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Kinga Timár[1]: Einfluss der Grundrechte auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit (Annales, 2014., 227-238. o.)

I. Fragestellung

Die Praxis und die Literatur der Schiedsgerichtsbarkeit und insbesondere jene der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit sind sehr ausgebreitet. Es existieren komplette juristische Datenbanken, die ausschließlich schiedsrechtliche Materialien enthalten.[2] Über die Rolle der Grundrechte in der Schiedsgerichtsbarkeit hört, spricht und liest man trotzdem relativ wenig. Was ist der Grund dafür? Sind Grundrechte im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit nicht anwendbar? Die Grundrechte bestimmen und schützen ja die Position des Einzelnen gegenüber den Trägern hoheitlicher Gewalt, d.h. grundsätzlich gegenüber dem Staat.[3] So sind die so genannten Justizgrundrechte darauf gerichtet, dem Einzelnen verfahrensrechtliche Mindestgarantien zu gewähren, d.h. die grundsätzliche Gerechtigkeit -Fairness - des Verfahrens zu sichern in all den Fällen, in denen der Einzelne mit der staatlichen Justizgewährung in Kontakt gerät. Mit der Vereinbarung des Verfahrens eines Schiedsgerichts entziehen sich aber die Parteien der staatlichen Justizgewährung und vertrauen die Entscheidung ihres Rechtsstreits einem privaten Gericht an. Aus dem privaten Charakter der Schiedsgerichtsbarkeit und insbesondere daraus, dass das Schiedsgericht kein staatliches Organ ist und dementsprechend keine Staatsgewalt ausübt, würde folgen, dass die Grundrechte bei der schiedsrichterlichen Streitbeilegung gar nicht zu betrachten sind. Dies ist offensichtlich nicht der Fall.

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit einem ganz konkreten Aspekt des Einflusses der Grundrechte auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit,

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nämlich mit der Frage, welche Rolle die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (im Folgenden: EMRK) für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit spielt. Mit anderen Worten geht es darum, ob bzw. inwieweit die EMRK auf das Schiedsverfahren anzuwenden ist. In der Literatur und in der Rechtsprechung nationaler Gerichte gibt es weltweit verschiedene Meinungen zu dieser Frage.[4] Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Rechtsprechung der Straßburger Instanzen.

Nach ein paar Grundgedanken werden unter der Schlagzeile "Grundrechtsschutz nach der EMRK" diejenigen Vorschriften der EMRK kurz erläutert, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) bzw. der Europäischen Kommission für Menschenrechte (im Folgenden: EKMR) für die Schiedsgerichtsbarkeit eine Bedeutung haben. Nach der Identifizierung der Schwierigkeiten, denen man bei der Prüfung der Anwendbarkeit der EMRK auf die Schiedsgerichtsbarkeit begegnet, folgt eine Darlegung der relevanten Rechtsprechung der EGMR bzw. der EKMR. Die Überlegungen werden dann durch den internationalen Aspekt der ganzen Problematik bereichert und am Ende mit einer Zusammenfassung der Konklusionen abgerundet.

II. Grundlagen

Der erste Grundgedanke, von dem die nachfolgende Analyse ausgehen soll, ist der Rechtsfrieden. Wozu braucht man überhaupt Rechtsfrieden? Warum ist Rechtsfrieden so unerlässlich? Man braucht Rechtsfrieden, um die Funktionsfähigkeit des Staates und der Gesellschaft zu sichern. Um Rechtsfrieden zu schaffen und ihn aufrecht zu erhalten, hatte der Staat schon längst den Einzelnen verboten, ihre Rechte und Ansprüche selbst -notfalls mit Gewalt - zur Geltung zur verhelfen (Verbot der Selbsthilfe).[5]

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Anders gesagt hatte der Staat das Justizmonopol (Rechtsschutzmonopol) sich selbst vorbehalten. Dies bedeutete auf der einen Seite ein Privileg für den Staat, auf der anderen Seite jedoch eine Aufgabe, der der Staat nachkommen musste. Da der Staat die Geltendmachung der Rechte und Ansprüche mit Selbsthilfe untersagt hatte, musste er eine Alternative der Rechtsdurchsetzung anbieten.[6] Er musste Organe - Gerichte - einrichten, die die friedliche Streitbeilegung durchführen konnten, Verfahren schaffen, in denen die staatlichen Gerichte ihrer Aufgabe nachkommen konnten, und diese staatlichen Gerichte im Rahmen von rechtlich geregelten Verfahren den Rechtssuchenden zur Verfügung stellen.[7]

Dieses zum Zwecke der Analyse sehr vereinfacht dargestellte System -das Justizmonopol und die Justizgewährungspflicht des Staates - existiert schon seit tausenden von Jahren, seitdem es überhaupt den Staat gibt. Was hat dann die EMRK Mitte des 20. Jahrhunderts, nach dem Zweiten Weltkrieg diesem System hinzugegeben? Die EMRK hat die Aufgabe des Staates, staatliche Gerichte einzurichten und den Rechtssuchenden zur Verfügung zu stellen, bestätigt, ein subjektives Recht (Grundrecht) auf Zugang zum Gericht geschaffen[8] und Mindeststandards aufgestellt, denen die gerichtlichen Verfahren entsprechen müssen.[9]

Der andere Grundgedanke, der für die nachfolgende Analyse ebenso als ein Ausgangspunkt dient, ist die Privatautonomie, die ein Grundsatz des Zivilrechts ist. Privatautonomie wird im Zivilverfahrensrecht als Dispositionsmaxime abgespiegelt.[10] Diese zivilrechtlichen bzw. zivilverfahrensrechtlichen Grundsätze oder Grundwerte werden oft auf das Recht zur Selbstbestimmung zurückgeführt,[11] die ein wichtiger Aspekt der Menschenwürde ist. Wie oben bereits erwähnt, hat die EMRK den

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Einzelnen ein subjektives Recht (Grundrecht) auf Zugang zum Gericht eingeräumt. Da es dabei um ein Recht geht, können - jedoch nicht müssen - die Einzelnen entweder:

(i) die staatlichen Gerichte in Anspruch nehmen, oder

(ii) gar keine Gerichte in Anspruch nehmen (d.h. auf den Rechtsschutz verzichten), oder

(iii) keine staatlichen Gerichte, sondern eine alternative Streitbeilegungsmethode (alternative dispute resolution; ADR) - z.B. die schiedsrichterliche Streitbeilegung - in Anspruch nehmen.

Man muss allerdings mit diesen Überlegungen etwas vorsichtig umgehen. Es gibt ja kein subjektives Recht auf Zugang zu einem Schiedsgericht im Sinne eines Grundrechts.[12] Die Möglichkeit, statt der staatlichen Gerichtsbarkeit sich an ein Schiedsgericht zu wenden, existiert vielmehr deswegen und insofern, weil und als der Staat sie existieren lässt. In den Folgenden werden die relevanten Artikel der EMRK spezifiziert.

III. Grundrechtsschutz nach der EMRK

Es gibt zwei Vorschriften in der EMRK, einschließlich deren Zusatzprotokolle, die mit der Schiedsgerichtsbarkeit in einen unmittelbaren Zusammenhang gebracht werden können und vom EGMR bzw. von der EKMR tatsächlich in Zusammenhang gebracht worden sind: Art. 6 Abs. 1 zum Recht auf ein faires Verfahren und Art. 1 des ersten Zusatzprotokolls zum Schutz des Eigentums.

1. Art. 6 Abs. 1 EMRK - Das Recht auf ein faires Verfahren

Art. 6 Abs. 1 EMRK sichert jeder Person das Recht auf ein faires Verfahren, wenn es um eine Streitigkeit in Bezug auf einen zivilrechtlichen Anspruch oder eine solche Verpflichtung der Person geht. Der persönliche Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK umfasst sowohl natürliche als auch juristische Personen.[13] Nur jene Personen sind vom Anwendungsbereich

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ausgeschlossen, die einen bestimmten Grad an Staatsnähe aufweisen bzw. überschreiten. Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK beschränkt sich nicht auf zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen sondern erfasst auch strafrechtliche Anklagen.[14] Die Letzteren sind jedoch für die Schiedsgerichtsbarkeit irrelevant, da die Staaten im Bereich der Ausübung der Strafgewalt keinen Raum für die Schiedsgerichtsbarkeit lassen. Strafsachen sind also nicht schiedsfähig.

Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt eine Reihe von verschiedenen Garantien. Die so genannten Organisationsgarantien umfassen das Recht auf Zugang zum Gericht: der Staat muss den Rechtssuchenden ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht zur Verfügung stellen. Die so genannten Verfahrensgarantien bestehen u.a. aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör, der Öffentlichkeit des Verfahrens, der Waffengleichheit der Parteien, dem Recht auf eine mit Gründen versehenen Entscheidung in der Sache und dem Gebot der angemessenen Verfahrensdauer - also aus all den Garantien, die zur Fairness des Verfahrens unentbehrlich sind.[15]

2. Art. 1 1. ZP - Der Schutz des Eigentums

Art. 1 1. ZP räumt zunächst jeder natürlichen und juristischen Person ein Recht auf Achtung ihres Eigentums ein.[16] Das ist die allgemeine Eigentumsgarantie, wobei der Begriff des Eigentums ganz anders - viel breiter - zu verstehen ist als im Privatrecht.[17]

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Die allgemeine Eigentumsgarantie konkretisiert sich in den folgenden Einzelgarantien:[18]

Schutz vor der Entziehung des Eigentums (Verstaatlichung, Enteignung): das Eigentum darf nur entzogen werden, wenn "das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen";

Schutz vor der Regelung der Eigentumsnutzung: die Nutzung des Eigentums darf nur insofern geregelt werden, als es "im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen [...] erforderlich [ist]".

IV. EMRK und Schiedsgerichtsbarkeit

Wenn man das Verhältnis zwischen der EMRK und der Schiedsgerichtsbarkeit verstehen und die Anwendbarkeit der EMRK auf die Schiedsgerichtsbarkeit analysieren will, wird man mit mehreren Schwierigkeiten konfrontiert.

Es steht meistens außer Frage, dass der Schiedsspruch eine Entscheidung über eine Streitigkeit in Bezug auf einen zivilrechtlichen Anspruch oder eine solche Verpflichtung darstellt.[19] Auf den ersten Blick sollte also Art. 6 Abs. 1 EMRK auch auf das Schiedsverfahren anwendbar sein. Verpflichtete der Grundrechte nach der EMRK (siehe Art. 1 EMRK) sind indes die Konventionsstaaten, da die EMRK ein völkerrechtlicher Vertrag ist und die Einzelnen dementsprechend gegen jene Eingriffe oder Unterlassungen schützt, die dem Staat zuzurechnen sind.[20]

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Schiedsgerichtsbarkeit ist eine Art Privatjustiz ("Privatisierung der Gerichtsbarkeit").[21] Die Tätigkeit der Schiedsgerichte ist folglich dem Staat nicht zuzurechnen. Der Spruchkörper wird von den Parteien selbst zusammengesetzt und nicht vom Staat eingerichtet. Dementsprechend ist das Schiedsgericht kein staatliches Organ - kein "auf Gesetz beruhendes Gericht" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK -, sondern vielmehr ein Privatgericht, das infolge der privatautonomen Handlungen der Parteien zustande kommt,[22] was auch das Erfordernis der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justizgewährung in einen komplett anderen Kontext setzt. Eine weitere immanente Eigenschaft der Schiedsgerichtsbarkeit ist die Nichtöffentlichkeit oder Vertraulichkeit des Verfahrens. Schließlich zeichnet sich das Schiedsverfahren durch die breite Verfahrensgestaltungsfreiheit der Parteien und der Schiedsrichter aus.[23]

Während die gerade erwähnten Umstände eindeutig dagegen sprechen, dass die in der EMRK niederlegten Garantien auf die Schiedsgerichtsbarkeit - d.h. auf die Schiedsgerichte und auf das Schiedsverfahren - überhaupt angewendet werden können, gibt es auch solche Umstände, die in die Richtung der Anwendbarkeit oder zumindest der Notwendigkeit der Anwendung zeigen.

Der Schiedsspruch entfaltet die gleichen Wirkungen, wie das rechtskräftige Urteil eines staatlichen Gerichts: Schiedssprüche sind der materiellen Rechtskraft fähig und im Wege der Zwangsvollstreckung vollstreckbar.[24]

Außerdem muss man sehen, dass der Staat dadurch, dass er die Schiedsgerichtsbarkeit als ein Äquivalent der staatlichen Gerichtsbarkeit anerkannt, und insbesondere durch seine Kontrolle über die

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Schiedsgerichtsbarkeit doch eine gewisse Verantwortung für die Art und Weise des Schiedsverfahrens und für die Tätigkeit der Schiedsgerichte übernimmt. Der Staat hat ja die Macht, den Schiedsspruch aufzuheben oder die Anerkennung bzw. Vollstreckung des Schiedsspruchs zu verweigern.[25]

In den Folgenden wird die Rechtsprechung des EGMR bzw. der EKMR zusammengefasst, die sich mit der Beurteilung der Schiedsgerichtsbarkeit nach der EMRK befasst. Der Einfachheit halber werden der EGMR und die EKMR im Folgenden zusammen als EGMR bezeichnet.

V. Rechtsprechung des EGMR

Der EGMR hat praktisch von Anfang an eine markante Unterscheidung zwischen der freiwilligen bzw. der zwingend in Anspruch zu nehmenden (d.h. gesetzlich vorgeschriebenen) Schiedsgerichtsbarkeit (Zwangsschiedsverfahren) gemacht. Wenn der Schiedsweg den Parteien gesetzlich vorgeschrieben ist, ist Art. 6 Abs. 1 EMRK vollumfänglich, d.h. mit all seinen Garantien anzuwenden.[26]

Nach dem EGMR ist zwar die Schiedsvereinbarung eine Einschränkung (Ausschluss) des Rechts auf Zugang zum Gericht, verfolgt jedoch ein legitimes Ziel: die außergerichtliche Streitbeilegung und dadurch die Entlastung der Gerichte.[27] Mit Rücksicht darauf stellt die freiwillige Unterwerfung der Parteien unter die Schiedsgerichtsbarkeit einen zulässigen Verzicht auf die Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK dar.[28]

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Daneben, dass der Verzicht - d.h. die Unterwerfung unter die schiedsrichterliche Streitbeilegung - freiwillig sein muss, muss er bestimmten Mindeststandards entsprechen. Die Unterwerfung der Parteien unter die Schiedsgerichtsbarkeit muss eindeutig und informiert sein und darf keine Allgemeininteressen (öffentlichen Interessen) berühren. Wo die Durchsetzung von öffentlichen Interessen das Verfahren eines staatlichen Gerichts benötigt, gibt es keinen Raum für einen Verzicht auf die Garantien der EMRK in Gestalt einer Schiedsvereinbarung.[29] Das ist grundsätzlich der Geltungsbereich der objektiven Schiedsunfähigkeit.[30]

Was die staatliche Kontrolle über die Schiedsgerichtsbarkeit angeht, ist der EGMR der Ansicht, dass sich für die Konventionsstaaten aus Art. 6 Abs. 1 EMRK keine Pflicht zur Bereitstellung eines Aufhebungsverfahrens folgt.[31] Spätestens bei der Anerkennung bzw. Vollstreckung des Schiedsspruchs müssen die staatlichen Gerichte eine gewisse Kontrolle ausüben und die Mindestgarantien der EMRK zur Geltung zu verhelfen. Es reicht also aus, wenn die staatliche Kontrolle über die Schiedsgerichtsbarkeit an einem Punkt, und zwar bei der Anerkennung bzw. Vollstreckung des Schiedsspruchs durchgeführt wird.[32]

Die Eigentumsgarantie nach Art. 1 1. ZP kommt in der Vollstreckungsphase in Betracht. Eine Forderung, die in einem (vollstreckbaren) Schiedsspruch zugesprochen wird, wird vom EGMR als "Eigentum" angesehen.[33] Folglich kann die Verweigerung der Vollstreckung eines Schiedsspruchs

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einen sonstigen Eingriff in das Recht auf Eigentum darstellen. Es gilt hier also die allgemeine Eigentumsgarantie.[34]

Im Fall Stran Greek Refineries hatte Griechenland im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens über die Gültigkeit eines zu Lasten des Staates ergangenen Schiedsspruchs die Gesetze so geändert, dass die Schiedsvereinbarung dadurch rückwirkend für ungültig erklärt werden musste. Der EGMR hat die Verletzung der Eigentumsgarantie der EMRK festgestellt.

VI. Der internationale Aspekt

Bezüglich des internationalen Aspekts der geprüften Problematik muss man vor allem festhalten, dass die Anwendung der EMRK keinen internationalen Bezug verlangt. Dementsprechend sind die meisten Fälle, die oben zitiert worden sind, reine Inlandsfälle.

Der internationale Bezug wird meistens dadurch geschaffen, dass ein Schiedsspruch in einem anderen Staat anerkannt bzw. vollstreckt werden muss. In solchen Fällen erfordert die EMRK die Ausübung einer bestimmten Kontrolle im Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstaat, wobei die wichtigsten Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK (z.B. rechtliches Gehör, Zusammensetzung des Schiedsgerichts) auch gegenüber Schiedssprüchen aus Nicht-Konventionsstaaten als Mindestanforderungen gelten müssen.

Es ist schließlich zu bemerken, dass die EMRK bzw. das Schutzgehalt und der Schutzstandard des Art. 6 Abs. 1 und des Art. 1 1. ZP inzwischen zum Teil des verfahrensrechtlichen bzw. materiell-rechtlichen Ordre Public geworden sind, und zwar nicht nur zum Teil des nationalen Ordre Public der Konventionsstaaten, sondern auch zum Teil des internationalen Ordre Public.[35] Dies gilt insbesondere für die wichtigsten Garantien, wie

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z.B. das rechtliche Gehör, die Waffengleichheit und die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedsrichter.[36] Das bedeutet, dass die Mindestgarantien der EMRK auf die Schiedsgerichtsbarkeit (auch) über den Ordre-Public-Vorbehalt anzuwenden sind.[37]

VII. Fazit

Als Konklusion kann manvor allem feststellen, dass die Schiedsvereinbarung einen Verzicht auf die Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt, der nur dann zulässig ist, wenn er freiwillig und eindeutig ist und keine solchen öffentlichen Interessen berührt, zu deren Sicherstellung das Verfahren eines staatlichen Gerichts notwendig ist. Es gibt allerdings einen Kernschutzbereich, der nicht verzichtbar ist. Dazu gehören das Recht auf rechtliches Gehör, das Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Schiedsgericht und die Waffengleichheit (Gleichbehandlung) der Parteien.[38] Es geht also im Ergebnis um einen "Teilverzicht", und zwar vor allem um einen Verzicht auf die Inanspruchnahme staatlichen Rechtsschutzes und auf die Öffentlichkeit der Verhandlung.[39]

Die EMRK ist auf das freiwillig vereinbarte Schiedsverfahren nicht unmittelbar anzuwenden, aber die Schiedsrichter müssen die Mindeststandards beachten. Ansonsten laufen sie die Gefahr, dass ihr

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Schiedsspruch aufgehoben oder nicht anerkannt bzw. vollstreckt wird.[40] Die EMRK ist also ein Mittel zum Schutz der Parteien vor dem Fehlverhalten der Schiedsrichter, indem sie in der Aufhebungs- bzw. Anerkennungs- oder Vollstreckungsphase angewendet werden kann und muss. Die EMRK hat also eine indirekte (Dritt)wirkung auf die Schiedsgerichtsbarkeit, die sich daraus ergibt, dass die Konventionsstaaten eine positive Schutzpflicht[41] haben, d.h. eine Pflicht zur Einrichtung einer effektiven Staatsaufsicht über die Schiedsgerichtsbarkeit, und dass die EMRK in den Verfahren staatlicher Gerichte zur Überprüfung eines Schiedsspruchs bzw. eines Schiedsverfahrens unmittelbar anzuwenden ist.[42]

Die EMRK schützt aber nicht nur die Parteien vor dem Fehlverhalten der Schiedsrichter, sondern auch die Institution der Schiedsgerichtsbarkeit vor dem Staat. Der Sicherung der Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruchs durch die Eigentumsgarantie des Art. 11. ZP kann insbesondere im Kontext der so genannten Investor-State-Arbitration eine besonders wichtige Rolle zukommen. ■

ANMERKUNGEN

[1] Kinga Timár ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (egyetemi tanársegéd) am Lehrstuhl für Zivilprozessrecht der Juristischen Fakultät der Eötvös Loránd Universität (ELTE) und Rechtsanwältin bei der Anwaltssozietät KNP LAW Nagy Koppany Varga and Partners in Budapest.

[2] Siehe z.B. die schiedsrechtliche Datenbank Kluwer Arbitration (http://www.kluwerarbitration.com/) oder die Teildatenbank "International Arbitration" von Westlaw International.

[3] Siehe D. Ehlers, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten (Berlin 2009, 3. Aufl.) S. 26, Rz. 3; M. N. Shaw, International Law (Cambridge 2004, 5. Aufl.) S. 249-250.

[4] Für einen Überblick über den Meinungsstand sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung nationaler Gerichte siehe G. Kodek, in: C. Liebscher - P. Oberhammer - W. H. Rechberger (Hrsg.), Schiedsverfahrensrecht: BandI. (Wien 2012) S. 5-6, Rz. 1/8, S. 14, Rz. 1/30-31. Für eine Analyse der schweizerischen Rechtsprechung siehe N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 158-160; J-F. Poudret - S. Besson, Comparative Law of International Arbitration (London 2007, 2. Aufl.) S. 65, Rz. 87.

[5] Siehe O. Jauering, Zivilprozessrecht (München 2007, 29. Aufl.) S. 1.

[6] Siehe H-J. Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung (München 2014, 11. Aufl. (beck-online)), Einleitung, Rz. 6.

[7] Siehe W. Lüke, Zivilprozessrecht (München 2011, 10. Aufl.) S. 1-2, Rz. 1.

[8] Siehe M. N. Shaw, International Law (Cambridge 2004, 5. Aufl.) S. 233.

[9] Siehe die in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Justizgrundrechte (Verfahrensgrundrechte).

[10] W. Lüke, Zivilprozessrecht (München 2011, 10. Aufl.) S. 6-7, Rz. 6; O. Jauering, Zivilprozessrecht (München 2007, 29. Aufl.) S. 67; H-J. Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung (München 2014, 11. Aufl. (beck-online)), Einleitung, Rz. 35.

[11] Siehe O. Jauering, Zivilprozessrecht (München 2007, 29. Aufl.) S. 67; H-J. Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung (München 2014, 11. Aufl. (Beck-online)), Einleitung, Rz. 35.

[12] Siehe G. Kodek, in: C. Liebscher - P. Oberhammer - W. H. Rechberger (Hrsg.), Schiedsverfahrensrecht: BandI. (Wien 2012) S. 3-4, Rz. 1/4-6.

[13] Siehe W. Peukert in: J. Frowein - W. Peukert, Europäische Menschen Rechts Konvention, EMRK-Kommentar (Kehl am Rhein 2009, 3. Aufl.) S. 145, Rz. 4.

[14] Siehe C. Grabenwarter in: D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten (Berlin 2009, 3. Aufl.) S. 191-192, Rz. 36-39.

[15] Siehe C. Grabenwarter in: D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten (Berlin 2009, 3. Aufl.) S. 190, Rz. 35; R. C. White - C. Ovey, Jacobs, White & Ovey: The European Convention on Human Rights (Oxford 2010, 5. Aufl.) S. 254-274.

[16] Siehe W. Peukert in: J. Frowein - W. Peukert, Europäische MenschenRechtsKonvention, EMRK-Kommentar (Kehl am Rhein 2009, 3. Aufl.) S. 648, Rz. 19-20.

[17] Siehe R. C. White - C. Ovey, Jacobs, White & Ovey: The European Convention on Human Rights (Oxford 2010, 5. Aufl.) S. 481-482; D. Harris - M. O'Boyle - E. Bates - C. Buckley, Harris, O'Boyle & Warbrick: Law of the European Convention on Human Rights (Oxford 2009, 2. Aufl.) S. 656 ff.

[18] Auch mit Hinweis auf die frühere Rechtsprechung des EGMR zur Unterscheidung zwischen den verschiedenen Eingriffsnormen siehe B. W. Wegener in: D. Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten (Berlin 2009, 3. Aufl.) S. 161-165, Rz. 21-33.

[19] N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 156.

[20] Siehe im Allgemeinen D. Ehlers, in: D. Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten (Berlin 2009, 3. Aufl.) S. 47, Rz. 36; J. Meyer-Ladewig, EMRK - Europäische Menschenrechtskonvention: Handkommentar (Baden-Baden 2011) S. 29, Rz. 32-33. In Bezug auf die Schiedsgerichtsbarkeit siehe J-F. Poudret - k S. Besson, Comparative Law of International Arbitration (London 2007, 2. Aufl.) S. 65, Rz. 87.

[21] Siehe R. A. Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren (München 2012, 5. Aufl.) S. 2-3, Rz. 6-8.

[22] Siehe A. Reiner, 'Schiedsverfahren und rechtliches Gehör' (2003) 11 Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung 52, S. 60; J-F. Poudret - S. Besson, Comparative Law of International Arbitration (London 2007, 2. Aufl.) S. 65, Rz. 87.

[23] Siehe I. Varga, Beweiserhebung in transatlantischen Schiedsverfahren. Eine Suche nach Kompromissen zwischen deutscher und US-amerikanischer Beweisrechtstradition (München 2006) S. 22.

[24] Siehe dazu § 58 des ungarischen Schiedsverfahrensgesetzes (Gesetz Nr. LXXI/1994 über die Schiedsgerichtsbarkeit) und §§ 1055, 1060 und 1061 der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO).

[25] Siehe N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 155-156.

[26] Siehe Bramelid und Malmström gegen Schweden, EKMR 12.10.1982 bzw. 12.12.1983, Nr. 8588/79 und 8589/79; Lithgow ua gegen England, EGMR 8.7.1986, Nr. 9006/80, 9262/81, 9263/81, 9265/81, 9266/81, 9313/81 und 9405/81. Siehe auch G. Kodek, in: C. Liebscher - P. Oberhammer - W. H. Rechberger (Hrsg.), Schiedsverfahrensrecht: BandI. (Wien 2012) S. 15, Rz. 1/32.

[27] Siehe Axelsson ua gegen Schweden, EKMR 13.7.1990, Nr. 11960/86. Siehe auch N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 156.

[28] Siehe Nordström-Janzon ua gegen die Niederlande, EKMR 27.11.1996, Nr. 28101/95; Suovaniemi ua gegen Finnland, EGMR 23.2.1999, Nr. 31737/96.

[29] Siehe Axelsson ua gegen Schweden, EKMR 13.7.1990, Nr. 11960/86; Suovaniemi ua gegen Finnland, EGMR 23.2.1999, Nr. 31737/96. Siehe auch G. Kodek, in: C. Liebscher - P. Oberhammer - W. H. Rechberger (Hrsg.), Schiedsverfahrensrecht: Band I. (Wien 2012) S. 16, Rz. 1/35.

[30] Zum Gleichlauf der objektiven Schiedsunfähigkeit und der Unzulässigkeit eines Verzichts auf die Garantien des Artikels 6 Abs. 1 EMRK siehe N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 156.

[31] Siehe N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 158.

[32] Siehe Firma Heinz Schiebler KG gegen Deutschland, EKMR 2.12.1991, Nr. 18805/91; Jakob Boss Söhne KG gegen Deutschland, 2.12.1991, Nr. 18479/91.

[33] Siehe Stran Greek Refineries gegen Griechenland, EGMR 9.12.1994, Nr. 13427/87; Sedelmayer gegen Deutschland, EGMR 10.11.2009, Nr. 30190/06 und 30216/06; Regent gegen die Ukraine, EGMR 3.4.2008, Nr. 773/03.

[34] Siehe Stran Greek Refineries gegen Griechenland, EGMR 9.12.1994, Nr. 13427/87; Sedelmayer gegen Deutschland, EGMR 10.11.2009, Nr. 30190/06 und 30216/06; Kin-Stib und Majkić gegen Serbien, EGMR 20.04.2010, Nr. 12312/05.

[35] Siehe N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 156, insb. Fn. 134.

[36] Siehe N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 157-158.

[37] Siehe J-F. Poudret - S. Besson, Comparative Law of International Arbitration (London 2007, 2. Aufl.) S. 66, Rz. 87. In Bezug auf das Gebot der Gewährung des rechtlichen Gehörs siehe Reiner, 'Schiedsverfahren und rechtliches Gehör' (2003) 11 Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung 52, S. 61.

[38] Einige betrachten auch das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer als eine unverzichtbare Garantie. Siehe z.B. P. Schlosser, Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit (Tübingen 1989, 2. Aufl.) S. 101, Rz. 121.

[39] Siehe Nordström-Janzon ua gegen die Niederlande, EKMR 27.11.1996, Nr. 28101/95; Suovaniemi ua gegen Finnland, EGMR 23.2.1999, Nr. 31737/96. Siehe auch G. Kodek, in: C. Liebscher - P. Oberhammer - W. H. Rechberger (Hrsg.), Schiedsverfahrensrecht: Band I. (Wien 2012) S. 16-17, Rz. 1/38 und N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 156-157.

[40] Siehe N. Krausz, 'Waiver of Appeal to the Swiss Federal Tribunal: Recent Evolution of the Case Law and Compatibility with ECHR, Article 6' (2011) 2 Journal of International 137, S. 155-156.

[41] Zur Auslegung der positiven Schutzpflichten der Konventionsstaaten nach der EMRK im Allgmeinen und auch mit einer Hinweis auf Art. 6 siehe R. C. White - C. Ovey, Jacobs, White & Ovey: The European Convention on Human Rights (Oxford 2010, 5. Aufl.) S. 99 ff; D. Harris - M. O'Boyle - E. Bates - C. Buckley, Harris, O'Boyle & Warbrick: Law of the European Convention on Human Rights (Oxford 2009, 2. Aufl.) S. 18 ff.

[42] Siehe Reiner, 'Schiedsverfahren und rechtliches Gehör' (2003) 11 Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung 52, S. 60; J-F. Poudret - S. Besson, Comparative Law of International Arbitration (London 2007, 2. Aufl.) S. 66, Rz. 89.

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