Megrendelés

Eva Dobrovolná[1]: Zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen nach der Brüssel Ia-VO aus der perspektive der tschechischen höchstgerichte (GI, 2024/3-4., 197-206. o.)

https://doi.org/10.55194/GI.2024.3-4.12

Kurzfassung

Diese Studie befasst sich mit der aktuellen Rechtsprechung des tschechischen Obersten Gerichtshofs zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Sie beschreibt zunächst den Verlauf des Verfahrens und die grundlegenden Schlussfolgerungen des Obersten Gerichtshofs und analysiert dann diese Stellungnahmen. Anschließend wird die Tragfähigkeit der Rechtsauffassungen in Bezug auf die neuere Rechtsprechung des EuGH, insbesondere in der Rechtssache C-568/20 (J/H-Limited), untersucht.

Schlüsselwörter: Tschechisches Recht, Oberster Gerichtshof, Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen, Zivil- und Handelssachen

On the Recognition and Enforcement of Foreign Judgments Under the Brussels La Regulation from the Perspective of the Czech Supreme Courts

Abstract

This paper deals with the current case law of the Czech Supreme Court on the recognition and enforcement of judgments under Regulation (EU) No 1215/2012 on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters. lt first describes the course of the proceedings and the basic conclusions of the Supreme Court and then analyses these opinions. The paper considers the sustainability of the legal opinions in relation to more recent case law of the CJEU, in particular in Case C-568/20 (J v H-Limited).

- 197/198 -

Keywords: Czech law, Supreme Court, recognition and enforcement of judgments, civil and comercial matters

1. Einführung

In den letzten Jahren hat sich das tschechische Oberste Gericht (tschOG) zwar nicht selten mit der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO) befasst; die meisten Entscheidung hatten jedoch nicht die Anerkennung und Vollstreckung, sondern andere Bereiche wie Zuständigkeitsfragen oder die Auslegung des Begriffes der "Zivil- und Handelssache" zum Gegenstand.[1]

Trotzdem findet man auch in geringerem Ausmaß aktuelle Rechtsprechung zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen nach der Brüssel Ia-VO. Ziel dieses Aufsatzes ist es, diese Rechtsprechung vorzustellen, zu analysieren und damit zur rechtsvergleichenden Diskussion beizutragen.

2. Versagung der Anerkennung und Vollstreckung - prozessrechtliche Fragen

2.1. Zur Entscheidung des tschOG AZ 20 Cdo 705/2021

Das tschechische Oberste Gericht hat sich in der Sache AZ 20 Cdo 705/2021 mit der Anerkennung des Urteils ("judgement") des High Court of Justice Business and Property Courts of England and Wales (QBD) Technology and Construction Court in der Tschechischen Republik befasst. Die Unterinstanzen (sowohl das Erstgericht, als auch das Berufungsgericht) haben die Anerkennung dieser britischen Entscheidung versagt. In dem Verfahren vor dem britischen Gericht wurde die Klage des tschechischen Klägers abgewiesen und der Widerklage des englischen Beklagten stattgegeben. Aufgrund dieses Urteils wurde ein Zahlungsbefehl erlassen, welcher der Klägerin die Zahlung bestimmter Geldbeträge im Zusammenhang mit dem aufgrund eines Vertragsrücktrittes entstandenen Schadens auferlegte.

Sowohl das Erstgericht, als auch das Berufungsgericht sind anhand des Zweckes des Art. 45 Brüssel Ia-VO davon ausgegangen, dass die Brüssel Ia-VO es verhindern solle, in den Mitgliedstaaten ein "reguläres" Vollstreckungs-

- 198/199 -

verfahren bzw. Exequaturverfahren zu führen, um die Prozessökonomie, die berechtigten Erwartungen der Parteien bzw. den freien Umlauf der Entscheidungen im europäischen Justizraum zu gewährleisten. Das Verfahren über die Versagung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung hat aus der Sicht dieser Gerichte einen vorläufigen Charakter. Es sind ausdrücklich keine mündliche Verhandlung, keine Beweisaufnahmen oder ähnliche Ermittlungen vorgesehen. Deswegen wurde in der Berufungsinstanz - trotz strittiger Punkte zwischen den Parteien - ohne mündliche Verhandlung entschieden.

2.2. Rechtliche Beurteilung des tschOG

Das Oberste Gericht hat sich bisher noch nicht mit der Frage der Natur des Verfahrens über die Versagung der Anerkennung nach der Brüssel la-VO befasst. ln der vorliegenden Sache ist es darum gegangen, ob die Beweisaufnahme nach den Regeln der tschZPO (§ 122 Abs. 1 tschZPO) in diesem Verfahren durchgeführt werden soll.

Das tschOG hat die Bestimmungen der Art. 45, 47, 48 und 52 der Brüssel la-VO angewendet und den Sinn der Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckung einer im anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung betont. Die Versagung der Anerkennung, bzw. Vollstreckung dient dem Schutz der Verteidigungsrechte der betroffenen Partei, da der Vollstreckung kein Exequaturverfahren mehr vorausgegangen sein muss (Art. 39 Brüssel la-VO).

Gemäß Art. 47 Abs. 2 der Brüssel la-VO sind für das Verfahren über die Versagung der Anerkennung die innerstaatlichen Regelungen des ersuchten Mitgliedstaates anwendbar.

Die tschechischen, gesetzlichen Vorschriften sehen jedoch keine ausdrückliche Regelung für diese Verfahrensart vor. Als geeignet kann aber die Bestimmung des § 18 des tschlPR-Gesetzes herangezogen werden, die die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung regelt und nach der das Gericht durch Urteil zu entscheiden hat, ohne die Verhandlung anberaumen zu müssen.[2] Diese Regelung entspricht dem Art. 48 der Brüssel la-VO; nach diesem Artikel ist über die Versagung der Anerkennung oder Vollstreckung unverzüglich zu entscheiden.

Im Unterschied zum Verfahren über die Anerkennung ist das Verfahren über die Versagung der Anerkennung dadurch gekennzeichnet, dass sich die

- 199/200 -

Parteien in einer streitigen, kontradiktorischen Position befinden können. Im erstgerichtlichen Verfahren kann zwar das Gericht nur den Antrag und die betroffene Entscheidung, bzw. andere Urkunden berücksichtigen, auf deren Grundlage beurteilt wird, ob einer der Versagungsgründe vorliegt ist oder nicht. Wenn gegen dieses Urteil eine Berufung eingelegt wird, in der die Parteien ihr Recht auf rechtliches Gehör geltend machen und Beweisanträge stellen, darf das Berufungsgericht wegen dieser "streitigen" Elemente, die im Berufungsverfahren aufgetreten sind - nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

2.3. Schlussfolgerung

Das tschOG vertritt in seiner Entscheidung die Meinung, dass im Berufungsverfahren über die Versagung der Anerkennung eine mündliche Verhandlung stattfinden kann. Es betont, dass die Entscheidung über die Versagung der Anerkennung eine weitergehende Wirkungen wie die Rechtskraft hat und somit ein Rechtskrafthindernis für später eingeleitete Verfahren darstellt. Auch kann aufgrund dieser Entscheidung keine Exekution der anzuerkennenden Entscheidung eingeleitet werden. Aus diesen Gründen muss den Parteien ein Raum zur Erörterung ihrer Behauptungen und Beweise gewährt werden. Ein anderes Vorgehen würde im Widerspruch zum Recht auf gerichtlichen Schutz, welcher verfassungsrechtlich verankert ist, stehen.

3. Versagung der Anerkennung und Vollstreckung wegen ordre public

3.1. Zur Entscheidung des tschOG AZ 20 Cdo 1432/2022

In dieser Sache geht es um dieselben Parteien und dasselbe "judgment" wie in der obigen Sache. Es handelt sich um die Fortsetzung des Verfahrens, nachdem das tschOG die Entscheidung des Berufungsgerichts wegen des oben beschriebenen Prozessfehlers aufgehoben und an das Berufungsgericht zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen hatte. Durch das "judgment" des britischen Gerichts [The High Court of Justice Business and Property Courts of England and Wales (QBD) Technology and Construction Court] wurde die tschechische Klägerin aufgrund einer Widerklage des englischen Beklagten verurteilt, eine Geldleistung samt Zinsen und Verfahrenskosten aus dem Titel des Schadenersatzes zu zahlen, welcher aufgrund des Rücktritts vom Vertrag über die Planung, Besorgung, Ausbau und Inbetriebnahme eines Bio-

- 200/201 -

masseheizkraftwerkes entstanden sei. Das tschechische Erstgericht hatte die Anerkennung dieser Entscheidung versagt. Das Berufungsgericht bestätigte aufgrund einer mündlichen Verhandlung die erstgerichtliche Entscheidung. Das Berufungsgericht qualifizierte den Anspruch als Strafschadenersatz (punitive damages), was nach dem tschechischen Recht unzulässig ist und im Widerspruch zum tschechischen ordre public steht.

3.2. Rechtliche Beurteilung des tschOG

Das tschOG hat die Revision für die Auslegung des ordre public Vorbehalts zugelassen. Es verwies auf die Bestimmung des Art. 25 Abs. 1 der Brüssel la-VO. Nach dieser Bestimmung wird die Anerkennung einer Entscheidung auf Antrag des Berechtigten versagt, wenn sie der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde.

Allein der Umstand, dass das ausländische Recht ein Rechtsinstitut kennt, das dem tschechischen Recht fremd ist, stellt keinen Widerspruch mit dessen öffentlicher Ordnung dar. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung liegt nur dann vor, wenn die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung gegen solche wesentlichen Grundsätze der Gesellschafts- und Staatsordnung der Tschechischen Republik und gegen ihre Rechtsordnung verstoßen würde, welche unbedingt einzuhalten sind (vgl. § 36 tschlPR Gesetzes). Es muss sich hierbei um konkrete und existierende Grundsätze handeln.

Die tschechische höchstgerichtliche Judikatur wendet den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung als Grund der Versagung der Anerkennung nur in Ausnahmefällen an, und zwar, wenn die Entscheidungswirkungen selbst -nicht die Anerkennung als solche - im offensichtlichen Widerspruch zu der öffentlichen Ordnung stehen würden.[3]

Da der Revisionswerber eingewendet hatte, dass das Verfahren im Vereinten Königsreich nur in einer Instanz entschieden wurde (einstufiges Verfahren), hat sich das tschOG auch mit der Frage beschäftigt, ob dies gegen den ordre public verstößt. Im Bereich des Verfahrensrechts umfasst der Begriff der öffentlichen Ordnung (ordre public) nur die grundlegenden Regeln des Verfahrensrechts, die den Parteien das Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör, garantieren. Da die Behebung von Verfahrensmängeln auch in die Kompetenz des Gerichtes jenes Staates fällt, in dem die anzuerkennende Entscheidung ergangen ist, können im ersuchten Mitgliedstaat nur grundsätzliche Verfahrensmängel berücksichtigt werden,

- 201/202 -

welche insbesondere darin bestehen, dass die Partei keine Möglichkeit hatte, ihre Verfahrensrechte im Ursprungsmitgliedstaat auszuüben.

In diesem Zusammenhang lässt sich eindeutig feststellen, dass das einstufige Verfahren nicht den Grundsätzen des ordre public entgegensteht. Ein zweistufiges Verfahren gehört nämlich zu keinen allgemeinen Prozessgrundsätzen.[4]

Auch die Festsetzung der Höhe des Schadenersatzes (Strafschadenersatz) im Urteil des Vereinigten Königreichs begründet keinen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung der Tschechischen Republik. Der Strafschadensersatz könnte nur dann die tschechische öffentliche Ordnung verletzen, wenn die Höhe des Strafschadensersatzes in einem offensichtlichen Missverhältnis zu dem Schaden stehen würde, der ausgeglichen werden soll; nur in einem solchen Fall verstößt der Strafschadensersatz gegen Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe a) der Charta der Grundrechte und Freiheiten der Tschechischen Republic (Eingriff in das Eigentumsrecht).

Insbesondere kann es als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaates angesehen werden, wenn der Schadenersatz einen exemplarischen oder rein repressiven Charakter hat und in außergewöhnlicher Höhe auferlegt würde, je nach den Umständen des Falles und dem Recht des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts.[5]

3.3. Schlussfolgerung

In dieser Entscheidung hat das tschOG eine wichtige Auffassung zum Institut des Strafschadenersatzes geäußert. So soll dieser nicht automatisch dem ordre public des ersuchten Mitgliedstaates widersprechen. Es muss eine Abwägung betreffend den Charakter des auferlegten Schadenersatzes und seiner Höhe durchgeführt werden.

- 202/203 -

4. Versagung der Anerkennung der Entscheidung über die Bewilligung der Exekution

4.1. Zur Entscheidung des tschOG AZ 20 Cdo 1152/2020

Das tschechische Bezirksgericht in Prag 4 hat einen Antrag auf Erteilung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung des österreichischen Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 14. November 2014, AZ 12 E 1396/14g-2, auf dem Gebiet der Tschechischen Republik abgewiesen. Es handelte sich um die Entscheidung über die Bewilligung der Exekution in Österreich aufgrund von im Fürstentum Liechtenstein ergangenen Urteile, sohin um die Exekutionsbewilligung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgrund Entscheidungen eines Nicht-EU-Mitgliedstaats.

Das Berufungsgericht hat die erstgerichtliche Entscheidung bestätigt. Die Revision des Antragstellers wurde zurückgewiesen.

4.2. Rechtliche Beurteilung

Das tschOG hat die Brüssel-I Verordnung (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen) angewendet, weil der Antrag auf Vollstreckbarkeitserklärung jene Entscheidungen betrifft, die in einem vor 10. 1. 2015 eigeleiteten Verfahren ergangen sind.

Das tschOG führte aus, dass die Wirkungen der in einem Mitgliedstaat bewilligten Exekution aufgrund eines ausländischen Titels nicht erweitert werden können. Allein der Entscheidungsspruch über die Bewilligung der Exekution fällt nicht unter Art. 32 der Brüssel I-VO[6], weil dies nur für jene Entscheidungssprüche, die den Gegenstand eines gesonderten Exekutionsverfahrens darstellen könnten, möglich ist (wie zB der Spruch über den Kostenersatz im Falle einer Sachleistung als Hauptforderung). Wenn der betreibende Gläubiger beabsichtigt, Exekution in mehreren Mitgliedstaaten zu führen, muss in jedem Mitgliedstaat die Exekution bewilligt werden. Die Vollstreckbarkeitserklärung ist nur auf den Staat begrenzt, in dem sie beantragt wurde; auch die anschließende Exekution kann nur in diesem Staat

- 203/204 -

geführt werden. Die zwangsweise Kontopfändung des in der Tschechischen Republik bestehenden Kontos kann nur durch das tschechische Gericht angeordnet werden.

Die tschechischen Gerichte waren laut tschOG berechtigt, die Vollstreckbarkeitserklärung der Entscheidung über die Exekutionsbewilligung eines österreichischen Gerichts nicht zu erteilen.

Das tschOG hat sich in seiner Begründung zu den Entscheidungen des EuGH in den Sachen C-267/19 und C-323/19 geäußert. Laut dem Revisionswerber sollen diese Entscheidungen nachweisen, dass die durch einen Mitgliedstaat erlassene Entscheidung über die Bewilligung der Exekution unter dem Begriff "Entscheidung" nach der Brüssel Ia-VO (und hiermit auch nach Brüssel I-VO, in der derselbe Begriff verwendet wird) fällt und als solche in anderen Mitgliedstaaten für vollstreckbar erklärt werden muss. Laut dem tschOG ist diese Schlussfolgerung den zitierten Entscheidungen des EuGH nicht zu entnehmen - in diesen Entscheidungen hat er sich im Gegenteil dafür ausgesprochen, dass die durch kroatische Notare ergangenen Entscheidungen über die Bewilligung der Exekution nicht in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und vollgestreckt werden können.

Nach Artikel 38 Abs. 1 der Brüssel I-VO gilt, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, in einem anderen Mitgliedstaat vollgestreckt werden, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind.

Nach Art. 34 Abs. 1 wird jedoch eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kann der Vorbehalt der öffentlichen Ordnung (ordre public) als Grund für die Versagung der Anerkennung einer Entscheidung nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden und zwar, wenn die Anerkennung der Wirkungen einer ausländischen Entscheidung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Staates offensichtlich unvereinbar wäre.[7] Der Schutz der Grundrechte des Einzelnen stellt einen der zentralen Grundsätze der Rechtsordnung der Tschechischen Republik. Die Anerkennung einer Entscheidung, die dem Schutz der Grundrechte nicht entspricht, verstößt gegen die öffentliche Ordnung und letztlich gegen die Verfassungsordnung selbst (vgl. z. B. die Entscheidung des tsch OG, AZ 20 Cdo 1877/2016).

Das tschOG hat in der Vollstreckbarerklärung des österreichischen Urteils in der Tschechischen Republik einen Verstoß gegen das Grundrecht des Be-

- 204/205 -

klagten auf ein faires Verfahren gesehen. Hätten die tschechischen Gerichte dem Antrag des Gläubigers stattgegeben und die österreichische Entscheidung in der Tschechischen Republik für vollstreckbar erklärt, bzw. die Vollstreckung angeordnet, würde die Exekution faktisch aufgrund von Urteilen des Fürstentum Liechtenstein geführt. Das Fürstentum Liechtenstein gehört dabei nicht zu den EU-Mitgliedstaaten. Die Tschechische Republik hat mit dem Fürstentum Liechtenstein auch keinen bilateralen Vertrag über die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen, es besteht auch keine formelle und materielle Gegenseitigkeit.

In diesem Fall kann die Exekution einer ausländischen Entscheidung (in diesem Fall des Fürstentum Liechtensteins) in Tschechien nur dann geführt werden, wenn diese Entscheidung nach § 16 Abs. 2 des tschlPRG-Gesetzes anerkannt wurde. Der Anerkennung stehen aber im Gesetz geregelte Gründe entgegen - zB kann die Anerkennung dann versagt werden, wenn die rechtskräftige, ausländische Entscheidung gegen eine tschechische juristische Person gerichtet ist und in diesem Staat keine Gegenseitigkeit mit Tschechien gewährleistet ist. Dies ist auch hier faktisch der Fall. Durch die Vollstreckbarkeitserklärung der österreichischen Entscheidung über die Bewilligung der Exekution wäre in Wahrheit eine ausländische Entscheidung ohne besonderes Verfahren anerkannt und der Verpflichtete hätte keine Möglichkeit, sich auf die Versagungsgründe der Anerkennung im § 15 des tschlPR-Gesetzes zu berufen. Diese Versagungsgründe sind breiter gefasst als jene gemäß Art. 34 Brüssel I-VO. Das tschOG ist also zum Schluss gekommen, dass der Anerkennung der ausländischen (österreichischen) Entscheidung im vorliegenden Fall des Ordre-public-Vorbehalt entgegensteht.

4.3. Schlussfolgerung

In dieser Entscheidung hatte das tschOG die Entscheidung des österreichischen Gerichts über die Bewilligung der Exekution als keine Entscheidung im Sinne von Art. 32 Abs. 1 Brüssel la-VO [entspricht dem Art. 2 Buchstabe a) der Brüssel la-VO] betrachtet. Die Exekutionsbewilligung des österreichischen Gerichts zur Betreibung einer liechtensteinischen Entscheidung würde faktisch die tschechische Anerkennungsregelungen, die sich auf Entscheidungen aus Drittstaaten beziehen, umgehen (Verbot der sg. Doppelexequatur). Die Tschechische Republik hat nämlich weder einen internationalen Vertrag über die Anerkennung und Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen, noch eine Gegenseitigkeit mit Liechtenstein. Darüber hinaus hat das tschOG

- 205/206 -

erwogen, dass es durch die Vollstreckbarkeitserklärung der österreichischen Exekutionsbewilligung faktisch ermöglicht würde, Exekution aufgrund einer liechtensteinischen Entscheidung ohne besonderes Verfahren zu führen. Dies würde auch mit der tschechischen ordre public im Widerspruch stehen und könnte als Grund der Anerkennungsversagung geltend gemacht werden.

Fraglich ist, ob diese Rechtsmeinung des tschOG auch weiterhin im Lichte der EuGH Entscheidung in der Sache C-568/20 (J v H-Limited) standhalten kann. In dieser Sache hat das britische Gericht nur eine summarische Prüfung einer jordanischen Entscheidung durchgeführt und aufgrund dieser eine Zahlungsanordnung erlassen. Der EuGH vertritt in dieser Rechtsache eine ziemlich breite Auslegung des Begriffes "Entscheidung". Da die Entscheidung über die Exekutionsbewilligung aufgrund eines in den wesentlichen Zügen ähnlichen Verfahrens erlassen wird, könnte die breite Ansicht des EuGH auch auf diese Entscheidungen anwendbar sein. Dem Verpflichteten würden jedenfalls die Versagungsgründe der Anerkennung, bzw. Vollstreckung zur Verfügung stehen. Offen bleibt, ob die Entscheidung über die Exekutionsbewilligung eine Entscheidung in einer Zivil- bzw. Handelssache nach Art. 1 der Brüssel la-VO darstellt. Die Bewilligung einer Exekution wird nämlich dadurch gekennzeichnet, dass der Staat eine zwangsweise, souveräne Durchsetzung einer Entscheidung ermöglicht, was eher dem öffentlichen Recht zuzuordnen wäre.[8] ■

ANMERKUNGEN

[1] ZB tschOG 30 Cdo 2084/2019, 30 Cdo 3344/2019, 30 Cdo 2808/2021, 30 Cdo 638/2019 ua. Weiters wurden in folgenden Sachen Vorabentscheidungsfragen dem EuGH vorgelegt: tschOG 30 Cdo 1985/2021, 23 Cdo 511/2022, 30 Nd 674/2021.

[2] Es wird auf die tschechische Literatur hingewiesen - vgl. Bříza, Petr, Břicháček, Tomaš, Fišerová, Zuzana, Horák, Pavel, Ptáček, Lubomír, Svoboda, Jiři: Zákon o mezinárodním právu soukromém. Komentář. Praha (Czech Republic), C. H. Beck, 2003, 121.

[3] Dazu zB EuGH in der Sache Horst Ludwig Martin Hoffmann v. Adelheid Krieg /C-145/86/).

[4] Jolowicz, John Antony: Introduction. Recourse against civil judgments in the European Union: a comparative survey. In: Jolowicz, John Antony, Van Rhee, Remco: Recourse against Judgments in the European Union. Volume 2. The Hague, Kluwer Law International, 1999, 2.

[5] Koziol, Helmut, Wilcox, Vanessa: Punitive Damages: Common Law and Civil Law Perspectives. Tort and Insurance Law. Vienna (Austria), Springer, 2009, 198-199.

[6] Diese Bestimmung lautet: Unter "Entscheidung" im Sinne dieser Verordnung ist jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung zu verstehen, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten.

[7] Vgl. z.B. das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-145/86.

[8] Laviczký, Petr, Dobrovolná, Eva, Dvořák, Bohumil: Civilní právo procesna. Dal 1., Brno (Czech Republic), Česká společnost pro civilní právo procesní, 2023, 20.

Lábjegyzetek:

[1] Der Autor ist assistant professor (Masaryk University Brno).

Tartalomjegyzék

Visszaugrás

Ugrás az oldal tetejére