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Thomas Mann[1]: Abbau des Rechtsschutzes zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren? (Annales, 2022., 175-184. o.)

https://doi.org/10.56749/annales.elteajk.2022.lxi.14.175

Abstract

In Germany, there has been a discussion about accelerating administrative court proceedings for years. The new federal government has taken up these developments and in 2022 presented a law to accelerate the energy transition. The article shows that the attempts to shorten the duration of administrative court proceedings inevitably go hand in hand with losses in the effectiveness of legal protection, which is protected under constitutional law in Germany.

Keywords: administrative court process, concentration of jurisdiction, negligence of errors, provisional legal protection, suspensive effect

I. Einführung

Unter der seit Dezember 2021 in Deutschland regierenden "Ampel-Koalition" aus SPD, Grünen und FDP war neben dem Ukraine-Krieg vor allem das Erreichen der Klimaschutzziele durch einen forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien eine zentrale Agenda der Politik. In diesem Zusammenhang ist erneut wieder beanstandet worden, dass dieser Ausbau entgegen der selbst gesetzten optimistischen Zeitvorstellungen im Realitätstest nur langsam vorangeht. Betroffen hiervon ist nicht nur die politisch erwünschte Errichtung weiterer Windkraftanlagen, sondern auch der Bau von Energieleitungen, die den regenerativ erzeugten Strom vom deutschen Norden in den bislang vorwiegend durch Atomenergie versorgten Süden der Republik transportieren sollen. Mit dieser Kritik betritt erneut die in Deutschland seit mehr als 20 Jahren altbekannte Beschleunigungsdebatte in lediglich neuem Gewand erneut die Bühne der Politik.

Insbesondere wird bei uns in Wellenbewegungen mit zunehmend kürzeren Amplituden immer wieder eine zu lange Dauer der behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren beklagt. Früher ging es um den Bau und die Genehmigung von Industrieanlagen, heute um den Bau und die Genehmigung von Windkraftanlagen. Ausgeblendet bleibt bei dieser Diskussion oftmals, dass die Genehmigungsverfahren

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insbesondere bei Infrastrukturprojekten oder sonstigen Vorhaben aus dem Umweltrecht bereits für sich genommen eine hohe Komplexität aufweisen, die angesichts des Anspruchs auf gerichtliche Vollprüfung auch vom Richter nicht selten ein Eindringen in naturwissenschaftliche oder technische Streitfragen erfordern. Hinzu kommt, dass vielfach - bewusst oder unbewusst - von den politischen Akteuren falsche Signale gesetzt und unrealistische Hoffnungen genährt werden, so etwa, als man bei der Bevölkerung den Eindruck erweckte, als könnten die für die Energiewende benötigten Fernleitungen innerhalb von drei bis fünf Jahren geplant, gebaut und in Betrieb genommen werden. Jedem, der halbwegs mit dem Ablauf und den Eigengesetzlichkeiten von Planungs- und Planfeststellungsverfahren vertraut ist, war von Beginn an klar, dass hier Wunschdenken dominierte und Versprechungen in den blauen Dunst hinein gemacht worden sind.

Inzwischen hat die Politik offenbar auch die Verwaltungsgerichtbarkeit als ein Störfaktor bei der Realisierung von Großvorhaben ausgemacht. Nach mehreren im Fachrecht ansetzenden Beschleunigungsgesetzen hatte der Bundesrat im Juni 2019 einen Gesetzentwurf zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vorgelegt,[1] der im Vorfeld durch Rechtsgutachten aus der Anwaltschaft vorbereitet worden war.[2] Dieser Entwurf konnte wegen Ablaufs der Wahlperiode allerdings im Bundestag nicht mehr abschließend beraten werden. Die neue Bundesregierung hat nun im April 2022 mit dem sog. "Osterpaket" eine energiepolitische Gesetzesnovelle vorgelegt,[3] deren Ziel der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien ist. In diesem Gesetz, das vom Bundestag am 7. Juli 2022 beschlossen worden ist,[4] sind verschiedene Maßgaben vorgesehen, die ganz überwiegend im Energierecht ansetzen und dadurch eine Beschleunigungswirkung zu erzielen hoffen. Dahinter steckt die Einsicht, dass die Beschleunigungsmöglichkeiten, die das Verwaltungsprozessrecht bietet, weitgehend ausgereizt sind und nur mäßigen Erfolg gebracht haben, warum das so ist, soll nachfolgend aufgezeigt werden.

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II. Erweiterung erstinstanzlicher Zuständigkeit von OVG und BVerwG

Die lange Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren ist in erster Linie ein Problem des behördlichen Verwaltungsverfahrens und hierbei nicht zuletzt eine Folge der Kaskade der im Fachrecht vorgesehenen Öffentlichkeitsbeteiligungen, die etwa am Beispiel der Errichtung und Änderung von Höchstspannungsnetzen eine sechsfache Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht.[5] Soweit man daneben auch die Dauer anschließender Auseinandersetzungen vor den Verwaltungsgerichten in den Blick nimmt, wird eine Möglichkeit zur Beschleunigung häufig darin gesehen, die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte oder des Bundesverwaltungsgerichts zu erweitern. So sah auch der erwähnte Entwurf des Bundesrates vor, den Katalog des erstinstanzlichen OVG-Zuständigkeiten in § 48 Abs. 1 S. 1 VwGO um weitere Materien zu erweitern.[6] Vor allem aber ist zur Beschleunigung des Ausbaus von Windkraftanlagen Ende 2020 die erstinstanzliche Zuständigkeit für "die Errichtung, den Betrieb und die Änderung von Anlagen zur Nutzung von Windenergie an Land mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern", auf die Oberverwaltungsgerichte übertragen worden (§ 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a VwGO).[7] Ein aktuell diskutierter Referentenentwurf[8] sieht darüber hinaus noch weitere Ausweitungen dieses Zuständigkeitskatalogs vor.

Dieses gegen Ende der Amtszeit der alten Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel verabschiedete Änderung realisierte ein im damaligen Koalitionsvertrag vorgesehene politisches Ziel "für ausgewählte Projekte mit überragendem öffentlichem Interesse [...] die Verwaltungsgerichtsverfahren auf eine Instanz beschränken" zu wollen.[9] Aus rechtlicher Sicht eröffnet sich in dieser Frage das Spannungsverhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, die beide - einerseits in Gestalt der subjektiven Rechtsschutzgarantie und andererseits als Gewährleistung zeitgerechten

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(effektiven) Rechtsschutzes - in Art. 19 Abs. 4 GG wurzeln.[10] Dieses Spannungsverhältnis ist der Grund, warum dieses Grundrecht grundsätzlich auch kein Recht auf mehrere verwaltungsgerichtliche Instanzen gewährleistet.[11] Die mit der Hochzonung zu den OVG bewirkte Beschränkung des gerichtlichen Verfahrens auf nur eine Tatsacheninstanz verheißt daher durchaus eine Verkürzung der Gesamtlaufzeit der geplanten Vorhaben,[12] in den überwiegend betroffenen Planfeststellungen bereits eine umfassende Tatsachenermittlung durch die Verwaltungsbehörden stattgefunden hat, die - anders als bei "einfachen" Entscheidungen der Verwaltung - eine fehlende Tatsacheninstanz kompensieren könnte.[13]

Auf der anderen Seite vollzieht sich ein systemwidriger Wandel im Zuständigkeitskatalog. Ursprünglicher Sinn der Konzentrierung einzelner Vorhaben bei OVG oder BVerwG war deren überregionale Bedeutung. Insoweit haben sowohl § 48 VwGO als auch der für das BVerwG geltende Zuständigkeitskatalog in § 50 VwGO "Ausnahmecharakter",[14] was der speziellen Funktion dieser oberen Gerichte Rechnung tragen soll. Das für die jüngsten Veränderungen im Zuständigkeitskatalog allein genannte Argument der Komplexität träfe auch noch auf zahlreiche andere Streitgegenstände zu - im Grunde genommen auf alle Vorhabenzulassungen, die einer Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Pflicht) unterliegen.[15] Insoweit ist vor einer "Rückschlagswirkung" zu warnen, denn eine zu großzügige Ausweitung des § 48 VwGO könnte zulasten der dort bereits enthaltenen Streitgegenstände gehen, die bereits als prioritär bedeutende Infrastruktur- und Industrievorhaben identifiziert worden sind.[16]

Ein entscheidendes Element sowohl für die erhoffte Beschleunigungswirkung als auch für den damit verbundenen effektiven Rechtsschutz der Kläger ist aber auch eine flankierende deutliche Aufstockung der Richterstellen bei den OVG. Dass ohne eine solche personelle Verstärkung die in eine Ausweitung des Katalogs des § 48 VwGO gesetzten Beschleunigungserwartungen nicht zu erfüllen sind, hat das Beispiel Nordrhein-Westfalens gezeigt. Vor der erwähnten Gesetzesänderung Ende 2020 waren in NRW sieben Verwaltungsgerichte erstinstanzlich für Klagen gegen die Errichtung von Windenergieanlagen zuständig, danach für alle solchen Verfahren nur noch ein mit drei Richterstellen besetzter Senat beim Oberverwaltungsgericht, der daneben auch noch Zuständigkeiten für andere Sachmaterien besaß. Es liegt auf der Hand, dass eine

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solche personelle Konstellation nicht zur Beschleunigung, sondern zur Verlangsamung der Verfahren beiträgt und damit die Pläne des Bundesgesetzgebers konterkariert. Es hat über ein Jahr gedauert, bis beim OVG Münster ein neuer Fachsenat, der speziell für Windkraftanlagen zuständig ist, eingerichtet werden konnte. Damit ist einerseits eine Spezialisierung der Richterschaft erreicht, die eine Beschleunigungserwartung weckt, doch ist damit nicht das Problem des hohen Geschäftsanfalls ausgeräumt. Sieben Verwaltungsgerichte können parallel durchaus einige Verfahren zum Abschluss bringen, während ein Senat die Verfahren nur konsekutiv abarbeiten kann.[17]

III. Ausserachtlassen behebbarer Mängel im vorläufigen Rechtsschutz

Der aktuell in der Verbändeanhörung befindliche Referentenentwurf[18] will ergänzend zur Zuständigkeitskonzentration in den §§ 48 und 50 VwGO Vorkehrungen treffen, damit auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Verzögerungen vermieden werden. Er sieht zu diesem Zweck die Einfügung eines § 80c VwGO vor, der bezogen auf bestimmte Verfahren vor dem OVG, etwa auch über die Genehmigung von Windkraftanlagen nach § 48 Abs. 1 S. 1 Nr. 3a VwGO, den Gerichten erlauben will, im Verfahren um die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einen Mangel des Verwaltungsaktes außer Acht zu lassen, "wenn offensichtlich ist, dass dieser in absehbarer Zeit behoben sein wird." Als hiervon betroffene Mängel werden beispielhaft "eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften oder ein Mangel bei der Abwägung im Rahmen der Planfeststellung" genannt. Den Antragstellern wird das Recht, eine Aussetzung de Vollziehung zu beantragen, nur gewährt, wenn eine gerichtliche Nachfrist zur Behebung der Mängel erfolglos verstrichen ist.

Diese rechtliche Innovation stellt geradezu das Wesen des vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO in Frage. In diesem geht es doch gerade darum, das Eintreten vollendeter Tatsachen zu verhindern. Wenn aber nun die genannten Mängel des Verwaltungsakts als Rechtsargumente aus dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausgeschlossen werden, führt diese Regelung zu einem Konflikt mit der effektiven Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Darüber hinaus wäre erwägenswert, ob darin nicht ein Widerspruch zu Art. 9 Abs. 4 S. 1 und Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention zu sehen ist. Auf jeden Fall aber steht bereits in praktischer Hinsicht zu bezweifeln, ob die erhoffte Beschleunigungswirkung erzielt werden kann. Gerade, wenn Mängel des VA, wie es der Referentenentwurf vorsieht, "offensichtlich" sind, ließe sich schnell ein Beschluss fassen, der den Antragstellern zu ihrem Recht verhilft. Die dann

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erforderliche Nachbesserung würde unter Umständen zu einem neuen Antrag im vorläufigen Rechtsschutz führen, doch ist der Zeitgewinn, der durch die vorgesehenen gerichtliche Fristsetzung zu erreichen ist, nur marginal, zumal das Gericht nach vermeintlicher "Nachbesserung" auch immer in eine zusätzliche Prüfung einsteigen müsste, ob die Behörde seinem Petitum zur Behebung der Mängel auch vollumfänglich nachgekommen ist. Denn nur dann, wenn das der Fall ist, wäre ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ausgeschlossen.

IV. Wegfall aufschiebender Wirkung

Die vorgenannten Erwägungen zeigen zugleich die Grenzen eines anderen schon eingesetzten Beschleunigungsinstruments auf. So ist durch das bereits erwähnte Investitions-Beschleunigungsgesetz von Dezember 2020[19] ein neuer § 63 in das Bundes-Immissionsschutzgesetz eingefügt worden. Er sieht vor, dass "Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Zulassung einer Windenergieanlage an Land mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 Metern [...] keine aufschiebende Wirkung" haben. Betroffen sind also Klagen gegen die bei den Oberverwaltungsgerichten erstinstanzlich angesiedelten Windkraftanlagen. Solche Rechtsänderungen im Fachrecht, die den Rechtsbehelfen Dritter (Private oder Naturschutzverbände) gegen die Genehmigung solcher Anlagen die aufschiebende Wirkung absprechen, sind zwar über § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO schon seit jeher im Verwaltungsprozessrecht angelegt, führen aber in aller Regel nicht zu einer Verkürzung der gerichtlichen Auseinandersetzung. Denn stattdessen weichen die Kläger nun zusätzlich auf den ihnen verfassungsrechtlich zugesicherten Weg des vorläufigen Rechtsschutzes aus, damit ihren Klagen vom Gericht wegen vorrangiger privater Interessen ausnahmsweise doch eine aufschiebende Wirkung zuerkannt wird. Die auf der einen Seite erzielte Beschleunigungswirkung wird also auf der anderen Seite durch einen Zuwachs an Verfahren begleitet, es entsteht ein durch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG angelegter circulus vitiosus.

An dieser Stelle setzt nun § 80 c Abs. 4 VwGO des aktuellen Referentenentwurfs zur VwGO-Änderung[20] an. Er bewirkt eine Verschränkung der VwGO mit der von der aktuellen Bundesregierung durch das "Osterpaket" zum Ausbau erneuerbarer Energien getroffenen Festlegung im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), dass die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient (§ 2 Abs. 1 S. 1 EEG). Der Entwurf zur Änderung der VwGO sieht insoweit vor, das Gericht habe "im Rahmen einer Vollzugsfolgenabwägung die Bedeutung von Infrastrukturmaßnahmen besonders zu berücksichtigen, wenn ein Bundesgesetz

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feststellt, dass diese im überragenden öffentlichen Interesse liegen." Wenn diese Regelung geltendes Recht werden sollte, wird es für Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutz schwieriger werden, ihre Belange bei der nach § 80 Abs. 4 VwGO anzustellenden Interessenabwägung durchzusetzen. Die Zahl der Fälle, in denen Antragsteller sich erfolgreich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes werden durchsetzen können, dürfte dann deutlich zurückgehen.

Ist dieser geplanten Änderung also einerseits durchaus Beschleunigungspotential zu attestieren, zeichnet sich aber andererseits bereits ein Konflikt mit dem in Art. 20 a GG niedergelegten Staatsziel Umweltschutz ab, sofern es sich um altruistische Verbandsklagen von Umweltverbänden geht. Gerade weil das BVerfG in seiner Klimaschutzentscheidung von März 2021[21] den besonderen Wert von Umwelt- und Klimaschutzbelangen besonders hervorgehoben hat, darf mit Spannung erwartet werden, wie die Verwaltungsgerichte ihre Abwägungsentscheidungen auf dem zwischen verfassungsrechtlich angereichertem Umweltschutz und gesetzlich forcierter Verfahrensbeschleunigung aufgespannten Drahtseil treffen werden. Schon allein, weil ein im einfachen Recht normierter Vorrang nicht auch gegenüber grundrechtlich abgesicherten privaten Interessen sowie öffentlichen Interessen von Verfassungsrang (z.B. Tierschutz in Art. 20a GG) durchgreift, die praktisch in jedem Einzelfall geltend gemacht werden, dürfte auch die insoweit erhoffte Beschleunigungswirkung vielfach verpuffen.

V. Konzentriertes Verfahren

Als ein wesentlicher Verzögerungsfaktor in verwaltungsgerichtlichen Prozessen, in denen es um die Genehmigung industrieller oder infrastruktureller Großvorhaben geht, gelten die schriftsätzlichen Vorträge der Beteiligten. Zusätzlich zur Klagebegründung und -erwiderung wird oftmals mit umfangreichen Schriftsätzen, deren Länge im oberen zweistelligen Bereich liegt, auf das Vorbringen der Gegenseite reagiert oder zu tatbestandlichen Details vorgetragen, die vermeintlich für die Entscheidung von zentraler Bedeutung sind. Dies hat seine Ursache darin, dass das angerufene Gericht den Prozessstoff regelmäßig zunächst einmal nicht vorstrukturiert oder durch gerichtliche Fristsetzungen eingrenzt. An dieser Stelle setzt ein zweiter Reformvorschlag an, der gerade bei komplexen verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Verkürzung bringen soll. Geplant war im Bundesratsentwurf die Einfügung eines neuen § 87c VwGO, mit dem ein sog. konzentriertes Verfahren möglich gemacht werden soll. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass das Gericht in einem frühzeitigen Besprechungstermin mit den Beteiligten das weitere Vorgehen in einer Art "Prozessfahrplan" abstimmt und der Vorsitzende oder Berichterstatter daraufhin so früh wie möglich eine "Anordnung

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zum Fortgang des gesamten Verfahrens" (§ 87c Abs. 2 VwGO-E) trifft. Erwartet wird von dieser Neuerung eine Disziplinierungswirkung sowohl auf Seiten des Gerichts (problemkonzentrierte Verfahrensführung) als auch auf Seiten der Beteiligten (kooperativeres Prozessverhalten).[22] Um dies zu erreichen, sollen die Verwaltungsgerichte den Beteiligten mit deren Einverständnis Beibringungs-, Termins- und Entscheidungsfristen setzen dürfen, zu denen sie etwa zu bestimmten rechtlichen Fragen vorzutragen, Tatsachen anzugeben, Beweismittel zu bezeichnen oder gar abschließend zur Klage vorzutragen haben. Wenn diese Fristen mit ausschließender Wirkung gesetzt werden können, dürfte das Gericht verspätetes Vorbringen zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden können.

Ein Vorteil dieser Lösung für komplexe Zulassungsverfahren liegt auf der Hand: Wenn das Gericht den Prozessstoff frühzeitig vorstrukturiert und die aus seiner Sicht unproblematischen von den entscheidungserheblichen Fragen separiert, kann sich der weitere Vortrag der Beteiligten auf die solchermaßen als wesentlich identifizierten Streitfragen konzentrieren. Die Notwendigkeit, vorsorglich zu allen von der Gegenseite angesprochenen Themen ausführlich zu replizieren, entfällt, die Vorträge könnten lösungsorientiert kanalisiert werden. Auf der anderen Seite ist ein Verwaltungsgericht auch nach bereits geltender Rechtslage nicht daran gehindert, entsprechende verfahrensleitende Anordnungen zu treffen. Das erkennende Gericht kann auf die nach seiner Auffassung entscheidungsrelevanten Rechtsfragen hinweisen und die Beteiligten zu gezieltem Vortrag auffordern.[23] Vor allem eröffnet der bereits 1991 eingefügte § 87b VwGO[24] die Möglichkeit, jeweils unter Fristsetzung den Kläger zum klagebegründenden Vortrag aufzufordern (Abs. 1) und alle Beteiligten aufzugeben, Tatsachen anzugeben, Beweismittel zu bezeichnen oder Urkunden vorzulegen (Abs. 2). Nach Fristablauf vorgetragene Erklärungen und Beweismittel sollen nach § 87b Abs. 3 VwGO zurückgewiesen werden und das Gericht kann dann grundsätzlich ohne weitere Ermittlungen entscheiden. Der aktuell diskutierte Referentenentwurf greift diese Kritik auf und sieht in § 87c Abs. 2 VwGO-Entwurf nur noch einen frühen Erörterungstermin vor. Gleichzeitig soll § 87b VwGO in einem neuen Absatz 4 um eine Möglichkeit ergänzt werden, unentschuldigtes verspätetes Vorbringen zurückzuweisen.[25]

Wirklich neu wäre allein die mit einer Ausschlussfrist verbundene Aufforderung an die Beteiligten, "abschließend zur Klage vorzutragen". Damit wäre zumindest die Unsitte unterbunden, dass an den Tagen unmittelbar vor einer anberaumten mündlichen Verhandlung noch umfangreiche Schriftsätze bei Gericht eingehen, die nicht selten nur die Argumente aus dem bereits bekannten Prozessstoff wiederholen, mitunter aber auch zu Detailfragen überraschend einen neuen Vortrag präsentieren, der

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dann wieder die Gegenseite zu einem weiten Sprintschriftsatz auf der prozessrechtlichen Zielgeraden veranlasst.

Verfassungsrechtlich wird man jedoch fragen müssen, ob ein solcher prozessualer "Schlussstrich" mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) vereinbar ist. Nach meiner Auffassung ist das der Fall, da den Beteiligten durch die Aufforderung ja gerade Gelegenheit gegeben werden soll, sich zu den für die richterliche Überzeugungsbildung relevanten Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Es müsste aber sichergestellt werden, dass keine Präklusion eintritt, wenn der betroffene Prozessbeteiligte seine Verspätung nicht zu vertreten hat.[26] Auch die Wahrscheinlichkeit eines verfassungswidrigen Überraschungsurteils wird dadurch geringer, also einer Entscheidung, in der das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten.[27]

Ob eine gesetzliche Normierung in § 87c VwGO nun allerdings dazu führen wird, dass die Richter das Instrument häufiger als die bislang bereits nach § 87b VwGO gegebenen Möglichkeiten zur Fristsetzung nutzen werden,[28] ist fraglich. Vor allem ist zu bezweifeln, dass die Ersetzung der einseitigen Regelung durch das Gericht nach § 87b VwGO, deren bisherige Beschleunigungswirkung ohnehin kritisch gesehen wird,[29] durch eine mit den Parteien konsensual abgestimmte Verfahrensverkürzung in der Gerichtspraxis eine Realisierungschance besitzt. Ebenso wie in umfangreicheren Planungs- und Zulassungsverfahren im Atomrecht oder beim Bau von Energieleitungen (Stichwort: Erdverkabelung[30]) sind die Fronten auch beim Bau von neuen Windkrafträdern zwischen den Beteiligten oftmals so verhärtet, dass eine Beschleunigungswirkung durch freiwillige Vortragsbeschränkung nicht zu erwarten ist.[31]

Dementsprechend ist fraglich, ob überhaupt ein rechtspolitisches Bedürfnis für die Einführung einer freiwillig eingegangenen Präklusion besteht. Weil die Beteiligten bei Verfahrensbeginn das Spektrum der möglicherweise relevant werdenden Fragestellungen noch nicht hinreichend abschätzen können, wird die eigentliche

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Befriedungsfunktion eines Gerichtsverfahrens verfehlt und der beabsichtigte Beschleunigungseffekt wird sich in sein Gegenteil verkehren.[32] Diese Befürchtung stützt sich vor allem darauf, dass mit dem Präkludieren verspäteten Vorbringens weitere "Nebenkriegsschauplätze" entstehen können, in denen dann über das Vorliegen der Zurückweisungsvoraussetzungen gestritten werden kann,[33] wie es in Ansehung des § 87b Abs. 3 VwGO jetzt schon der Fall ist.[34] Eine solche Entwicklung ließe sich auch bei besonders sorgfältigem Agieren des Berichterstatters kaum vermeiden, selbst wenn er zunächst umfangreich den Sach- und Streitstand ermittelt, um darauf abgestimmt seine Verfügung treffen zu können. Auch das bedingt einen erhöhten Arbeitsaufwand, der den gewünschten Beschleunigungseffekt konterkariert und daher auch auf Seiten der Verwaltungsrichter nur wenig Begeisterung für eine solche "Beschleunigungsgesetzgebung" durch Einführung eines konzentrierten Verfahrens wecken dürfte.

Vor allem aber wäre vor einer Realisierung dieser Reformvorhaben zu prüfen, ob die mit dem Ausschluss verspäteten Vorbringens verbundene innerprozessuale Präklusion nicht zu einem Konflikt mit dem verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatz[35] führt, der über Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 und die Grundrechte verfassungsrechtlich abgesichert ist.

VI. Fazit

Die vorgestellten Initiativen zur Beschleunigung und Verbesserung verwaltungsgerichtlicher Verfahren führen zwar die Notwendigkeit und Möglichkeit moderater Reformen vor Augen, begegnen aber zugleich der Herausforderung, die gegenläufigen Maximen einer verwaltungsgerichtlichen Vollprüfung und des zeitgerechten Rechtsschutzes zu einem gerechten Ausgleich bringen zu müssen. Die Möglichkeiten hierzu sind begrenzt, eine über jede Kritik erhabene Ideallösung wird sich nicht finden lassen. Viele der Reformvorstellungen verfehlen aber das Ziel, die Dauer verwaltungsgerichtliche Verfahren für Infrastrukturvorhaben, die für die Energiewende bedeutsam sind, weiter zu reduzieren, ohne hierbei die Effektivität des Rechtsschutzes zu beeinträchtigen. ■

ANMERKUNGEN

[1] BT-Dr. 19/10992.

[2] Ewer, Möglichkeiten zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren über Vorhaben zur Errichtung von Infrastruktureinrichtungen und Industrieanlagen, Gutachten für den Normenkontrollrat (April 2019), abrufbar unter https://www.normenkontrollrat.bund.de/resource/blob/300864/1600406/f0613bfaa6ea13b6a35d756672387d29/2019-04-17-nkr-gutachten-2018-data.pdf?download=1 (letzter Zugriff: 30.12.2022); Reidt/Fellenberg, "Rechtliche Stellungnahme zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Gewerbeansiedlungen und Infrastrukturvorhaben" (Dezember 2018), abrufbar unter https://www.ihk-kassel.de/wirtschaftsstandort/standortentwicklung/schwerpunktthema-gemeinsaminfrastrukturbeschleunigen-4352752 (letzter Zugriff: 30.12.2022).

[3] Vgl. den Gesetzentwurf, BT-Dr. 20/1630.

[4] Gesetz zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor vom 20.7.2022, BGBl. I S. 1237.

[5] Vgl. grundlegend Mann, VVDStRL, 72 (2012), 546 (561 ff.); Franzius, GewArch, 2012, 225 (229) geht unter Hinzurechnung der Antragskonferenz bei der Bundesfachplanung sogar von sieben Beteiligungsstufen aus.

[6] Vgl. Art. 1 Ziffer 5 des Gesetzentwurfes des Bundesrates, BT-Dr. 19/10992, 7. Zu weitergehenden Plänen, die OVG generell über alle Planfeststellungsverfahren erstinstanzlich entscheiden zu lassen, s. NRW-Justizminister Biesenbach DRiZ, 2018, 330 (332).

[7] Vgl. Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung von Investitionen vom 3.12.2020 (BGBl. I S. 2694).

[8] Referentenentwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich vom 18.8.2022, abrufbar mit sämtlichen Stellungnahmen aus der Verbändeanhörung unter https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Beschleunigung_verwaltungsgerichtliche_Verfahren.html (letzter Zugriff: 30.12.2022).

[9] Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode "Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land" (März 2018), 75 - Zeilen 3417 ff.

[10] BVerfG, Urt. 16.5.1995 - 1 BvR 1087/91, BVerfGE 93, 1 (13); BVerfG, Beschl. v. 24.9.2009 - 1 BvR 1304/09, NZS 2010, 381 (382).

[11] BVerfG, Beschl. v. 24.6.2014 - 1 BvR 2926/13, BVerfGE 136, 382 (392) = NVwZ, 2014, 2853 (2856).

[12] Reidt/Fellenberg, Rechtsgutachten (Fn. 2), 49.

[13] So in den Gesetzesberatungen Biesenbach, BR-PlProt., 977, S. 183 f.

[14] Panzer, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, (C.H. Beck, München, 2022) § 48 Rn. 2.

[15] Vgl. daher den konsequenten Vorschlag, die erstinstanzliche OVG-Zuständigkeit auf alle Rechtsstreitigkeiten nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz zu erstrecken, Rennert, Verhandlungen des 71. DJT in Essen, 2016, Bd. - These 13.

[16] Ebenso Ewer, Rechtsgutachten (Fn. 2), 11.

[17] Zu weiteren Kritikpunkten s. Mann, ZRP, 2020, 20 (21).

[18] Nachweis in Fußnote 8.

[19] Nachweise in Fußnote 7.

[20] Nachweise in Fußnote 8.

[21] BVerfG, Beschluss vom 24.3.2021 - 1 BvR 2656/18 u.a., BVerfG E 157, 30 ff. = NJW, 2021, 1723 ff.

[22] Vgl. die Begründung zu Ziffer 7 des Gesetzentwurfes des Bundesrates, BT-Dr. 19/10992, 17.

[23] Vgl. Beckmann, DÖV, 2019, 773 (777).

[24] Die Vorschrift gilt über § 125 Abs. 1 VwGO auch für das Berufungsverfahren.

[25] Referentenentwurf (s. Fn. 8), 4.

[26] Auf letzteren Gesichtspunkt weist auch Biesenbach, BR-PlProt., 977, 183 hin.

[27] BVerfG, Urt. v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133 (144 f.); BVerwG Beschl. v. 15.5.2008 - 2 B 77/07, NVwZ, 2008, 1025 Rn. 20; Beschl. v. 2.3.2010 - 6 B 72/09, NVwZ, 2010, 845 Rn. 14.

[28] So die Begründung zu Ziffer 7 des Gesetzentwurfes des Bundesrates, BT-Dr. 19/10992, 17. Entsprechend auch Biesenbach, BR-PlProt., 977, 183.

[29] Geiger, in Eyermann, VwGO, (14. Aufl., C.H. Beck, München, 2014) § 87b Rn. 1; Kothe, in Redeker/v. Oertzen, VwGO, (17. Aufl., Kohlhammer, Stuttgart, 2022), § 87b Rn. 2; Beckmann, DÖV, 2019, 773 (777); Ortloff/Riese, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, (C.H. Beck, München, 2022) § 87b Rn. 47 ("keine praktische Bedeutung").

[30] Dazu Mann, Rechtsfragen der Anordnung von Erdverkabelungsabschnitten bei 380 kV-Pilotvorhaben nach EnLAG (Nomos, Baden-Baden, 2017); Mann/Kian, NVwZ, 2016, 1443 ff.

[31] In diesem Sinne mit empirischem Befund auch Ewer, Rechtsgutachten (Fn. 2), 12.; s. auch Beckmann, DÖV 2019, 773 (777).

[32] Vgl. die Bedenken in der Begründung zur Ausschussempfehlung, BR-Dr. 113/1/19 (neu) 11.

[33] So auch Ortloff/Riese, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, (C.H. Beck, München, 2022), § 87b Rn. 47 unter Verweis auf die diesbezügliche umfangreiche Rechtsprechung zum Zivilprozess.

[34] S. mit ausführlichen Nachweisen aus der Rspr. Baudewin/Großkurth, NVwZ, 2018, 1674 ff.

[35] Dazu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, (17. Aufl., C.F. Müller, Heidelberg, 2021), Rn. 23 ff.; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, (12. Aufl., C.H. Beck, München, 2021) § 35 Rn. 21 ff.; Mann/Wahrendorf, Verwaltungsprozessrecht, (4. Aufl., Vahlen, München, 2015) Rn. 48.

Lábjegyzetek:

[1] Der Autor ist Prof. Dr. ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht an der Georg-August Universität Göttingen.

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