https://doi.org/10.56749/annales.elteajk.2020.lix.1.5
Insolvency law organizes in a specific way the equal treatment of creditors. That often collides with the public law or, more specific, several parts of the public law, so as social law, environmental law or tax law. When the state or its parts claimed money from the debtor, they often get a better position than other creditors. If a public actor has preferential rights, private creditors get less money during the insolvency proceedings. But it is not the role of the state, which can legitimize a privilege. The whole assets have to be distributed in equal parts, no matter what origin the outstanding debits are. The better way is to trust in the insolvency law and the equal treatment.
Keywords: insolvency law, conflict, public law, social law, environmental law, tax law
Die Privatautonomie mit ihrer Ausprägung der Verfügungsbefugnis eröffnet dem Rechtssubjekt die freie rechtliche Vermögensherrschaft. Die einzelnen Gläubiger werden in dieser Situation nach der Entscheidung des Schuldners und ihrer Reihenfolge berechtigt. Diese Ordnungsgrundsätze sind durch die Bevorrechtigung einzelner Gläubiger aus Schuldnerhandlungen in §§ 879 I 1, 1209 BGB und aus Einzelzwangsvollstreckungen durch § 804 III ZPO zum Prioritätsprinzip verfestigt. Danach geht ein früher begründetes Recht einem späteren Recht vor.
Wenn das Vermögen nicht mehr zur Befriedigung sämtlicher Gläubiger ausreicht, also in der Insolvenz, verliert die Bevorrechtigung einzelner Gläubiger ihre legitimierende Wirkung. Eine Befriedigung aufgrund von Schuldnerhandlungen kann unter
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den Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung rückgängig gemacht werden. In dieser Situation erscheint es zudem als ungerecht, den zufälligen Zeitpunkt einer Pfändung über eine vorrangige und möglicherweise vollständige Befriedigung des ersten Gläubigers entscheiden zu lassen und einen Ausfall anderer Gläubiger mit ihren Forderungen in Kauf zu nehmen.[1] In der Insolvenz tritt deswegen die gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung für die bei Insolvenzeröffnung begründeten Insolvenzforderungen aus § 38 InsO an die Stelle der individuellen Rechtsdurchsetzung.
Ob eine Verbindlichkeit als Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO anzusehen ist, hängt aus insolvenzrechtlicher Perspektive davon ab, wann die Forderung entstanden ist.[2] Dazu muss der Rechtsgrund für das Entstehen der Forderung bereits bei Verfahrenseröffnung gelegt, also der anspruchsbegründende Tatbestand vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen sein.[3]
Dennoch werden in der Insolvenz nicht sämtliche Gläubiger gleich behandelt. Um eine ordnungsgemäße Durchführung des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen, müssen bestimmte Verpflichtungen, die Masseverbindlichkeiten, in vollem Umfang vorweg aus der Masse befriedigt werden, § 53 InsO.[4] Dies gilt für die Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO, sowie die zur Verwaltung und Verwertung der Masse abgeschlossenen Rechtsgeschäfte. Erfasst werden etwa die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten oder aus gegenseitigen Verträgen resultierenden Verbindlichkeiten, deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird, § 55 I InsO.
Als Querschnittsmaterie berührt das Insolvenzrecht zahlreiche Rechtsgebiete. Dabei kollidieren die insolvenzrechtlichen Konzeptionen immer wieder mit den Denkmustern und Regeln anderer Rechtsbereiche. Vor allem die Grenzziehung zwischen den regelmäßig nur mit einer Quote zu berichtigenden Insolvenzforderungen und den vorrangig und grundsätzlich vollständig zu befriedigenden Masseforderungen steht immer wieder zu Diskussion. Dies gilt insbesondere dann, wenn die zu befriedigende Forderung öffentlich-rechtlicher Natur ist und deswegen der Rechtsprechung anderer Fachgerichte und nicht der für das Insolvenzrecht zuständigen Zivilgerichtsbarkeit unterliegen.
Nur scheinbar handelt es sich dabei um Bruchlinien und Verwerfungskanten an den Außenrändern des Insolvenzrechts. Vielmehr werden häufig die
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insolvenzrechtlichen Prinzipien im Spektrum gerade der öffentlich-rechtlichen Diskurse nicht oder nur unzureichend gewürdigt. Beispiele aus den drei auf das Verwaltungshandeln bezogenen Gerichtsbarkeiten der Sozialgerichte, der Verwaltungsgerichte und der Finanzgerichte belegen diesen schwierigen Umgang mit dem Insolvenzrecht.
Das Exempel aus dem Sozialrecht betrifft die Aufrechnung bzw. Verrechnung von Forderungen eines Sozialleistungsträgers mit Ansprüchen des (früheren) Insolvenzschuldners. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit durch ein Insolvenzverfahren und eine anschließend erteilte Restschuldbefreiung die Aufrechnungs- bzw. Verrechnungsmöglichkeit eines Sozialleistungsträgers abgeschnitten wird. Hierzu liegen mehrere gegensätzliche Entscheidungen von Landessozialgerichten, aber noch keine höchstrichterliche Entscheidung vor.
Materiell dient die Aufrechnung mit ihrer Vollstreckungsfunktion einer Befriedigung des Gläubigers. Deswegen muss das Insolvenzrecht beantworten, wann eine Privilegierung des Gläubigers durch Befriedigung über die Quote hinaus durch eine Aufrechnung möglich ist.[5] Als Anknüpfungszeitpunkt stellen dafür die §§ 94 ff. InsO auf das Entstehen der Aufrechnungslage ab. Dadurch wird das Vertrauen in eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Aufrechnungslage geschützt.
Sozialrechtlich kann nach § 51 I SGB der zuständige Leistungsträger mit eigenen Ansprüchen gegen pfändbare Ansprüche des Berechtigten auf Geldleistungen aufrechnen, wie dies den zivilrechtlichen Grundsätzen aus §§ 387, 394 BGB entspricht. Als eine sozialrechtliche Besonderheit können bei Ansprüchen auf Erstattung von zu Unrecht erbrachten Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen die Sozialleistungsträger den Pfändungsfreibetrag von derzeit mindestens 1.252,64 € netto mtl. unterschreiten. Leistungsträger dürfen in diesen Fällen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zur Hälfte aufrechnen, es sei denn für den Leistungsberechtigten tritt dadurch eine Hilfebedürftigkeit ein, § 51 II SGB I. Die Hilfebedürftigkeit ist individuell zu bestimmen und liegt bei einem Betrag zwischen ca. 750,- und 950,- €.
Als weitere sozialrechtliche Besonderheit lässt § 52 I SGB I eine Verrechnung zu. Dabei handelt es sich um eine Aufrechnung, bei der das Gegenseitigkeitserfordernis entfällt. Der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger kann danach mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den
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Sozialleistungsberechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung in den Grenzen der Aufrechnung verrechnen. Ausdrücklich ist eine Verrechnung unter dem Insolvenzrechtsregime nicht vorgesehen. Der BGH hat aber in seiner Entscheidung vom 29.5.2008 eine entsprechende Anwendung der Aufrechnungsbestimmungen auf die Verrechnung zugelassen.[6] Damit wird auch für den Verrechnenden eine entsprechende Anwendung der Vertrauensschutzbestimmungen aus §§ 94 ff. InsO ermöglicht.
Das Verfahren betraf die Aufrechnungsbefugnis in den unpfändbaren Teil von Sozialleistungsansprüchen trotz Restschuldbefreiung. Der Kläger bezog Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 9.9.2009 machte die Beklagte Erstattungsansprüche wegen zu Unrecht gezahlter Leistungen und Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung geltend. Am 15.9.2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet, dem am 14.11.2016 Restschuldbefreiung erteilt wurde. Das Landessozialgericht erklärte die Aufrechnung nach Erteilung der Restschuldbefreiung für unzulässig.
Das LSG Nordrhein-Westfalen lehnt eine Aufrechnung (nach § 43 SGB II) ab, weil bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Aufrechnungslage bestanden habe. Einerseits wäre die Hauptforderung des Leistungsempfängers unpfändbar gewesen und deswegen nicht in die Insolvenzmasse gefallen. Da die unpfändbare Forderung nicht Bestandteil der Insolvenzmasse gewesen sei, könne auch keine Aufrechnungslage nach § 94 InsO fortbestehen. Andererseits sei die Gegenforderung der Beklagten aufgrund der eingetretenen aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Klage gegen den Erstattungsbescheid nicht fällig gewesen. Schließlich fehle es auch an der Durchsetzbarkeit der Gegenforderung, und damit auch deswegen an einer Aufrechnungslage. Daher könne nicht aufgerechnet werden.
In einem vergleichbaren Fall gelangte das LSG Bayern nur wenige Tage später zum gegenteiligen Ergebnis. Seit dem 1.2.2007 erhielt der Kläger von der Beklagten eine Altersrente. Wegen Beitragsschulden über ca. 56.000,- € erfolgte bereits am 8.10.2003 ein erstes Verrechnungsersuchen gegenüber der Beklagten. Am 23.12.2003 wurde das
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Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet und ihm am 22.3.2010 die Restschuldbefreiung erteilt. Die mit Bescheid vom 28.5.2014 vorgenommene Verrechnung in den unpfändbaren Teil der Altersrente erklärte das LSG Bayern auch nach einer Restschuldbefreiung für zulässig.
Das Gericht stützte seine Entscheidung auf zwei tragende Argumente. Einerseits bestünde eine bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens existierende Aufrechnungslage nach § 94 InsO fort. Wenn sogar während des Insolvenzverfahrens aufgerechnet werden könnte, müsste dies auch nach Erteilung der Restschuldbefreiung möglich sein. Andererseits könnten unvollkommene Verbindlichkeiten in den unpfändbaren Teil von Sozialleistungsansprüchen verrechnet werden, weil unpfändbare Teile der Ansprüche auf laufende Rentenleistungen nicht Bestandteil des Insolvenzverfahrens gewesen seien. Diese letztgenannte Überlegung ist allerdings unzutreffend, weil die laufenden Rentenleistungen nach dem Ende des Insolvenzverfahrens infrage standen. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung hat das BSG als unzulässig verworfen.[9]
Eine Aufrechnung setzt eine durchsetzbare Gegenforderung voraus. Mit Erteilung der Restschuldbefreiung werden die Insolvenzforderungen in unvollkommene Verbindlichkeiten umgewandelt, § 301 I 1 InsO. Mit diesen können die Insolvenzgläubiger grundsätzlich nicht mehr aufrechnen, weil diese Gegenforderung nach den bürgerlichrechtlichen Regeln gem. § 387 BGB vollwirksam und durchsetzbar sein muss.[10]
Zentral für die Zulässigkeit der Aufrechnung - und entsprechend der Verrechnung - ist der in den §§ 94, 95 InsO angelegte Vertrauensschutz. Hat danach die Aufrechnungslage bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden, berührt das Verfahren gem. § 94 InsO die erworbene Aufrechnungsbefugnis nicht. Die anfänglich bestehende Aufrechnungslage wird insolvenzrechtlich geschützt. Fraglich ist, wie umfassend die Reichweite dieser insolvenzrechtlichen Privilegierung ausgestaltet ist. Zu entscheiden ist, ob sie lediglich während des insolvenzrechtlichen Verfahrens oder auch anschließend wirkt. Wenn § 94 InsO eine übergreifende Rechtsfolge begründet, dann ist der aufrechnende Gläubiger auch gegenüber einer Umwandlung seiner Forderung in eine unvollkommene Verbindlichkeit geschützt.
Die gesetzliche Formulierung des § 94 InsO lässt sich dahingehend auslegen, dass die Aufrechnungslage von den Verfahrenswirkungen unberührt bleibt, also weder durch das Insolvenz- noch durch das Restschuldbefreiungsverfahren einschließlich
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seiner Folgen aufgehoben wird.[11] Bestätigt wird diese Konsequenz durch die Rechtsprechung des BGH, wonach ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehendes Aufrechnungsrecht auch dann erhalten bleibt, wenn die aufgerechnete Gegenforderung nach einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan als erlassen gilt.[12]
Endgültig geklärt ist die Aufrechnungsbefugnis durch die Zivilgerichte aber noch nicht. Infolgedessen wirken sich die bestehenden Unsicherheiten auf die Auf- und Verrechnungsmöglichkeiten von Sozialleistungsträgern aus. Sobald eine finale insolvenzrechtliche Klärung erfolgt ist, wird sie von der Sozialgerichtsbarkeit zu rezipieren sein. Entsprechend wird eine der genannten Entscheidungen der Landessozialgerichte nicht weiter zu vertreten sein.
Nicht selten müssen im Insolvenzverfahren die umweltrechtlichen Konsequenzen aus der früheren Betriebsführung eines Schuldners aufgearbeitet werden. Zu denken ist etwa an zu entsorgende Abfälle, kontaminierte Böden oder zu sanierende oder abzureißende Gebäude.[13] In den beschriebenen Situationen stoßen mit dem Umwelt- und Insolvenzrecht zwei kollidierende rechtliche Ordnungssysteme aufeinander.
Die abstrakt anmutende Auseinandersetzung über eine mögliche Prärogative von Ordnungs- oder Insolvenzrecht besitzt einen sehr konkreten Hintergrund, den Streit ums Geld. Letztlich geht es um die Entscheidung, ob die gerade in der wirtschaftlichen Krise knappen finanziellen Ressourcen einem prioritären ordnungs- bzw. umweltrechtlichen Zugriff unterliegen, also letztlich einem Gläubiger dienen, oder nach insolvenzrechtlichen Maßstäben gleichmäßig auf alle Gläubiger verteilt werden müssen.
Aufgrund der ordnungsrechtlichen Anforderungen müssen die von Altlasten ausgehenden Gefahren und damit die Störungen der öffentlichen Sicherheit beseitigt werden. Es entspricht der verwaltungsrechtlichen Rationalität, die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit dem Störer als der dafür verantwortlichen Person aufzuerlegen. Soweit es sich um die Folgen der (vormaligen) betrieblichen Tätigkeit handelt, erscheint es als folgerichtige Konsequenz, die Kosten der Altlastensanierung gegenüber
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dem Schuldner bzw. dem Insolvenzverwalter geltend zu machen. Eine Antwort darauf, ob mit der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit auch eine insolvenzrechtliche Vorrangposition einhergeht, ist damit allerdings noch nicht verbunden.
Der 7. Senat des BVerwG formuliert zum Verhältnis zwischen Umwelt- und Insolvenzrecht, das Insolvenzrecht beschränke das Ordnungsrecht ebenso wenig, wie umgekehrt das Ordnungsrecht das Insolvenzrecht.[14] Nach der Auffassung des BVerwG[15] und ihm folgend einiger Stimmen in der Literatur[16] regelt das Ordnungsrecht, unter welchen Voraussetzungen eine Störung der öffentlichen Sicherheit (Gefahr) vorliegt, wie dieser Störung zu begegnen ist und wer dafür in Anspruch genommen werden kann. Dies gelte etwa für die Frage, ob bereits die Inbesitznahme einer Anlage eine Ordnungspflicht auslöse oder die Pflichtigkeit erst aus einem in der Vergangenheit liegenden Verhalten resultiere.[17]
Das Insolvenzrecht bestimmt nach dieser Ansicht nur, wie die Ordnungspflichten im Insolvenzverfahren zu bewerten sind. Dies gelte insbesondere für die Frage, ob die aus einer Ordnungspflicht resultierenden Kosten eine Masseverbindlichkeit begründen oder lediglich zu einer Insolvenzforderung führen.[18]
Gerade die Aussage, das Ordnungsrecht gebe vor, wer für die Erfüllung einer Ordnungspflicht in Anspruch genommen werden könne, weist bei näherer Betrachtung gravierende Defizite aus. Die Entscheidung darüber, wer in der Insolvenz des Schuldners für eine Verbindlichkeit einzustehen hat, gehört zu den fundamentalen Konsequenzen eines Insolvenzverfahrens. Insoweit fehlt eine nachvollziehbare Legitimation, warum vom Ordnungsrecht diese Entscheidung getroffen werden darf. Zu klären sind die daraus resultierenden Konsequenzen für die Kennzeichnung als Störer, den Adressaten der Beseitigungsverfügung sowie die Kostenfolgen.
Störer sind die Personen, gegen die sich eine ordnungsrechtliche Anordnung richten kann. Handlungsstörer verursachen dabei durch aktives Tun bzw. pflichtwidriges Unterlassen eine Gefahr und Zustandsstörer sind für eine Sache verantwortlich, von der
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eine Gefahr oder Beeinträchtigung ausgeht.[19] Auf das Insolvenzrecht gewendet, ist zu entscheiden, ob der Insolvenzverwalter als Störer anzusehen ist, weil bereits die Inbesitznahme der Masse durch den Insolvenzverwalter eine Ordnungspflicht des Insolvenzverwalters für die von der Masse ausgehenden Störungen begründet.[20]
Einerseits muss der Insolvenzverwalter nach § 148 InsO das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen sofort in Besitz und Verwaltung nehmen. Andererseits knüpfen einige umweltrechtliche Sachnormen, wie § 4 III 1 BBodSchG und § 7 II 1 i.V.m. § 3 IX KrWG[21] die Ordnungspflicht bereits an die tatsächliche Sachherrschaft an.
Wird insofern auf die ordnungsrechtlichen Vorschriften abgestellt, wäre die Folge ein vom Insolvenzverwalter nicht zu beeinflussender Verantwortungsautomatismus. Die auf die Sachherrschaft abstellende Ordnungspflicht träfe in jedem Fall den Verwalter. In der Konsequenz müsste der Insolvenzverwalter die aus diesen Ordnungspflichten resultierenden Kosten als Masseverbindlichkeiten erfüllen. Damit besäßen derartige Verbindlichkeiten einen exegetisch über die Zuweisung der Ordnungspflicht begründeten Vorrang, der nach der Systematik der Insolvenzordnung gerade nicht mehr vorgesehen ist.[22]
Zwingend ist dieses verwaltungsrechtlich geprägte Verständnis allerdings nicht.[23] In der Konzeption des BVerwG wird der Insolvenzverwalter wie ein neuer Rechtsträger behandelt, der mit der Inbesitznahme der Masse zu einem neuen Zustandsstörer werde. Demgegenüber ist zu betonen, dass der Insolvenzverwalter nicht als neues Rechtssubjekt agiert, dem eine Zustandsstörung zugeschrieben werden kann. Vielmehr tritt er lediglich als Amtswalter des Schuldners auf, in dessen Person der Störungstatbestand verwirklicht ist. Folgerichtig bleiben danach die vor der Insolvenzeröffnung begründeten Ansprüche mit der gegenüber dem Schuldner geltenden Qualität bestehen.[24] Eine weitergehende Haftung muss dagegen an eine durch eigene Handlungen begründete zusätzliche Verantwortung anknüpfen.
Einer derartigen sowohl systematisch als auch funktional geprägten Auslegung ist zuzustimmen. Es bleibt im Grundsatz bei der vom BVerwG vertretenen ordnungsrechtlichen Anknüpfung für die Voraussetzungen einer Störung der öffentlichen Sicherheit und der insolvenzrechtlichen Qualifikation der Forderungen. Im Unterschied zur bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung[25] muss aber die Stellung des
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Insolvenzverwalters als originär insolvenzrechtlichen Amtsträger insolvenzrechtlich interpretiert werden.
Sachlich führt diese Position zu einer Differenzierung bei der Entscheidung, wer für eine Störung in Anspruch genommen werden kann. Die Störereigenschaft ist nach dem öffentlichen Sachrecht zu bestimmen. Die weitergehende Überlegung, welcher Anspruch daraus resultiert, unterliegt dagegen den insolvenzrechtlichen Kategorien. Dies weicht allerdings von der vom BVerwG vorgenommenen einengenden Gebietszuweisung für das Insolvenzrecht allein zur Bewertung der Ordnungspflichten ab.
Als Vorfrage der Kostenerstattung ist zu beantworten, gegen wen eine Beseitigungsverfügung zu richten ist. Ganz unproblematisch ist eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergangene, gegen den Schuldner gerichtete Beseitigungsverfügung. Soweit der Schuldner den Ordnungspflichten nicht entsprochen hat und eine Ersatzvornahme seitens der Ordnungsbehörde erfolgt ist, sind die dabei entstandenen Kosten nach den allgemeinen insolvenzrechtlichen Kriterien zu berichtigen, also als Insolvenzforderung.
Schwieriger verhält es sich mit einer Beseitigungsverfügung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Einer solchen Beseitigungsverfügung steht nicht schon das Vollstreckungsverbot aus § 89 InsO entgegen.[26] Mit einer solchen Verfügung wird eine öffentlich-rechtliche Ordnungspflicht und kein Vermögensanspruch geltend gemacht. Erst die Vollstreckung von Kosten aus einer Ersatzvornahme könnte dann durch das Vollstreckungsverbot verhindert sein.
Eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergangene Beseitigungsverfügung ist an den Insolvenzverwalter zu richten.[27] Dies gilt auch, wenn der ordnungswidrige Zustand bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten ist. Der Schuldner kann in diesem Fall nicht der richtige Adressat einer Ordnungsverfügung sein, da ihm gemäß § 80 InsO das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Massegegenstände entzogen ist. Deswegen könnte er einer Ordnungspflicht nicht mehr nachkommen.[28]
Ganz unproblematisch ist der Insolvenzverwalter der richtige Adressat, wenn der ordnungswidrige Zustand auf einer Handlung des Insolvenzverwalters beruht. Sollte eine Ersatzvornahme erfolgen, ist der Anspruch auf Zahlung der dabei entstandenen
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Kosten unabhängig von der Qualifizierung der Ordnungspflicht zu behandeln.[29] Vielmehr sind diese Kosten nach den insolvenzrechtlichen Maßstäben zu befriedigen.
Die Werthaltigkeit eines Kostenerstattungsanspruchs für die Ersatzvornahme zur Beseitigung einer Störung wird entscheidend von der Qualifikation der Forderung als Masseverbindlichkeit geprägt. Als Verhaltensstörer ist der Insolvenzverwalter für die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch eine Betriebsfortführung eingetretenen Störungen verantwortlich. Dies gilt auch, wenn er ein Grundstück nach Insolvenzeröffnung nicht hinreichend dagegen gesichert hat, dass Dritte Abfall darauf ablagern. Unstreitig werden in diesen Fällen Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 I Nr. 1 InsO begründet.[30] Persönlich haftet der Insolvenzverwalter, wenn er die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt, § 60 I 1 InsO.
Ist umgekehrt bereits vor Insolvenzeröffnung die Störung eingetreten und aufgrund einer gegen den Schuldner ergangenen Ordnungsverfügung die Ersatzvornahme erfolgt, sind die daraus resultierenden Kosten lediglich als Insolvenzforderung geltend zu machen.[31] Auch dies wird nicht in Zweifel gezogen.
Kontrovers behandelt werden dagegen die Fälle, in denen die Gefahr vor Insolvenzeröffnung bestand, die Beseitigungsverfügung aber erst nach der Insolvenzeröffnung gegen den Verwalter ergangen ist. Das BVerwG und die ihm folgende Literatur stellen darauf ab, ob eine ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters bestehe. Nach der Rechtsprechung des BVerwG bestimmt das einschlägige Ordnungsrecht, wann eine Ordnungspflicht für die von der Masse ausgehenden Störungen der öffentlichen Sicherheit begründet wird. Hierfür knüpft das Gericht an die Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Ordnungsrechts an.
Die §§ 5, 22 BImSchG verweisen auf die Stellung als Betreiber der Anlage, weswegen eine Inbesitznahme wohl nicht genügen soll.[32] Der Insolvenzverwalter müsse insoweit als Verhaltensstörer die Emissionen zumindest mit verursacht haben. Dies könne durch positives Tun oder durch Unterlassen einer gebotenen Gefahr abweh-
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renden Handlung geschehen.[33] Bei dieser ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters für eigenes Handeln oder Unterlassen bestehen keine substanziellen Kollisionspunkte des Ordnungsrechts mit dem Insolvenzrecht. Die Ordnungspflichten fügen sich in die insolvenzrechtliche Systematik ein.
Wie erwähnt, stellen etwa § 4 III 1 BBodSchG und § 7 II 1 i.V.m. § 3 IX KrWG[34] auf die tatsächliche Sachherrschaft ab. Danach wird der Insolvenzverwalter bereits mit der Inbesitznahme der Masse ordnungspflichtig. Nach Ansicht des BVerwG hängt die Stellung als Störer von den tatbestandlichen Voraussetzungen des jeweiligen Ordnungsrechts ab und kann bereits durch die tatsächliche Sachherrschaft begründet sein.[35] In der Konsequenz sei die Pflicht als Masseverbindlichkeit zu erfüllen.[36]
Die aus der Inbesitznahme der Masse resultierende umfassende Zustandsverantwortlichkeit des Insolvenzverwalters in diesen Konstellationen führt zu dem zentralen Konfliktfeld zwischen dem Verwaltungs- und dem Insolvenzrecht. Nach der hier entwickelten Position ist die Kategorie des Störers abhängig von den fortgeltenden ordnungsrechtlichen Pflichten zu bestimmen. Damit ist freilich noch keine Aussage über die daraus resultierende Qualität der insbesondere für eine Ersatzvornahme entstandenen Kosten verbunden. Dies folgt insolvenzrechtlichen Überlegungen.
Selbst wenn der Insolvenzverwalter ordnungsrechtlich als Störer anzusehen sein mag, überzeugt die daraus abgeleitete Rechtsfolge für die Qualifikation der Forderung insolvenzrechtlich nicht. Nach der Rechtsprechung des BGH dient die Besitzergreifung an dem Massegegenstand lediglich seiner Sicherstellung. Diese alleine begründe noch keine Masseverbindlichkeit.[37] Erst wenn der Verwalter die Sache zugunsten der Masse nutzt oder verwertet, womit er noch nicht zum Handlungsstörer werden muss, werden Masseverbindlichkeiten begründet.[38]
Dieses überzeugende Resultat folgt aus den zwingenden Vorschriften[39] über die Masseverbindlichkeiten. Masseverbindlichkeiten werden nach § 55 I Nr. 1 Alt. 1 InsO entweder durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder durch die Verwaltung der Insolvenzmasse begründet. Handlungen bezeichnen sowohl ein positives Tun als auch ein pflichtwidriges Unterlassen. Die reine Inbesitznahme der Insolvenzmasse nach § 148 InsO kann damit nicht gleichgestellt werden. Sonst träte eine schrankenlose Begründung von Masseverbindlichkeiten ein und die weiteren Kriterien aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO wären überflüssig.
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Damit besteht ein substanzieller Konflikt einerseits zwischen der verwaltungsrechtlichen und andererseits der zivilrechtlichen Judikatur sowie der hier vertretenen Ansicht. Diese Kontroverse ist bislang nicht endgültig ausgetragen. Dies mag allerdings auch daran liegen, dass dem Insolvenzverwalter eine Option eröffnet ist, durch die er die Masse von den Verbindlichkeiten entlasten kann.
Der Insolvenzverwalter ist prinzipiell berechtigt, Gegenstände aus der Insolvenzmasse freizugeben.[40] Diese Freigabe wird in § 32 III 1 InsO vorausgesetzt. Auch § 35 III 2 InsO spricht jetzt von einer Freigabe. Bei der sog. echten Freigabe wird ein Gegenstand durch die Erklärung des Verwalters aus dem Insolvenzbeschlag gelöst. Zugleich erhält der Schuldner seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über diesen Gegenstand zurück.[41] Eine Freigabe ist insbesondere bei wertlosen Massegegenständen zu erwägen oder, wenn diese Kosten verursachen, die den zu erwartenden Veräußerungserlös möglicherweise übersteigen.[42]
Durch eine Freigabe der belasteten Gegenstände, also insbesondere von Grundstücken, kann sich der Insolvenzverwalter auch von den öffentlich-rechtlichen Pflichten befreien.[43] Dies wird bei einer Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters als Zustandsstörer zugelassen und bei einem als Verhaltensstörer Ordnungspflichtigen abgelehnt.[44] Im Einzelfall können dem allerdings umweltrechtliche Sondervorschriften entgegenstehen, wie landesrechtliche Abfallgesetze.[45] In der Konsequenz kann der Insolvenzverwalter, jedenfalls bei den kritischen Fällen einer an die Sachherrschaft anknüpfenden Störerstellung, die Masse vor etwaigen Masseverbindlichkeiten schützen.
Letztlich handelt es sich dabei um eine insolvenzrechtliche Ausweichstrategie gegenüber der nicht systemkonformen verwaltungsgerichtlichen Judikatur. Sie schützt die Masse, erleichtert aber nicht die Durchführung der ordnungsrechtlichen Maßnahmen. Sachgerechter wäre es, hier eine konsequente Anknüpfung bei der Qualifikation als Masseverbindlichkeit zu erreichen.
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Die Einordnung einer Steuerverbindlichkeit als Insolvenz- oder Masseforderung führt zu gravierenden Konsequenzen. Als Insolvenzforderungen können auch Steuerverbindlichkeiten von den Wirkungen eines Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens erfasst sein. Nach Erteilung der Restschuldbefreiung können sie nicht mehr durchgesetzt werden. Als Masseforderungen sind sie vorrangig zu berichtigen und sie werden nicht von einer Restschuldbefreiung betroffen.
Soweit Masseverbindlichkeiten allgemein durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet sind, nehmen der BGH[46] und die ganz überwiegende Literatur[47] eine wesentliche Einschränkung vor. Verpflichteter der durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters nach Verfahrenseröffnung begründeten Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 I Nr. 1 Alt. 1 InsO ist der Insolvenzschuldner. Seine Haftung ist jedoch während des Verfahrens auf die Gegenstände der Insolvenzmasse beschränkt, die der Insolvenzverwalter freigegeben oder nach Beendigung des Insolvenzverfahrens zurückgegeben hat. Weil die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Insolvenzverwalters auf die Insolvenzmasse beschränkt ist, kann der Verwalter den Schuldner nicht persönlich mit dem insolvenzfreien Vermögen verpflichten.[48]
Steuerrechtlich bestehen bei der Qualifikation deutliche Eigenheiten bzw. Abweichungen. Für die Einordnung steuerrechtlicher Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeit ist nach der Rechtsprechung des BFH entscheidend, wann der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt wurde. Der Rechtsgrund für einen (abstrakten) Steueranspruch ist danach gelegt, wenn der gesetzliche Besteuerungstatbestand verwirklicht wird. Ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit insolvenzrechtlich begründet ist, richtet sich laut BFH auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen.[49] Im Detail führt die steuerrechtliche Anknüpfung des Entstehenszeitpunkts zu zahlreichen Grenzverschiebungen gegenüber dem insolvenzrechtlichen Verständnis.[50]
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Bezogen auf die Einkommensteuer kommt es für die insolvenzrechtliche Begründung der Steuerforderung darauf an, ob der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde.[51] Entscheidend ist nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung bei der Einkommensteuer (auch) die Art der Gewinnermittlung. Wird der Gewinn durch eine Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 III EStG ermittelt, gilt das Zuflussprinzip des § 11 I 1 EStG. Danach ist der Tatbestand für die Einkommensbesteuerung erst vollständig verwirklicht, wenn die Einnahmen bezogen sind, also dem Steuerpflichtigen zufließen.
Bei einer den Maßstäben des Zuflussprinzip unterliegenden Einnahme-Überschussrechnung entscheidet der Abschluss eines Rechtsgeschäfts vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht über die insolvenzrechtliche Qualifikation einer Steuerforderung als Insolvenzforderung oder als Masseverbindlichkeit. Bei Vereinnahmung der Gegenleistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Besteuerungstatbestand grundsätzlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig verwirklicht und damit eine Masseverbindlichkeit begründet.[52]
Wird nach Insolvenzeröffnung auf der Ebene der Gesellschaft eine Rückstellung aufgelöst und deswegen einen Gewinn erzielt, sind bei der Besteuerung aufgrund einer Einnahme-Überschussrechnung die daraus resultierenden Einkommensteuerschulden Masseverbindlichkeiten.[53] Gleiches gilt bei einer Insolvenzanfechtung. Die aufgrund dessen an die Masse zurück geflossenen Beträge sind ebenfalls als Masseverbindlichkeiten anzusehen.[54]
Wird der Gewinn hingegen durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 I EStG ermittelt, gilt das Zuflussprinzip nach § 11 I 5 EStG nicht. Stattdessen ist das Realisationsprinzip nach § 252 I Nr. 4 HS 2 HGB zu beachten.[55]
Als Masseverbindlichkeiten entstandene Steuerschulden können aufgrund der Rechtsprechung des BFH nach Abschluss des Insolvenzverfahrens mit Erstattungsansprüchen des ehemaligen Insolvenzschuldners verrechnet werden. Reicht die Masse nicht zur Befriedigung der Steuerforderungen als Masseverbindlichkeiten aus oder berichtigt der Insolvenzverwalter (pflichtwidrig) diese Forderung nicht, muss der Schuldner
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haften, obwohl er persönlich keinen Einfluss auf die Entstehung des Besteuerungstatbestands genommen hat.
Nach Ansicht des BFH könne die einschränkende Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten bei Einkommensteuerschulden nicht gelten, weil deren Entstehung nur mittelbar durch Handlungen des Insolvenzverwalters beeinflusst werde. Insofern fehle es an einem zurechenbaren Handlungsbeitrag des Insolvenzverwalters.[56] In der Konsequenz dieser Judikatur sind die im Insolvenzverfahren aufgrund einer Einnahme-Überschussrechnung entstehenden Steuerforderungen häufig als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren.
Jedenfalls diesen Konsequenzen der Rechtsprechung des BFH zur Nachhaftung des Schuldners für Masseverbindlichkeiten kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn die Steuerforderung aus gesetzlichen Tatbeständen folgt, beruht der maßgebende Sachverhalt typischerweise auf Handlungen des Insolvenzverwalters. Dies gilt etwa für die Auflösung von Rückstellungen, die Verwertung eines Massegegenstands oder die Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen. Folgerichtig muss der Steueranspruch den Handlungen des Verwalters zugerechnet werden.
Überhaupt kann der Schuldner die Handlungen des Insolvenzverwalters nicht beeinflussen. Es ist nicht berechtigt, den Schuldner für solche von ihm nicht zu steuernden Effekte nach Erteilung der Restschuldbefreiung haften zu lassen.
Der Befund zum Konkurrenzverhältnis zwischen Insolvenzrecht und öffentlichem Recht fällt über die verschiedenen Rechtsgebiete hinweg durchaus ernüchternd aus. Noch am einfachsten liegt die Situation bei der Aufrechnungsbefugnis nach Erteilung der Restschuldbefreiung. Hier sind die Schwankungen der fachgerichtlichen Judikatur erklärbar, weil die insolvenzrechtliche Klärung noch abzuwarten ist.
Als belastender erweisen sich die bewussten Abweichungen von den insolvenzrechtlichen Prinzipien im Ordnungs- und Steuerrecht. Diese Divergenzen dienen letztlich dazu, Forderungen der öffentlichen Hand zu Masseverbindlichkeiten aufzuwerten. Damit werden außergesetzlich neue Fiskalvorrechte geschaffen. Diese Konsequenzen sind schon deswegen bedenklich, weil die Insolvenzordnung mit der Zielsetzung erlassen worden ist, Vorrechte abzubauen.
Damit wird auch nicht ein Vorrang des Insolvenzrechts proklamiert, dem das öffentliche Recht mit seinem eigenen Geltungsanspruch entgegentreten kann. Vielmehr wird die Konsequenz aus der im Insolvenzverfahren nicht mehr zur Befriedigung sämtlicher Verbindlichkeiten reichenden Masse gezogen. Eine Begünstigung der
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Fiskalforderungen muss automatisch mit einer Zurücksetzung anderer Verbindlichkeiten einhergehen. Dies ist indessen nicht berechtigt, weil die Forderungen der öffentlichen Hand keinen allgemeinen Vorrang genießen. ■
ANMERKUNGEN
[1] AGR/Ahrens, 3. Aufl., § 1 Rn. 28 (dort weitere Belege).
[2] BGH NZI 2011, 953 Rn. 3; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl., § 38 Rn. 21; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 38 Rn. 26.
[3] BGH NZI 2011, 953 Rn. 3; MüKoInsO/Ehricke/Behme, 4. Aufl., § 38 Rn. 21; HK-InsO/Ries, 9. Aufl., § 38 Rn. 27; Nerlich/Römermann/Andra, InsO, 43. EL., § 38 Rn. 13; KK-InsO/Hess, 2016, § 38 Rn. 9.
[4] MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 53 Rn. 1.
[5] Jaeger/Windel, InsO, 2007, § 94 Rn. 1.
[6] BGH NZI 2008, 479 Rn. 13 f.
[7] LSG Nordrhein-Westfalen ZInsO 2018, 1280.
[8] LSG Bayern NZI 2018, 495.
[9] BSG vom 13.8.2018, B 13 R 123/18 B.
[10] BGH NJW 1981, 1897; NZI 2011, 538 Rn. 8, zum Insolvenzplan; OLG Frankfurt NJW 1967, 501, 502] HambK-InsO/Streck 7. Aufl., § 301 Rn. 10; Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl., § 12 IV 1a.
[11] K. Schmidt/Thole, 19. Aufl., § 94 Rn. 18; BeckOK InsO/Liefke, 24. Ed., § 94 Rn. 58; Fischinger, Haftungsbeschränkung, S. 134; a.A. MüKoInsO/Lohmann/Reichelt, 4. Aufl., § 94 Rn. 10; MüKoInsO/Stephan, 4 Aufl., § 294 Rn. 82; Uhlenbruck/Sinz, 15. Aufl., § 94 Rn. 82; HambK/Streck, 7. Aufl., § 294 Rn. 16.
[12] BGH NZI 2011, 538 Rn. 9 ff.
[13] MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rn. 88.
[14] BVerwG NZI 2005, 51, 52.
[15] BVerwG NZI 2005, 51, 52.
[16] MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rn. 88; HambK/Jarchow 7. Aufl., § 55 Rn. 72 f.; KK/Röpke, 2016, § 55 Rn. 53; s.a. Depre/Kothe, in Beck/Depre, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., § 36 Rn. 61.
[17] BVerwG NZI 2005, 51, 52; Jaeger/Henckel, InsO, 2004, § 38 Rn. 26.
[18] BVerwG NZI 2005, 51, 52; Jaeger/Henckel, InsO, 2004, § 38 Rn. 26.
[19] Kubitza, in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL., § 100 WHG Rn. 33.
[20] BVerwG NZI 2005, 51, 52.
[21] Nach der früheren Rechtslage §§ 11 I i.V.m. § 3 VI KrW/AbfG, BVerwG NZI 2005, 55, 56.
[22] Kübler/Prütting/Pape/Schaltke, InsO, 89. EL., § 55 Rn. 129; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 15. Aufl., § 55 Rn. 31.
[23] Vgl. auch Jaeger/Windel, InsO, 2007, § 80 Rn. 121.
[24] Mohrbutter/Ringstmeier/VOigt-Salus, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kap. 32 Rn. 95; kritisch aus anderer Perspektive Jaeger/Windel, InsO, 2007, § 80 Rn. 121.
[25] Kritisch dazu BGHZ 148, 252, 259 f.
[26] Jaeger/Henckel, InsO, 2004, § 38 Rn. 26; Depré/Kothe, in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., § 36 Rn. 55; a.A. Kölner Schrift/Lüke, 3. Aufl., Kap. 22 Rn. 54 f.; s.a. Jaeger/Windel, InsO, 2007, § 87 Rn. 7.
[27] HK-InsO/Kayser 9. Aufl., § 80 Rn. 58; FK-InsO/ Wimmer-Amend, 9. Aufl., § 80 Rn. 41; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, 43. EL., § 55 Rn. 66.
[28] MüKoInsO/Hefermehl, 3. Aufl., § 55 Rn. 94.
[29] Jaeger/Henckel, InsO, 2004, § 38 Rn. 26.
[30] BGHZ 148, 252, 257 f.; 150, 305, 316 f.; FK-InsO/Bornemann, 9. Aufl., § 55 Rn. 28; HK-InsO/Kayser, 9. Aufl., § 80 Rn. 59; K. Schmidt/Sternal, 19. Aufl., § 80 Rn. 70; Kübler/Prütting/Pape/Schaltke, InsO, 42 EL., § 55 Rn. 116; KK/Röpke, § 55 Rn. 45; Depré/Kothe, in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., § 36 Rn. 48; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., Rn. 13.
[31] Jaeger/Windel, InsO, § 80 Rn. 123; FK-InsO/Wimmer-Amend, 9. Aufl., § 80 Rn. 42; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Piekenbrock, InsO, 3. Aufl., § 80 Rn. 34; HK-InsO/Kayser, 9. Aufl., § 80 Rn. 59; K. Schmidt/Sternal, 19. Aufl., § 80 Rn. 70; Kübler/Prütting/Pape/Schaltke, InsO, 89. EL., § 55 Rn. 116; Depré/Kothe, in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl., § 36 Rn. 52.
[32] BVerwG NZI 1999, 37, 39.
[33] MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rn. 90a.
[34] Nach der früheren Rechtslage §§ 11 I i.V.m. § 3 VI KrW/AbfG, BVerwG NZI 2005, 55, 56.
[35] BVerwG NZI 2005, 51, 52.
[36] BVerwG NZI 2005, 51, 52; MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 55 Rn. 90a.
[37] BGHZ 150, 305, 311; Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 80 Rn. 250; K. Schmidt/Sternal, 19. Aufl., § 80 Rn. 70; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, InsO, 43. EL., § 80 Rn. 131.
[38] BGHZ 150, 305, 311; s.a. K. Schmidt/Thole, 19. Aufl., § 55 Rn. 29.
[39] K. Schmidt/Thole, 19. Aufl., § 53 Rn. 1.
[40] BGHZ 163, 32, 34; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Ahrens, InsO, 4. Aufl., § 35 Rn. 28.
[41] BGHZ 163, 32, 35; 166, 74, 82 f.; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Ahrens, InsO, 4. Aufl., § 35 Rn. 28.
[42] MüKoInsO/Peters, 4. Aufl., § 35 Rn. 112.
[43] BVerwG NZI 2005, 51, 53.
[44] Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier/Piekenbrock, InsO, 4. Aufl., § 80 Rn. 35; K. Schmidt/Thole, 19. Aufl., § 55 Rn. 32; Kübler/Prütting/Pape/Schaltke, InsO, 89. EL., § 55 Rn. 124; HambK/Jarchow, 7. Aufl., § 55 Rn. 80.
[45] HK-InsO/Kayser, 9. Aufl., § 80 Rn. 62; K. Schmidt/Sternal, 19. Aufl., § 80 Rn. 71; Kölner Schrift/Lüke, 3. Aufl., Kap. 22 Rn. 82.
[46] BGH NJW 1955, 339; NZI 2009, 841 Rn. 12.
[47] Jaeger/Henckel, § 53 Rn. 10 ff; MüKoInsO/Hefermehl, 4. Aufl., § 53 Rn. 30; HambK/Jarchow, § 53 Rn. 27; Sämisch, ZInso 2018, 1946.
[48] BGH NZI 2009, 841 Rn. 12.
[49] BFH NZI 2013, 709 Rn. 18.
[50] Kahlert, DStR 2019, 719, 721.
[51] BFH NZI 2013, 709 Rn. 19.
[52] BFH ZIP 2015, 1035 Rn. 29; Kahlert, DStR 2019, 719, 721.
[53] BFH ZIP 2010, 1612 Rn. 37; NZI 2019, 239 Rn. 15.
[54] BFH NZI 2019, 930 Rn. 13 ff.
[55] BFH ZIP 2013, 790 Rn. 29 f.; NZI 2019, 87 Rn. 27; 2019, 300 Rn. 15.
[56] BFH NZI 2018, 461 Rn. 31 ff.
Lábjegyzetek:
[1] Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Anwaltsrecht und Zivilprozessrecht.
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