Am 17. Februar 2009 wurde im polnischen Gesetzblatt 'Dziennik Ustaw' das Gesetz vom 9. Januar 2009 über die Änderung der Zivilprozessordnung und anderer Gesetze (Dz. U. 2009/Nr. 26, Position 156) veröffentlicht. Diese Novelle führte eine neue Verfahrensart ins polnische Rechtssystem ein: das elektronische Mahnverfahren (polnisch: 'elektroniczne postepowanie upominawcze'). Dessen wichtigsten Vorschriften traten am 1. Januar 2010 in Kraft.
Der vorgelegte Entwurf war das Ergebnis der Arbeit einer durch den Justizminister berufenen Forschergruppe unter Leitung von Professor Jacek Golaczynski (Universität zu Breslau). In technischer Hinsicht knüpft die polnische elektronische Gerichtsbarkeit an Lösungen in Großbritannien (Money Claim Online[1]) und in Deutschland (Automatisiertes Mahnverfahren[2]) an.[3] Mit etwa 900.000 jährlich im Wege des Mahnverfahrens erledigten Rechtssachen bestand in Polen tatsächlich ein erheblicher Bedarf, die Amtsgerichte von diesen Verfahren zu entlasten und deren Bewältigung in zeitgemäße Formen überzuleiten. Nach den Plänen der Autoren des Gesetzesentwurfs soll das elektronische Mahnverfahren insoweit vor allem jenen Unternehmen zugute kommen, die ihre Dienstleistungen massenweise anbieten, wie z. B. im Postwesen, in der Telekommunikation oder der Elektrizitätsversorgung, deren Ansprüche in der großen Mehrzahl aller Fälle Geldforderungen beinhalten, die in der Regel durch Rechnungen bzw. Fakturen nachgewiesen werden. Zugleich unterstrich die Forschergruppe jedoch, dass diese neue Regelung nicht nur für solche
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gewerblichen, sondern gerade auch für private Gläubiger günstig und von Nutzen sei, da das eingerichtete elektronische System insbesondere Laien genau darin unterweise, wie Mahnverfahren durchgeführt und Klagen angestrengt werden können.[4]
Nach den ersten drei Monaten der Tätigkeit des hierzu eingerichteten e-Gerichts ist bereits festzustellen, dass das Ziel der Verfahrenskonzentration erreicht und das neue Mahnverfahren angenommen wurde: so wurden fast 76.000 Klagen bei dem Gericht eingereicht und fast 61.000 Mahnbescheide erlassen. Setzte sich diese Tendenz kontinuierlich fort, könnte künftig die Hälfte der bislang in diesem Verfahren entschiedenen Rechtssachen auf elektronischem Wege abgewickelt werden.[5]
Den Ausgangspunkt für die neue Regelung bildet das 'klassische' bzw. ordentliche Mahnverfahren, das bislang in der polnischen ZPO[6] in den Art. 497-505 geregelt ist. In Titel VII des I. Buches der ZPO wurden als Kapitel VIII nun die Regelungen über das elektronische Mahnverfahren als neues Sonderverfahren eingefügt. Obzwar sich der Gesetzgeber dafür entschied, den eigenständigen Regelungsgehalt des neuen elektronischen Mahnverfahrens durch Normierung in einem eigenen Kapitel hervorzuheben, verweist er dennoch in Art. 505 28 ZPO auf den generellen Charakter des ordentlichen Mahnverfahrens und ordnet - vergleichbar mit einer Art 'Allgemeinem Teil' - dessen Anwendung an, wenn die Vorschriften über die elektronische Durchführung keine Sonderregelungen vorsehen. Art. 505 29 ZPO wiederum schließt die Anwendung von Vorschriften anderer Sonderverfahren aus.
Jede Einführung eines weiteren Sonderverfahrens stößt stets auf die Kritik des polnischen Schrifttums. Bislang bestanden schon 15 solcher Sonderverfahren, die zu einer enorm hohen Komplexität des Zivilprozessrechts und damit zu einer wachsenden Unverständlichkeit für den Laien geführt haben. Mit dem neuen elektronischen Mahnverfahren tritt insoweit keine Verbesserung ein, im Gegenteil: es schafft aufgrund der dargestellten Regelungstechnik eine ganze Kaskade anzuwendender Normen: Im Falle des Fehlens von Sondervorschriften finden die Regelungen des ordentlichen Mahnverfahrens als lex generalis Anwendung. Jedoch erfährt das elektronische Mahnverfahren auch damit keine vollständige Regelung im VII. Titel der ZPO über die Sonderverfahren; darüber hinaus bedarf es des Rückgriffs auf an wiederum anderer Stelle geregelte allgemeine Vorschriften, wie etwa zur Zuständigkeit des Gerichts oder zur Prozessvertretung. Diese gesetzgeberische Technik, von einer zusammenhängenden und abschließenden Kodifizierung abzusehen, wurde als weitere Durchbrechung der bisherigen polnischen Gesetzgebungstradition kritisiert.[7] Im Schrifttum wurde in diesem Zusammenhang
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bereits seit langem darauf hingewiesen, dass eine solche 'verstreute' Verortung von Vorschriften zu Schwierigkeiten bei der Auslegung führen kann. Eine mögliche Lösung bestünde insoweit darin, alle Sonderregelungen betreffs des elektronischen Mahnverfahrens umfassend und abschließend in einem eigenen Kapitel im VII. Titel der ZPO zusammenzuführen.[8]
Das elektronische Mahnverfahren lässt es jedoch zu, dass auch Rechtssachen entschieden werden können, die ansonsten in anderen Sonderverfahren behandelt werden. Der Kläger hat die Wahl, ob er seine Ansprüche im Wege des elektronischen Mahnverfahrens oder etwa im Rahmen des ebenfalls in der ZPO vorgesehenen Wirtschaftsverfahrens durchsetzen möchte. Die Vorschriften über andere Sonderverfahren dürfen - wie erwähnt - jedoch nicht angewendet werden.
Angesichts der Kritik im juristischen Schrifttum ist auch hervorzuheben, dass das bisherige ordentliche Mahnverfahren in der Zukunft gänzlich durch das elektronische ersetzt werden kann. Auf diese Möglichkeit bezieht sich auch die Begründung zu der das elektronische Mahnverfahren einführenden Gesetzesnovelle. Dort weist man darauf hin, dass die Einführung einer neuen Verfahrensart den Weg zu einem effektiven Verzicht auf andere Verfahrensarten eröffne.[9]
Auf Grundlage von Art. 19 des Gesetzes vom 27. Juli 2001 über das Recht der Gerichtsordnung[10] erließ der Justizminister die Anordnung zur Errichtung eines e-Gerichts, indem er die hierfür zuständige Zivilabteilung des entsprechenden Amtsgerichts bezeichnete. Zurzeit versieht die XVI. Zivilabteilung des Amtsgerichts Lublin die Funktion als landesweit zuständiges e-Gericht. Im Schrifttum wird jedoch darauf verwiesen, dass es dem Justizminister frei stehe, in Zukunft auch andere Amtsgerichte mit dieser Funktion zu betrauen.[11] In organisatorischer und struktureller Hinsicht wird erwartet, dass über diese Zuständigkeitskonzentration eine erhöhte Effektivität der Verfahren wie auch die Beseitigung logistischer Probleme erzielt werden kann; darüber hinaus führt sie auch zu einer Konzentration besonders fachkundigen Justizpersonals an einem Ort. Nichtsdestotrotz besteht die Möglichkeit, andere Gerichte als zuständig zu benennen.[12]
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Mit dieser Regelung wich der Gesetzgeber vom Grundsatz des actor sequitur forum rei ab und folgte insoweit dem Beispiel der deutschen Grundregel des § 689 Abs. 2 S. 1 dt.ZPO, der die ausschließliche örtliche Zuständigkeit desjenigen Amtsgerichts normiert, bei dem der Antragsteller seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.[13] Jedoch wurde auf Länderebene in Deutschland - ebenso wie in Polen - von der in § 689 Abs. 3 dt.ZPO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, zentrale Mahngerichte für die einzelnen Bundesländer einzurichten[14], womit sich der allgemeine Gerichtsstand des Antragsstellers, der seinen Wohnsitz oder Sitz in einem der zugewiesenen Gerichtsbezirke hat, beim jeweiligen Konzentrationsgericht befindet.[15]
Schon im Mai 2000 wurde in Polen im ordentlichen Mahnverfahren die Begrenzung des Streitwerts aufgehoben.[16] Gleichermaßen verfuhr man bei der Regelung des elektronischen Mahnverfahrens, so dass die Geltendmachung von Ansprüchen ohne summenmäßige Begrenzung des Prozessgegenstandes möglich ist. im Hinblick auf die durch die Zuständigkeitskonzentration erstrebten Vorteile wird dementsprechend durch Art. 17 Pkt. 4 ZPO auch die sachliche Zuständigkeit der Bezirksgerichte (sady okregowe) für im Wege des elektronischen Mahnverfahrens entschiedene Rechtssachen ausgeschlossen, so dass die entsprechende Abteilung des Amtsgerichts unabhängig vom Streitwert zuständig ist. Gleiches gilt in Deutschland.[17] Bemerkenswert ist insoweit, dass auch eine Prorogation nach Art. 46 § 1 ZPO ausgeschlossen ist, wenn ein Kläger die Klageschrift im Rahmen des elektronischen Mahnverfahrens einreicht.
Kommunikation mit dem Gericht per E-Mail sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr ist diese über das teleinformatische System zu führen, in das sich die Verfahrensbeteiligten zuvor einzuloggen haben. Diese Lösung ist durch drei Aspekte begründet: erstens müssen mit der Einreichung einer Klage die Gerichtskosten entrichtet werden. Zweitens sollte sich durch die grundsätzlich per Überweisung erfolgende Zahlung der Gerichtskosten auch die identifizierung des Zahlenden sicherstellen lassen, um so entsprechend dem erklärten Ziel des Gesetzgebers der Erhebung von Klagen durch programmierte Automaten vorzubeugen.[18] Drittens soll auf diesem Wege die Begründung der Klage auf eine bestimmte Anzahl Zeichen beschränkt werden. Damit
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folgt die Ausgestaltung des polnischen teleinformatischen Systems weitgehend dem Vorbild des britischen Systems 'Money Claim Online', in dem ebenfalls eine Bestimmung der Identität des Klägers über die ausschließlich zur Zahlung der Kosten einsetzbare Kreditkarte erfolgen soll und die Klagebegründung auf 1070 Zeichen beschränkt ist.[19] Im Hinblick auf die Beschränkung des Umfangs der Klagebegründung teilt die polnische Forschergruppe die Ansicht der Betreiber von 'Money Claim Online', dass der Zusammenhang zwischen einem Zivilrechtsverhältnis und einem auf dem Klagewege geltend gemachten Anspruch so klar sein müsse, dass weitergehende Ausführungen entbehrlich seien. Sollte der Kläger diesen Anforderungen nicht genügen können, so steht es ihm frei, seine Ansprüche in einem anderen Verfahren zu verfolgen.[20]
Um einen möglichst komfortablen und Rechtssicherheit schaffenden Umgang mit dem teleinformatischen System gewährleisten zu können, schlug die Forschergruppe vor, beispielsweise Verzögerungen etwa aufgrund überlasteter Leitungen o. ä. zu vermeiden, indem sowohl on- als auch offline ausfüllbare Formulare zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren sollte die Belehrung über Art und Folgen der Zustellung zugleich mit dem Formular zur Klageerhebung erscheinen und die Angabe der E-Mail-Adresse des Klägers sollte Voraussetzung für die wirksame Einreichung einer Klageschrift sein.[21]
Diese Vorschläge wurde in den §§ 2, 3 der Rechtsverordnung vom 28. Dezember 2009 über die Einreichungsweise von Schriftstücken im elektronischen Mahnverfahren (Dz. U. 2009, Nr. 226, Position 1832) so umgesetzt, dass Massenkläger (wie z. B. Elektrizitätsversorger) die entsprechenden Formulare in einem hierzu geeigneten computerprogramm vor dem Login in das teleinformatische System ausfüllen sollen. Nicht-Massenklägern steht diese Möglichkeit allerdings nicht offen; sie können die Formulare nur online ausfüllen.
Weiterhin vereinfacht das teleinformatische System die Behebung und damit Heilung von Formmängeln einer Klage: Die Veröffentlichung des Sachstands in den elektronischen Akten der Sache ohne das Erfordernis einer Zustellung generiert nur geringe Kosten. Aus diesem Grunde ist die Rücksendung der Klageschrift ohne vorherige Aufforderung zur Behebung von Formmängeln grundsätzlich unzulässig; die einzige Ausnahme bildet insoweit der Fall, dass die Klageschrift bereits ursprünglich in Papierform eingereicht wurde. Darüber hinaus erspart die Nutzung des teleinformatischen Systems dem Kläger die Verwaltungsgebühr, die bei der Vorlage einer Bevollmächtigungsurkunde bei bestimmten öffentlichen Organen nach Maßgabe des Gesetzes vom 16. November 2006 über die Verwaltungsgebühren entsteht.
Schließlich forderte die Literatur die Einrichtung einer Abteilung zur technischen Unterstützung der Nutzer, bei der ein 'Call-Center' sowohl auf telefonischem Wege als auch per E-Mail Beratung in technischen Fragen bieten sollte.[22] Dieser Forderung wurde in der Realität allerdings nur teilweise entsprochen, da Anfragen lediglich per E-Mail an den technischen Service gerichtet werden können.
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Notwendig wurde nach Art. 505 30 ZPO auch die Einrichtung des elektronischen Bürowesens bei Gericht, nachdem die Rechtshandlungen des Gerichts, des Rechtspflegers und des Vorsitzenden ausschließlich im teleinformatischen System festgehalten werden. Ermöglicht wird dies durch Art. 53 Abs. 1 des Gesetzes über die Gerichtsordnung, der erlaubt, dass Akten elektronisch geführt und überarbeitet werden können. Die solcherart elektronisch gesammelten Daten werden mit einer sicheren elektronischen Unterschrift im Sinne des Gesetzes vom 18. September 2001 über die elektronische Unterschrift versehen - die im Vergleich zu den Parteihandlungen insoweit höheren Anforderungen ergeben sich daraus, dass die Handlungen eines Richters oder Rechtspflegers als Amtshandlungen zu qualifizieren sind und dementsprechend strengeren Formvorschriften unterliegen. In Deutschland lässt § 696 Abs. 2 dt.ZPO immerhin anstatt des eines maschinell erstellten Aktenausdrucks die elektronische Übermittlung von Daten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens vom Mahngericht an das zuständige Gericht zu - sofern das Mahnverfahren maschinell bearbeitet wurde -, wobei allerdings die strengen Formvorschriften des § 298 dt.ZPO nicht anzuwenden sind.[23] Die Ersetzung der Aktenführung im herkömmlichen Sinne durch eine regelrechte 'e-Akte' wird dagegen als nicht möglich erachtet; vielmehr wird die herkömmliche Akte durch die Gesamtheit der zu einem bestimmten Verfahren geführten Akten ersetzt. Ein etwaiger Vollstreckungsbescheid ist somit gesondert auszufertigen, wenn das Mahnverfahren nicht maschinell bearbeitet wurde, denn nur dann kann gemäß § 699 Abs. 2 dt.ZPO der Vollstreckungsbescheid unmittelbar auf den Mahnbescheid gesetzt werden.[24]
Im Hinblick auf die Zahlung der anfallenden Gebühren befürwortete die in Polen gebildete Forschergruppe die Ausgestaltung der Zahlungsmöglichkeiten nach dem Vorbild der im elektronischen Handel verwendeten Zahlungsmittel und trat überdies für eine Senkung aller Gebühren im elektronischen im Vergleich zum ordentlichen Mahnverfahren ein.[25] § 1 der Rechtsverordnung vom 18. Dezember 2009, die die Verordnung über die Zahlung der Gerichtskosten in Zivilsachen änderte (Dz. U. 2009, Nr. 221, Position 1747), sah daraufhin vor, dass ein Programm zur Zahlung anfallender Gebühren durch das teleinformatische System zur Verfügung gestellt wird. Nach der Gebührenordnung[26] können die Gerichtsgebühren durch Überweisung von einem Bankkonto oder unter Verwendung einer Kreditkarte (Visa, MasterCard) beglichen werden.
Die Regelungen des elektronischen Mahnverfahrens sehen die Identifizierung der Parteien und Verfahrensbeteiligten in viererlei Weise vor:
1. Der Kläger muss beim Einloggen lediglich seine Personalnummer und ein vertrauliches Passwort im System, das der elektronischen Post ähnelt, angeben. Eine etwaige Klageschrift muss darüber hinaus mit einer einfachen (d. h. nicht-
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qualifizierten) elektronischen Unterschrift versehen werden, die vom Zertifizierungszentrum im teleinformatischen System des elektronischen Mahnverfahrens zugeteilt wird.
Der Beklagte wird durch ein vertrauliches Passwort identifiziert, das ihm mit dem
2. Mahnbescheid bzw. mit der Klageschrift zugestellt wird. Nach dem Einloggen ins System hat er Zugriff auf alle Akten der betreffenden Rechtssache.
3. Bestellte Vertreter der Parteien sowie Angehörige des Gerichts verfügen über ein Passwort, das ihrer Personalnummer entspricht, sowie einen auf Antrag eingerichteten Login.
4. Für Spruchkörper des Gerichts und Gerichtsvollzieher wurden spezielle Formen der identifizierung geschaffen.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens im Parlament wurden Zweifel daran laut, ob solch ein relativ einfach ausgestaltetes System der Identifizierung ausreiche. Die Autoren des Gesetzesentwurfes beharrten jedoch auf dieser Lösung, da sie die Errichtung künstlicher Hindernisse in jedem Falle verhindern wollten und befürchteten, dass das System andernfalls nicht auf eine breite Zustimmung stoßen könnte. Schließlich verwiesen sie auf die Erfahrungen mit den ähnlich ausgestalten Sicherungsmechanismen im Online-Banking, die sich für die Sicherung von Millionen Bankkonten in Polen als ausreichend erwiesen haben.[27] Im Ergebnis folgte der Gesetzgeber damit dem Vorbild der britischen Plattform Money Claim Online, bei der die Identifizierung des Klägers ebenfalls durch eine User-ID, ein speziell mitgeteiltes Kennwort sowie die Identität des Kreditkarteninhabers erfolgt, der die Gebühren entrichtet.[28] In Deutschland hingegen errichtete der Gesetzgeber höhere Hürden für den internetgestützten Zugang zum automatisierten Mahnverfahren, indem er für die Online-Einreichung des Mahnantrags eine mit einer qualifizierten elektronischen Signatur iSv. § 130a Abs. 1 dt.ZPO versehene E-Mail verlangt.[29]
Eine weitere Anleihe beim britischen System Money Claim Online nahm das teleinformatische Systems Polens, indem es ebenfalls die Einrichtung eines KlägerProfils erlaubt. Gemäß § 3 der Rechtsverordnung vom 28. Dezember 2009 über die Gründungsweise eines Kontos und die Anwendungsweise der elektronischen Unterschrift im elektronischen Mahnverfahren (Dz. U. 2009, Nr. 226, Position 1830) muss der Nutzer zur Eröffnung eines solchen Benutzerkontos im teleinformatischen Systems seinen Vor- und Zunamen, seine Personalnummer, seine Personalausweisnummer, seinen Geburtsort sowie seine E-Mail- und Postadresse angeben. Handelt es sich um einen Rechtsanwalt, muss er zusätzlich seine Eintragungsnummer in der Rechtsanwaltsliste nennen. Eine ähnliche Möglichkeit besteht nunmehr auch in Deutschland über das 'elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach'[30]. Die Option einer Profileinrichtung im polnischen System birgt insgesamt lediglich geringe Risiken[31], da sich der Beklagte durch einen einfachen Widerspruch zu
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verteidigen vermag, während der Kläger im Falle der Einreichung einer fingierten Klage die anfallenden Gerichtskosten zu tragen hat und über deren Zahlung leicht zu identifizieren ist.
Das Mahnbescheidsverfahren zielt auf eine schnelle Entscheidung in Rechtssachen über Geldansprüche ab - und entspricht insofern gleichermaßen dem deutschen Mahnverfahren (§ 688 Abs. 1 dt.ZPO) und dem britischen Verfahren zur Geltendmachung von Geldforderungen.[32] Es findet gemäß Art. 499 ZPO insbesondere dann nicht statt, wenn die geltend gemachten Ansprüche offensichtlich unbegründet sind, wenn an den zur Unterstützung der Ansprüche vorgebrachten Umständen erhebliche Zweifel aufkommen, wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängig ist, wenn der Aufenthaltsort des Beklagten unbekannt ist oder wenn etwa die Zustellung im Inland nicht erfolgen konnte. in all diesen Fällen kann die Rechtssache entweder in ein ordentliches Verfahren oder in ein entsprechendes Sonderverfahren übergeleitet werden. Wäre der Erlass eines Mahnbescheids nicht aus einem dieser Gründe unzulässig, sondern vielmehr aufgrund fehlender rechtlicher Voraussetzungen unbegründet, legt der für den Erlass gemäß Art. 353[1] ZPO zuständige Richter oder Rechtspfleger nach Maßgabe des Art. 498 § 2 ZPO einen Termin zur Verhandlung fest, sofern die Rechtssache nicht in einer nichtöffentlichen Verhandlung entschieden werden kann. Nach Art. 505 33 ZPO gibt das Mahngericht schließlich die Rechtssache an das nach allgemeinen Zuständigkeitsregeln bestimmte Streitgericht ab, wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Mahnbescheids im elektronischen Mahnverfahren fehlen. In Deutschland ist der Umfang der Prüfung der Schlüssigkeit des Antrags im Rahmen der Zurückweisung durch das Mahngericht gemäß § 691 dt.ZPO - anders etwa als in Österreich[33] - auf eine eingeschränkte Plausibilitätsprüfung reduziert, um die voll computergestützte Bearbeitung von Mahnanträgen ohne die Erforderlichkeit eines Eingreifens durch menschliche Entscheidungsorgane gewährleisten zu können, während gleichzeitig aber durch den Mahnbescheid nicht die Erfüllung von Ansprüchen aufgegeben werden soll, die offensichtlich nicht gegeben sind.[34] Einen - notgedrungen - differenzierteren Ansatz scheint hingegen das mit der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006[35] (EuMV-VO) eingeführte
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Europäische Mahnverfahren, das der Geltendmachung fälliger, bezifferter Geldforderungen ohne summenmäßige Begrenzung in grenzüberschreitenden Zivilund Handelssachen dient[36], zu verfolgen: da die Verordnung keine klare Aussage zu dem in Anwendung zu bringenden Prüfungsumfang trifft, indem sie einerseits in ihrem Art. 12 Abs. 4 lit. a EuMV-VO verlangt, dass im Europäischen Zahlungsbefehl darauf hingewiesen werde, dass er ausschließlich auf der Grundlage der Angaben des Antragstellers erlassen und vom Gericht nicht nachgeprüft wurde, andererseits in Art. 8 EuMV-VO aber anordnet, dass das mit der Sache befasste Gericht prüft, 'ob die Forderung begründet erscheint' und es gemäß Erwägungsgrund 16 die im Antragsformular gemachten Angaben ermöglichen sollen, 'schlüssig zu prüfen, ob die Forderung begründet ist', obwohl das Antragsformular keine detaillierten Angaben zum Sachverhalt enthält, können die Mitgliedstaaten die EuMV-VO nach ihren eigenen Mahnverfahrenskulturen und ihrem jeweiligen Rechtsstaatsverständnis entweder dahingehend interpretieren, dass sie das Erfordernis einer Schlüssigkeitsprüfung bejahen oder nicht.[37] Letztlich wohnt dieser aus der Unklarheit des Wortlauts resultierenden Differenzierung die Gefahr inne, dass das Hauptziel der Verordnung, die Schaffung eines europaweit tatsächlich einheitlich ausgestalteten Verfahrens, nicht erreicht wird.[38]
Ergeht der Mahnbescheid im Rahmen des polnischen elektronischen Mahnverfahrens schließlich, so wird dem Beklagten aufgegeben, innerhalb von zwei Wochen ab dem Tag der Zustellung den geltend gemachten Anspruch entweder vollständig (inklusive Gerichtskosten) zu befriedigen oder aber Widerspruch einzulegen. In Deutschland wird durch die Zustellung des Mahnbescheids gemäß § 286 Abs. 1 dt.BGB der Verzug des Schuldners ausgelöst; überdies hemmt sie gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 dt.BGB die Verjährung des geltend gemachten Anspruchs, wenn
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dieser so bezeichnet ist, dass er Grundlage eines Vollstreckungstitels sein und der Schuldner den Anspruch anfechten kann.[39] Im Polen hat schon der Antrag gemäß Art. 123 § 1 pl.BGB es zu Folge. Im Europäischen Mahnverfahren ist es hingegen nicht geregelt, ob der Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls eine verjährungsunterbrechende Wirkung hat; eine solche richtet sich entsprechend nach der jeweiligen lex causae.[40]
Von Amts wegen aufgehoben wird der Mahnbescheid, wenn der Aufenthaltsort des Beklagten unbekannt ist, wenn eine Zustellung im inland nicht bewirkt werden konnte oder wenn der Beklagte nicht rechts- oder prozessfähig ist und keinen Vertreter bzw. kein Vertretungsorgan vorweisen kann.
Im Fall der Unmöglichkeit, einen Mahnbescheid zu erlassen, oder der Außerkraftsetzung eines erlassenen Mahnbescheids, kann der zugrunde liegende Anspruch weiterhin in einem ordentlichen oder Sonderverfahren verfolgt werden. Gleiches gilt in Deutschland, wo die Zurückweisung des Mahnantrags ebenfalls keine Rechtskraftwirkung zeitigt, so dass jederzeit eine Wiederholung des Antrags oder die klageweise Geltendmachung des Anspruchs möglich bleibt.[41] Ebenso verhält es sich im Europäischen Mahnverfahren.[42]
Grundsätzlich sollte das Beweisverfahren im elektronischen Mahnverfahren eine untergeordnete Rolle spielen, da es in dessen Rahmen für gewöhnlich lediglich darum geht, die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen glaubhaft zu machen. Dessen ungeachtet entschloss sich der polnische Gesetzgeber zu einer expliziten Regelung dieser Fragen:
Im Hinblick auf Urkundsbeweise legt Art. 505 31 § 1 ZPO fest, dass vom Kläger nicht auf elektronischem Wege eingereichte Schriftstücke keine Wirksamkeit im Verfahren beanspruchen können. Darüber hinaus muss jedes elektronisch eingereichte Schriftstück gemäß Art. 126 § 5 ZPO mit einer elektronischen Unterschrift im Sinne des Gesetzes vom 18. September 2001 über die elektronische Unterschrift versehen werden. Dem Beklagten wird hingegen die Wahl zwischen der Einreichung auf herkömmlichem, d. h. verkörpertem, und auf elektronischem Wege ermöglicht: so erlegt ihm Art. 5 05 31 § 1 ZPO lediglich die Pflicht auf, seine Urkundsbeweise auf elektronischem Wege vorzulegen, wenn ein Schriftstück bereits in elektronischer Form vorliegt. Nach § 5 der Vorschrift gilt das Datum der Einstellung in das teleinformatische System zugleich als Datum der Einreichung des Schriftstücks. Weitere Einzelheiten zur Einreichung von Schriftstücken regelt eine Rechtsverordnung.
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In Art. 505[32] ZPO ist vorgesehen, dass in der Antragsschrift die allfälligen Beweise lediglich genannt werden sollen, der Kläger hat sie jedoch nicht anzufügen. Dies betrifft auch die Vollmachtsurkunde. Bestimmte persönliche Daten, wie die Personalnummer, die Steuernummer oder die Nummer im staatlichen Gerichtsregister sind hingegen stets anzugeben. obwohl dieser grundsätzliche Ausschluss materieller Beweise im Rahmen der parlamentarischen Lesungen kontrovers diskutiert wurde, setzten sich die Autoren des Entwurfs mit ihrer Ansicht durch, dass die mit dem elektronischen Mahnverfahren angestrebten Ziele ausschließlich durch eine maximale Vereinfachung des Verfahrens erreicht werden könnten; nur eine radikale Lösung könne insoweit der Schlüssel für den Erfolg des Projekts sein.[43] Damit bildet das nunmehr kodifizierte Beweisrecht des polnischen Mahnverfahrens eine eindeutige Parallele zu jenem der EuMV-VO, die ebenso vorsieht, dass - im Unterschied zum deutschen Recht - im Antragsformular immer auch ein Beweismittel zu nennen, der Beweis jedoch nicht zwingend im Mahnverfahren zu erbringen ist.[44]
Im Gutachten der Forschungsgruppe wird für den Fall, dass gemäß Art. 235 ZPO die Erhebung eines Beweises tatsächlich nötig werden sollte, angeregt, dass das mit der Durchführung des Mahnverfahrens betraute e-Gericht die Hilfe eines insoweit um Rechtshilfe ersuchten Gerichts in Anspruch nehmen sollte. Dies erscheint als durchaus praxistauglicher Ansatz, da sich die Beweisaufnahme vor dem zuständigen Gericht etwa aufgrund der großen räumlichen Distanz zum Beweismittel im Einzelfall als schwierig erweisen könnte.[45]
Die folgenden Normen weisen keinen Bezug zum Beweisverfahren auf: so gibt das Gericht nach Art. 505 33 ZPO die Sache gemäß allgemeinen Regeln an das jeweils zuständige Gericht ab, wenn die Voraussetzungen für den Erlass eines Mahnbescheids nicht gegeben sind. Bis zu diesem Punkt werden von Amts wegen lediglich die Prozessvoraussetzungen geprüft. Der Abgabebeschluss ist in diesem Falle nur dem Kläger zuzustellen, da in diesem Stadium dem Beklagten noch keine Ausfertigung der Klage zugestellt wurde.[46]
In diesem Zusammenhang erscheint die Anwendbarkeit der Vorschriften des Art. 499 Abs. 1 und 2 ZPO im elektronischen Mahnverfahren als problematisch, schließen sie doch den Erlass eines Mahnbescheids aus, wenn die in der Klage vorgebrachten Umstände zweifelhaft sind. Die Beurteilung, ob der Erlass eines Mahnbescheids aufgrund mangelnder Begründetheit zu versagen ist, sollte insoweit sowohl im Lichte der in der Klage vorgetragenen Behauptungen als auch im Lichte der beigefügten Beweise erfolgen. Aus diesem Grunde scheint die Schlussfolgerung begründet, dass im Rahmen des Mahnverfahrens die korrekte Einschätzung von Erlasshindernissen letztlich als so gut wie unmöglich erscheint.[47]
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Art. 131[1] ZPO sieht vor, dass sich die Zustellung des Mahnbescheids durch das teleinformatische System vollzieht, was voraussetzt, dass jede der verfahrensbeteiligten Parteien ein vom teleinformatischen System generiertes elektronisches Postfach besitzt. Die Abwicklung des Schriftverkehrs über das teleinformatische System ist für den Kläger immer und für den Beklagten dann obligatorisch, wenn er bereits einmal ein Dokument auf elektronischem Wege eingereicht hat. Das elektronische Schriftstück gilt in diesem Zusammenhang als zugestellt, wenn eine elektronische Empfangsbestätigung ausgefertigt wird oder aber eine Frist von 14 Tagen ab der Einstellung des Dokuments in das teleinformatische System abgelaufen ist.
Auch in Deutschland ist die elektronische Zustellung gemäß § 174 Abs. 3 dt.ZPO grundsätzlich möglich, sie setzt aber voraus, dass ihr die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich zustimmen; dies dürfte im Mahnverfahren, das in aller Regel bis zur Zustellung des Mahnbescheids ohne Beteiligung des Antragsgegners abläuft, kaum je der Fall sein. Daher wird der Mahnbescheid dem Antragsgegner nach Unterzeichnung der Urschrift entweder als Ausfertigung oder in beglaubigter Abschrift zugestellt. Dies gilt auch im Falle der maschinellen Bearbeitung eines Mahnantrags, bei der der Mahnbescheid ausgedruckt wird. Einer Unterschrift bedarf er gemäß § 703b Abs. 1 dt.ZPO nicht.[48]
Damit gehen der deutschen Regelung entscheidende Vorteile der polnischen ab, verursacht sie doch weiterhin noch Versandkosten und benötigt Zeit. Wird aus diesen Gründen in Polen die dortige Regelung grundsätzlich begrüßt, so wird doch auch hervorgehoben, dass die Aufhebung der Folgen der oben genannten Frist in sehr weitgehendem Maße beeinflusst werden kann: so kann nach Art. 168 ZPO von einer Partei die Wiedergewährung der Frist beantragt werden, wobei jedoch insbesondere die Feststellung des hierzu vorausgesetzten Fehlens von Verschulden Schwierigkeiten bereiten kann. Diese Fragen dürften die Rechtsprechung vor neue Herausforderungen stellen.
Wird gegen den elektronischen Mahnbescheid kein Widerspruch erhoben und er damit rechtskräftig, wird ihm in der Regel nach Art. 783 § 4 ZPO von Amts wegen eine elektronische Vollstreckungsklausel verliehen und wird damit zugleich zu einem vollstreckbaren Titel (Hierzu gibt es vier Ausnahmen: 1. die Vollstreckung gegen den Gesellschafter einer Personengesellschaft im Falle einer zuvor erfolglosen Vollstreckung gegen die Gesellschaft; 2. die Vollstreckung in Gegenstände des gemeinsamen Vermögens von Eheleuten und in ihr Unternehmen; 3. in dem Fall, dass Rechten und Pflichten auf eine andere Person übergegangen sind und 4. per analogiam beim Erwerb eines Unternehmens oder landwirtschaftlichen Betriebs).
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Nach Art. 797 § 2-4 ZPO besteht für den Kläger insoweit die Möglichkeit, seinen Antrag auf Einleitung der Zwangsvollstreckung bei einem von ihm ausgewählten Gerichtsvollzieher über das teleinformatische System des e-Gerichts einzureichen. Darüber hinaus erhalten gerichtliche Schriftstücke ein einmaliges Identifikationszeichen, das eine Überprüfung von deren Authentizität über das Internetportal des e-Gerichts ermöglicht.
Damit verfolgt das polnische Recht den gleichen Ansatz wie die EuMV-VO: die Vollstreckung des polnischen Mahnbescheids erfolgt wie die des Europäischen Zahlungsbefehls (Art. 18 Abs. 1 EuMV-VO) ohne explizite Exequatur in einem einstufigen Verfahren[49], während in Deutschland in einem zweistufigen Verfahren gemäß § 699 dt.ZPO der Vollstreckungsbescheid erst auf Antrag hin erlassen werden muss. Dieser steht gemäß § 700 Abs. 1 dt.ZPO einem Versäumnisurteil gleich und ist damit gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 4 dt.ZPO Vollstreckungstitel, der in formeller und materieller Rechtskraft erwächst, wenn kein Einspruch gegen ihn eingelegt wird und er damit unanfechtbar geworden ist.[50] Dieses Verfahren nimmt dem deutschen Mahnverfahren im Vergleich zum europäischen und auch zum polnischen einen erheblichen Teil seiner Effektivität und kann den deutschen Antragsteller bei grenzüberschreitenden Forderungen nicht zuletzt dazu bewegen, auf das gemäß Art. 1 Abs. 2 EuMV-VO fakultativ ebenfalls anwendbare Europäische Mahnverfahren auszuweichen.[51]
In Polen braucht der Kläger den Vollstreckungstitel seinem Antrag auf Einleitung der Zwangsvollstreckung nicht einmal beizufügen, es reicht insoweit aus, wenn er bekundet, dass dieser erlassen worden ist. Dies erspart ihm die Kosten, die die Ausfertigung einer Abschrift der Entscheidung verursacht hätte. Der Vollstreckungstitel selbst verbleibt bei den online zugänglichen Akten der Rechtssache, so dass er sowohl geschützt als auch von überallher erreichbar ist.
Erhebt der Beklagte jedoch gegen die geltend gemachten Ansprüche Einwände und will sich gegen den Mahnbescheid zur Wehr setzen, so bekommt er dazu durch das Passwort Gelegenheit, das dem ihm in ausgedruckter Form zugestellten Mahnbescheid beigefügt ist.[52] Mit diesem Passwort erhält er über das Internetportal des elektronischen Mahnverfahrens Zugang zu den elektronisch geführten Akten der ihn betreffenden Rechtssache. Insoweit folgt das polnische Recht wiederum dem Vorbild des britischen Money Claim Online-Systems, bei dem der Beklagte ebenfalls durch ein ihm mitgeteiltes Passwort auf die Klage erwidern kann.[53]
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Wurde der Widerspruch ordnungsgemäß erhoben, folgt darauf die Außerkraftsetzung des Mahnbescheids und die Abgabe der Rechtssache durch das Mahngericht gemäß Art. 505 36 ZPO an das nach allgemeinen Vorschriften zuständige Gericht. Nach derzeitiger Rechtslage muss der Beklagte in seinem Widerspruch gemäß Art. 503 § 1 Satz 2 ZPO deutlich machen, ob er den Mahnbescheid im Ganzen oder zum Teil anficht, sowie alle Einwände und die sie stützenden Tatsachen bezeichnen. Im elektronischen Mahnverfahren ist diese Prozedur wesentlich einfacher; die bloße Erhebung eines Widerspruchs reicht hier bereits aus.
Art. 505 35 ZPO verlangt für die wirksame Einlegung des Widerspruchs weder eine Begründung noch die Beibringung von Beweisen. jedoch muss der Beklagte aus Gründen einer drohenden Präklusion im Prozess alle Einwände, die das Wesen der Sache betreffen, vor der Einlassung zur Sache vorbringen. Ein Beispiel hierfür wäre etwa der Abschluss einer Schiedsvereinbarung oder einer anderen Gerichtsstandsvereinbarung.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Parteien nicht gleich behandelt. Der präklusive charakter der Frist, die dem Beklagten für die Erhebung des Widerspruchs bleibt, hat erhebliche Bedeutung für ihn. In dieser Hinsicht wird die Ansicht, die im Widerspruch ein einfaches Rechtsmittel sieht, der wahren Bedeutung dieses Rechtsinstituts nicht gerecht. Dies scheint auch insofern unangemessen zu sein, dass die Entscheidung im Mahnverfahren letztlich nur auf Grundlage von Behauptungen des Klägers und der Angabe von ihm bezeichneter Beweise ergeht. Der Beklagte befindet sich insoweit in einer wesentlich schlechteren Stellung. Hierbei ist zudem darauf hinzuweisen, als dass eine von Amts wegen geleistete Rechtshilfe durch gerichtlicherseits bestellte Prozessvertreter in dieser Verfahrensart ausgeschlossen ist. Nach Ansicht des Gesetzgebers reicht es bereits aus, dass beide Parteien auf Aufforderung des Vorsitzenden hin die Klage bzw. den Widerspruch entsprechend den einschlägigen Vorschriften ergänzen können (Art. 505[24] § 1 und § 2 ZPO).
Endet die Rechtssache nicht mit einem rechtskräftigen Mahnbescheid, kann der Kläger eine ordentliche Klage bei dem jeweils zuständigen Gericht erheben. Unter diesen Umständen gilt als Zeitpunkt der Klageerhebung das Datum, zu dem die Klage beim e-Gericht erhoben wird, wenn die erwähnte 14-Tagesfrist nicht abgelaufen ist und die geltend gemachten Ansprüche identisch sind.
Im deutschen Recht beginnt gemäß § 696 Abs. 1 dt.ZPO das streitige Verfahren mit der rechtzeitigen Erhebung des Widerspruchs und dem Antrag einer der Parteien auf Durchführung dieses Verfahrens; ohne diesen Antrag tritt hingegen ein tatsächlicher Stillstand des Verfahrens ein.[54] Das Mahngericht gibt daraufhin die Rechtssache an das im Mahnbescheid gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 1 dt.ZPO benannte Gericht ab, wenn die Parteien nicht übereinstimmend ein anderes Gericht verlangen.
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Mit dem Eingang der Akten bei dem Gericht, an das die Rechtssache abgegeben wurde, gilt der Rechtsstreit als dort anhängig. Geht die von dem Gericht verlangte Anspruchsbegründung dann fristgerecht ein, wird weiter wie nach Eingang einer gewöhnlichen Klageschrift verfahren.[55] Das Europäische Mahnverfahren verfolgt indessen gemäß Art. 17 Abs. 1 EuMV-VO ein im Verhältnis zum deutschen oder polnischen Recht umgekehrtes Regel-Ausnahme-Prinzip: dort ist die Überleitung in ein ordentliches Gerichtsverfahren die Regel, die Beendigung des Verfahrens nach Einspruch des Antragsgegners dagegen die Ausnahme, die gemäß Art. 7 Abs. 4 EuMV-VO gesondert beantragt werden muss.[56]
Mit der Abgabe des Rechtsstreits an das zuständige Gericht folgt der Prozess den allgemeinen Verfahrensregeln. Das Mahnverfahren ist damit beendet.
Grundsätzlich wird die Novellierung des polnischen Zivilprozessrechts und die Einführung des elektronischen Mahnverfahrens begrüßt. Man setzt große Hoffnungen in dieses neue Sonderverfahren, das einerseits die Gerichtsverfahren effizienter machen sowie andererseits die Gerichte entlasten soll, die nach allgemein geteilter Meinung tatsächlich überfordert sind. Zusätzlich senkt es für die Beteiligten die Verfahrenskosten und setzt einige der Vorschläge um, die die Verbesserung der Zustellung und die elektronische Aktenführung ermöglichen sollten. Man verspricht sich von diesen neuen Verfahrensregeln überdies, dass sie zu einer Beschleunigung des Prozessverlaufs führen werden. Da die Langwierigkeit der Verfahren vor der polnischen Gerichtsbarkeit gemeinhin als eines der vordringlichsten Probleme des polnischen Rechtssystems angesehen wird, halten Experten diese Novelle gerade in dieser Hinsicht für überaus bedeutsam. Letztlich steht zu erwarten, dass nicht nur die Gerichtsbarkeit, sondern auch die Parteien vom neuen elektronischen Mahnverfahren profitieren werden, das mit der Einstufigkeit seiner Titelerteilung und der Übernahme bereits bewährter Techniken und Einrichtungen sowohl aus Deutschland als auch aus Großbritannien und vom Europäischen Mahnverfahren zu den modernsten Mahnverfahrensregelungen in ganz Europa zählen dürfte.■
JEGYZETEK
[1] Überblicksartig hierzu Sujecki, Bartosz: Money Claim Online (MCOL) - Elektronische Verfahrenseröffnung im englischen Recht. Multimedia und Recht (MMR), 2003/12. XXIV.; Webseite von Money Claim Online: https://www.moneyclaim.gov.uk.
[2] Überblicksartig hierzu etwa Sujecki, Bartosz: Das Online-Mahnverfahren in Deutschland. MMR, 2006. (2006a) 369.; Webseite des Online-Mahnverfahrens: https://www.online-mahnantrag.de.
[3] Kotecka, Sylwia: Elektroniczne postepowanie upominawcze. Boston IT Security Review, 2008/3. 10. (18).
[4] Czaja, Jacek: Elektroniczne postepowanie upominawcze. Vortrag im Rahmen der Konferenz 'Justiz und die öffentliche Verwaltung nach dem Recht der neuen Technologien' vom 21-22. September 2009, Wroclaw. Videoaufnahme abrufbar unter http://konferencjacbke.prawo.uni.wroc.pl/index.php?op=prog.
[5] WIodawski, Kazimierz: Sprawniej, szybciej, prosciej. Kancelaria, 2010/20. 30.
[6] Gesetz vom 17. November 1964 über die Zivilprozessordnung, Dz. U. 1964/Nr. 43, Position 296; nur mit 'ZPO' bezeichnete Vorschriften sind stets solche der polnischen Zivilprozessordnung.
[7] Jodlowski, Jerzy - Resich, Zbigniew - Lapierre, Jerzy - Misiuk-JodIowska, Teresa - Weitz, Karol: Postepowanie cywilne. Warszawa: LexisNexis, 2009, 416.
[8] Vgl. Zembrzuski, Tadeusz: Opinia prawna do projektu ustawy o zmianie ustawy - Kodeks postepowania cywilnego oraz innych ustaw. Druk sejmowy nr 859, 18 wrzesnia. Warszawa: 2008, 3.
[9] Begründung zum Gesetz vom 9. Januar 2009 über die Änderung der Zivilprozessordnung und anderer Gesetze, S. 37 abrufbar unter https://www.e-sad.gov.pl/Subpage.aspx?page_id=6.
[10] Dz. U. 2001/Nr. 98, Position 1010 mit Änderungen.
[11] Erecinski, Tadeusz (Hrsg.): Kodeks postepowania cywilnego. Komentarz. Czgsc pierwasza Postepowanie rozpoznawcze. Tom 2. Warszawa: LexisNexis, 2009, 864.
[12] Czaja i. m.
[13] Schüler, Stefan: Siebentes Buch. Mahnverfahren. In Rauscher, Thomas - Wax, Peter - Joachim Wenzel (Hrsg.): Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung. 3. Auflage. München: Verlag C. H. Beck, 2007. § 689 Rn. 10.
[14] Vgl. insoweit die Aufstellung in: Die maschinelle Bearbeitung der gerichtlichen Mahnverfahren, Stand 03/2009, S. 4 f.; abrufbar unter: http://www.mahngerichte.de/publikationen/broschueren.htm.
[15] Schüler i. m. § 689 Rn. 17.
[16] Golaczynski, Jacek: Elektroniczne postepowanie upominawcze. /Abrufbar unter: http://cbke.prawo.uni.wroc.pl/modules/Projects/files/EPU.31.01.pdf./5.
[17] Lüke, Wolfgang: Zivilprozessrecht. 9. Auflage. München: Verlag C. H. Beck, 2006. Rn. 463.; Rosenberg, Leo - Schwab, Karl Heinz - Gottwald, Peter: Zivilprozessrecht. 17. Auflage. München: Verlag C. H. Beck, 2010. § 164 Rn. 14.
[18] Golaczynski i. m. 6.
[19] Sujecki (2003) i. m. XXIV.
[20] Golaczynski i. m. 10.
[21] Golaczynski i. m. 14.
[22] Golaczynski i. m. 5.
[23] Viefhues, Wolfram: Das Gesetz über die Verwendung elektronischer Kommunikationsformen in der Justiz. Neue Juristische Wochenschrift (NJW), 2005, 1009. (1014).
[24] Schüler i. m. § 689 Rn. 5.
[25] Golaczynski i. m. 2.
[26] Gebührenordnung abrufbar unter https://www.e-sad.gov.pl/Subpage.aspx?page_id=20.
[27] Czaja i. m.
[28] Sujecki (2003) i. m. XXV
[29] Sujecki (2006a) i. m. 372.; Viefhues i. m. 1010. ff.; Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 67.
[30] Weitere Informationen und Einrichtung unter http://www.egvp.de.
[31] Golaczynski i. m. 8.
[32] Sujecki (2003) i. m. XXIV.
[33] Sujecki (2006a) i. m. 371.; Sujecki, Bartosz: Das Europäische Mahnverfahren nach dem Gemeinsamen Standpunkt. Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW), 2006/20. (2006b) 609.
[34] Schüler i. m. § 691 Rn. 3. und 14. ff.; Kammler, Michael: Das Mahnverfahren. Juristische Schulung (JuS), 1989. 116. (117); Sujecki (2003) i. m. 371.; Sujecki (2006b) i. m. 609.; Rosenberg - Schwab -Gottwald i. m. § 164 Rn. 23., die darauf verweisen, dass lediglich zu überprüfen sei, ob der bezeichnete Anspruch die Zahlung eines Geldbetrages rechtfertige.
[35] Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, Abl. 2006 L 399/1.
[36] Vgl. hierzu Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 75.; Sujecki, Bartosz: Das Europäische Mahnverfahren. NJW, 2007/23. 1622. (1623).
[37] Freitag, Robert - Leible, Stefan: Erleichterung der grenzüberschreitenden Forderungsbeitreibung in Europa: Das Europäische Mahnverfahren. Betriebs-Berater (BB), 2008/51. 2750. (2752); Röthel, Anne - Sparmann, Ingo: Das europäische Mahnverfahren. Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM), 2007. 1101. (1106); zum Meinungsstand etwa: Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 81. plädieren in diesem Zusammenhang für eine über eine reine Schlüssigkeitsprüfung hinausgehende Prüfung unter der Fragestellung, ob die Forderung begründet erscheint, wenn der Nachweis der unter Beweis gestellten Tatsachen als erbracht unterstellt wird; Sujecki (2007) spricht sich auf S. 1624 für eine interpretation der Vo dahingehend aus, dass zwar keine Schlüssigkeitsprüfung erforderlich ist, aber nach der offensichtlich unbegründete Forderungen zurückgewiesen werden können, so dass die Prüfung durch einen unterhalb der Richterschaft angesiedelten Gerichtsbeamten und zugleich die aus Rationalisierungs- und Entlastungsgründen angestrebte vollautomatische Prüfung der Mahnantrage möglich ist; Kreuzer, Karl - Wagner, Rolf: Europäisches Internationales Privatrecht. Gemeinschaftsrechtliche Zivilverfahren. In Dauses, Manfred (Hrsg.): Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 24. Ergänzungslieferung. München: Verlag C. H. Beck, 2009. Rn. 798., die aus der Zulässigkeit der Prüfung insgesamt im automatisierten Verfahren schließen, dass wohl eine dahingehende Plausibilitätsprüfung ausreiche, ob der Antrag wegen offensichtlicher Unbegründetheit zurückzuweisen sei und keine Schlüssigkeitsprüfung erforderlich sei.
[38] Sujecki (2006b) i. m. 609.; Sujecki (2007) i. m. 1624.
[39] Lüke i. m. Rn. 463.
[40] Röthel - Sparmann i. m. 1108. ff.
[41] Kammler i. m. 118.; Schüler i. m. § 691 Rn. 28.; Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 24.
[42] Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 86.; Kreuzer - Wagner i. m. Rn. 799.
[43] Czaja i. m.
[44] Röthel - Sparmann i. m. 1103.
[45] Golaczynski i. m. 5.
[46] Erecinski i. m. 869.
[47] Zembrzuski i. m. 8.
[48] Schüler i. m. § 693 Rn. 2.
[49] Für das Europäische Mahnverfahren: Röthel - Sparmann i. m. 1103., 1106. und 1108.; Freitag -Leible i. m. 2750.; Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 83.; Sujecki i. m. (2007) 1625.; Kreuzer - Wagner i. m. Rn. 793.
[50] Lüke i. m. Rn. 464.; Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 1. und 59.
[51] Röthel - Sparmann i. m. 1108.; Freitag - Leible i. m. 2755.
[52] Kotecka i. m. 20.
[53] Sujecki (2003) i. m. XXIV. ff.
[54] Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 35.
[55] Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 48.
[56] Röthel - Sparmann i. m. 1103; Freitag - Leible i. m. 2753.; Rosenberg - Schwab - Gottwald i. m. § 164 Rn. 79.
Lábjegyzetek:
[1] Miroslaw Kazmierski Anwaltsreferendar (Sozietät BGST Borek Gajda Tolwinski, Gdansk) Matthias Schäfer Doktorand (Universität Trier)
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