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Ferenc Cseresnyés[1]: Einwanderung: ein starker Entwicklungsmotor? Ost- und Westeuropa finden nur schwer zu einer gemeinsamen Sprache (JURA, 2016/2., 381-383. o.)

Die EU-Mitgliedstaaten nehmen schweren Herzens zur Kenntnis, dass von der vorherrschenden Achse zwischen Berlin und Paris insbesondere die eigenen Interessen maßgeblich für den Ausgang des Union-Entscheidungsprozesses sind. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch im Umgang mit der aktuellen Migrationspolitik wider. Hier genügt schon der Blick auf die Übereinstimmung der EU-Kommissionsentwürfe zu den auf deutscher Seite formulierten Interessen an einer Verteilung von Flüchtlingen nach Kontingenten (die Quotenverteilung hat in der BRD eine lange Tradition, man erinnere nur an den Valka-Schlüssel aus den 1950er Jahren). Weil auch Ungarn zu den Mitgliedern der EU gehört, ist es sehr wichtig, die deutschen Vorstellungen und Pläne etwas gründlicher aus Sicht der ungarischen Politik und Öffentlichkeit kennenzulernen. Dieser Artikel will dazu seinen kleinen Beitrag leisten.

Nach Ansicht Steffen Angenendts[1] sei eine "gut geregelte Migration der stärkste Entwicklungsmotor" Europas. Dabei denkt er an eine Migration, die den heimischen (deutschen) Arbeitslohn nicht herunterdrückt und die vorhandenen Arbeitnehmer nicht aus deren Job verdrängt. Sie wäre die ideale Lösung für alle Beteiligten: für das Heimatland, das Aufnahmeland und auch für die Migranten selbst. Wie er selbst aber anlässlich einer öffentlichen Anhörung eines parlamentarischen Ausschusses betont hatte, ist die Gruppe der zurzeit einwandernden Migranten sehr gemischt. Unter den Motivationen der heutigen Migranten aus Syrien finden sich nebeneinander und kaum voneinander abzugrenzen die Zwangsfaktoren einerseits (Flüchtlinge vor echter Verfolgung) und die Sehnsucht nach einer Wohlstandgesellschaft andererseits, die dazu führt, dass auch reine Wirtschaftsflüchtlinge kommen, um hier eine Arbeit aufzunehmen. Die Rolle eines Entwicklungsmotors kann nach der Ansicht Angenendts allein von den Arbeitsmigranten erwartet werden. Die Mitgliedstaaten der EU haben sich wiederum gesetzlich daran gebunden, nur (echten) Flüchtlingen Asyl zu gewähren. Das "einzige" Problem ist hierbei nur festzustellen, wer heutzutage überhaupt ein echter Flüchtling ist.

Die Aufnahme oder Rückführung von Migranten, die nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, gehört zu den inneren Rechtsangelegenheiten der einzelnen EU-Mitgliedstaten. Es gibt hierzu weder völkerrechtliche, noch europarechtliche

Verpflichtungen: Die Einwanderungspolitik gehört allein zur Kompetenz der Mitgliedstaaten. Während die geregelte Arbeitsmigration auf den Interessen der an der Migration beteiligten Akteuren (Aufnahmeland, Herkunftsland, Arbeitsmigrant) beruht und sich freiwillig entwickelt hat, findet Fluchtmigration aufgrund von Zwängen, häufig auch illegal, statt. Eine komplex geregelte und organisierte Migration, in der die Rechte der Migranten respektiert, die Löhne der einheimischen Arbeitnehmer nicht gedrückt und diese auch nicht gekündigt werden, kann selbst für die Herkunftsländer einen starken Entwicklungsmotor bedeuten (so ist der Geldtransfer der Migranten nach Hause beispielsweise viermal so hoch, als die für Heimatländer aufgebrachte Entwicklungshilfe). Obwohl es in diesem Zusammenhang wichtig wäre, redet Angenendt nicht über die Folgen einer geregelten Migration, nämlich dass sie aufgrund der für heimische Arbeitnehmer tariflich gesicherten Löhne eine weitere Differenzierung der Gehälter in Deutschland mit sich bringen würde. An der Spitze der Einkommensliste stünde dann der heimische Arbeitnehmer, danach erst käme der Arbeitnehmer der mittelosteuropäischen Mitgliedstaaten, am Ende erst der Arbeitsemigrant. Natürlich ist auch sehr gut vorstellbar, dass es zwischen den letzten beiden Kategorien keinen Unterschied gibt.

Ganz anders sieht es im Falle der Flüchtlinge bzw. Zwangsmigranten, also bei der irregulären oder illegalen Migration, aus. Bei dieser besteht grundsätzlich keine Entwicklungswirkung! Deswegen sollen hier nach Ansicht Angenendts die EU-Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um die Ursachen von Zwangsmigration zu bekämpfen. Dies ist eine mehr als große Aufgabe angesichts dessen, dass schon Claus Leggewie[2] (ein renommierter Experte für die deutsche Migrationspolitik) im Deutschlandfunk zutreffend geäußert hat, dass es im Grunde genommen keine europäische Flüchtlingspolitik gibt. Seiner Ansicht nach dürfe die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge nicht beschränkt werden, denn dies stünde im Widerspruch zu allen eigenen deutschen Erfahrungen. Auch das Wort der "begrenzten Aufnahmekapazität" dürfe nicht gesprochen werden. Im Fokus seines humanitären Ansatzes sind dabei allerdings nur die Flüchtlinge und weniger die Ängste der Mitglieder der

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Aufnahmegesellschaft. Dies kann für Osteuropa auch eine Warnung sein.

Ähnlich wie Angenendt hält auch Leggewie die Entwicklungsmotor-Wirkung bei der Flüchtlingsaufnahme nicht für relevant. Dabei ist es ein bisschen verwunderlich, die zwei Kategorien so scharf voneinander abzugrenzen, weil sich insbesondere die jungen (gesunden) geflüchteten Männer auch auf dem Arbeitsmarkt (hoffentlich) als Akteur melden und wirtschaftlichen Nutzen bringen werden. Gleichzeitig ist es nur allzu verständlich, dass aus politischen, juristischen, aufnahmekapazitätsbezogenen, wählergunstbezogenen, insbesondere aber auch aus allgemeinen humanitären Gesichtspunkten die Entscheidungsträger der Aufnahmegesellschaften bestrebt sein werden, auch in der Zukunft die Arbeitsmigranten von den Flüchtlingsmigranten zu unterscheiden.

Auch nach Leggewies Ansicht zeigen die Erfahrungen, dass eine unbegrenzte Flüchtlingsaufnahme zugleich mehr Flüchtlinge, als auch mehr Menschenhändler und Fluchtrouten mit sich bringt. Seiner Ansicht nach ist heute auch deswegen die Lösung der Flüchtlingskrise nicht einfach, weil sie ein außerordentlicher Zustand ist und schon die bisherige gemeinsame Flüchtlingspolitik (Schengen, Dublin) kaum oder gar nicht mehr funktioniert. Seiner Ansicht nach müssten die Flüchtlinge weiter differenziert werden. Man sollte Kriegsflüchtlinge "in einem ordentlichen Zustand" von denjenigen in einem traumatisierten, behandlungsbedürftigen Zustand trennen. Die erste Kategorie sollte an einem sicheren Ort nahe des Heimatorts gefördert werden. Davon getrennt behandelt werden sollten - seiner Meinung nach - die Armutsflüchtlinge, denen in Europa eine saisonale Arbeitsmöglichkeit bereitgestellt werden sollte, und die Umwelt- bzw. Klimaflüchtlinge. Die Letzteren sollten auf die Länder der Welt (auf Grundlage eines gemeinsam festgelegten Quotensystems) verteilt werden.

Auf Grund welcher Überlegungen, welcher Ängsten weigern sich die Bevölkerungen der westlichen Welt vor der Aufnahme der Flüchtlinge? - fragt sich Leggewie. Fürchten sie um ihre Arbeitsplätze, sorgen sie sich um die geringe Aufnahmekapazität und das nicht vorhandene politische Klima für eine Aufnahme? Von wenigen Fällen abgesehen will die Mehrheit der Flüchtlinge nicht aus Daffke nach Europa kommen. Sie kommen wegen existenzieller Nöte, eben deswegen dürfe es keine Obergrenze für deren Aufnahme geben. Die Erfahrungen der europäischen Länder im 20sten Jahrhundert zeigen, dass die Abweisung von Flüchtlingen zu Tragödien führen kann, wie es der Fall bei den Armeniern und Juden war.

Von einem einseitigen Humanismus motiviert, würde Leggewie auch die materielle Förderung der deutschen Gesellschaft in Anspruch nehmen. Seiner Ansicht nach gibt es in Deutschland einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, dass die Gesellschaft auf Basis ihres Wohlstands die Welt gerechter gestalten kann. Seiner Ansicht nach ist dabei nicht nur die deutsche Öffentlichkeit, sondern auch die Mehrheit der europäischen Bürger dazu bereit, mit der Flüchtlingskrise positiv und hilfsbereit umzugehen. Womit kann diese These untermauert werden? In den neuen Mitgliedstaaten der EU sieht es nämlich gänzlich anders aus: In Ungarn beispielsweise will die absolute Mehrheit der Menschen - 81 Prozent -unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit nicht mit Muslimen in größerer Zahl dauerhaft zusammenleben. Das politische Asyl an sich ist damit nicht verweigert! Vielleicht sind die Osteuropäer in den Augen Leggewies nicht europäisch genug? Die Behandlung außerordentlicher Situationen erfordert außerordentliche Anstrengungen, weil es keine Patentlösungen gebe - so schließt Professor Leggewie.

Politisch benennt er als "Störfaktoren" die Pegida und die NPD in der BRD sowie den Front National in Frankreich, die man energisch bekämpfen müsse. Zu einer neuen Einwanderungspolitik gehörten auch härtere Reaktionen gegenüber rechtsradikalen Menschen, die die Flüchtlinge unter Druck setzen. Über die Ursachen der Fluchtbewegungen solle die Weltgemeinschaft wachen und insbesondere die reicheren Länder seien dabei zur Solidarität verpflichtet. Aber auch andere Staaten der Weltgemeinschaft dürften nicht auf ihrem Wohlstand hocken bleiben, wenn auch sie letztendlich durch kriegerische Situationen und durch ökologische Katastrophen weltweit bedroht sind. In Deutschland gibt es bereits Modelle, beispielsweise Flüchtlingsstädte ins Leben zu rufen und gezielt Regionen mit schrumpfender Bevölkerungszahl wiederzubeleben. Leggewie erkennt zugleich an, dass es dort nicht an der Infrastruktur mangelt, sondern an der berühmten Willkommenskultur fehlt. Er stellt fest, dass man früher oder später zur Kenntnis nehmen solle, dass die Gesellschaften des heutigen Europa Einwanderung benötigen.

Die Ablehnung des Quotensystems zeigt zunächst, dass die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten das Migrationsproblem auf eine andere Weise behandelt sehen wollen: anstelle einer ständigen Aufnahme präferieren sie eher die Sicherung der Außengrenzen. Die Frage stellt sich, ob sich die abweichenden Vorstellungen unter einen Hut bringen lassen oder nicht? Und wenn ja, in welchem Takt? Gibt es noch eine angemessene

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Zeit des Überlegens oder muss man möglichst früh eine Stellung beziehen? Wie die

Meinungsforschungsumfragen zeigen, scheint es so zu sein, dass die Mehrheit der Ungarn gerade nicht aufgrund der zitierten Vorstellungen und Erwartungen "europäisch" bleiben und zu den "alten" Mitgliedstaaten der EU gehören wollen. Die ungarische Politik möchte vorläufig den demographischen Knick nicht durch Einwanderung ausgleichen. Sie möchte vielmehr noch anderen Instrumenten, beispielsweise der jetzigen Familienförderung, eine Chance geben. ■

NOTEN

[1] Die Auslegung Angenendts Ansicht beruht auf einem Radio-Interview (Deutschlandradio Kultur: EU-Flüchtlingspolitik "Gut geregelte Migration ist der stärkste Entwicklungsmotor" -Gespräch mit Nana Brink vom 22.04.2015) und auf seiner Studie "Flucht, Migration und Entwicklung: Wege zu einer kohärenten Politik" in: Politik und Zeitgeschichte/bpb.de vom 9.6.2015

[2] Die Leggewies Meinung ist von einem Radio Interview interpretiert (Deutschlandfunk: Politologe: mehr Flüchtlinge in Europa aufnehmen. Gespräch mit Karin Fischer, 20.04.2015)

Lábjegyzetek:

[1] The Autor is habil. Univ-dozent.

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