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O. Univ. Porf. Dr. Balázs J. Gellér: Die Objektivierung des strafrechtlichen Schuldbegriffs als Antwort auf die globalen Herausforderungen* (Annales, 2014., 277-296. o.)

I. Einleitung

Ein häufig zitierter Gedanke von Hayek ist, dass das Recht als die Gesamtheit erzwungener Verhaltensregel eine Grundvoraussetzung der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft mit Rücksicht darauf darstellt, dass nur die Einhaltung der gemeinsam ausgestalteten Vorschriften das friedliche Zusammenleben der Menschen ermöglichen kann.[1] Der Gedankengang von Hayek verspricht, dass die Erwartungen der Mitglieder der Gesellschaft befriedigt werden, d.h. die Menschen jederzeit in der Lage sein werden, zu erwarten, dass sie nicht getötet oder vergewaltigt werden, weil diese Handlungen eine Straftat verwirklichen, und falls solche Verbrechen doch begangen werden, ist es mit gutem Grund zu erhoffen, dass das begangene Unrecht geahndet wird.[2]

Wie es von Hayek detailliert erörtert wurde, bedarf die Entwicklung der Verhaltensregel unvermeidlicherweise einer ständigen Interaktion[3]

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zwischen den Rechtsnormen und den Erwartungen der Gesellschaft. Das Konzept von Hayek wird durch den Kerngedanken gekennzeichnet, dass der Schutz der gesellschaftlichen Erwartungen den echten Grund der Existenz des Rechts bildet.[4]

Auf die von Hayek verwendete Definition des Rechtsstaates wird im Werk von Raz als eine der schlüssigsten Erläuterungen hingewiesen: "Abgesehen von den rein technischen Details bedeutet dies, dass jegliche Maßnahmen der Regierung durch vorher festgelegte und veröffentlichte Regeln beschränkt werden müssen, - durch Regeln, welche uns ermöglichen, dass wir mit Sicherheit voraussagen können, auf welche Art und Weise der Staat seine Macht ausüben will, damit wir unsere Handlungen entsprechend planen können".[5]

Hielt man dieses Ziel des Rechts, nämlich die Vorhersehbarkeit vor Augen, so sind sämtliche Regeln, welche im Voraus nicht bekannt gemacht worden sind, für unrechtmäßig zu halten. Ob welche Vorschriften zum Herrschaftsbereich des Rechts gehören können, scheint eine Frage der fairen Androhung zu sein, welche uns durch Untersuchung der tatsächlichen und der zumutbaren Wissenselemente gleich zur Problematik der Schuld führt.

Zwar behauptet Kelsen, dass es in der Praxis keinen Unterschied darstellt, ob eine Person die Rechtsnormen aus dem Grunde nicht einhält, weil diese gar nicht existieren, oder weil sie der Person nicht bekannt sind (der letztere Fall ist im Sinne des Grundsatzes "ignorantia legis non excusat" grundsätzlich irrelevant), kann es nicht geleugnet werden, dass das Rückwirkungsverbot und das Schuldprinzip miteinander im materiellen Zusammenhang stehen. "Wie könnte jemand schuldhaft handeln"- ist die Frage von Peter Lewisch gestellt worden- "wenn keine relevante strafrechtliche Vorschrift im Zeitpunkt der Verbrechensbegehung geltend ist?"[6]

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Dieser inhaltliche Zusammenhang ermöglicht, dass das Verbot der rückwirkenden Gesetzgebung aus dem Schuldprinzip abgeleitet wird und vice versa, abhängig davon, welcher Grundsatz im Verfassungsrecht einen höheren Rang genießt, d.h. als Ausgangspunkt für die Begründung des anderen Prinzips angesehen werden kann. In Deutschland ist das Schuldprinzip im Grundgesetz verankert, Ungarn, England und die Vereinigten Staaten von Amerika haben sich jedoch für andere Lösungen entschieden.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen betont, dass die Strafe nichts anderes, als "eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten ist[7]", welche als "Sühne für das begangene Unrecht[8]" erachtet werden kann. Der Leitsatz "keine Strafe ohne Schuld" ergibt sich aus den Grundrechten der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen, aus Art. 1 Abs. (1) GG, sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip im Art. 2 Abs. (1). Diese Grundsätze sind vom Gesetzgeber während der Verabschiedung strafrechtlicher Normen unbedingt zu beachten[9]. Das Schuldprinzip kann auch im Zusammenhang mit Art. 130 Abs. (2) des GG interpretiert werden, als dessen materiell-rechtliche Garantie[10]. Es lässt sich folglich feststellen, dass die Strafmacht des Staates begrenzendes Schuldprinzip einen Verfassungsrang[11] hat. Aus diesem Grundsatz ergibt sich evident für die Strafgerichte das Gebot schuldangemessenen Strafens im Einzelfall.[12]

Unter der Definition der Schuld wird in diesem Beitrag die persönliche Vorwerfbarkeit der formal ungerechten Handlung verstanden. Aus dem Sichtpunkt der zu untersuchenden Hypothesen kommt der Frage keine Bedeutung zu, ob der Vorsatz und die Fahrlässigkeit unter dem Begriff der Schuld oder separat davon behandelt werden. In dieser Hinsicht ist es auch von geringer Bedeutung, wie die Schuld, die Tatbestandsmäßigkeit und die Dispositionsmäßigkeit miteinander verbunden sind. Wesentlich ist nur, dass

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die Schuld das Bewusstsein der materiellen Rechtswidrigkeit (Bewusstsein der Gesellschaftsgefährlichkeit) oder mindestens die persönliche Vorwerfbarkeit des fehlenden Bewusstseins der Rechtwidrigkeit impliziert.

In diesem Kontext kann Objektivierung der Schuld als a) Verantwortung für die Handlung einer anderen Person, oder b) Verantwortung für die eigene Handlung, jedoch ohne persönliche Vorwerfbarkeit, verstanden werden.

Die strafrechtliche Verantwortung weist grundsätzlich einen punitiven Charakter auf, die Versöhnung durch die Strafe ereignet sich zwischen dem Täter und dem Staat, und nicht im Verhältnis des Täters und des Opfers. Im Gegensatz dazu liegt das Ziel der zivilrechtlichen Verantwortung im restitucio in integrum, auch wenn einige Rechtssysteme zivilrechtliche Sanktionen mit punitivem Charakter[13] kennen und anwenden. Dieser Unterschied führt dazu, dass die Schuld im Rahmen der Ermittlung der strafrechtlichen Verantwortung einen wesentlichen Einfluss auf das Ausmaß der Strafe ausübt, der Betrag des zivilrechtlichen Schadensersatzes jedoch anhand der eingetretenen Schäden bestimmt wird.

Wenn wir den Verlauf eines Strafverfahrens näher betrachten, werden wir erfahren, dass es grundsätzlich nicht zu beweisen ist, dass die Handlung vom Beschuldigten im Bewusstsein der Gesellschaftsgefährlichkeit begangen wurde. Das materielle Strafrecht vermutet nämlich, dass einer gut sozialisierten Person die eventuelle Gesellschaftsgefährlichkeit ihrer Handlung bewusst ist.

II. Die objektive Verantwortung im internationalen Strafrecht

Die obigen Erläuterungen stellen klar, dass die strafrechtliche Verantwortung der Staaten -ebenso wie das Strafrecht im innerstaatlichen Rechtssystem - aus dem zivilrechtlichen Schadensersatz entwickelt zu

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sein scheint. Der Ständige Internationale Gerichtshof (Permanent Court of International Justice) hat die Schadensersatzpflicht von Staaten für verursachte Schäden[14] bereits in der Angelegenheit Chorzów Fabrik (1928) festgestellt. Die größte Herausforderung im Zusammenhang mit der Kompensation liegt aus strafrechtlichem Sichtpunkt darin, dass sie nur in dem Fall eine geeignete Sanktion darstellt, wenn die Rechtsverletzung im Verhältnis zweier Staaten stattfindet. Verstößt jedoch ein Staat gegen das Interesse der internationalen Gemeinschaft, kann die als Kompensation wirkende Sanktion infolge des unterschiedlichen Charakters des Rechtsverhältnisses keine Anwendung finden. Andererseits, während die angemessene Kompensation infolge einer fahrlässigen Schadensverursachung als geeignete Sanktion angesehen werden kann, scheint es schwer annehmbar zu sein, die Schwere der Schuld im Falle einer vorsätzlichen Schadensverursachung außer Acht zu lassen.

Die Angeklagten der Nürnberger und Tokioter Prozessen wurden -neben ihrer persönlichen Verantwortung-, eben aus dem Grunde als Hauptverbrecher bezeichnet, weil sie eine wesentliche Rolle in der Tätigkeit des verbrecherischen Staatsapparats gespielt haben. Lauterpacht hat bereits im Jahre 1955 unter den Begriff der internationalen Delinquenz nicht nur den Vertragsbruch einbezogen (welcher auch in den schwersten Fällen höchstens eine materielle Kompensation mit sich zieht), sondern auch solche Verstöße gegen die Vorschriften des Völkerrechts, welche eine Straftat verwirklichen.[15]

Im Jahre 1976 hat die Völkerrechtskommission (ILC) einen Entwurf über die Verantwortung der Staaten verabschiedet, welcher im Art. 19 sogar die strafrechtliche Verantwortung beinhaltete. Die Völkerrechtskommission hat die Verwendung des Begriffs "Verbrechen gemäß internationalem Recht" damit begründet, dass a) dieser Begriff weit anerkannt gewesen ist, b) die im Rahmen der Vereinten Nationen gefassten Beschlüsse häufig auf diesen hingewiesen haben und c) Völkerrechtsverträge, wie z.B. die Konvention über die Unterdrückung und Bestrafung des Verbrechens der

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Apartheid sowie die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, denselben Begriff angewandt haben. Dieser Betrag erzielt nicht die detaillierte Untersuchung der strafrechtlichen Verantwortung von Staaten, auf jeden Fall muss aber an dieser Stelle auf die Folgenden hingewiesen werden. Obwohl der Grundsatz der Analogie laut Bentham und Hart darauf beruht, dass die grundlegenden Prinzipien des innerstaatlichen Rechts auch im Völkerrecht Anwendung finden können, und die strafrechtliche Verantwortung juristischer Personen in vielen Staaten anhand des Prinzips "societas non delinquere" verneint werden mag, kommt der strafrechtlichen Sanktion über die verhältnismäßige Kompensation hinaus in der Praxis der Staaten eine fundamentale Bedeutung zu. Als Beispiel dafür kann die Bombardierung von Bagdad im Jahre 1993 durch den Vereinigten Staaten erwähnt werden, als Reaktion auf den mit irakischem Beitrag geplanten Mordversuch vom Präsidenten Bush. Obwohl Irak eine Beschwerde bei den Vereinten Nationen vorgelegt hat, blieb die Bombardierung ohne Folgen, welche Tatsache den strafrechtlichen Charakter der Sanktion weiter verstärkte. Die Vereinten Nationen erteilten ferner ihre Zustimmung zu weiteren Sanktionen mit Rücksicht darauf, dass Irak stets versuchte, die Tätigkeit der UNSCOM zu verhindern[16]. Im Rahmen dieser Sanktionen wurde z.B. 1997 ein Einreiseverbot gegen hohe irakische Amtsträger verhängt[17]. Ferner kann auf den Fall von Libyen hingewiesen werden, welcher Staat wegen der Verweigerung der Auslieferung der vermeintlichen Attentäter des Flugzeuges der Pan American Airlines Nr. 103 durch mehrere Beschlüsse des Sicherheitsrates der UN[18] zur Verantwortung gezogen wurde.

Antonio Cassese, ehemaliger Richter (1993-2000) und Präsident (19931997) der ICTY hat im Jahre 2003 in seinem Buch erörtert,[19] dass als einer der Grundsätze des Völkerstrafrechts anzusehen ist, dass niemand für eine von ihm nicht begangene Tat oder ein Unterlassen für schuldig erklärt werden kann. Der ICTY hat in seinem Tadic-Urteil auf die Folgenden hingewiesen: "Als Ausgangspunkt sollte im Völkerstrafrecht in der gleichen Weise wie im innerstaatlichen Strafrecht der Gedanke dienen, dass die Voraussetzung der

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strafrechtlichen Verantwortlichkeit die Schuld ist und folglich niemand für eine solche Handlung strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann, zur Ausführung welcher die betroffene Person keine Beihilfe geleistet hat (nulla poena sine culpa). Anhand von Art. 7 Abs. (1) des Statuts der ICTY kann dieselbe Folgerung gezogen werden.

Dieser Grundsatz dient zwei weiteren Folgerungen zugrunde, und zwar der Verneinung der Kollektivschuld und dem Schuldprinzip, im Sinne dessen die strafrechtliche Verantwortung auf der individueller Vorwerfbarkeit der Tat beruht. Mit anderen Worten, eine mentale Verbindung zur Tat scheint unentbehrlich zu sein, im Fall der leichten Fahrlässigkeit muss mindestens die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt vorhanden sein. Anhand der Obigen folgert Cassese letztlich darauf, dass die objektive Verantwortung im Völkerstrafrecht eher auszuschließen ist.[20]

Diese Schlussfolgerung kann jedoch nicht korrekt sein. Art. 9 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofes beinhaltet nämlich die Vorschrift, dass: "In dem Prozess gegen ein Einzelmitglied einer Gruppe oder Organisation kann der Gerichtshof (in Verbindung mit irgendeiner Handlung, deretwegen der Angeklagte verurteilt wird) erklären, dass die Gruppe oder Organisation, deren Mitglied der Angeklagte war, eine verbrecherische Organisation war. " Art. 10 des Statuts steht mit der obigen Vorschrift im Zusammenhang: "Ist eine Gruppe oder Organisation vom Gerichtshof als verbrecherisch erklärt worden, so hat die zuständige nationale Behörde jedes Signatars das Recht, Personen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer solchen verbrecherischen Organisation vor nationalen, Militär- oder Okkupationsgerichten den Prozess zu machen. In diesem Falle gilt der verbrecherische Charakter der Gruppe oder Organisation als bewiesen und wird nicht in Frage gestellt".

Anscheinend ist die reine Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Gruppe als eine Straftat behandelt worden, und so ist diese Problematik im Zusammenhang mit kriminellen Organisationen bereits in den 1940'er Jahren erschienen. Die feudale Basis der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Korporationen war nie von den Grundgedanken der angelsächsischen

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Rechtslehre weit entfernt. Wenn der Täter während der Begehung einer schwerwiegenden Straftat die Gefahr des Todes des Opfers hervorruft und folglich der Tod eintritt, haftet er für den Tatbestand des Totschlages[21] laut "Felony murder doctrine" (Doktrin des Totschlages während der Begehung einer anderen Straftat). Als die erstmalige Darlegung der Doktrin wird häufig die Angelegenheit LordDacres Moore[22] erwähnt. Anhand des Sachverhalts haben Lord Dacres und seine Freunde vereinbart, ohne Erlaubnis zu jagen und dabei jedermann zu töten, wer versucht, die Jagd zu verhindern. Während sich Lord Dacres von der Gruppe ein wenig entfernt hat, hat einer seiner Freunde jemanden erschossen. Im Strafverfahren wurde jedes Mitglied der Jagdgruppe mit dem Verbrechen des Totschlages angeklagt, für schuldig erklärt und als Strafe erhängt. George Fletcher stellte anhand seiner Forschung fest,[23] dass diese Doktrin in den meisten amerikanischen Rechtssystemen nach wie vor Anwendung findet, zumindest in der Form, wenn während eines Raubes eine Person (auch wenn zufällig) erschossen wird, sind alle Mittäter des Raubes für das Verbrechen des Totschlages strafrechtlich verantwortlich. Fletcher bezweifelt jedoch, dass die strikte Version der Doktrin im englischen common law weiterlebt.[24]

Als weiteres Beispiel kann auf das Göring-Urteil[25] des Internationalen Militärgerichtshofes hingewiesen werden, in welchem einzelne Organisationen für verbrecherisch erklärt worden sind, die objektive Verantwortung jedoch abgelehnt worden ist.

Bekannt ist ferner in diesem Zusammenhang die Angelegenheit Finta vs. Kanada[26] (1994). Herr Finta war ursprünglich ein Mitglied der Gendarmerie, später wurde er in Szeged zum Kommandanten ernannt. Im Jahre 1944 verhaftete er Tausenden von Juden und schickte sie in Konzentrationslager. Der Irrtum als Rechtfertigungsgrund kam in dieser Hinsicht in Verbindung mit rechtmäßigen oder auf Befehl begangenen Handlungen zur Bedeutung. Bereits das Gericht erster Instanz wollte

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diesen Rechtfertigungsgrund mit der Begründung außer Acht lassen, dass Finta -mit der Vernunft einer durchschnittigen Person (reasonable man, diligens pater familias)- hätte erkennen müssen, dass seine Handlung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu qualifizieren ist. Das Oberste Gericht war mit dieser Ansicht einverstanden: "es handelt sich hierbei nicht um die Frage, ob dem Angeklagten die Rechtswidrigkeit seiner Handlung bewusst war, sondern eher darum, ob er erkannt hat, dass seine Handlung ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwirklicht".[27]

Im Rahmen der Gerichtsprozesse im Gegenstand der massenhaften Erschießungen des Jahres 1956 wurde die Frage, ob den Tätern die Gesellschaftsgefährlichkeit ihrer Handlungen bewusst war, von den Gerichten gar nicht untersucht. Obwohl die Gesetzesverordnung Nr. 32 aus dem Jahre 1954 die Genfer Abkommen über den Schutz der Kriegsopfer verkündet hat, die Ratifikationsurkunde am 3. August 1954 in Bern hinterlegt wurde und somit die Vorschriften in Ungarn am 3. Februar 1955 in Kraft traten, war diese nur in 1000 Exemplaren vervielfältigt und bildete folglich nicht den Teil des Lehrstoffes.

Im Völkerstrafrecht wird der Irrtum über die Rechtswidrigkeit meistens mit der Begründung außer Acht gelassen, dass der Täter des Völkermordes, wessen Vorsatz auf die Zerstörung einer Gruppe richtet, kein Verständnis verdient.[28] Anscheinend ist das "objektive" Interesse der Gemeinschaft auf eine stabile, ohne Ausnahmefälle geltende Rechtsordnung ein höheres Gut, als das "subjektive" Interesse der Person auf Berücksichtigung ihres Irrtums als Rechtfertigungsgrund. Die schwersten Verbrechen sind folglich im Völkerstrafrecht als mala in se erachtet, deren Verbot als überall bekannt angesehen wird.

Das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofes unterstützt diese Auffassung an zwei Stellen. Im Art. 28[29] wird die Verantwortlichkeit

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militärischer Befehlshaber als quasi vicarius Verantwortung geregelt, zweitens stellt Art. 30[30] in der Reihe der subjektiven Tatbestandsmerkmale nur den Vorsatz dar. Art. 33 des Statuts beinhaltet ferner, dass Anordnungen zur Begehung von Völkermord oder von Verbrechen gegen die Menschlichkeit offensichtlich rechtswidrig sind und somit der Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Anordnung keinen Rechtfertigungsgrund darstellen kann.

III. Die Schuld und das europäische Recht

Während der Untersuchung der Vorschriften des europäischen Rechts müssen selbstverständlich die Institutionen und die Praxis der

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Europäischen Union und die des Europarats voneinander unterschieden werden.[31] Fraglich ist, ob es im Zusammenhang mit der Schuld tatsächlich verwirklicht werden kann.

Die Objektivierung der Schuld scheint nämlich in der europäischen Praxis umstritten zu sein. Das Gericht der Europäischen Union lehnt die Objektivierung der Schuld eindeutig ab, insbesondere in der Form der vicarius Verantwortung, andererseits und parallel dazu ruft der Gesetzgeber neue Formen der Verantwortung ohne Schuld ins Leben.

Das Gericht der Europäischen Union hat die im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Schuld vorgekommenen Fragen in zwei Hinsichten untersucht. Das Funktionieren des gemeinsamen Binnenmarkts der Union kann durch eine, die vier Grundfreiheiten einschränkende, strikte strafrechtliche Verantwortung gehindert werden.[32] Strafrechtliche Lösungen, welche sich ausschließlich auf den transkommunalen Import richten, können den unerwünschten Effekt mit sich bringen, dass der Verkauf inländischer Ware unterstützt wird. So kann zum Beispiel ein Gesetz, welches die fehlende Herkunftsangabe als Straftat qualifiziert, gegen die Warenverkehrsfreiheit verstoßen.[33] Die Lage ist ähnlich in den Rechtssystemen, in welchen der Warenimporteur für die Diskrepanz zwischen den, auf der Packung der Ware bezeichneten und den tatsächlichen Eigenschaften der Ware strafrechtlich haftet. Solche Vorschriften können den freien Verkehr einschränkend wirken, indem sich ein Kaufmann entscheidet, eher inländische Ware weiterzuverkaufen, weil in diesem Fall der Hersteller für die eventuelle Diskrepanz haftet.[34] Die Basis der Ablehnung der Verantwortung ohne Schuld findet sich auch auf Ebene der Europäischen Union in der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Ob die Europäische Menschenrechtskonvention einen Teil des Rechtssystems der

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Europäischen Union bildet oder bilden sollte, war für eine lange Zeit umstritten. Das Gericht der Europäischen Union fasste im Jahre 1996 eine Entscheidung, im Sinne deren die Konvention als Instrument nicht zur Reihe der Rechtsvorschriften der EU gehört.[35] Dies bedeutet freilich nicht, dass keine der Grundrechten und Freiheiten der Konvention ins Rechtssystem der EU übernommen wurden, das Gericht selbst leitet bestimmte Grundsätze aus dieser Basis her.[36]

Einzelne Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sind in diesem Zusammenhang erwähnenswert. Die Angelegenheit R. vs. R[37] wurde vom Gerichtshof zusammen mit einer ähnlichen Angelegenheit, der S.W. vs. Vereinigtes Königreich verhandelt (als der Fall C.R. vs. Vereinigtes Königreich[38]). In beiden Fällen haben die Beschuldigten die Straftat der Vergewaltigung gegen ihre Ehefrauen begangen oder versucht. Das Gericht erster Instanz (Crown Court) hat beide Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt, die Urteile wurden vom Gericht zweiter Instanz (Court of Appeal), sowie vom House of Lords aufrechterhalten. Die Verteidigung argumentierte so, dass ein Ehemann gemäß der englischen Rechtsvorschriften den Tatbestand der Vergewaltigung gegen seine Ehefrau nicht verwirklichen kann, mit Rücksicht darauf, dass Matthew Hale in seiner Monographie "History of the Pleas of the Crown" die Definition des ehelichen Einwandes (marital immunity) ausarbeitete, welche Doktrin von den Gerichten akzeptiert und regelmäßig angewandt wurde[39]. Diese Doktrin stellt die Ehe als einen Vertrag zwischen den Parteien dar, durch welchen sowohl der Ehemann als auch die Ehefrau ihre Einwilligung zum Geschlechtsverkehr erteilt und diese später einseitig nicht wiederrufen kann. Die Gerichte haben die traditionelle Beachtung dieses Rechtfertigungsgrundes anerkannt, jedoch festgestellt, dass diese eher als anachronistisch angesehen werden muss und folglich aufzuheben ist. Im Zeitpunkt der Verhandlung war die Europäische Menschenrechtskonvention ins englische Recht noch nicht

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umgesetzt, ein ex post facto Verbot war im englischen Recht ebenfalls nicht zu finden. Die Verteidigung wies auf das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 9. Juli 1981 hin, demnach "diejenige Vorschriften, welche die strafrechtliche Verantwortung der Staatsbürger vorsehen, müssen unbedingt klar und präzis definiert werden, damit jede Person ohne Zweifel ihre Verpflichtungen und Rechte feststellen kann[40]". Viel wesentlicher ist jedoch in dieser Hinsicht, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Angelegenheit R. vs. Kent Kirk (1984) Art. 7 Abs. (1) der Europäischen Menschenrechtkonvention ins Gemeinschaftsrecht übernahm und somit den Grundsatz nullum crimen sine lege als Teil des Gemeinschaftsrechts erachtete.[41]

Schwer ist es zu überlegen, ob durch Menschenrechtskonvention und die Praxis des Gerichtshofes die objektive strafrechtliche Verantwortung abgelehnt wird. Nach der Ansicht von Pradel beruht dieses Verbot auf der Unschuldsvermutung im Art. 6 Abs. (2) der Konvention.[42] Persönlich präferiere ich die Ableitung anhand des Schuldprinzips und des Grundsatzes nullum crimen, wobei unter dem letzteren nicht dessen traditionelle Definition als Prinzip der materiellen Legalität verstanden wird, sondern eher eine Kombination der Vorhersehbarkeit, des Verbots der Unverhältnismäßigkeit und der Gerechtigkeit. In dieser Anschauung stellt die Schuld ein wesentliches, aber nicht ausschließliches Element der materiellen Gerechtigkeit dar.

Die Vorhersehbarkeit erlangt im obigen Konzept einen zentralen Rang als Teil des Legalitätsprinzips. Dieser Gedankengang wird im Urteil Sunday Times vs. Vereinigtes Königreich[43] (1979) vom Gerichtshof bestätigt. Eine britische Gesellschaft hat zwischen 1958 und 1961 ein Beruhigungsmittel namens Thalidomide hergestellt, welche auch von schwangeren Frauen eingenommen wurde. Das Medikament löste schwere Nebenwirkungen im Körper der Neugeborenen aus, die Eltern forderten Schadensersatz vom Hersteller. Die Wochenzeitung Sunday Times publizierte zahlreiche Artikel

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im Thema, es wurden auch als Beweismittel verwendbare Informationen und Angaben veröffentlicht. Gemäß des Tatbestands der Missachtung des Gerichts (contempt of court) wurde die Veröffentlichung weiterer Artikel im Gegenstand durch eine einstweilige Verfügung verboten. Dieses Rechtsinstitut des anglo-amerikanischen Rechtsystems sichert zu, dass während eines Gerichtsprozesses keine derartigen Informationen veröffentlicht werden dürfen, welche geeignet sind, die Laienrichter zu beeinflussen.

Von größter Bedeutung ist in dieser Hinsicht die während des Verfahrens ausgedrückte Stellungnahme der Sunday Times. Art. 10 Abs. (2) der Menschenrechtskonvention lässt nur eine gesetzlich vorgeschriebene Beschränkung der Meinungsfreiheit zu. Das Rechtsinstitut "contempt of court" war jedoch ein Teil des Präzedenzrechts, aber in keinen Rechtsvorschriften beinhaltet. Es stellte sich folglich die Frage, ob es als rechtmäßige Beschränkung der Meinungsfreiheit angesehen werden kann. Das Gericht war der Ansicht, dass "keine Norm als eine gesetzliche Vorschrift erachtet werden darf, solange diese nicht mit der erforderlichen Präzision definiert wird. Erst die klare Definition ermöglicht, dass die Staatsbürger ihre Handlungen entsprechend planen können, d.h. die Folgen der Handlung unter den gegebenen Umständen klar genug vorhersehen können."[44] Wenn also die Vorhersehbarkeit nicht zugesichert ist, können wir über keine persönliche Verantwortung reden. Ist das Verbot nicht zugänglich, so fehlt es an Vorhersehbarkeit und die Schuld kann nicht festgestellt werden. Diese Voraussetzung wurde in der Praxis des Gerichthofes mehrmals (Kokkinakis vs. Griechenland,[45] 1993, sowie Worm vs. Österreich,[46] 1997) bestätigt.

Es könnte folglich festgestellt werden, dass die anhand der EMRK ausgestaltete Praxis - auch wenn nur unmittelbar, - aber eindeutig das Schuldprinzip unterstützt. An dieser Stelle ist erneut auf die Angelegenheiten S.W. vs. Vereinigtes Königreich (1995) und C.R. vs. Vereinigtes Königreich (1995) hinzuweisen: "Der entmenschlichende Charakter der Vergewaltigung ist so offenbar, dass die Verurteilung des Antragstellers unter den gegebenen Umständen mit den Zielen und Vorhaben vom Art. 7, - im Sinne dessen niemand Subjekt eines willkürlichen Strafverfahrens,

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einer Verurteilung oder Strafe sein kann,- keinesfalls im Gegensatz steht. Sogar ist es nicht nur mit dem zivilisierten Begriff der Ehe, sondern auch vor allem mit den Zielen der Konvention, - nämlich mit der Beachtung der Menschenwürde und der menschlichen Freiheit- im Einklang, dass der nicht akzeptierbare Gedanke, wonach der Ehemann Immunität im Falle der Vergewaltigung seiner Ehefrau genießt, aufgehoben wird."[47]

Diese Entscheidung des Gerichtshofes hat nicht nur die Reihe der Beschlüsse bereichert, welche im Falle der Verletzung absoluter Rechte (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, sexuelle Selbstbestimmung) eine Strafrechtspflicht vorsehen, sondern auch die Auffassung bekräftigt, dass der Staat verpflichtet ist, für die Bestrafung des Täters (gegebenenfalls auch retroaktiv) zu sorgen.

Es ist kein Wunder, dass der Gerichtshof in der Angelegenheit Streletz, Kessler, Krenz vs. Deutschland[48] (2001) kein Verstoß gegen Art. 7 der Konvention festgestellt hat. Der Bundesgerichtshof[49] basierte sein Urteil auf die Radbruchsche Formel, während sich das Bundesverfassungsgericht[50] auf das Vertrauensprinzip bezog. Das strikte Verbot der Retroaktivität unter Art. 103 Abs. (2) des GG wird durch ein spezielles Vertrauen legitimiert, welches in den strafrechtlichen Vorschriften einbegriffen ist, falls sie von einem demokratischen Gesetzgeber erlassen sind. Es fehlt jedoch an diesem Vertrauen, wenn diejenige Personen, wer die Staatsgewalt vertreten, die strafrechtliche Verantwortung im Falle der schwersten strafrechtlichen Ungerechtigkeit ausschließen.[51]

Die Angelegenheiten R. vs. R S.W. vs. Vereinigtes Königreich und C.R. vs. Vereinigtes Königreich zeigen an zahlreichen Punkten Ähnlichkeiten auf. Obwohl das Bundesverfassungsgericht die Urteile des Bundesgerichthofes nicht für verfassungswidrig erklärte, wies das Gericht darauf hin, dass das

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Bewusstsein der Rechtswidrigkeit detaillierter zu untersuchen wäre. Es ist nämlich eine schwere Aufgabe, zu verstehen, warum und wie solche Personen über ein Bewusstsein der Gesellschaftsgefährlichkeit ihrer Handlungen verfügen sollten, wem tagtäglich Schießbefehle erteilt worden sind und falls sie diesen Befehlen entsprechend jemanden getötet haben, dafür befördert wurden, und anhand ihrem eigenen Bewusstsein sogar rechtmäßig handelten.

Die Situation stellte den Bundesgerichtshof einer unlösbaren Aufgabe entgegen, eine eindeutige Form der Schuld war in diesen Angelegenheiten nicht einmal als das mindestens erforderliche Bewusstsein der Rechtswidrigkeit vorhanden.

Nach gründlicher Überlegung können wir feststellen, dass das europäische Recht im weiten Sinne (einschließlich der Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte) das Vorhandensein der Schuld als Voraussetzung der strafrechtlichen Verantwortung unmittelbar erfordert, wenn jedoch absolute Rechte verletzt werden, sieht es nicht nur eine Strafpflicht vor, sondern lehnt das Rückwirkungsverbot ab und dient gleichzeitig der Objektivierung der Schuld: die reine Ausführung der Handlung wird der Vorwerfbarkeit gleichgestellt.

Die Schuld schwindet eben an der Stelle, wo die Staaten einer Strafpflicht ausgesetzt sind. Auf Ebene des europäischen Rechts im engeren Sinne wird diese Schwäche des Schuldprinzips leide missbraucht. Das Problem liegt nicht unbedingt im Unionsrecht, sondern eher in der Praxis der Mitgliedstaaten, welche die Abweichungen von den verfassungsrechtlichen Garantien durch Anforderungen der EU begründen, wie z.B. im Fall der Pönalisierung der Mitgliedschaft an einer kriminellen Organisation. Es können ferner die Rahmenbeschlüsse im Gegenstand der Bestechung oder der strafrechtlicher Verantwortung juristischer Personen[52] erwähnt

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werden. Anstatt der detaillierten Erörterung dieser Fragen werde ich das Kernproblem durch ein Beispiel illustrieren.

Aufgrund von Art. K. 3 Abs. (2) c) des Vertrages über die Europäische Union wurde 1997 das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, verabschiedet. Im Sinne von Art. 6 des Übereinkommens "sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Leiter, Entscheidungsträger oder Träger von Kontrollbefugnissen von Unternehmen bei einer aktiven Bestechungshandlung, die eine ihnen unterstellte Person zum Vorteil des Unternehmens begeht, für strafrechtlich verantwortlich erklärt werden können".

Anhand der obigen Pflicht wurde die Definition der Bestechung im Amt im ungarischen Strafgesetzbuch wie folgt geändert: "Art. 293. Abs. (1): Wer einen Amtsträger in Verbindung mit seiner Tätigkeit durch einen ihm oder im Hinblick auf ihn einer anderen Person gewährten oder versprochenen Vorteil beeinflussen möchte, ist wegen eines Verbrechens mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.

(4) Nach Absatz 1 ist der Leiter einer Wirtschaftsorganisation bzw. die zur Kontrolle oder Beaufsichtigung berechtigte und für oder zugunsten der Wirtschaftsorganisation eine Tätigkeit ausübende Person zu bestrafen, wenn die für oder zugunsten einer Wirtschaftsorganisation eine Tätigkeit ausübende Person die Straftat im Interesse der Wirtschaftsorganisation begeht und die Erfüllung ihrer Aufsichts- oder Kontrollpflichten das Begehen der Straftat hätte verhindern können.

(5) Wegen eines Vergehens ist der Leiter der Wirtschaftsorganisation bzw. die zur Kontrolle oder Beaufsichtigung berechtigte und für oder zugunsten der Wirtschaftsorganisation eine Tätigkeit ausübende Person mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen, wenn sie die in Absatz 4 definierte Straftat fahrlässig begeht."

Es lohnt sich, Art. 293 Abs. (5) des ungarischen Strafgesetzbuches mit Art. 28 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes zu vergleichen. Ungarn hat nämlich die im Falle der schwersten völkerrechtlichen

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Verbrechen geltenden Vorgesetztenverantwortlichkeit im Rahmen der Vorschriften der Bestechung in Amt durch die Anforderungen der Europäischen Union begründet.[53]

IV. Objektivierung im Strafrecht

Im klassischen Strafrecht sind ebenfalls Elemente der objektiven Verantwortung zu finden. Wenn wir an die unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen begangene Verbrechen denken, kann es leicht festgestellt werden, dass die Objektivierung auch in diesem Zusammenhang interpretierbar ist. Diese Umstände werden im ungarischen Strafrecht nicht als Rechtfertigungsgründe qualifiziert, dem Täter ist dementsprechend seine Handlung vorwerfbar. Die fehlenden subjektiven Tatbestandsmerkmale werden von den objektiven Merkmalen abgeleitet. Wenn zum Beispiel der Täter unter dem Einfluss von Alkohol mit einem 21 cm langen Messer ins Herzen des Opfers sticht, wird er, wenn alle anderen Umstände vorhanden sind, anhand des Tatbestandes des vorsätzlichen Totschlages verurteilt, und zwar aus dem Grunde, dass es anhand der objektiven Tatbestandsmerkmale auf den Vorsatz des Täters gefolgert werden kann.

Eine ähnliche Konklusion kann anhand der Gerichtspraxis im Zusammenhang mit der Körperverletzung mit Todesfolge gezogen werden. Wenn zum Beispiel zwei Täter das Opfer gemeinschaftlich körperlich misshandeln, der Tod des Opfers jedoch durch einen einzigen Fußtritt verursacht wird, haften beide Täter als Mittäter der Körperverletzung mit Todesfolge, falls es nicht eindeutig geklärt werden kann, welcher Täter den tödlichen Fußtritt tatsächlich realisierte.[54]

Letztens möchte ich zur Frage der vernünftig handelnden Person (reasonable man, diligens pater familias) zurückkehren, welche auch in der Angelegenheit BH 1999. 288 zur Bedeutung kam. Der Beschuldigte hat auf dem Hof von M.S. aus gebrauchten Akkus Blei geschmolzen und

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wiederverwendet. Vor den Gefahren dieser Tätigkeit hat den Beschuldigten niemand gewarnt. Ihm war nicht bewusst, dass das Bleipulver und dessen Dampf giftig sind, und das Pulver in den Erdboden geratend die Umwelt schwer schädigen kann. Anhand des Sachverhalts gelangte das Bleipulver in den Körper des Beschuldigten und seiner Familienmitglieder und verursachte eine Bleivergiftung. Als Folge der Vergiftung starb das Kind namens E. des Beschuldigten, die Verletzung seiner Kinder namens I. und S. verheilte nach mehr als acht Tagen, die Vergiftung des Beschuldigten und seiner Lebensgefährtin verheilte binnen acht Tagen. Obwohl die Kausalität zwischen der Handlung des Beschuldigten und dem Ergebnis vorhanden war und die Strafmündigkeit des Beschuldigten anscheinend nicht fehlte, kam das Gericht zur Folgerung, dass die Handlung nicht einmal als fahrlässig qualifiziert werden kann, weil es dem Beschuldigten an zumutbaren Kenntnissen fehlte. Der Beschuldigte wurde folglich freigesprochen.[55]

V. Zusammenfassung

Und Kinder wachsen auf mit tiefen Augen,

die von nichts wissen, wachsen auf und sterben,

Und alle Menschen gehen ihre Wege."

(Hugo von Hofmannsthal: Ballade des äußeren Lebens)

Könnte sich der Beschuldigte in einer geänderten Version des erwähnten Falles darauf beziehen, dass ihm die eventuellen Folgen seiner Handlung nicht bewusst waren, falls er nicht seine eigene Familie, sondern die Nachbarn hätte vergiftet? Selbstverständlich handelt es sich im ersten Fall um Mangel an erforderlichen Kenntnissen, und im zweiten um Mangel des Bewusstseins der Gesellschaftsgefährlichkeit, der materiellen Rechtswidrigkeit.

Diese zwei Elemente des Bewusstseins können aber nicht in jedem Fall auf eine solche einfache Weise voneinander unterschieden werden. Das Bewusstsein der Mauerschützer richtete sich eben auf die Rechtmäßigkeit ihrer Handlungen, dieses Bewusstsein war aller Wahrscheinlichkeit nach

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ähnlich im Kopf der Mitglieder der Hitler-Jugend, wer aufgewachsen die Juden als untergeordnete Personen behandelt haben.

Die Objektivierung erscheint in solchen Fällen im Zusammenhang mit der handelnden Person in Form einer objektiven Anforderung des zumutbaren Verhaltens eines durchschnittigen, vernünftigen Menschen. Diese objektive Anforderung wird jedoch durch die von der Mehrheit festgestellten subjektiven Wertinhalte ausgefüllt. Diese Wertinhalte (Praxis der zivilisierten Nationen, Prinzipien der Menschlichkeit und Gebote des kollektiven Gewissens) als universell akzeptierte Werte und absoluten Rechte sehen eine Strafpflicht für die souveränen Staaten vor, schaffen eine universelle Gerichtsbarkeit, schreiben die aut dedere aut judicare Obligation vor, überschreiten das Rückwirkungsverbot und die persönliche Verantwortung. Die klassische positivistische Strafrechtsdogmatik hat folglich zu Gunsten der überall akzeptierten Gedanken der Naturrechtslehre zurückzutreten.

"He had kept his youth and beauty, but he had paid a terrible price for it. His beauty had destroyed his soul... What was he now? A face without a heart."

(Oscar Wilde: The Picture of Dorian Gray) ■

ANMERKUNGEN

* Diese Schrift wurde aus dem Ungarischen ins Deutsche von Dr. Anna Doszpoth (PhD Forscherin) übersetzt.

[1] F. A. von Hayek, Law, Legislation and Liberty: A New Statement of the Liberal Principles of Justice and Political Economy (1973 London, Vols. I-III) 72. Siehe ebenfalls bei D. Hume, 'A Treatise of Human Nature' reprinted by A. Selby-Biggel (ed.) (1978 Oxford, 2nd ed.) 306. Rawls kommt zur selben Folgerung: "Die Pläne der Menschen sind zu koordinieren, damit sie miteinander kompatibel werden und ohne Enttäuschung eines anderen Menschen verwirklicht werden können." In: J. Rawls, A Theory of Justice (1973 Oxford) 6.

[2] V. Erb, 'Die Schutzfunktion von Art. 103 Abs. 2 GG bei Rechtfertigungsgründen: zur Reichweite des Grundsatzes nullum crimen sine lege unter besonderer Berücksichtigung der "Mauerschützen-Fälle" und der "sozialethischen Einschränkungen"' (1996) 108 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 266, 275; sowie H.-L. Schreiber, 'Rückwirkungsverbot bei einer Änderung der Rechtsprechung im Strafrecht' (1973) Juristenzeitung 718, 216. Siehe auch die Urteile: R. vs. R. (1992) I A.C. 599, EGMR; C.R. vs. Vereinigtes Königreich (1995), A No. 335-C, EGMR; S.W. vs. Vereinigtes Königreich (1995), A No. 335-B V.3.3. EGMR.

[3] Supra note 1, 102. Die Verbindung zwischen diesem Konzept der Gerechtigkeit und der Dualität des Strafrechts ist an dieser Stelle zu erwähnen.

[4] Ibid. 101-110.

[5] J. Raz, The Authority of Law: Essays on Law and Morality (1979 Oxford) 210. Unter Hinweis auf F. A. von Hayek, The Road to Serfdom (1944 London) 54.

[6] P. Lewisch, Verfassung und Strafrecht. Verfassungsrechtliche Schranken der Strafgesetzgebung (1993 Wien) 142.

[7] BVerfGE 26, 186 (204); 45, 346 (351).

[8] BVerfGE 20, 323 (331).

[9] BVerfGE 95, 96 (140); BVerfGE 9, 167 (169); BverfGE 86, 288 (313). Siehe auch: Schmidt-Aßmann, In: Maunz/Dürig, Komm. z. GG. Art. 103. Rdnr. 165.

[10] Ibid. 170, BVerfGE 45, 187 (259 ff.); 57, 260 (257).

[11] BVerfGE 80, 244 (255).

[12] BVerfGE 95, 96 (140).

[13] J. Szalma, 'Alanyi és tárgyi felelősség: A vétkesség és felróhatóság kérdéskörének lehetséges szempontjairól, különös tekintettel a magyar Ptk. vonatkozó rendelkezéseire és ezek rekodifikációjára' (2001-2002) 38-39 Facultas Politico-iuridicae 21. Sowie W. Stangl, 'Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Zivil- und Strafrecht' (1990) 17/66-67 Kriminalsoziologische Bibliografie 3.

[14] PCIJ Reports, Series A, No. 17. p. 4 ff.

[15] M. C. Bassiouni (Hrsg.), International Criminal Law (1999 New York) 153.

[16] Beschlüsse des Sicherheitsrates Nr. 687, 699, 715 (1991).

[17] Beschluss des Sicherheitsrates Nr. 1137 (1997).

[18] Beschlüsse des Sicherheitsrates Nr. 731, 748 (1992).

[19] A. Cassese, International Criminal Law (2003 New York) 136.

[20] Ibid.

[21] State v. Keiver, 89 N.J. Supr. 52, 213 A 2d 320 (1965).

[22] Moore 86, 72 Eng. Rep. 458 (KB, 1535). R. G. Singer - M. R. Gardner, Crimes and Punishment: Cases, Materials and Readings in Criminal Law (1989 New York) 383.

[23] G. P. Fletcher, Rethinking Criminal Law (1978 Boston) 292.

[24] Ibid. 291.

[25] K. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts (2002 Berlin) 757.

[26] Ibid. p. 200.

[27] Ibid. ff.

[28] M. E. Badar, 'Drawing the Boundaries of Mens Rea in the Jurisprudence of the International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia' (2006) 6/3 International Criminal Law Reports 313.

[29] a) Ein militärischer Befehlshaber oder eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Truppen unter seiner oder ihrer tatsächlichen Befehls- beziehungsweise Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Truppen auszuüben, wenn

i) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person wusste oder aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umstände hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, und

ii) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person nicht alle in seiner oder ihrer Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.

b) In Bezug auf unter Buchstabe a nichtbeschriebene Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnisse ist ein Vorgesetzter strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebene auszuüben, wenn

i) der Vorgesetzte entweder wusste, dass die Untergebenen solche Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht ließ;

ii) die Verbrechen Tätigkeiten betrafen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen, und

iii) der Vorgesetzte nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.

[30] (1) Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist eine Person für ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen nur dann strafrechtlich verantwortlich und strafbar, wenn die objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich und wissentlich verwirklicht werden.

(2) "Vorsatz" im Sinne dieses Artikels liegt vor, wenn die betreffende Person

a) im Hinblick auf ein Verhalten dieses Verhalten setzen will;

b) im Hinblick auf die Folgen diese Folgen herbeiführen will oder ihr bewusst ist, dass diese im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eintreten werden.

(3) "Wissen" im Sinne dieses Artikels bedeutet das Bewusstsein, dass ein Umstand vorliegt oder dass im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse eine Folge eintreten wird. "Wissentlich" und "wissen" sind entsprechend auszulegen.

[31] Á. Farkas, Büntetőjogi együttműködés az Európai Unióban (2001 Budapest); Á. Farkas, 'Az Európai Unió törekvései büntetőjogi együttműködés (át)alakítására' in: B. J. Gellér (szerk.), Györgyi Kálmán ünnepi kötet (2006); M. Lévay, 'European Integration and the Challenges in Criminal Sanctions: The Case of Hungary' in: Lőrincz Lajos ünnepi kötet (2006).

[32] G. Corstens - J. Pradel, European Criminal Law (2002 Dordrecht) 509.

[33] R. France, 'The Influence of European Community Law on the Criminal Law of the Member States' in: (1994) European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 329.

[34] CJEC, 11 Mai 1989, Wurmser (Buchara), 25/88, Rec. CJEC, 1124, 1127.

[35] 2/94 Stellungnahme (1996), ECR 1-1759.

[36] 11/71 Internationale Handelsgesellschaft (1970).

[37] ECHR 22. Nov. 1995, R. v. United Kingdom, series A, no. 335-C.

[38] ECHR C.R. v. United Kingdom (1995), A no. 335-C; S.W. v. United Kingdom (1995), A no. 335-B.

[39] Sir Matthew Hale 's History of the Pleas of the Crown (1736).

[40] 169/80 (1981) ECR 1931, 1942.

[41] 63/83, R. v. Kent Kirk (1984) ECR 2689, 2718; C-331-88, R. v. Minister for Agriculture, Fisheries and Food, ex parte Fedesa (1990) ECR 4023, 4068.

[42] G. Corstens - J. Pradel, European Criminal Law (2002 Dordrecht) 521.

[43] ECHR, 26. April 1979, Series A no. 30.

[44] Ibid. para 49.

[45] ECHR, Kokkinakis v. Greece (1993) A no. 260.

[46] ECHR, Worm v. Austria (1997) 25, 454.

[47] ECHR S.W. v. United Kingdom, CR. v. United Kingdom (1995) A no. 335-B,C, para 44, 42.

[48] ECHR 22. März 2001, 34044/96, 35532/98, 44801/98.

[49] BGHSt39, 1, NJW 1993, 141; BGHSt 39, 168, NJW 1993, 1932; BGHSt 39, 199, NJW 1993, 1938; BGHSt 39,353, NJW 1994, 267; BGHSt 40, 48 NJW 1994, 2237; BGHSt 40, 113, NJW 1994, 2240; BGHSt 40, 218, NJW 1994, 2703; BGHSt 40, 241, NJW 1994, 2708; NJW 1995, 1437; NJW 1995, 2728; NJW 1995, 2732.

[50] BVerfGE 95, 96 (104).

[51] BVerfGE 95, 96 (140).

[52] Im kontinentaleuropäischen Rechtskreis ist die Straftat einer natürlichen Person die Voraussetzung der Verantwortung des Unternehmens. Es ist jedoch vorstellbar, dass der Täter mit dem Unternehmen finanziell verbunden ist und somit die Sanktion gegenüber dem Unternehmen auch den Täter berührt, wer als natürliche Person für die Straftat bereits verantwortlich gemacht wurde. Dies stellt einen Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem dar. Die finanziellen Sanktionen gegenüber den weiteren (nicht schuldhaft handelnden) Eigentümern werfen weitere Fragen auf.

[53] A. I. Wiener, Az Új Btk. Általános Része (2003 Budapest) 636.

[54] LB Stellungnahme 15, BED III, EBH 2004.1102, BH 1993.73

[55] BH l999. 288.

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