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Barna Mezey[1]: Modernisierung und Rechtskontinuitát in der Geschichte Ungarns (Besonderheiten unserer Region) (Annales, 2005., 77-91. o.)

1. Randnationen

István Bibó, einer der wirkungsreichsten politischen Denker des 20. Jahrhunderts nannte die Tendenz, die sich in dieser historischen Region seit Ende des Mittelalters entwickelte, die Sackgasse der osteuropäischen gesellschaftlichen Entwicklung. Diese Welt besteht aus dem wie eine Kaste geschlossenen Adel der Grundherren, aus den steif uniformierten, der grundherrschaftlichen Willkür einseitig ausgelieferten osteuropäischen Leibeigenen, aus dem parallel dazu auf einen engen Kreis beschränkten, nicht zum politischen Selbstbewusstsein erwachten Bürgertum, und der Intelligenz, die sich der Macht gegenüber als Diener verhält. Bibó war der Ansicht, dass die mitteleuropäische Gesellschaft (so auch die ungarische) ganz bis zum 16. Jahrhundert zwar mit einer einfacheren Textur und einem provinzialischen Charakter, jedoch den Weg der westlichen Entwicklung ging. Für diese einfachere Textur und den provinzialischen Charakter waren hastig zurecht gekleisterte, zum organischen Zusammenwachsen ungeeignete und wenig belastbare gesellschaftliche Strukturen kennzeichnend, in denen die Struktur wegen der versteckten Disproportionalitäten, Ungleichgewichtigkeiten und latente Mängel instabil und leicht verletzlich war. Die spektakulären Elemente der westlichen Entwicklung in Ungarn waren auch nichts anderes als forcierte und anstrengende Anpassungsversuche der ostmitteleuropäischen Gesellschaft, ihre Verspätung einzuholen; Versuche der Peripherie, sich dem Zentrum anzugleichen. Das wichtigste Fachwort dieser Region in historischer und gesellschaftlicher Hinsicht ist die "Verspätung".[1]

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2. Faktoren der Verspätung

Betrachtet man die Chronologie der ostmitteleuropäischen gesellschaftlichen Entwicklung, fällt einem sofort die ein halbes Jahrtausend umfassende zeitliche Verschiebung zwischen der Entstehung der ungarischen, tschechischen und polnischen Staatsgebilden und der der westeuropäischen, als Muster geltenden Staatsgebilden, in die Augen. Das Burgunderreich mit Sitz in Worms wurde 413, und das Westgotenreich in Aquitanien 418 ins Leben gerufen. Wir können aber auch den fränkischen Staat von Chlodwig nehmen, für dessen Geburtszeit 486, das Jahr der Schlacht bei Soissons anzusehen ist. Als Anfangsdatum eines ungarischen Staates kann beim besten Willen erst das Jahr 972, als Geisa den Thron bestiegen hat, angesehen werden, aber eher die Erhebung von István (Stephan) zum Fürsten oder seine Krönung als König. Die Geschichte des tschechischen Fürstentums beginnt gegen Anfang des 10. Jahrhunderts mit dem Sieg der Přemysl-Dynastie in den Stammesgefechten über den Slawniks (995), und vielleicht kann hier auch das kurzlebige mährische Staatsgebilde erwähnt werden. Bei den Polen kann von einer selbständigen Entwicklung ab dem Zeitpunkt gesprochen werden, als Mieszko ca. 960 an die Macht gekommen ist bzw. ab der Christianisierung 966.

Dank dem zeitlichen Unterschied, diesen fünf Jahrhunderten zwischen den Staatsgründungen, weiß der Feudalismus, der den Ungarn und den Westslawen begegnet, schon ein halbes Jahrtausend Staatsgeschichte hinter sich, als die Árpáden ihre Versuche zum Aufbau eines Staates unternahmen. Diese fünfhundert Jahre ließen natürlich im Hintergrund des westlichen Staates eine entwickelte ständisch-feudalistische Gesellschaft heranreifen. Angesichts lediglich dieser paar hundert Jahre ist der Rückstand auch ohne Kommentar augenfällig.

Die Unterschiede werden dadurch nur größer, dass die westlich von unserer Region bestehenden Staaten organisch gewachsen sind. Die Strukturelemente der dortigen Gesellschaft " bauten sich etwa in einem halben Jahrtausend organisch auf einander auf, in einem mehrphasigen, zeitlich tief gegliederten Entwicklungsgebilde"[2]. Die Gesellschaften des Westens entwickelten sich " ohne Vorbild " (höchstens mit Wurzeln und einer Vorgeschichte). Sie konnten nur "ihren eigenen Weg" gehen, die definierbaren Institutionen der Gesellschaft entstanden in allen Sphären der Gesellschaft proportional, ohne Zwang und ohne Anstrengungen. Deshalb wurden dort bei der Gestaltung der gesellschaftlichen Ausrichtung keine Ersatzmittel (zum Beispiel Politik oder Recht) in Anspruch genommen. Die mitteleuropäische Region (darunter verstehen wir im Folgenden die Staaten östlich der Elbe bis zu den äußeren Zügen der Kar-

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paten) und darin die ungarische Entwicklung jedoch, da sie sich dem "westlichen Modell" als Peripherie (Randgebiet)[3] anschlössen, bildeten die Werte des westlichen Modells nach oder adoptierten sie: dies führte weit weg von einem organischen Wachstum. Natürlich geht es hierbei nicht um eine Imitation, nicht um eine knechtische Nachahmung, denn die inhaltlichen Voraussetzungen der westslawischen und der ungarischen Staatsgründung (Zerfall der Stammesgemeinschaften, Entstehung von Gefolgschaften, gesellschaftliche Differenzierung) standen schon bereit oder sie waren im Entstehen begriffen, und der Staatsgründungstätigkeit standen keine besonderen Hindernisse entgegen. Welche konkreten Formen diese Staatsgründungstätigkeit annahm, im Geiste welcher Ideologie und Politik, in Allianz mit welchen anderen Staaten dieser Machtapparat geschaffen wurde, dazu war der herkömmliche "Stammesstaat" als Anfang nur ein schwaches Haargefäß.[4]

Und warum suchte man schnell nach einem Modell, anstatt die ruhige, natürliche, innere Entwicklung abzuwarten? Die Ursachen dafür waren vor allem außerpolitischen Charakters.[5] Das dargestellte "Heranreifen" der westeuropäischen Staaten in 5-6 Jahrhunderten verlief verhältnismäßig unter friedlichen Umständen. In dem Sinne wenigstens, dass die von ihnen östlich angesiedelten Völker wie Wellenbrecher die immer wieder erneut einsetzenden Wellen der Völkerwanderung abwehrten, und dass es in Europa keine auswärtigen Mächte gab, welche die anfänglichen feudalistischen Staaten und Gesellschaften beeinflusst hätten. Man könnte auch sagen, dass der Ausbau des Feudalismus eine "innere Angelegenheit" war. Nicht aber im Fall der Tschechen, Polen und Ungarn. Bis zur Zeit ihrer Staatsgründung haben sich die Verhältnisse in Europa erheblich geändert. Als Antwort auf die Provokation der ungarischen Einfälle in Westeuropa entstand 967 das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das sich mit einer unverhehlten Expansionspolitik gegen Osten wandte. An den südlichen Grenzen Ungarns wurde Byzanz immer kräftiger, und 971 machte es den bulgarischen Staat - ein abschreckendes Zeichen für Ungarn - zu seiner Provinz. Es war ein offenes Geheimnis, dass die Deutschen das tschechische Fürstentum einverleiben wollten, und auch die Polen hatten mit den Expansionsvorstellungen des deutschen Kaisertums zu rechnen. Die osteuropäischen Fürstendynastien wurden also zu Dirigenten einer gesellschaftlichen Entwicklung, die in Zwangsbahnen verlief.

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Die Frage bestand darin, ob diese Völker sich mit Erfolg in den angebotenen fertigen Rahmen des westlichen gesellschaftlichen Modells einfügen oder von der europäischen Landkarte des Mittelalters als selbständige staatsbildende Gesellschaften verschwinden. Diese unglaublich schnellen Aktionen der Anpassung erfolgten in kaum ein paar Jahrzehnten. Wenn wir in unserem Fall zum Beispiel annehmen, dass die spektakuläre Niederlage der ungarischen Heere bei Merseburg oder Augsburg der Zeitpunkt war, wo die ungarischen Stammesfürsten die Notwendigkeit der Anpassung erkannten, umfasst die genannte Zeitspanne höchstens sieben Jahrzehnte; datieren wir aber den Anfang der ungarischen Staatsbildung auf das Fürstentum von Geisa (Géza 972-997), schrumpft der zur Verfügung stehende Zeitraum auf knapp drei Jahrzehnte.

Die Aufnahme in die Gemeinschaft der christlichen Staaten war nämlich mit Bedingungen verbunden.

Unter anderen musste der gesalbte König von der Welt anerkannt werden (dies setzte eine politische Umwälzung voraus), sowie eine vollständige Kirchenorganisation musste vorhanden sein (was natürlich mit dem bedingungslosen Ausbau des Einflusses der römischen Kirche einherging). Man kann sehen, dass den Árpáden, Přemysln und den Piasten Bedingungen gestellt wurden, die nicht zukünftiges, sondern sofortiges Handeln erforderten. Gemäß den Erwartungen der Gemeinschaft westlicher Staaten sollten Institutionen nach dem westlichen Muster geschaffen werden, außerdem auch andere Institutionen, bei denen nicht unbedingt ein westliches Muster angewendet werden musste, bloß bei diesem Tempo der Umgestaltung stand kein anderes zur Verfügung.

Hier müssen die Vorgeschichte und die Wurzeln als Faktor genannt werden, deren es auf dem ungarischen und polnischen Landesgebiet völlig ermangelte, und im tschechischen Fürstentum waren sie wegen der früheren Anwesenheit der bayerischen Stämme höchstens in Spuren vorhanden. Es fehlten die nicht unerheblichen Elemente der westlichen organischen Entwicklung, die in der Wirtschaft und in der Gesellschaft des zerfallenden Römischen Reichs ablaufenden Vorgänge, welche zahlreiche Institutionen des zukünftigen europäischen Feudalismus noch vor seinem Entstehen schufen. Denken wir nur an die Latifundien und die auf ihrer Grundlage stark gewordenen Organisationen der Privatmacht, an den Ersatz der öffentlichen Gewalt, an die Kolonisten, an diejenigen, die sich unter ein Patronat zogen, und an den Gedanken, das Christentum zur Staatskirche zu machen. All diese Sachen waren in den Institutionen der feudalistischen Grundherrschaft, der Macht der Landesherren, der Leibeigenschaft, des Lehnwesens und der christlichen Ideologie versteckt. Die Brücke zwischen den Einwanderern und der bereits hier Sesshaften, zwischen den neuen feudalistischen Staatsgebilden und der zerfallenden römischen Machtstruktur bedeutete die Schicht der Aristokraten, die versuchte, sich über die

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Änderungen hinweg zu retten, und die als Gegenleistung für ihre Dienste, ihre Praxis und Kenntnisse in der Staatsorganisation zahlreiche Produkte des bröckelnden Römischen Reiches dem Feudalismus "vererben" konnten. Wie wir sehen, hat die feudalistische Entwicklung nicht mit der Landnahme der barbarischen Stämme, sondern bereits in der Gebärmutter des Römischen Reichs begonnen. Die Anfänge hätte - wenn genügend Zeit dafür zur Verfügung gestanden hätte - auch die Institution der Stammesstaaten bedeuten können, die aus der Krise der auf Blutsverwandtschaft beruhenden Gesellschaft hervorgegangen ist, diese Stammesstaaten wurden aber bei der Staatsgründung durch István (Stephan), Mieszko und Boleslaw als politisch rivalisierende Machtzentren zerstört. Was der Westen aus der antiken Kultur, Politik und Wirtschaft aufgenommen hatte, erhielten die osteuropäischen Gesellschaften durchgesiebt, nach Geschmack des westlichen Feudalismus gestaltet und in einer von Rom und dem Deutschen Reich abhängenden Dosierung.

3. Folgen der Verspätung

Die Lage, die von den oben nur skizzierten Faktoren bewirkt wurde, kann hier nur in noch gröberen Zügen analysiert werden, denn zur Antwort gehören im wesentlichen alle positiven und negativen Tendenzen und Erscheinungen der Entwicklung unserer Region sogar bis heute. In der Zwangslage gab es keine Alternativen.

Für die slawischen Völker waren das Aufholen und der Kurs auf Integration die einzig mögliche Handlungsalternative.[6] Etwas grob formuliert heißt das, dass die zeitgenössische Politik fast die vollständige politisch-ideologische Struktur (Aufbau der Streitkräfte, Ordnung der Staatsorgane, aber mindestens ihr Funktionssystem, die politische Ideologie, das römische Christentum, in Verbindung damit auch die durch sie vermittelte Kultur und Schriftlichkeit, das Recht usw.), die westlich zugeschnittene Außenpolitik, sowie die nach dem westlichen Modell aufgebaute, jedoch in zahlreichen Zügen davon abweichende gesellschaftliche Gliederung importieren musste. (So entstanden zum Beispiel die Züge des Lehenwesens anfangs noch nicht. Mit der Zeit entstand natürlich dann auch in diesen Ländern das Donationssystem, eine eigentümliche Art des Lehenwesens, jedoch zu dieser Zeit schon in Verbindung mit dem Ständewesen. So lebten die beiden Institutionen, anstatt sich in gewissem Sinne abgewechselt zu haben, mit einander verschränkt, sich gegenseitig schwächend, zeitweise aber auch stärkend, fast bis zum Entstehen des bürgerlichen Staates neben einander.)

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Auch in der Wirtschaft kam es sinngemäß zur Übernahme des westlichen Modells. Nicht so sehr auf die westliche Technik der Landwirtschaft war die ostmitteleuropäische Gesellschaft angewiesen (Es ist ja allgemein bekannt, dass die hier ansässigen Völker bereits früher Landwirtschaft in großen Ausmaßen betrieben.), sondern auf die Organisation der Wirtschaft, auf die Entstehung des naturalen Großgrundbesitzes, auf das Abstoßen der darauf arbeitenden Freien auf die Ebene der Entrechteten. Die Bevölkerung dieser Region befasste sich schon seit einer geraumen Zeit mit Landwirtschaft, doch gab es für sie auch in der landwirtschaftlichen Technik übernehmenswerte Sachen. Dadurch, dass die tschechische, polnische und ungarische Politik die westliche Integration wählten und ihr Land ins politisch-wirtschaftliche System der christlichen Staaten einfügten, gerieten sie in der Arbeitsteilung in eine Zwangsposition. Im Gegensatz zum Westen, der im 11. Jahrhundert schon den Weg der Warenproduktion und der Loslösung der Gewerbe ging, erlebte man im Karpatenbecken die Zeiten, wo Menschen entrechtet und in die Landwirtschaft gezwungen wurden, und die Gesellschaft in den Wehen der Zwangsregelung lag. Während im 13. Jahrhundert für die westlichen Gesellschaften die frühen kapitalistischen Formen, die Manufakturen und ein ständischer Staatsaufbau kennzeichnend sind, konnten sich die Herren der Gesellschaft in Ungarn über die Stabilisierung des feudalistischen Produktionssystems und über die Verbreitung der feudalistischen Formen in der Landwirtschaft freuen. Im 14. Jahrhundert konnten wir der westeuropäischen Industrie in erster Linie landwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe, Mineralien, vor allem das Fördergut unserer Gold- und Silberminen gegenüberstellen. Während dort mit dem Fortschritt der Geldwirtschaft und der bürgerlichen Entwicklung ein gut funktionierender Binnenmarkt entstand, bestand hier eine auf Agrarexport aufgebaute Wirtschaft, die Industriegüter nur im engen Rahmen der Zünfte herstellte. Obwohl der befreiende Prozess in Richtung freie bäuerliche Warenproduktion auch in dieser Region einsetzte, blieb er bald stehen. Die politischen Ereignisse, wie in Ungarn das Vordringen der Türken, die Teilung des Landes in drei Teile, die Unterwerfung den Habsburgschen Interessen (auch in Folge der geographischen Entdeckungen und der Kolonisation), der Verlust und die Einengung der westlichen Märkte, weil der Westen Ostmitteleuropa den Rücken wandte, verursachten Rückschritte in der Entwicklung.

Wie der Historiker Gyula Szekfű bemerkte, hätte man in Ungarn die Bauern auch ohne den Bauernkrieg von Dózsa zu Hörigen gemacht. Die Bauernbewegung wurde nur zum Vorwand genommen, als die Dekrete zur Sanktionierung der zweiten Leibeigenschaft erlassen wurden.[7] Die Grundherren konnten die Menge der bisher eingenommenen Abgaben nur auf diese Art und Weise kon-

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servieren. Diese Wende in der Wirtschaft gebot der Entwicklung Halt und verursachte die Reversion der Gesellschaft, die sich in die von Bibó beschriebene Sackgasse einbog. Die politisch-rechtlichen Bestrebungen der Stände gegenüber anderen Gesellschaftsschichten und der königlichen Macht wurden immer stärker. Das - gemäß dem früheren Wortgebrauch - "verkalkte" Ständewesen war begleitet von einer erneuten Ausweitung der rechtlichen Herrschaft über den Leibeigenen, was einer Warenproduktion durch die Bauern den Weg verstellte. Es konnte kein tatsächlicher Binnenmarkt entstehen, nur beschränkte örtliche Märkte; das Gewerbetreiben hatte keinen Nachwuchs, die Entwicklung der interesselosen Hörigenarbeit stagnierte. Das Bürgertum wurde durch das erneut stärker gewordenen Ständewesen in doppeltem Sinne gewürgt. Einerseits verhinderte es die weitere Entwicklung der sich langsam entfaltenden bürgerlichen Gesellschaft, und die ständische Gesetzgebung durchlöcherte sogar die bereits erworbenen Privilegien, eines nach dem anderen. Andererseits konnte sich das Bürgertum auch zahlenmäßig kaum entwickeln, weil es keinen Nachschub aus dem Bauerntum bekam. Das ostmitteleuropäische Bürgertum, das die Schwelle zum 19. Jahrhundert übertrat, besaß kein bürgerliches Wertesystem und auch nicht das Selbstbewusstsein des Bourgeois, und dazu kam noch, dass für ihn die echte Karriere darin bestand, ein Adeliger zu werden.

Diese Verzerrungen in der gesellschaftlichen Schichtung hatten viele politische und staatspolitische Folgen, von denen die wichtigsten nachstehend dargestellt werden sollen.

Die ostmitteleuropäischen Gesellschaften gerieten in eine durch innere Spannungen beladene Situation, so dass sie nicht im Stande waren, den an ihren Grenzen mit Expansionsansprüchen erschienenen Großmächten Widerstand zu leisten. Der tschechische Staat erlebte die bürgerliche Zeit zunächst als Kurfürstentum des Römischen Reichs Deutscher Nation, später als ein an Österreich angeschlossenes Land der Habsburger. Die Geschichte Polens war immer von den Kriegen gegen die angrenzenden Großmächte begleitet: zunächst war es gezwungen, die Hoheit des deutschen Kaisers anzuerkennen, später fiel das durch den Widerstand gegen die russische, schwedische und türkische Drohung geschwächte polnische Königtum Preußen, Russland und Österreich zum Opfer, und bis zum Wiener Kongress wurde es dreimal neu aufgeteilt. Ungarn konnte während der türkischen Besatzung den Wiener Ambitionen keinen Einhalt gebieten, so trat es unter der Herrschaft der Habsburger in die Reformzeit ein.

Wegen der bereits dargestellten Entwicklung konnte in Mitteleuropa keine konsequente Zentralisierung umgesetzt werden. Die Zentralisierung bestand immer nur für eine kurze Zeit (László Lokietek I., Kasimir III. und IV., die Herrscher aus dem Hause Anjou, Matthias Hunyadi, Přemysl Ottokar II., Karl (Luxemburg) I., und auch die Versuche der Habsburger in Ungarn scheiterten am Widerstand der Baronen und Adeligen.

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In der Landespolitik war der ständische Provinzialismus im Vormarsch, der Schutz und die Verteidigung der ständischen Privilegien wurden fast zum ausschließlichen Ziel. Diese Tendenz führte in Polen sogar zur Entstehung einer "Adelsrepublik" (rzeczpospolita), die an der Aufteilung des immer mehr funktionsunfähiger gewordenen polnischen Staates mitschuldig war.

Wegen der einseitigen und unproportionalen Entwicklung der Gesellschaftsschichten ("Die Formen sind mal etwas unorganisiert bruchstückhaft oder roh, mal aber ungegliedert grob und hybrid, mal waren sie mit archaischen Zügen durchwoben, oder sie hoben sich durch ihre Größenordnungen von einander ab.") zeigten sich in der Gesellschaft immer mehr Zeichen der Disfunktion, die Wirtschaft und die politische Sphäre wurden von größeren und kleineren Krisen erschüttert.[8]

Eine "Andersartigkeit" der ostmitteleuropäischen Entwicklung ist nicht zu leugnen. Wie wir gesehen haben, hätte eine mechanische Adaptation auch nicht Wurzeln schlagen können. Die Änderungen an den Modellen verzerrten jedoch die Modelle selbst, was dann zu einem vom ursprünglichen abweichenden Funktionieren führte, was wiederum ständig politische Eingriffe seitens der Regierung notwendig machte.

Die Störungen gingen mit erhöhter Inanspruchnahme von "Ersatzmitteln" einher. Die Politik bediente sich gerne staatlicher Mittel (wie zum Beispiel der rechtlichen Regelung), die auf das Verhalten der Menschen einwirkten, statt Lösungen anzuwenden, die eine tatsächliche Heilung der Probleme hätten herbeiführen können.[9]

Als Ergebnis all dieser Umstände waren alle Erscheinungen der Gesellschaft stark von Politik durchtränkt, sei es die Wirtschaft oder die Literatur. Die Ideologie war übergewichtig, das politische Element durchdrang viel zu stark die Welt des Bewusstseins.

Die Gesellschaft baute "von oben nach unten". Der Staat der Reformerelite, die die Ideologie der Befolgung des Musters auf ihre Fahne steckte und von einem gewissen messianischen Bewusstsein geführt war, baute die entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen unter sich auf. Etwas vereinfacht heißt das, dass die feudalistische Gesellschaft von der Politik geschaffen wurde. Natürlich könnten hier noch zahlreiche, sich markant abzeichnende Folgen dieser eigenartigen Entwicklungsbahn aufgezählt werden, aber ich denke, zur Behandlung der Staatsmodelle, bei deren Entstehung in Ostmitteleuropa die Modernisierung eine große Rolle spielte, reicht es, nur die wichtigsten zu nennen.

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4. Modernisierung

Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass Entwicklung und Rückständigkeit die zwei Seiten einer und derselben Erscheinung bezeichnen.[10] Keine der beiden kann an und für sich betrachtet und bewertet werden. Dies bedeutet im Fall der ostmitteleuropäischen Gesellschaften, dass die westliche Entwicklung für sie als Muster und Wert galt, jedoch ohne Verleugnung der eigenen Werte und Interessen.[11] Wie im Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie im Allgemeinen, erschien auch hier mit elementarer Kraft ein Verlangen nach dem Aufrücken. Und es wurden zahlreiche Möglichkeiten und Formen dieser "Jagd" erarbeitet, die von den im Zeichen der Modernisierung und im "Bewusstsein ihrer messianischen Sendung" politisierenden Reformern mit ununterbrochener, jedoch von Zeit zu Zeit aufflackernder Hitze angeführt wurden. Der "Zwang des Aufholens"[12] trieb und treibt auch heute noch den Mechanismus der Modernisierung mit einer Kraft, welche die Gesellschaft zu gestalten vermag. Diesem Zwang ist die sich von Zeit zu Zeit einstellende Erneuerung des tschechischen, polnischen und ungarischen Staates, sowie ihrer Politik, Bildung und ihres Rechtes zu verdanken, was mit der Illusion eines erfolgreichen und spektakulären Aufholens vertröstete. Ich denke, als solche Erneuerungen sind in Ungarn zum Beispiel selbst die Gründung des christlichen Staates, die Präzentralisierung der Anjous, die ständische Zentralisierung von Hunyadi, aber auch der ungarische Versuch des aufgeklärten Absolutismus anzusehen.[13]

In diese Reihe fügten sich in Ungarn natürlich die Bewegungen der Reformzeit ein, an deren Ende die bürgerliche Umwälzung 1848 stand. Diese war eine Änderung mit einer Tragweite, die viel größer war als alle anderen zuvor. Denn diesmal musste die ungarische politische Elite nicht nur die modernisierende Adaptation umsetzen, sondern sie hatte auch die Aufgabe, die Gesellschaft in eine bürgerliche Gesellschaft zu verwandeln.

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5. Die ungarische Reformzeit

Ungarn erreichte die Zeit ernsthafter Reformen in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts, nach kleineren und größeren Kämpfen mit dem Wiener Absolutismus. Es erschienen im Lande nicht einfach die europäischen revolutionären Bewegungen des Vormärz, sondern es ging um vieles mehr. Ungarn war mit seiner habsburgfeindlichen Attitüde indirekt und zugleich auch europafeindlich. Lange Jahrhunderte betrachteten die Stände die europäische Politik als Politik der Habsburger, und das ius commune als kaiserliches Recht. In Folge dessen war natürlich auch das Einsickern der Ideen eingeschränkt. Die fortschrittlichen Gedanken waren durch einige Aristokraten mit weitem Blickfeld, durch die Peregrination in den protestantischen Universitäten und durch Honoratiorenkreisen vertreten. Und als die Stände an die Erneuerung gingen (wie in der Landesversammlung von 1790/92), machten die Nachrichten über ausländische Ereignisse (Ereignisse der Französischen Revolution, die Radikalisierung und anschließend die Jakobinerdiktatur) oder die nervöse Reaktion Wiens (wie das blutige Liquidieren der Honoratiorenbewegung, der so genannten ungarischen Jakobinerbewegung) tatsächliche Reformen unmöglich.

Das 19. Jahrhundert brachte aber bedeutende Änderungen mit sich.

Die polizeilichen Auswirkungen der Regierungspolitik in den zwanziger und dreißiger Jahren wurden etwas milder. Das Reisen wurde möglich und damit auch zur Mode. Wer konnte, bereiste die Länder Europas. Einige kamen nur in die näher gelegenen deutschen Städte und Länder, andere steckten sich Frankreich oder England als Reiseziel, wieder andere kamen sogar nach Amerika. Die Heimkehrer brachten die frischen Ideen und die revolutionären Gedanken Europas mit. Die Freiheitsidee des Liberalismus und andere Ideen der Aufklärung, die früher wegen der Vormundschaft des aufgeklärten Absolutismus an den Reichsgrenzen hängen blieben, erreichten den ungarischen Boden. Die rasche Entwicklung der Presse, des Buch- und Zeitungsdruckes bot die Mittel zur Verbreitung der Ideen und der Ansichten an. In einigen Fragen der Modernisierung entfachten weite Diskussionen in der Gesellschaft. Die deutsche und österreichische Staats- und Rechtswissenschaft durchdrangen das ungarische juristische Denken mit einer immer größeren Intensität, teils durch die offiziellen universitären Kanäle, teils durch die Peregrination. In den Parlamentsdebatten war bereits natürlich, dass die Redner aus englischen, deutschen oder französischen Werken zitierten. Das Land öffnete sich endgültig gegenüber Europa. Deshalb war es nur eine Zeitfrage, wann der große Modernisierungsprozess einsetzen wird.

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In der Reformzeit (zwischen 1825 und 1848) wurden sechs, einzeln sogar mehrere Jahre dauernde so genannte Reformlandesversammlungen abgehalten. Der Gegenstand war im wesentlichen die Modernisierung, die aber erst in den vierziger Jahren Fragen der Rechtsharmonisierung aufwarf. Bis dahin stand die Verbesserung der Lage des Landes auf Tagesordnung. Die Opposition machte Versuche, wie weit sie mit der Infragestellung der bestehenden rechtlichen und staatlichen Einrichtung gehen kann. Sie arbeitete mit großer Geduld an der Abtragung der Mauern des Ständewesens. Dann in den vierziger Jahren, nachdem die Punkte des geringsten Widerstandes gefunden worden waren, wurde auch die Modernisierung des Rechts in Angriff genommen, wie das bei der Schaffung des Handelsrechts ersichtlich ist.

Der Motor der Änderungen war das Komitat, wo sich der für die Reformen engagierte Adel zu organisieren begann. Im Sinne der so genannten Munizipalvertretung wurden die Gesandten der Landesversammlung von den Komitaten gewählt. Die Entscheidungen der Landesversammlung hingen (in der Untertafel wenigstens) davon ab, wie weit sich die Komitate radikalisiert haben. Die Programmpakete entstanden auch nicht auf Landesebene, sondern im Komitatsleben. Es ist also kein Zufall, dass die Umwälzung nur im Rahmen des adeligen Denkens in den Komitaten vor sich gehen konnte. Und dies legte die Rechtsnachfolge als Rahmen der Modernisierung fest.

In der Modernisierung und in der Gesetzgebung mussten also zwei Tendenzen mit einander abgestimmt werden: die Idee der Rechtsnachfolge und die Zielsetzung des Fortschritts. Die Rechtsnachfolge kam am prägnantesten in der These von József Eötvös zum Ausdruck: Nicht dem Adel müssen seine Rechte genommen werden, sondern das Volk soll auf sein Niveau erhoben werden. Das heißt, es sollte eine Lösung gefunden werden, bei der die herkömmlichen ständischen Rechte erhalten bleiben, oder so wenig wie möglich angetastet werden, während die Modernisierung des Landes erfolgt. Dieser Rahmen stellte statt der Revolution die Reformen in den Vordergrund. Die ungarischen Politiker suchten sogar noch während des Freiheitskampfes nach einem Vergleich mit Wien, um dadurch den "friedlichen" Weg der Umwälzung gegenüber dem radikalen Weg zu glätten. (Die größte Parlamentspartei wurde von den Radikalen der Zeit höhnisch "Friedens-" oder "Handelspartei" genannt.) Ein gutes Beispiel für das Festhalten an den traditionellen Werten und am Recht war es, dass die Reformer darauf bestanden, die großen Regeln der bürgerlichen Umwälzung, die so genannten Aprilgesetze, gemäß den Regeln der traditionellen ständischen Landesversammlung zu verabschieden, also nach einer Kontrolle durch die Stände und den Adel in den zwei Kammern der Landesversammlung, mit Unterstützung des Diätausschusses der Kanzlei, mit Zustimmung der Reichsorgane und mit Sanktionierung durch den Herrscher. Und dem war es auch so.

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Durch zwei Beispiele der Rechtsharmonisierung wird die komplexe Auffassung der damaligen Zeit vielleicht besser verständlich. Das eine Beispiel ist aus dem Bereich der privatrechtlichen Regelung des Grundbesitzes von Adeligen, und das andere aus dem Bereich der Modernisierung der politischen Rechte der Stände.

Was die Veränderung der privatrechtlichen Verhältnisse betrifft, bezogen die Stände den Standpunkt, dass man alles berühren kann, nur die Eigentumsrechte des Adels sollen dadurch grundsätzlich nicht verletzt werden. Im Ergebnis konnte das Handelsrecht, das die Interessen des Adels nicht tangierte, gesetzlich geregelt werden. (Gründung und Betrieb von Fabriken, Handelsgesellschaften, Konkurs, Wechsel usw.) Woran aber der Adel näher interessiert war, konnte nicht angetastet werden (Familie, Eigentum, Einschränkungen des Verkehrs). Auch die traditionellen Grundsätze des Frondienstes und des Erbrechts (Leibeigenschaft, Avitizität) konnten erst als Folge der revolutionären Bewegungen aufgehoben werden. Jedoch nur prinzipiell und in einer Deklaration, ohne eine Lösung und ohne den Anspruch auf eine endgültige Regelung.

Eine der größten Änderungen im öffentlichen Recht stellte die Einbürgerung des Vertretungsrechts im bürgerlichen Sinne dar. Das Gesetz 1848:5. organisierte die Wahlen und die Landesversammlung auf der Basis der Volksvertretung. Der ausschließliche Einfluss der Stände auf die Wahl der Gesandten (von nun an: der Abgeordneten) wurde aufgehoben, aber alle durften ihr Wahlrecht behalten. Auf diese Weise hatten 8-9% der Bevölkerung das Wahlrecht, was dem damaligen europäischen Durchschnitt entsprach. Es stand jedoch größtenteils immer noch dem gebürtigen Adel zu, unabhängig davon, ob der Zensus bezüglich der nicht adeligen Bevölkerung erfüllt wurde oder nicht. Auch das in Ungarn "Landesversammlung" genannte Parlament behielt seinen früheren Aufbau. Das Zweikammersystem blieb bestehen, an der Obertafel wurden keine wesentlichen Änderungen vorgenommen, nur die Untertafel erfuhr etliche Änderungen, aber die Grundsätze des Funktionierens wurden nach den früheren ständischen Techniken modernisiert und bürgerlich zugeschnitten. Es ist für die damaligen Zustände typisch, dass im alltäglichen Wortgebrauch Obertafel und Untertafel noch lange weiterlebten, obwohl die offizielle Bezeichnung der Kammern "Abgeordnetenhaus" und "Oberhaus" war.

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In diesem Sinne erfolgte also die Modernisierung der ungarischen Gesellschaft und des Rechtssystems. Die modernen europäischen Ideen, wie Volksvertretung, parlamentarische Regierungsverantwortung, Gleichheit vor dem Gesetz, Pressefreiheit und Gleichheit der Konfessionen fanden nunmehr Eingang in das ungarische Rechtssystem. Gleichzeitig sorgten aber das politische System selbst und

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das traditionelle juristische Denken dafür, dass zahlreiche Werte der Ständegesellschaft im System erhalten blieben. Die Umwälzung erfolgte nicht in der Revolution auf der Straße, sondern in politischen Verhandlungsprozessen im Parlament. Die Rechtsharmonisierung und die Erneuerung gingen, wie zuvor schon sehr oft, unter Aufsicht der Politik vor sich.

Die Rede von Lajos Kossuth, dem bekanntesten radikalen Politiker der ungarischen Revolution und des Freiheitskampfes zeigt sehr wohl, wo die Änderungen in Ungarn ihren Platz haben. Die Rede hielt er in der großen Kirche der Stadt Debrecen in dem revolutionären Moment, als die anwesenden Abgeordneten das Haus Habsburg entthronten. Der Text, der auch in die Unabhängigkeitserklärung eingebaut wurde, lautet: "Die Gesetze von 1848 sind nach meiner starken Überzeugung keine Geschöpfe einer Revolution. Mit den Gesetzen von 1848 machte die ungarische Nation keine Revolution. Sie stellten nichts anderes dar, als die Sicherstellung der Rechte, die auf Papier, und wenn der Eid der Könige mehr wäre als geschriebene Gnade, dann im Eid der Könige und in den mit ihnen ausgehandelten Vergleichen vor Gott und der Welt immer schon unser eigen waren. In unseren Gesetzen war deklariert, dass Ungarn frei und unabhängig, und keiner anderen Nation unterworfen sei... und in der Sache änderte sich lediglich, dass die Aufrechterhaltung dieser Unabhängigkeit und Selbständigkeit gemäß Gesetz früher den Regierungsstühlen und insbesondere dem ungarischen so genannten Statthalterrat als Pflicht auferlegt war, und die Aufrechterhaltung und Sicherstellung dieser Gesetze wurde jetzt den Ministern, nicht aber einem kollegialen Rat anvertraut."[14]

Resümee - Modernisierung und Rechtskontinuität in der Geschichte Ungarns (Besonderheiten unserer Region)

Der Verfasser behandelt in seiner Studie die Besonderheiten der Entwicklung von Randnationen in Ostmitteleuropa. Er beschreibt die spezielle geschichtliche Situation, die westlich des Karpatenbeckens und seiner in nördlicher Richtung verlängerten Linie, also östlich von den Grenzen des ehemaligen Ostfränkischen Reiches bestand. Die Bewohner dieser Region, die Slawen und

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die Ungarn, wurden - nachdem sie zunächst in den 10-11. Jahrhunderten in Stammesverbänden lebten und dann beschlossen, sich der Gemeinschaft christlicher europäischer Staaten anzuschließen - durch ihre nach westlichem Muster (zunächst westfränkisch, dann französisch, deutsch) aufgebauten Staatsgebilden zu Teilen der europäischen Entwicklung. Dies hatte zur Folge, dass sie im Verhältnis zum Westen als Epizentrum, zu Randgebieten wurden, aber durch ihre Entscheidung schufen sie die Grundlagen für eine jahrtausendlange Entwicklung. Dass sie sich dem Westen angeschlossen hatten, brachte sie eindeutig in eine Zwangslage (wirtschaftliche Zwangsbahn, Modellbefolgung, Befolgung der gesellschaftlichen Schichtung), und die damit verbundenen Bedingungen (Adaptation der Staatsorganisation, des Rechts, der Politik, der Kultur) schufen für sie eine spezielle Situation. Sie mussten ständig mit den Symptomen der Disfunktionalität rechnen, was eine natürliche Begleiterscheinung eines "Baus von oben nach unten" ist. Sie waren gezwungen Ersatzmittel (so z.B. Recht, Politik) einzusetzen und durch deren Zwang die natürliche Entwicklung der Gesellschaft zu beeinflussen und zu lenken. Deshalb spielte die Politik in der Organisierung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung eine entscheidende Rolle. Ein Modernisierungszwang war ständig präsent. Der Verfasser schildert die ungarische Entwicklung der Reformzeit (30-40-er Jahre des 19. Jahrhunderts) in diesem Bedingungssystem, die Voraussetzungen und das Umfeld der Revolution 1848, und er platziert die ungarische Revolutionsbewegung auf der Palette der europäischen Geschichte.

Summary - Modernization and Legal Continuity in the History of Hungary (Characteristics of Our Region)

The essay discusses aspects in the history of the Central and Eastern European "periphery." It focuses on the countries in the Carpathian Basin and the area that lies northwest from it and east of the frontier of the onetime Eastern Frankish Empire. The residents of that region: Slavs and Hungarians first lived in tribes and then, in the tenth and eleventh centuries, joined the community of Christian states. Their newly established states were formed on the Western Frankish, French and German pattern, and as such became integrated into the

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mainstream of European progress. They found themselves in the status of periphery by comparison to the centrally positioned Western countries, yet the decision to join Europe laid the foundations for a thousand-year-old evolution process. Their decision to join those Western states forced them to adopt models not exactly of their choice (they had to follow the Western model in the economy and social stratification), and face adverse conditions (in the organization of state, and in adapting Western legal, political and cultural patterns). They had to live with chronic dysfunctions, which are inevitable, when changes are forcibly introduced from the top downwards. Surrogate instrumentalities (legal and political means) had to be employed to influence spontaneous social processes. Politics played an unduly important role in arranging economic and social affairs; and modernization was an unshakeable obligation. The author of the essay discusses the developments in Hungary during the 1830s and 1840s, various aspects of the Hungarian constitutional revolution of 1848, and he puts the Hungarian historical events into a wider European perspective. ■

ANMERKUNGEN

[1] Vgl. Bibó, István: A Kelet-európai kisállamok nyomorúsága,(Das Elend der Ost-europäischen Staaten) In: Válogatott tanulmányok (Ausgwählte Studien), Budapest 1986, Verlag Magvető, Band II., S. 185.

[2] Szűcs, Jenő: Vázlat Európa három történeti régiójáról (Ein Grundriss über drei geschichtliche Regionen Europas), Budapest 1983, Verlag Magvető, S. 60.

[3] Kosáry, Domokos: Az európai fejlődési modell és Magyarország. (Das europäische Entwicklungsmodell und Ungarn) In: A történelem veszedelmei (Die Gefahr der Geschichte), Budapest 1987, Verlag Magvető, S. 11.

[4] Vgl. Szűcs, Jenő - Hanák, Péter: Európa régiói a történelemben (Regionen Europas in der Geschichte) Budapest 1986, Akademie für Wissenschaften , S. 7.

[5] Kosáry, Domokos: Magyarország Európa újabbkori politikai rendszerében (Ungarn in dem neuzeitlichen politischen System Europas), Budapest 2001, Verlag Osiris, S. 132-134.

[6] Hajnal, István: A kis nemzetek történetírásának munkaközösségéről (Über die Forschungsgemeinschaft für die Geschichtschreibung der kleinen Nationen), Budapest 1942, S. 34.

[7] Hóman, Bálint - Szekfű, Gyula: Magyar történet (Ungarische Geschichte), Budapest 1942, Királyi Magyar Egyetemi nyomda, Band II., S. 567.

[8] Szűcs: 1983, S. 60.

[9] Kulcsár, Kálmán: Reform, modernizáció, politika (Reform, Modernisation, Politik), In: Világosság 1987, Heft 10., S. 608.

[10] Berend T. Iván - Ránki György: Az állam szerepe a periféria 19. századi gazdaságában (Die Rolle des Staates in der Wirtschaft der Peripherie im 19. Jh.), In: Valóság 1978, Heft 3., S. 1.

[11] Kulcsár, 1987, S. 603.

[12] Hankiss, Elemér: Kényszerpályán? Tanulmányvázlat a magyar társadalom legújabbkori fejlődéséről. (In der Zwangsbahn? Eine Studienskizze über die Entwicklung der ungarischen Gesellschaft in der neuesten Zeit) In: Medvetánc, Heft 4., 1982 / 1. 1983. S. 7-8.

[13] Kulcsár, Kálmán: A modernizáció és a jog (Modernisation und Recht), Budapest 1989, S. 14-15.

[14] Aus der Rede von Lajos Kossuth vom 14. April. In: Horváth Mihály: Magyarország függetlenségi harcának története 1848-ban és 1849-ben. (Die Geschichte des Unabhängigkeitkriegs Ungarns im Jahre 1848 und 1849), Genf 1865, S. 500.

Lábjegyzetek:

[1] Lehrstuhl für Ungarische Rechtsgeschichte, Telefonnummer: (36-1) 411-6518, e-mail: mbarna@ajk.elte.hu

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