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Máté Julesz, PhD[1]: Die Grenzwerte und das Verursacherprinzip (JURA, 2016/1., 223-228. o.)

I. Das neue ungarische BGB

Das neue ungarische Bürgerliche Gesetzbuch von 2013 trat am 15. März 2014 in Kraft. Es brachte einige Änderungen zur zivilrechtlichen Haftung, aber das System war damit nicht total geändert.

Das neue ungarische BGB ist ein Ergebnis einer mehr, als zwei Jahrzehnte dauernden Vorbereitung. Die Kodifikationsfachliteratur ist reichhaltig und viele unterschiedliche Meinungen und professionelle Aspekte tauchten auf. Die Anzahl der Fachartikel und der Fachbücher stieg auf über 1000.

Die Rolle der Grenzwerte im Zivilrecht ist gemäß dem neuen BGB nicht eindeutig festgelegt. Es ist expressis verbis nicht geregelt, deshalb muss der Rechtsanwender es selbst herausfinden. Diese rechtswissenschaftliche Lakune im BGB ist aber nicht gegen die rule of law. Die Rechtssicherheit bleibt unberührt. Die neuen Regeln ermöglichen die Entwicklung einer neuen Rechtspraxis auf diesem Gebiet.

II. Rechtlich verursachte Schäden und Grenzwerte

§ 6:519 BGB besagt, dass derjenige, der einem anderen widerrechtlich Schaden zufügt, verpflichtet ist Schadenersatz zu leisten. Der § 6:518 BGB besagt, dass eine widerrechtliche Schädigung gesetzlich verboten ist.

Die Distinktion zwischen Entschädigung von widerrechtlich verursachten Schäden (kártérítés) und rechtlich verursachten Schäden (kártalanítás) bedeutet, dass Schäden, die unter den verwaltungsrechtlichen Grenzwert fallen, rechtlich verursacht sind. Nach § 6:564 des neuen ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuches sind alle rechtlich verursachten Schäden zu ersetzen. Somit macht der § 6:564 BGB prima facie scheinbar klar, dass eine Schädigung unter dem verwaltungsrechtlichen Grenzwert ersetzt werden sollte.

Diese Frage war in der ungarischen Rechtsgeschichte seit Urzeiten präsent, ob das Prinzip de minimis praetor non curat bedeutet, dass Schädigungen unter dem verwaltungsrechtlichen Grenzwert nicht zu ersetzen sind. Die Meinungen gehen dabei weit auseinander. Hinsichtlich der gerichtlichen Rechtspraxis ist dieses Problem außer dem neuen ungarischen BGB, durch die Kasuistik geregelt. Die Verwaltungsrechtlichkeit bedeutet nicht automatisch eine Zivilrechtlichkeit und vice versa. Schädigungen, die unter den verwaltungsrechtlichen Grenzwert fallen, können nicht zivilrechtlich sein. Dies bedeutet, dass die Rechtswidrigkeit in zivilrechtlichen Verfahren nicht von den Grenzwerten abhängt.

Ein Beispiel im Bereich des Nachbarrechts zeigt, dass die Vollversammlung eines Gemeinschaftshauses einen Grenzwert für Störung durch Schall festlegen kann. Der, der diesen privatrechtlichen Grenzwert überschreitet, begeht somit eine Ordnungswidrigkeit. Das Nichtüberschreiten von verwaltungsrechtlichen Grenzwerten kann Schadenersatzforderungen (kártérítés) nach sich ziehen. Dieser Schadenersatz (kártérítés) also bleibt eine Frage von zivilrechtlicher Rechtswidrigkeit.

III. De minimis praetor non curat?

Der Richter am obersten Gerichtshof (OGH) Ö. Zoltán äußerte 1979, dass das Nichtüberschreiten der verwaltungsrechtlichen Grenzwerten niemanden zur privatrechtlichen Schädigung berechtigt. Die Einhaltung von verwaltungsrechtlichen Grenzwerten macht es unmöglich, den Schadensverursacher zu einer verwaltungsrechtlichen Geldbuße zu verurteilen.[1] Der Richter am OGH F. Petrik meinte 2002, dass eine Schädigung, die den verwaltungsrechtlichen Grenzwert nicht überschreitet, auch zu Schadenersatzleistungen führt.[2]

Wir sahen im Dargelegten, dass neben den verwaltungsrechtlichen Grenzwerten auch privatrechtliche Grenzwerte existieren. Was die verwaltungsrechtlichen Grenzwerte betrifft, ist die juristische Lage dieselbe, die unter dem vorigen BGB festgelegt worden war. Was die durch die Vollversammlung eines Gemeinschaftshauses bestimmten Grenzwerte anbetrifft, beeinflussen diese den zivilrechtlichen Schadenersatz auch nicht. Im Falle einer Störung durch Schall in einem Gemeinschaftshaus findet ein Schadenersatz nicht automatisch statt.

Natürlich können die Beweise zu einem minimalen Schadenersatz führen. Es hängt von der Absicht des Geschädigten ab, ob er den Fall sub judice vorbringt. Wenn der Geschädigte nur einen minimalen Schaden vor Gericht nachweisen kann, kann der Richter von einer mutwilligen Klage ausgehen und die Klage abweisen.

Die ungarische Rechtspraxis macht klar, dass eine Aktivität, die die Grenzwerte nicht überschreitet, als nachbarrechtliche Störung aufgefasst werden kann. Auf dem Gebiet des Umwelt-

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privatrechts gewinnt dieser Aspekt eine spezielle juristische Nuance. Wenn der Nachbar keine verwaltungsrechtlichen Grenzwerte überschreitet, aber andere Nachbarn stört, können diese Besitzschutz beantragen. Wenn der gestörte Nachbar Schäden erlitt, kann dieser auch Schadenersatz einfordern. In Ungarn kann Besitzschutz binnen eines Jahres vor der örtlichen Selbstverwaltungsbehörde beantragt werden (§ 5:8 BGB Abs. 1). Später ist es dann nur mit einem Gerichtverfahren möglich. Gemäß § 5:8 BGB Abs. 2 kann die örtliche Selbstverwaltungsbehörde auch die Höhe des Schadenersatzes festlegen. Wenn eine der Parteien sich an das Gericht wendet, kann die Vollstreckung des Schadenersatzes suspendiert werden.

Professor T. Bakács schrieb, dass die Gefährdungshaftung entkräftet wird, wenn diese Haftung nur über die verwaltungsrechtlichen Grenzwerte ersucht werden sollte.[3] Diese Äußerung von T. Bakács ist immer noch gültig. Die juristische Funktion der Gefährdungshaftung würde ziellos werden, wenn, z.B., Schäden, die aus dem Führen von Kfz. stammen, nicht ersetzt würden, weil der Fahrzeugführer die vorgeschriebene Geschwindigkeit nicht überschritt. Die verwaltungsrectlichen Grenzwerte beeinflussen dennoch die Rechtspraxis. Die Grenzwerte ermöglichen dem Richter die Höhe des Schadenersatzes einzuschätzen. Die Höhe des Schadenersatzes hängt oft von der Argumentation des Rechtsanwaltes ab. Die Verteidiger argumentieren mit der Unerheblichkeit des Schadens. Obwohl das Prinzip de minimis praetor non curat nicht zu verwenden ist, beachtet das Zivilgericht die Grenzwerte.

In der grundsätzlichen Gerichtsentscheidung No. 517/2001 konstatierte das Gericht, dass der, der schon für die unnötige nachbarrechtliche Störung einen Schadenersatz bekam, die Beeundung der nachbarrechtlichen Störung nicht im Weiteren ersuchen kann. Dies ist im ungarischen Recht eine common law Regel: der Störer kann das Recht zu stören einfach erkaufen. Im ehemaligen ungarischen Recht war diese Regel nicht zu finden. Es ist ein neuer westliche Import in die ungarische Rechtsprechung. Vor der politischen Wende von 1989 akzeptierte das ungarische Gericht keine derartige Argumentation. Professor H. Küpper schrieb 2015: "Während des BGB 1959 - ähnlich wie das deutsche Recht - im Grundsatz von der Naturalrestitution ausging und den Geldersatz nur 'hilfsweise' zuließ, stellt sich das BGB 2013 den Realitäten und erhebt in § 6:527 den Ersatz des Schadens in Geld zum Grundsatz."[4] Diese Lösung verstärkt die sich zur Rechtsregel entwickelte Rechtspraxis, dass die erworbenen Rechte durch das Gericht beschützt werden sollen. Mit Zeit kann man Rechte erwerben, und die andere (verletzte) Partei kann nur Schadenersatz bekommen. Dies bedeutet, dass die verletzte Partei Geld erhält, aber das Recht einbüsst.

Diese Regel ist auf dem Gebiet des Nachbarrechts immerhin bedeutungsvoll. Vor ungarischen Gerichten kommt die Praxis vor, dass ein Nachbar keinen Besitzschutz oder Schadenersatz einfordern kann, wenn der störende Nachbar seine störende Aktivität (z.B. Schweinzucht, Tabernenleitung etc.) vor dem Einzug des neuen Nachbarn begonnen hat. Allgemein ist die richterliche Explikation, dass sich der neue Nachbar vor dem Kauf seiner Wohnung oder seines Hauses in der Umgebung umschauen sollte. Die Überschreitung der Lärmgrenzwerte ist öffentlich-rechtlich zu sanktionieren, aber diese Sanktion begründet keine zivilrechtliche Sanktion. In einem solchen Fall kann der Nachbar sich an die Verwaltungsbehörde wenden. Die Verwaltungsbehörde examiniert den Fall aus dem objektiven Aspekt der Grenzwertüberschreitung. Wenn die Verwaltungsbehörde mit dem störenden Nachbarn über die Beendigung der grenzüberschreitenden lärmenden Aktivität einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließt, muss der Nachbar lange Zeit warten. Wenn keine öffentlich-rechtliche Regelverletzung erfolgte, kann der unvorsichtige neue Nachbar somit alle Chancen für ein geruhsames Leben verlieren.

Die objektive Verwaltungshaftung kann allerdings keine Verschuldenshaftung substituieren. Die objektive Verantwortung beschützt nicht den Nachbarn, sondern die Staatsordnung. Der mögliche nachbarrechtliche Effekt ist nur eine Drittwirkung. Der verwaltungsrechtliche Tatbestand kann nicht auf dem Gebiet des Zivilrechts hervorgerufen werden. Das Gericht soll einen zivilrechtlichen Tatbestand feststellen. Die in den verwaltungsrechtlichen Tatbestand aufgenommenen Fakten sind wegen der unähnlichen Regeln des Zivilrechts meistens nicht verwendbar. Andere Rechtsregeln benötigen andere faktische Begründung. Ein unterschiedlicher Tatbestand kann zu einem abweichenden Endergebnis führen.

IV. Änderungen der rechtlichen Sinnesart

Die ungarische Rechtsentwicklung leitete den menschenrechtlichen Begriff rule of law in die Rechtspraxis ein. Rule of law ist schon mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) in das ungarische Rechstsystem eingebracht worden, aber sie war für Jahrzente nur ein rechtstheoretischer Begriff. Die Annäherung Ungarns an das westeuropäische Rechtssystem

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führte zur Verwirklichung dieses Begriffs. Die Verwirklichung geschah auf zwei Ebenen:

- auf der politischen Ebene und

- auf der Ebene der Rechtsprechung.

Die politischen Änderungen begannen in den 1980er Jahren und führten Ungarn 1989 in die soziale Marktwirtschaft, und 2011 in die freie Marktwirtschaft. Die Rechtsprechung entwickelte sich parallel: die Übernahme der Rechtsinstitute der Europäischen Union veränderte - nicht nur -das ungarische Privatrecht. Die Rechtsprechung übte eine deutliche Wirkung auf die Gesetzgebung aus, die im Text des neuen ungarischen BGB auch spürbar ist.

Der Systemwechsel von 1989 geschah mit einer 'amtlichen Revolution', aber der Wechsel des Rechtssystems in Ungarn erfolgte nur Schritt für Schritt. Die Evolution des Rechtssystems hatte schon in den 1980er Jahren begonnen, unter dem vorherigen politischen Regime, und setzte sich während der Verhandlungen über den EU-Beitritt fort. Jetzt ist das ungarische Rechtssystem auf dem Niveau der anderen EU-Mitgliedstaaten. Die Evolution ist dennoch nicht beendet. Beispiele sind vom Westen übernommen worden und auch die nationale Rechtspraxis gibt der Rechtsentwicklung neue Richtungen.

Die lokale und die nationale Rechtsentwicklung beeinflussen sich gegenseitig. Die Rolle der Grenzwerte im Umweltprivatrecht beweist den Effekt des lokalen Gewohnheitsrechts auf die nationale Rechtswissenschaft und Gesetzgebung.

Ulrike Wolf schrieb 1995: "Die vermittelnde Meinung hält sich mit der Rechtsprechung an die Trennung von privatem und öffentlich-rechtlichem Immissionsschutz. Dies folgert sie daraus, dass sich die Zwecke beider Rechtsgebiete wesentlich unterscheiden. Ziel der öffentlich-rechtlich festgelegten Grenzwerte sind der Schutz und die Verbesserung der Umwelt im Interesse der Allgemeinheit. Sie betreffen in erster Linie das Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Um hieraus private Rechte abzuleiten, bedürften diese Vorschriften der Transformation in privatrechtliche Nachbarschutzvorschriften."[5] Diese Perzeption des Verhältnisses zwischen Grenzwerte und Zivilrecht hat sich schon verändert. Die Relation zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Rechtsnormen ist allgemein anerkannt.

V. Aberglaube oder juristische Realität?

In vielen Rechtsfällen haben nationale Gerichte der EU-Mitgliedstaaten über Schadenersatz für die negativen Effekte von Sendefunkanlagen geurteilt. Zu Beginn haben die Gerichte die Klagen verweigert, weil es nur eine Aberglaube zu sein schien, dass Sendefunkanlagen Schaden verursachen können. Später begannen die Gerichte einen Schadenersatz anzuerkennen, aber nicht aufgrund der Schädlichkeit dieser Sendefunkanlagen, sondern aufgrund des Preisrückgangs der naheliegenden Häuser auf dem Immobilienmarkt. Es ist jetzt eine wohl funktionierende Rechtspraxis, Schadenersatz in solchen Fällen einzufordern. Die Rechtsprechung hat den gordischen knoten durchgeschlagen mit der Verwendung des Schadenersatzes ohne abergläubische Argumente zwecks Rechtfertigung zu argumentieren.

F. Kühn-Gerhard schrieb 2013: "Gegenüber den thermischen Effekten sind die Wirkungen im athermischen Intensitätsbereich elektromagnetischer Felder des Hochfrequenzbereichs wenig erforscht, so dass hier noch zahlreiche wissenschaftliche Fragen offen sind. Lange ging die Wissenschaft davon aus, dass Hochfrequenzstrahlung, von der keine thermischen Effekte ausgehen, insofern unproblematisch sei, als hier die Energie zu gering ist um biologisch wirksame Effekte auszulösen, die beispielsweise über Mutationen der Erbsubstanz kanzerogen wirken."[6]

Die magische Sinnesart ist fern von der juristischen Sinnesart. Die Rechtsprechung kann nur sinnvolle Explikationen annehmen. Solange die Rechtsanwälte sich auf tatsächlich nicht beweisbare Behauptungen bezogen, konnten die Richter keinen Schadenersatz beurteilen. Als die Rechtsanwälte sich auf beweisbare Tatsachen zu beziehen begannen, öffnete sich die Tür für den Schadenersatz. Seitdem haben viele Hauseigentümer Abfindungen bekommen. Diese Abfindungen verkörpern einen 'gerichtlichen Tarif' für derartige Störungen. Der 'Tarif' ist von den verwaltungsrechtlichen Grenzwerten unabhängig. Dies hängt nur allein vom zivilrechtlichen Wert der Liegenschaft ab. Aberglaube ist also aus der Rechtsprechung einfach exkludiert.

VI. Privatrecht - Öffentliches Recht

§ 241 Abs. 4 des ungarischen Strafgesetzbuches (StGB) besagt, dass die durch Verschmutzung begangene 'Umweltschädigung' strafrechtlich nur allein relevant ist, wenn die Verschmutzung den verwaltungsrechtlichen Emissionsgrenzwert überschreitet. Gemäß § 241 Abs. 1 StGB kann die 'Umweltschädigung' 'anders' als durch Verschmutzung begangen werden, aber, wenn eine Verschmutzung in Frage kommt, gewinnen die öffentlich-rechtlichen Grenzwerte Relevanz.

Die strafrechtliche und die privatrechtliche Bedeutung der Grenzwerte unterscheiden sich voneinander nicht nur auf dem Gebiet des Umweltrechts, sondern das Umweltrecht gibt dabei ein ziemlich klares Beispiel. Die Frage taucht auf: Warum sind die Grenzwerte anhand des

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Strafgesetzbuches wichtig und warum ist nichts über die Grenzwerte im BGB zu finden?

Ein Rechtstheoretiker würde antworten, dass das Strafrecht - wie die verwaltungsrechtlichen Grenzwerte - Teil des öffentlichen Rechts ist. Das BGB hat mit verwaltungsrechtlichen Rechtsinstituten nichts zu tun, weil das BGB privatrechtliche Beziehungen regelt. Diese Antwort ist dennoch unbefriedigend. Das Strafgesetzbuch sagt nicht, dass die 'Umweltschädigung' nur allein durch Grenzwertenüberschreitung verwirklicht werden kann. 'Anders begangen' bedeutet eine Straftat somit, dass die 'Umweltschädigung' ohne eine Verletzung des Verwaltungsrechts erfolgt.

Wenn das Strafgericht eine umweltgefährdende oder umweltschädigende Tat zur Straftat erklärt, ist immer das Zivilgericht damit verbunden. So muss das Zivilgericht die Tat wie begangen in Betracht nehmen. Es bedeutet aber nicht direkt, dass ein Schadenersatz stattfinden kann. Wenn, z.B., die 'Umweltschädigung' genannte Straftat nur durch Umweltgefährdung begangen mangels Schadenseintritt erfolgte, kann das Zivilgericht keinen Schadenersatz einfordern.

Gemäß § 241 StGB hat die 'Umweltschädigung' kein passives Subjekt, deshalb kann keine Nebenklage (§ 53 StPO) stattfinden, falls der Staatsanwalt oder die Polizei die Anzeige wegen 'Umweltschädigung' abgewiesen hat. Trotzdem leitet die Überschreitung der umweltrechtlichen Grenzwerte - die keine Straftat darstellt - zur verwaltungsrechtlichen Verantwortung. So bleibt der ultima-ratio-Charakter des Strafrechts unberührt.

Weil keine Nebenklage im Falle von 'Umweltschädigung' stattfinden kann, verliert die geschädigte Partei die Möglichkeit um Schadenersatz im Strafprozess nachzusuchen. Die beschädigte Partei kann Schadenersatz in einem Zivilprozess einfordern. Dabei taucht die Frage auf, ob der Mangel einer strafrechtlichen Umweltgefährdung oder Umweltschädigung die Verwirklichung der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung nicht verhindert.

Aus anderer Perspektive gesehen, kann die Verweigerung des Strafprozesses dem Zivilgericht die Freiheit geben, die Situation als 'umweltgefährdende' zu beurteilen. Ohne die Chance auf ein bestandskräftiges Strafurteil ist das Zivilgericht nicht mit einem vorherigen Strafurteil verbunden.

Wenn es um eine nicht umweltgefährdende Schädigung geht - und es keinen anderen Grund für Gefährdungshaftung gibt - kann nur allein eine Verschuldenshaftung konstatiert werden. Diese Drittwirkung des Umweltstrafrechts auf das Umweltprivatrecht kann in vielen Fällen entscheidend sein, weil sich eine Exkulpationsmöglichkeit aus der Verschuldenshaftung viel leichter, als aus der Gefährdungshaftung ergibt.

Der, der sich wie allgemein erwartet verhielt, kann sich aus der Verschuldenshaftung einfach exkulpieren (§ 6:519 BGB). Der, der gemäß den Regeln der Gefährdungshaftung verantwortlich ist, muss zwecks Exkulpation beweisen, dass der Schaden aus einem außer seiner gefährlichen Aktivität stehenden und unabwendbaren Grund verursacht wurde (§ 6:535 BGB). Der Unterschied ist spürbar und berührt die Vermögenverhältnisse.

VII. Objektive, subjektive Haftung

Die Relation zwischen dem Strafrecht und dem Zivilrecht ist wahrnehmbar und ganz klar. Diese Relation hängt auch vom Charakter der Haftung ab.

Weil die objektive Haftung dem ungarischen Strafrecht unbekannt ist, ist im Zivilrecht der Unterschied zwischen Gefährdungshaftung und Verschuldenshaftung relevant. Das ungarische Haftungssystem anerkennt die absolute Haftung nicht, weil in einem solchen Fall die Exkulpation total unmöglich wäre. Rechtssoziologisch wäre es ungerecht. Das ungarische Strafrecht erfordert eine Subjektivität, aber im ungarischen Zivilrecht ist in einigen Fällen keine Subjektivität postuliert. Die Gefährdungshaftung ist im ungarischen Strafrecht nicht verankert, trotzdem finden wir im Rechtssystem der Vereinigten Staaten (USA) Beispiel für strafrechtliche Objektivität. Das Gesetz Refuse Act erfordert keine mens rea von Seiten des Betreibers, wenn der Abfall aus dem Schiff in den Fluss geriet. Eine solche Haftung ist nicht im ungarischen Strafrecht zu befinden.

Die Relation zwischen der strafrechtlichen Subjektivität und der zivilrechtlichen Subjektivität ruft juristische und rechtssoziologische Beziehungen auf. Im ungarischen Rechtssystem verstehen wir unter der strafrechtlichen Subjektivität, dass der Täter sich nicht wie es von ihm erwartet war, verhielt. Die Differenz zwischen strafrechtlicher Subjektivität und zivilrechtlicher Subjektivität besteht darin, dass der zivilrechtliche Schadensverursacher sich nicht gemäß der personalisierten Subjektivität, aber gemäß der allgemeinen Subjektivität verhalten soll. Es geht nicht um das vom konkreten Schadensverursacher erwartete Verhalten, aber um ein allgemein durchschnittliches Verhalten. In der Praxis kann diese Differenz zu verschiedenen Ergebnissen führen.

In Ungarn ist die absolute Haftung weder im Strafrecht, noch im Zivilrecht anwesend. Es gibt einen rechtswissenschaftlichen Anspruch auf die Annahme der absoluten Schuld ins Zivilrecht, aber die ungarische Gesellschaft ist nicht dafür bereit.

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Eine rechtliche Lösung, wie anhand amerikanischen Gesetzes Refuse Act, ist dem ungarischen Strafrecht fremd. Die rechtliche Entwicklung kann später einmal zu solchen Lösungen führen, aber nur wenn die ungarische Gesellschaft fähig ist, diese rechtssoziologische Härte zu akzeptieren. Die Objektivierung auf der Ebene des ungarischen Strafrechts würde eine strengere rechtskomforme Haltung der Gesellschaft erforderlich machen. Für die Annahme der absoluten Haftung wäre eine strengere rechtskomforme Haltung der Gesellschaft aber nicht ausreichend: die Rechtsnormen sollten durch reine gesellschaftlichen Normen substitutiert werden. Gegenwärtig können reine gesellschaftlichen Normen die Rechtsnormen nicht substituieren, sondern nur ergänzen und verbessern.

Die strafrechtliche Subjektivität wird niemals zur Absolutisierung der Haftung führen, trotzdem könnte die Entwicklung der zivilrechtlichen Objektivität hauptsächlich mit Hilfe der wirtschaftlichen Funktionierung der ungarischen Gesellschaft ein nicht absolutes, aber mehr objektives Haftungssystem ergeben. Ein solches Ergebnis kann nur aus der Kooperation der Wirtschaft und der Gesellschaft stammen. Die öffentlich-rechtlichen Regeln des Umweltrechts haben Wirkungen auf die privatrechtliche Funktionierung des Umweltrechts. Die öffentlich-rechtlichen Sanktionen beeinflussen die privatrechtliche Aktivität der Parteien. Die Höhe der verwaltungsrechtlichen Geldbußen hat einen präventiven Effekt auf das Umweltprivatrecht: die verwaltungsrechtlichen Sanktionen verstärken die rechtsachtende Haltung auch im Bereich des Privatrechts.

VIII. Das Verursacherprinzip

Das erste Mal erschien das Verursacherprinzip 1972 in einer Empfehlung des Rates der OECD[7]. Das Verursacherprinzip hatte das Ziel die staatliche Finanzierung der neuen umweltrechtlichen Regelungen zu eliminieren, um den wirtschaftlichen Wettbewerb auf internationaler Ebene zu fördern. Damals war das wichtigste Problem, dass die Staaten die nationalen Firmen mit finanziellem und steuerlichem Doping auf dem Weltmarkt förderten. Diese Ungleichheit führte zur Deformierung des Wettbewerbs durch öffentlichrechtliche Instrumente und verursachte eine ungewünschte Drittwirkung des öffentlichen Rechts auf das Privatrecht.

Laut Abs. 2 Art. 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zielt die Umweltpolitik der Union unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes Schutzniveau ab. Diese Umweltpolitik beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.

Der Abs. 14 der Präambel der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden sagt, dass die Richtlinie nicht für Personenschäden, Schäden an Privateigentum oder wirtschaftliche Verluste gilt und die Ansprüche im Zusammenhang mit diesen Schadensarten unberührt lässt. Das Verursacherprinzip (polluter pays principle) ist schon in der Fachliteratur gründlich betrachtet worden.

Die erwähnte Richtlinie ist ein Beispiel für die Wirkung des öffentlichen Rechts auf das Umweltprivatrecht auf der supranationalen Ebene der Europäischen Union. Ab ovo war die Richtlinie für ein umweltprivatrechtliches Rechtsinstrument geplant. Jetzt beinflusst diese Richtlinie die umweltprivatrechtlichen Rechtsrelationen aus dem Aspekt des öffentlichen Rechts.

Gemäß Abs. 2 der Präambel der Richtlinie sollte die Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden durch eine verstärkte Orientierung an dem Verursacherprinzip und gemäß dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung erfolgen. Grundlegendes Prinzip dieser Richtlinie sollte es deshalb sein, dass ein Betreiber, der durch seine Tätigkeit einen Umweltschaden oder die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht hat, dafür finanziell verantwortlich ist; hierdurch sollen die Betreiber dazu veranlasst werden, Maßnahmen zu treffen und Praktiken zu entwickeln, mit denen die Gefahr von Umweltschäden auf ein Minimum beschränkt werden kann, damit das Risiko ihrer finanziellen Inanspruchnahme verringert wird.

Laut Abs. 18 der Präambel der Richtlinie sollte - entsprechend dem Verursacherprinzip - der Betreiber, der einen Umweltschaden bzw. die unmittelbare Gefahr eines solchen Schadens verursacht, die Kosten der erforderlichen Vermeidungs- oder Sanierungsmaßnahmen tragen. In Fällen, in denen eine zuständige Behörde selbst oder über Dritte anstelle eines Betreibers tätig wird, sollte diese Behörde sicherstellen, dass die ihr entstandenen Kosten vom Betreiber erstattet werden. Die Betreiber sollten auch letzlich die Kosten für die Beurteilung der Umweltschäden bzw. einer unmittelbaren Gefahr solcher Schäden tragen. Laut Abs. 1 Art XXI des ungarischen Grundgesetzes erkennt Ungarn das Recht eines jeden auf eine gesunde Umwelt an und setzt dieses Recht durch. Abs. 2 Art XXI des ungarischen Grundgesetzes besagt, dass der, der Schäden an der Umwelt verursacht, diese wie gesetzlich festgelegt zu beheben oder die Kosten der Behebung zu tragen hat. Das Verursacherprinzip ist ins neue ungarische

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Grundgesetz eingebracht worden. Die Staatshaftung ist sekondär, aber die Rolle des Staates ist gemäß dem Verursacherprinzip akzentuiert worden. In diesem Fall dient das Rechtsinstitut der Entschädigung dem commodum publicum. Das Recht auf die gesunde Umwelt ist nicht nur ein Recht des Individuums, sondern ein gesellschaftliches Recht. Die Umwelt bedeutet nicht nur die Umwelt des individuellen Bürgers, sondern ist ein kollektiver Wert.

Das Umweltprivatrecht dient nicht nur allein der Entschädigung. Nachbarrechtliche und andere Aspekte sind auch erfasst. Die öffentlich-rechtliche Wirkung auf das Umweltprivatrecht ist aus der verwaltungsrechtlichen Regelung der Privatrechtsnormen entnehmbar. Die privatrechtliche Funktionierung des Umweltrechts ist durch konstitutionelle und verwaltungsrechtliche Regeln orientiert. Diese Orientierung verwirklicht die rule of law auf dem Gebiet des Umweltprivatrechts. Das Verursacherprinzip hilft den Regierungen bei der Gesetzgebung über die umweltrechtliche Staatshaftung. Der Gesetzgeber muss den Staat und die Wirtschaft voneinander trennen, aber dies bedeutet nicht, dass der Staat und die wirtschaftlichen Akteure nicht auch zusammenarbeiten müssen. Das Verursacherprinzip fördert diese Zusammenarbeit und die Gesellschaft profitiert davon.

IX. Die Wirkung der schwachen Form des Coase-Theorems

Die schwache Form des Coase-Theorems hat spürbare Wirkung auf das umweltrechtliche Schuldrecht. Wenn die Rechte der beteiligten Personen ex ante geregelt und bekannt sind und eskeine Transaktionskosten gibt, wird das Ergebnis der freien Abmachung der Parteien immer pareto-optimal.

Die umweltrechtliche Regelung hängt vom Gesetzgeber ab, der das Verursacherprinzip zu berücksichtigen hat. Auch die Transaktionskosten hängen vom Gesetzgeber ab. Dies bedeutet, dass der Staat durch die Verwirklichung des Verursacherprinzips normalerweise pareto-optimale Situationen verursachen kann. Die Berücksichtigung des Verursacherprinzips ist ein Muss für den Staat, aber es ist nicht nur ein rechtliches, sondern auch ein ökonomisches Erfordernis. Die pareto-optimale Funktionierung der ökonomischen Verhältnisse dient dem Umweltprivatrecht. Diese privatrechtlichen Verhältnisse sind ökonomisch durch öffentlich-rechtliche Regeln zugesichert. ■

NOTEN

[1] Ö. Zoltán, Felelősség a környezetet veszélyeztető tevékenységgel okozott kárért (Haftung für den durch umweltgefährdende Aktivität verursachten Schaden), Magyar Jog 1979. S. 419.

[2] F. Petrik, Kártérítési jog (Schadenersatzrecht), HVG-ORAC Kiadó, Budapest 2002. S. 72.

[3] T. Bakács, Magyar környezetjog (Ungarisches Umweltrecht), Springer Verlag, Budapest 1992. S. 86.

[4] H. Küpper, Ungarns neues BGB - Teil 9: Gesetzliche Schuldverhältnisse, Wertpapiere, Zivilprozess, in: WiRO 2015. S. 47. Vgl. P. Bohata, Neugestaltung des tschechischen Zivilrechts, in: WiRO 2011, S. 353-360.

[5] U. Wolf, Deliktsstatut und internationales Umweltrecht, Duncker & Humblot, Berlin 1995. S. 90.

[6] F. Kühn-Gerhard, Eine ökonomische Betrachtung des zivilrechtlichen Haftungsproblems 'Entwicklungsrisiko', Springer Verlag, Berlin-Heidelberg 2000. S. 9.

[7] Recommendation of the Council on Guiding Principles concerning International Economic Aspects of Environmental Policies, C(72)128.

Lábjegyzetek:

[1] Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter Universität zu Szeged.

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