Privatautonomie ist nach einem viel zitierten Wort von Flume das "Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen".[1] Wichtigste Ausprägung der Privatautonomie ist die Vertragsfreiheit. Vertragsfreiheit ist soziale Interaktion und trägt gerade dadurch in Anlehnung an eine Formulierung von Suhr zur "Entfaltung des Menschen durch den Menschen"[2] bei. Robinson Crusoe kann keine Verträge schließen. Er benötigt hierzu mindestens Freitag. Die Vertragsfreiheit ermöglicht es den Vertragschließenden, zum beiderseitigen Nutzen eine rechtsverbindliche Kooperationsbeziehung einzugehen.[3] Verträge strukturieren das gesellschaftliche, vor allem das wirtschaftliche Umfeld. Sie stabilisieren Verhaltenserwartungen. Verträge erlauben es den Parteien, die "Fesseln der Gegenwart"[4] abzustreifen und eine Anweisung auf die Zukunft auszustellen. Verträge binden die Vertragsparteien. Aber diese durch das Privatrecht angeordnete Bindung ist keine Einschränkung von Freiheit, sondern eine Ermöglichung von Freiheit, weil nur durch die Bindung der auf die Gestaltung der Wirklichkeit gerichtete Zweck erreicht werden kann.[5]
Vertragsfreiheit ist koordinierte Selbstbestimmung. Die Vertragsparteien suchen sich den Kontrahenten aus und sie formen den Inhalt des Vertrages. Geschieht dies ohne eine Störung der Entscheidungsfreiheit, verkörpert die vertragliche Regelung das Ideal der beiderseitigen Selbstbestimmung in rechtlichen Angelegenheiten. Die Legitimation der Geltung der vertraglichen Verein* Grundlegend überarbeitete und mit Nachweisen versehene Fassung des am 5. März 2010 im Rahmen des 2. Deutsch-Ungarischen Kolloquiums an der Georg-August-Universität Göttingen gehaltenen Vortrags.
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barungen beruht auf dem Konsens der Vertragsparteien. Man kann zwar durchaus die Frage nach der Vertragsgerechtigkeit als zusätzliche Voraussetzung für die Legitimation der vertraglichen Bindung aufwerfen. Solange man insoweit aber den Mechanismus des Vertragsschlusses mit seinem Erfordernis der Zustimmung des jeweils nachteilig betroffenen Teils zum Vorteil des anderen Teils als Kriterium für eine auch inhaltlich richtige Regelung ausreichen lässt,[6] was letztlich auf eine "Legitimation durch Verfahren" hinausläuft, ist im Ergebnis nicht viel gewonnen.[7] Weitergehende inhaltliche Anforderungen im Sinne einer richterlichen Kontrolle sämtlicher Verträge auf Angemessenheit können indes nicht gestellt werden, soll der privatautonom geschlossene Vertrag nicht seiner Funktion als Instrument der Selbstbestimmung der Vertragsparteien beraubt werden. Zudem trägt die geltende Vertragsrechtsordnung mit ihren beiden Säulen der Vertragsfreiheit und des Wettbewerbsprinzips bis zu einem gewissen Grade grundlegenden Gerechtigkeitspostulaten Rechnung.[8] Der individuelle Vertrag, durch den beide Seiten gleichberechtigt ihre Interessen zum Ausgleich bringen, ist daher das Leitbild, an dem sich jede von außen auf das Arbeitsverhältnis einwirkende Regulierung zu messen hat.
Das Verfassungsrecht nimmt diese Grundgedanken auf. Ihrer besonderen Bedeutung für die Selbstbestimmung entsprechend wird die Vertragsfreiheit nach einhelliger Auffassung verfassungsrechtlich geschützt, auch wenn sie anders als noch in der Weimarer Reichsverfassung[9] nicht mehr ausdrücklich im Grundgesetz erwähnt wird.[10] Dies gilt grundsätzlich auch im Arbeitsrecht. Allerdings verortet man die Arbeitsvertragsfreiheit nach überwiegender Ansicht nicht in der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, sondern sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber in der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG.[11] Der einfache Gesetzgeber hat dieses Grundverständnis vor einigen Jahren aufgegriffen und die allgemeine Arbeitsvertragsfreiheit in der Gewerbeordnung mit Wirkung für sämtliche Arbeitsverhältnisse verankert.[12]
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Das schöne Bild des individuellen Arbeitsvertrages, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre jeweiligen Interessen auf gleicher Augenhöhe abschließend zu einem Ausgleich bringen, trübt sich freilich sofort ein, wenn man sich die tatsächlichen Rahmenbedingungen vor Augen hält, die auf dem Arbeitsmarkt, sowie innerhalb des Arbeitsverhältnisses bzw. des Betriebes herrschen. An ihnen zeigt sich, dass mit dem Einzelarbeitsvertrag allein nicht auszukommen ist. Vielmehr sind verschiedene kollektivvertragliche Mechanismen erforderlich, um Probleme zu bewältigen, die sich auf der Ebene des einzelnen Arbeitsvertrages nicht befriedigend lösen lassen.
Die erste Besonderheit betrifft die Gegebenheiten auf dem Arbeitsmarkt. Während auf den allgemeinen Güter- und Dienstleistungsmärkten sozial erwünschte Ergebnisse gerade durch einen möglichst freien Wettbewerb herbeigeführt werden, hat der allgemeine Preismechanismus bei einem ungebremsten Wettbewerb jedenfalls bei zahlreichen Arbeitnehmergruppen zur Folge, dass die Entgelte und sonstigen Arbeitsbedingungen kein angemessenes Niveau erreichen. Hauptursache ist das regelmäßige Überangebot der Arbeitnehmerseite an Arbeitsvermögen im Verhältnis zur Nachfrage durch die Arbeitgeberseite.[13] Der Verweis auf das Sozialleistungsniveau als absolute Untergrenze von Arbeitsentgelten[14] ist nur ein schwacher Trost, weil diese Alternative regelmäßig mit einem erheblichen Konsumverzicht und sozialer Exklusion bezahlt wird. Weiter ist das Arbeitsvermögen des Arbeitnehmers zwangsläufig an die eigene Person gebunden und kann deshalb nur in einem deutlich geringeren Maße an
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sich ändernde Marktverhältnisse angepasst werden, als dies bei anderen Produktionsfaktoren der Fall ist. So lassen sich Kenntnisse und Fähigkeiten nicht beliebig variieren. Die Mobilität von Arbeitnehmern ist durch die Einbindung in soziale Kontexte beschränkt und hält keinen Vergleich mit der Umlaufgeschwindigkeit von Geldkapital aus, das heute über das Medium des Kapitalmarktes in die Produktion von Kraftfahrzeugen und morgen in die Finanzierung einer Tiefseebohrung investiert werden kann.[15] Schließlich haben Arbeitnehmer mit längerer Unternehmenszugehörigkeit spezifisches Wissen angesammelt, das bei einem Arbeitsplatzwechsel entwertet wird und eine Abwanderung (exit-Option) als wenig glaubwürdig erscheinen lässt, wenn es um Neuverhandlungen über Arbeitsbedingungen geht.[16] Die Besonderheiten des Arbeitsmarktes führen somit typischerweise zu einer strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers bei der Aushandlung seiner Vertragsbedingungen.[17]
Die Lösung dieses Marktversagens ist in erster Linie Aufgabe der aus der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG fließenden Tarifautonomie. Sie hat die Funktion, die Schwäche des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber bei der Aushandlung von Arbeitsbedingungen zu kompensieren.[18] Hierbei hat sich in den letzten Jahren immer stärker das Verständnis durchgesetzt, Tarifautonomie als kollektive Privatautonomie zu begreifen.[19] Die Arbeitnehmer fassen ihre gleichgerichteten Interessen an für sie möglichst günstigen Arbeitsbedingungen zusammen und gewinnen durch ein einheitliches Auftreten gegenüber der Arbeitgeberseite einschließlich eines glaubwürdigen Drohpotentials in Form des Streikrechts an Verhandlungsmacht.[20] Die individuelle Vertragsfreiheit wird gleichsam auf eine kollektive Ebene gehoben. Wirtschaftlich gesehen geht es bei der Assoziierung der Arbeitnehmerseite um eine
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Kartellbildung, um insbesondere zum einen durch Arbeitszeitregelungen die insgesamt angebotene Arbeitsmenge zu begrenzen und zum anderen zu allgemeinen Mindestentgelten zu gelangen. Das Verhandlungsergebnis wird anschließend durch die gesetzlich angeordnete Normwirkung von Tarifverträgen[21] auf einfache Weise in die tarifgebundenen Einzelarbeitsverhältnisse transformiert. Damit wird einem Unterbietungswettbewerb auf der Arbeitnehmerseite entgegengewirkt.[22] Demgegenüber hat die weiter gehende Auffassung, nach der die Tarifautonomie die Ordnung und Befriedung des gesamten Arbeitslebens bezweckt,[23] in den letzten Jahren deutlich an Boden verloren. Dem Grundanliegen der Verfassung, die das selbstbestimmte Individuum in den Mittelpunkt rückt, entspricht in der Tat eher der freiheitsrechtliche Ansatz. Dennoch kann nicht zweifelhaft sein, dass Tarifverträge einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, das Arbeitsleben als einen zentralen Bereich gesellschaftlicher Reproduktion zu strukturieren und zu befrieden.[24] Dies gilt vor allem für Verbandstarifverträge, mit denen die Arbeitskonditionen als Wettbewerbsparameter innerhalb des Geltungsbereichs des jeweiligen Tarifvertrages neutralisiert werden, so dass der Marktdruck abgeschwächt wird, durch eine Absenkung von Arbeitsbedingungen Wettbewerbsvorteile zu generieren.
Die zweite Besonderheit ist die Struktur des Arbeitsvertrages. Das Arbeitsverhältnis hat einen hierarchischen Charakter, weil der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterworfen ist und der Arbeitgeber darüber hinaus die betriebliche Organisationsgewalt innehat, also zahlreiche Rahmenbedingungen grundsätzlich einseitig festlegen kann, die auf die konkrete Arbeitssituation Einfluss nehmen. Direktionsrecht und betriebliche Organisationsgewalt bergen für die davon betroffenen Arbeitnehmer freilich Risiken, weil der Arbeitgeber auf diese Weise einseitig die Arbeitsleistung konkretisieren sowie die Arbeitsumgebung bestimmen kann. Die strukturelle Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers bei der Aushandlung der Arbeitsbedingungen setzt
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sich daher innerhalb des Arbeitsverhältnisses fort.[25] Diesem Phänomen entgegenzuwirken ist die Hauptaufgabe der betrieblichen Arbeitnehmervertretung. Durch zahlreiche abgestufte Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte übt der Betriebsrat einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers aus und bestimmt sie teilweise sogar gleichberechtigt mit. Wichtigstes Instrument zur gleichberechtigten Regulierung betrieblicher Angelegenheiten durch die Betriebsparteien ist die Betriebsvereinbarung, mit der das Ergebnis des Interessenausgleichs zwischen Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite aufgrund der gesetzlich angeordneten Normwirkung[26] ebenfalls unmittelbar auf die Ebene der einzelnen Arbeitsverhältnisse geschleust wird.[27]
Die dritte Besonderheit liegt in der regelmäßigen Einbindung des Arbeitsverhältnisses in eine betriebliche Organisation. Das einzelne Arbeitsverhältnis ist nicht nur ein bilaterales Austauschverhältnis. Vielmehr ist es zugleich in einen multilateralen Zusammenhang integriert, der eine Fülle von Abstimmungsproblemen mit den anderen Arbeitsverhältnissen hervorruft. Dies betrifft neben der Koordinierung der eigentlichen Arbeitsleistungen insbesondere auch die Lösung von Verteilungsproblemen, die sich etwa auf die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit oder auf die Urlaubserteilung zu besonders begehrten Zeiten beziehen. Die Individualautonomie und ihr auf das einzelne Rechtsverhältnis beschränkter Gesichtskreis stoßen hier an ihre Grenzen. Ohne einen übergreifenden Koordinierungs- und Ausgleichmechanismus auf kollektiver Ebene sind die Probleme, die durch die betriebliche Verbundenheit der Arbeitsverhältnisse entstehen, nicht befriedigend lösbar.
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Das Arbeitsverhältnis wird somit durch drei auf verschiedenen Ebenen angesiedelte vertragliche Regelungen gesteuert: Arbeitsvertrag, Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, die man üblicherweise als Ausfluss von Individualautonomie, Tarifautonomie und Betriebautonomie begreift.[28] Die Regulierung nicht nur durch den Individualvertrag, sondern auch durch Kollektivverträge ist allerdings nicht allein dem Gedanken des Schutzes der unterlegenen Partei geschuldet. Es geht nicht ausschließlich um die Kompensation eines Machtgefälles. Vielmehr macht die Steuerung des Arbeitsverhältnisses auf verschiedenen Ebenen auch institutionenökonomisch Sinn.
Ausgangspunkt ist der Umstand, dass der Arbeitsvertrag ein sogenannter unvollständiger Vertrag ist.[29] Die Arbeitsvertragsparteien sind außer Stande, sämtliche im Laufe des Arbeitsverhältnisses auftretenden Fragen vorab vertraglich so zu klären, dass zu einem späteren Zeitpunkt keine neuen Regelungen mehr erforderlich sind. Alle Versuche in diese Richtung scheitern an prohibitiv hohen Transaktionskosten. Der Arbeitsvertrag ist also notwendig lückenhaft, wobei diese Lücken nicht als Vertragsstörungen zu interpretieren sind, sondern mit der Eigenart des individuellen Arbeitsvertrages und der Unmöglichkeit zusammenhängen, alle Eventualitäten zu antizipieren und hierfür abschließende Regelungen a priori festzulegen. Dies gilt in erster Linie für die geschuldete Arbeitsleistung, die nicht in allen Einzelheiten determiniert, sondern die lediglich rahmenmäßig umschrieben werden kann, teilweise aber auch für andere Fragen wie insbesondere das Entgelt, das in einem länger andauernden Arbeitsverhältnis nicht vom Beginn bis zu seinem Ende unverändert bleiben kann. Es gibt somit kaum ein anderes Rechtsverhältnis, bei dem das Dilemma zwischen dem Versuch, durch Verträge Zukünftiges in Gegenwärtiges zu verwandeln,[30] und dem Unvermögen, dies effektiv zu bewerkstelligen, so offen zutage tritt und das deshalb so sehr auf institutionelle Mechanismen zur Ausfüllung und Anpassung an ständig neue ökonomische und soziale Bedürfnisse angewiesen ist, wie das Arbeitsverhältnis.
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Soweit es um die Arbeitsleistung geht, ist auf der Ebene des Arbeitsvertrages das Weisungsrecht das zentrale Instrument, um das Arbeitsvermögen an die Erfordernisse des Arbeitsprozesses ("Zustände der Welt") anzupassen.[31] Das durch die Unvollständigkeit des Arbeitsvertrages verursachte Anpassungsproblem wird somit nicht durch Nachverhandlungen, sondern durch die einseitige Zuweisung einer Kompetenz an eine Vertragspartei gelöst.[32] Notwendige Entscheidungen werden demnach nicht dem Markt überantwortet, sondern auf hierarchische Weise getroffen. An diesem Punkt zeigt sich deutlich, dass das Arbeitsverhältnis zwar durch Vertrag begründet wird, die anschließende vertragliche Beziehung aber kein reines Austauschverhältnis ist, sondern eine organisatorische Struktur aufweist. Das allgemeine Direktionsrecht des Arbeitgebers besteht allerdings nur innerhalb der vom Arbeitsvertrag gezogenen Grenzen und betrifft insbesondere nicht die Austauschbedingungen.
Vor diesem Hintergrund kann die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses durch betriebliche Instrumente zum einen als Versuch begriffen werden, die mit der Zuweisung einseitiger Bestimmungsrechte an eine Vertragspartei verbundenen Opportunismusrisiken zu neutralisieren. Darüber hinaus erscheint die Betriebsverfassung als institutionalisierte Vertragshilfe, weil sie es ermöglicht, die vom Arbeitsvertrag gelassenen Lücken zu schließen und das Arbeitsverhältnis an veränderte Bedingungen anzupassen.[33] Beispielhaft seien nur die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage genannt.[34] Eine Koordination der aufeinanderbezogenen Arbeitsverhältnisse durch zahlreiche bilaterale Arbeitsverträge ist zwar nicht geradezu unmöglich, aber doch aus verschiedenen Gründen (Informationsasymmetrie, Vervielfältigung von Verhandlungen) höchst ineffizient. Insoweit sind Betriebsvereinbarungen deshalb das ideale Instrument für ein multilaterales Interessenclearing. Zudem können Kollektivgüter, etwa eine allen Beschäftigten gleichermaßen zugute kommende Verbesserung der Arbeitsumgebung, nur auf kollektivem Wege vertraglich geregelt werden, weil eine Aufteilung auf einzelne Transaktionen nach der Logik individuellen Handelns nicht gelingen kann.[35] Die vertragliche Regulierung qualitativer Arbeitsbedingungen, die einen großen Beitrag zur Motivation leisten, ist daher am besten beim Betriebsrat als kollektives Interessenvertretungsorgan aufgehoben. Dies alles ist möglich auch ohne die Hypostasierung des Phänomens der be-
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trieblichen Verbundenheit der Arbeitsverhältnisse zu einem regelrechten Betriebsverband, wie sie vor allem von Reuter schon seit langem favorisiert wird[36].
Während auf der betrieblichen Ebene die Bewältigung der arbeitsorganisatorischen Anforderungen im Vordergrund steht, geht es auf der tariflichen Ebene um die regelmäßige Novellierung der grundsätzlichen Austauschbedingungen. Durch die Verlagerung des Verhandlungsmechanismus auf eine kollektivvertragliche Ebene werden Transaktionskosten verringert, weil die Gewerkschaften die für effektive Verhandlungen über Arbeitsbedingungen notwendigen Informationen kostengünstiger als die einzelnen Arbeitnehmer sammeln und auswerten können und weil zudem die erforderliche Anpassungsleistung für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen gleichzeitig erbracht wird.[37] Tarifvertragsverhandlungen gehorchen allerdings nur sehr eingeschränkt den Mechanismen des Marktes, weil in vielen Fällen kein Wettbewerb zwischen verschiedenen Markteilnehmern herrscht, sondern ein bilaterales Monopol besteht. Wenn die Tarifautonomie heutzutage überwiegend als kollektive Privatautonomie gedeutet wird, muss man daher in Rechnung stellen, dass der Tarifvertrag im Allgemeinen nicht die Rolle einnimmt, die ein Einzelvertrag in einer wettbewerblich strukturierten Ordnung hat.
Fasst man alle vertraglichen Gestaltungsfaktoren zusammen, erscheinen sie als institutionelles Arrangement von Vorgaben, die das Arbeitsverhältnis steuern, indem sie darauf abzielen, normativ erwünschte Wirkungen zu erreichen und normativ unerwünschte Wirkungen zu vermeiden.[38] Modern gesprochen geht es damit um eine auf den Arbeitsvertrag bezogene contract governance[39]. Eine solche Sichtweise ersetzt nicht die tradierten Deutungen und soll insbesondere nicht die Existenz von Machtverhältnissen wegdefinieren. Erst recht fließen in die employment contract governance selbstverständlich noch zahlreiche weitere rechtliche und außerrechtliche Faktoren ein. Dennoch kann eine Konzeption, die das Arbeitsverhältnis aus der Perspektive der Verhaltensteuerung und Verhaltenskoordinierung in den Blick nimmt, wertvolle zusätzliche Einsichten liefern.
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Die Regulierung des Arbeitsverhältnisses kann zweifellos auch mit arbeitsvertraglichen Instrumenten vorangetrieben werden. Diesem Zweck dienen vorformulierte Arbeitsbedingungen, die der Arbeitgeber einsetzt, um die Nebenkonditionen des Arbeitsverhältnisses zu vereinheitlichen und Transaktionskosten beim Vertragsabschluss und bei der Vertragsabwicklung einzusparen. Durch besondere Anpassungsklauseln, die den Spielraum des Arbeitgebers zu einseitigen Entscheidungen über die dem Weisungsrecht gezogenen Grenzen hinaus ausdehnen sollen, kann zudem die Fähigkeit zur Bewältigung kontingenter Ereignisse erhöht werden. Diese schon seit langem unter dem Stichwort Flexibilisierung des Arbeitsverhältnisses gehandelten Instrumente wie etwa Versetzungsklauseln und Widerrufvorbehalte tragen dazu bei, das Vertragsband zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu stabilisieren, verflüssigen aber gleichzeitig den Inhalt der Arbeitsbedingungen und haben aus der Sicht des betroffenen Arbeitnehmers damit einen ambivalenten Charakter.
Da vorformulierte Vertragsbedingungen der Form nach beiderseitige vertragliche Selbstbestimmung sind, der Sache nach aber die einseitige Ausnutzung von Vertragsgestaltungsmacht und damit Fremdbestimmung, rufen sie nach kompensierenden rechtlichen Mechanismen. Solcher Mechanismen bedürfte es nur dann nicht, wenn durch Markt und Wettbewerb der Vorsprung der einen Seite neutralisiert würde. Genau dies ist bei vorformulierten Vertragsbedingungen aber nicht der Fall, weil es sich für den Klauselgegner regelmäßig nicht lohnt, seine rechtsgeschäftliche Aufmerksamkeit auf den Inhalt der Nebenkonditionen zu richten, sie gegebenenfalls mit den Geschäftsbedingungen von Wettbewerbern zu vergleichen und über diese Konditionen zu verhandeln bzw. die eigene Entscheidung über den Vertragsabschluss davon abhängig zu machen. Im allgemeinen AGB-Recht hat sich deshalb zutreffend der Gedanke der Informationsasymmetrie als Kern der situativen Unterlegenheit des Klauselgegners herauskristallisiert.[40] Das durchaus rationale Desinteresse an einem genauen Studium der Nebenbedingungen verhindert, dass sie zum Gegenstand einer informierten und alle Eventualitäten ins Kalkül ziehenden Vertragsabschlussentscheidung des Klauselgegners werden, was zugleich bedeutet, dass sie anders als die Hauptleistungspflichten nicht den Kräften von Markt und Wettbewerb unterworfen sind. Ein Konditionenwettbewerb, der dazu führen würde, dass sich auf Dauer die für die Interessen aller Marktteilnehmer vorteilhaftesten Nebenbedingungen durchsetzen, findet nicht statt. Die vom Gesetzgeber 1976 im Anschluss an eine jahrzehntelange Judikatur im AGB-Gesetz normativ ver-
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ankerte und 2002 in das BGB integrierte AGB-Kontrolle, in deren Zentrum die allgemeine Angemessenheitskontrolle von Formularverträgen steht,[41] ist damit im Grundsatz sowohl individuell vertragstheoretisch als auch überindividuell marktheoretisch gerechtfertigt.
Die Eignung von vorformulierten Arbeitsbedingungen für die employment contract governance hängt in erster Linie davon ab, wie intensiv die durch die Schuldrechtsreform im Jahr 2002 ausdrücklich auf Arbeitsverträge ausgedehnte AGB-Kontrolle[42] praktiziert wird. Insoweit hat man es gleichsam mit einem "beweglichen System"[43] zu tun. Da die AGB-rechtlichen Kontrollmechanismen nur für Formulararbeitsverträge, gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB aber nicht für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gelten, und beide Arten von Kollektivverträgen auch sonst keiner allgemeinen Angemessenheitskontrolle unterliegen,[44] gewinnen diese umso mehr an Attraktivität, je engere Grenzen die Rechtsprechung vorformulierten Arbeitsbedingungen auf der Grundlage der §§ 305 ff. BGB zieht.[45] Die Kontrolle der Individualautonomie erweist sich daher mittelbar als eine Stärkung der Kollektivautonomie, weil sie Anreize schafft, bestimmte Regelungsinhalte auf die kollektive Ebene zu verlagern. Hierfür spielt es eine Rolle (oder sollte es doch zumindest spielen), ob sich die skizzierte vertragstheoretische und markttheoretische Begründung für das AGB-Recht auch auf die AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht übertragen lässt. Dies hängt davon ab, ob in empirischer bzw. modelltheoretischer Hinsicht die typischen Vertragsabschlusssituationen beim Einsatz von AGB im allgemeinen Wirtschaftsverkehr und im Arbeitsrecht identisch sind. Im deutschen Schrifttum findet man zu dieser Frage bislang erstaunlich wenige Stellungnahmen. Soweit man die Problematik überhaupt anspricht, wird regelmäßig ohne nähere Begründung angenommen, dass die Verhältnisse gleichgelagert seien.[46]
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Betrachtet man die Situation beim Abschluss von Arbeitsverträgen näher, lässt sich zunächst konstatieren, dass die jeweiligen Konstellationen durchaus unterschiedlich sind. Vereinfacht gesagt lassen sich zwei Typen unterscheiden: Erstens werden dem Arbeitnehmer vor allem bei einfacheren Tätigkeiten die Nebenkonditionen des Arbeitsvertrages weder erläutert noch vor dem eigentlichen Vertragsschluss für längere Zeit überlassen, um anschließend gegebenenfalls über deren Inhalt zu verhandeln. Vielmehr werden sie vom Arbeitnehmer schlicht hingenommen. Insoweit wird also nicht die Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, sondern es wird gar nicht erst entschieden. Daher hat man es mit einer Informationsasymmetrie zu tun. Allerdings greift es zu kurz, wenn man annimmt, dass der Arbeitnehmer nur wegen der prohibitiv hohen Transaktionskosten auf eine genaue Analyse der Nebenbedingungen verzichtet. Vielmehr wird teilweise das berechtigte Gefühl bestehen, an den Rahmenbedingungen der Tätigkeit ohnehin nichts ändern zu können, weil der Arbeitgeber erfahrungsgemäß nicht geneigt sein wird, von einheitlichen betrieblichen Nebenkonditionen im Interesse eines einfachen Arbeitnehmers abzuweichen und damit den erstrebten Rationalisierungszweck in Frage zu stellen. Zudem kann es teilweise auch schlicht am intellektuellen Vermögen fehlen, das Klauselwerk in seinen rechtlichen Auswirkungen zu erfassen, auch wenn hierfür genügend Zeit vorhanden wäre. Insoweit gelangt man daher zu dem Ergebnis, dass es neben dem Grund, der die allgemeine AGB-Kontrolle rechtfertigt, bei diesem Arbeitnehmerkreis weitere Gründe gibt, die eine Inhaltskontrolle legitimieren.
Etwas schwieriger stellt sich die Sachlage bei höher qualifizierten Arbeitnehmern dar. Bei diesem Personenkreis wird nicht selten der gesamte Text des Arbeitsvertrages einschließlich der Nebenbedingungen mit dem Arbeitnehmer durchgesprochen. Teilweise wird der Vertragsentwurf dem Arbeitnehmer sogar vor dem eigentlichen Vertragsabschluss zur Einsichtnahme überlassen. Darüber hinaus sind viele Arbeitsverträge nicht so kompliziert abgefasst, dass sie jedenfalls von einem akademisch vorgebildeten Arbeitnehmer nicht gedanklich erfasst werden könnten. Dies bedeutet, dass in diesen Fällen von einer zwischen den Arbeitsvertragsparteien bestehenden Informationsasymmetrie im Hinblick auf die in Rede stehenden Konditionen nicht gesprochen werden kann. Gleichwohl lässt sich nicht leugnen, dass auch diese Personen bei unangemessenen Nebenbedingungen regelmäßig keine Anstalten unternehmen, ihre individuellen Präferenzen zu artikulieren und über diese Konditionen zu verhandeln oder daran den Arbeitsvertrag scheitern zu lassen. Vielmehr stehen der Tätigkeitsinhalt und das Entgelt ganz im Vordergrund. Einer der Gründe dürfte darin bestehen, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der Bewerbung um einen Arbeitsplatz das Arbeitsverhältnis nicht von vornherein belasten will, indem er den Eindruck erweckt, über jede Einzelfrage umfassend debattieren zu wollen. Außerdem wird der Arbeitnehmer erfahrungsgemäß mit Recht davon ausgehen
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können, dass der größte Teil der Klauseln während seines Arbeitsverhältnisses keine praktische Relevanz erlangen wird. Soweit kann also durchaus von einem rationalen Desinteresse an einem Verhandeln über unangemessene Klauseln auch dann gesprochen werden, wenn deren rechtlicher Gehalt erkannt worden ist. Bei diesem Personenkreis existieren somit Gründe für eine situative Unterlegenheit des Arbeitnehmers, die eine Inhaltskontrolle legitimieren, die aber nicht in einer Informationsasymmetrie liegen.
Soweit es schließlich um den überindividuellen Aspekt des Konditionenwettbewerbs geht, muss dieser modelltheoretisch angepasst werden. Geht man davon aus, dass bei einem vollkommenen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt auch die Nebenkonditionen für wettbewerbliche Entscheidungen von Arbeitnehmern als Marktteilnehmer eine Rolle spielen, würden sich in der Tat im Laufe der Zeit inhaltlich angemessene Nebenbedingungen herauskristallisieren, weil Arbeitgeber, die unangemessene allgemeine Arbeitsbedingungen "anbieten", vom Markt verdrängt würden. Tatsächlich geschieht dies jedoch nicht, was seinen Grund freilich weniger in einer Informationsasymmetrie hat, sondern vielmehr darin, dass die Hauptleistungspflichten "Arbeitsleistung gegen Entgelt" regelmäßig einen so fundamentalen Charakter für den Arbeitnehmer haben, dass auch unangemessene Nebenkonditionen wohl oder übel in jedem Fall in Kauf genommen werden, um das begehrte Gut, nämlich den Arbeitsplatz als Beschäftigungsmöglichkeit und Einkommensquelle, zu erhalten. Außerdem stößt die für einen Konditionenwettbewerb an sich erforderliche Bewertung alternativer vertraglicher Arrangements zumeist auf unüberwindliche Schwierigkeiten, weil der Arbeitnehmer regelmäßig keinen Zugang zu den Arbeitsvertragsbedingungen anderer Arbeitgeber hat. Damit lässt sich im Hinblick auf die Nebenbedingungen von Arbeitsverträgen ein Marktversagen konstatieren, dass wiederum eine gerichtliche Inhaltskontrolle legitimiert.
Wenn der Gesetzgeber trotz dieser herausgearbeiteten rechtstatsächlichen Unterschiede, die sicherlich noch einer Verfeinerung bedürfen, durch die Schuldrechtsreform gleichwohl eine Kontrolle von vorformulierten Arbeitsverträgen nach AGB-rechtlichen Grundsätzen angeordnet hat, ist dies in konzeptioneller Hinsicht dahin zu verstehen, dass die Gerichte unangemessenen Arbeitsbedingungen unabhängig davon entgegentreten sollen, ob ein Informationsdefizit auf Seiten des Arbeitnehmers besteht. Im Arbeitsrecht kommt daher letztlich doch wieder der traditionelle Gedanke der gestörten Verhandlungsparität zum Vorschein, die es auch einem informierten Arbeitnehmer zumindest deutlich erschwert, seine Vorstellungen von einem angemessenen Vertragsinhalt gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen.
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Zwischen den verschiedenen Regelungsebenen bestehen vielfältige Spannungen, die sich in den Fragen äußern, welche Angelegenheit auf welcher Ebene de lege lata geregelt werden kann oder geregelt werden darf bzw. welche Regelung derselben Frage sich im Konfliktfalle durchsetzt. Diese Problematik zählt zu den "Ewigkeitsfragen" des deutschen Arbeitsrechts und wird in einem nicht mehr zu überschauenden Schrifttum üblicherweise in den normativen Kategorien von Freiheit, Macht und Legitimation diskutiert. Der Blickwinkel der employment contract governance ist als solcher dagegen bislang nur selten zur Sprache gekommen, auch wenn die Frage der Effizienz kollektivvertraglicher Regulierung selbstverständlich schon seit langem insbesondere im Hinblick auf das Tarifvertragswesen aufgeworfen wird. Allerdings stehen insoweit eher externe Effekte, nämlich die Auswirkungen auf Beschäftigungsstand und Arbeitslosigkeit im Vordergrund. Angesichts der schon seit Jahrzehnten geführten umfänglichen Debatte über das Verhältnis von Individualautonomie, Tarifautonomie und Betriebsautonomie kann es im Folgenden nur darum gehen, einige Akzente zu setzen.
Die für die Gesamtarchitektur des Arbeitsrechts sicherlich wichtigste Frage betrifft das Verhältnis von Individualautonomie und Tarifautonomie.[47] In äußerlicher Hinsicht scheint mit der unmittelbaren und zwingenden Wirkung von Tarifnormen[48] und dem dadurch gesicherten Charakter von tariflichen Regelungen als Mindestarbeitsbedingungen einerseits so wie dem Günstigkeitsprinzip[49] und der damit bestehenden Möglichkeit zur privatautonomen Verbesserung von Arbeitsbedingungen andererseits das Feld auf den ersten Blick wohl bestellt zu sein. Dennoch entsteht sogleich in den Fällen eine Bruchlinie, in denen auf der Ebene des Arbeitsvertrages Arbeitsbedingungen vereinbart werden, die nicht unstreitig als günstiger qualifiziert werden können, die aber dennoch möglicherweise dem aktuellen Willen des Arbeitnehmers entsprechen. Wichtigstes Beispiel ist das klare Unterschreiten tariflich fixierter Arbeitsbedingungen mit dem Ziel, auf diese Weise den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Das BAG hat sich gegen den Versuch der Relativierung des Tarifvorrangs gewandt[50] und dabei neben Zustimmung auch viel Kritik geerntet.
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Hinter dieser Auseinandersetzung stehen letztlich fundamental unterschiedliche Konzeptionen der Tarifautonomie. Für die "traditionelle" Sichtweise des BAG vollzieht sich die Mitwirkung der Arbeitnehmer an der Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen in erster Linie durch die Tarifautonomie. Jede Stärkung des Tarifvertragswesens[51] stellt sich deshalb als Beitrag dar, durch die Effektivierung der rechtlichen Infrastruktur die Wahrscheinlichkeit der tarifvertraglichen Regulierung von Arbeitsbedingungen zu erhöhen und auf diesem Wege das Prinzip der gleichberechtigten Selbstbestimmung der Arbeitnehmerseite zu verwirklichen. Es ist somit konsequent, wenn einzelvertragliche Vereinbarungen, die den tariflichen Vorgaben zuwiderlaufen, verworfen werden, auch wenn sie vordergründig dem Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes dienen, weil sie nicht als Ausdruck tatsächlicher Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers gedeutet werden und darüber hinaus dem langfristigen Interesse der Arbeitnehmerschaft an einem stabilen Tarifvertragssystem zuwiderlaufen. Die Gegenansicht versucht schon seit längerem, das herkömmliche Verständnis der Tarifautonomie als Anerkennung einer originären Kollektivautonomie, die zur Gefahr einer Freiheitseinschränkung zu Lasten der Arbeitnehmer führt, zu enttarnen. Man sieht die überkommene Sichtweise in kollektivistischen Denktraditionen im Sinne der Konzeptionen von Gierkes und Sinzheimers verfangen, die auf eine Anerkennung der Tarifvertragsparteien als "intermediäre Mächte" hinauslaufen würden, die kraft eigenen Rechts über die Köpfe der eigentlich Betroffenen hinweg die Arbeitsordnung gestalten und hierdurch die Individualautonomie zu Unrecht verkürzen würden.[52] Schlagwortartig geht es um den Grundsatzstreit "Selbstbestimmung der Arbeitnehmer durch den Tarifvertrag" versus "Selbstbestimmung der Arbeitnehmer durch Zurückdrängung des Tarifvertrags", der hier nicht in aller Breite aufgerollt werden kann.[53]
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Aus der Perspektive der employment contract governance zeigt sich ein ambivalentes Bild: Danach wird dem Tarifvertrag lediglich die Funktion zugeschrieben, die individuellen Interessen der Parteien des Arbeitsverhältnisses, die im Einzelarbeitsvertrag nicht angemessen artikuliert werden können, zur Sprache zu bringen und zu regeln. Sonstige Ziele der Tarifpolitik, die nicht auf definierbare Einzelinteressen in den jeweiligen Arbeitsverhältnissen rückführbar sind, werden ausgeklammert. Zugleich traut man der individuellen Ebene die Fähigkeit zu einer angemessenen Feinsteuerung zu, die offenbar den Interessen beider Vertragsparteien und nicht nur den Interessen des Arbeitgebers dient. Da sich eine solche Feinsteuerung offenbar im Günstigkeitsbereich abspielen soll, reduziert sich die Frage letztlich darauf, ob die tariflich geregelten Arbeitsbedingungen gegenwärtig angemessen oder schon "zu hoch" sind, was mit juristischen Maßstäben seriös nicht zu entscheiden ist. Wichtiger ist die Grundsatzfrage, ob Tarifautonomie nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ doch mehr ist, als die heutzutage vehement vertretene Einordnung als kollektive Privatautonomie glauben macht. Immerhin kann man sie als eine Form gesellschaftlicher Selbstregulierung[54] begreifen, bei der sich hochspezialisierte Institutionen den Herausforderungen der Veränderung der Arbeitswelt stellen (etwa in den Bereichen demographischer Wandel, Vereinbarkeit von Beruf und Familie) und konsensfähige, den Rahmenbedingungen in den jeweiligen Unternehmen bzw. Branchen angepasste "soziale Innovationen"[55] entwickeln, die weder aus dem Einzelarbeitsvertrag abgeleitet noch realistischerweise durch gesetzgeberische Regulierung geschaffen werden können.[56] Insoweit gilt es zu erkennen, dass das "Entdeckungsverfahren Wettbewerb" à là von Hayek an seine Grenzen stößt, weil zahlreiche gesellschaftlich wertvolle Informationen allein auf der Ebene des Einzelarbeitsvertrages nicht generiert werden können.
Das Verhältnis von Individualautonomie und Betriebsautonomie wird vor allem durch zwei Fragen geprägt: Die erste Frage betrifft die Beziehung zwischen Individualvereinbarung und Betriebsvereinbarung. Gesetzlich geregelt ist nur die unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen,[57]
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anders als im Tarifvertragsrecht aber nicht das Günstigkeitsprinzip. Gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass sich günstigere Einzelabreden auch in der Betriebsverfassung durchsetzen,[58] obwohl sie einen multilateralen Interessenausgleich mit Blick auf die in einem betrieblichen Zusammenhang aggregierten Arbeitsverhältnisse, der auf der tarifvertraglichen Ebene in dieser Form nicht existiert, torpedieren können. Ungeklärt ist lediglich die Rechtsfigur des kollektiven Günstigkeitsvergleichs, die das an sich auf einzelarbeitsvertragliche Vereinbarungen zugeschnittene Günstigkeitsprinzip bei finanziellen Leistungen an die Arbeitnehmer auf der Grundlage eines kollektiven Bezugssystems auf das Gesamtniveau des Systems bezieht.[59] Große Bedeutung hat diese einst sehr umstrittene Thematik aber offenbar nicht mehr.[60]
Die zweite Frage betrifft das vorgelagerte Problem der Kompetenz der Betriebsparteien zum Abschluss von Betriebsvereinbarungen. Im Zentrum steht die Legitimation normativer Wirkungen. Die Rechtsprechung geht seit jeher davon aus, dass die Betriebsparteien eine grundsätzlich ebenso weite Regelungskompetenz wie die Tarifvertragsparteien haben.[61] Diese Sichtweise wurde vom BAG vor nicht allzu langer Zeit noch einmal ausdrücklich bekräftigt.[62] Die Gegenansicht nimmt dagegen an, dass der Staat nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen[63] die Befugnis zur Normsetzung privaten Einrichtungen nur aufgrund einer hinreichend konkreten Rechtsgrundlage verleihen könne.[64] Eine pauschale Ermächtigung soll dagegen nicht ausreichen. Damit spitzt sich alles auf das Problem zu, ob über diejenigen Angelegenheiten hinaus, die in speziellen Mitbestimmungstatbeständen genannt sind und die auch den Maßstäben der Gegenauffassung genügen, den vergleichsweise allgemein gehaltenen Regelungen der §§ 77 Abs. 3, 88 BetrVG eine hinreichend präzise Ermächtigung zur Normschaffung entnommen werden kann. Für ein eher großzügiges Verständnis spricht, dass die Legitimationslehre ihre verfassungsrechtlichen Ableitungen überdehnt und dem Umstand zu wenig Gewicht beimisst, dass sich die Anforderungen an die Legitimation normativer Wirkungen auch
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nach den Strukturen des Sachbereichs richten müssen, in dem es zu diesen Wirkungen kommen soll. Insoweit darf indes nicht übersehen werden, dass der Betriebsrat durch demokratische Wahlen legitimiert ist und die funktionelle Zuständigkeit der Betriebsparteien darüber hinaus auf solche Angelegenheiten beschränkt ist, die mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängen. Beide Faktoren gewährleisten eine hinreichende Legitimation von Betriebsvereinbarungen, auch wenn es um Angelegenheiten geht, die der Gesetzgeber nicht ex6p5lizit in den Katalog der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aufgenommen hat.[65] Hinzu kommt, dass das BVerfG die Anwendbarkeit der Wesentlichkeitstheorie auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger beschränkt.[66]
Unter dem Blickwinkel der employment contract governance wird man die insbesondere von der Rechtsprechung vertretene "Allzuständigkeit" des Betriebsrats auf den ersten Blick eher skeptisch sehen müssen,[67] weil sie die individuellen Interessen der Arbeitnehmer stärker berührt als die Gegenansicht, auch wenn nicht übersehen werden darf, dass günstigere einzelvertragliche Abreden in jedem Fall unberührt bleiben. Es ist deshalb nachvollziehbar, wenn die Betriebsautonomie teilweise auf solche Regelungen beschränkt wird, die vom Arbeitgeber einseitig gestaltet werden können.[68] Hierdurch gibt man der Individualautonomie breiten Raum und sieht betriebliche Regelungen nur als Instrument zur Ausfüllung der Lücken an, die der Einzelarbeitsvertrag gelassen hat. Freilich gelten auch auf dieser Ebene die Aspekte des Ausgleichs von Marktversagen sowie der Transaktionskostenminimierung, die vor allem dann zum Tragen kommen, wenn die Betriebsvereinbarung die Funktion eines - um mit den Worten von Jacobi zu sprechen - "auf die Stufe des Betriebs projizierten Tarifvertrages"[69] einnehmen soll, weil sich der Betrieb in einem Segment des Arbeitsmarktes befindet, in dem Tarifverträge noch nicht einmal üblich sind und deshalb der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht greift. Wer den Arbeitsvertragsparteien auch in diesen Fällen die ausschließliche Kompetenz zur Regelung der Hauptleistungskonditionen vorbehält,[70] übergeht die auf dem Arbeitsmarkt bestehenden Disparitäten, die gerade der Grund für die Verlagerung der Festlegung von Arbeitsbedingungen auf eine kollektivvertragliche Ebene sind.[71]
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Der für das deutsche kollektive Arbeitsrecht charakteristische Dualismus der organisierten Vertretung von Arbeitnehmerinteressen durch Gewerkschaften als frei gebildete Verbände einerseits und durch Betriebsräte als gesetzlich geschaffene und durch demokratische Wahlen legitimierte Repräsentationsorgane andererseits verlangt nach einer Abgrenzung von Tarifautonomie und Betriebsautonomie. Der Gesetzgeber hat mit dem soeben angesprochenen Tarifvorbehalt in § 77 Abs. 3 BetrVG und dem Tarifvorrang in § 87 Abs. 1 BetrVG zwei Bestimmungen geschaffen, die letztlich das Rangverhältnis zwischen grundrechtlicher Koalitionsfreiheit und lediglich einfachgesetzlicher Betriebsverfassung widerspiegeln[72] und die folgerichtig das Konkurrenzverhältnis im Sinne eines klaren Primats der Tarifautonomie regeln.[73] Allerdings ergibt sich aus dem Gesetz nicht eindeutig, ob sie als kumulative Schranke für Betriebsvereinbarungen ("Zwei-Schranken-Theorie") fungieren oder in einem Spezialitätsverhältnis stehen ("Vorrangtheorie"). Mittlerweile sind in dieser einst stark umstrittenen Frage alle Argumente ausgetauscht, so dass eine gewisse Ruhe eingekehrt ist. Das BAG hat sich zur "Vorrangtheorie" bekannt, die § 87 Abs. 1 BetrVG als spezieller begreift, womit es insoweit der Effizienz der Mitbestimmung den Vorrang vor der Effizienz der Tarifautonomie eingeräumt hat.[74]
Damit hat das BAG zugleich für eine effektive employment contract governance gesorgt. Da der Streit zwischen beiden Theorien nur die Fälle betrifft, in denen ein Tarifvertrag im Betrieb nicht anwendbar ist, sondern lediglich Tarif-üblichkeit vorliegt, hat die Gegenansicht zur Folge, dass zwar nicht die Mitbestimmung entfällt, sie aber nicht durch Betriebsvereinbarung ausgeübt werden darf, um die Tarifvertragsparteien vor einer Konkurrenz durch kollektive Normverträge auf der betrieblichen Ebene zu schützen. Hierdurch würden bestimmte Fragen, die im Arbeitsverhältnis auftreten, jedenfalls nicht durch Betriebsvereinbarung geregelt werden können, so dass nur die arbeitsvertragliche Ebene als Regulierungsarena mit den üblichen Effizienzverlusten infolge der Vervielfachung der vertraglichen Vereinbarungen und regelmäßig auch einer uneingeschränkten AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle mit allen daraus erwachsenden kostentreibenden rechtlichen Unsicherheiten übrig bliebe.
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In anderen Zusammenhängen beharrt das BAG freilich auf Lösungen, die gegebenenfalls zu einer mehrschichtigen Regulierung des Arbeitsverhältnisses führen. So hat es der These eine Absage erteilt, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen gemäß §§ 111 ff. BetrVG sowie insbesondere die in diesen Vorschriften geregelte Sozialplanpflichtigkeit eine Sperrwirkung zulasten der Tarifvertragsparteien entfalten, wenn diese in einem so genannten "Tarifsozialplan" dieselben Fragen in einer für die Arbeitnehmer günstigeren Weise regeln wollen und dafür zu Arbeitskampfmaßnahmen greifen.[75] Die Auflösung kollidierender Regelungen erfolgt dann nach dem Günstigkeitsprinzip.[76]
Individualautonomie, Tarifautonomie und Betriebsautonomie zielen grundsätzlich darauf ab, sowohl der Arbeitgeberseite als auch der Arbeitnehmerseite einen gleichberechtigten Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen zu verschaffen. Auch wenn dieser Freiheitsaspekt dominant ist, geht es insbesondere auf der betrieblichen Ebene doch auch darum, nicht nur bilaterale, sondern auch multilaterale Interessengeflechte in eine ökonomisch und sozial angemessene vertragliche Form zu überführen. Das Vorhandensein und Ineinandergreifen der verschiedenen Regelungsebenen beruht auf den Eigengesetzlichkeiten des Arbeitsverhältnisses, denen man mit Schlagworten nicht gerecht wird und die zunächst in ihren Feinstrukturen erfasst werden sollten, bevor über die einzelnen Bausteine einer sinnvollen employment contract governance entschieden wird. Da Arbeitsrecht politisches Recht ist, ist allerdings nicht zu erwarten, dass dieser Ansatz das Streitpotential merklich verringern wird. ■
ANMERKUNGEN
[1] Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Zweiter Band, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. (1992), S. 1; ebenso ders., Rechtsgeschäft und Privatautonomie, in: Hundert Jahre Deutsches Rechtsleben, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages 1860-1960, Band I (1960), S. 135, 136.
[2] Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen (1976), insbesondere S. 78 ff.
[3] Zur optimalen Ressourcenallokation als ökonomische Funktion der Vertragsfreiheit Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 4. Aufl. (2005), S. 393 f.
[4] So bildhaft von Jhering, Der Zweck im Recht, Erster Band, 4. Aufl. (1904), S. 204.
[5] Gleichsinnig Bruns, Die Vertragsfreiheit und ihre Grenzen in Europa und den USA -Movement from Contract to Status?, JZ 2007, 385, 386.
[6] So der einflussreiche Ansatz von Schmidt-Rimpler, Grundfragen der Erneuerung des Vertragsrechts, AcP 147 (1941), 130, 149 ff.; weiterführend ders., Zum Vertragsproblem, in: Festschrift für Ludwig Raiser (1974), S. 3, 5 ff.
[7] Siehe dazu auch Canaris, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, in: Festschrift für Peter Lerche (1993), S. 873, 883, der insbesondere die Geringschätzung des Selbstbestimmungsprinzips durch Schmidt-Rimpler kritisiert.
[8] Eingehend Canaris, Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht (1997), S. 63 ff.
[9] Vgl. Art. 152 Abs. 1 WRV.
[10] Siehe nur BVerfG v. 7.2.1990 - 1 BvR 26/84 - BVerfGE 81, 242, 254; BVerfG v. 19.10.1993 -1 BvR 567, 1044/89 - BVerfGE 89, 214, 231; BVerfG v. 6.2.2001 - 1 BvR 12/92 - BVerfGE 103, 89, 100; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 2 Rn. 101 (Stand: 2001); Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Band I, 6. Aufl. (2010), Art. 2 Rn. 145.
[11] Höfling, Vertragsfreiheit (1991), S. 17; Papier, Der verfassungsrechtliche Rahmen für Privatautonomie im Arbeitsrecht, RdA 1989, 137, 138; Scholz, Die Berufswahl als Grundlage und Grenze arbeitsrechtlicher Regelungssysteme, ZfA 1981, 263, 275 ff.
[12] § 105 S. 1 GewO.
[13] Blanke, Individuelle durch kollektive Freiheit? Zu einigen Grenzen des arbeitsrechtlichen Paradigmas, in: Gedächtnisschrift für Ulrich Zachert (2010), S. 490, 492 f.; Eucken, Grundzüge der Wirtschaftspolitik, 7. Aufl. (2004), S. 43 f.; Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb (1996), Rn. 90 ff.; Zäch, Der Arbeitsmarkt als wettbewerblicher Ausnahmebereich, in: Festschrift für Manfred Rehbinder (2002), S. 163, 169. Hierfür bedarf es keines umfassenden Rekurses auf die Theorie von der inversen Reaktion des Arbeitsmarktes. Auch wenn ein Entgeltverfall (anders als bei allgemeinen Güter- und Dienstleistungsmärkten) nicht zu einer Ausweitung des Angebots durch den Arbeitnehmer (und damit zu einem weiteren Entgeltverfall) führt, ändert dies nichts daran, dass der einzelne Arbeitnehmer zwecks Existenzsicherung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben regelmäßig stärker auf eine vom Arbeitgeber bereitgestellte Arbeitsmöglichkeit angewiesen ist, als der Arbeitgeber auf den einzelnen Arbeitnehmer. Für einzelne Personengruppen (Spezialisten, Führungskräfte) gelten -bei entsprechendem Bedarf - selbstverständlich Besonderheiten.
[14] So Reuter, Das Verhältnis von Individualautonomie, Betriebsautonomie und Tarifautonomie, RdA 1991, 193, 194 f.
[15] Diese Barrieren für einen "wirksamen marktkonformen Selbstschutz" konzediert auch Reuter, (Fn. 14), RdA 1991, 193, 195.
[16] Franz, Arbeitsmarktökonomik, 7. Aufl. (2009), S. 252.
[17] Die These von der grundsätzlichen Imparität der Arbeitsmarktteilnehmer ist nicht lediglich eine unreflektierte Denkgewohnheit (in diesem Sinne aber Zöllner, Privatautonomie und Arbeitsverhältnis, AcP 176 (1976), 221, 229 ff.), sondern beruht auf sozialgeschichtlichen Erfahrungen (vgl. Pickler, Die Regelung der "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" -Vertragsprinzip oder Kampfprinzip?, ZfA 1986, 199, 251 ff.), die immer wieder bestätigt werden, wie die seit einigen Jahren zu verzeichnende Zunahme eines Niedriglohnsektors zeigt. Hierzu neuere Zahlen bei Bosch/Kalina/Weinkopf, Niedriglohnbeschäftigte auf der Verliererseite, WSIMitteilungen 2008, 423 ff.; danach ist die Gruppe der Niedriglohnbeschäftigten (Stundenlohn von 9,61 € in Westdeutschland und 6,81 € in Ostdeutschland) von rund 4,5 Millionen im Jahr 1995 auf rund 6,5 Millionen im Jahr 2006 gestiegen. Rund 1,9 Millionen Menschen arbeiteten sogar für Stundenlöhne von unter fünf Euro.
[18] BVerfG v. 26.6.1991 - 1 BvR 779/85 - BVerfGE 84, 212, 229; BVerfG v. 4.7.1995 - 1 BvF 2/86 und 1, 2, 3, 4/87 und 1 BvR 1421/86 - BVerfGE 92, 365, 395.
[19] Umfassend Bayreuther, Tarifautonomie als kollektiv ausgeübte Privatautonomie (2005).
[20] Franz, Arbeitsmarktökonomik, 7. Aufl. (2009), S. 252.
[21] § 4 Abs. 1 TVG.
[22] Ein nicht unwichtiger Begleiteffekt ist die Schaffung des Kollektivguts eines bestimmten Kaufkraftniveaus als Grundlage für eine hinreichende Binnennachfrage; zu diesem Aspekt Reuter, Die Rolle des Arbeitsrechts im marktwirtschaftlichen System - Eine Skizze, ORDO 36 (1985), S. 51, 56.
[23] Repräsentativ für die traditionelle Sicht Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, Band I (1997), § 7 II 3 a, S. 302 ff. ("institutionelles Verständnis der Tarifautonomie").
[24] Die rechtstatsächliche Bedeutung von Tarifverträgen sollte trotz insgesamt abnehmender Tarifbindung nicht unterschätzt werden. Im Jahr 2009 unterfielen immer noch 53 % aller Arbeitnehmer in Deutschland Branchentarifverträgen, weitere 9 % Firmentarifverträgen, dazu kamen für 19 % der Beschäftigten Tarifverträge kraft einzelvertraglicher Bezugnahme zur Anwendung. Quelle: www.boeckler.de.
[25] Dies wird weitgehend in Abrede gestellt von Reuter, (Fn. 14), RdA 1991, 193, 196. Danach ist der Arbeitgeber aus eigenem Interesse gezwungen, auf die Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Für große Teile der Arbeitswelt dürfte diese Auflösung des Interessengegensatzes der beiden Parteien eines Austauschvertrages durch Annahme einer Interessenharmonie indes nicht zutreffen. Einschränkend ferner Wenger, Die Verteilung von Entscheidungskompetenzen im Rahmen von Arbeitsverträgen, in: Neumann (Hrsg.), Ansprüche, Eigentums- und Verfügungsrechte (1984), S. 199, 203, 206 f., der die dem Arbeitnehmer ex post verbleibenden "Freiheitsgrade" betont, die aus der begrenzten Dirigierbarkeit seines Verhaltens durch den Arbeitgeber resultieren.
[26] § 77 Abs. 4 BetrVG.
[27] Zum Verbreitungsgrad von Betriebsvereinbarungen existiert soweit ersichtlich kein unmittelbar einschlägiges Zahlenmaterial. Allerdings steht fest, dass im Jahr 2009 45 % aller Arbeitnehmer in Westdeutschland und 38 % aller Arbeitnehmer in Ostdeutschland von Betriebsräten vertreten wurden. Quelle: www.boeckler.de. Da davon ausgegangen werden kann, dass alle vorhandenen Betriebsräte zumindest eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen haben, wird somit ein entsprechender Anteil aller Beschäftigten von dieser Art kollektiver Normenverträge erfasst.
[28] Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Autonomiebegriff liegt jenseits der Zwecke dieses Beitrags; dazu etwa der Überblick bei Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht (1969), S. 128 ff., der nicht weniger als neun verschiedene Bedeutungen auflistet.
[29] Zum Folgenden insbesondere Dorndorf, Ökonomische Analyse des Rechts und Betriebsverfassungsrecht, KritV 1992, 416, 421 ff.; Windbichler, Betriebs- und Tarifautonomie im internationalen Regimewettbewerb - zur Funktion von Kollektivverträgen: eine juristische Analyse, in: Sadowski/Walwei (Hrsg.), Die ökonomische Analyse des Arbeitsrechts (2002), S. 237, 249 f.
[30] Vgl. MacNeil, The Many Futures of Contract, Southern California Law Review 47 (1974), 691, 800 ff. mit Fn. 310, der für dieses Phänomen den altertümlichen Ausdruck "presentiation" (= to make or render present in place or time) aufgegriffen hat.
[31] Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 4. Auf1. (2010), S. 159.
[32] Jickeli, Der langfristige Vertrag (1996), S. 233.
[33] Windbichler, Betriebliche Mitbestimmung als institutionalisierte Vertragshilfe, in: Festschrift für Wolfgang Zöllner, Band II (1998), S. 999, 1002 ff.; gleichsinnig Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht (1995), S. 486 ff.: Vertragsrechtsakzessorietät der Betriebsverfassung.
[34] Vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG.
[35] Vgl. Dorndorf, (Fn. 29), KritV 1992, 416, 424.
[36] Exemplarisch Reuter, (Fn. 14), RdA 1991, 193, 197 f.; jüngst wieder ders., Gibt es Betriebsautonomie?, in: Festschrift für Peter Kreutz (2010), S. 359, 362 ff.
[37] Franz, Arbeitsmarktökonomik, 7. Aufl. (2009), S. 252; Windbichler, (Fn. 29), S. 237, 252. Gegen diese Sichtweise aber Möschel, Tarifautonomie - ein überholtes Ordnungsmodell, WuW 1995, 704, 709 f.
[38] Zum dahinter stehenden Konzept von Rechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft Hoffmann-Riem, Zwischenschritte zur Modernisierung der Rechtswissenschaft, JZ 2007, 645, 650.
[39] Dazu grundlegend Williamson, Transaction-cost Economics: The Governance of Contractual Relations, The Journal of Law and Economics 22 (1979), 233 ff.; ferner Möslein, Contract Governance und Corporate Governance im Zusammenspiel, JZ 2010, 72.
[40] Siehe nur Adams, Ökonomische Begründung des AGB-Gesetzes, BB 1989, 781 ff.; Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts (1986), S. 170 ff.; Kötz, Der Schutzzweck der AGB-Kontrolle - Eine rechtsökonomische Skizze, JuS 2003, 209 ff.
[41] Früher § 9 AGBG, seit der Schuldrechtsmodernisierung § 307 BGB.
[42] Zuvor war das Arbeitsrecht durch die Bereichsausnahme des § 23 Abs. 1 AGBG aus dem Anwendungsbereich des AGB-Rechts vollständig ausgeklammert gewesen.
[43] Allerdings nicht im Sinne von Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht (1950).
[44] Das gilt für Tarifverträge uneingeschränkt, während auf Betriebsvereinbarungen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angewendet wird, vgl. dazu BAG v. 12.12.2006 - 1 AZR 96/06 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 94. Zum unterschiedlich strengen Kontrollmaßstab bei Betriebsvereinbarungen und AGB siehe insbesondere BAG v. 1.2.2006 - 5 AZR 187/05 - AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 28.
[45] Die unterschiedliche Kontrolldichte von vorformulierten Arbeitsverträgen und individuellen arbeitsvertraglichen Abreden kommt klar in BAG v. 25.5.2005 - 5 AZR 572/04 - AP BGB § 310 Nr. 1 zum Ausdruck.
[46] Franzen, Inhaltskontrolle von Änderungsvorbehalten in Arbeitsverträgen, in: Gedächtnisschrift für Ulrich Zachert (2010), S. 386, 390 f.; PREIS, Grundfragen der Vertragskontrolle im Arbeitsrecht (1993), S. 255 ff.; Stoffels, Grundfragen der Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen, ZfA 2009, 861, 862.
[47] Dabei soll es hier nur um die Individualautonomie des tarifgebundenen Arbeitnehmers gehen, nicht aber um die Individualautonomie des Außenseiters.
[48] § 4 Abs. 1 S. 1 TVG.
[49] § 4 Abs. 3 Alt. 2 TVG.
[50] BAG v. 20.4.1999 - 1 ABR 72/98 - AP GG Art. 9 Nr. 89.
[51] Exemplarisch für die zahlreichen judikativen Abrundungen des Tarifvertragsrechts im Interesse einer Aufrechterhaltung von Tarifwirkungen sind die Entscheidungen BAG v. 20.2.2008 - 4 AZR 64/07 - AP GG Art. 9 Nr. 134 und BAG v. 4.6.2008 - 4 AZR 316/07 -Juris und 4 AZR 419/07 - AP TVG § 3 Nr. 38; dazu näher Krause, "Blitzaustritt" und "Blitzwechsel" von Arbeitgebern als Herausforderung des Tarifrechts, in: Gedächtnisschrift für Ulrich Zachert (2010), S. 605 ff.
[52] Picker, Ursprungsidee und Wandlungstendenzen des Tarifvertragswesen, in: Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk (1997), S. 879 ff.; ders., Tarifautonomie - Betriebsautonomie - Individualautonomie, NZA 2002, 761 ff.; ferner Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb (1996), Rn. 1128 ff. Eingehende Analyse der Entwicklung des Denkens von Sinzheimer bei S. Blanke, Soziales Recht oder kollektive Privatautonomie (2005), insbesondere S. 19 ff.
[53] Insoweit lauten die entscheidenden Fragen: Welches Ausmaß an materieller Vertragsfreiheit hat der einzelne Arbeitnehmer angesichts der Bedingungen des Arbeitslebens in tatsächlicher Hinsicht? Darf man eine Einschränkung der formalen Möglichkeit zur autonomen individualvertraglichen Gestaltung mit einer Ausweitung der realen Freiheitsräume durch heteronome kollektivvertragliche Gestaltung "verrechnen"? Stellt die fehlende Befugnis des tarifgebundenen Arbeitnehmers, sein Arbeitsvermögen zu untertariflichen Konditionen auf dem Arbeitsmarkt anzubieten, eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung seiner "Freiheit" dar oder "kauft" sich der Arbeitnehmer gerade umgekehrt durch seinen Gewerkschaftsbeitritt das Recht, ein entsprechendes Ansinnen des Arbeitgebers ablehnen zu können, ohne sich persönlich auf entsprechende Verhandlungen einlassen zu müssen?
[54] Dazu etwa Schuppert, Grenzen und Alternativen von Steuerung durch Recht, in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts (1990), S. 217, 234 ff.
[55] Vgl. Hoffmann-Riem, Soziale Innovationen, Der Staat 47 (2007), 588, 597, der als Referenzfeld auch die Arbeitswelt nennt.
[56] Grundsätzlich anders Picker, Tarifmacht und tarifvertragliche Arbeitsmarktpolitik, ZfA 1998, 573, 595 ff., der jegliche Befugnis der Tarifvertragsparteien zum Aufgreifen neuer Sachmaterien kategorisch ablehnt.
[57] § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG.
[58] Grdl. BAG (GS) v. 16.9.1986 - GS 1/82 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 17; BAG (GS) v. 7.11.1989 - GS 3/85 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 46.
[59] Dafür BAG (GS) v. 16.9.1986 - GS 1/82 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 17.
[60] Die letzten Entscheidungen des BAG zu dieser Problematik liegen schon einige Jahre zurück und lassen zudem die Tendenz erkennen, den kollektiven Günstigkeitsvergleich immer weiter zurückzudrängen; vgl. BAG v. 23.10.2001 - 3 AZR 74/01, v. 18.3.2003 - 3 AZR 101/02 und v. 17.6.2003 - 3 ABR 43/02 - AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 33, 41 und 44.
[61] BAG (GS) v. 7.11.1989 - GS 3/85 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 46.
[62] BAG v. 12.12.2006 - 1 AZR 96/06 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 94.
[63] Insoweit werden das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip sowie die grundrechtsbezogene Wesentlichkeitstheorie genannt.
[64] Siehe nur Picker, (Fn. 52), NZA 2002, 761, 769; Richardi, Kollektivvertragliche Arbeitszeitregelung, ZfA 1990, 211, 230 ff.; Waltermann, Rechtsetzung durch Betriebsvereinbarung zwischen Privatautonomie und Tarifautonomie (1996), S. 151 ff.
[65] BAG v. 12.12.2006 - 1 AZR 96/06 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 94.
[66] BVerfG v. 26.6.1991 - 1 BvR 779/85 - BVerfGE 84, 212, 226.
[67] So Windbichler, (Fn. 29), S. 237, 254.
[68] Reichold, Betriebsverfassung als Sozialprivatrecht (1995), S. 509 ff., 542 ff.; Veit, Die funktionelle Zuständigkeit des Betriebsrats (1998), S. 273 ff., 345 ff.
[69] Jacobi, Grundlehren des Arbeitsrechts (1927), S. 345.
[70] Richardi, Die Betriebsvereinbarung als Rechtsquelle des Arbeitsverhältnisses, ZfA 1992, 307, 326.
[71] Für eine Stellung des Betriebsrats als "Sachwalter" von Arbeitnehmerinteressen auch bei der Regelung von materiellen Arbeitsbedingungen (trotz gewisser Zweifel an der Ungleichgewichtsthese) deshalb Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie (1979), S. 154 ff., 247.
[72] Dazu etwa Neumann, Tarif- und Betriebsautonomie, RdA 1990, 257, 259.
[73] Grundsätzlich anders Reuter (Fn. 14), RdA 1991, 193, 199, 201 f., der das Verhältnis von Tarifautonomie und Betriebsautonomie völlig umkehrt: Zum einen soll § 77 Abs. 3 BetrVG obsolet sein, weil die Norm ihren Sinn verloren habe (cessante ratione legis cessat lex ipsa) und in der Praxis ohnehin vielfach missachtet werde. Zum anderen sollen die Betriebsparteien die Befugnis haben, durch freiwillige Betriebsvereinbarungen ohne Rücksicht auf das Günstigkeitsprinzip Tarifverträge zu unterlaufen (lex specialis derogat legi generali).
[74] BAG (GS) v. 3.12.1991 - GS 2/90 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 51.
[75] BAG v. 24.4.2007 - 1 AZR 252/06 - AP TVG § 1 Sozialpan Nr. 2.
[76] Gemäß § 112 Abs. 1 S. 4 BetrVG ist § 77 Abs. 3 BetrVG auf den Sozialplan nicht anzuwenden.
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