Aus der Perspektive von mehr als 600 Jahren, die seit der Gründung der Universität in Pecs vergangen sind, scheinen die letzte fünf Jahrzehnten eine eher winzige Zeitspanne. Wenn wir sie aber im Kontext der neuesten Geschichte betrachten, bemerken wir, dass sich in diesem Zeitraum eine Wandlung von epochaler Bedeutung vollzogen hat. Als ich im Jahre 1988 zum ersten mal das Vergnügen hatte, mich in Wroclaw mit Herrn Professor Antal Adam zu unterhalten, standen die Rechtswissenschaften in unseren beiden Ländern am Scheideweg. Die Rechtsinstitutionen und Systeme, die nach dem Zweiten Weltkrieg den Völkern in unserem Teil Europas aufgezwungen wurden, waren den Herausforderungen der gegenwärtigen Welt nicht mehr gewachsen. Vorsichtige Reformen, die über bestimmte Grenzen nicht hinausgehen durften, milderten lediglich die Spannungen. Nach 1989, nachdem solche Begriffe wie Demokratie, Freiheit des Individuums, Menschenrechte ihren richtigen Gehalt wiedergewonnen und mit einem immer intensiveren Glanz zu leuchten begonnen hatten, musste man sie in die trockene Sprache der Rechtsnormen übertragen. In der ersten Gruppe der Länder, die einen Systemwechsel erlebt hatten, befanden sich Ungarn und Polen. Wir haben einen Bereich betreten, in dem es von tückischen Fallen wimmelte. Es gab gar keine Rezepte für zufriedenstellende Lösungen von diversen Problemen. Man sah sich gezwungen, immer wieder Versuche zu unternehmen und deren Ergebnisse auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Manche Institutionen erwiesen sich als nützlich, so z.B. der Runde Tisch; andere bewährten sich nur in manchen Staaten des ehemaligen Ostblocks (das bezieht sich beispielsweise auf viele Lösungen im Bereich des Wahlrechts).
In diesem Kontext soll man bemerken, dass die demokratische Staatsform heutzutage in der Welt dominiert - und alles das vollzog sich im Zeitraum von einer Generation, in einem Ausmaß, das noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts unvorstellbar war. Die steigende Tendenz ihrer Verbreitung und Entwicklung sowie günstige internationale Bedingungen stimulieren eine wohlwollende Beurteilung von Regierungsformen der so genannten neuen Demokratien. Polen und Ungarn, die zu dieser Gruppe gehören, erfreuen sich seit dem Beginn der Veränderungen eines großen Interesses nicht nur in den Ländern mit stabilen demokratischen Systemen, sondern auch dort, wo der Prozess der Bildung von demokratischen Einrichtungen erst vor kurzem einsetzte. Um die Wende des 20. und 21. Jahrhunderts wurde es klar, dass das Wissen über die Regierungsformen, die im Ausland eingeführt und anerkannt werden, als auch der Vergleich von Systemen verschiedener Staaten die unentbehrliche Grundlage dafür ist, eigene Lösungen zu finden. Viele Probleme, die die Bewohner verschiedener Weltteile betreffen, sind des öfteren ähnlich und manchmal gar identisch. Die Kenntnis von Erfahrungen der anderen ließ Zeit sparen und Fehler vermeiden, die in einem anderen Land bereits begangen worden waren. Es ging hier nicht um eine mechanische Nachahmung dessen, was in den am besten entwickelten Ländern vorhanden ist, sondern darum, gewisse Mechanismen aber auch Regeln kennen zu lernen, nach denen Institutionen funktionieren, wie auch darum, diese den Bedingungen in eigenem Land anzupassen. Das eben bestimmt die Aufgaben, die vor der Rechtswissenschaft stehen. Einerseits geht es hier um die Einsicht in die Rechtsinstitutionen anderer Länder, andererseits aber um die Popularisierung der eigenen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben sind die Rechtswissenschaften in Ungarn und in Polen wohl vorbereitet.
Der endgültige Sturz des Eisernen Vorhangs ermöglichte eine Intensivierung der Prozesse, die ihren Anfang in der Zeit der so genannten Entspannung hatten, und förderte die Entfaltung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Kontakte zwischen den einzelnen Ländern Europas. Gleichzeitig lässt die EU-Mitgliedschaft von Polen und Ungarn das Interesse an den bei näheren oder weiteren Nachbarn vorhandenen Regelungen steigen. Es ist so auch deswegen, weil wir ein ständiges Durchdringen von Ideen beobachten, die das Ziel
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haben, die vorhandenen Institutionen zu verbessern oder diese durch neue und noch effektivere zu ersetzen. Die damit verbundene Intensivierung der Forschungen im Bereich der vergleichenden Rechtswissenschaften verleiht der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern der befreundeten Universitäten eine neue Dimension. Ihre Aufgabe besteht darin, die Ähnlichkeiten und die Unterschiede von Rechtssystemen, Rechtsinstitutionen und Rechtszweigen festzustellen und sie von dem jeweiligen Gesichtspunkt aus zu beurteilen. Meistens wird es hier um typisch utilitaristische Gründe gehen, als auch um die Verwertung der während der komparatistischen Forschungen erzielten Ergebnisse für die Gesetzgebung, Rechtsdeutung und Rechtsanwendung in eigenem Land. Zahlreiche Probleme der heutigen Welt beschränken sich doch nicht nur auf das Territorium von einem Land. Es ist also günstig, dass wir unsere Lage mit derjenigen in den Ländern vergleichen können, die sich auf einer ähnlichen Entwicklungsstufe befinden - die Möglichkeit zu vergleichen bedingt und fördert das Angebot von Wahlmöglichkeiten. Man darf nicht vergessen, dass heute, im Zeitalter der Internationalisierung von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Beziehungen, polnische Juristen immer häufiger Kunden aus Ungarn beraten; sie müssen sich in den Verworrenheiten von verschiedenen Rechtssystemen professionell auskennen. Auch Gerichten müssen sich jetzt im Entscheiden von Streitfragen auf die Rechtsprechung des Gerichtswesens in anderen Ländern und auf die Ergebnisse von vergleichenden Analysen der einzelnen Rechtssysteme stützen. Während der zahlreichen international besetzten Symposien vollzieht sich der Meinungs- und Erfahrungsaustausch, der zum besseren Verständnis der Arbeitsweise von ausländischen Einrichtungen verhelfen kann. Eben auf diesem Gebiet spielt z.B. die Teilnahme der Forscher aus Pecs an den Konferenzen in Wroclaw und der Wissenschaftler aus Wroclaw an den Konferenzen in Pecs eine überaus große Rolle. Bemerkenswert ist hier auch die Aktivität beider Hochschulen auf der internationalen Ebene und die gemeinsame Veranstaltung von Tagungen, die nicht nur von großer intellektueller, sondern auch von beachtenswerter praktischer Bedeutung sind.
Durch gemeinsame Forschungen und Diskussionen über die Lösung von Rechtsproblemen, die immer häufiger von der zunehmenden Globalisierung herrühren, lernt man Respekt vor anderen Meinungen. Man kann dadurch auch das nötige Wissen erwerben, das dann die Kraft unserer Argumente gewinnen lässt.
Die Verfassung ist in einer demokratischen Staat das Ergebnis der demokratischen Staatswillensbildung. Sie ist ein Ausdruck des gesellschaftlichen Bewusstseins. Der Zusammenbruch der sog. real-kommunistischen Staatsordnung in Polen wurde - wie in Ungarn - nicht durch die grundlegende, rasche Änderung der Verfassungsordnung gefolgt. Die Verlängerung der Arbeiten in Polen an der neuen Verfassung war teilweise durch folgende Faktoren verursacht[1] :
1. Dem Parlament, der nicht in freien Wahlen im 1989 gewählt wurde, wollte man die Verabschiedung der neuen, völlig demokratischen Verfassung nicht anvertrauen, weil man in der Art der Sejmberufung ein zu großes Legitimationsdefizit sah.
2. Dann wurde der erste nach dem II. Weltkrieg in freien Wahlen 1991 gewählte Sejm nach der Hälfte seiner Amtszeit (1993) durch den Präsidenten aufgelöst und so konnte er auch seine am Anfang der Amtszeit begonnenen Arbeiten an der Verfassung nicht beenden.
3. Das Fehlen an Aussichten auf eine Staatsordnung, mit der alle wichtigen politischen Kräfte einverstanden wären,
4. Damit korrespondierte eine These, die ziemlich viele Befürworter hatte und die Notwendigkeit der Einführung von Verfassungsänderungen nicht "von oben" durch Verabschiedung einer neuen Verfassung, sondern "von unten" - in Gesetzen sah.
5. Das Fehlen den Faktoren, denen Verfassungen ihre Dauerhaftigkeit verdanken: bürgerliches Selbstbewusstsein des Volkes, das hohe Niveau des professionellen Funktionierens der staatlichen Strukturen, das Rechtsstaatlichenbewusstsein der Gerichte usw.
In der Folge der Verlangsamung der Arbeiten an der neuen Verfassung und der in diesem Fall angewandten "Doppelgleisigkeit" nach der Verabschiedung des Verfassungsgesetzes im Jahre 1992 über die Weise der Vorbereitung und Verabschiedung der neuen Verfassung der Republik Polen, der sog. Kleinen Verfassung, sind die polnischen Verfassungsnormen in drei, in verschiedener Zeit und unter verschiedenen historischen Bedingungen entstandenen Rechtsakten enthalten. Neben den zwei erwähnten Verfassungsgesetzen gehörte zu diesen auch die nach 1989 mehrmals novellierte Verfassung von 1952, die zwar formell ihre Geltung 1992 verlor, deren meisten Bestimmungen jedoch (ca. 2/3)
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aufgrund der Kleinen Verfassung in Kraft blieben.
In der Folge bildeten die Normen mit Verfassungsrang kein kohärentes System, sie stützten sich nicht auf einheitliche Grundlagen. Der damalige Bürgerbeauftragte bezeichnete diese Lage sehr zutreffend als "Verfassungsbausteine".[2] Dies erschwerte sicher die Anwendung der Verfassung in dem Rechtsverkehr und führte zu Streit oder sogar Konflikten zwischen den Hauptorganen des Staates, die sie verschieden verstanden. Es war auch sicher nicht günstig für die Realisierung der verfassungsrechtlichen Menschenrechte, insbesondere in bezug auf das Fehlen gut entwickelter Instrumente für ihre Geltendmachung.
Die neue Verfassung der Republik Polen wurde von der Nationalversammlung am 2. April 1997 verabschiedet und am 25. Mai 1997 in einer Volksabstimmung akzeptiert. Sie regelt alle wesentliche Staatsangelegenheiten und den Status des Einzelnen. Zu den von ihr bestimmten Grundsätzen der Staatsordnung gehören:
1. Der Grundsatz der Volkssouveränität. Das polnischer Volk wurde als "alle Bürger der Republik" (Präambel der Verfassung) begreifen. Ihnen zusteht die oberste Gewalt in Polen. "Es ist eine souveräne Gewalt, die alle Sphären des gesellschaftlichen Lebens umfasst, gegenüber allen Personen und Einheiten besteht, mit Hilfe der auch ihr selbst geschaffenen Formen wirkt"[3] .
2. Der Demokratiegrundsatz. Das Volk übt die Gewalt entweder durch seine Vertreter oder unmittelbar aus (Art. 4 Abs. 2 der Verf.). Der Verfassungsgeber bestimmt, dass die mittelbare Demokratie als erste vorliegt. Sie lasst sich als parlamentarische Demokratie mit präsidialen Einschlag klassifizieren.
3. Der Sozialstaatsprinzip. Laut der Verfassungsgeber die Aufgabe dieses Staates ist - im Unterschied zu einem liberalen Staat - die Lenkung der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse und die Sicherung einer gerechten Aufteilung ihrer Früchte. Er tut dies nicht nur mit Hilfe traditioneller Mittel (d.h. Verordnungen und Verbote), sondern verfugt über ein weitgefächertes Spektrum anderer Möglichkeiten, um das Verhalten des Individuums zu beeinflussen (z.B. Steuern und Subventionen). Der Staat und die Gesellschaft werden nicht wie einander entgegengesetzte Kräfte behandelt, sie werden aber auch nicht einander gleichgesetzt. Der soziale Rechtsstaat ist von der Gesellschaft getrennt, wodurch eine individuelle Freiheit garantiert wird; andererseits ist er mit der Gesellschaft eng verbunden, wodurch Fortschritt und soziale Gerechtigkeit gesichert werden. Damit geht einher, dass das Individuum nicht mehr als ein isoliertes Subjekt behandelt wird. Seine sozialen Bezüge werden anerkannt.
4. Die Gewaltenteilung. Die Staatsorganisation stützt sich auf die Trennung und das Gleichgewicht der gesetzgebenden, der vollziehenden und der rechtssprechenden Gewalt. Die gesetzgebende Gewalt üben Der Sejm und der Senat, die vollziehende Gewalt den Präsident der Republik und der Ministerrat, die rechtssprechende Gewalt Gerichte und zwei Gerichtshöfe: der Staatsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof. "In der polnischen Tradition und in den angenommenen gesellschaftsordnungsbezogenen Lösungen tritt eine starke gesetzgebende Gewalt auf. Diese starke Position wird durch die Herleitung dieser Gewalt aus allgemeinen Wahlen und ihrer breiten Befugnise bekräftigt. Eine derartige Position kommt den anderen Gewalten [...] nicht zuteil"[4] .
5. Die Pluralität des öffentlichen Lebens. Die Verfassung garantiert die Freiheit der Bildung und Tätigkeit der politischen Parteien (Art. 11 Abs. 1). Sie gewährleistet auch die Freiheit der Gewerkschaften, der gesellschaftlichen Bauernorganisationen und der Arbeitgeberorganisationen. In Art. 13 wurden die Schranken für die Freiheiten des Art. 11 hergestellt und das Bestehen von politischen Parteien und anderer Organisationen, die sich in ihren Programm auf die totalitären Methoden und Praktiken des Nazismus, Faschismus, Kommunismus berufen, wurde verboten. Auch solche Parteien sind verboten, deren Programm oder Tätigkeiten Rassen- und Nationalitätenhass, Gewalt zum Zweck der Machtübernahme oder Einflussausübung auf die Staatspolitik voraussetzt oder zulässt oder das Verheimlichen von Strukturen oder Mitgliedschaften vorsieht. Manche der Voraussetzungen, die die Bildung bzw. das Bestehen der politischen Parteien und andere Organisationen verbieten, sind hier so allgemein formuliert, dass sie eine Ergänzung in der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes brauchen.
6. Der Grundsatz der hierarchischen Struktur des Systems der Rechtsquellen. Er spiegelt sich in der verfassungsrechtlichen Pflicht der öffentlichen Gewalt der untergeordneten Ebene zum Erlass der Rechtsakte, die der Verwirklichung der Bestimmungen der Rechtsakte höheren Ranges dienen sollten, wieder. Er bedeutet zugleich das Verbot Rechtsakte zu erlassen, die bezüglich des Inhalts und des Gesetzgebungsverfahrens im Widerspruch zu den Rechtsakten von Organen höherer öffentlicher Gewalt stehen würden. Die Verfassung stellt dabei die Haupttypen der Nor-
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mativakte, deren sachlicher Anwendungsbereich, die wichtigsten Grundsätze des Verfahrens bei deren Erlass und die Wechselwirkung aufeinander fest.
Der besprochene Grundsatz stellt eine Bedingung dar, die die Einheit und Kohärenz des Rechtssystems in einem demokratischen Staat wahrt. Probleme, die die Einheit und Kohärenz hindern würden, sollten, gestützt auf Kollisionsregeln, eliminiert werden. Das Prinzip der hierarchischen Struktur setzt nicht nur die Aufstellung der Struktur der Rechtsakte, sondern auch die Annahme von Kollisionsregeln und vor allem die ausdrückliche Angabe der Grundlage dieser Struktur- also des Rechtsaktes, dem der höchste Rang im Staat zugesprochen wurde, voraus. Die neue Verfassung der Republik Polen nimmt eine übergeordnete Position in dem System der Rechtsquellen ein. Das ergibt sich nicht nur aus der allgemeinen Formulierung der Präambel der Verfassung aus dem Jahr 1997 (" man bestimmt die Verfassung der Republik Polen als Grundlage des Rechts des Staates") und dem Art.8, sondern auch aus der Regelung des Verhältnisses zwischen den einzelnen Rechtsakten. Dank dieser Lösung ist die Verfassung durch die Verwirklichung der Regulationsrolle der politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Lage, die jeweiligen gesellschaftlichen Gegebenheiten zu gestalten.
Als Grundlage des Rechts im Staat beugt sie dem Rechtschaos vor, immerhin stützen sich alle existierenden normativen Untersysteme im Staat auf die Verfassung.
Aus den Verfassungsbestimmungen (Art. 87, Art 91 Abs.2, Art. 188 1-3, Art. 234) kann man eine einigermaßen präzise Hierarchie der Rechtsquellen in Bezug auf allgemein geltende Rechtsnormen ableiten. Diese ist folgendermaßen gegliedert: mit der Höchsten Rechtskraft: Verfassung, Völkerrechtliche Verträge, ratifiziert mit Zustimmungsgesetz, Gesetze und Verordnungen mit Gesetzeskraft, Verordnungen, Lokale Rechtsakte.
7. Der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit. Er ist für die Existenz der unabhängigen Gerichtsbarkeit notwenig und stellt - wie es der polnischen Verfassungsgerichtshof ausgeführt hat - eine Garantie der Rechte und Freiheiten des Einzelnen. Er bestimmt die Beziehung des erkennenden Richters zu allen sonstigen Personen, ohne Rücksicht darauf, wen sie vertreten, und zu allen übrigen Staatsorganen. Unter der richterlichen Unabhängigkeit verstehen wir daher die Unzulässigkeit jeder Intervention von außen oder jeder Druckausübung zwecks Herbeiführung dieser oder jener Sachentscheidung. Dies sichert die Neutralität des Richters und die damit einhergehende Objektivität des Verfahrens vor dem Gericht. Die Grundlage einer richterlichen Entscheidung müssen ausschließlich die Verfassung und die Gesetze sein (Art. 178 Abs. 1 der Verfassung).
8. Der Grundsatz der Selbstverwaltung. Die Einwohnergesamtheit einer Einheit der örtlichen Grundeinteilung bildet Kraft des Rechtes eine Selbstverwaltungseinheit. "Zusammen mit der Festlegung auf die demokratische Staatsform in Art. 2 bedeutet die verfassungsrechtliche Installierung der Einwohnerschaft als Selbstverwaltungseinheit (Art. 16 Abs. 1), dass die örtliche Selbstverwaltung die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus bildet ('Demokratie von unten nach oben'). Die damit verbundene Entscheidung für eine gegliederte Demokratie sichert eine Pluralität von Entscheidungszentren und verhindert so einen 'geschlossenen Stromkreis der Macht'. Eine Folge davon ist, dass der örtlichen Selbstverwaltung auch eine freiheitssichernde Funktion zukommt"[5] .
9. Der Grundsatz der soziale Marktwirtschaft. Der Begriff der sozialen Marktwirtschaft wurde in die polnische Verfassung aus dem Konstitutionalismus der entwickelten demokratischen Staaten, insbesondere Deutschland einbezogen. Um nicht "das zweite Mal das Rad zu erfinden" stützt sich der Großteil der polnischen Autoren bei ihren Versuchen, diesen Begriff zu erklären, auf die Bezeichnungen, die in der deutschen Rechtslehre entwickelt wurden (z.B. L. Garlicki, Z. Witkowski). Andere achten bei den Versuchen, eine selbstständige Konstruktion zu bilden, vor allem darauf, dass die soziale Marktwirtschaft sich von Grund auf von der freien Marktwirtschaft unterscheidet. Nach T. Zielinski ist die soziale Marktwirtschaft eine solche "die nicht zu den reinen Geld/Güter Verbindungen zwischen den Menschen zählt, gesteuert durch die 'unsichtbare Hand des Marktes', dafür aber dem Austausch der sozialen Gerechtigkeit unterliegt, die ihrerseits der Grundstein der Politik jedes demokratischen Staates darstellt"[6].
Das Grundkriterium, nach dem man dieses Wirtschaftsmodell von den anderen unterscheiden kann, sollte der Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit sein. Der Staat verfügt anhand verschiedenen Instrumente (nicht nur des rechtlichen Charakters aber auch durch die Anwendung von Subventionen, Steuern usw.) die dessen Beachtung im Laufe der Wirtschaftlichenentwicklung sichern sollten und steuert endsprechend die wirtschaftlichen Vorgänge. Der Staat garantiert gleichzeitig, aber nur im Rahmen der Gesetzgebung, die Grundelemente der Marktwirtschaft. Dessen Katalog kann unterschiedlich bestimmt werden aber mit Sicherheit beinhaltet dieser das Minimum, zu deren gehören: das Privateigentum, die freie Wirtschaft, der freie Wettbewerb, die Preisgestaltung anhand der Marktmechanismen, der freie Arbeitsmarkt und die Arbeitsnehmerfrei-
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zügigkeit, die Freiheit des Kapitalsverkehrs und die Dienstleistungsfreiheit.
Aus dem Verfassungsgrundsatz selbst kann man weder ein konkretes Muster des Wirtschaftssystems noch andere detaillierte Lösungen (bezüglich z. B. des Models der Reprivatisierung) ableiten. Dem Gesetzgeber wurde diesbezüglich ein ziemlich großer Freiraum eingeräumt, der jedoch nicht grenzenlos ist. Die Einmischung des Staates in die wirtschaftlichen Rechte und Freiheiten sowie andere Marktelemente kann nicht so tiefgreifend sein, damit dessen Wesen verletzt werde. Falls dies geschehen würde, würde dies das Ende der Marktwirtschaft und der Übergang zu der volkseigenen, realsozialistischen Marktwirtschaft bedeuten. Dann müsste der Staat die wirtschaftlichen Angelegenheiten in die Hand nehmen (fechtend mit dem sozialen Interesse), dessen Folgen wir aus der Geschichte kennen.
10. Die Rechtsstaatlichkeit. Die polnische Verfassung bestimmt in Art. 2: "Die Republik Polen ist ein demokratischer Rechtsstaat, der die Grundsätze gesellschaftlicher Gerechtigkeit verwirklicht". Der Grundsatz des Rechtsstaates wird auch in der Rechtswissenschaft mit den Grundsätzen gesellschaftlicher Gerechtigkeit verbunden. Das Adverb "gesellschaftlich" vor dem Begriff "Gerechtigkeit" weist auf die Beziehung des Grundsatzes zu den Verhältnissen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen hin. Andererseits jedoch bezieht sich der Grundsatz auf das Verhältnis zwischen den Gruppen und dem Staat und nicht auf das Verhältnis zwischen dem Staat und dem Individuum. Deswegen geht es hier nicht um ein subjektives Gerechtigkeitsgefühl, sondern um Gerechtigkeit als gesellschaftliche Kategorie. In diesem Sinne beeinflusst der Grundsatz der gesellschaftlichen Gerechtigkeit den Inhalt der anderen Verfassungsnormen. Es ist notwendig, dass der Staat eine wirtschaftliche Politik betreibt, die mit den gesellschaftlichen Interessen übereinstimmt (und sich nicht auf die soziale Fürsorge der gesellschaftlich benachteiligten Gruppen beschränkt)
Der Eingriff des Staates in die Wirtschaft kann aber nicht den Umfang wie im Sozialismus annehmen. Der Grundsatz beeinflusst auch den Verfassungsinhalt bezüglich der Menschenrechte und Freiheiten und besonders das Verständnis des Begriffes des Gleichheitsgrundsatzes. Der Gleichheitsgrundsatz soll nicht in jeder Hinsicht als eine totale Gleichheit verstanden werden. Solche Tendenzen gab es im Sozialismus. Sie haben sich in einer Erweiterung der Gleichheit auf die gesellschaftliche und ökonomische Sphäre geäußert. Der Grundsatz diente als Begründung zur Erweiterung der sozialen Leistungen oder als eine Basis zur Gestaltung des Arbeitsvergütungssystems. Das hatte einen negativen Einfluss auf die Effizienz, Wirksamkeit der polnischen Wirtschaft.
Andererseits aber wirkt der Grundsatz der gesellschaftlichen Gerechtigkeit der formalen Verständigung der Gleichheit entgegen. Der VerfGH, der die Zusammenhänge zwischen dem Rechtsstaat und den Grundsätzen der gesellschaftlichen Gerechtigkeit beurteilt, meint, dass die zwei Grundsätze einander nicht gegenüber gestellt werden sollten. Sie sollten auch nicht als getrennte Verfassungsmuster behandelt werden. "Ein Staat ist nicht ein Rechtsstaat, wenn der nicht die Gerechtigkeitsideen realisiert, die zumindest als das Streben zur Wahrung des Gleichgewichts der gesellschaftlichen Verhältnisse, sowie der Zurückhaltung unberechtigter Schaffung von Privilegien für ausgewählte Staatsbürger-gruppen verstanden werden sollen."[7] Der VerfGH stellt den Sinn der Grundsätze der gesellschaftlichen Gerechtigkeit fest. Der VerfGH beachtet dabei nicht nur Art. 2 der Verfassung sondern bezieht sich auch auf die Erwähnung der Gerechtigkeitsidee in der Präambel und auf Art. 1 der polnischen Verfassung, der bestimmt, dass die Republik Polen ein "gemeinsames Gut aller Staatsbürger ist". In dem Sinn formuliert der VerfGH den Gerechtigkeitsgrundsatz als einen Faktor der zur Bestimmung des gemeinsamen Gutes (allgemeinen Interesses) führt.[8]
11. Der Grundsatz der Gewährleistung der Grundrechten. In Polen, wie in allen Verfassungsordnungen freiheitlich-demokratischen Staaten "die Grundrechte sind auch heute noch primär und vor allem als Abwehrrechte gegenüber dem Staat zu verstehen, durch die dem Einzelnen eine Freiheitssphäre vom Staat eingeräumt wird und die insgesamt ein System grundsätzlicher Trennung von Staat und Gesellschaft konstituieren. /.../ Dennoch erschöpft sich die Wirkung der Grundrechte nicht in der Realisierung des liberalen Prinzips" sie haben auch die Funktion, zur "Realisierung der Rechtsordnung zu veranlassen sowie als grundlegende Wertentscheidungen die gesamte Rechtsordnung zu prägen"[9]
Die im Art. 37 Abs. l und in anderen die Rechte des Individuums betreffenden Bestimmungen der Verfassung verwendeten Formulierungen lassen eindeutig erkennen, dass sie sich auf physische, bereits geborene Personen beziehen. Das war auch die Absicht der Väter der Verfassung, die den Antrag auf den Schutz des Lebens seit seiner Zeugung ablehnten.
Außerhalb dieser bewegte sich der Verfassungsgerichtshof, als er in seiner Entscheidung vom 28.5.1997 - unmittelbar vor einem Verfassungsreferendum - auf der Grundlage der damals immer noch gültigen Verfassungsnormen urteilte, dass sich aus dem Verfassungsgrundsatz eines Rechtsstaats die Notwendigkeit, den Schutz des menschlichen
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Lebens "in jeder Phase seiner Entwicklung"[10] zu garantieren, ergibt.
Es fehlt in der Verfassung eine Regelung, die es erlauben würde, den Umfang des Gegenstandes in der Verfassung formulierter Rechte und Freiheiten auf juristische Personen zu erweitern, wie dies im Art. 19 Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist. Damit kommt die polnische Verfassung keineswegs dem sich in vielen demokratischen Staaten abzeichnenden Trend entgegen, in dem zum Ausdruck gebracht wird, dass die Gestaltung des Umfanges der in der Verfassung enthaltenen Rechte und Freiheiten für juristische Personen nicht so sehr einer Verstärkung des Schutzes dieser Personen als vielmehr der Intensivierung des Schutzes der einzelnen Individuen dient. Dabei ist erwähnenswert, dass dort, wo eine solche Erweiterung eingetreten ist, sie jene Rechte nicht betrifft, die ihrem Wesen nach mit einer physischen Person verbunden sind, d.h. die Freiheit des Gewissens, das Recht auf Eheschließung u.a. Man soll hier hinzufügen, dass "umstritten ist, ob es eine Unterscheidung zwischen juristischen Personen des Privatrechts und solchen des öffentlichen Rechts gibt"[11].
Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes deutet darauf hin, dass grundsätzlich von der Grundrechtsberechtigung der juristischen Personen ausgegangen werden kann und sie die Verfassungsbeschwerden richten können. ■
NOTEN
* Der Vortrag wurde gehalten zum Anlass der Promotionszeremonie zum Dr. h.c. von Professor Boguslaw Banaszak am 4. November 2004 an der Juristischen Fakultät
[1] Näheres dazu B. Banaszak, Einführung in das polnische Verfassungsrecht, Wroc[3]aw 2003, S. 33-36.
[2] Rozmowy z Rzecznikiem Praw Obywatelskich: Konstytucyjne "klocki", (Gespräche mit dem Bürgerbeauftragten: "Verfassungsbausteine"), Rzeczpospolita - Prawo co dnia z 1.12.1992, S. 1.
[3] E. Zielinski, Die Prinzipien der politische Gesellschaftsordnung Polens, in: S. Sulowski, K.A. Wojtaszczyk, Das politische System Polens, Warszawa 2001, S. 12.
[4] E. Zielinski, Die Prinzipien...., S. 17.
[5] F.E.Schnapp, Die Garantie der örtlichen Selbstverwaltung in der polnischen Verfassung, Die öffentliche Verwaltung 17, 2001, S. 724.
[6] T. Zielinski, Ustrój spoleczny w przyszlej Konstytucji RP (Gesellschaftliche Verfassung in dem künftigen Grundgesetz der Republik Polen), Ruch Prawniczy, Ekonomiczny i Socjologiczny 2/1998, S. 82.
[7] OTK ZU Nr. 3/2000, S. 411
[8] Ibidem, S. 411
[9] K. Korinek, B. Gutknecht, Der Grundrechtsschutz, in: H. Schambeck (Hrsg.), Das österreichische Bundesverfassungsgesetz und seine Entwicklung, Wien 1980, S. 316-317.
[10] OTK ZU 2/1997, S. 119.
[11] T. Diemer-Benedict, Die Grundrechte in der neuen polnischen Verfssung, Zeitschrift für ausländisches öffentlichen Recht und Völkerrecht, Bd 58, S. 213.
Lábjegyzetek:
[1] Der Autor kommt aus Wroclaw.
Visszaugrás