Das Gesetz Nr. CLXXIX von 2011 über die Rechte der Nationalitäten hat seit seiner Verabschiedung vor mehr als zehn Jahren viele Änderungen erfahren, da es mehrfach geändert und an andere regulatorische Rahmenbedingungen angepasst wurde. In naher Zukunft ist jedoch mit einer erneuten, diesmal groß angelegten Reform des Nationalitätenrechts zu rechnen, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) Ungarn im Zusammenhang mit der Regulierung des ungarischen Wahlsystems bezüglich der Nationalitäten verurteilt hat. Im Fall Bakirdzi und E.C. gegen Ungarn traf am 10. November 2022 das siebenköpfige Richtergremium des EGMR, darunter der ungarische Richter Péter Paczolay, seine Entscheidung und entschied, dass die Regelungen des ungarischen Wahlsystems bezüglich der Nationalitäten in mehreren Punkten gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK). verstoßen. In dieser Studie möchte ich das oben genannte Urteil darlegen und einige seiner Zusammenhänge und Auswirkungen analysieren.
Am 4. Juli 2014 reichte Kalliopé Bakirdzi, ein ungarischer Staatsbürger griechischer Nationalität beim EGMR einen Antrag gegen Ungarn ein. Danach, am 1. Oktober 2014, reichte E.C.[1], ein ungarischer Staatsbürger mit armenischer Nationalität, ebenfalls beim EGMR einen Antrag bezüglich des Teils des ungarischen Wahlsystems ein, der die Nationalitäten betrifft. Beide Anträge betrafen die in Artikel 3 des Ersten Zusatzprotokolls zum EGMR enthaltenen Fragen, weshalb der EGMR beschloss, die Anträge zusammenzufassen.
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Der Artikel 3 des Ersten Zusatzprotokolls erklärt das Recht auf freie Wahlen und legt die Verpflichtung fest, in den Vertragsstaaten in angemessenen Abständen freie Wahlen in geheimer Abstimmung unter solchen Bedingungen abzuhalten, die die Meinungsäußerung des Volkes über die Wahl des gesetzgebenden Organs gewährleisten.
Das Urteil beschreibt das ungarische Wahlsystem und seine Besonderheiten, nämlich das sogenannte Nationalitätenwahlsystem. Er weist darauf hin, dass ein Nationalitätswähler bei der Wahl von Landtagsabgeordneten nur für die Liste seiner Nationalität und für einen einzelnen Wahlkreiskandidaten stimmen kann - im Gegensatz zu anderen Wählern, die für einen einzelnen Wahlkreiskandidaten und eine Parteiliste stimmen können -, vorausgesetzt, dass er bei der Beantragung der Eintragung in das Namensregister für Nationalitäten erklärt hat, dass er bei den Parlamentswahlen als Nationalitätswähler abstimmen möchte. Ich möchte in dieser Studie auch darauf hinweisen - da sich auch der EGMR mit diesem Teil der Regelung befasst hat -, dass es sich bei der für die Parlamentswahlen erstellten Nationalitätenliste um eine geschlossene Liste handelt und die Reihenfolge der Kandidaten von den Nationalitätswählern nicht beeinflusst werden kann. Die Nationalitätenliste wird von der jeweiligen Landesselbstverwaltung der Nationalität erstellt und legt die Reihenfolge der Kandidaten fest, sodass die Wähler der Nationalität erst bei der Wahl entscheiden können, ob sie wählen gehen oder nicht, also ihr Wahlrecht ausüben oder nicht.
An dieser Stelle weise ich darauf hin, dass die Nominierung von Kandidaten und die Geschlossenheit der Liste auch unter dem Gesichtspunkt problematisch sein können, dass sich die Organisation, die Kandidaten nominiert, in bestimmten Fällen nicht auf die Kandidaten einigen kann, insbesondere auf den Spitzenkandidaten, so können keine Liste erstellen und die im Namensregister der jeweiligen Nationalität eingetragenen Wähler, wird bereits vor den Wahlen die Möglichkeit genommen, ihren freien Wahlwillen unter dem Gesichtspunkt der Nationalität zum Ausdruck zu bringen und sich aktiv an der Wahl des gesetzgebenden Organs zu beteiligen. All dies bedeutet, dass selbst ihre grundsätzliche Möglichkeit, den Willen der Nationalitätswähler zum Ausdruck zu bringen, auflöst. Dies geschah im Fall der Roma-Nationalität bei den Parlamentswahlen 2022, weil die Liste erstellende Vollversammlung der Selbstverwaltung der Romas scheiterte, aufgrund von Konflikten innerhalb der Nationalität gelang es ihnen nicht, eine Nationalitätenliste zu erstellen. Es kam so vor, dass laut der Zusammenfassung des Nationalwahlbüros (im Folgenden: NWB) vom 1. Februar 2022 74.499 Wähler auf der Liste einer Nationalität standen, davon 31.922 Wähler Deutsche, 33.011 Wähler Roma. Im Vergleich dazu zeigte die Zusammenfassung des NWBs am 16. April 2022, als die Daten zuletzt aktualisiert wurden, ein etwas anderes Bild: Damals waren 31.856 Personen im deutschen Namensregister eingetragen, bei Roma lag diese Zahl bei null.[2],[3] Es ist daher
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klar, dass die Abstimmung für die Nationalitätenliste in ihrem Fall völlig sinnlos geworden ist. Es ist jedoch auch erwähnenswert, dass die Roma keinen parlamentarischen Fürsprecher oder Vertreter hatten, da sie sonst aufgrund ihrer Zahl eine realistische Chance gehabt hätten, landesweit durch einen stimmberechtigten Vertreter im Parlament vertreten zu werden[4].
Das Urteil erläuterte ausführlich die Vorschriften des Grundgesetzes, des Gesetztes Nr. CCIII von 2011 über die Wahl der Parlamentsabgeordneten, des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren, die Bestimmungen der einschlägigen Dokumente des Europarats sowie andere relevante internationale Rechtsdokumente.
Der Bericht der Wahlbeobachtungsmission des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (im Folgenden: OSZE/BDIMR) zu den Parlamentswahlen 2014 hebt auch hervor, dass die überwiegende Mehrheit der befragten Nationalitäten ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck brachte, zwischen der Nationalitätenliste und der Parteiliste wählen zu müssen. Sie mussten entscheiden, ob Sie sich anhand der Parteipräferenz oder der Nationalität identifizieren möchten. Im Bericht der OSZE/BDIMR-Wahlbeobachtungsmission zu den Parlamentswahlen 2018 heißt es, dass es keine festgelegten und öffentlichen Verfahren dafür gibt, wie Landesselbstverwaltung ihre Kandidaten auswählen, sodass die Nominierung von Kandidaten auf den Nationalitätenlisten tatsächlich undurchsichtig wird.
Wie ich oben erwähnt habe, ist es den Roma nicht gelungen, bei den Parlamentswahlen 2022 eine Liste aufzustellen[5], während die Ungarndeutschen bereits im November 2021 eine Liste erstellt haben. Im letztgenannten Fall teilte die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (im Folgenden: LdU) mit, dass ihre Kandidaten auf der Landesliste auf Vorschlag der Mitglieder der Vollversammlung und des Komitats-/Regionalverbandes der ungarndeutschen Gemeinschaft gewählt wurden, durch offene Abstimmung und qualifizierte Mehrheit. Anschließend entschieden sie sich im Rahmen einer langen und ihrer Meinung nach nicht unkontroversen Diskussion für den Spitzenkandidaten und die vier ihm folgenden Kandidaten, nunmehr in geheimer Abstimmung[6]. Über die Einzelheiten der Nominierung geht die Bekanntmachung nicht näher hervor, die Geschäftsordnung der LdU[7] sieht als öffentlich-rechtliches Ordnungsinstrument jedoch die Liste und ihre detaillierten Regelungen vor, im Kapitel IV/B. Dies zeigt, dass die Vollversammlung der LdU mit qualifizierter Mehrheit über die Aufstellung einer Landesliste entscheidet. Wird eine Landesliste erstellt, wird aus ihrer Mitte ein dreiköpfiges Gremium ausgewählt, das den Wahlprozess für die Nationalitätenliste durchführt. Einen Vorschlag für einen Kandidaten kann jedes Mitglied der Vollversammlung machen, ebenso sind die oben genannten Komitats- und Regionalverbände dazu berechtigt. Die Geschäftsordnung sieht vor, dass man auf der Landesnationalitätenliste im jenem Fall Kandidat
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werden kann, wenn er von 25 % der Abgeordneten, also einem Viertel, unterstützt wird. Die Nominierung erfolgt durch offene Abstimmung, und unter den Kandidaten kann derjenige in die Liste aufgenommen werden, der mit qualifizierter Mehrheit gewählt wurde. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Verlosung, und ein Mitglied der Vollversammlung kann wegen persönlicher Beteiligung von der Entscheidung nicht ausgeschlossen werden. Jedes Mitglied der Vollversammlung kann einen Vorschlag für den Listenführer machen und Listenführer ist derjenige, der mehr als die Hälfte der Stimmen der gewählten Vertreter erhält. Sollte die Wahl nicht erfolgreich sein, können im zweiten Wahlgang nur die beiden Kandidaten gewählt werden, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten haben. Endet auch der zweite Wahlgang ohne Ergebnis, so wird im dritten Wahlgang derjenige Listenführer, der die Stimmen von mehr als der Hälfte der anwesenden Abgeordneten erhalten hat. Über die weiteren Kandidaten auf der Liste wird auf Grundlage der oben genannten Punkte entschieden[8]. Anschließend legt das dreiköpfige Gremium der Vollversammlung den Listenvorschlag vor, über den die Vollversammlung mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Die Entscheidung ist öffentlich, sie muss unterschrieben und spätestens am nächsten Tag nach der Entscheidung auf der Website der LdU veröffentlicht werden. Das Sitzungsprotokoll über die Entscheidung ist an das Regierungsamt zu senden, das die Rechtmäßigkeit überwacht. Ich denke, aus all diesen Regeln geht klar hervor, dass die Ungarndeutschen einige Fragen der Nominierung und der Listenstellung im Detail regeln, daher ist es in ihrem Fall nicht richtig zu behaupten, dass Nominierung und Listung nicht transparent seien.
Darüber hinaus wurde im Bericht der OSZE/BDIMR-Wahlbeobachtungsmission über die Parlamentswahlen 2022 auch darauf hingewiesen, dass die derzeit geltenden ungarischen Maßnahmen keine echte Beteiligung der Nationalitäten am politischen Leben garantieren.
Im vorliegenden Fall machten die Antragsteller geltend, dass das derzeitige ungarische Wahlsystem ihrer Meinung nach in diskriminierender Weise in ihr Wahlrecht eingreife. Sie führten einen Verstoß gegen Artikel 3 des Ersten Zusatzprotokolls und Artikel 14[9] der EMRK an.
Die ungarische Regierung argumentierte in erster Linie, dass die Antragsteller ihre Rechtsbehelfe in Ungarn hätten ausschöpfen müssen und im Verfahren vor dem Verfassungsgericht Einspruch hätten einlegen können, wenn die Gerichte Rechtsvorschriften anwendeten, die gegen das Grundgesetz verstießen. Die Regierung brachte außerdem vor, dass die Antragsteller gegen die Entscheidung des Ausschusses für Stimmenzählung Berufung beim regionalen Wahlausschuss und dann beim Landeswahlausschuss (im Folgenden: LWA) hätten einlegen können. Gegen die Entscheidung der LWA kann bei der Kurie ein Überprüfungsantrag eingereicht werden, und wenn die Antragsteller mit der Entscheidung der Kurie nicht einverstanden gewesen
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wären, hätten sie die Möglichkeit gehabt, beim Verfassungsgericht Berufung einzulegen.
Die Antragsteller brachten vor, dass die von der Regierung vorgebrachten und vorgeschlagenen Optionen und Argumente die ihrer Meinung nach verletzten Rechte nicht beseitigt hätten.
Das Gericht prüfte die Anträge der Antragsteller und die Gegenargumente der ungarischen Regierung, dann zog die folgenden Schlussfolgerungen. Der EGMR kam zu dem Schluss, dass es in diesem Fall nicht darum ging, ob die Antragsteller sich als Wähler einer Nationalität registrieren lassen konnten, also ob ihre Aufnahme in das Nationalitätenregister erfolgreich war oder nicht, sondern darum, dass das Wahlrecht der Wähler, die zu einer Nationalität gehören, verletzt oder eingeschränkt wurde. Es war die Frage, ob das Recht, sich an der Bildung der Volksvertretung zu beteiligen, verletzt wurde. Zusammenfassend betonte der EGMR, dass es sich bei dem Antrag nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern um eine materielle Rechtsfrage handele.
In Bezug auf das Argument, das im Zusammenhang mit dem Verfahren des Ausschusses für Stimmenauszählung vorgebracht wurde, stellte das Gericht fest, dass die Antragsteller sich nicht auf einen Verfahrensverstoß berufen, sondern ihren Verstoß auf die derzeit geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften zurückgeführt haben. Aus den Argumenten und Gegenargumenten geht klar hervor, dass sich die Kläger auf ein gesetzgeberisches Problem bezogen, während die Regierung versuchte, ihren Standpunkt mit Argumenten im Zusammenhang mit der Rechtsanwendung zu verteidigen.
Den Antragstellern zufolge ist es angesichts der statistischen Daten nahezu unmöglich, dass die Nationalitäten ein volles Parlamentsmandat erhalten. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass auch im Lichte der Volkszählungsdaten nur wenige Nationalitäten[10] eine realistische Chance hätten, einen Vertreter in das Parlament zu entsenden, und allerdings nur für den Fall, dass alle Personen, die zu einer bestimmten Nationalität gehören und auf aktives Wahlrecht verfügen, beantragen die Aufnahme in das Nationalitätenregister, allerdings bestand bisher keine realistische Chance darauf.
Sie beschwerten sich auch über die Verletzung des Wahlgeheimnisses[11], da von dem Moment an, als sie sich im Wahllokal als Wähler einer Nationalität identifizierten, klar war, dass sie, wenn sie gültig für eine Landesliste stimmen wollten, wie und welchen Inhalt sie wählen. Aus ihrer Sicht werden sie im aktuellen Wahlsystem diskriminierend behandelt, da sie anders als andere Wähler behandelt würden. Offensichtlich ist hier zu prüfen, ob und in welchem Ausmaß sich die Wähler der Nationalitäten in einer vergleichbaren Situation mit anderen Wählern befinden. Im Gegensatz dazu argumentierte die Regierung gerade mit positiver Diskriminierung und einem mögli-
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chen Verstoß gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit.
Der Wahlzwang zwischen der Parteiliste und der Nationalitätenliste kann meiner Meinung nach jedoch auf verschiedene Weise erlebt werden. Es gibt viele Fälle, in denen der Wähler bei der Wahl nicht oder nur schwer entscheiden kann, welche politische Partei er mit seiner Stimme unterstützen möchte, oder mit keiner der Parteien sympathisiert und aus diesen Gründen lieber nicht an der Wahl teilnehmen möchte. Betrachtet man die Frage der Wahl zwischen der Parteiliste und der Nationalitätenliste aus dieser Perspektive, lässt sich sagen, dass bei unentschlossenen Wählern, die bei den Wahlen passiv sind (und ansonsten einer bestimmten Nationalität angehören), die Beteiligungsquote an den Wahlen erhöht werden kann, wenn sie alternativ durch die Unterstützung ihrer eigenen Nationalität, das Ideal einer Art Überparteilichkeit zum Ausdruck bringend, aktiv an den Wahlen teilnehmen können. Hervorzuheben ist auch, dass der Antrag auf Aufnahme in das Nationalitätenregister sowie auf Löschung aus diesem Register jederzeit gestellt werden kann, und daher keine endgültige Verpflichtung darstellt. Ändert der Wähler seine Meinung in irgendeiner Weise, kann er seinen Antrag innerhalb der gesetzlich festgelegten Frist entweder per Post oder elektronisch einreichen. Der Antrag selbst ermöglicht eine äußerst einfache und schnelle Verwaltung, da nach Angabe der personenbezogenen Daten zu erklären ist, dass der Antragsteller die Aufnahme in das Register oder die Löschung aus dem Register beantragt. Im ersten Fall muss angegeben werden, welcher Nationalität der Antragsteller angehört[12] und anschließend, ob er an allen Wahlen oder nur an Kommunalwahlen als Wähler einer Nationalität wählen möchte[13]. Im letzteren Fall, also bei der Löschung kann auch entschieden werden, ob jemand die Löschung für alle Wahlen oder nur für die Wahlen der Parlamentsabgeordneten beantragt. Danach ist es möglich, den Weg zu wählen, auf dem der Antragsteller die Benachrichtigung des Wahlbüros beantragt (E-Mail, Fax, Post). Der Antrag kann unabhängig von den Wahlen jederzeit gestellt werden. Damit der Wähler jedoch bei der nächsten Wahl für die Nationalitätenliste stimmen kann, lohnt es sich, einige Regeln bezüglich der Fristen zu beachten. Im Falle einer anberaumten Wahl muss der Antrag bis spätestens 16:00 Uhr[14] am neunten Tag vor der Abstimmung[15] gestellt werden, um als registrierter Nationalitätswähler in das Nationalitätswahlkreisregister[16] aufgenommen zu werden. Im Falle einer anberaumten Wahl kann die Löschung der Nationalität aus dem Zentralregister bis spätestens 10.00 Uhr am zweiten Tag vor der Wahl beantragt werden[17]. In diesem Fall löscht das Wahlbüro auch die Daten zur Nationalität aus dem Wahlbezirksregister. Zusätzlich zum Antrag müssen keine weiteren Dokumente eingereicht werden, so ist es beispielsweise nicht erforderlich, ein Sprachzertifikat, das die Kenntnis der Sprache der jeweiligen Nationalität nachweist, oder möglicherweise Registerbescheinigungen, die die Nationalität belegen,
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frühere Volkszählungsdaten, Archivunterlagen usw. beizufügen. Der Antrag muss unverzüglich, spätestens jedoch vierundzwanzig Stunden nach seiner Einreichung, beziehungsweise dem Beginn des Verfahrens[18], bewertet werden, während der am zweiten Tag vor der Abstimmung eingereichte Antrag, der bis 10.00 Uhr eingeht, unverzüglich, spätestens jedoch, innerhalb einer Stunde berücksichtigt werden[19]. Erfüllt der Antragsteller die gesetzlichen Voraussetzungen, genehmigt der Leiter des örtlichen Wahlbüros den Antrag[20].
In § 11 Absatz 3 des Gesetzes Nr. CLXXIX von 2011 über die Rechte der Nationalitäten heißt es, dass das Recht auf et Selbstidentität und die Erklärung der Zugehörigkeit zu einer Nationalität der Anerkennung doppelter oder mehrfacher Bindungen nicht entgegenstehen, in diesem Zusammenhang kann jedoch das Gesetz Nr. CLXXIX von 2011 über die Rechte der Nationalitäten Ausnahme definieren. Solche durch das Gesetz Nr. CLXXIX von 2011 über die Rechte der Nationalitäten definierte Ausnahme, dass eine Person gleichzeitig nur im Register einer Nationalität eingetragen sein kann[21]. Mit dieser Frage befasste sich unter anderem der Beschluss Nr. 17.PK.40.011/2014/2 des Zentralbezirksgerichtes von Buda. Im Rechtsstreit legte der Kläger, das heißt der Antragsteller, Berufung gegen die Entscheidungen des örtlichen Wahlbüros bezüglich der Registrierung ein. Der Kläger war als Wähler deutscher Nationalität in das Wählerverzeichnis eingetragen, er beantragte jedoch auch die Aufnahme in das Zentralregister als Roma- und rumänischer Wähler. Der Kläger machte geltend, dass die Entscheidungen, mit denen die Eintragung in das Register abgelehnt wurde, seine Zugehörigkeit zur Nationalität sowie deren Anerkennung verletzten. Er verwies auf die Erinnerung an seine deutsch-jüdischen Vorfahren und rumänischen Zigeunervorfahren, auf die Pflege deutscher und rumänischer Traditionen sowie auf die Stärkung seines Selbstbewusstseins der Roma. Das Gericht lehnte die Berufung des Klägers aufgrund der ordnungsgemäßen Anwendung und des Nichtverstoßes gegen materielle und verfahrensrechtliche Vorschriften ab, entschied jedoch, dass die Berufung verfassungsrechtliche Fragen aufwerfe. In der Entscheidung des Gerichts heißt es außerdem, dass die mehrfache ethnische Zugehörigkeit und ihre Bindung nicht von der Eintragung in das Register abhängen, sondern dass einige ihrer Elemente frei ausgeübt werden können. Darunter verstand das Gericht vermutlich das freie Erleben und die Pflege der Nationalitätskultur, den Gebrauch der Muttersprache der Nationalität, die Verwendung der individuellen und gemeinschaftlichen Namen der Nationalität, da die Registrierung keine Voraussetzung für deren Ausübung ist. Im Beschluss wurde betont, dass die Registrierung und damit die Erklärung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nationalität notwendig sei, da nur die Angehörigen der betroffenen Nationalitätengemeinschaft tatsächlich für die Kandidaten dieser Nationalität stimmen könnten[22]. Im Beschluss wurde auch darauf verwie-
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sen, dass das Wahlverfahrensgesetz den Kandidaten der Nationalitäten im Vergleich zu den anderen Kandidaten günstigere Bedingungen bietet, so um mögliche Missbräuche zu vermeiden und zu verhindern, lohnt es sich daher, restriktive Maßnahmen einzuführen, die nicht einmal durch Respektierung mehrerer Identität überschrieben werden können.
Der EGMR entschied, dass der Staat bei der Wahl des gesetzgebenden Organs die freie Meinungsäußerung des Volkes gewährleisten muss. In diesem Zusammenhang verwies er auf Punkt 54 des Urteils Mathieu-Mohin und Clerfayt, in dem es heißt, dass freie Wahlen unter solchen Bedingungen abgehalten werden müssen, die die freie Meinungsäußerung des Volkes gewährleisten. Dazu gehört nach Auffassung des EGMR der Grundsatz der Gleichbehandlung der Wähler bei der Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass jede Stimme das gleiche Gewicht im Ergebnis haben muss und auch nicht, dass jeder Kandidat die gleichen Chancen und Erfolgsaussichten haben muss. Nach Ansicht des EGMR kann kein Wahlsystem das Phänomen der "verlorenen Stimmen" vermeiden. Jedes Wahlsystem muss im Lichte der politischen Entwicklung des betreffenden Landes bewertet werden, sodass in einem System inakzeptable Bedingungen in einem anderen Kontext gerechtfertigt werden können, zumindest solange das geltende System die freie Meinungsäußerung der Menschen bei der Wahl gesetzgebender Körperschaften gewährleistet.
Der EGMR wies darauf hin, dass die freie Meinungsäußerung des Volkes gewährleistet sein muss, das heißt, dass bei der Bildung des Wahlwillens niemand unter Druck gesetzt werden kann und dass den Parteien eine angemessene Möglichkeit geboten werden muss, ihre Kandidaten vorzustellen. Bei den Nationalitäten in Ungarn ist es nicht möglich, über Kandidaten zu sprechen, da nur der Kandidat, der auf der Nationalitätenliste an erster Stelle steht, Vertreter oder Anwalt werden kann. Es ist seit Jahren üblich, dass die LdU im Vorfeld der Wahlen versucht, ungarndeutsche Wähler zu mobilisieren und sie in Videobotschaften anzusprechen, in denen sie den Spitzenkandidaten vorstellt und meist die Bedeutung des Wählens als Nationalitätswähler hervorhebt. Diese Videobotschaften werden in der Regel sowohl auf Ungarisch als auch auf Deutsch verfasst. Als Schulbeispiel kann auch die slowakische Gemeinschaft in Ungarn genannt werden, deren Wortführer eine offizielle Website betreibt und kontinuierlich schriftlich und per Video über Fragen rund um die Nationalitäten informiert, daneben organisierte die Landesselbstverwaltung der Slowaken in Ungarn Informationstreffen im ganzen Land quasi als Auftakt zum Wahlkampf. Ich denke, dass sich die meisten Informationen und Aufrufe im Vorfeld der Wahlen auf die Eintragung in das Namensregister für Nationalitäten konzentrieren, was aber noch nicht als Druckausübung gewertet werden kann. Dennoch ist auch eine Praxis bekannt, bei der die Anführer bestimmter Kulturgruppen der Nationalitäten ihre
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Mitglieder quasi zur Pflicht machen, sich in das Namensregister für Nationalitäten einzutragen. Der Grund dafür liegt zweifellos darin, dass die jeweilige Kulturgruppe im Falle einer starken Vertretung auf eine höhere finanzielle Unterstützung hoffen kann, aber in jedem Fall wird das Grundprinzip der freien Meinungsäußerung der Menschen untergraben.
Der EGMR hatte Stellung zu der Frage zu nehmen, ob das Wahlsystem des Landes bestimmte Personen oder Personengruppen von der Teilnahme am politischen Leben des Landes ausschließt. Denn die Tatsache, dass Nationalitätenwähler bei den Parlamentswahlen zwischen einer Parteiliste und einer Nationalitätenliste wählen müssen, wirft die erstgenannte Frage auf. Der EGMR untersuchte auch die Frage der Sperrklausel. In diesem Zusammenhang betonte er, dass der Zweck der Festlegung der Wahlschwelle darin bestehe, eine übermäßige Fragmentierung des Parlaments zu vermeiden und sicherzustellen, dass die ins Parlament einziehenden politischen Parteien über eine ausreichende Repräsentativität verfügen. Er kam zu dem Schluss, dass die Festsetzung einer Wahlhürde für sich allein nicht ausschlaggebend für die Beurteilung des Falles sei. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass die Nationalitäten in Ungarn eine ermäßigte Hürde "überspringen" müssen, um Vertreten ins Parlament zu senden, sodass sie weitaus weniger Stimmen benötigen als die anderen Kandidaten, die zu keiner Nationalität gehören, dennoch haben einige Nationalitäten keine Chance, dies zu erreichen, da laut Statistik nicht so viele von ihnen im Land leben. Basierend auf den Daten der Volkszählung 2022 sind Slowenen unter den in Ungarn lebenden Nationalitäten am wenigsten vertreten, nur 3.965 Personen gaben an, dass sie zur slowenischen Nationalität gehören, und slowenische Muttersprache und kulturelle Zugehörigkeit haben. Den neuesten Daten zufolge sind 853 von ihnen im Register als Wähler slowenischer Nationalität aufgeführt[23]. Gleichzeitig waren es nicht die in Ungarn lebenden Slowenen, die bei den Parlamentswahlen 2022 am wenigsten politisch aktiv waren, sondern die in Ungarn lebenden Bulgaren, die für ihre eigene Nationalitätenliste nur 157 Stimmen[24] abgaben. Anhand dieser auffälligen Zahlen wird somit deutlich, dass die überwiegende Mehrheit der in Ungarn lebenden Nationalitäten im Rahmen des derzeitigen Wahlsystems grundsätzlich keine Chance auf ein Mandat im Parlament hat.
In Bezug auf die geschlossenen Parteilisten stellte der EGMR fest, dass diese zwar Einschränkungen für Wähler mit sich bringen, diese Einschränkung jedoch angesichts der konstitutiven Rolle politischer Parteien im Leben demokratischer Länder gerechtfertigt sein kann. Es ist fraglich, wie dies in Bezug auf Nationalitäten zu interpretieren ist, denn bei Nationalitäten geht es nicht um politische Parteien.
Nach Standpunkt des EGMR ist die unterschiedliche Behandlung dann diskriminierend, wenn sie keinem legitimen Ziel dient und kein angemessenes Verhältnis zwischen den Mitteln und dem zu erreichenden Ziel besteht.
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Wenn die unterschiedliche Behandlung wie im vorliegenden Fall auf der ethnischen Zugehörigkeit beruht, ist der Begriff der objektiven und angemessenen Rechtfertigung am engsten auszulegen. Meiner Meinung nach behält die Objektivität ihren Platz, die Rationalität jedoch weniger, da das gesetzgeberische Ziel einer wirksamen Vertretung von Nationalitäten im aktuellen Regulierungsumfeld nicht erreicht werden kann, obwohl die Vertretung eine notwendige Voraussetzung dafür ist, damit nationale und ethnische Minderheiten ihrer Rolle als staatsbildende Faktoren gerecht werden können[25]. Zugleich kann die unterschiedliche Behandlung unter bestimmten Voraussetzungen geeignet sein, tatsächliche Ungleichheiten zwischen einzelnen Gruppen auszugleichen.
In seiner bisherigen Rechtsprechung kam der EGMR zu dem Schluss, dass die Gründung verschiedener Vereine zur Durchsetzung von Minderheiteninteressen die Rechte von Minderheiten fördern und wahren kann. Auch der Beratende Ausschuss des Rahmenübereinkommens des Europarates betonte, dass im Hinblick auf die günstigeren Wahlhürden für Nationalitäten auch zu prüfen sei, ob diese negative Auswirkungen auf die Beteiligung von Nationalitäten an Wahlprozessen hätten. Im Zusammenhang mit den Schwellenwerten diskutierten sie nicht nur die Frage der abgezinsten Mindestschwelle, sondern auch die Befreiung von der Schwelle und kamen zu dem Schluss, dass sie sich insofern als nützlich erwiesen, als der Anteil der in den gewählten Gremien vertretenen Nationalitäten zunahm.
Der EGMR stellte fest, dass die Kandidaten der Nationalitäten in einer deutlich benachteiligten Position waren als andere Kandidaten, unabhängig davon, dass die anderen Kandidaten auf einer Parteiliste oder unabhängig waren, da die Kandidaten der Nationalitäten nur auf die Stimmen derjenigen Wähler zählen konnten, die derselben Nationalität wie der Kandidat angehörten und diese Zugehörigkeit auch erklärten, also im Namensregister eingetragen wurden. Die Zielgruppe, die sie ansprechen können, ist daher deutlich schmaler. Ich denke, dass dies alles an sich nicht zu beanstanden ist, da Mitte der 2000er Jahre die Registrierung von Nationalitäten genau deshalb eingeführt wurde, um die Praxis der ethnischen Korruption auszurotten. Es wäre weder zu erwarten noch logisch, dass jemand einen Kandidaten unterstützt, der die Interessen einer Nationalität vertritt, ohne anderweitig etwas mit der jeweiligen Nationalität zu tun zu haben. Das Wählen als Nationalität verstößt auch gegen das Recht derjenigen, die die gleichen politischen Ansichten vertreten, sich zu politischen Zwecken zusammenzuschließen, da sie auf der Grundlage der Nationalität und nicht auf der Grundlage der Politik abstimmen und unterschiedliche politische Seiten vertreten. Meiner Meinung nach kann dies zwei Konsequenzen haben: Einerseits führt die politische Zersplitterung dazu, dass die Gemeinschaft der Nationalität weniger zusammenhält und dadurch kontraproduktiv wird (ein Schulbeispiel hierfür ist die
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erfolglose Listenstellung der Roma im Jahr 2022), aber andererseits kann die Priorisierung der Interessen von Nationalitäten und deren Überlegenheit gegenüber politischen Interessen eine starke Gemeinschaft bilden.
Nach Standpunkt des EGMR hätte der Gesetzgeber prüfen müssen, ob ermäßigte Schwellenwerteinstellung dazu führen würde, dass Kandidaten, die Nationalitäten vertreten, in eine ungünstigere Situation geraten als andere Kandidaten. Auch die Frage der Kampagnenunterstützung und -finanzierung dürfte in diesem Zusammenhang fraglich sein. Gemäß § 4 des Gesetzes Nr. LXXXVII von 2013 über die Transparenz der Wahlkampfkosten von Parlamentswahlen haben die Landesselbstverwaltungen der Nationalitäten, die bei den Parlamentswahlen eine Nationalitätenliste aufstellen, Anrecht auf eine Förderung aus dem Zentralhaushalt in Höhe von 30 % des Betrages gemäß § 5. Der Abschnitt 5 legt fest, dass die Grundlage der Unterstützung das Produkt aller Mandate, die bei den Parlamentswahlen erzielt werden können, und fünf Millionen Forint ist, das heißt 995.000.000 Forint. 30 Prozent dieses Betrags sind 298.500.000 Forint, die unter den Landesselbstverwaltungen der Nationalitäten, die eine Liste erstellt haben, verteilt werden müssen. Wenn alle Nationalitäten eine Liste erstellen könnten, würde dies fast 23 Millionen Forint pro Nationalität bedeuten, aber es ist wichtig zu betonen, dass der Betrag nicht gleichmäßig verteilt ist. In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass die Verteilung der Wahlkampfunterstützung auf der Grundlage der Zahl der Wähler erfolgt, die im Register als Nationalitätswähler eingetragen sind. Da eine Nationalitätenliste bereits mit drei Kandidaten erstellt werden kann, ist die Budgethilfe laut Gesetz proportional zur Unterstützung, die den Parteien zusteht. Bei Parteien hängt die Höhe der Unterstützung davon ab, in wie vielen Wahlkreisen sie Kandidaten nominieren konnten. Ausgaben im Zusammenhang mit Wahlkampfaktivitäten sind gesetzlich begrenzt, da § 7 Absatz 1 Punkt c) besagt, dass die Nationalitätenliste erstellende Landesselbstverwaltung fünf Millionen Forint für Wahlkampfaktivitäten pro Kandidat ausgeben kann. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung, dass laut Gesetz die Ausgabengrenze pro Kandidat bei fünf Millionen Forint liegt, die jede nominierende Organisation höchstens auf der Grundlage der Anzahl der zu gewinnenden Mandate berücksichtigen kann. All dies wird durch § 7 Absatz 6 des Gesetzes bestätigt. Das klingt im Hinblick auf die Nationalitäten ziemlich sinnlos, da es für sie bekanntermaßen schwierig ist, auch nur ein Mandat zu erhalten, geschweige denn mehr, und daher die Ausgabengrenze im Wesentlichen auf fünf Millionen pro nominierender Organisation begrenzt ist. Obwohl die politisch aktivste LdU bei der Parlamentswahl 2022 über eine Liste von 28 Personen verfügte, hätte sie nicht einmal eine Chance gehabt, auch nur zwei Mandate zu gewinnen. Dieser Widerspruch wird durch Abschnitt 7 Absatz 7 des Gesetzes gelöst, der besagt, dass, wenn dass, wenn diese Grenze von fünf Millionen Forint pro Kandidat (das heißt nur fünf Mil-
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lionen Forint im Falle der jeweiligen Nationalität) unter dem in § 4 genannten Betrag (das heißt dem proportionalen Anteil von 298.500.000 Forint) liegt, der Gesamtbetrag, der für den Wahlkampf ausgegeben werden kann, entspricht dem letztgenannten Betrag, das heißt dem proportionalen Anteil von 298.500.000 Forint. Auf dieser Grundlage lässt sich sagen, dass die Nationalitäten bei ihren Wahlkampfaktivitäten nur deshalb nicht benachteiligt werden, weil sie rechnerisch nur geringe Chancen auf ein Mandat haben. Die Abhängigkeit der finanziellen Unterstützung von der Zahl der im Namensregister für Nationalitäten eingetragenen Wähler kann die Landesselbstverwaltungen der Nationalitäten dazu ermutigen, die Nationalitätengemeinschaften zu mobilisieren, damit sich möglichst viele Menschen als Wähler ihrer Nationalität in das Register eintragen lassen. In diesem Bereich lohnt es sich, jede Siedlungen zu mobilisieren, in denen sich Nationalitätenselbstverwaltung betätigt. Die Mobilisierung kann dort erfolgreich sein, wo sich die Vertreter der lokalen Nationalitätenselbstverwaltung wirksam dafür einsetzen können, dass die Wähler die Aufnahme in das Namensregister für Nationalitäten fordern, was auch für die Parlamentswahlen gilt. In diesem Bereich lohnt es sich, die Siedlungen zu mobilisieren, in denen ethnische Selbstverwaltung herrscht. Die Mobilisierung kann erfolgreich sein, wenn sich die Vertreter der kommunalen Nationalitätenselbstverwaltung wirksam dafür einsetzen können, dass die Wähler die Aufnahme in das Namensregister für Nationalitäten mit Wirkung für die Parlamentswahlen erfordern.
Mit der Kampagne sind auch Werbemaßnahmen verbunden. Gemäß § 147/A. Absatz 2 des Wahlverfahrensgesetzes stehen den nominierenden Organisationen, die eine Nationalitätenliste vorlegen, einhundertdreißig Minuten für die Veröffentlichung ihrer politischen Werbung zur Verfügung. Den nominierenden Organisationen, die Parteilisten erstellen, stehen hingegen vierhundertsiebzig Minuten zur Verfügung. Insgesamt sind dies sechshundert Minuten, also zehn Stunden Werbeaktivität, wovon den Nationalitäten mehr als einundzwanzig Prozent zustehen, die sie anteilig aufteilen müssen. Angesichts der Anzahl der Wähler, die auf Nationalitätenliste abstimmen, halte ich diesen Anteil an der Sendezeit der Werbemaßnahme ist ausreichend.. Die Reihenfolge der Veröffentlichung politischer Anzeigen ändert sich täglich, um Chancengleichheit zu gewährleisten. Anlässlich der Parlamentswahl 2022 wurde aufgrund einer Auslosung in Anwesenheit eines Notars die Startreihenfolge der politischen Anzeigen festgelegt, die wie folgt lautete: Volksabstimmung, Nationalitätenliste, Parteiliste. Trotz der Berechtigung[26] nutzte nur die Landesselbstverwaltung der in Ungarn lebenden Ukrainer diese Gelegenheit, zweimal im Fernsehen und im Radio[27], daher denke ich, dass das Problem eher in der Passivität der Nationalitätsnominierungsorganisationen liegt als in den ihnen gewährten Rechten. Obwohl mehrere Nationalitätsnominierungsorganisationen über Social-Media-Plattformen mit ihren Wählern
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kommunizierten, denke ich, dass dies in einem größeren Rahmen hätte erfolgen können.
Der EGMR war mit der Beschwerde der Antragsteller einverstanden, dass sie ihr Recht auf freie Wahl tatsächlich nicht ausüben könnten, da sie praktisch nur die Möglichkeit hätten, die Liste als Ganzes zu unterstützen oder davon Abstand zu nehmen. Sie hatten nicht einmal die Möglichkeit, die Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste festzulegen, so dass sie im Wesentlichen nur entscheiden konnten, ob sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten oder nicht. Der EGMR hielt es für wichtig zu betonen, dass die Ausübung des Wahlrechts den Wählern die Möglichkeit einschließen muss, ihre Stimmen für Kandidaten und Parteien abzugeben, mit deren politischen Ansichten sie übereinstimmen. Im vorliegenden Fall ist die Situation jedoch anders zu bewerten, da diejenigen, die für die Nationalitätenliste gestimmt haben, nicht für die Parteiliste stimmen konnten und die Stimmabgabe für die Nationalitätenliste keine politische Meinung zum Ausdruck bringt. All dies verhinderte also die politische Meinungsäußerung in Form von Abstimmungen, den Zusammenschluss mit politisch Gleichgesinnten. Der EGMR erklärte, er habe Zweifel daran, dass sich die "freie Meinungsäußerung des Volkes bei der Wahl des gesetzgebenden Organs" in einem System durchsetzen könne, in dem ein Teil der Wählerschaft ihre Parteizugehörigkeit aufgeben müsse, um im Interesse der parlamentarischen Vertretung ihre Nationalität unterstützen zu können.
Der EGMR kam zu dem Schluss, dass Wähler der Nationalitäten ihr Wahlrecht nicht ausüben könnten, ohne dass ihr Recht auf Wahlgeheimnis verletzt werde. Allein die Beantragung der Registrierung einer Person als Nationalitätenwähler, insbesondere wenn sie mit Wirkung für die Parlamentswahlen gilt, gibt einen klaren Hinweis auf die Absicht einer Person, in Zukunft zu wählen. Und am Wahltag erfahren die anwesenden Mitglieder des Ausschusses für Stimmenauszählung sowie weitere Teilnehmer im Wahlraum auch etwas über den "Inhalt" der Ausübung des Wahlrechts von den Nationalitätswähler. Der EGMR entschied daher, dass das Recht auf das Wahlgeheimnis verletzt ist, das heißt das Recht der Wähler, nach eigenem Gewissen und ohne äußeren Druck, Einschüchterung oder Missbilligung anderer wählen zu können. Der EGMR machte auch darauf aufmerksam, dass bei der Stimmenauszählung die Nationalitätenwähler mit ihren Stimmen verknüpft werden können, insbesondere in Siedlungen, in denen es eine begrenzte, kleinere Anzahl der Nationalitätenwähler gibt. Ich muss hier betonen, dass das Hauptproblem dabei nicht darin besteht, dass sich herausstellt, dass der jeweilige Wähler mit seiner Stimme tatsächlich die Nationalität unterstützt hat (denn es wird bereits beim Empfang von Stimmzetteln im Wahllokal deutlich und lässt sich sogar schon bei der Eintragung in die Namensliste nachvollziehen), sondern auch die Tatsache, dass öffentlich wird, welchen Kandidat die Nationalitätenwähler im jeweiligen Wahlbezirk unterstützt ha-
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ben. Auch wenn die Stimmzettel nicht einer bestimmten Person zugeordnet werden können, ist es dennoch möglich, Statistiken über die politischen Einstellungen und Ansichten der Nationalitätenwähler zu erstellen. Insbesondere wenn alle Nationalitätenwähler einer Minderheitengemeinschaft für denselben Kandidaten stimmen, der in dem einzelnen Wahlkreis antritt, kann kein Moment der Abstimmung geheim bleiben. Der EGMR betonte, dass, wenn der Gesetzgeber beschließt, ein System zur Verringerung tatsächlicher Ungleichheiten zu schaffen, die Beteiligung von Nationalitäten an der politischen Entscheidungsfindung unter denselben Bedingungen ermöglicht werden muss und nicht ihr Ausschluss von der politischen Entscheidungsfindung aufrechterhalten werden darf.
Der EGMR verurteilte Ungarn daher im oben genannten Fall und verpflichtete es zur Zahlung der notwendigen Kosten und Auslagen an die Antragsteller. Daneben entschied der EGMR nicht über die Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz und hielt die Feststellung des Verstoßes für ausreichend.
Die Richter Marko Bosnjak und Davor Derenčinović fügten dem Urteil eine übereinstimmende Meinung hinzu, in der sie erklärten, dass sie mit den Argumenten hinsichtlich der Wahlfreiheit und des Wahlgeheimnisses einverstanden seien, hinsichtlich der Begründung jedoch eine andere Meinung hätten. Zu Artikel 3 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK (Recht auf freie Wahl)[28] führten sie aus, dass sie die Urteilsbegründung im Hinblick auf die Wahlhürde und die damit verbundene Abwägung und Prüfung der Gleichbehandlung für widersprüchlich halten. Sie betonen, dass Staaten über einen weiten Ermessensspielraum verfügen und ein Verstoß gegen das Protokoll nur dann festgestellt werden kann, wenn freie Wahlen oder das Wahlgeheimnis auf dem Spiel stehen. Daher halten sie die Behauptung, dass das fragliche Wahlsystem gegen das Protokoll verstößt, für ziemlich weithergeholt, da es sich ihrer Meinung nach um die Umsetzung einer Maßnahme geht, die sich auf etwas bezieht, das nicht als Menschenrechte eingestuft wird und das ihrer Meinung nach nur Gegenstand von Untersuchungen und Kritik durch einschlägige internationale Organisationen sein kann. Es wurde vorgebracht, dass sich die im vorliegenden Fall verwendete Argumentation von der zuvor vom EGMR in der Rechtssache "Partei die Friesen v. Deutschland" verwendete Argumentation unterscheidet, in dem Fall das Gericht keinen Verstoß gegen das Gesetz feststellte, obwohl der Antragsteller argumentierte, dass das niedersächsische Wahlsystem gegen Artikel 14 EMRK verstoße, da es eine Wahlhürde von fünf Prozent festlege, die die Partei die Friesen nicht erreicht habe. In jenem Fall kam der EGMR zu Schlussfolgerungen wie beispielsweise, dass es wichtig ist, die Beteiligung nationaler Minderheiten an öffentlichen Angelegenheiten auf der Grundlage des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten sicherzustellen, dennoch verfügen die Staaten über einen weiten Ermessensspielraum, wie
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sie dies fördern wollen. Positive Diskriminierung ist nicht verpflichtend und es gibt keine klare Verpflichtung, Nationalitätenparteien von der Wahlhürde auszunehmen. In diesem Zusammenhang brachten die Richter Bošnjak und Derenčinović vor, dass Ungarn zwar nicht verpflichtend sei, aber dennoch mit dem Mittel der positiven Diskriminierung eine ermäßigte Wahlhürde für Nationalitäten festlege. Die Richter vertraten den Standpunkt, dass Ungarn seine völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht verletzt hat, da es nicht um die Sicherung des Parlamentsmandats geht (dies ist völkerrechtlich nicht einmal erforderlich, sondern betont ausdrücklich den weiten Ermessensspielraum), sondern um die Sicherstellung einer wirksamen Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten, und Ungarn erfüllte dies ihrer Meinung nach durch die Einrichtung des Wortführer der Nationalität. Es wurde auch betont, dass die Möglichkeit der Wahl den Nationalitäten eingeräumt wurde (das heißt indem sie sich bei der Volkszählung einer bestimmten Nationalität zugehörig erklärten oder ihre Traditionen auf andere Weise pflegten, ihre Sprache sprachen und ihre Identität im Alltag zum Ausdruck brachten, begründet für sie keine Verpflichtung, als Nationalitätenwähler an den Wahlen teilzunehmen), und die Staaten sind nicht verpflichtet, die Stimmen der Nationalitäten gleichgewichtig zu berücksichtigen. Darüber hinaus brachten sie vor, dass sie das Argument zur Wahlhürde für weithergeholt halten, da die Argumente zum Wahlgeheimnis und zur Möglichkeit einer sinnvollen Wahl für sich genommen ausreichten, um einen Rechtsverstoß festzustellen. Schließlich forderten sie eine gründliche Untersuchung und Analyse der Art und Weise, wie die Diskriminierung während der Wahl stattgefunden hat, das heißt eine gründliche Begründung der Unterscheidung zwischen Menschen in einer vergleichbaren Situation, da all dies im Urteil fehlt.
Richter Ioannis Ktistakis fügte dem Urteil eine abweichende Meinung hinzu, in der er erklärte, dass er mit der Entscheidung des EGMR nicht einverstanden sei, wonach sich die Feststellung eines Rechtsverstoßes als ausreichende Genugtuung erweist, da es in diesem Fall nicht um Politiker gehe, sondern "einfache" Wähler. Er äußerte seine Besorgnis darüber, dass diese Entscheidung und der Verzicht des Gerichts auf eine immaterielle Entschädigung den Antragsteller armenischer Nationalität, der anonym bleiben wollte, und die anderen Mitglieder der armenischen Nationalität davon abhalten könnten, für ihre Rechte zu kämpfen.
Die ungarische Regierung hatte bis zum 10. Februar 2023 Zeit, eine Überprüfung des Urteils zu beantragen, das heißt den Fall der Großen Kammer des EGMR zur Überprüfung vorzulegen. Nach langer Überlegung entschied das Justizministerium schließlich, das Urteil des EGMR nicht zu akzeptieren und
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beantragte dessen Überprüfung. Am 3. April 2023 entschied das fünfköpfige Gremium des EGMR schließlich, den Antrag auf Überprüfung abzulehnen, sodass das Urteil des EGMR, in dem Ungarn verurteilt wurde, rechtskräftig wurde. Obwohl das Urteil des Gerichtshofs den rechtlichen und praktischen Rahmen nicht definierte, wie Ungarn sein Wahlsystem mit den Bestimmungen der EMRK und anderen internationalen Dokumenten zur Regelung der Situation nationaler Minderheiten in Einklang bringen könnte, aber wenn Ungarn in Zukunft keine weiteren Verurteilungen wünscht - in welchen auch Schmerzensgeld beurteilt werden könnte -, wird es also gezwungen sein, in naher Zukunft Schritte zu unternehmen, wodurch die Parlamentswahlen im Jahre 2026 auf andere Weise, in einer anderen Verfahrensordnung, stattfinden können.
Im Zusammenhang mit dem Urteil des EGMR wird vor allem die Notwendigkeit einer Änderung des Gesetzes Nr. CLXXIX von 2011 über die Rechte der Nationalitäten angesprochen. Die Gesetzesänderung findet auf politischer Ebene statt, und da es sich um eine Wahlfrage handelt, die sich auch auf die Zahl der Parlamentsabgeordneten auswirken kann, kann sie meiner Meinung nach zu einem recht heiklen und kontroversen Thema werden. Es stellt sich also die Frage, wie ein volles Mandat der Nationalitäten sichergestellt werden kann und ob dieses überhaupt für sie gewährleistet werden muss oder ob es ausreicht, um die Teilnahme an der Arbeit des Parlaments zu gewährleisten. Wenn Ersteres das Ziel ist, würden 13 der 199 Parlamentsmandate an einen Vertreter der Nationalitäten vergeben, das heißt die Beteiligung der Parteien im Parlament würde deutlich reduziert, was sogar zu einer Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse führen könnte, eine Verschiebung der aktuellen politischen Kräfte. Denkbar ist auch eine Lösung, nach der die 199 Vertreter des Parlaments zu den 13 Vertretern der Nationalitäten hinzukommen würden und die Gesamtzahl der Mitglieder des Parlaments somit auf 212 anschwellen würde. Auch dies dürfte keine besonders beliebte Maßnahme sein, da sie mit einem Anstieg der Ausgaben einhergeht und möglicherweise zu schwierigeren Entscheidungsprozessen und einem Wandel der politischen Kräfte führt.
Man kann sich auch eine Lösung vorstellen, bei der unabhängig vom vollwertigen Mandat die Position des Wortführers im Rahmen einer umfassenden Reform gestärkt würde, was sicherlich eine umfassende gesellschaftliche Konsultation erfordern würde, in der der Parlamentsausschuss für die in Ungarn lebenden Nationalitäten eine große Rolle spielen könnte. Dadurch könnten Wähler, die einer bestimmten Nationalität angehören, für eine Parteiliste stimmen und hätten daneben die Möglichkeit, einen Wortführer auf einer separaten Liste zu wählen. Diese Methode hätte daher keinen Einfluss auf die Zahl der Mitglieder des Parlaments und würde das Problem lösen, dass die Nationalitätenwähler ihren Wahlwillen bei der Wahl des gesetzgebenden Organs nicht ausreichend zum Ausdruck bringen können. Gleich-
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zeitig würde das Recht auf das Wahlgeheimnis weiterhin verletzt und die geschlossene Liste würde es weiterhin nicht ermöglichen, den wahren Willen der Wähler zum Ausdruck zu bringen. Daher wäre es notwendig, dass sich zwischen den Wortführerkandidaten ein echter Wettbewerb entwickelt, entweder durch die Löschung des Listenstellungsmonopols der Landesselbstverwaltungen oder durch die Beibehaltung ihres Monopols, aber über die Person des künftigen Wortführers würden die Nationalitätenwähler entscheiden, so dass die Kandidaten auf der Liste nicht in der von den Landesselbstverwaltungen festgelegten Reihenfolge aufgeführt würden, sondern in alphabetischer Reihenfolge, und die Wähler könnten für den Kandidaten stimmen, der ihnen am besten gefällt. Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass auch die Prävention und Verhinderung der Entwicklung und des Aufblühens ethnischer Korruptionspraktiken im Auge behalten werden muss.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das Wahlsystem früher oder später reformiert werden muss, zumindest im Hinblick auf die wahlbezogenen Rechte der Nationalitäten. Es ist fraglich, welchen Weg der Gesetzgeber in dieser Hinsicht wählen wird: Die Regeln für die Erlangung des Mandats, das eine vollständige Vertretung gewährleistet, werden überarbeitet, oder die Position des Wortführers, die die Beteiligung an der Arbeit des Parlaments gewährleistet, wird gestärkt, oder möglicherweise nimmt die Neuerung eine völlig andere Richtung. Wie auch immer der Gesetzgeber diesbezüglich entscheidet, einige Aspekte müssen in Zukunft berücksichtigt werden, um Verurteilungen im Zusammenhang mit dem in dieser Studie vorgestellten Urteil des EGMR zu vermeiden.
Wenn das Ziel darin besteht, dass alle Nationalitäten im Parlament vollständig vertreten sind, müssen das derzeitige Wahlsystem und die Regeln für die Mandatsvergabe zunächst aus mathematischer Sicht überdacht werden. Als Grundlage dient die Nationalität mit der geringsten Einwohnerzahl sowie die Nationalität mit der geringsten Zahl im Nationalitätenregister. Hierbei kommen zwei Nationalitäten in Betracht: zum einen die slowenische Nationalität, da 853 ihrer Mitglieder Wähler im Nationalitätenregister sind, und zum anderen die bulgarische Nationalität, deren 1384 Mitglieder im Nationalitätenregister aufgeführt sind. Es ist klar, dass es weniger Slowenen gibt, aber es muss danach differenziert werden, wie viele Personen die Aufnahme in das Register beantragt haben, einschließlich der Parlamentswahlen. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits erkennbar, dass es weniger Bulgaren gibt, da 228 von ihnen bei der Parlamentswahl für eine Nationalitätenliste stimmen können, während diese Zahl bei den Slowenen bereits bei 294 liegt[29]. Selbstverständlich ist es möglich, von höheren Zahlen auszugehen, beispielsweise von den Daten der letzten Volkszählung, aber niemand kann dazu verpflichtet werden, einen An-
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trag auf Aufnahme in das Nationalitätenregister zu stellen, so dass man realistischerweise mit den Zahlen arbeiten kann, auf deren Grundlage im Falle einer Wahlrechtsreform theoretisch eine Chance auf ein Mandat bestehen könnte. Da bei den Wahlen 2022 23.085 Stimmen erforderlich waren, um das ermäßigte Mandat für die Nationalität zu erhalten, bedeutet dies für die Bulgaren, dass diese Schwelle mehr als das Hundertfache der im Register eingetragenen Bulgaren beträgt, einschließlich der Parlamentswahlen. Wenn wir wollen, dass auch die Bulgaren ein Mandat bekommen - und damit zahlenmäßig auch die anderen, größeren Nationalitäten eine realistische Chance auf ein Mandat hätten -, dann ist das Ergebnis, das sich aus der Division aller Stimmen der Landeslisten durch 93 ergibt, nicht wie zuvor durch vier, sondern durch ungefähr vierhundert zu dividieren[30]. Diese Unverhältnismäßigkeit würde zu einem solchen Unterschied im Stimmengewicht führen, dass zu Recht die Frage eines verfassungsmäßigen und demokratischen Defizits aufgeworfen würde, da dadurch Kandidaten, die auf einer Nationalitätenliste kandidieren, erheblich im Vorteil wären und dadurch alle anderen diskriminiert würden, die nicht auf einer Nationalitätenliste kandidieren. All dies könnte auch dazu führen, dass viele Menschen künftig in "Farben einer Nationalität" Politik machen wollen, nur um leichter ein Mandat[31] zu bekommen, sodass diese Abstimmungsverzerrung das Ethnobusiness stärken würde. Diese Lösung würde den Grundsatz der Wahlgleichheit so sehr verletzen, dass keine vernünftige Chance auf ihre Umsetzung oder Einführung besteht.
Sollte der oben geschilderte Fall eintreten und die Institution des Wortführers gestärkt werden, hätte dies den Nachteil, dass die Ungarndeutschen und Roma in Ungarn ihre Chance auf eine Vertretung im Parlament verlieren würden. Obwohl die Roma bisher keinen Vertreter hatten, hatten sie prinzipiell eine Chance dazu, und die Deutschen haben seit mehr als sechs Jahren einen Vertreter, sodass man sich den Wandel nur so vorstellen kann, damit dies keinen Schlag für die Ungarndeutschen bedeutet. Es ist zwar denkbar, aber nur mit erheblichen Zusicherungen, dass die Institution des Wortführers gestärkt wird, aber diejenige Nationalität, die ein Mandat erhalten kann - wie nach den geltenden Regeln -, steht also auch in Zukunft nichts im Wege. Natürlich wird dadurch die Unterscheidung zwischen Nationalitäten aufgeworfen, aber hier sind sie nicht aufgrund einer tatsächlichen oder vermuteten Eigenschaft in einer günstigeren Position, sondern einfach, weil sie die größte Nationalitätengemeinschaft in Ungarn repräsentieren.
Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass Fragen, die Nationalitäten betreffen, in irgendeiner Form in der Politik, in der Diskussion öffentlicher Angelegenheiten, zur Sprache kommen: All dies kann unter Einbeziehung von Vertretern der Nationalitäten erreicht werden, aber auch dadurch, dass Fragen, die Nationalitäten betreffen, durch die gewählten Gremien auf die Tagesordnung gesetzt werden Bei der Bestimmung der Wahlhürde müssen auch die
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Nationalitäten berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang kann sich auch eine Lösung ergeben, dass diese Wahlhürde für die Erlangung eines Mandats für jede Nationalität individuell und auf die jeweilige Nationalität zugeschnitten festgelegt wird, wobei sich dies jedoch von Wahljahr zu Wahljahr ändert und maßgeblich von der Bereitschaft der Wähler einer bestimmten Nationalität abhängt, sich in das Register eintragen zu lassen.
De lege ferenda ist eine solche Lösung auch denkbar, dass Vertreter aller ungarischen Nationalitäten gemeinsam als eine politische Partei auf der Grundlage einer bevorzugten Wahlhürde ins Parlament einziehen können. Erreichen sie die der ermäßigten Wahlhürde entsprechende Stimmenzahl nicht, können sie dennoch einen Wortführer ins Parlament entsenden. Laut dem entsprechenden Dokument des Europarats[32] verstößt dies nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, das entsprechende Rechtsdokument besagt jedoch auch, dass weder von Kandidaten noch von Wählern verlangt werden kann, dass sie ihre Zugehörigkeit zu einer Nationalität angeben. Demnach würde der Grundsatz des Wahlgeheimnisses nicht verletzt, da es keinen Unterschied hinsichtlich der Landesliste gäbe, und es bedarf zudem einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen den Nationalitäten, die die Sache der Nationalitäten in künftigen gesetzgeberischen Fragen voranbringen könnte.
Ich denke auch, dass es möglich ist, sich ein Konzept vorzustellen, nach dem jede politische Partei, die in das Parlament kandidiert und einzieht, einen Kandidaten hat, der sich mit Nationalitätenfragen befasst und die Sache aller dreizehn Nationalitäten vertritt, und diese Vertreter würden den Ausschuss für Nationalitätenangelegenheiten im Parlament bilden.
Offensichtlich handelt es sich hierbei um noch nicht ausgereifte Lösungen, die sich deutlich vom aktuellen System unterscheiden und einer umfassenderen Erklärung und gemeinsamen Überlegung bedürfen. Ich betone weiterhin das oben Geschriebene, wonach eine umfassende fachliche und gesellschaftliche Konsultation erforderlich ist, die nicht nur die Befragung der beteiligten Nationalitäten, sondern auch der gesamten ungarischen Gesellschaft einschließt, denn in diesem Fall handelt es sich um eine Frage im Zusammenhang mit Wahl und der Zusammensetzung des Parlaments. In diesem Zusammenhang könnte sich eine nationale Konsultation oder möglicherweise ein Referendum als nützlich erweisen, um die entsprechenden Meinungen und Positionen zu bewerten und Leitlinien für die Gesetzgebung bereitzustellen. ■
ANMERKUNGEN
[1] Der Antragsteller beantragte, dass seine personenbezogenen Daten vertraulich behandelt werden.
[2] Der Abschnitt 249 Abs. 2 des Wahlverfahrensgesetzes sieht vor, dass das Nationalwahlamt die Angaben zur Nationalität eines Wählers aus dem Wählerverzeichnis löscht, wenn es für die angegebene Nationalität keine Nationalitätenliste gibt.
[3] NWB: Anzahl der Wähler.
https://vtr.valasztas.hu/ogy2022/valasztasi-informaciok/valasztopolgarok-szama (03.08.2024.)
[4] Im Jahr 2014 waren 22.022 Stimmen erforderlich, während im Jahr 2018 23.831 Stimmen erforderlich waren, um das Nationalitätsmandat zu erhalten.
[5] Im Fall der ungarischen Roma erwies sich die Listenstellung nicht nur als undurchsichtig, sondern auch als völlig verfassungswidrig. Die Selbstverwaltung der Roma (im Folgenden: ORÖ) hat in ihrer Vollversammlung am 9. November 2021 mit qualifizierter Mehrheit die 7. Anlage ihrer Geschäftsordnung zum internen Verfahren für die Stellung von der Nationalitätenliste verabschiedet. Auf der Grundlage der geänderten Geschäftsordnung beschloss die Vollversammlung mit qualifizierter Mehrheit die Aufstellung der Liste und die Anzahl der auf die Liste aufzunehmenden Kandidaten, schließlich in geheimer Abstimmung die konkreten Kandidaten und ihre Reihenfolge auf der Liste. Die Vollversammlung des ORÖ hat im Zusammenhang mit der Wahl die Anlage 7 der Geschäftsordnung erheblich geändert und diese dann ohne Gewährleistung einer ausreichenden Vorbereitungszeit sofort angewendet, so dass eine Anpassung an die geänderte Regelung nahezu unmöglich war. Als Ergebnis all dessen: Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts Nr. 3002/2022. (I.13.) wurden die vorliegenden Beschlüsse der Vollversammlung für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben.
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[6] Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen: Die Landesliste der Ungarndeutschen für die Parlamentswahl 2022 ist erstellt.
[7] Die aktuelle Unternehmensverfassung der LdU gilt ab 23. September 2023. Die bei der Parlamentswahl 2022 geltende Fassung regelte die Erstellung von Listen und Nominierungen analog zur aktuellen Fassung.
https://ldu.hu/wp-content/uploads/2024/06/mnoo-szrnsz-202405.11_-1.pdf (05.08.2024.)
[8] Mit der Ausnahme, dass nicht alle, sondern nur mehr als die Hälfte der Stimmen der anwesenden Abgeordneten eingeholt werden müssen.
[9] Es besagt das Diskriminierungsverbot.
[10] Im Jahr 2011 identifizierten sich 315.583 Personen als Roma, 185.696 Personen als Ungarndeutsche, 35.641 Personen als Rumänen, 35.208 Personen als Slowaken und 26.774 Personen als Kroaten. Ich halte es nicht für notwendig, die Daten der anderen Nationalitäten darzustellen, da im Jahr 2014 22.022 Stimmen, im Jahr 2018 23.831 und im Jahr 2022 23.085 Stimmen zur Erreichung des Vorzugsmandats erforderlich waren und diese Zahl nur von den oben genannten Nationalitäten zahlenmäßig überschritten wird. Selbstverständlich muss auch hier danach differenziert werden, wie viele davon über aktives Stimmrecht verfügen. Es ist auch zu beachten, dass die Mehrheit der Nationalitäten eine viel größere Bevölkerungszahl hat, aber unzählige Personen, die einer Nationalität angehören, sich aus verschiedenen Gründen nicht nur in das Nationalitätenregister nicht eintragen lassen, sondern auch ihre Zugehörigkeit bei der Volkszählung nicht angeben, sodass die statistischen Daten verzerrt sind.
[11] Der Zweck einer geheimen Wahl besteht darin, die Wähler vor dem Druck zu schützen, dem sie ausgesetzt wären, wenn andere von ihrer Wahlentscheidung erfahren würden. Dies ist nicht nur ein Recht, sondern darüber hinaus auch eine Pflicht des Staates, der das Wahlgeheimnis wahren und bei Verstößen gegen diesen Grundsatz entsprechend sanktionieren muss. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass auch "gemeinschaftliche" Abstimmungen, wie beispielsweise Familienwahlen, verboten sind, die Abstimmung also individuell erfolgen muss.
[12] Abschnitt 86 Punkt a) des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren
[13] Abschnitt 86 Punkt c) des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren
[14] Abschnitt 10 Absatz 3 des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren
[15] Abschnitt 248 des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren
[16] Abschnitt 248 des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren. Zuvor, vor dem 1. August 2022, sah diese Regelung vor, dass der Antrag bis 16.00 Uhr am sechzehnten Tag vor der Abstimmung eingereicht werden konnte, damit der Wähler als Nationalitätswähler aufgeführt werden konnte. Aus der Gesetzesänderung geht hervor, dass der Gesetzgeber versucht hat, günstigere Bedingungen für diejenigen zu schaffen, die als Nationalitätswähler wählen möchten, und die Strenge der Verfahrensregeln gelockert hat.
[17] Abschnitt 249 Absatz 1 des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren. Diese Regelung gilt ab dem 1. Dezember 2023. Bisher differenzierte das Gesetz über das Wahlverfahren nach der Art der Antragseinreichung, sodass per Brief oder bei elektronischer Einreichung ohne elektronische Identifizierung die Löschung spätestens am vierten Tag vor der Wahl beantragt werden.
[18] Abschnitt 94 Absatz 1 des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren. Auch in diesem Bereich kam es ab dem 1. Dezember 2023 zu einer Änderung, denn bisher musste der Antrag innerhalb von fünf Tagen nach Eingang beurteilt werden. Es ist erkennbar, dass die Änderung eine schnellere Verwaltung fordert.
[19] Abschnitt 94 Absatz 3 des Gesetzes Nr. XXXVI von 2013 über das Wahlverfahren.
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[20] Eine Kontraindikation liegt vor, wenn der Wähler im Register bereits als Nationalitätswähler aufgeführt ist.
[21] Abschnitt 53 Absatz 2 des Gesetzes Nr. CLXXIX von 2011 über die Rechte der Nationalitäten
[22] In diesem Zusammenhang verwies das Gericht offensichtlich auf den Zeitraum vor dem Namensregister der Nationalitäten, das mit dem Gesetz Nr. CXIV von 2005 über die Wahl von Vertretern der Minderheitenselbstverwaltung und die Änderung bestimmter Gesetze betreffend nationale und ethnische Minderheiten eingeleitet wurde. Jener Zeitraum lässt sich am besten nur mit den Begriffen Ethnobusiness und Ethnokorruptionspraxis charakterisieren.
[23] Die Zahl der Wähler im Namensregister für Nationalitäten. Aktualisiert am 9. August 2024.
https://www.valasztas.hu/nemzetisegi-nevjegyzeki-nyilvantartas (08.09.2024)
[24] Parlamentswahlen 2022 - Ergebnisse der Landeslisten.
https://vtr.valasztas.hu/ogy2022/orszagos-listak?tab=ethnics (08.09.2024)
[25] Entscheidung des Verfassungsgerichtes Nr. 35/1992. (VI.10.)
[26] Gemäß Absatz 11 des Beschlusses Nr. 125/2022 der Nationalen Wahlausschusses seiner Entscheidung hatten nominierende Organisationen, die eine Nationalitätenliste vorlegten, pro Nationalitätenliste eine Zeitdauer von 10 Minuten und 50 Sekunden, um politische Werbung in öffentlichen Mediendiensten zu veröffentlichen.
[27] Nationale Medien- und Kommunikationsbehörde: Wahlen 2022.
https://nmhh.hu/cikk/227483/Valasztas_2022 (10.08.2024)
[28] Der Kern besteht darin, dass die Vertragsstaaten in angemessenen Abständen freie Wahlen in geheimer Abstimmung unter solchen Bedingungen durchführen, die die Meinungsäußerung des Volkes über die Wahl des gesetzgebenden Organs gewährleisten.
[29] Daten zur Wählerzahl im Nationalitätenregister (aktualisiert am 11. August 2024)
[30] Unger Anna: Putting an End to Minority Voter Disenfranchising in Hungary. VerfBlog, 2022/12/05, https://verfassungsblog.de/putting-an-end-to-minority-voter-disenfranchising-in-hungary/ (2024.08.11.)
[31] Allerdings würde dies im Wesentlichen durch das Monopol der Landesselbstverwaltungen der Nationalitäten auf der Liste verhindert, in dessen Rahmen es als "Neueinsteiger" nicht einfach wäre, an die Spitze der Liste zu gelangen.
[32] Der Verhaltenskodex für Wahlangelegenheiten (Leitlinien und erläuternder Bericht) wurde vom Europäischen Komitee zur Durchsetzung der Demokratie durch Rechtsinstrumente (Venedig-Kommission) auf seiner 51. und 52. Plenarsitzung ((5.-6. Juli 2002 und 18.-19. Oktober 2002)) verabschiedet.
Lábjegyzetek:
[1] Der Autor ist Doktorandin, Juristische Fakultät der Universität Pécs, Lehrstuhl für Verfassungsrecht
Visszaugrás