Der vorliegende Aufsatz soll die Leser zum einen darüber informieren, wie die deutsche Strafrechtspraxis und -dogmatik das Problem der vorsätzlichen oder fahrlässigen Mitwirkung an der freiverantwortlichen Selbsttötung ("Selbstmord" bzw. "Suizid") behandelt. Zum anderen mag dieser Beitrag dazu anregen, die aufgeworfenen Fragen rechtsvergleichend anhand des ungarischen Strafgesetzbuches zu untersuchen.
Nach § 212 dStGB macht sich wegen Totschlags strafbar, wer vorsätzlich einen anderen Menschen tötet. Die fahrlässige Tötung eines Menschen ist in § 222 dStGB mit Strafe bedroht. Die Tötungsdelikte setzen, wenn auch dem Wortlaut nach nicht explizit, so doch nach einhelliger Auffassung von Rechtsprechung und Literatur, die Tötung eines anderen Menschen voraus.[1] Selbsttötung ist nicht strafbar. Es gehört daher zu den gesicherten Erkenntnissen der Straf-rechtsdogmatik, dass sich weder der überlebende Selbstmörder noch etwaige Teilnehmer (Anstifter, Gehilfen) am Selbstmordakt eines Tötungsdelikts schuldig machen. Als ebenso gesichert kann die Feststellung gelten, dass die fahrlässige (sorgfaltswidrige) Suizidverursachung keine strafbare Handlung gem. § 222 dStGB darstellt, wenn sich das gleiche Verhalten bei vorsätzlicher Begehung als bloße Teilnahme am Selbstmord darstellen würde.[2] Das höchste deutsche Strafgericht - der Bundesgerichtshof (BGH) - formuliert wie folgt: "Wer fahrlässig den Tod eines Selbstmörders verursacht, ist nicht strafbar".[3] Es sprach daher einen Polizeibeamten vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei, der seine Dienstwaffe ungesichert im Handschuhfach seines Wagens liegen gelassen und es dadurch seiner Freundin ermöglicht hatte, sich mit der Dienstwaffe selbst zu erschießen. Richtigerweise wird in Fällen dieser Art die objektive Zurechenbarkeit des Tötungserfolges abgelehnt, da dieser Ausdruck einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung des Opfers ist.[4] Da die Tötungsdelikte darauf abzielen, den Rechtsgutsinhaber vor Fremdeingriffen zu bewahren, muss die Schutzbereichsgrenze dieser Strafnormen dort gezogen werden, wo der eigene Verantwortungsbereich des Rechtsgutsinhabers beginnt.[5] Inzwischen haben sich diese dogmatischen Einsichten auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung durchgesetzt, was etwa in dem folgenden Leitsatz des BGH zum Ausdruck kommt: "Eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdungen unterfallen nicht dem Tatbestand eines Tötungsdelikts, wenn das mit der Gefährdung bewusst eingegangene Risiko sich realisiert. Wer lediglich eine solche Selbstgefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines Tötungsdelikts strafbar".[6]
Auch die Abgrenzung zwischen Tötung auf Verlangen, die nach der Wertung des § 216 dStGB eine strafbare Fremdtötung darstellt, und strafloser Mitwirkung am Selbstmord lässt sich auf dem Boden des in Rechtsprechung und Lehre entwickelten dogmatischen Fundaments jedenfalls in denjenigen Fällen überzeugend treffen, in denen die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen eindeutig ist. Wenn zum Beispiel der lebensmüde A den Giftbecher austrinkt, den B ihm auf sein Verlangen besorgt hat, so beherrscht er (A) allein das zum Tode führende Geschehen. Er tötet sich mithin selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. B ist mangels Tatherrschaft nicht gem. § 212 dStGB oder § 216 dStGB strafbar.[7] Ebenso wenig ist der Apotheker, der dem B das später von A eingenommene Gift bedenkenlos verkauft hat, strafbar gem. § 222 dStGB. Wenn B indes den A auf dessen ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen hin erwürgt, so liegt in Anbetracht seiner Handlungsherrschaft eindeutig eine zwar einvernehmliche, aber gem. § 216 dStGB strafbare Fremdtötung vor.[8] Schwierigkeiten bereiten dagegen nach wie vor die Fälle, in denen alle Tatbeteiligte einschließlich des Selbstmörders das zum Tode führende Geschehen täterschaftlich mitbeherrschen, wie in den folgenden Beispielen:
Fall 1: Die Lebensmüden A und F wollten gemeinsam aus dem Leben scheiden, indem sie bei laufendem Motor giftige Abgase in den Kraftwagen leiteten. Beide saßen im Wagen, wobei A das Gaspedal drückte, bis er die Besinnung verlor. F starb infolge einer Kohlenmonoxydvergiftung, während A überlebte.[9]
In diesem Fall des sog. "einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes" lässt sich argumentieren, der das Gaspedal drückende A habe täterschaftlich den Tod seiner lebensmüden Freundin F herbeigeführt. Also habe er sich - so die Auffassung des BGH - gem. § 216 dStGB strafbar gemacht. Genauso gut
- 57/58 -
kann man aber auch argumentieren, dass F jederzeit aussteigen und sich der Wirkung des Gases hätte entziehen können, sich jedoch durch Einatmen des einströmenden Gases selbst getötet habe. Folglich läge ein Fall der straflosen Beihilfe zum Selbstmord vor.[10] Falls man A und B aufgrund ihrer auf einem gemeinsamen Tatentschluss beruhenden arbeitsteiligen Vorgehensweise als (Quasi-)Mittäter einstuft[11], stellt sich die in der Literatur kontrovers diskutierte Frage, ob die Mitherrschaft des Selbstmörders es ausschließt, das Geschehen als Fremdtötung zu werten.[12]
Fall 2: B will seinen Selbstmord aus Versicherungsgründen als Arbeitsunfall tarnen. Mit Geld gewinnt er seinen Arbeitskollegen A für den Plan einer Tötung im Hof ihrer Speditionsfirma. Zur verabredeten Zeit fährt A mit einem LKW auf ein Zeichen des B langsam los. B wirft sich - scheinbar stolpernd - unter die Räder, wobei er getötet wird.[13]
Bei äußerer Betrachtung führen Selbstmörder B und sein Kollege A den Tod des B quasi-mittäter-schaftlich herbei. Auch in diesem Fall stellt sich das Problem, zu entscheiden, ob der Todeserfolg lediglich Ausdruck einer eigenverantwortlichen Selbstschädigung des B oder einer gem. § 216 StGB strafbaren Fremdschädigung durch A ist. Eine Fremdtötungstäterschaft und damit Strafbarkeit des A wird von einigen Autoren bejaht[14], von anderen verneint[15].
Die beiden Fälle führen uns vor Augen, dass sich mit Hilfe einer bloßen Betrachtung der Tatherrschaft keine eindeutigen Wertungen treffen lassen, wenn die Tatbeteiligten im kritischen Moment der Todesherbeiführung arbeitsteilig und damit "quasi-mittäterschaftlich" zusammenwirken. Denn der Selbstmörder fungiert im Hinblick auf seine Mitherrschaft über das zum Tode führende Geschehen zugleich als "Opfer" und als "(Mit-)Täter". Vor das gleiche Problem sieht sich der Rechtsanwender gestellt, wenn der Tatbeitrag des Selbstmörders äußerlich betrachtet eine Selbsttötung in quasi-mittelbarer Täterschaft darstellt (vgl. Fälle 3 und 4):
Nach § 25 I, 2. Alt. dStGB wird als mittelbarer Täter bestraft, wer die Straftat durch einen anderen (sog. "menschliches Werkzeug") begeht. Unter "quasi-mittelbarer" Täterschaft versteht man eine Fallkonstellation, in welcher der Täter sich selbst mit Hilfe eines unvorsätzlich handelnden "menschlichen Werkzeugs" tötet (vgl. hierzu die Fälle 3 und 4). Fall 3: Krankenschwester K ist gerade im Begriff, dem Patienten P ein Medikament zu spritzen. In diesem Moment klopft es an der Tür und K wird zu einem Gespräch herausgerufen. P gelingt es, die kurze Abwesenheit der K auszunutzen und ein tödlich wirkendes farbloses Gift in die für ihn bestimmte Spritze einzuführen. Wie von P erhofft, injiziert ihm die ahnungslose K kurze Zeit später das tödliche Gift.
In diesem Fall hat P seinen Tod nicht eigenhändig herbeigeführt. P bediente sich zur Begehung eines Selbstmordes - bildlich gesprochen - der Hände eines "menschlichen Werkzeugs". Für die Frage, ob K für den von ihr mitverursachten Tod des P gem. § 222 dStGB haftet, kann die eigenhändige oder nichteigenhändige Vornahme des Selbsttötungsaktes durch P wegen der rechtlichen Gleichwertigkeit von unmittelbarer und mittelbarer Täterschaft aber keine ausschlaggebende Rolle spielen. Genau diese rechtlich komplizierte Konstellation liegt dem merkwürdig anmutenden Sachverhalt des nachfolgend geschilderten Falles aus der Justizpraxis[16] zugrunde.
Fall 4: Im Rahmen eines Streits unter Eheleuten forderte Ehemann E seine Ehefrau - die spätere Angeklagte A - auf, die unter einem Kissen verborgene Pistole an sich zu nehmen und auf ihn zu schießen. Dabei fielen Äußerungen wie "Könntest Du Dir vorstellen, dass Du mich erschießt?", "Du hast das große Glück, das jetzt zu tun.", "Habe keine Angst, da gibt es keine Patronen.", aber auch "Wieso wirfst Du die Pistole, es hätte sich ein Schuss lösen können?". Im weiteren Verlauf verlangte E von A, auf seine Stirn oder Schläfe zu zielen. Mit Hilfe des E überzeugte sich A davon, dass keine Patrone im Magazin ist. In dem Glauben, die Pistole sei ungeladen, drückte die waffenunkundige A schließlich ab. Da sich eine Patrone im Lauf befand, wurde E durch den Schuss getötet.
Die Staatsanwaltschaft klagte A wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 dStGB) an. Mit Beschluss vom 17.6.2002 lehnte die Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Eröffnung des Hauptverfahrens aus Rechtsgründen ab. Das Gericht stellte sich mit folgender Begründung auf den Standpunkt, dass der Tatbestand der fahrlässigen Tötung nicht erfüllt sei: "Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass sich der Ehemann der A selbst töten und seine Frau als Werkzeug nutzen wollte. Das Verhalten der A stellte sich danach als unbewusste Förderung einer von ihrem Ehemann eigenverantwortlich gewollten und verwirklichen Selbsttötung dar. Wer eine solche Selbstgefährdung bzw. Selbsttötung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen Körperverletzungsoder Tötungsdelikten strafbar."
Gegen diesen Nichteröffnungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth legte die Staatsan-
- 58/59 -
waltschaft sofortige Beschwerde ein. Das Verhalten der A sei nicht als bloße Förderung des Verhaltens des E zu werten, sondern als eigenverantwortliches Verhalten der A. Der Sache nach handele es sich um einen Fall der Tötung auf Verlangen und nicht um eine straflose Beihilfe zur Selbsttötung. Das OLG Nürnberg[17] hob den Nichteröffnungsbeschluss der Strafkammer auf. Der Senat führte aus, dass es sich bei dem Verhalten der A, hätte sie von der Patrone im Lauf gewusst und dennoch abgedrückt, um eine gem. § 216 dStGB strafbare Tötung auf Verlangen und nicht um eine straflose Beihilfe zum Selbstmord gehandelt hätte. Entscheidender Gesichtspunkt zur Abgrenzung von Tötung auf Verlangen zu Selbstmord sei, ob der Getötete den letzten für den tödlichen Ausgang maßgeblichen Handlungsschritt selbst vornehme oder diesen einem anderen überlasse. Im vorliegenden Fall habe E die irreversible Handlung der A überlassen und darauf gewartet, dass sie entsprechend seinem Wunsch abdrücke. A hätte aufgrund des mehrdeutigen Verhaltens des E kurz vor der Tat damit rechnen müssen, dass die Waffe in Wirklichkeit doch geladen war. Dessen Äußerungen und Anspielungen über die Gefährlichkeit der Pistole hatten ständig gewechselt. Das Vorzeigen des Magazins konnte ein geschicktes Täuschungsmanöver sein - und sei es schließlich auch gewesen. Unter solchen Umständen sei es in hohem Maße fahrlässig, etwas zu tun, was selbst mit Schusswaffen vertraute Personen in keinem Fall machen sollten, nämlich auf einen anderen eine Waffe zu richten und abzudrük-ken, auch wenn sie für ungeladen gehalten wird. Der Senat wies das Verfahren einer anderen Kammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zu.
Die 7. Strafkammer des Landgerichts NürnbergFürth verurteilte A am 13.3.2003 wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 dStGB) zu einer Bewährungsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten. Nach Auffassung der Kammer sei A weder Gehilfin noch willenloses Werkzeug des E gewesen. Vielmehr habe ihr die freie Entscheidung oblegen, ob sie den Abzug der Pistole betätigte oder nicht. Sie habe das Geschehen in der Hand gehabt und aus eigenem Entschluss abgedrückt. Den Pflichtenverstoß im Rahmen der fahrlässigen Tötung erblickte die Kammer darin, dass A - ohne die geringste Ahnung von Waffen zu haben - die Pistole dem E an die Schläfe gehalten und abgedrückt habe. Sie habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass nach Herausnehmen des Magazins keine Gefahr mehr von der Waffe ausgehe, zumal E sich in den vorhergehenden Stunden höchst seltsam verhalten und sie die Situation als höchst bedrohlich empfunden hatte. A hätte sich vielmehr durch einen Schuss in die Luft oder den Boden unschwer von der Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der Waffe
überzeugen können.
Es fällt auf, dass alle mit dem Fall befassten Gerichte ihre rechtliche Würdigung jeweils auf der Grundlage einer reinen Tatherrschaftsbetrachtung getroffen haben. Auf diese Weise wurden zwar jeweils in sich schlüssig begründete, jedoch völlig unterschiedliche Lösungen erzielt. Einerseits kann nicht in Abrede gestellt werden, dass die den Schuss abgebende A den Tod des E täterschaftlich verursacht hat. Andererseits hat E das zu seinem Tode führende Geschehen nach Art eines mittelbaren Täters initiiert und kraft seiner Irrtumsherrschaft gesteuert. In Fall 4 besaß E gegenüber der unmittelbar handelnden A einen Informationsvorsprung. Nur E wusste, dass sich in der Pistole, welche die insoweit ahnungslose A in den Händen hielt, ein Projektil befand. A ließ sich zwar auf eine reichlich geschmacklose Szenerie ein, wollte jedoch nach unwiderlegt gebliebener Einlassung den Tod des E nicht herbeiführen. Sie handelte mithin als "verlängerter Arm" des E bei der Realisierung seines Selbsttötungsplans.
Da der Tod des E somit von beiden Akteuren tatherrschaftlich verursacht wurde - wobei die Täterschaft der A auf ihrer Handlungsherrschaft, die des E auf seiner Herrschaft kraft überlegenen Wissens gründet - lässt sich anhand von Tatherrschaftskriterien keine eindeutige strafrechtliche Verantwortung zuschreiben. Fallkonstellationen, in denen die Güterschädigung durch das Verhalten des Geschädigten mitverursacht worden ist, werfen stets die Wertungsfrage auf, in wessen strafrechtlichen Verantwortungsbereich der Schadenseintritt letztlich fällt. Zielführend erscheint es daher, die Abgrenzungsfrage als Problem der objektiven Zurechnung zu begreifen. Auszugehen ist mithin von der allgemein anerkannten Grundformel der Zurechnungslehre, welche lautet, dass ein Erfolg dem Erfolgsverursacher nur dann als " sein Werk" zugerechnet werden kann, wenn er eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.[18] Daran fehlt es, wenn das konkret erfolgverursachende Geschehen nicht im Schutzbereich der übertretenen Verhaltensnorm liegt. Zur Verdeutlichung mag das klassische Beispiel des Jägers J angeführt werden, der sein geladenes Gewehr an die Garderobe des Wirtshauses hängt und miterleben muss, wie ein anderer Gast sich der Waffe bemächtigt und mit ihr vorsätzlich einen Dritten erschießt. Die herrschende Lehre bejaht hier zu Recht eine Strafbarkeit des J wegen fahrlässiger Tötung (§ 222 dStGB),
- 59/60 -
da die von J verletzte Sorgfaltspflicht, sein Gewehr so zu verwahren, dass es nicht in unbefugte Hände gelangt, gerade dazu dient, Ereignisse wie das konkret erfolgverursachende Geschehen zu vermeiden.[19] Stets ist danach zu fragen, ob sich im Hinblick auf die von dem Dritten vermittelte Güterschädigung eine spezifische Vermeidepflicht des Mitverursachers begründen lässt.[20] Dieselbe Frage stellt sich auch in den strukturgleichen Fällen, in denen die Güterschädigung durch das Opfer selbst vermittelt wurde - was wiederum zu Fall 4 zurückführt.
Das Unrecht der fahrlässigen Tötung (§ 222 dStGB) erschöpft sich nicht in der bloßen Verursachung des Todes eines anderen. Eine Strafbarkeit der A kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn sich der Tod des E als ein ihr (A) zurechenbares Werk werten lässt. Da die zu erörternden Zurechnungsaspekte eng mit der verletzten Sorgaltsnorm zusammenhängen, muss zunächst herausgearbeitet werden, welches Sorgfaltsgebot die A verletzt hat. Mit einer ungeladenen Pistole auf einen Menschen zu zielen, mag ein "schlechter Scherz" oder ein "geschmackloses Spiel" sein. Solange diese Handlung aber äußerlich völlig ungefährlich bleibt, unterliegt sie keinem Verbot. Verboten ist es freilich, mit einer geladenen Waffe auf einen Menschen zu schießen. Folglich lautete das von A einzufordernde sorgfaltspflichtgemäße Verhalten, dass sie sich vor dem "spielerischen" Verwenden der Pistole zunächst absolute Gewissheit über deren Ungefährlichkeit verschafft. Im Hinblick auf die von Waffen für Leib oder Leben Dritter ausgehenden Gefahren sind an die gehörige Erfüllung der Untersuchungspflicht sehr strenge Anforderungen zu stellen. Solange diese Untersuchungspflicht nicht hinreichend erfüllt ist, besteht ein striktes Verwendungsverbot. Nach den getroffenen Feststellungen war A waffenunkundig und daher gar nicht in der Lage, sich selbst absolute Gewissheit über die Ungefährlichkeit der Pistole zu verschaffen. Auf die Angaben des E durfte sie sich unter den gegebenen Umständen nicht verlassen. Da es A somit nach Lage der Dinge überhaupt nicht möglich war, durch eine eigene Untersuchung auszuschließen, dass sich doch eine Patrone im Lauf befindet, durfte sie die Pistole überhaupt nicht verwenden. Indem A dennoch auf E zielte und abdrückte, verstieß sie gegen das Verwendungsverbot und handelte insoweit fahrlässig.
Der Zusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg ist gegeben, da der Tod des E nicht eingetreten wäre, wenn A das unter den gegebenen Umständen für sie bestehende Waffenverwendungsverbot beachtet hätte. Fraglich erscheint jedoch, ob der Schutzzweckzusammenhang bejaht werden kann. Der Tod des E kann der fahrlässig handelnden A nur dann zugerechnet werden, wenn das konkret erfolgverursachende Geschehen im Schutzbereich der übertretenen Verhaltensnorm liegt.[21] Zweifellos bezweckt das von A übertretene Waffenverwendungsverbot den Schutz von Leib und Leben Dritter, die sich in der Gefahrenzone befinden. Der Schutzzweckzusammenhang ist mithin grundsätzlich zu bejahen, wenn A mit der vermeintlich ungeladenen Pistole spielt, sich dabei ein Schuss löst und eine anwesende Person hierdurch getötet wird. Die Besonderheit des Ausgangsfalles liegt aber darin, dass die unvorsätzlich handelnde A von dem mit überlegenem Gefahrwissen ausgestatteten E zur Abgabe eines auf ihn gerichteten Schusses verleitet wurde. Insoweit ist nach hier vertretener Auffassung der Schutzzweckzusammenhang nicht zu bejahen. Denn das von A übertretene Waffenverwendungsverbot dient nicht dem Schutz Dritter vor sich selbst. Man könnte zugespitzt auch formulieren: A trifft keine Sorgfaltspflicht des Inhalts, zu verhindern, von E als Werkzeug zu dessen Selbsttötung missbraucht zu werden. Durch den von A auf E unvorsätzlich abgegebenen Schuss wurde zwar die Gefahr geschaffen, dass ein unbeteiligter Dritter geschädigt wird. Im Tod des E hat sich aber diese Gefahr gerade nicht realisiert. Das Eigenverantwortlichkeitsprinzip begrenzt mithin den durch den Schutzzweck des Waffenverwendungsverbots abgesteckten strafrechtlichen Verantwortungsbereich der A.[22] Fall 4 ist daher nicht anders zu beurteilen, als wenn A ihre geladene Schusswaffe unsorgfältig verwahrt und E - diesen Umstand ausnutzend - sich mit der Waffe vorsätzlich selbst getötet hätte.[23] Denn die soeben angestellten zurechnungsbegrenzenden Schutzzwecküberlegungen finden unabhängig davon Anwendung, ob der Selbstmörder die Selbsttötungshandlung eigenhändig (unmittelbar) oder durch Einschaltung eines von ihm beherrschten menschlichen Werkzeugs (mittelbar) vornimmt.
In Fall 4 wäre A nach hier vertretener Auffassung mangels objektiver Zurechenbarkeit des Todeserfolges vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freizusprechen gewesen. Entsprechendes gilt für die Strafbarkeit der K in Fall 3. Das zur Lösung des Ausgangsfalles herangezogene Zurechnungskriterium lässt sich auch für die Fallgruppe der mittäterschaftsähnlichen Herbeiführung eines Suizids fruchtbar machen. Der vom Opfer gewollte und eingetretene Tod stellt sich nämlich nicht nur dann als Ausdruck einer von diesem eigenverantwortlich herbeigeführten Selbsttötung dar, wenn das Opfer das zum Erfolg führende Geschehen als quasi-mit-telbarer Täter beherrscht, sondern auch dann, wenn es als Quasi-Mittäter seinen eigenen Tod herbeiführt. Denn in beiden Konstellationen beherrscht das Op-
- 60/61 -
fer das zum Tode führende Geschehen mindestens in dem gleichen Maße wie der Täter.[24] In den oben geschilderten Konstellationen des einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmordes (Fall 1) sowie des vorgetäuschten Arbeitsunfalls (Fall 2) ist daher eine strafbare Fremdtötung abzulehnen. Ganz auf der hier vertretenen Linie liegt auch die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) aus dem Jahre 1989, in der ein HiV-Virusträger, der mit einer voll informierten Partnerin ungeschützten Geschlechtsverkehr ausübte, vom Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung freigesprochen wurde.[25] Dem BayObLG ist zuzustimmen, wenn es ausführt, dass die Selbstgefährdung dem Verantwortungsbereich des aufgeklärten Opfers zuzurechnen ist, obwohl der am riskanten Geschehen Beteiligte Mitträger der Tatherrschaft ist. Das Kriterium der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung stellt bei der vorsätzlichen oder fahrlässigen Förderung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ein begrenzendes Element strafrechtlicher Zurechnung dar.
Die hier vertretene These steht nicht in Widerspruch zu dem vom BGH entschiedenen Fall der Sterbehilfe durch einen vorsatzlos handelnden Täter. In seinem Urteil vom 20.5.2003[26] (Fall 5) hatte der BGH einen bizarren Fall zu entscheiden, der die Fantasie jedes Lehrbuchautors bei weitem übertrifft.
Fall 5: Einem hochintelligenten, schwerstbehinderten jungen Mann (S), der aufgrund einer stark ausgeprägten Muskeldystrophie nur noch einige Finger sowie Mund und Zunge bewegen konnte, gelang es, den ihm zugeteilten Pfleger (Z) dazu zu veranlassen, ihn zum angeblichen Zweck der sexuellen Erregung zu knebeln, in einen Müllsack zu verpacken und in einen Container zu legen. Z kam den Wünschen des S nach, ohne dessen suizidale Motive zu erkennen. S verstarb aufgrund seiner durch den Knebel nochmals erheblich reduzierten Atmungsfähigkeit und der eisigen Kälte innerhalb des Containers.
Zu Recht wertete der BGH das Geschehen nicht lediglich als straflose Teilnahme des Z an einer eigenverantwortlichen Selbsttötung des S und hob den von der Vorinstanz gefällten Freispruch auf. Zwar weist der Sachverhalt auf den ersten Blick einige Parallelen zu Fall 4 auf. Jedoch gelangt in Fall 5 das Eigenverantwortlichkeitsprinzip schon deshalb nicht zur Anwendung, weil allein Z die Tatherrschaft über das zum Tode des S führende Geschehen ausübte und S sich lediglich den Wirkungen der Tathandlung aussetzte. Spätestens im Moment seiner Knebelung verlor S die Herrschaft über das für ihn tödlich endende Geschehen. Demgegenüber hatte in Fall 4 das gegenüber der Täterin (A) mit überlegenem
Wissen ausgestattete Opfer (E) bis zum Moment der Schussabgabe ("point of no return") jederzeit die Möglichkeit, das Geschehen aufzuhalten.
(1) Mit kausalitätsorientierten Tatherrschaftskriterien, die nach den Verursachungsbeiträgen der Beteiligten fragen, lässt sich eine eindeutige Abgrenzung zwischen strafbarer Fremdtötung und strafloser Teilnahme am Selbstmord nicht leisten, wenn alle am Tatgeschehen Beteiligten einschließlich des Selbstmörders dessen Tod tatherrschaftlich herbeiführen.
(2) Die in Fallkonstellationen dieser Art aufgeworfene Abgrenzungsfrage ist deshalb als Problem der objektiven Zurechnung zu begreifen. Die Schutzbereichsgrenze der Tötungsdelikte muss dort gezogen werden, wo der eigene Verantwortungsbereich des Rechtsgutsinhabers beginnt. Danach ergibt sich, dass derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig an dem vom Selbstmörder gleichermaßen mitbeherrschten Tötungsgeschehen mitwirkt, aufgrund des Eigenverantwortlichkeitsprinzips für den Tod des Selbstmörders strafrechtlich nicht haftet (vgl. Fälle 1-4).
(3) Da die Tötungsdelikte darauf abzielen, den Rechtsgutsinhaber vor Fremdeingriffen zu bewahren, besteht kein Raum für die Anwendung des Eigenverantwortlichkeitsprinzips, wenn das sterbewillige Opfer seine Tötung zwar mittels Täuschung eines anderen initiiert, diesem jedoch die alleinige Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen überlässt (vgl. Fall 5). Das Gesetz wertet diesen Fall nicht als Selbsttötung, sondern als einvernehmliche Fremdtötung, die bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen gem. §§ 212, 216 dStGB bzw. § 222 dStGB strafbar ist. ■
NOTEN
[1] Zu der noch vereinzelt vertretenen Gegenauffassung vgl. Schmidhäuser, Strafrecht BT, 2. Aufl., 1983, 2/9; die überzeugenden Argumente der h. M. werden zusammen-gefasst von Herzberg, JA 1985, 131, 132 f.
[2] Vgl. hierzu nur Herzberg JA 1985, 131, 135.
[3] BGHSt 24, 342.
[4] Gropp, AT, 3. Aufl. 2005, § 5 Rn. 48 f.; Wessels/Beulke, AT, 36. Aufl. 2006, Rn. 185 ff.
[5] Vgl. hierzu OLG Zweibrücken, NStZ 1995, 89, 90; Roxin, NStZ 1984, 411, 412; Wessels/Beulke (Fn. 4), Rn. 186; Lackner/ Kühl, Kommentar zum StGB, 25. Aufl. 2004, vor § 211 Rn. 12.
[6] BGHSt 32, 262; vgl. auch BGH NStZ 2001, 205; BGH NStZ 1985, 25; BayObLG NJW 1996, 3426; BayObLG NJW 1990, 131.
[7] Auf mögliche Unterlassungsprobleme soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden; vgl. hierzu BGH NStZ 1984, 452; Schneider, in: Münchner Kommentar zum StGB, 2003, § 216 Rn. 61.
[8] BGH MDR/D 1966, 382; MüKo-StGB/Schneider (Fn. 7), § 216 Rn. 28.
- 61/62 -
[9] BGHSt 19, 135.
[10] Vgl. nur Wessels/Hettinger, Strafrecht BT/1, 30. Aufl., 2006, Rn. 164; Herzberg, NStZ 2004, 1, 6.
[11] Eser, in: Schönke/Schröder, 27. Aufl., 2006, § 216 Rn. 11; Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 7. Aufl. 2000, S. 571.
[12] So Roxin, (Fn. 11), S. 568 ff.; a. A. Herzberg, JA 1985, 131, 137; ders., NStZ 2004, 1, 3, 7 f.; MüKo-StGB/Schneider (Fn. 7), § 216 Rn. 48.
[13] Fallkonstruktion von Herzberg, JA 1985, 131, 137.
[14] Herzberg, JA 1985, 131, 137; ders., NStZ 2004, 1, 7; Kutzer, NStZ 1994, 110, 112; MüKo-StGB/Schneider (Fn. 7), § 216 Rn. 48.
[15] Dölling, JR 1990, 474, 475; Hecker/Witteck, JuS 2005,
397 ff.
[16] OLG Nürnberg NJW 2003, 454.
[17] OLG Nürnberg NJW 2003, 454 ff.
[18] Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 28 IV.; MüKo-StGB/Freund (Fn. 7), Vor §§ 13 ff. Rn. 368; Wessels/Beulke, AT (Fn. 4), Rn. 179; Geppert, Jura 2001, S. 490, 491.
[19] MüKoStGB/Freund (Fn. 7), Vor §§ 13 ff. Rn. 377.
[20] OLG Naumburg NStZ-RR 1996, 229, 231; MüKo-StGB / Freund (Fn. 7), Vor §§ 13 ff. Rn. 380, 383; Puppe, Strafrecht AT I, 2002, § 6 Rn. 29; Geppert, Jura 2001, S. 490, 991.
[21] Vgl. dazu BGHSt 33, 61, 65; Lenckner, in: Schönke/ Schröder (Fn. 11), Vor § 13 Rn. 95 f.
[22] Hecker/Witteck, JuS 2005, 397 ff.
[23] BGHSt 24, 342.
[24] Zutreffend Hellmann, in Festschrift für Roxin, 2001, S. 271, 282 ff.
[25] BayObLG JR 1990, 473, 474 m. zust. Anm. v. Dölling, JR 1990, 474 ff.
[26] BGH, NStZ 2003, 537 ff.
Lábjegyzetek:
[1] Der Autor ist von der Universität Gießen.
Visszaugrás