und Zielen einverstanden ist. Auf diese Weise wurde die CDU die erste interkonfessionelle christliche Volkspartei, von der rechts keine demokratische politische Kraft nach der Meinung von Konrad Adenauer existieren dürfte. So herrschte der nach Zentrum haltende, nicht teilende Parteien-

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wettbewerb anstatt der ideologischen Polarisationen, und die extremen Parteien wurden in der BDR zurückgedrängt.

Das Bundesverfassungsgericht (Themenheft 2011. 29. August: 368-393) hatte und hat eine Aufgabe in Bezug auf die Parteien, die das Ungarische nicht hat: es darf die Grundlagen des Systems, die Tätigkeit der die Verfassungsmäßigkeit gefährdende politische Partei von Amts wegen oder auf Initiative verbieten. Wenn eine Partei aus dem rechtstaatlichen Konsens der politischen Parteien herausfällt und die konstitutionellen Grundlagen der Bonner und später der Berliner Republik selbst nicht anerkennt, kann die Tätigkeit dieser Partei aufgrund der Entscheidung des deutschen Verfassungsgerichtes beendet werden. Die Kommunistische Partei Deutschlands konnte nach 1956 in der BDR verboten werden. Aber es gelang bisher nicht trotz entsprechender Bestrebungen weder die Grüne Partei noch die NPD vom Bundesverfassungsgericht zu verbieten. In Budapest darf das VerfG keine Parteien verbieten. Also dies gibt es bei uns in Ungarn wirklich als eine von den institutionellen Einschränkungen des Auftretens gegen den Dämon der Weimarisierung, die die ungarische Regierung oft erwähnt, wenn ein fehlender politischer Auftritt gegen die Rechtsradikalen der Rechts-mitte Regierung vorgeworfen wird.

Was führte denn eigentlich zu dem Zusammenbruch der Weimarer Republik? Dass die Nazis und die Kommunisten ihre Parteien etablierten, ihre Ideologien vorgetragen und populär gemacht haben? Dass die grob gesagte "bürgerliche" Demokratie, Parteienstaat, Parlamentarismus und die Verfassungsmäßigkeit radikal abgelehnt haben? Oder vielmehr die schwachen, instabilen Institutionen und die Eskalation der Gewalt in den Straßenkämpfen zwischen Faschisten und Kommunisten? Die Ideen sind auch wichtige Faktoren in den Krisen. Sind die Krisen der Demokratien zu vermeiden durch das Verbot eines konkreten Wortgebrauches oder von der politischen Symbolik, also dass die sog. "Haßrede" (hate speech, gyűlöletbeszéd) aus den öffentlichen Diskussionen durch Sanktionen ausgefiltert wird? Öffnet man nicht damit die Büchse der Pandora[7], löst man

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endlose juristische Debatten aus und schafft man eine inquisitorische Gedankenpolizei mit vielen bereiten Freiwilligen, die mit ihren Berichten und Klagen die Benachteiligung von unschuldigen Mitmenschen wie ihrer Nachbarn und ihrer Kollegen und Chefs gereichen?

Bei uns in Ungarn baut das institutionelle System bewusst und betont die gegen die Weimarisierung wirkende institutionelle Strategie, dessen mehrere Charakterzüge für gewisse Interpretatoren die Aufopferung der zivilen Kontrolle der Demokratie auf dem Altar der Stabilität bedeuten (z.B. die direkte Präsidentenwahl, der Mangel des leichten Stürzens der Minister und der Regierung, die Dominanz des Prinzips der Repräsentation über die direkten demokratischen Formen). Was fehlt bei uns zur Krisenbewältigung für die Absicherung von Demokratie und Marktwirtschaft sind die faire, solidere und gerechte Lösungen in der Wirtschaftsund Sozialpolitik, öffentliches Vertrauen in den Institutionen, das Vertrauen vom Bürger, beziehungsweise, die selbstbestimmte und nicht die mit Sanktionen erzwungene Erfüllung der institutionellen Erwartungen vom Bürger z.B. Steuerbezahlung, staatsbürgerliche Partizipation und Kritik, die Kultur von Zivilcourage.

III. Analogien, Unterschiede, Wahlwanderschaften

Diejenigen, die eine mechanische Analogie zwischen der heutigen Budapester und der ehemaligen Weimarer Demokratie sehen, erleben die Krise im solchen Rahmen, der aus der Logik der Polarisation denkt. Diejenigen, die die heutigen Faschisten suchen, die sie im Kreise der ungarischen Rechtsradikalen finden, verwischen die Grenzen zwischen Rechtsradika-

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lismus und Rechtsextremismus. Letzteres heißt nämlich die Bereitschaft zur Anwendung der politischen Gewalt, erstere wurzelt sich im rechtsradikalen Gedankengut, wendet sich aber an keine politische Gewalt, und ruft es nicht auf dies zu tun.

In Ungarn heutzutage gibt es keine ernstzunehmende radikale kommunistische-anarchistische Gegenpole, Gruppierungen, die von links politische Gewalt anwenden wollen. (Während in der BRD, wo Rechtsradikale und Linksradikale Gruppierungen an Demonstrationen sich in gegenseitig geübten gewaltsamen öffentlichen Krawallen einander übertreffen.) Der ungarische Verfassungsschutz hat ihre ersten Jahresberichte in den 90er Jahren aufgrund von bundesrepublikanischen Extremismus-Berichten verfasst, die er zum Vorbild genommen hat, und versuchte, rechtes und linkes Extremismus als zwei Gegenpole aufzulisten. Trotz der bemerkenswerten Lernbereitschaft des Verfassungsschutzes in Ungarn ist die letztere Rubrik gegen guten Willen fast völlig leer geblieben. (Nemzetbiztonsági Hivatal Évkönyve 2007. [Jahrbuch für Amt des Nationalen Sicherheit 2007.] 73-79.) Vielleicht jahrzehntelange Erfahrungen mit der kommunistischen Diktatur haben Linksradikalismus aus der ungarischen politischen Kultur fast völlig ausradiert.

Dennoch gehören zu dem Muster von gewaltsamen Strassenkämpfen der Weimarer Republik die zwei Kontrahenten, die zwei Konfliktparteien von Links und Rechts, damit die Eskalation der politischen Gewalt außer dem Parlament auf der Straße auftritt. Die Modelle des gewaltsamen ethnischen, politischen Konfliktes bzw. Krieges sind in Ungarn heutzutage in der Form nicht vorhanden wie in der Zwischenkriegszeit in Deutschland in der Weimarer Republik. Es stört den Gefangenen der Bilder der aktuellen Weimarisierung von Ungarn/Budapest aber nicht, dass es bei uns in Ungarn keine rassistische politische Massenbewegung gibt, die mit organisierter Gewaltanwendung die ungarische Demokratie stürzen will. Außerdem gibt es auch keinen militanten Nationalismus bei uns in Ungarn, der unter allen Umständen und mit Gewalt territoriale Revision wollte. Die Außenpolitik Ungarns möchte nur unter den Rechten der Minderheiten auch die Rechte der Auslandsungarn in den Nachbarländern Ungarns durchsetzen. Wie wir hoffen, sind sie keine Bürger zweiter Klasse in Europa. Nicht zuletzt hat die chaotische Abrechnung der sich entgegenset-

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zenden Nationalismus keine Chance in dem vereinigten Europa, denn die demokratische und friedliche Europäische Union existiert und wir, Ungaren, deren Mitglieder, europäische Bürger sind.

Es ist ein sehr wesentlicher Unterschied zu den internationalen Rahmenbedingungen der Weimarer Republik. Derzeit war Europa eine Hoffnung, heute ist es ein wirklicher Machtfaktor. Konfliktszenen entgegen Versöhnungs-szenen in Europa stellen einen großen Unterschied für Ungarns heutige Innen- und Außenpolitik dar. Die ungarische Regierung soll sich mit der Integration-Inklusion der Roma und Sinti, mit einer versöhnenden Vergangenheits- und Erinnerungspolitik gegenüber der Opfer der Holocaust, Juden und wiederum Roma entwickeln - in EU-Europa ist es eine unvermeidbare Herausforderung für jede Regierung und Zivilgesellschaft. In der Zwischenkriegszeit waren für die Weimarer Republik eine Reihe von Herausforderungen von Territorialfragen und Bevölkerungsfragen da, die die Handlungsmöglichkeiten extrem verengt haben, ohne eine Chance zu einem wirklich versöhnenden europapolitischen Engagement des Völkerbundes. Heute steht die integrierte Europa, OSZE, UNO und deren unterschiedlichen und vielfältigen Organisationen und Politikgefüge als Vermittlungsinstanz und zugleich Kontrollinstanz gegenüber jeglichen Versuchen eines nationalen Sonderweges, der die Menschenrechte und Würde, Existenz, Identität von Nachbarländern, und von ethnischen und sonstigen gefährdeten Minderheiten und von sonstigen Gruppierungen und sogar von Individuen in Frage stellen könnte.

Die entworfene "Trilemma" (Offe 1994) über die Probleme des Systemwechsels und Postkommunismus lautet wie folgt verkürzt; es ist hier zugleich die Demokratie, die Marktwirtschaft und der Wohlfahrtstaat zu etablieren, und es geht immer nur aufgrund von gegenseitigen Ungleichgewichten, womit das ganze Unternehmen schaukelt, wenn sogar nicht scheitert. Ungarns Regierungen sind nach 20 Jahren weiterhin mit diesem Dilemma konfrontiert und noch dazu: ethnische Minderheiten, diese Problematik bildet in Ungarn das vierte gefährliche Dilemma, und die vier sehen für mich geometrisch in der Form von Quadratur eines Kreises aus. Diese Aufgabe von der Quadratur des Kreises verursacht uns Kopfschmerzen in Ungarn heutzutage aufgrund unserer Erfahrungen mit der Regierungspolitik und dem Grundgesetz der Parteien Fidesz /KDNP

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Es sind aber die Probleme einer neuen Demokratie im Rahmen der EU und nicht die einer Weimarer Republik im 20. Jahrhundert in Deutschland, und wir haben die institutionelle Lehre von Weimar über Bonn und Berlin weitgehend angeeignet bezogen - es reicht aber doch nicht völlig aus dazu, dass wir eine stabile Demokratie gegenüber der Welt und Europakrise und Krisen von post-autoritären Systeme behaupten können. Demokratie, Rechtstaatlichkeit in der Krise sind gefährdet, ja das ist eine wichtige Lehre von dem Schicksal der Weimarer Republik, wir haben aber uns teilweise mit der Rüstung, "Hardware" der Bonner/Berliner Demokratie vorbereitet, siehe Staats- und Verfassungsstrukturen, aber viel "Software" wie Konsensfindungsmechanismen, Vergangenheitsbewältigung, Bürgerkultur sind noch nicht vorhanden, und damit funktioniert die gute deutsche Rüstung nicht ganz nach der Gebrauchsanweisung.

Was Ungarn - und ich glaube keine der neuen osteuropäischen Demokratien - von der Lehre der schicksalhaften Reihe des 20. Jahrhundertes in Deutschland Weimar/Bonn/Berlin leider gar nicht gelernt hat oder dem gefolgt ist, ist nämlich ein strukturverändernder Lernprozess der deutschen politischen Kultur, welche sowohl institutionelle als auch mentale und Wertekomponente beinhaltet (Sontheimer 1990). Ob man es lernen kann, ist eine offene Frage, ob es mangelt hierzulande ist aber keine Frage - für mich wenigstens. Wir können unser Verfassungswerk sicherlich weiterentwickeln, aber ohne die entsprechenden längerfristigen Lernprozesse der ungarischen Gesellschaft wirkt es in sich selbst keineswegs. Wie es Ralf Dahrendorf über das Systemwechsel schon in seiner Sternstunde festgestellt hat, lange vor der jeglichen EU Krise, die Entstehung von Zivilgesellschaft und demokratische politische Kultur brauchen ein längeres Atem als die Veränderungen des Rechtes und der Wirtschaft (Dahrendorf 1991: 94-95). Aber was passiert mit diesen längerfristigen Lernprozessen, wenn die kurzfristigen Prozesse von Aufbau der Marktwirtschaft und von der politischen Demokratie auch von Sackgassen, inneren Verirrungen blockiert oder pervertiert werden?

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Literaturverzeichnis

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Dahrendorf, Ralf, (1991): Betrachtungen über die Revolution in Europa, Stuttgart, DVA.

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Resümee - Weimarisierung in Ungarn? Institutionelle Vorbilder der deutschen Demokratien im ungarischen Grundgesetz ohne entsprechende politische bzw. Verfassungskultur

Infolge der überwältigender Zweidrittelmehrheit von Fidesz (Ungarischer Bürgerbund) / KDNP (Christlich-Demokratische Volkspartei) bei den Wahlen 2010 bot sich die Möglichkeit der Verfassungsänderung. Die im Jahr 2011 verabschiedete neue ungarische Verfassung, die den Namen Alaptörvény (Grundgesetz) erhielt, geriet in das Kreuzfeuer internationaler und innenpolitischer Diskussionen. Die Studie sieht diese Diskussion als Ausgangspunkt an und möchte zu dieser ihren Beitrag leisten. Die Demokratie kann mit der Senkung und gerechten, fairen Verteilung der Lasten der Wirtschaftskrise sowie einem Institutionssystem geschützt

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werden, das in Richtung der Stabilisierung weist. Letzteres steht heute in Ungarn zur Verfügung und ist in seinen Formen ein Abbild der Demokratie von Bonn bzw. Berlin. Aus dem Weimarer Fiasko lernend enthielt das Grundgesetz von Bonn zahlreiche neue Lösungen, die der Vermeidung der Weimarisierung dienten. Die heutige ungarische verfassungsmäßige Einrichtung ist eines derjenigen politischen Systeme des postkommunistischen Mitteleuropas, das im Jahr 1989 zahlreiche Elemente aus dem Bonner Modell der westdeutschen politischen institutionellen Logik übernommen hat, die die Lehren aus dem Fiasko der Weimarer Republik gezogen hatte.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte und hat jedoch Aufgaben im Zusammenhang mit den Parteien, die das ungarische nicht hat: Es kann die Tätigkeit von politischen Parteien verbieten, die die Grundlagen des Systems, die Verfassungsmäßigkeit gefährden. Entgegen den Anhängern der ungarischen Weimarisierung stellt die Studie fest, dass in Ungarn heute keine rassistische politische Massenbewegung existiert, die die ungarische Demokratie unter Anwendung organisierter Gewalt umstürzen möchte. Es existiert auch kein militanter Nationalismus, der um jeden Preis und mit Gewalt eine territoriale Revision erreichen möchte. Schließlich hat die chaotische Abrechnung der gegeneinander auftretenden Nationalismus-Bewegungen im vereinten Europa heute keine Chance, weil die demokratische und friedliche Europäische Union existiert, zu deren Mitgliedern wir uns zählen können. Die Studie weist jedoch darauf hin, dass in Ungarn im Bereich der politischen Kultur und Denkweise noch reichlich Entwicklungspotential besteht.

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Summary - Weimarization in Hungary? The Institutions of German Democracies Seen as Examples in the Basic Law of Hungary Without Appropriate Political and Constitutional Culture

Having won the elections of 2012 by a two third majority, Fidesz/KDNP party was given the opportunity to amend the Constitution. The new Constitution of Hungary, which was adopted in 2011 and named as the Basic Law of Hungary, got into the crossfire of international and internal political debates alike. The study takes this debate as the starting point and wishes to make a valuable contribution to it. Democracy can be protected by the reduction and the just and fair distribution of the burdens caused by the economic crisis and an institutional system pointing towards stabilization. The latter is available in today's Hungary and copies the democracy of Bonn-Berlin in its forms. Drawing the conclusions from the failure of Weimar, the Basic Law of Bonn contained numerous new solutions which were aimed at avoiding weimarization. The constitutional system of today's Hungary is one of the political systems in the region of the post-communist Central Europe which adopted in 1989 numerous elements of the Bonn model of the West-German political institutional logics that has drawn the necessary conclusions from the failure of the Weimar Republic. However, the Federal Constitutional Court of Germany did and does have a task related to the parties which the Hungarian Constitutional Court does not have: it is authorized to ban the fundamentals of the system and prohibit the operation of any political party endangering constitutionality. The study establishes as opposed to the advocates of the process of weimarization in Hungary that there is no racist political mass movement wishing to overthrow democracy by the application of organized violence in Hungary today. We cannot speak of any militant nationalism demanding that territorial revision should be achieved

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by any means including violence, either. Finally, there is no chance for any chaotic payoff between opposing ethnic nationalisms in the unified Europe today, as we are a Member State of the democratic and peaceful European Union. The study highlights at the same time that there still remains considerable scope for improvement for us in the field of political culture and way of thinking. ■

ANMERKUNGEN

* This publication is based on the research supported in the framework of TAMOP 4.2.4. A/2-11-1-2012-0001 "National Excellence Program - Elaborating and operating an inland student and researcher personal support system" key project. The project was subsidized by the European Union and co-financed by the European Social Fund.

[1] Die viel diskutierte vierte Novellierung des Ungarischen Grundgesetzes hat am 19. und am 25. 02. im Parlament stattgefunden, es wurde verabschiedet und gilt ab dem 01.04.2013.

[2] Máté Szabó- Julia Sziklay: Die Stellung und Rolle der Institution des Ombudsmannes in der ungarischen Rechtsordnung, in: BBE Europa Nachrichten 2012/7. 1-4.o.

[3] "Erinnerung und Kultur", in: Ebenda (2011) 275-335.

[4] Z.B.: Die Bestrebungen an ein stärkeres Parlament und Volkssouverenität sind gar nicht antidemokratisch, in: Magyar Nemzet (Ungarische Nation) 20.3.2013.S.6.

[5] Nationalismus, Populismus und Minderheiten siehe Studien in Osteuropa: Quo vadis, Hungaria? Kritik der ungarischen Vernunft. Jg. 61. Heft 12. Dezember 2011, 213-275.S.

[6] Gesamtdarstellungenvor der Veränderungen ab 2010 in Deutscher Sprache: Jürgen Dieringer: Das politische System der Republik Ungarn. Entstehung- Entwicklung- Europäisierung.V. B. Budrich: Opladen. 2009.

András Körösényi/Gábor G. Fodor/Jürgen Dieringer: Das politische System Ungarns, in: Wolfgang Ismayr (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas.VS Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden. 2010.357-419.S.

[7] Betrachten wir einige Argumente von Ungarn - aus der Zeitschrift "Élet és irodalom" (Leben und Literatur) (Lázár Péter Bajomi: Darf sie verbieten werden? Seite 2) eine radikal liberal orientierte Wochenzeitung (Nr. 20 März 2009) aus den Argumenten gegenüber eine strengere strafrechtliche Regelung der Haßrede im öffentlichen Diskussionen.

"Heute gibt es keine bekannten Angaben, die zeigen würden, dass die (angebliche) Ausbreitung der Haßrede zu der Ausbreitung von Hass und der körperlichen Gewalt beitragen würde ... (...) Die genaue Definition des Substanz der Haßrede weist Probleme auf... (....)Das Verbot kann kontraproduktiv sein, denn es zu der "Kodierung" der Haßrede (zu ihrer Umwandlung zu einer verdeckten, für Insider zugänglichen Sprache - M. SZ.) führt. Dafür ist ein Beispiel das Verbot der totalitären Symbole. (...) Mit der verdeckten Haßrede ist es immer schwieriger als mit der offenen Haßrede zu argumentieren." (Übersetzung aus dem Ungarischen von Zoltán Elek). Eine Monographie über die rechtliche Fragen von Hassrede-regulierung in Ungarn: Gergely Bárándy: A gyűlöletbeszéd Magyarországon (Hassrede in Ungarn). Scolar: Budapest. 2010.

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