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Rainer Pitschas: Neues Verwaltungsrecht im reflexiven sozialen Rechtsstaat (Annales, 2013., 33-59. o.)

I. Verwaltungsrecht als vergängliche Moderne im reflexiven Verfassungsstaat

Alles Verwaltungsrecht besteht in seiner Zeit; es ist zugleich an die jeweilige Verfassung gebunden. Für den spätmodernen Verfassungsstaat gilt schon längst der Lehrsatz nicht mehr, dass "Verwaltungsrecht besteht, Verfassungsrecht vergeht" (O. Mayer). Die Verfahrensidee des Staates lässt vielmehr dessen Modernisierung als einen reflexiven phasenweisen Vorgang der kulturell und durch Traditionen geprägten - aber insofern auch gebundenen - Staats- und Verwaltungsentwicklung erkennen, die aus der Vergangenheit in eine andersartige Zukunft führt[1]. In diesem kontinuierlichen Prozess bestimmen sich die staatliche Gegenwart und ihr (Verwaltungs- )Recht als vergängliche Moderne funktional, d. h. nach Maßgabe und zur Bewältigung der national, trans-, supra- und international jeweils von neuem veranlassten Aufgaben. Jegliches "neue" Recht ist deshalb auch nur zeitweilig neu; dies gilt dann auch für eine "Neue Verwaltungsrechtswissenschaft".

Die Staatsfunktionen bleiben indessen nach wie vor an Recht gebunden. Auch der moderne Staat ist in diesem Sinne "Rechtsstaat" oder er existiert nicht dauerhaft[2]. Man mag die ihm eigene Verknüpfung rechtlicher Grundsätze mit dem Handeln rechtsförmig geprägter öffentlicher Institutionen unterschiedlich als "rule of law", "due process of law" oder als "état de droit" bezeichnen, doch meinen die gewählten Begriffe jeweils dasselbe, nämlich die Unterordnung des Staates unter die Herrschaft des

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Rechts. Dies geschieht zum Schutz der individuellen Freiheit und zur Bindung staatlicher (Verwaltungs-)Macht an das in geordneten Verfahren zustande gekommene und verfassungsgemäß angewendete Recht. In diesem umfassenden Verständnis fungiert das "Rechtsstaatsprinzip" als eine universell akzeptierte Legitimation staatlicher Herrschaft. Es gibt den Grundsätzen materieller Gerechtigkeit, allgemeiner Gleichheit und dem Schutz vor staatlicher Willkür prinzipiellen Ausdruck. Zugleich ist der Rechtsstaat ein Maßstab jeder Verwaltungstätigkeit und des Rechtsschutzes[3]. Staatliche Herrschaft und damit auch Verwaltungshandeln erweisen sich deshalb letztlich als legitim nur kraft ihrer Bindung an Verfassung, Gesetz und Recht.

Diese Bindung prägt das Verwaltungsrecht. Es nimmt die Aussagen, Intentionen bzw. Direktiven des Verfassungsrechts auf und es teilt dessen Entwicklung durch die ständige eigene Anpassung seiner Handlungsformen, Maßstäbe, Organisations- und Verfahrensregeln sowie der Verwaltungsrechtsverhältnisse. Verwaltungsrecht ist konkretisiertes Verfassungsrecht[4]. Vor diesem Hintergrund verstehen wir es als die Gesamtheit aller Rechtsbildung für die Exekutive als Staatsfunktion. Insofern stellt Verwaltungsrecht einerseits den Inbegriff der (geschriebenen und ungeschriebenen) Rechtssätze dar, die in Anwendung und Durchsetzung der Verfassung für die Verwaltung - die Verwaltungstätigkeit, das Verwaltungsverfahren und die Verwaltungsorganisation - gelten[5]. Andererseits gestaltet es unter Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Maßgaben die Beziehungen zwischen der Verwaltung und dem Bürger rechtsförmig aus. Es begründet in diesem (Verwaltungsrechts-)Verhältnis spezifische Rechte und Pflichten[6]. Diese wiederum sind in eine umfassende Ordnungs-, Planungs-, Leistungs-, Regulierungs-, Gewährleistungs-, Vermittlungs- und Moderationsfunktion der öffentlichen Verwaltung eingebettet.

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In diesem Sinne erweist sich Verwaltungsrecht als verfassungsgeleitetes Steuerungsrecht[7]. In seinem Mittelpunkt steht das Bewirken von Wirkungen durch rechtsförmiges Handeln und Entscheiden sowie durch Planung, Regulierung, Vollzug und Kontrolle. Für die rechtsförmige Programm-, Regulierungs-, Organisations- und Verfahrensstruktur der öffentlichen Verwaltung ergeben sich hieraus vielfältige Konsequenzen, in deren Mittelpunkt der reflexive Wandel der Staatsidee, -funktionen und -Verfassung insgesamt steht. Er führt zu einem kontinuierlichen Veränderungsprozess des Verwaltungsrechts[8]. In welchem Ausmaß dies für die Verwaltung als "arbeitender Staat" (L. v. Stein) und für das Verwaltungsrecht derzeit der Fall ist, erweist der Blick auf die gegenwärtige staatliche Modernisierung in Deutschland und den in ihr zum Ausdruck kommenden Funktionswandel der deutschen Verwaltung[9].

II. Staatliche Modernisierung und Reflexivität des Verwaltungsrechts

1. Rekonstruktion der Staatsfunktionen: Vom "Government" zur kollaborativen "Governance"

In der Bundesrepublik Deutschland, in der Europäischen Union (EU) sowie weltweit folgt in diesem Wandel das Verwaltungsrecht der Verschiebung staatlicher Funktionen. Im modernen Verfassungsstaat westlicher Prägung handelt es sich dabei um einen reflexiven Vorgang, dessen Verlauf mehrere Phasen erkennen lässt. Diese richten schubweise neue Herausforderungen an das nationale und grenzüberschreitende (supra- und internationale) Verwaltungsrecht.

Insofern die Funktionen des modernen Staates dabei und jeweils an das Recht und die Rechtsetzungsprozesse gebunden sind, hat sich der moderne Staat zunächst als ein formaler Rechtsstaat entwickelt, der sich für den Vollzug seiner Regeln auf eine formale Bürokratie stützte, die ein entspre-

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chend strukturiertes und der Subsumtionslogik unterworfenes Verwaltungsrecht angewendet hat. Der in relativ unabhängige Subsysteme und Sphären des Handelns gegliederten Gesellschaft trat auf diese Weise ein Staat gegenüber, der den Schutz der territorialen Integrität übernahm, die Ordnung im Innern aufrecht erhielt und im übrigen auf der Grundlage eines gesetzlichen Rahmenwerkes bestimmte öffentliche Aufgaben erfüllte. Jenseits dessen anerkannte der formale Rechtsstaat die funktionale Differenzierung der Gesellschaft, in deren Mitte sich vor allem das liberale Wirtschaftssystem nach den ihm eigenen Prinzipien von Privateigentum, Markt und Wettbewerb entfaltete. Das Rechtssystem war diesbezüglich darauf angelegt, dem "freien Wirtschaften" Sicherheit und Ordnung zu geben; im übrigen war es von der Zulässigkeit punktueller Interventionen ("Lenkung") in die relativ selbständigen Handlungssphären der Gesellschaft geprägt[10].

Dieses klassische Rechtsstaatsmodell sah sich im zwanzigsten Jahrhundert vor neuartige Herausforderungen gestellt. Es begegnete zunächst einer weiteren Phase im Prozess der staatlichen und administrativen Modernisierung, die in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte und zu einer sozial-ökologischen und marktwirtschaftlichen Prägung des Rechtsstaates führte. Dem entsprach ein Umbau des Staats- und Verwaltungsrechts ebenso wie ein Strukturwandel der öffentlichen Verwaltung unter Abwandlung des bürokratischen Handlungsmodells. Wesentliche Kennzeichen dieser Entwicklung waren die Interpretation der Grundrechte als Leistungsrechte und ihre objektiv-rechtliche Deutung, das Verständnis der Gewaltenteilung als staatliche Funktionen-verschränkung, die Entwicklung einer "Systemfunktion" des subjektivöffentlichen Rechts und daneben der Ausbau des Wohlfahrtsstaates unter gleichzeitiger Akzentuierung des Umweltschutzes[11]. Die damit verbundene Verwirklichung einer "Staatsidee der sozialen Reform" (Sozialstaat) mit darauf ausgerichteten Entscheidungs- und Handlungsoptionen führte über die etablierte und rechtsstaatlich gestützte Ordnung hinaus; sie machte ständige staatliche Interventionen in soziale Lebens- und Problemlagen

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erforderlich[12]. Kennzeichnend hierfür wurde der Begriff des "sozialen lnterventionsstaates".

Die anschließende und gegenwärtige Phase der staatlichen Modernisierung verkörpert der explizite Einbezug gesellschaftlicher Akteure bzw. Institutionen in die Handlungsebene des Staates, ihre wachsende Ausgestaltung im "Bürgerengagement" und ihre prozessualen Elemente ("Governance")[13]. Die formale Autonomie des Rechtsstaates, die als solche schon immer prekär war, wird in dieser Phase zugunsten kooperativer Strukturen zwischen Staat und gesellschaftlichen Handlungsträgern aufgelöst. Im "kooperativen Rechtsstaat" übernimmt die öffentliche Verwaltung in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit privaten Akteuren zahlreiche Koordinations-, Kooperations-, Vermittlungs- und Moderationsfunktionen; sie muss sich zugleich die Legitimation ihrer Maßnahmen zunehmend selbst im Rahmen ihrer eigenständigen Programm-, Organisations- und Verfahrensverantwortung durch Kooperation, Koordination, Kommunikation und Konsens ("Strategie der vier ,K'") beschaffen. Dem entspricht ein breiter Wandel der Handlungsformen unter Zurückdrängung des Verwaltungsakts, der noch zu Zeiten O. Mayers die formale Rationalität der Bürokratie nach außen widerspiegelte[14].

Zugleich ist allerdings eine weitere Facette der Staats- und Verwaltungsentwicklung festzustellen: Die nicht mehr finanzierbare Uferlosigkeit des Wohlfahrtsstaates und der zunehmende Freiheitsverlust des Individuums durch Verrechtlichung einerseits, die zunehmende bürokratische Enge andererseits haben dazu geführt, dass in Deutschland nach einer Rekonstruktion der Staatsfunktionen i. S. eines Gewährleistungsstaats verlangt wurde[15]. Dementsprechend ist es auf der staats- und verwaltungsrechtlichen

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Ebene zu Rechts- und Verwaltungsreformen gekommen, die bestimmten "Schlankheitskonzepten" folgten[16].

Gleichwohl ist - im europäischen Verwaltungsraum und jedenfalls in Deutschland - noch immer offen, wohin die Entwicklung des Verwaltungsrechts geht. Nähere Aussagen hierzu müssen sich auf die prinzipielle und anhaltende Veränderung der Zwecke des modernen Staates besinnen. Allein die Orientierung daran ermöglicht es, die Zukunft von Staat, Recht und Verwaltung auch in Europa neu zu bestimmen. Darüber hinaus gibt es für staatliches Handeln gewandelte spezifische Rahmenbedingungen, die jegliche verwaltungsrechtliche Theoriebildung beeinflussen. Sie lassen sich in der Beschreibung als "Vier Modernisierungen" zusammenfassen. Diese kennzeichnen den weiteren funktionalen Wandel des spätmodernen Staates und seines Verwaltungsapparates.

2. Auf dem Weg zum "situativen Rechtsstaat"

Ausgangspunkt für ihre Verortung ist die Feststellung, dass heute der Rechtsstaat aus dem Alltag nicht mehr hinweg zu denken ist. Die auf ihn bezogene Gesetzgebung hat in Deutschland eine Vielzahl subjektiv-öffentlicher Rechte ausgeformt, auf die sich die Bürger in ihrem Handeln gegenüber Staat und Verwaltung berufen können. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die Modernität der okzidentalen Gesellschaften zu großen Teilen auf diesem Funktionsprinzip des Rechtsstaates ("Systemfunktion des subjektiv-öffentlichen Rechts") beruht. Es garantiert die Verwirklichung der rechtlich ausdifferenzierten ökonomischen, beruflichen und anderen individuellen Freiheiten schlechthin. In diesem Sinne übernehmen die subjektiv-öffentlichen Rechte des Bürgers eine tragende Systemfunktion im Zusammenhang der funktionalen Gliederung moderner Gesellschaften[17].

Allerdings tritt komplementär hierzu immer deutlicher mit dem Übergang zur Regulierung die wachsende partnerschaftliche Programmsteue-

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rung des Rechtsstaats mit Folgen für sein Verwaltungsrecht in den Vordergrund[18]. Der Gesetzgeber geht im heutigen Rechtsstaat zugleich dazu über, immer mehr "offene Normen" mit Gestaltungsfreiheit für die Exekutive zu schaffen. Diese enthalten weder Konditional- noch Finalprogramme, sondern der Gesetzgeber gibt mit seinen Rechtssätzen lediglich Ziele und allenfalls "Regelungskonzepte" vor; er legt eine Programmverantwortung fest und er regelt Organisation und Verfahren der Gesetzeskonkretisierung, dabei immer öfter auf hybride Durchführungsformen wie etwa den "Gemeinsamen Bundesausschuss" im Gesundheitswesen zurückgreifend[19].

Auf diese Weise ist der Verwaltung immer seltener eine einzige bzw. aus dem Gesetz nur von ihr abzulesende Rechtsfolge zur Verwirklichung aufgegeben. Verwaltungsrecht allein garantiert die "lückenlose" Entscheidung des konkreten Problemfalles nicht mehr; die künftige Entscheidung ist einer gesetzlichen Norm oft kaum noch zu entnehmen. Im gegenwärtigen Rechtsstaat kommt deshalb der Rechtskonkretisierung durch die Verwaltung und ihre externen Partner unter zunehmender Assistenz der Rechtsprechung notwendig ein gemeinschaftlich rechtsgestaltender und rechtsfortbildender Charakter zu. Die öffentliche Verwaltung sieht sich auf diese Weise in den Stand versetzt, bei der Lösung von Einzelproblemen nicht nur von der gesetzlichen Bestimmung ausgehen und deduktiv die Folgerungen aus dem Gesetz ableiten zu müssen. Vielmehr konstituieren der reale Sachverhalt und der offene "Normtext" im Zusammenhang regulativer Politik eine Situation, in der mit Hilfe privater Teilhabe an der Normsetzung ein anwendungsbezogenes "Normprogramm" für die nachgefragte konkrete Entscheidung erst entwickelt werden muss und kann[20].

Der mehr und mehr in diesem Sinne gestaltungsbewusste und -fähige, seiner Regulierungsfunktion gewisse situative Rechtsstaat hat denn auch

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längst seinem Schutzauftrag die entsprechende Steuerungsfunktion der "collaborativen governance" zugesellt. Sie ermöglicht im Rechtsrahmen der EU die Entwicklung der westlichen Industrieländer zu "Umweltstaaten", denen - wie in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 20 a GG) - "der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" aufgegeben ist. Daneben steht die zum Sozial- und Umweltstaat nicht immer konfliktfreie Entwicklung des supranational geprägten partnerschaftlichen Wirtschaftsstaates. Auch in der Verfassung des Informationsstaates spielt das governancebezogene rechtsstaatliche Fundament eine wesentliche Rolle. Allerdings sind die Grundleistungen des Rechtsstaates im Verlauf dieser "Modernisierung" nicht etwa hinfällig geworden. So stellt z. B. die Verfassung moderner Märkte in Übereinstimmung mit den europäischen Normen erhebliche Anforderungen an die Gewährleistung von Rechtssicherheit und -flexibilität. Auch müssen etwa die vom Technikstaat ausgehenden materiellen Risiken rechtsförmig "aufgefangen" werden[21].

"Recht" als solches und das Produkt seiner Konkretisierung lösen sich also nicht völlig vom Gesetz ab. Im Gegenteil findet sich einerseits der Versuch, die Effizienz des Gesetzes samt der Gesetzgebung zu steigern sowie den empfindlichen Ausfall gesetzlich-parlamentarischer Steuerungsmöglichkeiten durch die Forderung zu kompensieren, für die Verwirklichung von Grundrechten jedenfalls "wesentliche" Regelungen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorzubehalten[22]. Zum anderen hat sich in den hochkomplexen Industriegesellschaften des Westens ein außerordentlich hoher Grad an Verrechtlichung unter Ausdifferenzierung der exekutiven Normsetzung ergeben. Auch darin liegt der Versuch, die "Situation" der notwendigen Problemlösung durch Verwaltungshandeln über die Vermehrung von fallbezogenem Recht in ein normatives Gehäuse zu zwingen[23].

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3. Vom daseinssichernden zum wettbewerblichen Sozialstaat mit Gewährleistungsfunktion

In dem Maße, in dem heute und zukünftig der situative Rechtsstaat nicht das Gesetz zum Ausgangspunkt des Handeins, sondern die Lösung eines Problems unter Einhaltung des "offenen" rechtlichen Rahmens zum entscheidenden Angelpunkt des Verwaltungshandelns wählt, ändert sich auch das Verständnis des Sozialstaatsprinzips in der Bundesrepublik Deutschland. Der "neue" Sozialstaat zieht die Konsequenz daraus, dass seine bisherige Ausprägung als Leistungsstaat zahlreiche Überlastungssymptome offenbart hat. In den westlichen Industriestaaten herrscht jedenfalls heute allgemein Klarheit darüber, dass angesichts des zunehmenden weltweiten ökonomischen Wettbewerbs insbesondere die sozialen Sicherungsnetze nicht mehr in dem bisherigen Ausmaß finanzierbar sind und durch private Sicherung gegen die Lebensrisiken von Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit u. a. m. ergänzend abgesichert werden müssen[24].

Der Sozialstaat gerät auf diese Weise in seinem wohlfahrtsstaatlichen Verständnis unter Modernisierungsdruck. Vor allem stellt die Berufung individueller Sozialverantwortung ein unverzichtbares Instrument der Krisenreaktion dar. In den Bereichen sozialer Sicherung erscheint es angebracht, diese künftig zu Lasten bisheriger Solidarverantwortung noch stärker zu erhöhen[25]. Zwar bleibt als Maßstab hierfür die soziale Gerechtigkeit zu beachten. Dennoch kündigt sich der Übergang vom proaktiven zum wohlfahrtsdistanzierten und wettbewerblichen Sozialstaat unabwendbar an. Letzterer setzt auf die Konkurrenz mit privaten Leistungsanbietern. Er zieht sich mehr und mehr auf die Funktion als Gewährleistungsstaat zurück. Dessen Begriff und ermächtigende Reichweite konstituieren sich auch im Wandel der Verantwortung für soziale Sicherung.

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4. "Vier Modernisierungen" als Rahmenbedingungen rationalen Verwaltungshandelns

Die Reform des Staatssektors mit Auswirkungen auf das Verwaltungsrecht hat damit freilich erst begonnen. Sie endet nicht bei Governance-Konzepten. Ihre theoretische Aufarbeitung und

Konzeption hat sowohl die Veränderung der verfassungsrechtlichen Staatszielbestimmun-gen und die Verschiebung der Staatsfunktionen zu berücksichtigen, als auch die gewandelten tatsächlichen Rahmenbedingungen in Rechnung zu stellen, innerhalb deren die Staats- und Verwaltungsreformen in Deutschland und im europäischen Verwaltungsraum zu verwirklichen sind.

Zu den letzteren zählt zunächst der Werte- und Verantwortungswandel in der Gesellschaft und in den Verwaltungen selbst[26]. Zu verstehen ist hierunter der Bodengewinn der Selbstentfaltungswerte in den letzten Jahrzehnten, wie er im wachsenden Bürgerengagement erkennbar wird. Er beschränkt sich nicht nur auf die anglo-europäische Region. Alle modernen Gesellschaften sind mehr als je zuvor auf individuelle Initiative, Einsatzbereitschaft, Mitwirkung und "Motivation" ihrer Bürger angewiesen. Und schon längst ist der "subjektivistische" Anspruch, der in diesem Wandel sozialer und solidarischer Einstellungen gegenüber der Gesellschaft zum Ausdruck kommt, von den Staaten vielfach akzeptiert und in wachsende Spielräume für eine Mitverantwortung der Bürger an der Gestaltung von Gesellschaftszuständen überführt worden. Hervorzuheben ist vor allem das Bürgerengagement in der kommunalen Selbstverwaltung, das mit wachsenden Ansprüchen auf eine Vorhabenspartizipation einhergeht[27].

Daneben und andererseits steht die Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft. Das Modell der "sozialen" Marktwirtschaft hat heute nicht nur eine globale Attraktivität entfaltet, die auch die ehemals sozialistischen Staaten nach und nach zu ihrer Absage an die Staatswirt-

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schaft gezwungen hat. Der Dynamik der "gelenkten" Marktwirtschaft ist zugleich ein weltweiter Wettbewerbs- und Modernisierungsdruck auf die nationalstaatlichen Wirtschafts-, Umwelt-, Sozial- und Verwaltungspolitiken zuzuschreiben: Die "Konstitutionalisierung" der Wirtschaft gehört heute zu den prinzipiellen Herausforderungen an die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Volkswirtschaften und die Gestaltung des Rechts[28]. Daraus folgt etwa für die Entwicklung des Wirtschaftsrechts, dass weltweite Wettbewerbsregeln erforderlich werden und deshalb die World Trade Organization (WTO) zum Ausgangspunkt für eine künftige rechtliche Verfassung der Weltwirtschaft heranreift[29].

In diesen Zusammenhang gehört auch und drittens die Rekonstruktion der internatio-nalen Beziehungen[30]. Sie erstreckt sich einerseits auf die europäische Integration. Die Neugestaltung der internationalen Ordnung reicht andererseits weit darüber hinaus. Denn in allen Regionen und Religionen werden traditionale Lebensformen kosmopolitisch aufgebrochen. Die Folge dessen ist ein globaler Kulturdialog, der dazu zwingt, sich auch im Verhältnis von Recht und Staat mit Situationen auseinanderzusetzen, für die der jeweils eigene Traditions- und Kulturraum keine Antworten bereithält. Zudem führen diese Konsequenzen der Moderne zu einer Intensivierung der Entwicklung internationaler Rechtsregeln, zu denen auch das supranationale und internationale Verwaltungsrecht gehören[31].

Zu einem revolutionären Wandel führt schließlich der technologische Fortschritt, der sich vor allem in der Informations- und Kommunikationstechnik mit der Öffnung zum Web 2.0 und zu sozialen Internetbeziehungen offenbart. Nicht nur die Industrienationen, sondern alle Staaten dieser Erde befinden sich auf dem Weg in die globale Informationsgesellschaft. Ein bedeutsamer Teil dieser künftigen Entwicklung ist die wissensbasierte

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Informatisierung der öffentlichen Verwaltungen[32]. Das bekannte Thema über "Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung" (N. Luhmann) dehnt damit in der globalen Informationsgesellschaft seine Bedeutung weit aus. Dies gilt umso mehr, als wir uns heute im öffentlichen Sektor mit der Notwendigkeit eines "electronic government" auseinandersetzen müssen, das mit dem Web 2.0 verknüpft ist[33].

5. Neue Staatlichkeit und Aufgabenstrukturen der öffentlichen Verwaltung

5.1. Verwaltungsaufgaben in "Public Private Partnership (PPP)"

Die aufgezeigten "vier Modernisierungen" stellen eine komplexe Folie für die Entstehung "neuer Staatlichkeit" und den Funktions- bzw. Strukturwandel der öffentlichen Verwaltung dar[34]. So wird, um den "distanzierten" Sozialstaat im voraufgehend skizzierten Sinne zu erreichen, eine effektive (Re-)Regulierung durch den Staat erforderlich. Diese bedingt den Übergang zu einem "neuen" Sozialstaat, der in erheblichem Maße die individuellen und gesellschaftlichen Verantwortungen für die Wirtschafts-, Energie-, Umwelt- und Sozialpolitik stärkt. In diesem Prozess wandelt sich zugleich das Wesen des Staates: Er übernimmt statt der ureigenen Handlungs- bzw. Daseinsvorsorgeverantwortung nur mehr noch eine Rolle als "Nothelfer", d. h. er gewährleistet erst in letzter Instanz die Erfüllung der von ihm für notwendig gehaltenen ökonomischen, ökologischen und sozialen Ziele, soweit sie durch privates Handeln nicht verwirklicht werden. Verbunden damit ist ein Rückgang staatlicher Aufgaben und der verteilenden Verwaltung. Statt bisheriger Interessenschlichtung, Betreuung und Mitberücksichtigung von ihrer Seite kommt es zu einer

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anderen "Verantwortungsverteilung" und "Verantwortungspartnerschaft" mit der Gesellschaft[35].

Der Weg hierzu ist bereits beschritten, wie drei Beispiele zeigen mögen. Im Bereich der "Technischen Sicherheit" hat sich u. a. im Arzneimittelrecht, Gentechnikrecht, Chemikalienrecht und auch im Atomrecht eine rechtliche Risikovorsorge entwickelt, deren Kennzeichen eine institutionalisierte Risikokommunikation ist. Diese ersetzt weitgehend die materielle Überwachung der Risikoproduzenten. Ferner sehen sich im Sektor der "Inneren Sicherheit" Bund und Länder in der Bundesrepublik Deutschland vor die dringliche und tendenziell bejahte Frage gestellt, ob auch die Aufgabe der vorbeugenden Bekämpfung von Kriminalität den privaten Sicherheitsunternehmen zu großen Teilen zu übertragen sei. Schließlich wird der Leistungsstaat in diesen Umbau der Verantwortung für soziales Handeln einbezogen, soweit nicht die "Daseinsvorsorge" in private Hände übergegangen ist: So sind die Sozialpartner sowohl in Deutschland als auch in der EU im Rahmen von "Beschäftigungspakten" bzw. "Sozialen Dialogen" in die Bemühungen um den Kampf gegen die wachsende Arbeitslosigkeit einbezogen. Deutlich offenbaren sich jeweils Verwaltungsaufgaben als Partnerschaftsaufgaben von Staat und Bürgern.

5.2. Öffentliche Verwaltungen als Dienstleistungsunternehmen mit Gewährleistungsauftrag

Der darin liegende Funktions- und Strukturwandel des Staates und der öffentlichen Verwaltungen sieht sich durch die Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft bzw. von Staat und Bürgern noch verstärkt. Man beginnt, die Verwaltung vom Bürger her zu "denken". In Bezug auf viele Belange und namentlich auf die Unternehmenswirtschaft bedeutet dies, sich in die jeweiligen Antragsteller hineinzudenken und sich u. a. durch interne und externe Verwaltungsmediation auf die Frage zu konzentrieren, wie einem

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Anliegen entsprochen werden und der gestellte Antrag genehmigt werden kann[36].

Öffentliche Verwaltungen bilden aus dieser Sicht Dienstleistungsunternehmen bzw. -betriebe. Diesen sind häufig eine zu schwache Organisation, Reibungsverluste zwischen beteiligten Behörden, Ressortegoismen, die Enge des Haushaltsrechts und die Zwänge des Personalrechts sowie die unüberschaubare Normenflut ein Hemmschuh bei der erfolgreichen Bewältigung öffentlicher Aufgaben. Ihn gilt es abzustreifen. Die Aufgabe der öffentlichen Verwaltungen heute und in Zukunft ist es stattdessen, dem Bürger oder Unternehmen als "Kunden" der Verwaltung mit dem Selbstverständnis eines Dienstleisters gegenüberzutreten.

5.3. Aufgabenentlastung durch regulierte Selbstregulierung, Selbstverwaltung und Selbsthilfe

Der Einbezug der Wirtschaftsverbände einerseits und der Sozialpartner andererseits in die Regulierung sozialer Sicherung oder die Vertiefung partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Unternehmen im Bereich des Umweltschutzes sind jeweils Ausdruck einer dementsprechend selbstregulierungsfreundlichen Rechtsgestaltung. Diese führt zur Aufgabenentlastung für die öffentlichen Verwaltungen. Dahinter steht das Leitbild eines Staates, der sich in seinem Funktions- und Aufgabenverständnis sowie in seinen rechtlichen Handlungsformen vom Interventionsdenken weg und auf den Weg zur Motivation und zu Selbstorganisationsprozessen im Rahmen seiner Regulierung begibt, zu einer Art der Vermittlungsfunktion. Darin eingeschlossen ist das Bemühen, die Selbststeuerungspotentiale durch Bürgermitverantwortung in Gestalt der Selbstverwaltung und politischen Partizipation zu stärken. Dabei wird der Schwerpunkt im Prozess der Rechtsbildung institutionell auf die Selbstregulierung verlagert[37]. Zu ihr gehört auch die Selbsthilfe als Form des individuellen bzw. kollektiven Helfens untereinander innerhalb der Gesellschaft bei sozialen Notlagen. Auch hierbei handelt es sich um "gelebte" Bürgermitverantwortung.

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Wird auf diese Weise dem "schlanken" Staat die Qualität eines "neuen" aber gleichwohl "sozialen" Rechts abgewonnen, das in seinem "Gehäuse" ebenso der Entwicklung einer Kultur der Rechtsvereinfachung wie der Rechtsentlastung hinreichend Raum gibt, dann vermag sich die öffentliche Verwaltung wieder auf ihren eigentlichen Auftrag zu besinnen, neben der Gewährleistung von Daseinsvorsorge komplexe Regulierungsaufgaben zu übernehmen und zu bewältigen. Denn im Rollen- und Gestaltwandel von Gesetz und Recht müssen immer häufiger komplexe Entscheidungen vor dem Hintergrund parlamentarisch nur grobmaschig vorgeformter gesetzlicher Grundlagen durch exekutive Normsetzung bzw. administrativ getroffen werden. Ihr typischer Gehalt ist das Abwägen innerhalb gesetzlicher Zielorientierungen unter Neubesinnung auf den Wert der Verwaltungseffizienz bei gleichzeitiger Rücknahme der Systemfunktion des subjektivöffentlichen Rechts[38].

III. Neues Verwaltungsrecht als Ergebnis reflexiver Strukturentwicklung

1. Strukturveränderungen des Verwaltungsrechts

Für die öffentlichen Verwaltungen in den Nationalstaaten und im europäischen Verwaltungsraum hat die staatliche Modernisierung einen tiefgreifenden Strukturwandel des Verwaltungsrechts bewirkt. Hierbei handelt es sich zugleich um eine prozesshafte Öffnung der Ordnungsidee des allgemeinen Verwaltungsrechts, die den jeweiligen Einflussfaktoren der Verwaltungsrealität folgt und dabei stets auf früheren Entwicklungsstufen des Verwaltungsrechts aufbaut.

Beispielhaft hierfür steht die Veränderung der sog. bürokratischen Verwaltung. Auch wenn die Handlungsmodi der "Bürokratie" des formalen Rechtsstaats nicht durchweg die Wirklichkeit des Verwaltens zu ihrer Zeit widerspiegelten, so gaben sie doch der inneren Verbindung von Staat,

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Verwaltung und Recht in jener Modernisierungsphase Ausdruck. Doch schon in der sog. Weimarer Republik, spätestens aber nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs führte die anschließende Phase der staatlichen Modernisierung in der Bundesrepublik Deutschland mit einem breiten Aufgabenwachstum und einem tiefgreifenden Aufgabenwandel zu Strukturveränderungen des Verwaltungsrechts. Bemerkenswert dabei ist vor allem der Übergang zum Leistungs- und Wohlfahrtsstaat sowie die Entwicklung der "Planung" mit dem ihr eigenen "Planungsermessen" als einer prinzipiellen staatlichen Handlungsform[39].

Das Verwaltungsrecht folgte damit sowohl dem Aufgabenwachstum als auch dem Aufgabenwandel. Die neuen Verwaltungsaufgaben führten ferner dazu, dass der soziale Leistungsstaat ein Recht der Transferleistungen und Wirtschaftssubventionen entwickelte, der Umweltstaat über lange Jahre zu einem spezifischen Umweltverwaltungsrecht fand und im Informations- und Technikstaat die Kompensation technischer Risiken im Zusammenhang der "technischen Realisation" (E. Forsthoff) neue Gebiete eines Risikoverwaltungsrechts erschloss. Ebenso auffällig gestaltet sich nunmehr im Regulierungsstaat der Wandel der Handlungsformen im Vergleich zum früheren Verwaltungsrecht: Der "Verwaltungsakt" verliert seine Funktion als bestimmende Handlungsform, obwohl er weiterhin zu einem bevorzugten Handlungsinstrument der öffentlichen Verwaltung gehört. An seine Seite ist u. a. der "Verwaltungsvertrag" als eigenständige weitere Handlungsform getreten, mitunter ergänzt durch den sog. Normsetzungsvertrag[40].

Dieser, wie der öffentlich-rechtliche Vertrag überhaupt ist ein unverwechselbarer Ausdruck dafür, dass im materiellen Rechtsstaat die Verwaltung in Abstimmung mit dem Bürger eigene Rationalitätskriterien für die Konkretisierung des Verwaltungsrechts entwickeln muss. Anders als im formalen Rechtsstaat hält nämlich das inzwischen "geöffnete" Verwaltungsrecht mit seinen Ermessensnormen und unbestimmten Rechtsbegriffen, das Konzepte und Zweck- statt Konditionalprogramme bevorzugt, immer seltener konkrete Rechtsfolgen bereit. Hinzu tritt die der Exekutive zu-

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gewiesene Normsetzung. Der Bodengewinn des öffentlich-rechtlichen Normsetzungsvertrags ist dann nur eine der Konsequenzen daraus. Zwischen Verwaltung und Bürger bzw. Unternehmen entwickeln sich immer häufiger formale und informale Aushandlungsprozesse unter gleichzeitiger Erweiterung des alten zweipoligen Verwaltungsverhältnisses zum drei- und mehrpoligen Rechtsverhältnis. Zugleich konstituiert die Verlagerung der Regulierungsverantwortung auf die Verwaltung eine neue Aufgabenstruktur des Verwaltens, die man als verteilende Verwaltung bezeichnen kann[41]. Die notwendigen binnenadministrativen Abstimmungsverfahren verweisen zugleich auf die Existenz eines neuen Typs von komplexen, nämlich multipolaren Verwaltungsentscheidungen.

Neuartige Verwaltungskonzepte, die zur Modernisierung der Verwaltung führen, verändern in Fortführung dieser Entwicklung zugleich das Recht. Dabei geht es einerseits - und vornehmlich nach innen gerichtet - um die Weiterentwicklung materiell-rechtlicher Regulierungsansätze, des Verwaltungsorganisations- und Verwaltungsverfahrensrechts einerseits, des Rechts des öffentlichen Dienstes andererseits. Darüber hinaus - und außengewendet - unterliegen das allgemeine und das besondere Verwaltungsrecht in den jeweiligen Handlungsfeldern öffentlicher Verwaltung einem tiefgreifenden Verständniswandel nach Maßgabe der Regulierungsziele bzw. -zwecke[42].

Skizziert man hierzu einige Grundlinien, so erweisen sich zunächst die Reaktionsfähig-keit der Rechtsetzung, die Flexibilität des Rechts und seine Orientierung an (sozialer) Gerechtigkeit als wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Staats- und Verwaltungsmodernisierung in Ansehung des Wandels der realen Verhältnisse. Dazu gehört vor allem, dass bei Bedarf und auf angemessene Weise das Verwaltungsrecht die erforderlichen Innovationen in der Verwaltung und in Bezug auf die durch das Verwaltungsrecht gesteuerten gesellschaftlichen Teilsektoren

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durch eigene Rechtsetzungen ermöglicht. Hierfür werden die Methodik der Regelbildung und die Durchführungseffizienz der neuen Regelungen zu jeweils eigenen Anknüpfungspunkten[43].

In der Bundesrepublik Deutschland lassen sich auch im Übrigen gegenwärtig eine Reihe von Innovationen des Verwaltungsrechts erkennen. Zu ihnen gehört einerseits der Umbau des Besonderen Verwaltungsrechts, insbesondere in den Referenzgebieten des Umwelt-, Wirtschafts-, Informations-, Technik- und Sozialrechts. Daneben und auf der anderen Seite kommt es im Zusammenhang der Verwaltungsmodernisierung zu einem Wandel der Handlungsformen und -maßstäbe im allgemeinen Verwaltungsrecht. Insbesondere vor dem Hintergrund des Wandels der Staatlichkeit im Übergang zu einem Konzept der "Verwaltungspartnerschaft" spielen deren eigene Handlungsformen wie z. B. die "PPP" eine besondere Rolle. Darüber hinaus und schließlich entwickelt die zunehmende Verzahnung mit dem Zivilrecht, aber auch mit dem Europarecht eigene Integrationsimpulse, die über den "Europäischen Verwaltungsverbund" das deutsche Verwaltungsrecht nachhaltig zu verändern beginnen[44].

2. Dimensionen des Strukturwandels

In größerem Maßstab lassen sich fünf prinzipielle Entwicklungsdimensionen feststellen. Zunächst wird deutlich, dass trotz aller Umwertung der demokratie-, rechts- und sozialstaatlichen Grundlagen das anlagen- und produktbezogene Ordnungsrecht vor allem im Energiewirtschaftsrecht, Immissionsschutz-, Atom-, Abfall-, Gentechnik- und Chemikalienrecht ein weiterhin tragender Pfeiler des Verwaltungsrechts bleiben wird. In den Vordergrund der dazu ergehenden Veränderungen des Verwaltungsrechts rücken allerdings dessen Flexibilisierung und die instrumentelle Verlagerung der bisherigen Verwaltungsverantwortung auf die gesellschaftliche Selbstregulierung und die individuelle Eigenverantwortung der Akteure unter gleichzeitiger Gewährleistungsverwaltung und Regulierung durch "Agenturen"[45].

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Die Verwaltung hat hierzu förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Diese sind einerseits in der staatlichen Kontextsteuerung gesellschaftlichen Handelns geborgen. Staat und Kommunen installieren mit diesem Steuerungsansatz selbstregulierende, Gemeinwohl fördernde Projekte, die den Bürgern die Freiheit lassen, ob sie sich hieran beteiligen wollen und wie sie die vorgegebenen Projektziele und -anforderungen zu erreichen oder zu verwirklichen suchen. Ein anderer Typus nicht-imperativer staatlicher Einwirkung gründet auf der reflexiven Steuerung: Diese sieht sich dadurch gekennzeichnet, dass Staat und Kommunen interessierte Private selbstverantworteten Informations-, Lern- und Selbstkontrollprozessen aussetzen - wie z. B. im Rahmen der Umweltpolitik durch die Tätigkeit freiberuflicher Umweltgutachter mit Zertifizierungsbefugnissen[46].

Die Frage ist allerdings, in welche Richtung sich diese Tendenz entwickeln wird. Gegenwärtig und einerseits zielen einzelne Reformansätze auf die bloße Beschleunigung der Verwaltungsverfahren für umweltrechtliche Planungs- und Genehmigungsvorgänge. Dahinter steht der Gedanke, durch eine "kundenfreundlichere" Genehmigungspraxis privaten Unternehmen größere Investitionen zu erleichtern. Auf der anderen Seite geht es darum, den Rechtsschutz der Bürger zu modifizieren, weil dieser bei Inanspruchnahme die Dauer der Genehmigungsverfahren ausweitet. In diesem Sinne ist die Verwaltungsgerichtsordnung als Prozessgesetz für die Inanspruchnahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit bei Rechtsschutzbegehren mittlerweile mehrfach geändert worden; der ebenso neugeschaffene "Güterichter" tritt im Übrigen für die Verwirklichung von Mediationsbelangen hinzu[47]. Die Reform des Rechtschutzsektors mit Auswirkungen auf das Verwaltungsprozessrecht hat damit freilich erst begonnen. Ein darüber hinausreichender Funktionswandel muss sich allerdings an den übergreifenden Zielen der Modernisierung der Bundesrepublik Deutschland ausrichten[48].

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3. Defizitäres Regulierungs- und Steuerungsparadigma

Die Verwaltung und ihr Recht in der Bundesrepublik Deutschland neu auszurichten, stößt allerdings auf ein Kernproblem: Es besteht darin, dass eine "globalisierte" Industriegesellschaft ihre Konfliktbewältigung nahezu ausnahmslos in multipolare Regulierungszusammenhänge eingebettet und damit in komplexe Rechtsprobleme überführt hat. Die Neudefinition der Bewältigung dieser Rechtsprobleme wird deshalb immer auch und zugleich von der effektiven Steuerungskraft von Recht begrenzt. (Verwaltungs-)Recht erscheint insoweit als ein prekäres Steuerungsinstrument[49]. Zu fragen ist ferner, inwieweit und nach Maßgabe welcher Bedingungen das Recht überhaupt noch in der Lage ist, als ein effektives "Steuerungsinstrument" der gesellschaftlichen Entwicklung in Regulierungszusammenhängen zu fungieren.

M. a. W. müssen die Leistungsgrenzen einer Steuerung durch Recht im Auge behalten werden. Steuerungsüberlegungen und -modelle im Zeichen von "Governance" stehen vor allem in der Gefahr, vereinfachte Ursache-Wirkungs-Beziehungen herzustellen. Der rechtswissenschaftliche Umgang mit vornehmlich sozialwissenschaftlich inspirierten Steuerungsüberlegungen und ökonomisch begründeten Regulierungsansätzen darf sich nicht in sozialtechnologischen Erklärungen erschöpfen. Das Recht ist zwar Steuerungsmedium; aber es ist auch materiale Wertordnung und Grenzziehung aller sozialwissenschaftlich imprägnierten Gestaltung von Freiheit.

4. Rationalitätsbindungen der Verwaltungsmodernisierung

In diesem Sinne sucht heute rechtlich angeleitetes Verwaltungshandeln durchweg nach materialen und materiellen Rationalitätskriterien in einem System der dezentralen Rechtsbildung, in dem es neben den Beiträgen einer an Bedeutung zurücktretenden parlamentarischen Gesetzgebung und denen der herausbrechenden exekutivischen Normsetzung bzw. der Rechtsprechung auch eine eigenständige Verwaltungsverantwortung, d. h. "Verwaltungsautonomie" gibt[50].

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Der darin erkennbare Übergang zu materiellen und werthaften Rationalitätsmaßstäben des öffentlichen Handelns hat sich freilich noch nicht völlig von den bürokratischen Anforderungen des rechtsstaatlichen Verwaltungsverständnisses gelöst. Der Kern der modernen Verwaltung beruht noch immer auf den Merkmalen einer hierarchischen Über- und Unterordnung der Mitarbeiter beim Aufgabenvollzug, der Trennung von Amt und Person, der Bindung an Recht und Gesetz, der Aktenmäßigkeit und Schriftlichkeit des Verwaltungshandelns. Dies entspricht der "rule of law": Wer wollte z. B. auf eine strikte Neutralität der öffentlichen Verwaltung in Zeiten des politisierten staatlichen und gesellschaftlichen Wandels verzichten?

Es ist deshalb zu einfach, "überholtes rechtsstaatliches Denken" für Modernisierungsdefizite verantwortlich zu machen. Ganz im Gegenteil belässt das Recht des modernen, sozialen und demokratischen Rechtsstaates der "schlanken" Verwaltung die erforderlichen "Gestaltungsspielräume": Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns bleibt dabei jedoch eine notwendige und grundlegende, wenn auch nicht die alleinige Voraussetzung für dessen Qualität und Erfolg. So ist etwa die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung ein anerkanntes Thema; öffentliches Handeln muss darüber hinaus kommunikationsfähig, bürgerorientiert und effizient sein. Die Kunst der öffentlichen Verwaltung liegt dann darin, die aus der gleichzeitigen Anwendung dieser vielgestaltigen Grundsätze folgenden Konflikte - falls notwendig - durch Mediation auszutarieren[51]. In der gegenwärtigen Modernisierungsdebatte über die öffentliche Verwaltung ist deshalb und angesichts der Komplexität des damit verbundenen Optimierungsproblems die simplifizierende Forderung zurückzuweisen, Verwaltungstätigkeit bedürfe durchweg einer "Ökonomisierung" und organisatorisch-institutioneller Vereinfachungen, die mit einem entsprechenden Abbau von Verfahren einhergehen müssten[52].

Eher mag der Hinweis richtig sein, dass wir bislang die Konkurrenz der divergierenden Handlungsgrundsätze und -maßstäbe nicht angemessen

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aufgelöst haben. So ist in diesem Sinne die Kohärenz rechtlich gesteuerter Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns ein auch verwaltungsrechtlich drängendes und legitimes Anliegen. Rechtmäßigkeit ist dabei kein K. O.-Maßstab; umgekehrt darf unwirtschaftliches Verhalten nicht als rechtmäßig angesehen werden: Dies untersagt das verfassungsrechtliche Wirtschaftlichkeitsprinzip[53].

5. Europäisierung und Internationalisierung der öffentlichen Verwaltung

In die verwaltungsinterne Rationalisierung und in die außenbezogene Reform des öffentlichen Staatssektors ist die wachsende supra- und internationale Verflechtung der Rechts- und Verwaltungsstrukturen einbezogen. Vor allem die Mitgliedschaft Deutschlands in der EU hat zu einem Anwendungsvorrang des europäischen Rechts geführt. Verfassungsrechtlich spiegelt sich diese rechtliche Entwicklung für die Bundesrepublik Deutschland in der Neufassung des Art. 23 GG wider[54].

Die Entwicklung der modernen Verwaltung auf europäischem Boden nimmt damit eine neue Wendung. Sie hängt nicht mehr nur mit den nationalstaatlichen Funktionsveränderungen zusammen. Zugleich erhalten wir ein anderes Bild von den grenzüberschreitenden Verwaltungsbeziehungen, als wir es noch zu Beginn unseres Jahrhunderts gezeichnet hätten. Dabei sind prinzipiell transnationale von supra- und internationalen Entwicklungslinien zu trennen. In den souveränitätsgeprägten Sektoren der Außen-, Innen- und Justizpolitik der Nationalstaaten kommt es noch immer zu transgouvernementalen Beziehungen, die zunächst eine eigene Rechtsordnung für die Vertragspartner mit je eigenen Rechtssetzungsregeln und Anwendungsbestimmungen ohne individuelle Entsprechungsrechte für die Europabürger formuliert haben. Ein gewichtiges Beispiel hierfür sind im Sicherheitsverwaltungsrecht die sog. "Schengener Abkommen", mit denen versucht wurde, Sicherheitskontrollen an den Gren-

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zen Deutschlands zu den europäischen Nachbarn abzubauen. Der "Vertrag von Lissabon" hat allerdings zu einer "Europäisierung" dessen geführt[55].

Immer mehr sind daneben die supranationalen Auswirkungen der europäischen Integration auf das deutsche Verwaltungsrecht zur Kenntnis zu nehmen[56]. Mittlerweile ist ein "Europäisches Verwaltungsrech" entstanden: Aus der Supranationalität erwächst ein autonome Rechtsordnung, die sich nach Regelungsumfang wie Regelungsfunktionen bis hin zum Individualrecht vom traditionellen Völkerrecht unterscheidet und eher dem Bundesrecht in einem föderativen Staat vergleichbar ist.

Von den transnationalen Verwaltungs- und Rechtsbeziehungen und der supranationalen Rechtsordnung der europäischen Integration unterscheidet sich schließlich die Internationalisierung der Verwaltung. Die vertraglichen Bindungen der Nationalstaaten auf wirtschaftlichen, sozialen, umwelt- und verkehrspolitischen wie auch auf sonstigen Feldern hat heute dazu geführt, dass sich zahlreichen nationale Verwaltungen "nach außen", d. h. als Mitglieder in über tausend internationalen Organisationen der Staatenwelt betätigen müssen. Es handelt sich um weltweite Verwaltungsbeziehungen, die regelmäßig auf völkerrechtlichen Verträgen beruhen und die in diesen Verträgen ein eigenes Partialrecht, das internationale Verwaltungsrecht entfalten[57]. Als ein hervorragendes Beispiel aus den letzten Jahrzehnten sei hierzu die Gründung der "Word Trade Organization (WTO)" genannt. Sie hat dazu geführt, dass die Dienstleistungen, Umweltstandards, sozialen Standards u. a. m., die im Rahmen der GATT-Verhandlungen vereinbart wurden, eine entsprechende Umstrukturierung des je nationalen Rechts in den je nationalen Verwaltungen bedingen - z. B. des Wirtschaftsrechts und der Wirtschaftsverwaltung, des Umweltrechts und der Umweltverwaltung oder auch des Patentrechts und der Patentverwaltung[58].

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IV. Entwicklungsperspektiven der Verwaltungsrechtsdogmatik im Rahmen der neuen Staatlichkeit

Die Bilanz der rechtsstaatlich gebundenen Neuorientierung des Verwaltungsrechts ergibt ein durchaus inhomogenes Bild. Einerseits führt die Europäisierung und Internationalisierung von Verwaltung und Recht in den hochkomplexen Industriegesellschaften zu einem weiteren Wachstum an Verrechtlichung. Denn deren Organisation als Rechtsstaaten gibt ihnen auf zu versuchen, die Entwicklungsprozesse des internationalen und europäischen Verwaltungsrechts demokratisch-parlamentarisch zu steuern, woraus sich wiederum jeweils neue Rechtssätze ergeben. Nach wie vor ist nämlich das "Recht" neben dem "Geld" - sowie ergänzt durch die Steuerungsressource "Information" - ein unverzichtbares Steuerungsmedium .

Auf der anderen Seite sind die "Kosten " des Rechtsstaats für die Prozesse der Verrechtlichung beträchtlich gewachsen. Sie treten dort auf, wo ein langsam und genau arbeitender Rechtsstaat Bauvorhaben und Forschungsanlagen blockiert, für endlose Genehmigungsverfahren sorgt und arbeits- und sozialrechtliche Schutzvorschriften schafft, die rasche unternehmerische Entscheidungen zur Illusion machen. Der skizzierte Strukturwandel des Verwaltungsrechts will hier Abhilfe schaffen. Doch schließen die Neuansätze verwaltungsrechtlicher Theoriebildung auch die Erkenntnis ein, dass die "innere" Rechtsbindung und Gemeinwohlfunktion der öffentlichen Verwaltung diese in der rechtsstaatlichen und sozialen Demokratie von der privaten Unternehmenswirtschaft prinzipiell unterscheidet. Die Gleichstellung mit dieser ist ausgeschlossen. Indessen bedeutet dies nicht, dass sich der moderne Rechtsstaat einem Effektivitäts- und Effizienzdenken verschließt. Mit der allgemeinen "Öffnung" des Rechts erweisen sich auch zukünftig die rechtsstaatlichen Direktiven für die Gestaltung einer öffentlichen Verwaltung auf der Programm-, Organisations-, Verfahrens- und Personalebene effektivitäts- und effizienzgebunden. Der moderne Rechtsstaat bildet m. a. W. ein weitläufiges "Gehäuse", in dessen Mauern auch der diversifizierte Strukturwandel des Verwaltungsrechts und die Rationalitätsbindungen der Verwaltungsmodernisierung ihre Heimstatt finden.

Dies erkannt zu haben, führt zu Veränderungen im verwaltungsrechtlichen Systemdenken. Die Ordnungsidee des Verwaltungsrechts wandelt

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sich[59]: Mit dem Bild vom "situativen" Rechts- und "distanzierten" Sozialstaat drängen sich die künftig notwendigen Strategien der Staats- und Verwaltungsführung deutlich auf. Zu diesen gehört der Aufgabenverzicht ein vernünftige Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie eine Konzentration des Staatssektors auf unabweisbare staatliche Verantwortungen. Der soziale Wohlfahrtsstaat wird noch stärker dem "Imperativ des Wandels" unterworfen. Deutschland knüpft hierzu seit einigen Jahren an die weltweit existente und breite internationale Strömung der "Ökonomisierung" des öffentlichen Sektors an. Zwischen öffentlichen Einheiten und Privaten werden neue Partnerschaften eingegangen. Mit Maßnahmen der Selbstregulierung zieht sich nach einer Aufgabenkritik der Staat mehr und mehr aus direkten Interventionen in das Verhalten von Unternehmen und Konsumenten zurück. Ein Beispiel hierfür ist der Übergang zu einer dualen Umweltverantwortung von Staat und Wirtschaft auf dem Gebiet des Umweltschutzrechts.

Die internen Rationalisierungsprozesse der öffentlichen Verwaltung führen bei alledem zu Veränderungen der Verwaltungsstrukturen auf der Organisation-, Verfahrens- und Personalebene. Dort bestehen unausgeschöpfte Rationalisierungsreserven. Dementsprechend bedarf es der Reform des administrativen Binnenrechts unter Einbezug des e-governments. Schließlich stellen sich aus der Perspektive der verwaltungsrechtlichen Systembildung neue Fragen zu den Steuerungsmöglichkeiten globalisierter Rechts- und Verwaltungsräume sowie zu einem Wandel im Fortbestand des Netzes subjektiver Rechte, das in seiner Gesamtheit von manchen als Einschnürung und Verlust an staatlichen Entscheidungsspielräumen verstanden wird. In allen diesen Belangen trägt verwaltungsrechtliche Theoriebildung wie hier zu einer entsprechenden Entwicklung neuer verwaltungsrechtlicher Instrumente bei.

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Resümee - Neues Verwaltungsrecht im reflexiven sozialen Rechtsstaat

Die Studie untersucht die Veränderung des Verwaltungsrechts aus der Sicht der Veränderungen des sozialen Rechtsstaats. Ihr Ausgangspunkt ist, dass die Verwaltungstheorie die angewandte Staats- und Verwaltungswissenschaft ist, weshalb sie den sich modernisierenden Staat und die damit einhergehende Modernisierung des Verwaltungswesens gemeinsam untersuchen muss. Die Schlüsselbegriffe der Modernisierung des Staates sind Governance und der "situative" Rechtsstaat während des Übergangs vom Wohlstandsmodell in den sozialen Rechtsstaat auf Grundlage des Wettbewerbs. Diese neue Staatlichkeit hat auch einen bedeutenden Einfluss auf die Aufgabenstruktur der Verwaltung: Einerseits durch die Neuinterpretation der Verwaltungsaufgaben als Gemeinschaftsaufgaben, andererseits durch die Auffassung der Verwaltung als Dienstleistungsunternehmen bzw. drittens durch Übertragung der Aufgaben auf dem Wege der Selbstverwaltung und Selbsthilfe. Diese Veränderungen zeigen auch in der Herausbildung des verwaltungsrechtlichen Systems neue Richtungen auf, die von der Studie im Detail analysiert werden. Als Synthese dieser bidirektionalen Prozesse kann die mögliche Entwicklungsperspektive der verwaltungsrechtlichen Dogmatik aufgefasst werden, die sowohl in dem Sich Öffnen des Systems der Aufgabenarten, als auch in der Funktionsänderung des organisatorischen Rechts bzw. der Veränderung des öffentlichen Dienstes erscheinen muss. Im abschließenden Teil wird auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit in das Untersuchungsgebiet mit einbezogen, und die Studie weist auf ihre Bedeutung bei der Gestaltung dieser Prozesse hin.

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Summary - New Public Administrative Law in the Reflexive Social State Governed by the Rule of law

The study examines the development of public administrative law in terms of the changes to the social state governed by the rule of law and not of men. The starting point is that the theory of public administration is application-centred science of governmental and public administration, therefore it must examine the modernisation of the state and the related modernisation of public administration together. The key terms of the modernisation of the state are governance and the 'situative' state governed by the rule of law during the transition from the welfare model into competition-based social state governed by the rule of law. Such new nature of the state has a significant impact on the tasks and duties of public administration as well: first by the redefinition of public administrative tasks as community tasks, second by regarding public administration as service provision and third by passing on the tasks by means of self-governance and self-assistance. Such changes are opening new trends in the systematization of the public administrative law as well, which are analysed in detail in the study. The perspective of a possible development of the dogmatics of the public administrative law can be regarded as the synthesis of these two-directional processes, which should be reflected in the expansion of the types of activities, functional changes of the procedural and organisational law and the transformation of public services alike. In the final part of the study, the author extends the scope of examination to the public administrative jurisdiction as well and highlights its importance in the development of these processes. ■

ANMERKUNGEN

[1] Zur "Verfahrensidee" des Staates s. ursprünglich Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre[2] (1966) 197 ff., 199; zum Staat als "Prozeß" vgl. auch Hermann Heller, Staatslehre[6], (1983) 282 f.; zum Ganzen der Überblick bei Rainer Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren (1990) 135 ff.; Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre[16] (2010), 97.

[2] Görg Haverkate, Verfassungslehre: Verfassung als Gegenseitigkeitsordnung (1992), 72.

[3] Rainer Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg), Grundlagen des Verwaltungsrechts[2] (2012), § 42 Rz. 74 ff.

[4] Eberhard Schmidt-Assmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee[2] (2004), 10 ff.

[5] Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht[18] (2011), § 3 Rz.1.

[6] Schmidt-Assmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee[2] 301 ff.

[7] Pitschas, Verwaltungsverantwortung 575; Schmidt-Assmann, Verwaltungsrecht als Ordnungsidee[2] 18 ff.

[8] Pitschas, Verwaltungsverantwortung 87, 571 ff.

[9] Gunnar F. Schuppert, Was ist und wie misst man Wandel von Staatlichkeit?, Der Staat 47 (2008) 325 ff.

[10] Klaus Stern, Das rechtsstaatliche Prinzip, in ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I[2] (1984) § 20 I2.

[11] Verfassungs- und verwaltungsrechtlich nachgezeichnet von Rupert Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, in VVDStRL 34 (1976) 145 ff.

[12] Hans F. Zacher, Das soziale Staatsziel, in Isensee/Kirchhof (Hrsg), Handbuch des Staatsrechts[3], Bd. II (2004), § 28.

[13] Andreas Vosskuhle, Neue Verwaltungsrechtswissenschaft, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aß-mann/Voßkuhle (Hrsg), Grundlagen des Verwaltungsrechts[2] (2012), § 1 Rz. 68.

[14] Vgl. nur die Beiträge von Nicolai Dose/Rüdiger Voigt (Hrsg), Kooperatives Recht (1995).

[15] Stellvertretend siehe Andreas Vosskuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung, in VVDStRL 62 (2003) 266 (284 f.).

[16] Hermann Hill, Mobilisierung der Verwaltung - Ein Fitnessprogramm zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, VerwArch 103 (2012) 475 ff.

[17] Johannes Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts (1997), S. 56 ff.

[18] Oliver Lepsius, Verfassungsrechtlicher Rahmen der Regulierung, in Fehling/Ruffert (Hrsg), Regulierungsrecht (2010) § 4 Rz. 76, 105.

[19] Dazu näher Thorsten Kingreen, Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, in VVDStRL 70 (2011) 152 (161); Rainer Pitschas, Mediatisierte Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss als Verfassungsproblem, MedR 2006, 451 (455).

[20] Vgl. schon früher Hubert Treiber, Zur Umsetzung von Rechtsnormen. Begrenztes Steuerungpotential von Gesetzen und Verordnungen (1996), 28, 30, 32; ferner Pitschas, in Hoffmann-Riem et al, Grundlagen Rz. 171 f.

[21] Helmuth Schulze-Fielitz, Risikosteuerung von Hochrisikoanlagen als Verfassungsproblem, DÖV 2011, 785 ff.

[22] BVerfGE 77, 170 (230 f.); 98, 218 (251); 101, 1 (34); 108, 282 (312); BVerwGE 68, 69 (72).

[23] BVerfGE 95, 1 (15 ff.); 126, 286 (306, 307); Klaus Messerschmidt, Gesetzgebungsermessen (2000).

[24] Rainer Pitschas, Der "neue" soziale Rechtsstaat. Vom Wandel der Arbeits- und Sozialverfassung des Grundgesetzes, in FS Zacher (1998), 755 (759 ff., 763 ff.).

[25] Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dessen s. nur BVerfGE 125, 175 (224 f.): Die Entscheidung verweist darauf, zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums "die erforderlichen Wertungen" zu treffen (S. 224); s. im übrigen Eberhard Eichenhofer, Verstaatlichung oder Privatisierung sozialer Risiken und Sicherungen?, in Hochhuth (Hrsg), Rückzug des Staates und Freiheit des Einzelnen (2012), 21 ff.

[26] Nathalie Behnke, Ethik in Politik und Verwaltung (2004); Klaus König, Moderne öffentliche Verwaltung (2008), 838 ff., 857 ff.

[27] Karl-Werner Brand, Die Neuerfindung des Bürgers, Soziale Bewegungen und bürgerschaftliches Engagement in der Bundesrepublik, in Olk/Klein/Hartnuß (Hrsg), Engagementpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft als politische Aufgabe (2010), 123 ff.

[28] Jan Ziekow (Hrsg), Herausforderungen der Globalisierung für die nationale und supranationale Politik (2006).

[29] Stefan Griller (Hrsg), At the crossroads: The World Trading System and the Doha Round (2008).

[30] Ann-Marie Slaughter Burley, International Law and International Relations: American Journal of International Law 87 (1993), 205 ff.

[31] Philipp Dann, Entwicklungsverwaltungsrecht (2012), 133 ff.; Karl-Heinz Ladeur, Die Herausbildung des globalen Verwaltungsrechts und seine Verknüpfung mit dem innerstaatlichen Recht, DÖV 2012, 369 (373 ff.).

[32] Rainer Pitschas, Kooperative Wissensgenerierung als Element eines neuen Staat-Bürger-Verhältnisses - Thesen zur Reformulierung des Verwaltungsrechts in der Wissensgesellschaft, in Spiecker gen. Döhmann/Collin (Hrsg), Generierung und Transfer staatlichen Wissens im System des Verwaltungsrechts (2008), 29 ff.

[33] Überblick bei Wolfgang Hoffmann-Riem, Regelungsstrukturen für öffentliche Kommunikation im Internet, AöR 137 (2012), 509 (510 ff.).

[34] Dazu einführend die Beiträge in Jan Ziekow (Hrsg), Wandel der Staatlichkeit und wieder zurück? (2011).

[35] Rainer Pitschas, Verantwortungskooperation zwischen Staat und Bürgergesellschaft. Vom hierarchischen zum partnerschaftlichen Rechtsstaat am Beispiel des Risikoverwaltungsrechts, in Sommermann/Ziekow (Hrsg), Perspektiven der Verwaltungsforschung (2012) 221 (233 ff., 235 ff.).

[36] Jan Malte von Bargen, Mediation in Verwaltungssachen, in Quas/Zuck (Hrsg), Prozesse in Verwaltungssachen[2] (2011) § 10.

[37] Martin Eifert, Regulierungsstrategien, in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. I[2] (2012), § 19 Rz. 52 ff., 144 ff.

[38] Zur Einordnung der Verwaltungseffizienz in diesen Zusammenhang vgl. Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns[2] , Rz. 111 ff., 130 ff.

[39] Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht[18] § 16 Rz. 13 ff.

[40] Dazu am Beispiel des Sozialrechts Klaus Engelmann, § 57 SGB X, in von Wulffen (Hrsg), SGB X. Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, Kommentar[7] (2010), Rz. 4 f.

[41] Ferdinand Wollenschläger, Verteilungsverfahren. Die staatliche Verteilung knapper Güter: Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen, Verfahren im Fachrecht, bereichsspezifische verwaltungsrechtliche Typen- und Systembildung (2010).

[42] Überblick bei Michael Fehling, Instrumente und Verfahren der Regulierung, in Fehling/Ruffert (Hrsg), Regulierungsrecht (2010), § 20; zu den Regulierungszielen s. Oliver Lepsius, ebd., § 19.

[43] Näher dazu Veit Mehde, Rechtsetzungen der europäischen und nationalen Verwaltungen, in VVDStRL 71 (2012), 418 (424 ff.).

[44] Wolfgang Weiss, Der europäische Verwaltungsverbund (2010), bes. 47 ff.

[45] Hierzu am Beispiel des Energierechts als Referenzgebiet Weiss, Verwaltungsverbund (2010), 85 ff., 115 ff.

[46] Rainer Pitschas, Duale Umweltverantwortung von Staat und Wirtschaft, in FS Fünfzig Jahre Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (1997), 269 (282 f., 283 ff.); Rolf Stober, Zur ökonomischen Relevanz der Grundrechte in einer offenen Wirtschaftsverfassung, in FS Stern zum 80. Leb. (2012), 613 (615 f.).

[47] Karsten-Michael Ortloff, Vom Gerichtsmediator zum Güterichter im Verwaltungsprozess, NVwZ 2012, 1057.

[48] Dazu und an dem Ziel künftig alternativer "Konfliktschlichtung" ausgerichtet s. nur Matthias Schmidt-Preuss, Die Konfliktschlichtungsformel. Zur Neubegründung des subjektiven öffentlichen Rechts, in FS Schenke (2011), 1167 (1169 ff., 1177 f.).

[49] Zu wenig beachtet von Schmidt-Preuss, in FS Schenke, 1177 f.

[50] Maßgeblich schon früh hierzu Scholz, Verwaltungsverantwortung (1976), 145.

[51] Rainer Pitschas, Mediationsgesetzgebung zwischen Entlastung der Justiz und kollaborativer Governance, ZG 26 (2011) 136 (138 ff.).

[52] Ulrich Ramsauer, Stabilität und Dynamik des Verwaltungsverfahrensrechts, in FS Schenke (2011), 1089 (1093).

[53] Pitschas, Maßstäbe des Verwaltungshandelns[2], Rz. 129.

[54] Rupert Scholz, Art. 23 GG, in Maunz/Dürig (Hrsg), Komm. z. GG (67. Lfg. 2012), Rz. 1 ("Artikel der europäsichen Einigung").

[55] Katrin Schoppa, Europol im Verbund der Europäischen Sicherheitsagenturen (2013) 51 ff., 66 ff.

[56] Markus A. Glaser, Internationale Verwaltungsbeziehungen (2010) 27 ff., 63 ff.; Martin Kment, Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln (2010) 269 ff., 273 ff., 355 ff.; zum folgenden ferner Thomas von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht (2008) 5 f.

[57] Vgl. nur Rüdiger Wolfrum, Ansätze eines allgemeinen Verwaltungsrechts im internationalen Umweltrecht, in Trute/Gross/Röhl/Möllers (Hrsg), Allgemeines Verwaltungsrecht - zur Tragfähigkeit eines Konzepts (2008), 665 ff.

[58] Marc Bungenberg, Europäisches Verwaltungsrecht und WTO-Recht, in Terhechte (Hrsg), Verwaltungsrecht der Europäischen Union (2011) § 11.

[59] Arno Scherzberg, Das Allgemeine Verwaltungsrecht zwischen Praxis und Reflexion - Theoretische Grundlagen der modernen Verwaltungsrechtswissenschaft, in Trute/Gross/Röhl/Möllers (Hrsg), Allgemeines Verwaltungsrecht - zur Tragfähigkeit eines Konzepts (2008), 837, 849 ff.

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