Ernst von Pidde[2] verdanken wir eine Studie zu den Straftaten, die sich in Richard Wagners opus maximum "Der Ring des Nibelungen" zutragen.[3] In dieser Studie finden sich auch interessante zivilrechtliche Analysen etwa zu den Eigentumsverhältnissen am Schwert Notung[4], das Wotan in den Stamm der Esche in Hundings Hütte stieß, und zur Rechtswirksamkeit des Vertrages[5], den Wotan mit den Riesen schloss, damit diese ihm die Burg Walhall erbauten. Für von Pidde waren die Ausflüge in das Zivilrecht erforderlich, weil die untersuchten Strafnormen Antworten auf zivilrechtliche Fragen verlangten. Ich habe in einem Beitrag für die Festschrift für Georg Ress[6], der ebenfalls Ehrendoktor der Keio Universität ist, Wotans Verträge im Lichte des deutschen Zivilrechts beleuchtet und möchte mit dem heutigen Vortrag unabhängig von strafrechtlichen Erwägungen die Frage beantworten: "Wem gehört der Ring?"
Die Frage ist als solche nicht eindeutig. Was ist mit dem Ring gemeint? Wenn es um das Kulturgut geht, mit dem Richard Wagner die Welt beglückt hat, ist die Frage einfach zu beantworten: Der Ring des Nibelungen gehört als Kulturgut uns allen, und ein jeder von uns kann mit ihm machen, was er will. Wir müssen das Kulturgut nicht mögen. Schon gar nicht müssen wir es nutzen. Wir können uns an ihm erfreuen; wir können es aber auch ablehnen. Und es ist durchaus nicht jedermanns Sache, auf vier Abende verteilt für mehr als 13 Stunden in hochromantischer Musik Auseinandersetzungen zwischen Fabelwesen, Zwergen, Göttern, Riesen und Menschen über Macht und Liebe zu
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verfolgen. Ich meine aber auch gar nicht das Kulturgut, sondern den Ring innerhalb der Geschichte, die Richard Wagner uns über vier Abende verteilt erzählt. Mit der Frage, wem denn nun der Ring innerhalb des Dramas gehört, bricht sich in mir etwas Bahn, was man eine déformation professionelle nennen kann. Der Jurist betrachtet jede Geschichte unter juristischen Gesichtspunkten. Während auf der Bühne um Macht und Liebe gerungen wird, analysiert der Jurist trocken und nüchtern die Eigentumsverhältnisse am Ring. Ob er damit dem Kulturgut gerecht wird, mag man mit Fug bezweifeln. Der eigentliche Antrieb hinter dem Drama ist das Streben nach Macht über andere und die Welt: bei dem Gott Wotan aus Überdruss der Liebe zu seiner Frau, bei dem Zwerg Alberich aus verschmähter Liebe.
Lassen wir die Protagonisten mit den Texten zu Wort kommen, die ihnen Richard Wagner zugeschrieben hat.
Wotan:
Als junger Liebe Lust mir verblich,
verlangte nach Macht mein Mut:
von jäher Wünsche Wüten gejagt,
gewann ich mir die Welt.
Unwissend trugvoll, Untreue übt' ich,
band durch Verträge, was Unheil barg:
Listig verlockte mich Loge,
der schweifend nun verschwand.[7]
Alberich:
Der Welt Erbe gewänne zu eigen,
wer aus dem Rheingold schüfe den Ring,
der masslose Macht ihm verlieh'.
Bangt euch noch nicht?
So buhlt nun im Finstern, feuchtes Gezücht!
Das Licht lösch' ich euch aus;
entreisse dem Riff das Gold,
schmiede den rächenden Ring;
denn hör' es die Flut: so verfluch' ich die Liebe![8]
Aber wir verfolgen nicht das Drama um Macht und Liebe, sondern eben nur die Eigentumsverhältnisse am Ring.
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Die juristische Analyse legt das heute geltende deutsche Recht zugrunde. Das mag man aus mehreren Gründen mit Fragezeichen versehen: Warum sollen hier deutsches Recht und warum das heute geltende Recht anwendbar sein? Dass die Akteure Deutsche seien und sich die Handlungen auf deutschem Boden abspielten, ist nirgendwo belegt. Es handelt sich gewiss um germanische Götter; doch nicht alle Germanen sind Deutsche. Als Ort des Geschehens dürfen wir eine Nähe zum Rhein vermuten; doch fließt auch der Rhein nicht nur durch Deutschland. Schließlich ist das Bürgerliche Gesetzbuch in Deutschland am 1. Januar 1900 in Kraft getreten. Da war der Dichter und Komponist schon eine Weile tot. Sollten sich seine Figuren an einem Recht messen lassen, das es noch gar nicht gab? Und zu welcher Zeit spielt die Geschichte überhaupt? Diese Frage findet wahrscheinlich so viele Antworten, wie es Regisseure gibt, die sich am Ring des Nibelungen versuchen.[9] Ich lege der Entscheidung über das anwendbare Recht einen anderen Ansatz zugrunde, der zugleich das Tor öffnet für weitere Analysen nach anderen Zivilrechten in rechtsvergleichender Perspektive. Das Werk wird auf vielen Bühnen dieser Welt gespielt. Das Geschehen sollte nach dem Recht analysiert werden, das für die Bühne gilt, auf der das Werk gespielt wird:[10] in Manaus nach dem Recht Brasiliens, in Bayreuth, Berlin, Hamburg, Mannheim und München nach dem Recht Deutschlands, in Wien nach dem Recht Österreichs, in Mailand nach dem Recht Italiens, in Amsterdam nach dem Recht der Niederlande, in Paris nach dem Recht Frankreichs, in London nach dem Recht des Vereinigten Königreichs, in Tokio nach dem Recht Japans und in New York nach dem Recht New Yorks[11]. Das Ergebnis der rechtsvergleichenden Analyse könnte sein, dass der Schöpfer der Figuren, Richard Wagner, sich in Rechtsvorstellungen bewegt hat, die in unterschiedlicher Ausprägung und Akzentuierung allen nationalen Rechten zugrunde liegen und damit transnational genannt werden könnten.
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Bedürfen wir der Analyse überhaupt? Hat nicht Richard Wagner die Frage nach dem Eigentum schon im Titel des Werkes beantwortet: Der Ring des Nibelungen? So einfach ist die Antwort indessen nicht zu gewinnen. Der Genitiv kann Eigentumsverhältnisse beschreiben. Er muss es aber nicht. Man kann mit ihm auch zum Ausdruck bringen, dass es um den Ring geht, den der Nibelung Alberich hergestellt hat. Nicht jeder Handwerker wird Eigentümer der Sachen, die er mit seinen Händen geschaffen hat. Das zeigt die einfache Überlegung, dass etwa eine Auftragsarbeit, ein Schmuckstück aus geliefertem Gold herzustellen, zum Eigentum des Auftraggebers und nicht des Handwerkers am hergestellten Schmuckstück führt. Wir finden die Antwort auf unsere Frage nicht schon im Titel des Werkes. Auch die Ausführungen der Beteiligten innerhalb des Dramas sind juristisch mit Vorsicht zu genießen. Wir werden sehen, dass selbst der Hüter der Verträge und damit auch der Hüter des Rechts Wotan bei seiner Einschätzung der Eigentumslage einem Irrtum unterliegt.
Was wir dem Geschehen auf der Bühne unproblematisch entnehmen können, sind nicht die Eigentumsverhältnisse, sondern die Besitzverhältnisse. Die Besitzverhältnisse bezeichnen die tatsächliche Herrschaft über den Ring. Diese Herrschaft beginnt bei dem Nibelung Alberich, der den Ring aus dem Gold herstellt, das er den Rheintöchtern geraubt hat. Die Fähigkeit dazu erlangte er durch den Fluch auf die Liebe. Doch erliegt Alberich einer List Loges, die es Wotan ermöglicht, Alberich zu fesseln und den Ring von ihm zu erlangen. Alberich gibt dem Ring einen Fluch mit auf den Weg, der sich im weiteren Verlauf des Dramas als nicht entrinnbar erweisen soll:
Wie durch Fluch er mir geriet,
verflucht sei dieser Ring!
Gab sein Gold mir Macht ohne Mass,
nun zeug' sein Zauber Tod dem, der ihn trägt!
Kein Froher soll seiner sich freun;
keinem Glücklichen lache sein lichter Glanz!
Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge,
und wer ihn nicht hat, den nage der Neid!
Jeder giere nach seinem Gut,
doch keiner geniesse mit Nutzen sein!
Ohne Wucher hüt' ihn sein Herr,
doch den Würger zieh' er ihm zu!
Dem Tode verfallen, fessle den Feigen die Furcht;
so lang er lebt, sterb er lechzend dahin,
des Ringes Herr als des Ringes Knecht:
bis in meiner Hand den geraubten wieder ich halte![12]
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Wotans Herrschaft über den Ring währt nicht lang. Er muss den Ring den Riesen Fasolt und Fafner geben, um Freia auszulösen, die er den Riesen als Lohn für die Erbauung der Burg Walhall versprochen hat. Fasolt wird das erste Opfer von Alberichs Fluch und von seinem Bruder Fafner um des Ringes willen erschlagen. Fafner verwandelt sich in einen Drachen und zieht sich mit dem Ring in eine Höhle zurück, aus der er viel später und juristisch durchaus korrekt tönt:
ich lieg' und besitz',
laßt mich schlafen.[13]
Das gilt nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem er von Siegfried, einem Enkel Wotans und dem Sohn des Zwillingspaares Siegmund und Sieglinde, im Kampf getötet wird. Siegfried überlässt den Ring seiner Frau und Tante Brünnhilde, einer Tochter Wotans und der Urgöttin Erda. Von Hagen, einem Sohn Alberichs, durch Zaubertrank des Gedächtnisses beraubt, nimmt Siegfried in der Gestalt Gunthers der Brünnhilde den Ring wieder ab, bis auch ihn der Fluch des Alberichs ereilt. Er wird von Hagen erschlagen. Brünnhilde nimmt den Ring als ihr Erbe und gibt ihn schließlich den Rheintöchtern, die ihn jubelnd mit in die Tiefen des Rheines nehmen. Zugleich entzündet Brünnhilde den Brand, der den toten Siegfried, sie selbst und Walhall mit allen Göttern verbrennt. So finden alle, die den Ring berührt und in ihrer Herrschaft hatten, den Tod. Alberichs Fluch wirkt. Wirkt er auch über das Ende der Götterdämmerung hinaus? Kann er den Rheintöchtern etwas anhaben? Das sind Fragen, die zunächst unbeantwortet bleiben, die für die Analyse der Eigentumsverhältnisse[14] aber auch unbeachtlich sind.
Wie soll der Jurist diese Eigentumsanalyse nun ansetzen? Prinzipiell gibt es dazu zwei Wege, die wir auch unseren Studenten nahe zu bringen versuchen. Der eine beginnt bei dem, der den Ring jetzt besitzt und für den die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB[15] spricht, und fragt, ob es Gründe gibt, die die Eigentumsvermutung widerlegen. Der andere sucht einen Punkt, an dem die Eigentumsverhältnisse klar sind, und fragt, ob sich an den Eigentumsverhältnissen in der historischen Entwicklung etwas geändert hat. Ich entscheide mich für den zweiten Weg, setze also nicht bei den Rheintöchtern als Besitzern des
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Rings am Ende der Götterdämmerung, sondern bei den Rheintöchtern als Besitzern und wohl auch Eigentümern des Rheingolds zu Beginn des Dramas an.
Das Rheingold, aus dem der Ring des Nibelungen geschmiedet wurde, lag im Rhein und wurde von den Rheintöchtern bewacht. Von dem Eigentümer wird im Rheingold nicht gesprochen. Erst in der Götterdämmerung findet sich eine Äußerung der Rheintöchter, die auf ihren Vater als Eigentümer des Rheingolds deutet:
Nacht liegt in der Tiefe:
einst war sie hell,
da heil und hehr
des Vaters Gold noch in ihr glänzte.[16]
Es könnte aber auch das vom Vater geschenkte oder geerbte Gold sein. Jedenfalls hatten die Rheintöchter von ihrem Vater den Auftrag, auf das Gold aufzupassen und vor allem das Geheimnis zu hüten, das das Gold umgab und die Fähigkeit begründete, aus dem Gold einen Welt beherrschenden Ring zu schmieden: der Verzicht auf die Liebe.
Floßhilde erinnert ihre Schwestern daran mehrfach:
Des Goldes Schlaf hütet ihr schlecht;
besser bewacht des Schlummernden Bett,
sonst büsst ihr beide das Spiel!
Hütet das Gold!
Vater warnte vor solchem Feind.
Der Vater sagt' es, und uns befahl er,
klug zu hüten den klaren Hort,
dass kein Falscher der Flut ihn entführe:
drum schweigt, ihr schwatzendes Heer![17]
Wie wir wissen, hüteten die Rheintöchter das Geheimnis schlecht und ermöglichten Alberich den Diebstahl des Rheingolds. Für ihr Eigentum streitet die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB. Man mag die Vermutung durch den Hinweis auf Vaters Gold in der Götterdämmerung als widerlegt ansehen. Für die weitere Entwicklung spielt das keine Rolle. Denn wem auch immer das Rheingold gehörte, er hat das Eigentum an Alberich verloren.
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Ernst von Pidde[18] meint, Alberich sei als Dieb nicht Eigentümer des Hortes geworden. Daran ist richtig, dass man durch Diebstahl kein Eigentum erwerben kann. In der Folge wären auch rechtsgeschäftliche Erwerbsmöglichkeiten durch Wotan und die Riesen ausgeschlossen, weil man an gestohlenen Sachen wegen § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB[19] auch nicht kraft guten Glaubens Eigentum erwerben kann. Die Behauptung Ernst von Piddes greift jedoch rechtlich zu kurz und geht an bestimmten Informationen zum Sachverhalt vorbei.
Zwar kann man an gestohlenen Sachen kein Eigentum erwerben. Wenn die gestohlenen Sachen indessen verarbeitet werden und aus der Verarbeitung neue Sachen entstehen, dann wird der Verarbeiter Eigentümer der neu entstandenen Sache (§ 950 Abs. 1 BGB[20]). Das bedeutet, dass Alberich Eigentümer des Ringes geworden war. Er hatte den Ring nicht als Auftragswerk für die Rheintöchter geschaffen, sondern allein für sich. Darum war er und nicht ein Auftraggeber Hersteller im Sinne des § 950 Abs. 1 BGB. Der die Weltherrschaft verbürgende Ring war auch wertvoller als das Gold, aus dem er hergestellt wurde. Alberich wurde mit der Herstellung des Rings der Eigentümer des Rings[21]. Hat er aber vielleicht das Eigentum wieder verloren?
Der Besitzwechsel von Alberich zu Wotan könnte zu einem Eigentumsverlust Alberichs und zur Begründung des Eigentums bei Wotan geführt haben. Das wäre dann der Fall, wenn Alberich dem Wotan das Eigentum nach § 929
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BGB[22] durch Einigung und Besitzverschaffung übertragen hätte. Das war indessen nicht der Fall. Es gab mit Blick auf den Ring keine Einigung:
Hüte dich, herrischer Gott!
Frevelte ich, so frevelt' ich frei an mir:
doch an allem, was war,
ist und wird,
frevelst, Ewiger, du,
entreissest du frech mir den Ring![23]
Und auch von einer vom Willen Alberichs getragenen Besitzverschaffung kann keine Rede sein. In Wagners eigener Szenenanweisung heißt es dazu: "Er (Wotan) ergreift Alberich und entzieht seinem Finger mit heftiger Gewalt den Ring."
Alberich blieb beim Besitzwechsel von ihm zu Wotan Eigentümer des Rings.
Trotz Fehlen einer Eigentumsübertragung von Alberich auf Wotan könnte Wotan den Ring wirksam den Riesen zu Eigentum übertragen haben. Denn die Riesen waren bei den Vorgängen um den Erwerb des Hortes durch Wotan nicht zugegen. Sie glaubten womöglich an das Eigentum Wotans und könnten in ihrem guten Glauben durch § 932 Abs. 1 Satz 1 BGB[24] geschützt werden. Doch steht dem § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB[25] entgegen. Denn der Ring war - anders als der übrige Hort - dem Alberich von Wotan mit Gewalt entrissen worden und damit abhanden gekommen im Sinne dieser Vorschrift. Ein rechtsgeschäftlicher Erwerb der Riesen scheidet auch in Form des gutgläubigen Erwerbs aus. Als Fafner mit dem Ring in die Höhle zog, war Alberich immer noch Eigentümer des Rings und der Riese Fafner nur Besitzer. Fast möchte man dem Riesen hervorragendes juristisches Einschätzungsvermögen attestieren, wenn er seinen Zustand mit dem berühmten
ich lieg' und besitz',
beschreibt. Sollte der Riese den juristischen Unterschied zwischen
Eigentum und Besitz kennen oder hat er sich nur von der unter
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Nichtjuristen gängigen Gleichstellung leiten lassen? Die Antwort auf diese Frage wird uns noch beschäftigen.
Jedenfalls erfolgt dieser Ausspruch viele Jahre, nachdem Fafner den Besitz am Ring erhalten hatte, und vielleicht hat der Zeitablauf zu einer Veränderung der Eigentumsverhältnisse und zum Gleichlauf von Besitz und Eigentum geführt.
Das deutsche Recht kennt eine weitere Möglichkeit des Eigentumserwerbs an beweglichen Sachen: die Ersitzung nach § 937 BGB[26]. Danach müsste Fafner den Ring zehn Jahre im Eigenbesitz gehabt haben. Vom Zeiterfordernis können wir ohne weiteres ausgehen. Denn wir finden Fafner liegend und besitzend erst im Siegfried wieder. Davor sind nach der Besitzerlangung durch Fafner zunächst die Eltern des Siegfried gezeugt und geboren worden, haben diese im zeugungsfähigen Alter Siegfried gezeugt und geboren, der schließlich als Erwachsener dem Fafner gegenüber tritt. Das alles kann nicht in weniger als zehn Jahren geschehen. Fafner könnte allerdings bösgläubig beim Besitzerwerb gewesen sein. Bei diesem Erwerb ging es einigermaßen turbulent zu. Wotan warf den Ring auf den für die Riesen bestimmten Hort. Fafner machte sich gleich daran, den Hort in einen riesigen Sack hineinzuschichten. Fasolt will auf Loges Rat nur an den Ring heran. Er entreißt Fafner den Ring. Fafner erschlägt Fasolt und entreißt seinerseits dem sterbenden Fasolt den Ring. Man möchte meinen, dass ein Brudermörder nicht gutgläubig sein kann. Doch wäre das zu kurz gegriffen. Der Eigenbesitzer muss daran glauben, dass er der Eigentümer des Ringes sei. Fafner selbst äußert sich nicht dazu, was er glaubt. Seine schon mehrfach zitierte Äußerung kann so verstanden werden, dass er sich nur für den Besitzer und nicht für den Eigentümer hält. Sie kann aber auch so verstanden werden, dass er sich für den Besitzer und den Eigentümer hält. Kirschbaum, Seider und Wieser halten Fafner für bösgläubig[27], Kirschbaum und Seider ohne Begründung und Wieser mit der Begründung, dass Loge die Riesen auf das Eigentum der Rheintöchter und damit auf das fehlende Eigentum Wotans hingewiesen:
Lasst euch raten!
Den Rheintöchtern gehört das Gold:
ihnen gibt Wotan es wieder.
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und Wotan in seiner Reaktion hierauf die Umstände des Erwerbs auch für die Riesen erkennbar offenbart habe:
Was schwatzest du da?
Was schwer ich mir erbeutet,
ohne Bangen wahr' ich's für mich.[28]
Damit hätten die Riesen erstens gewusst, dass Wotan nicht der Eigentümer des Ringes gewesen sei und zweitens über die Erbeutung vom unfreiwilligen Besitzverlust Alberichs erfahren. Mit diesem Wissen könne man nur noch grob fahrlässig daran glauben, dass man von Wotan das Eigentum an dem Ring übertragen bekommen habe.
Ich halte diese Folgerung nicht für zwingend. Loges Information ist falsch. Den Rheintöchtern gehört der Ring nicht. Sie hatten allenfalls einen Anspruch gegen Alberich auf Herausgabe, bei dessen Durchsetzung sie auf Wotan hoffen mochten. Wotan war aber offensichtlich nicht bereit, den Rheintöchtern zu helfen, und betrachtete sich selbst als Eigner des schwer erbeuteten Rings. Warum aus dem Ausdruck Erbeuten Fafner auf das fehlende Eigentum Wotans hätte schließen müssen, ist nicht ersichtlich. Man mag auch das im harten vertraglichen Ringen erlangte Eigentum als erbeutet bezeichnen. Nach alledem verfügen wir nicht über genügend Anhaltspunkte für eine Bösgläubigkeit Fafners und müssen nach Beweislastgrundsätzen davon ausgehen, dass Fafner an das Eigentum Wotans und den Eigentumserwerb durch die Riesen geglaubt hat und auch zwischenzeitlich von niemandem eines Besseren belehrt worden ist. Dass er seinen Bruder erschlagen hat, macht ihn nicht bösgläubig, sondern darf ihn glauben lassen, dass er kraft Erbrechts vom Miteigentümer zum Alleineigentümer geworden sei. Zehn Jahre gutgläubiger Eigenbesitz haben ausgereicht, ihn zum Eigentümer des Ringes zu machen. Mit Ablauf der zehn Jahre hatte Alberich das Eigentum am Ring verloren.
Doch ist Fafner tot. Ein Toter kann nicht Eigentümer sein. Wer ist nach Fafner Eigentümer des Ringes geworden?
Beim Tod denkt man spontan an das Erbrecht. Eigentümer des Rings müsste der Erbe Fafners sein. Doch hat Fafner kein Testament gemacht, und er starb auch als letzter seines Geschlechts. Ohne Testament und ohne Verwandte erbt nach § 1936 Abs. 1 BGB[29] der Staat, bei Aufführun gen im Bayreuther Fest-
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spielhaus der Freistaat Bayern. Die Lösung mag den Bayern gefallen. Denn sie wären damit als legitime Erben der Weltherrschaft ausgewiesen. Dem Drama aber stünde es besser zu Gesicht, wenn Siegfried das Eigentum am Ring erwerben würde. Die Ersitzung taugt diesmal nicht. Wir haben keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass Siegfried den Ring zehn Jahre in Eigenbesitz gehabt habe. Auch kennt das geltende deutsche Recht kein Beuterecht dessen, der einen anderen im Kampf erschlägt. Aber vielleicht hat Siegfried den Ring von Fafner noch zu dessen Lebzeiten zugewiesen bekommen. Dessen letzte Worte mag man zwar nicht als ausdrückliche, aber doch als konkludente Rechtszuweisung deuten:
Du helläugiger Knabe,
unkund deiner selbst,
wen du gemordet, meld ich dir.
Der Riesen ragend Geschlecht,
Fasolt und Fafner,
die Brüder, fielen nun beide.
Um verfluchtes Gold, von Göttern vergabt,
traf ich Fasolt zu Tod.
Der nun als Wurm den Hort bewachte,
Fafner, den letzten Riesen,
fällte ein rosiger Held.
Blicke nun hell, blühender Knabe;
der dich Blinden reizte zur Tat,
berät jetzt des Blühenden Tod!
Merk, wie's endet! Acht auf mich![30]
Danach ist Siegfried der Eigentümer des Rings geworden, und er ist es bis zu seinem Tod geblieben. Zwar hat er den Ring Brünnhilde gegeben, als es ihn zu neuen Taten wieder in die Welt zog. Dem aber lag keine Eigentumsübertragung, sondern nur eine Besitzüberlassung zugrunde.
Lass' ich, Liebste, dich hier
in der Lohe heiliger Hut;
zum Tausche deiner Runen
reich' ich dir diesen Ring.
Was der Taten je ich schuf,
des Tugend schließt er ein.
Ich erschlug einen wilden Wurm,
der grimmig lang ihn bewacht.
Nun wahre du seine Kraft
als Weihegruß meiner Treu'![31]
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Auch Brünnhilde sieht darin keine Eigentumsübertragung; sonst könnte sie nach Siegfrieds Tod nicht sagen:
Mein Erbe nun nehm' ich zu eigen.
Verfluchter Reif! Furchtbarer Ring!
Dein Gold fass' ich und geb' es nun fort.
Der Wassertiefe weise Schwestern,
des Rheines schwimmende Töchter,
euch dank' ich redlichen Rat.
Was ihr begehrt, ich geb es euch:
aus meiner Asche nehmt es zu eigen!
Das Feuer, das mich verbrennt,
rein'ge vom Fluch den Ring!
Ihr in der Flut löset ihn auf,
und lauter bewahrt das lichte Gold,
das euch zum Unheil geraubt.[32]
Hier finden wir nun zugleich die Lösung für alle unsere offenen Fragen. Den Ring gibt es gar nicht mehr, wenn die Rheintöchter ihn nach Brünnhildes Rat und Weisung aufgelöst und in lichtes Gold verwandelt haben. Also kann er auch niemand gehören, in niemandes Eigentum stehen. Vom Fluch ist er durch das Feuer gereinigt. Die Rheintöchter können sich unbeschwert des zurück gewonnenen Goldes erfreuen. Das hat ihnen am Anfang gehört und gehört ihnen auch am Ende. Es gehört ihnen am Ende aber nicht, weil es ihnen schon am Anfang gehört hat, sondern weil es aus dem Ring entstanden ist, dessen Eigentum von Alberich auf Fafner, von Fafner auf Siegfried, von Siegfried auf Brünnhilde und von Brünnhilde auf die Rheintöchter übergegangen ist.
Damit ist auch der Jurist mit seiner juristischen Analyse am Ende. Vielleicht hätte er besser daran getan, sich auf das Spiel um Macht und Liebe und die Musik zu konzentrieren. Hören wir zum Schluss Richard Wagners Botschaft, die sich allein durch die Musik mitteilt, nachdem keiner der am Drama Beteiligten mehr einen Text spricht oder singt. ■
ANMERKUNGEN
[1] Erweiterte Fassung des Festvortrags an der Keio Universität in Tokio am 5. Oktober 2005 aus Anlass der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann.
[2] Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" im Lichte des deutschen Strafrechts, 1968.
[3] Nach dem Strafrecht von 1965 kommt von Pidde zu einer Gesamtstrafe von fünfmal lebenslänglich Zuchthaus und 90 Jahre Freiheitsentzug für die im Ring agierenden Personen.
[4] S. 31 bis 33.
[5] S. 20.
[6] Helmut Rüßmann, Wotans Verträge im Lichte des deutschen Zivilrechts, Festschrift für Georg Ress, 2005, S. 1543.
[7] Die Walküre. Zweiter Aufzug. Zweite Szene.
[8] Das Rheingold. Erste Szene.
[9] Hier hätte der eine oder die andere vielleicht besser daran getan, das Werk von hinten zu lesen und den letzten Satz der Tetralogie zu beachten: "Zurück vom Ring!" Die großartigste Inszenierung, die der Verfasser dieser Zeilen je gesehen hat, war die von Patrice Chereau 1976 bis 1980 in Bayreuth.
[10] Mit einer ähnlichen Erwägung kommt Ernst von Pidde, Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" im Lichte des deutschen Strafrechts, 1968, S. 10 f. zur Anwendung des geltenden deutschen Strafrechts auf Delikte in vorkarolingischer Zeit.
[11] Nicht etwa nach dem Recht der Vereinigten Staaten von Amerika, weil es sich bei dem Geschehen in der Metropolitan Opera nicht um "interstate commerce" handelt.
[12] Das Rheingold. Vierte Szene.
[13] Siegfried. Zweiter Aufzug. Erste Szene.
[14] Die Eigentumsverhältnisse sind in der Literatur verschiedentlich untersucht worden mit allerdings höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Vgl. Klaus Kirschbaum, Der Ring im "Ring", NJW 2002, 557; Rainer Seider, Neue juristische Aspekte in Richard Wagners "Ring des Nibelungen", MDR 1993, 1171; Eberhard Erwin Wieser, Der Ring des Nibelungen im Licht des Zivilrechts, Festschrift für Erwin Stein, 1983, S. 383.
[15] Zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache wird vermutet, dass er Eigentümer der Sache sei. Dies gilt jedoch nicht einem früheren Besitzer gegenüber, dem die Sache gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen ist, es sei denn, dass es sich um Geld oder Inhaberpapiere handelt.
[16] Götterdämmerung. Dritter Aufzug. Erste Szene.
[17] Das Rheingold. Erste Szene.
[18] Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" im Lichte des deutschen Strafrechts, 1968, S. 23.
[19] Der Erwerb des Eigentums auf Grund der §§ 932 bis 934 [gutgläubiger Erwerb] tritt nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war.
[20] Wer durch Verarbeitung oder Umbildung eines oder mehrerer Stoffe eine neue bewegliche Sache herstellt, erwirbt das Eigentum an der neuen Sache, sofern nicht der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung erheblich geringer ist als der Wert des Stoffes.
[21] Das wird von Wotan verkannt:
Dein Eigen nennst du den Ring? Rasest du, schamloser Albe? Nüchtern sag',
wem entnahmst du das Gold,
daraus du den schimmernden schufst?
War's dein Eigen, was du Arger
der Wassertiefe entwandt?
Bei des Rheines Töchtern hole dir Rat,
ob ihr Gold sie zu eigen dir gaben,
das du zum Ring dir geraubt.
[22] Zur Übertragung des Eigentums an einer beweglichen Sache ist erforderlich, dass der Eigentümer die Sache dem Erwerber übergibt und beide darüber einig sind, dass das Eigentum übergehen soll.
[23] Das Rheingold. Vierte Szene.
[24] Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist.
[25] Der Erwerb des Eigentums auf Grund der §§ 932 bis 934 tritt nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war.
[26] (1) Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre im Eigenbesitz hat, erwirbt das Eigentum (Ersitzung).
(2) Die Ersitzung ist ausgeschlossen, wenn der Erwerber bei dem Erwerb des Eigenbesitzes nicht in gutem Glauben ist oder wenn er später erfährt, dass ihm das Eigentum nicht zusteht.
[27] Siehe die Nachweise in Fußnote 14.
[28] Rheingold. Vierte Szene.
[29] Ist zur Zeit des Erbfalls weder ein Verwandter, ein Lebenspartner noch ein Ehegatte des Erblassers vorhanden, so ist der Fiskus des Bundeslandes, dem der Erblasser zur Zeit des Todes angehört hat, gesetzlicher Erbe. ...
[30] Siegfried. Zweiter Aufzug. Zweite Szene.
[31] Götterdämmerung. Vorspiel.
[32] Götterdämmerung. Dritter Aufzug. Dritte Szene.
Lábjegyzetek:
[1] Universität des Saarlandes, Saarbrücken, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsphilosophie
Visszaugrás