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István Varga: Schiedsgerichtsbarkeit und Vorabentscheidungsverfahren im Lichte der Rechtsprechung des EuGH (Annales, 2011., 203-214. o.)

I. Einführung

Die Schiedsgerichtsbarkeit bildet in der Theorie, wie auch der Teil über die Gerichtsbarkeit im Zivilprozessrecht, einen Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilrechtssachen in der Europäischen Union (nachfolgend: "EU"). Diese Zugehörigkeit zum Rechtssystem der EU wurde durch das Europäische Gericht in der Marc Rich-Rechtssache[1] bestätigt. Dem widersprechend wurde bisher in der Praxis - vor allem durch Berufung auf das Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung der von im Ausland getroffenen Entscheidungen von Schiedsgerichten - durch die dazu berechtigten Organe (bzw. Mitgliedstaaten) der EU die Schiedsgerichtsbarkeit als eine vom Wirkungsbereich des EU-Rechts nicht erfasste Domäne erachtet. Nach dieser Anschauung seien nämlich gut funktionierende internationale Regelungen vorhanden. Dies wird von Artikel 1 Abs. 2 lit. d. der EG-Verordnung Nr. 44/2001[2] untermauert, ebenso wie von den festgestellten Ausnahmen in Artikel 1 des am 27. September 1968 in Brüssel in derselben Sache getroffenen Übereinkommens[3], wonach diese Verordnung bzw. dieses Abkommen auf die Schiedsgerichtsbarkeit keine Anwendung findet.

Dieser "Ausnahme-Status" wird durch die bisherige Vorgehensweise des Europäischen Gerichtshofes (nachfolgend: "EuGH") verstärkt, indem ein Schiedsgericht, bis auf einige Ausnahmen, kein Vorabentscheidungsverfahren einleiten

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kann, falls es dies hinsichtlich der Auslegung einer europarechtlichen Bestimmung für notwendig erachtet.[4] Der Grund dafür ist, dass nach Auffassung des EuGH ein im klassischen Sinne verstandenes Schiedsgericht gemäß Art. 234 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (nachstehend: "EGV") nicht als ein mitgliedstaatliches Gericht betrachtet wird.

Dieser Ausnahme-Status oder Ausnahmecharakter hat historische Gründe, die Hans Van Houtte folgenderweise zusammengefasst hat: "From the start of the European Communities in 1957, the simplification of the recognition and enforcement of court judgements and awards was on the 'to do list'. Article 220 of the initial EC Treaty requested the Member States to take the necessary actions in this respect. As a result thereof, the Member States concluded the Brussels Convention in 1968. This Convention did more than was requested: it not only covered recognition and enforcement of decisions from other Member States, but also introduced uniform grounds for jurisdiction. Indeed, recognition and enforcement of court judgments could only be truly simplified when the jurisdiction of the court of origin, that rendered the judgement, could not be questioned. No similar regime, however, was created for arbitral jurisdiction and for recognition or enforcement of arbitral awards, neither did the Brussels Convention cover court jurisdiction in arbitration matters. In 1986, the Brussels Convention did not cover arbitration because 'the Council of Europe had prepared a European Convention providing a uniform law on arbitration that probably would be accompanied by a protocol which would facilitate the recognition and enforcement of arbitral awards'. However, at the time the European Convention of 1966 had only been signed by Austria and Belgium. ... However, in 1978, when the Brussels Jurisdiction Convention was updated on the occasion of the accession by the United Kingdom, Denmark and Ireland, the arbitration exception was retained for the simple reason 'because all the Member States of the Community, with the exception of Luxembourg and Ireland, had in the meantime become parties to the United Nations Convention of 10 June 1958 [New Yorker Abkommen] on the recognition and enforcement of foreign arbitral awards. ... The present EC Treaty, Article 293, still invites the Member States, whenever necessary, to simplify the recognition and enforcement of arbitral awards and court judgements. Much still needs to be done: the arbitration exception and the New York Convention do not solve the problem."[5]

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Im Gegensatz zu dem bereits genannten "Ausnahmecharakter" hat der EuGH aufgrund europarechtlicher Bestimmungen, in erster Linie in Zusammenhang mit dem Brüsseler Übereinkommen und später mit der Brüssel I-Verordnung, eine Art case law in bedeutendem Maße geschaffen. Im Zuge der Analyse der Urteile des EuGH sind zwei Hauptrichtungen in Zusammenhang mit seinen Entscheidungen zu identifizieren:

• In bestimmten Urteilen prüft der EuGH die Befugnis der einzelnen Schiedsgerichte, ein Vorabentscheidungsersuchen einzureichen. Durch diese Urteile schuf er ein Prinzip, wonach die Schiedsgerichte nicht befugt sind, in einem Vorabentscheidungsverfahren den EuGH anzurufen. Ausnahmen, die dieses Prinzip durchbrechen, sind vorhanden. Diese werden später thematisiert.

• Andere Urteile wiederum beschäftigen sich mit den Ausnahmen gemäß der Brüssel I-Verordnung (in den älteren Fällen des EuGVÜ), die in ihrer Allgemeinheit die Schiedsgerichte aus ihrem Geltungskreis ausschließt. In diesem Sinne prüft der EuGH hauptsächlich das mit dem Schiedsgerichtsverfahren einhergehende, im Allgemeinen mit Aushilfsund Unterstützungscharakter versehene, vor den ordentlichen Gerichten der Mitgliedstaaten ausgetragene Verfahren aus dem Blickwinkel, ob diese Verfahren eine Ausnahme bilden oder in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen.

II. Antrag auf Vorabentscheidung und die Schiedsgerichte

Der EuGH bestimmt selbst,[6] welche Gerichte oder gerichtlichen Organe ihn um die Auslegung von europarechtlichen Bestimmungen ersuchen oder bei ihm einen Antrag auf ein Vorabentscheidungsverfahren stellen können. Der primäre Grund hierfür ist der Wortlaut des Art. 234 EGV, der die "mitgliedstaatlichen Gerichte" als Begriff enthält und die Auslegung dieses Begriffes dem EuGH überlässt. Dieser kann demnach aufgrund der gegebenen Umstände über seinen eigenen Wirkungskreis stets selbst entscheiden. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH wird dies von organisatorischen[7], funktionellen[8] und territorialen[9]

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Erwägungen beeinflusst. Der EuGH hat auch bezüglich der Funktionalität der Schiedsgerichte über die Anwendbarkeit von Art. 234 EGV entschieden.

1. Das Vaassen-Göbels-Urteil

Das erste Urteil des EuGH zu diesem Thema war die Entscheidung in der Vaasen-Göbels-Rechtssache.[10] Hier hat der EuGH festgestellt, dass unter bestimmten Umständen der Begriff des Artikels 234 EGV: "mitgliedstaatliches Gericht" auch außergerichtliche Organisationen umfasst. In diesem Sinne wurde das niederländische Schiedsgericht, das den EuGH angerufen hat, als eine derartige Organisation klassifiziert.

Der EuGH stellte in seiner Begründung fest, dass das besagte Schiedsgericht nach niederländischem Recht ordnungsgemäß als solche Organisation gebildet sei und, dass es sich ausschließlich mit den Rechtsstreitigkeiten zwischen der Pflichtversicherung der Bergarbeiter und der Versicherten befasse. Demzufolge ist es kein Handelsschiedsgericht im "klassischen" Sinne, da es unabhängig vom Willen der Parteien gegründet wurde. Zudem können die Parteien auch keinen Einfluss auf die sachliche Zuständigkeit des Schiedsgerichtes ausüben, weil diese Zuständigkeit allein vom Gericht selbst festgelegt wird. Der für den Bergbau zuständige Minister hat die Mitglieder des Schiedsgerichtes zu ernennen, den Vorsitzenden zu bestimmen und die Verfahrensordnung des Schiedsgerichtes zu erlassen. Für die Anwendbarkeit des Artikels 234 EGV bringt der EuGH hervor, dass das in Frage stehende Gericht über eine ständige Organisation verfüge, das Verfahrensrecht dem der ordentlichen Gerichte ähnelte und letztlich, dass es zur Anwendung der Rechtsnormen verpflichtet sei. Es ist hierbei anzumerken, dass bereits in diesem Urteil Erfordernisse erscheinen, dessen Feststellung in einem konkreten Fall eine bestimmte Körperschaft als ein mitgliedstaatliches Gericht im Sinne von Artikel 234 EGV qualifizieren.

Indes muss aber festgestellt werden, dass der EuGH in diesem Fall gar nicht geprüft hat, ob die Schiedsgerichte von der Geltung des Artikels 234 EGV erfasst sind, da die das Verfahren einleitende gerichtliche Organisation, mangels der traditionellen Elemente eines Schiedsverfahrens, nicht als echtes Schiedsgericht fungierte. Ein solches Erfordernis ist die Vereinbarung der Parteien über die Zuständigkeit eines Schiedsgerichtes, die immer auf den Ausschluss des in den Rechtsnormen festgelegten ordentlichen Gerichtssys-

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tems gerichtet ist, und die immer durch den freien Willen der Parteien zustande kommt. In diesem Fall war jedoch das durch eine solche Rechtsnorm ins Leben gerufene und auf Grund des obligatorischen versicherungsrechtlichen Rechtsverhältnisses in Anspruch zu nehmende Gericht selbst das "Schiedsgericht". Der Grundsatz der freien Ernennung der Schiedsrichter durch die Parteien ist ebenfalls nicht zur Geltung gekommen, weil diese Ernennung vom Minister und vom Leiter eines Hauptverwaltungsorgans als Leitungsorgan des Schiedsgerichtes durchgeführt wurde. In diesem Fall kann also auf Grund der eben erläuterten Eigenschaften eher das gerichtliche Organ als Schiedsgericht betrachtet werden. Dieses ist auf Grund der sich hierauf beziehenden Rechtsnormen zur Entscheidung der aus dem gegebenen Rechtsverhältnis stammenden Rechtsstreitigkeiten berufen.

Es kann also die Schlussfolgerung gezogen werden, dass in dem Fall aus dem Jahre 1966 der EuGH die Frage, ob ein Schiedsgericht ein Vorabentscheidungsverfahren einleiten kann, unbeantwortet gelassen hat. Mit seiner Feststellung, dass sich unter gewissen Umständen nicht nur ordentliche Gerichte mit gemeinschaftsrechtlichen Fragestellungen an ihn wenden können, hat der EuGH eine offene Situation geschaffen. Der eigentliche Wert des Urteils besteht aber darin, dass der EuGH Vergleichspunkte festgelegt hat, die als Grundlage seiner späteren Rechtsprechung dienten. Diese sind Unterscheidungsmerkmale, mit deren Hilfe ein Organ als mitgliedstaatliches Gericht im Sinne des Artikels 234 EGV charakterisiert werden kann. Als solche Unterscheidungsmerkmale wurden vom EuGH die folgenden charakterisiert: Das Gericht wurde vom nationalen Recht (hier das niederländische Recht) ins Leben gerufen; es fällt seine Urteile auf Grund von Rechtsnormen; es arbeitet ständig; sein Urteil ist endgültig und für die Parteien verbindlich. Wie wir in den folgenden zu behandelnden Fällen sehen werden, funktionieren diese Eigenschaften wie eine Richtschnur in der Praxis des EuGH.

2. Das Nordsee-Urteil[11]

In einem späteren Urteil des EuGH, in dem sog. Nordsee-Urteil, stoßen wir auf eine vollkommen andere Argumentation. Gegenstand der Untersuchung war hier bereits ein echtes Handelsschiedsgericht, das die Parteien vertraglich im Interesse des Ausschlusses der ordentlichen Gerichtsbarkeit vereinbart hatten. Das war der Grund dafür, dass der EuGH seine Zuständigkeit in dem Fall überhaupt überprüft hat. Diese wurde nämlich angezweifelt. Fazit des

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Urteils war, dass ein Schiedsgericht, das die Parteien vertraglich vereinbart haben, d.h. ohne durch Gesetz dazu verpflichtet zu sein, und ohne jegliche Teilnahme mitgliedstaatlicher Behörden an dieser Entscheidung, vom EuGH nicht als ein mitgliedstaatliches Gericht im Sinne des Artikels 234 EGV betrachtet wird. Unter anderem führt der EuGH in seiner Begründung zum Urteil aus, dass obwohl dieses Schiedsgericht über den ordentlichen Gerichten ähnliche Eigenschaften verfügt - z.B. spricht es im Rahmen der Rechtsnormen Recht, seine Entscheidung ist res iudicata und kann sogar vollstreckt werden - diese Eigenschaften aber nicht ausreichen, um das Schiedsgericht als ein "mitgliedstaatliches Gericht" zu qualifizieren.

Das Hauptargument des EuGH war, dass die Erfüllung der aus dem Gemeinschaftsrecht stammenden Verpflichtungen in die Verantwortung der Mitgliedstaaten und nicht in jene der Privatpersonen fällt. Dem EuGH als Hüter der einheitlichen Interpretation des Gemeinschaftsrechts können auf Grund dieser Argumente nur die primären Adressaten der auf die öffentlich-rechtlichen Subjekte bezogenen Regelungen (wie das in dem Verfahren der mitgliedstaatlichen Gerichte entstandene Recht auf Vorabentscheidung) des Gemeinschaftsrechts, d.h. die Mitgliedstaaten und deren ordentliche Gerichte, Fragen vorlegen. Grund hierfür ist, dass nur sie verantwortlich für die Geltendmachung der in den gestellten Fragen beinhalteten öffentlich-rechtlichen (verfahrensrechtlichen) Garantien sind, und nicht die durch Privatpersonen ins Leben gerufenen, oft bloß fallweise funktionierenden Schiedsgerichte. Andererseits, wenn sich ein Mitgliedstaat in ein Gerichtsverfahren nicht einmischen kann, weil das die Prozessparteien gerade im Interesse des Ausschlusses der ordentlichen Gerichte vereinbart haben, kann der Mitgliedstaat das Verfahren aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts gar nicht beeinflussen und so kann er dafür gar nicht verantwortlich gemacht werden.

Obwohl der EuGH in seinem Urteil darauf nicht eingegangen ist, ist die in diesem Verfahren vorgebrachte Argumentation mit jener Logik verwandt, die die Schiedsgerichtsbarkeit für eine solche Alternative des ordentlichen Gerichtssystems hält. Hierbei kommen zwar bestimmte Garantieelemente nicht zur Geltung, wie z.B. das Recht auf Rechtsmittel, was aber auf der aus dem Funktionieren des Handelslebens stammenden Schnelligkeit und auf der Erfüllung des Anspruches in Bezug auf Endgültigkeit beruht. Diese Logik bestätigt auch das Interesse der die Schiedsvereinbarung abschließenden Parteien an einem schnellen Verfahren. Die Beantragung eines Vorabentscheidungsverfahrens ist für die ordentlichen Gerichte eine Möglichkeit, in anderen Fällen eher eine Obligation. In solchen Verfahren entscheidet der EuGH durchschnittlich in zwei Jahren. Dies ist eine zu lange Zeit für die Parteien, die genau wegen der Zeitaufwendigkeit des ordentlichen Gerichtsverfahrens eine Schiedsgerichtsklausel vereinbaren.

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In diesem Sinne kann die Schiedsgerichsbarkeit auch als eine Abmachung der Parteien verstanden werden: Die Parteien verzichten nämlich auf die zeitaufwendigen Garantien (sowie auch das Recht auf Rechtsmittel) wegen ihrer Interessen an einem schnellen Verfahren. Analog zu dieser Situation kann das Vorabentscheidungsverfahren betrachtet werden, das vor dem EuGH eine Garantie verkörpert - da es die entsprechende Durchsetzung des europäischen Rechts bezweckt, jedoch in Handelsstreitigkeiten für die Parteien des Öfteren zu belastend ist.

3. Das Danfoss-Urteil[12]

Ähnlich argumentiert der EuGH im Danfoss-Urteil. Als Zusammenfassung betont das Gericht folgendes: Wenn sich die Parteien in bestimmten Fällen eines Schiedsgerichtes bedienen müssen (im gegenwärtigen Fall der Rechtstreitigkeiten bezüglich der Kollektivverträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer), und wenn dieses Gericht nicht durch die Schiedsvereinbarung der Parteien zustande kommt bzw. die Parteien auf deren Zusammensetzung keinen wesentlichen Einfluss haben (weil z.B. die Schiedsordnung die Benennung der Schiedsrichter regelt), dann ist dieses Gericht als ein "mitgliedstaatliches Gericht" i.S.v Art. 234 EGV anzusehen. Wie ersichtlich, wird in diesem Fall das Prinzip angewendet, wonach der Einfluss der Parteien auf die Zusammensetzung des Schiedsgerichtes in der Auslegung des Art. 234 EGV einen ausschlaggebenden Punkt darstellt. Wenn dieser Einfluss fehlt, kann man nur zusammen mit dem Vorliegen einiger anderer Bedingungen von einem "mitgliedstaatlichen Gericht" sprechen.

4. Das Dorsch-Consult-Urteil[13]

Eine Definition der Bestandteile, anhand derer man entscheiden kann, ob ein Gericht über einen "mitgliedstaatlichen Gerichtscharakter" verfügt, ist der EuGH bis zu dem Dorsch-Consult Urteil schuldig geblieben. In der Zusammenfassung dieses Urteils zählt er (z.T. auch als eine Zusammenfassung seiner bisherigen Rechtsprechung) eindeutig die typischen Eigenschaften auf, über welche ein "mitgliedstaatliches Gericht" verfügen muss (dies ist jedoch nur eine Empfehlung; wie im Weiteren ausgeführt wird, sind die Eigenschaften nicht in jedem Fall obligatorisch). Die Kriterien, welche auch als Untersu-

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chungskriterien bei der Frage betrachtet werden können, wann ein Schiedsgericht als ein mitgliedstaatliches Gericht qualifiziert werden kann, sind wie folgt: Das Gremium muss durch eine Rechtsvorschrift gegründet werden; seine Tätigkeit muss eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen; es muss über eine zwingende Zuständigkeit verfügen; das Verfahren muss ein Verfahren zwischen den Parteien sein (Grundsatz des "inter partes"); die Gerichtsbarkeit muss durch die Anwendung der Rechtsvorschriften ausgeübt werden und schließlich muss das Gericht unabhängig sein.

Nach Argumentation der Kommission haben die Rechtsvorschriften dem Gericht keine besondere Befugnis zur Erledigung des Rechtstreites erteilt, der aus den vorliegenden Verträgen entsprungen ist. Demnach ist das Gericht nicht durch Rechtsvorschriften gegründet worden. Der EuGH fügt dieser Argumentation hinzu, dass es bezüglich des Zustandekommens durch Rechtsvorschriften irrelevant sei, ob diese Rechtsvorschrift eine spezielle Befugnis bezüglich der Gerichtsbarkeit über eine bestimmte Fallgruppe gewähre. Laut EuGH genüge es, dass die Zusammensetzung des Gremiums aufgrund einer Rechtsvorschrift erfolgte; auch durch die Einräumung einer Universalkompetenz.

In der Interpretation des EuGH bedeutet die Voraussetzung der zwingenden Zuständigkeit einerseits die zwingende Inanspruchnahme des Gremiums aus Sicht der Parteien, und andererseits die Verbindlichkeit, also etwa auch die Vollstreckbarkeit der Entscheidungen. Das Gericht macht eine wesentliche Feststellung bezüglich der Voraussetzung eines kontradiktorischen Verfahrens: Es stellt klar, dass diese Voraussetzung keinen absoluten Charakter hat. Es kann also auch davon abgesehen werden. Das Gericht stellt dies ungeachtet der späteren Festlegung fest, dass das untersuchte Gericht in einem "inter partes"-Verfahren Urteile fällt. Somit benötigt der EuGH eine solche einräumende Argumentation nicht. Aus der Tatsache, dass das Gericht für die Möglichkeit der Abweichung von dieser Voraussetzung argumentierte, obwohl es davon im gegenwärtigen Fall keinen Gebrauch gemacht hat, folgt, dass das Gericht die Rechtsprechung aufrechterhalten wollte. Diese hat es auch bis zu diesem Urteil verfolgt, zumal es über die Voraussetzungen seines Verfahrens (und auch bezüglich der Zulässigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens) immer ad hoc entscheidet. Nachteil dieser Logik ist aber, dass das ausgerechnet die größte Reform des Urteils, nämlich die Taxation der Voraussetzungen und dadurch auch die abstrakte Interpretation des Art. 234 EGV, unmöglich macht, indem das Gericht eine Abweichung auch in dem Fall ermöglicht, wenn diese nur ein Kriterium berührt. Damit hält das Gericht die bis zum Dorsch-Consult-Urteil herrschende Ungewissheit aufrecht.

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Die Unabhängigkeit des Gremiums liegt nachweislich vor, wenn die Rechtsvorschrift feststellt, dass das Gremium unabhängig ist und es auf seine eigene Verantwortung Urteile fällt. Ein weiterer Beweis für die Unabhängigkeit des Gremiums ist die Widerrufbarkeit dessen Mitglieder aufgrund der auf die ordentlichen Richter anzuwendenden Regeln und die Tatsache, dass an ihrer Stelle neue Richter ernannt werden können oder wenn sie nicht verpflichtet sind, in einer Angelegenheit zu verfahren, in der sie betroffen sind oder aus anderen Gründen parteilich werden. Bei dieser Voraussetzung stellt das Gericht fest, dass im gegenwärtigen Fall das untersuchte Gremium eine Jurisdiktion ausübt, weswegen dieses Gremium das Recht hat, die Entscheidungen des vor ihm verfahrenen Gremiums für widerrechtlich zu erklären und es auf ein neues Verfahren zu verpflichten.

Letztlich ist festzustellen, dass dieses Urteil der Höhepunkt der EuGH-Rechtsprechung bezüglich des Vorabentscheidungsverfahrens ist, da das Gericht die größte Abstraktion im Bereich der Auslegung des Art. 234 EGV erreicht, indem es die bei seiner Entscheidung maßgebende, bis zu diesem Urteil nur verstreut dargestellten Elemente aufführt. Nichtsdestotrotz kann man wegen der oben ausgeführten Möglichkeit der Abweichung des Weiteren auch mit der Unsicherheit rechnen, die bis zu dem Urteil auch typisch war. Dies mindert den praktischen Wert des Urteils.

5. Sonstige Urteile

Die in den bisherigen Urteilen geschilderten Untersuchungselemente werden von der späteren Rechtsprechung des EuGH wiederholt. Im Fall Benetton[14] hat sich das Gericht gemäß der Nordsee-Entscheidung wieder auf die Regel berufen, dass das Recht auf einen Vorabentscheidungsantrag den ordentlichen Gerichten zusteht, soweit die EG-Rechtsfrage in einem dem Verfahren des ordentlichen Gerichtes zu Grunde liegenden Schiedsgerichtsverfahren auftaucht. Das Gericht betont erneut seine Ansicht, wonach die ordentlichen Gerichte in allen Verfahren mit Aushilfs- oder Revisionscharakter eine Vorabentscheidung beantragen können.

Im De-Coster-Urteil[15] hat der EuGH ein Gremium, das über die Zuständigkeit über die lokalen Steuerangelegenheiten verfügte, als Gremium i.S.v Art. 234 EGV bezeichnet. Im Wesentlichen wiederholt das Gericht die schon im Fall

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Dorsch Consult angeführten Argumente. Dieselbe Folgerichtigkeit ist ersichtlich, als das Gericht wiederholt betont, dass die Erforderlichkeit des kontradiktorischen Verfahrens keine absolute Bedingung sei. Diese Bedingung ist, wie auch im Dorsch-Consult-Fall, bei dem in diesem Fall untersuchten Gremium gegeben. Es ist ersichtlich, dass der EuGH sich für die Möglichkeit der Abweichung einen gewissen Fluchtweg lässt.

6. Zusammenfassung

Zusammenfassend kann man feststellen, dass der EuGH über seine Zuständigkeit immer ad hoc entscheidet, obwohl er schon die zur Urteilsbegründung erforderlichen Allgemeinkriterien festgelegt hat und dies als case law zu Hilfe nehmen könnte. In Wirklichkeit dienen diese Kriterien, die den langen Weg der Rechtsprechung gegangen sind, lediglich als ein Leitfaden für die Auslegung des "mitgliedstaatlichen Gerichtes" i.S.v. Art. 234 EGV. Der EuGH stellt aber konsequent klar, dass die Handelsschiedsgerichte, die von den Vertragsparteien vereinbart werden, nicht als "mitgliedstaatliche Gerichte" bezeichnet werden können. Dieser Auffassung liegt die Logik zu Grunde, dass die Schiedsgerichte eine solche Alternative im europäischen Rechtssystem darstellen, die es den Wirtschaftsakteuren ermöglicht, das ordentliche Gerichtssystem und damit auch die im ordentlichen Gerichtssystem geltenden Garantien (so etwa das Recht auf einen Vorabentscheidungsantrag) auszuschalten. Hierdurch können nämlich die Parteien ein schnelles, den Handelsbeziehungen entsprechendes Verfahren erreichen. Wenn der EuGH den Schiedsgerichten das Recht auf einen Vorabentscheidungsantrag gewähre, würde er damit die Schnelligkeit des schiedsgerichtlichen Verfahrens gefährden.

Literatur

Bernard Audit: Arbitration and the Brussels Convention; in: Arbitration International, Vol. 9, No. 1 LCIA 1993

Mag. Dr. Cristoph Brenn, LL.M.: Europäischer Zivilprozess - Leitfaden für das grenzüberschreitende Verfahren in Österreich - Manzsche Verlags- und Universitätbuchhandlung, Wien 2005

Hans Van Houtte: Why Not Include Arbitration in the Brussels Jurisdiction Regulation; in: Arbitration International, Vol. 21, No. 4 LCIA 2005

Univ.-Prof. Dr. h. c. Dr. Hans W. Fasching: Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen; Manzsche Verlags- und Universitätbuchhandlung, Wien 2008

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Dr. Burkhard Hess: Europäisches Zivilprozessrecht, C. F. Müller Verlag, Heidelberg 2010

Hess, Pfeiffer, Schlosser: Report on the Application of Regulation Brussels I. in the Member States, 2007

Ikko Yoshida: Lessons from The Atlantic Emperor Some Influence from the Van Uden Case; in: Arbitration International, Vol. 15. No. 4, LCIA 1999

Peter Schlosser: The 1968 Brussels Convetion and Arbitration; in: Arbitration International, Vol. 7, No. 3 LCIA 1991

Urteile

C-190/89 Marc Rich & Co. AG v Societa Italiana Impianti PA., Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juli 1991.

C-61/65 G. Vaassen-Göbels (a widow) v. Management of the Beambtenfonds voor het Mijnbedriff, Urteil des Gerichtshofes vom 30. Juni 1966.

C 178/99 Salzmann, Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juni 2001.

C-248/01 Hermann Pfanner Getränke GmbH und andere, Beschluss des Gerichtshofes vom 14. Juni 2002.

C-447/00 Holto Ltd., Beschluss des Gerichtshofes vom 22. Januar 2002.

C-182/00 Lutz GmbH und andere, Urteil des Gerichtshofes vom 15. Januar 2002.

C-102/81 Nordsee Deutsche Hochseefischerei GmbH v Reederei Mond Hochseefischerei Nordstern AG &Co. KG and Reederei Friedrich Busse Hochseefischerei Nordstern AG & Co. KG, Urteil des Gerichsthofes vom 23. März 1982.

C-109/88 Handels- og Kontorfunktionaerernes Forbund I Danmark v Dansk Arbejdsgiverforening, acting on behalf of Danfoss, Urteil des Gerichtshofes vom 17. Oktober 1989.

C-54/96 Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH v Bundesbaugesellschaft Berlin mbH, Urteil des Gerichtshofes vom 17. September 1997.

C-126/97 Eco Swiss China Time Ltd v Benetton International NV, Urteil des Gerichtshofes vom 1. Juni 1999.

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C-17/00 Francois De Coster v College des bourgmestre et echevins de Watermael-Boitsfort, Urteil des Gerichtshofes vom 29. November 2001.

C-391/95 Van Uden Maritime BV, trading as Van Uden Africa Line v Kommanditgesellschaft in Firma Deco-Line and Another, Urteil des Gerichtshofes vom 17. November 1998.

C-185/07 Allianz SpA, früher: Riunione Adriatica Di Sicurta, a Generali Assicurazioni Generali SpA und West Tankers Inc., Urteil des Gerichtshofes vom 10. Február 2009. ■

ANMERKUNGEN

[1] C-190/89 Marc Rieh & Co. AG v Societa Italiana Impianti PA., Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juli 1991, Punkt 15.

[2] Verordnung des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Nachstehend: EuGVVO oder Brüssel I Verordnung).

[3] Nachstehend: "EuGVÜ" oder "Brüsseler Abkommen", das in der praktischen Anwendung von der EuGVVO abgelöst wurde. Das Übereinkommen soll nach seiner Präambel diejenigen Bestimmungen des Art. 220 EWG-Vertrag ausführen, die die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen betreffen. Gemäß Art. 220 vierter Gedankenstrich des EWG-Vertrages leiten die Mitgliedstaaten, soweit erforderlich, untereinander Verhandlungen ein, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen die Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen und Schiedssprüche sicherzustellen.

[4] Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaates gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.

[5] Hans Van Houtte: Why not Include Arbitration in the Brussels Jurisdiction Regulation?, in: Arbitration International, Vol 21. No. 4, LCIA 2005, S. 509-512.

[6] Martin Schwaiger: Preliminary Ruling According to Article 234 EC Treaty and Arbitral Tribunals, S. 306.

[7] EuGH C-61/65 G. Vaassen-Göbels (a widow) v. Management of the Beambtenfonds voor het Mijnbedriff, Urteil des Gerichtshofes vom 30. Juni 1966.

[8] EuGH C-178/99 Doris Salzmann (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juni 2001); EuGH C-248/01 Hermann Pfanner Getränke GmbH und andere (Beschluss des Gerichtshofes vom 14. Juni 2002); EuGH C-447/00 Holto Ltd. (Beschluss des Gerichtshofes vom 22. Januar 2002); EuGH C-182/00 Lutz GmbH und andere (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Januar 2002).

[9] Schima in Mayer, Kommentar zum EU- und EG-Vertrag, EuGH C-337/95; EuGH C-100/89; EuGH C-101/89; EuGH C-355/89.

[10] EuGH C-61/65 G. Vaassen-Göbels v. Management of the Beambtenfonds voor het Mijnbedriff, Urteil des Gerichtshofes vom 30. Juni 1966.

[11] EuGH C-102/81 Nordsee Deutsche Hochseefischerei GmbH v Reederei Mond Hochseefischerei Nordstern AG & Co. KG und Reederei Friedrich Busse Hochseefischerei Nordstern AG & Co KG, Urteil des Gerichsthofes vom 23. März 1982.

[12] EuGH C-109/88 Handels- og Kontorfunktionaerernes Forbund I Danmark v Dansk Arbejdsgiverforening, acting on behalf of Danfoss, Urteil des Gerichtshofes vom 17. Oktober 1989.

[13] EuGH C-54/96 Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH v Bundesbaugesellschaft Berlin mbH, Urteil des Gerichtshofes vom 17. September 1997.

[14] C-126/97 Eco Swiss China Time Ltd v Benetton International NV Punkt 32, Urteil des Gerichtshofes vom 1. Juni 1999.

[15] C-17/00 Francois De Coster v College des bourgmestre et echevins de Watermael-Boitsfort, Urteil des Gerichtshofes vom 29. November 2001, Punkt 9 - 22.

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