Die internationale Vergleichsanalyse der Rechtsprechung bestätigt die erhebliche Konvergenz der letzten Jahrzehnte. Man kann über eine auffallende Manifestation bei den sich annähernden Rechtssystemen der westlichen Zivilisation reden, die vor allem dem Demokratisierungsprozess der zu dem ehemaligen Sowjetblock angehörenden Länder bzw. - neben der europäischen politischen Integration - den verschiedenen internationalen Übereinkommen zu verdanken ist. Die zahlreichen internationalen Übereinkommen, die die Grundsätze der Rechtsprechung ebenfalls berühren oder sich ausdrücklich auf sie beziehen, lassen auf den ersten Blick vermuten, dass die Verschiedenheiten auf grundsätzlicher Ebene lediglich als exzeptionelle Erscheinung zu betrachten sind. Diese Vermutung mag tatsächlich richtig sein, wenn sich unsere Analyse lediglich auf die positiven Regeln konzentriert und sich nicht weiter auf den Vergleich der internationalen Übereinkommen, der einzelnen Verfassungen und der sich auf die Rechtsprechung beziehenden Rechtssätze erstreckt. Die positivistische Ansicht würde jedoch, in Kenntnis der heute herrschenden theoretischen Tendenzen der Rechtsvergleichung, diejenigen, die sich mit den konstitutionellen Problemen der Rechtsprechung bekannt machen möchten, auf den falschen Weg führen.[1] Genauer gesagt, es würde lediglich für die Darstellung reichen, was sich für - oft äußerst weit und weniger entfaltete - Begriffe an die verschiedenen Rechtsprechungssysteme knüpfen, während die Verwirklichung der mit diesen Begriffen bezeichneten Erfordernisse im Schatten bleiben würde.[2] Der Begriff des unabhängigen und unparteiischen Gerichtes ist in fast allen Verfassungen und in allen sich auf die Rechtsprechung beziehenden internationalen Abkommen als überflüssig
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zu empfinden, wenn - wie zu zeigen sein wird - die mit diesen Begriffen bezeichneten Erfordernisse in den verschiedenen Rechtssystemen völlig andere Bedeutungen haben. Unserer Ansicht nach ist beim Vergleich der Rechtsprechungssysteme und der konstitutionellen Grundsätze trotz der oben beschriebenen Konvergenz weiterhin eine Grenze zwischen Ländern des common law und der den römisch-germanischen Rechtsfamilien angehörenden Länder eine Grenze zu ziehen. So eine Grenze ist zwischen diesen zwei bestimmenden Rechtsfamilien (d.h. die westlichen Rechtseinrichtungstypen) und den darin nicht oder nur schwer einfügbaren Rechtssystemen. Die umfassende Analyse dieser letzterwähnten Rechtssysteme - die unter dem Gesichtspunkt der Klassifikation den Klassikern der Rechtsvergleichung viel Kopfzerbrechen gemacht haben[3] - würde den Umfang dieser Untersuchung überschreiten. Ein ebenso unmögliches Unternehmen wäre es, die Lage jedes Mitglieds des common law und der römisch-germanischen Rechtsfamilien unter die Lupe zu nehmen. Genau deshalb werden wir versuchen mit der sog. Muster gebenden Methode, welche unumgänglich immer eine umstrittene Selektionsmethode der Rechtsvergleichung ist, oder mit der Hilfe der Vergleichung der Rechtssysteme, die eine besondere Wirkung auslösen, mit solchen Rechtssystemen, deren einzelne einzigartige Rechtseinrichtungen bisweilen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, ein Bild über die Rechtsprechung zu geben. Unter den angloamerikanischen Rechtssystemen widmen wir der Lage der Vereinigten Staaten besondere Aufmerksamkeit, die im letzten Jahrhundert nicht nur innerhalb der gegebenen Rechtsfamilie paradigmatisch geworden ist, sondern deren überragende Wirkung auf die römisch-germanischen Rechtssysteme auch nicht zu verleugnen ist. Es ist auch nicht zu vergessen, dass, obwohl wir die grundlegenden Unterschiede zwischen den Rechtsfamilien als äußerst wichtig betrachten, heutzutage die Rolle der die Rechtsfamilien zusammenbindenden internationalen Rechtsprechungseinrichtungen nicht übergangen werden kann. Der Europäische Gerichtshof und das Europäische Gericht für Menschenrechte fassen die das Abkommen unterzeichnenden Rechtssysteme des common law und die römisch-germanischen Rechtssysteme sehenswert zusammen.[4] Daher ist die fachliche Diskussion bezüglich der sog. "gemischten Rechtssysteme" in den Mitgliedsländern der Europäischen Union eine immer aktuellere Frage geworden.[5] Das Europäische Gericht für Menschenrechte hat auch eine besondere Bedeutung, da auf diesem in der Ausbildung der grundlegendsten europäischen Standards bezüglich der Rechtsprechung und bei der Harmonisierung der konstitutionellen Grundsätze eine sehr wichtige Rolle zukommt.[6]
Im Folgenden werden wir uns unter den die Struktur und Funktion der Rechtsprechung betreffenden Grundsätze um diejenigen Vergleichsanalysen bemühen, die die
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wissenschaftliche und politische öffentliche Meinung als die Wichtigsten beurteilen. Wir hoffen, dass die aus den Analysen gezogenen Lehren beim Überdenken der ungarischen Rechtsprechungssituation als Stütze dienen werden.
Wir müssen vorausschicken, dass wir den Begriff der Rechtsprechung bzw. der rechtsprechenden oder der richterlichen Gewalt, deren strukturelle und personelle Bestandteile sowie das Verhältnis dieser Begriffe zueinander hier bewusst nicht analysieren wollen, da die vielfältigen Auslegungsmethoden, die sich auch nach den Besonderheiten der Gerichtsbarkeitssysteme richten, das Zurechtfinden und den internationalen Vergleich fast unmöglich machen würden. (Offensichtlich kann z.B. die rechtsprechende Gewalt dadurch bestimmt werden, ob von einer einheitlichen Organisation von Richtern und Staatsanwälten oder von einer separierten richterlichen oder staatsanwaltlichen Organisation die Rede ist) Deshalb wählen wir bewusst ein in der heimischen Verfassungsrechtsbildung wichtiges Lehrbuch als Grundlage, welches über eine richterliche Rechtsprechung redet. Nach diesem sind "...das Gericht und die Rechtsprechung einander vorauszusetzende Begriffe...", d.h. "Die Rechtsprechung steht im strukturellen Sinne mit der richterlichen Rechtsprechung gleich."[7] Diese engere Auslegung der Rechtsprechung schließt natürlich nicht aus, dass wir manchmal die Aufmerksamkeit den Akteuren des weiter verstandenen Begriffs der Rechtsprechung zuwenden würden.
Das Erfordernis, dass die Rechtsprechung die Aufgabe des unabhängigen Rechtspflegers oder der richterlichen Gewalt ist, wird in den demokratischen Ländern der westlichen Zivilisation und in denjenigen Ländern, die solchen Mustern folgen, immer mehr anerkannt.[8] Die Betonung der richterlichen Unabhängigkeit steht ohne Ausnahme in allen Verfassungen.[9] In den schriftlichen Verfassungen scheint die Erwähnung der Richter und der Unabhängigkeit der Gerichtshöfe eine fast verbindliche Aufgabe zu sein, und es ließe sich vermuten, dass wir einem eindeutigen Begriff gegenüberstünden. Seit Montesquieus Äußerung im Jahre 1748 ist es eine rechtstheoretische, politische, philosophische Trivialität, dass die Gewaltenteilung ein grundlegendes demokratisches Erfordernis ist. Die Verteilung der gesetzgebenden, ausführenden und rechtsprechenden Gewalt wird in der Fachliteratur im Allgemeinen als demokratisches Grundprinzip verfasst, das mit dem von uns betrachteten Grundsatz, d.h. mit der richterlichen Unabhängigkeit, in Verbindung gebracht wird. Die Analyse der Rechtssysteme der verschiedenen demokratischen Länder zeigt jedoch, dass es indifferent ist, aus welchem Aspekt wir die richterliche Unabhängigkeit untersuchen; es zeigen sich bis heute auch große Verschiedenheiten bei den Verwirklichungsformen dieses Grundsatzes.[10] Egal ob es sich um die Unabhängigkeit der Gerichtsorganisation, die persönliche Unabhängigkeit
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des Berufsrichters oder die Unabhängigkeit der Urteilsrichter[11] handelt, wir finden extreme Beispiele in deren gesetzlichen Begründungen, in der auslegenden Gerichtspraxis und in deren rechtssoziologischer Verwirklichung. Die internationalen Abkommen und das sich darauf bildende richterliche Fallrecht verfasst ja in diesem Zusammenhang grundlegende Standards, aber die in den Einzelheiten versteckten substanziellen Verschiedenheiten werden auf der Ebene der einzelnen Rechtssysteme ausgebildet. Es lässt sich in diesen internationalen Abkommen ins Auge fassen, dass sie bei der Frage der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Gerichtsorganisation keinen Wegweiser geben.
Hinsichtlich der grundlegenden Standards kann der im Rahmen der Vereinten Nationen gebildete Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte Wegweiser werden, aber in Bezug auf Ungarn reicht die Europäische Menschenrechtskonvention und die sich darauf bildende Gerichtspraxis einen wichtigeren "festen Griff"[12]. Dementsprechend wird die Unabhängigkeit des Gerichts dann gesichert, wenn "...es eine Urteilsfunktion ausübt, es von den Parteien, von der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt unabhängig ist, seine Mitglieder in adäquaten Prozessen und für längere Zeit ernannt werden, seine Zusammenstellung nicht eigenmächtig ist, sein Verfahren gesetzmäßig ist, seine Mitglieder niemandem gegenüber weisungsgebunden sind, bzw. seine Mitglieder vor anderen äußeren Einflüsse auch geschützt sind, schließlich wenn der Anschein seiner Unabhängigkeit auch gesichert ist."[13] Das Fallrecht des Gerichtes zeigt, dass die Probleme im Verhältnis zu diesen Erfordernissen meistens bei den Sondergerichten auftauchen. Regelmäßig werden Länder verurteilt, weil die Richter es so beurteilt haben, dass deren Militärgerichtsystem nach den oben genannten Erfordernissen nicht als unabhängig zu betrachten ist. Das lässliche Verfahren den ordentlichen Gerichten gegenüber kann auf die verschiedenen Einrichtungssysteme der einzelnen Länder, auf eine zahlreiche Fundgrube der Unabhängigkeitsgarantien und auf die Anerkennung der rechtskulturellen Verschiedenheit zurückgeführt werden. Die Richter wissen nämlich, dass die Durchsetzung eines detaillierten Vorschriftensystems im Fall der ordentlichen Gerichte zu falschen Ergebnissen führen würde. Es könnte vorkommen, dass ein während Jahrhunderten ausgebildetes, für die Richter große Autonomie sicherndes Rechtssystem verurteilt werden müsste, inzwischen könnten andere Länder wegen Regeln, die in die Verfassung und in Gesetze gefasst wurden, die aber rechtstatsächlich nicht durchgesetzt werden, von einer Verurteilung entbunden werden. Die Richter versuchen zwar auch die objektiven Maßstäbe der Unabhängigkeit auszubilden,[14] aber sie verlangen von den das Abkommen unterzeichnenden Ländern lediglich die Abschaffung der krassesten Unvollständigkeiten. Diese Auffassung zieht als Folge mit sich, dass auch die Rechtssysteme solcher Länder, die das Abkommen unterzeichnet haben, bei der Beurteilung der richterlichen Unabhängigkeit noch eine großartige Freiheit ge-
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nießen. Es handelt sich also um ein komplexes Problem, bei dem die Klarstellung des Analyserahmens empfehlenswert ist.
Der komplexe Begriff der richterlichen Unabhängigkeit versteckt zahlreiche Analysemöglichkeiten in sich.[15] Es kann vor allem die Frage gestellt werden, über wie große Autonomie die Richter innerhalb der Gerichtsorganisation verfügen; jenseits der Gesetze und deren Gerechtigkeitssinn: wie groß der Einfluss der Tätigkeit der hierarchisch über ihnen stehenden Gerichte auf sie ist; über welche Kompetenzen die Gerichtsleiter verfügen und inwiefern sie mittelbar oder unmittelbar auf die Arbeit des Richters Einfluss nehmen. Im Folgenden nehmen wir die Vergleichsanalyse des Begriffs der richterlichen Unabhängigkeit unter einem bestimmten Aspekt vor. Aufgrund des gewählten Gesichtspunkts werden wir betrachten, wie und inwiefern die richterliche Gewalt in den verschiedenen Rechtssystemen auf der Grundlage der Gewaltenteilungsdoktrin ausgebildet wurde und wie sich die auf diese Weise ausgebildete Gewalt zu den beiden anderen traditionellen Gewalten verhält. Entsprechend der chronologischen Reihenfolge werden wir die Änderungen der Rechtsprechungssituation zuerst in England, dann in den Vereinigten Staaten und schließlich im kontinentalen Europa behandeln.
Das Jahr 2005 hat auf dem Gebiet des vergleichenden Verfassungsrechts einen Durchbruch bei der Frage der Gewaltenteilung mit sich gebracht. Wir könnten fast über das Einfallen der letzten Bastei bezüglich der Rechtssysteme der westlichen Zivilisation reden, wenn wir über die Geschehnisse berichten, die sich in der Urheimat des common law abspielen.
Ein im Februar 2004 vorgelegter Gesetzentwurf prognostizierte revolutionäre Veränderungen in der englischen Rechtsprechung. Der Entwurf enthält unter anderem solche Bestimmungen, die sich auf die organisatorische Trennung der gesetzgebenden und rechtsprechenden Gewalt richteten. Der radikalste Gedanke war die Abschaffung der Position des Lordkanzlers, der wegen der Vereinigung der Gesetzgebungs-, Ausführungs- und Rechtsprechungsfunktionen schon seit langem im Kreuzfeuer der Kritik stand. Der Lordkanzler war - neben seiner Präsidentenfunktion und neben der Rolle, die er in der Regierung eingenommen hat - als Kopf der Rechtsprechung (head of the judiciary) zu betrachten.[16] Das im Jahr 2005 angenommene Gesetz hat schließlich die Funktion des Lordkanzlers beibehalten, seine Befugnisse wurden aber deutlich beschränkt. Das Gesetz verfügt die Herstellung eines von dem Parlament im organisatorischen und physischen Sinn abgetrennten Obersten Gerichtes, wo die Berufungsverfahren verhandelt werden. (Die Position des Obersten Gerichtes wurde nach langen Diskussionen bestimmt, und es wird voraussichtlich erst ab 2008 funktionieren. Die Wahl ist auf ein Gebäude innerhalb von Westminster gefallen, welches bisher auch als Gericht diente.[17])
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Damit wird die Rechtsprechungsfunktion des House of Lords abgeschafft, was den Verfassungsjuristen als Musterbeispiel bei der Verbindung der Gesetzgebung und der Rechtsprechung diente.[18] Die Auswahl der Richter hat das Gesetz ausführlich verfügt, wobei die Priorität der fachlichen Verwirklichungsaspekte erwünscht war. Die Mitglieder des Obersten Gerichtes werden allerdings im Zeitpunkt der Wende die die richterliche Funktion erfüllenden Mitglieder des House of Lords, aber es ist ohne Zweifel als die Abschaffung eines Privilegs für die Zukunft zu betrachten. Bei der Erklärung des neuen Gesetzes haben neben anderen Gesichtspunkten auch die Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Rolle gespielt.[19] Bezüglich der Erklärung des Gesetzentwurfes hat es Lord Falconer so formuliert, dass die von ihm angekündigten Änderungen zum ersten Mal die gesetzlichen Garantien des "notwendigen" Begriffs der rechtsprechenden Unabhängigkeit schaffen.[20]
Die englischen Geschehnisse sind sehr lehrhaft. Die heute herrschende Fassung der Gewaltenteilung und deren praktische Konsequenz sind aus mehreren Aspekten auf England zurückzuführen. Genauer gesagt war es der im 18. Jahrhundert in den Kolonien funktionierenden Einrichtung der Gewalten zu verdanken, dass die Trennung der gesetzgebenden, ausführenden und rechtsprechenden Gewalt im Kopf der Anhänger der amerikanischen Unabhängigkeit und später der Juristen, die die amerikanische Verfassung geschafft haben, zu dem führenden Gedanke gereift ist und dass damit auch ein auf eine europäische (und darunter englische - wie es das oben angeführte Beispiel zeigt) Verfassungsentwicklung zurückgehendes Grundgesetz geschaffen wurde. Es kann festgestellt werden, dass die Doktrin der Gewaltenteilung im Moment der amerikanischen Verfassungsbildung schon gut ausgearbeitet war, was nämlich genau der Bewunderung oder eben der Kritik der englischen Machtverhältnisse zu verdanken war. Montesquieu hat seine Gedanken[21] in Kenntnis der englischen Umstände zu Papier gebracht, um mit der Fortentwicklung von Lockes Aufteilung (was die Rückkehr zu den Kategorien von Aristoteles bedeutet), die Trennung der gesetzgebenden, ausführenden und rechtsprechenden Gewalt zu behandeln. Neben den politisch-philosophischen Studien war vielleicht Blackstones berühmter Kommentar den Verfassungsgebenden noch bekannter, in dem der berühmte Jurist auf die Notwendigkeit einer unabhängigeren richterlichen Gewalt verwies.
Der zeitgenössische englische Zustand der richterlichen Gewalt wurde 1701 durch den Act of Settlement begründet. Dessen berühmte Vorschrift besagt: "... Das Richteramt soll solange dauern, als der Richter sich angemessen benimmt, seine Vergütung muss festgestellt und gewährleistet werden; aber aufgrund der Vorlage beider Häuser des Parlaments können die Richter aus dem Amt rechtmäßig entfernt werden."[22] (In den vorigen Jahrhunderten konnten die vom König angestellten Richter vom König entfernt werden. Der Wendepunkt war der Fall von Sir John Walter im 1628, den Karl I. wegen eines Urteils, das ihm nicht gefallen hat, aus seinem Amt entfernen wollte. Sir Walter
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widerstand und behauptete, dass sein Amt auf sein angemessenes Benehmen begründet und nicht der königlichen Gnade zu verdanken sei, er also nur in dem Fall entfernt werden könne, wenn in einem offiziellen Verfahren erwiesen würde, dass er nicht angemessen gehandelt habe.)
Diese außergewöhnliche Vorschrift, die die persönliche Unabhängigkeit des Richters versicherte, hat auf den Kolonien nicht gegolten, und die Auseinandersetzungen bezüglich der Ernennung, der Einstellung und der Vergütung des Richters haben eigentlich nur den Widerstand der Kolonien erhöht.
Genau deshalb ist es nicht verwunderlich, dass im Fall der Bundesrichter das Wesentliche der Vorschriften des Act of Settlements mit den notwendigen Modifikationen in die Verfassung hineingeraten ist. Dementsprechend dauert der Auftrag des Richters im Fall eines "angemessenen Benehmen" lebenslang, und seine Vergütung darf nicht gemindert werden.[23] In Kenntnis der Vorgeschichte war diese Vorschrift notwendig. Man kann aber darüber streiten, wie es zu der gut bekannten Methode der strengen Gewaltenteilung gekommen ist. Nach István Bibó's Ansicht wird darauf die Antwort, anstatt mit Montesquieus Wirkung, mit dem Streben nach Ausgleichung der auf den Kolonien überwachsenden Gouverneursgewalt gegeben. Seiner Meinung nach wurde "Montesquieus Prinzip [...] nicht deshalb dogmatisch befolgt, weil es als eine demokratische Pflicht betrachtet worden wäre, seine Vorschriften genau einzuhalten. Es wurde befolgt, weil gelegentlich dieses Schema der Vorgeschichte deren politischer Organisation, der innervierten Technik deren vorhandener Einrichtungen besser entsprochen hat als die Einrichtungen von England oder eben von Frankreich."[24] Ob es sich aus der genauen Kenntnis der damit verbundenen Doktrin, ob aus den von Bibó erwähnten organisatorischen Geschehnissen oder aus dem sich gegen den Herrscher richtenden Widerwillen oder aus dem Widerwillen[25], der sich gegen den Zustand richtete, der durch die Engländer eingerichtet worden war und aufrechterhalten wurde, ergab, dass "die verfassungsgebenden Väter" die auf die einzelnen Gewalten sich beziehenden Regeln in deutlich abtrennbaren Absätzen behandelt haben - die Konsequenzen sind klar. Die Ausstrahlung der Verfassung des schrittweise zu einer Weltmacht sich entwickelnden Bundeslandes ist nicht zu bezweifeln.[26] Diese beeinflussende Kraft ist ein gutes Beispiel dafür, dass die englischen Volksvertreter auch mit dem Prinzip der rechtsprechenden Unabhängigkeit die gegenwärtige Notwendigkeit der organisatorischen Änderungen begründen.
Die auf die Rechtssysteme des europäischen Kontinents ausgeübte Wirkung war schon seit der Geburt der Verfassung zu bemerken, da die fast perfekte Verwirklichung der montesquieuischen Idee für die demokratischen Bewegungen zu einem Bezugsgrund werden konnte. Die von den amerikanischen abweichenden und die europäischen Gewaltstrukturen kennzeichnenden politischen Kämpfe des 18. Jahrhunderts haben aber nicht ermöglicht, dass es zu der Einfassung des Prinzips in das Grundgesetz auf amerikanischer Weise käme. Statt der amerikanischen Gewaltenteilung, d.h. der Anerkennung einer selbständigen richterlichen Gewalt, konnte in Europa nur die persönliche
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Unabhängigkeit des Richters, seine Unparteilichkeit betont werden. Nach dem Untergang Hilter-Deutschlands hat aber eine wahrnehmbare Wende begonnen. Die konstitutionelle Weise von Hitlers Machterlangung hat einen solchen Schock in den europäischen Ländern verursacht, der einer starken Erhöhung der demokratischen Gewaltgegengewichte die Tür geöffnet hat. Die das sowjetische Lager kennzeichnenden Verfassungen, die die selbständige richterliche Gewaltkontrolle der gesetzgebenden und ausführenden Gewalten, die den Volkswillen verkörpern, schon im Voraus abgelehnt haben, haben dieses Bestreben der westeuropäischen Länder nur weiter verstärkt. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass ein großer Teil der heutigen westeuropäischen Verfassungen expressis verbis schon die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt anordnen.[27] Diese neue Erscheinung, die zu den politischen Traditionen der auf dem Muster der englischen parlamentarischen Einrichtungen aufbauenden europäischen Länder schwerlich passt, verbreitet sich mit reißender Geschwindigkeit.[28] Die französische Verfassung formuliert jedoch insofern interessant, als sie aussagt, dass die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt von dem Präsident gesichert wird [29], aber die deutsche Verfassung ist auch für den Spitzenkämpfer der selbständigen richterlichen Gewalt gefälliger: "Die rechtsprechende Gewalt wird auf die Richter übertragen", und gibt zu: "und es wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die, in diesem Grundgesetz bestimmten Bundesgerichte und durch die Landesgerichte ausgeübt."[30] Nach der italienischen Verfassung bilden die Gerichtshöfe eine selbständige, von allen anderen Gewalten unabhängige Organisation.[31] Die belgische Verfassung verfügt über die Rechtsprechung in einem eigenen Absatz, dessen Titel "Die richterliche Gewalt" ist.[32] Die Beispiele könnten noch lange aufgezählt werden.
Das bloße Wesen - aber auch seine spätere Tätigkeit - der nach dem Zweiten Weltkrieg sich vermehrenden Verfassungsgerichte zeigt die "Kontinentalisierung" der amerikanischen Praxis.[33] Die verfassungsschützende Praxis des amerikanischen Obersten Gerichtes, die auf konkreten Rechtsfällen ruht, gibt den Verfassungsgerichten ein Muster, die typischerweise nicht in konkreten Fällen verfahren und zu der verfassungsmäßigen Kontrolle der Rechtsnormen dienen. Die europäische Verbreitung dieses Rechtsschutzorgans, das zuerst in Österreich im 1920 erschienen ist, hat einen neuen Stoß bei der Expansion der selbständigen richterlichen Gewalt gegeben. Diese neuen, in den traditionellen Rechtsprechungsapparat nicht einfügbare Gremien tragen zum Beweis des Unabhängigkeitserfordernisses der rechtsprechenden Gewalt bei.[34] Deren Rechtsprechung verstärkt doch ausdrücklich die richterliche Gewalt damit, dass sie die früher unbezweifelbare Souveränität der Gesetzgebung beschränkt. Ebenso müssen die Verwal-
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tungsgerichte oder deren Praxis, die die Verwaltungsbeschlüsse der traditionellen Gerichtshöfe überprüft, erwähnt werden, die zur allgemeinen Form der richterlichen Kontrolle der ausführenden Gewalt geworden ist.[35] In diesem Prozess bedeutet der nächste Schritt den Untergang der kommunistischen Systeme, der beim Prinzip der Gewaltenteilung, dem Begriff der selbständigen richterlichen Gewalt im Demokratisierungsprozess der ehemaligen sozialistischen Länder eine besonders große Rolle gespielt hat. Diese Länder betrachteten die größere Versicherung[36] der rechtsprechenden Selbständigkeit als ein obligatorisches Erfordernis des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie. Die Notwendigkeit der Trennung der gesetzgebenden, ausführenden und rechtsprechenden Gewalt ist durch die Tätigkeit der gegründeten Verfassungsgerichte in mehreren Fällen auch dann unbezweifelbar geworden, wenn in dem Grundgesetz keine darauf beziehende Vorschrift zu befinden war. Auf dieser Weise passierte es auch in Ungarn.[37]
Aufgrund dessen kann festgestellt werden, dass die Berufung auf die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt und auf die daraus abgeleitete organisatorische Unabhängigkeit heute auch gewöhnlich geworden ist, und viele interpretieren dementsprechend die Fragen, die bezüglich der Effektivität der Rechtsprechung auftauchen. Trotzdem passiert es, dass in dieser Relation Grundfragen nicht geklärt sind. Ist es gesellschaftlich gut, wenn die richterliche Gewalt organisatorisch völlig separiert, unabhängig von allen äußeren Einflüssen funktioniert? Wird die Einzelentscheidung des Richters wirklich davon unbeeinflusst, fachmäßig, schnell und insgesamt effizient? Führt die übertriebene Betonung der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt nicht zur Ausbildung einer von der Gesellschaft abgeschlossenen, korporativen, Kritik schlecht ertragenden, unkontrollierbaren Gewalt? Ergibt die organisatorische Unabhängigkeit nicht eine widrige Wirkung, und erhöht sie damit nicht die Attitüden, die die Richter zu Konformität anregen? Wir fühlen, dass es die Fragen der Rechtsprechung der verfassungsmäßigen Demokratien sind, die in Zukunft nach Antworten verlangen.
Von der anderen Seite kann es ein Problem sein, dass eine Verfassung zwar besagen kann, dass der Staat über eine selbständige, unabhängige richterliche Gewalt verfügt, aber bezüglich des Umfanges dieser Gewalt die grundgesetzlichen Vorschriften nicht viel sagen. Darauf kommen wir am leichtesten, wenn wir uns die Frage stellen: Ist die richterliche Unabhängigkeit kleiner in den liberalen Demokratien, wie Schweden, Neuseeland oder Israel, wo die Verfassung sich mit dieser Frage gar nicht beschäftigt?[38] Aufgrund der Kenntnis mehrerer Bestandteile kann dargestellt werden, über welche tatsächlichen Kompetenzen innerhalb des gegebenen Rechtssystems diese Gewalt verfügt. Natürlich kann die Fassungsmethode bei einer Verfassung viel vermuten lassen. (In der französischen Verfassung wird die rechtsprechende Gewalt z.b. nicht mit dem Wort
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"pouvoir", sondern mit dem Wort "autorité", also mit der Autorität und nicht mit der Gewalt beschrieben, woraus auch weitgehende Folgerungen gezogen werden können.) Die Deklaration der Unabhängigkeit der rechtsprechenden oder der richterlichen Gewalt stellt das Gewicht dieser Gewalt selbst noch über welchen tatsächlichen Kompetenzen innerhalb des gegebenen Rechtssystems noch nicht her, wenn sich daran keine organisatorischen und andere Garantien bzw. keine Rechtsanwendungskultur, welche die Expansion der richterlichen Gewalt sichert, knüpfen. Im Folgenden werden wir nicht ausführlich, sondern nur auf einige von uns für wichtig gehaltene Gesichtspunkte verweisen.
Das Prinzip, wonach bei der in einem konkreten Fall ausgeübten Urteilstätigkeit des Richters weder die Regierung noch andere Organisationen oder Personen mitbestimmen dürfen, wird durch die als nicht demokratisch betrachteten Länder auch anerkannt, auch wenn er in deren Praxis nicht restlos zur Geltung kommt. Anders wird die Frage beurteilt, wie weit das Mitbestimmungsrecht der Regierung bei dem Mechanismus der Rechtsprechung sein kann und ob die Regierung eine gerichtliche Politik durch die Gerichtshöfe verwirklichen kann, ohne dass es gegen das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit verstößt. In Ungarn wurde schon direkt vor der Wende die Möglichkeit der sog. funktionalen Aufsicht, die die Rechtsprechung indirekt beeinflussen kann, abgeschafft, und nur die persönliche und sachliche Verwaltung der Gerichtshöfe verblieb bis 1997 als Regierungskompetenz. Die Frage, wer die persönliche, sachliche Verwaltung in einem demokratischen Rechtssystem vornehmen muss, ist bis heute in der Fachliteratur offen, und die Praxis zeigt auch vielfältige Lösungen. Tatsache ist aber, dass neben der Verfassung der Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt sich die bewusste Abgliederung der gerichtsbezüglichen Verwaltungsaufgaben von der ausführenden Gewalt verbreitet.[39]
Die zentrale Verwaltung der Rechtsprechung bedeckt eine sehr komplexe Tätigkeit, über deren sämtliche Aspekte wir uns hier nicht verbreiten können. So widmen wir uns nur der vergleichenden Darstellung derjenigen Fragen der zentralen Verwaltung, die die Bereiche der Unabhängigkeit direkter berühren.
In den letzten Jahren haben immer mehr Länder über die Errichtung eines sog. zentralen Landesjustizrates entschieden, der die Verwaltungsbefugnisse, die traditionell zu den Justizministerien gehören, mehr oder weniger übernehmen kann.[40] Bei der Unterstützung der Maßnahme wird sich meistens auf die Unabhängigkeit der Rechtsprechung berufen, und erst in zweiter Reihe wird die Notwendigkeit der Effektivitätssteigerung betont.[41] Interessanterweise ist es in Belgien dazu gekommen, weil ein skandalöser Strafprozess die Defekte der Rechtsprechung ans Tageslicht gebracht hat Dieser hat die Politiker zu einer Reform angetrieben (Dutroux-Fall).[42] Die Befugnisse der Landesjus-
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tizräte zeigen erhebliche Unterschiede. In den Niederlanden wurde 2002 ein Teil der Kompetenzen einer Kammer übergeben, die aus drei Richtern und zwei Laien bestand. Die für die Haushaltsfragen ebenso zuständige Kammer wird aber weiterhin von dem Justizminister kontrolliert, der für die Tätigkeit des Justizwesens dem Parlament gegenüber haftet.[43] Es zeigt sich, dass es auch in dem Land, das als Vorbild der liberalen Demokratie betrachtet wird, keine Einigung darüber gibt, dass der Durchriss der Nabelschnur zwischen der rechtsprechenden und ausführenden Gewalt die für die Gesellschaft ideale richterliche Unabhängigkeit garantieren kann.
Im Vergleich zu diesem System ist das deutlich früher errichtete spanische, zentrale Administrativorgan eine radikalere Lösung. Der Anfang dieses Prozesses kann auf das 19. Jahrhundert zurückgeführt werden. Im Jahre 1870 erscheinen in Spanien, dann Schritt für Schritt in Frankreich, in Portugal und in Italien die richterlichen Gremien, die in den Gesetzen zwar benannt werden, deren Tätigkeit aber über eine kammermäßige bzw. konsultative hinaus nicht hinaus reicht.[44] Die Rolle dieser Gremien verändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg, die - nunmehr in der Verfassung erscheinend - entlang der Gewaltenteilungsdoktrin auf immer größere Befugnisse Anspruch hatten. Im Folgenden werden wir untersuchen, wie die einzelnen, aus der Sicht der Justizverwaltung mustergebenden Rechtssysteme bzw. wie Ungarn die richterlichen Selbstverwaltungsstrebungen einreißen lassen.
Nach Diktaturen neigen die Politiker der jungen Demokratie vielleicht mehr dazu, der Beschränkung ihrer Gewalt ihren Segen zu geben. Auch nach dem Untergang der rechten und linken totalitären Systeme finden wir darauf zahlreiche Beispiele. Jedenfalls zeigen die ungarischen und spanischen Geschehnisse bezüglich der Rechtsprechung einen interessanten Einklang.
Spanien wird meistens als Vorbild der richterlichen Selbstverwaltung erwähnt. Die spanische Verfassung von 1978 verleiht der Rechtsprechung eine erhebliche Rolle.[45] Die Verfassung besagt:
"Die Rechtsprechung geht vom Volke aus und wird im Namen des Königs von Richtern ausgeübt, die die rechtsprechende Gewalt bilden; sie sind unabhängig, unabsetzbar, und allein dem Gesetz unterworfen. Der Generalrat[46] der rechtsprechenden Gewalt ist deren leitendes Organ. Der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt setzt sich zusammen aus dem Präsidenten des Obersten Gerichtes, der ihm vorsteht, und aus 20 vom König für einen Zeitraum von fünf Jahren ernannten Mitgliedern: 12 Richter aller Kategorien, gemäß den Bestimmungen des Organgesetzes; vier-vier auf Vorschlag des Kongresses mit einer Mehrheit von drei Fünfteln der Mitglieder aus den Reihen der Anwälte und anderer Juristen ausgewählten Personen mit anerkannter Kompetenz und mit mehr als 15 jähriger Berufserfahrung."[47]
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Die verfassungsmäßigen Grundlagen wurden durch das Organisationsgesetz von 1980 ergänzt, das seitdem mehrmals erheblich verändert wurde. Aufgrund dessen ist Europas stärkstes zentrales Verwaltungsorgan mit richterlicher Mehrheit eingerichtet worden, dessen Zusammensetzung und umfangreiche Befugnis die Unabhängigkeit einzigartig sichert.[48] Unter den Mitgliedern des Rates sind keine Vertreter der anderen Gewalten zu finden. Eigentlich wird ein volles richterliches Übergewicht durchgesetzt. Die Kompetenz des Generalrates erstreckt sich auf die Bildung, Ernennung, Beförderung, Kontrolle und die Disziplinarordnung der Richter. Er kann Verordnungen erlassen, weiterhin kann er die die Rechtsprechung berührenden Gesetze und andere Rechtsnormen begutachten.[49]
Die Kritiker dieses Systems lenken die Aufmerksamkeit auf die Gefahr des Korporatismus mit der Behauptung, dass sich der Einfluss der Gesellschaft auf die Rechtsprechung auch auf indirekte Weise nicht durchsetzen können wird, wenn die Richter von ihrer Ernennung bis hin zu Disziplinarmaßnahmen über alles selbst entscheiden können. Wegen dieser Argumente kam unter anderem im Jahre 1985 eine signifikante Änderung, die das Recht auf die Wahl der Ratsmitglieder dem Richtergremium entzogen hat. Seitdem nominiert der Kongress die Mitglieder mit einer Mehrheit von drei Fünfteln, die vom König ernannt werden. Es errichtet tatsächlich erneut die Verbindung zwischen dem Rat und der Gesetzgebung, aber auf die Weise, dass es die Chance der politischen Einflussnahme auf die Rechtsprechung mit der Gewährleistung der qualifizierten Mehrheit minimalisiert. Dazu wurde 2001 die Nominierung der Richter im Rahmen des sog. Justizpaktes (Pacto de la Justicia) so verändert, dass bei der Gestaltung der Nominierungsliste die Rolle der richterlichen Fachorganisationen erhöht wurde.[50]
Das zweifellos beeindruckende französische Rechtssystem sieht die Rechtsprechung im Rahmen einer sehr komplizierten Struktur vor, die sich in zwei völlig abgetrennte Zweige gliedert: in die Organisation der ordentlichen Gerichtshöfe und der Verwaltungsgerichte. Letztere sind prinzipiell zuständig für die Rechtsprechung aufgrund der Regeln des öffentlichen Rechts in allen Fällen, in denen eine der Parteien Verwaltungsorgan ist, während in Zivil- und Straffällen die ordentlichen Gerichte vorgehen. Diese Lage wird durch Sondergerichte weiter verkompliziert, eines davon ist unmittelbare die Folge der erwähnten organisatorischen Gliederung. Das Kompetenzgericht (Tribunal des Conflicts) entscheidet nämlich bei einem Streitfall, ob für einen Fall die ordentlichen Gerichte oder die Sondergerichte zuständig sind.[51]
An der Spitze des Apparats steht der Staatsrat, der die erstinstanzlichen Gerichte und die Berufungsgerichte umfasst (Conseil d'Etat) und welcher in bestimmten Fällen in erster und damit in letzter Instanz, in anderen Fällen als Berufungsinstanz vorgeht. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit genießt große Unabhängigkeit, denn die Aufgaben der Verwaltung führt der Staatsrat, der die Tätigkeit der Verwaltungsgerichte regelmäßig
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prüft. Obwohl sein Haushalt im Rahmen der Verhandlungen mit dem Justizministerium bestimmt wird, verfügt er über den Gebrauch seiner Finanzmittel völlig frei. Aus der Sicht der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit kann in Verbindung mit dieser Organisation schon mehr Sorgen machen, dass der Staatsrat - im Einklang mit seinem Name - auch als das konsultative Organ der Regierung funktioniert. Die Besonderheit der ordentlichen Gerichtsorganisation liegt daran, dass sich in deren Rahmen ein richterlich-staatsanwaltliches Gremium betätigt, das eine Körperschaft bildet. Die zusammenfassende Benennung der Richter und der Staatsanwälte ist "Magistrat" (magistrat), eine Gruppe von ihm versieht richterlichen (magistrat du siege), eine andere Gruppe staatsanwaltliche (magistrat du parquet) Aufgaben. Wenn auch die Bildung, die Auswahl und die Ernennung der Mitglieder beider Gruppen unterschiedlich sind, beeinflusst die gemeinsame Organisation auch die verfassungsrechtliche Lage des staatsanwaltlichen Gremiums. In seinem Urteil hat der Staatsrat auch befunden, dass den Staatsanwälten mit den Richtern zusammen die in der Verfassung erwähnte Autorität zukommt, dass sie also Schützer der persönlichen Freiheitsrechte sind. [52] (Im Rahmen dieses eigenartigen Status betätigen sich die Staatsanwaltschaften in hierarchischer Ordnung unter der Verwaltung des vorgesetzten Staatsanwaltes und schließlich des Justizministers, was oft erhebliche Probleme mit sich bringt. Der Einfluss der Regierung auf die Strafverfahren bringt zeitweise "mediatisierte", politischen Sturm erregende Fälle herbei.)
Das Justizministerium ist weiterhin ein Schlüsselspieler der zentralen Verwaltung der Rechtsprechung. Es ist dies nicht nur wegen der Unterordnung der Staatsanwaltschaft unter die Regierung, sondern vor allem deshalb, weil die verschiedenen Departments des Ministeriums neben der Vorbereitung der Gesetze auch einen großen Teil der gerichtsbezüglichen Verwaltungsaufgaben versehen.[53] Die Aufgabe des Ministers ist vor allem, das Dienstleistungsniveau der Rechtsprechung zu überwachen, was er mit der Hilfe der ihm untergeordneten Organisation ausübt. Dazu gehört unter anderem die Kontrolle des Verhaltens und der fachlichen Arbeit der Richter und der anderen gerichtlichen Mitarbeiter.[54]
Ein anderer wichtiger Akteur der zentralen Verwaltung ist der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt.
"Die Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt wird durch den Staatspräsident gesichert. Dabei unterstützt ihn der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt. Der Präsident des Generalrats der rechtsprechenden Gewalt ist der Staatspräsident. Dessen Vizepräsident ist der Justizminister. Er kann den Staatspräsident ersetzen. Der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt hat zwei Kammern. Eine ist für die Richter, der andere ist für die Staatsanwälte zuständig. Die Kammer, die für die Urteilsrichter zuständig ist, setzt sich zusammen - außer dem Staatspräsident und dem Justizminister - aus fünf Urteilsrichtern, aus einem Staatsanwalt, aus einem vom Staatsrat empfohlenen Staatsratsherrn und aus drei weder dem Parlament noch der Rechtsprechung angehörenden, vom Staatspräsident, vom Präsident der Volksversammlung und vom Präsident des Senats kollektiv empfohlenen Personen. Die Kammer, die für die Staatsanwaltschaften zustän-
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dig ist, setzt sich zusammen - außer dem Staatspräsident und dem Justizminister - aus fünf Staatsanwälten, aus einem Richter, aus dem in dem vorigen Absatz erwähnten Staatsratsherrn und aus drei anderen Personen."[55]
Der Generalrat der rechtsprechenden Gewalt ist zwar schon im Jahre 1883 in dem Organisationsgesetz der Rechtsprechung in Erscheinung getreten, die Grundlagen des heutigen Rates wurden aber tatsächlich durch die Verfassung von 1946 ausgebaut, die ein unabhängiges, verfassungsmäßiges Organ errichtet hat, das die Verfassung von 1958 mit erheblichen Modifizierungen übernommen hat. Diese Institution hat seitdem mehrere Reformen erlebt. Seine Kompetenz bleibt weit hinter der Kompetenz des spanischen Rates. In Haushaltsachen ist er nicht zuständig, und neben den Disziplinarfällen spielt er bei der Ernennung und der Rangerhöhung eine wichtige Rolle. Seine wichtigste Aufgabe, die in der Verfassung auch erwähnt ist, ist die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit.[56]
Bei den gemischten Systemen ist es empfehlenswert, das Beispiel der Vereinigten Staaten zu betonen. Es ist offenkundig, dass der Teil der Verfassung, der über die Bundesgerichte verfügt, die grundlegenden Regeln der richterlichen Gewalt bestimmt. Das Wort Unabhängigkeit ist zwar nicht in diesem Text zu finden, aber der Begriff der richterlichen Gewalt, die Einfassung in einem selbständigen Abschnitt und die Umstände der Verfassungsbildung machen selbstverständlich, dass die Verfassungsgebenden vom Willen der Gewährleistung der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt geleitet worden sind.[57] Aus der Verfassung ergibt sich aber auch, dass eine Art von Verbindung der Gewalten eine Rolle spielt, die durch das Verfassungsrecht als die Doktrin des Checks and Balances behandelt wird. Das bedeutet vor allem hinsichtlich der richterlichen Gewalt, dass die Bundesrichter ihre Ernennung mit der Zustimmung der anderen zwei Gewalten erlangen und die Aufhebung der lebenslangen Ernennung auch nur mit dem Willen des Repräsentenhauses und des Senats im Rahmen eines Sonderverfahrens (impeachment[58]) verwirklicht werden kann.[59] Die lebenslange Ernennung und das Verbot der Reduktion der richterlichen Vergütung bedeuten die Stützsäule der amerikanischen richterlichen Unabhängigkeit, aufgrund deren sich - in erster Reihe dank der Tätigkeit des Obersten Bundesgerichtes - eine die anderen Gewalten kontrollierende und das Leben der Gesellschaft beeinflussende "richterliche Supergewalt" ausbilden konnte.
Die ausführende Gewalt spielt bei der zentralen Verwaltung der Bundesgerichte lediglich eine untergeordnete Rolle. Der Präsident und sein "Minister", der für das Justizwesen zuständig ist, führen die Staatsanwaltsorganisation, und sein Einfluss auf die Rechtsprechung erstreckt sich weiterhin lediglich auf die Gewährleistung der Sicherheit der Gerichte (United States Marshals Office) bzw. auf den Aufbau der Gerichtsgebäude und auf die Erhaltung ihres Zustands (General Services Administration). In allen anderen Fragen ist das wichtigste zentrale Organ der Justizrat der Vereinigten Staaten (The
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Judicial Conference of the United Staates), der eine nur aus Richtern bestehende Organisation ist. Präsidiale Aufgaben werden durch den Präsident des Obersten Gerichtes ausgeübt, neben ihm wird der Rat aus 26 Richtermitgliedern gebildet. Mit der Hilfe des Verwaltungsbüros (Administrative Office) führt diese Organisation die Bundesgerichte, die übrigens über große Verwaltungsautonomie verfügen.[60]
Dass eine demokratische Rechtsprechung auch ohne einen zentralen Justizrat funktionieren kann, zeigt das Beispiel Deutschlands oder das österreichische Rechtssystem, welches die ungarischen Rechtstraditionen aufgrund der geographischen Nähe und der gemeinsamen politischen Vergangenheit bestimmt. In beiden Bundesstaaten haben die Landes- und die Bundesregierung ihre Rolle auf dem Gebiet der Gerichtsverwaltung bezüglich der Landes- und Bundesgerichtshöfe bewahrt. Dies bedeutet natürlich nicht, dass die Richter in organisierter Form an den Verwaltungsaufgaben nicht teilnehmen würden. In Deutschland üben z.b. mehrere Organisationen solche Tätigkeiten auf dem Gebiet der Richterwahlen und in Disziplinarverfahren aus (Dienstgericht, Richterwahlausschüsse, Präsidialräte), aber diese erfüllen im Gegensatz zu dem französischen Generalrat der rechtsprechenden Gewalt nicht die Funktion, die verfassungsmäßige Garantie der richterlichen Unabhängigkeit zu gewährleisten. (Nach der deutschen Verfassung wird die richterliche Unabhängigkeit durch das Bundesverfassungsgericht und durch die Landes- und Bundesgerichte selbst garantiert.[61])
Wenn wir zu der Urheimat des common law übertreten, wir sehen ebenfalls, dass die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht in einer zentralen, von den anderen Gewalten je mehr sich abtrennenden Verwaltungsorganisation gesehen wird. In England ist die Trennung des Obersten rechtsprechenden Forums von der Gesetzgebung gerade auf dem Weg der Verwirklichung, deshalb ist der Abbau der in der zentralen Verwaltung geltenden Kanzlergewalt noch nicht an der Tagesordnung. (Das bedeutet natürlich nicht, dass die Richter auf bestimmten Gebieten der Verwaltung in den Verschiedenen Ausschüssen keine wichtige Rolle einnehmen würden.) Es muss auch bemerkt werden, dass bei der Verwirklichung der englischen richterlichen Unabhängigkeit die Herstellung der organisatorischen Unabhängigkeit eine deutlich kleinere Rolle spielen würde als in den Ländern, die zu der römisch-germanischen Rechtsfamile gehören.[62] Die Richter sind hier überwiegend Laien, die auch kein Gehalt erhalten. (Während in Deutschland mehr als 20.000 Fachrichter funktionieren, erreicht diese Zahl in England schwerlich die Tausend.[63]) Für sie ist es eine Ehre und keine existentielle Frage, diese Aufgabe zu versehen. In ihrem Fall können wir nicht über eine Rangerhöhung reden, so dass die Möglichkeit der regierungsseitigen Beeinflussung schon im Voraus geringer ist als bei den Berufsrichtern. Die Mehrheit dieser Berufsichter, deren Anzahl gering ist, werden nach einer langen anerkannten anwaltlichen (barrister) Praxis,
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meistens zu der Zufriedenheit der Branche, ernannt und in ihrem Fall wird die von den anderen Gewalten einflusslose Arbeit durch die jahrhundertlange richterliche Kultur in Form einer abgetrennten Verwaltungsorganisation garantiert.
In den ehemaligen sozialistischen Ländern haben die Herstellung der organisatorischen Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt und deren Methode überall Auseinandersetzungen hervorgerufen. Wie in West-Europa, sind in diesen Ländern auch vielfältige Lösungen davon abhängig entstanden, inwieweit von der Seite der Rechtsprechung aus mehr oder weniger starker Druck in Richtung auf die Erstarkung dieser Gewalt ausgegangen ist und inwieweit die Gesetzgebung und die ausführende Gewalt dies akzeptiert hat. Die vollständige richterliche Selbstverwaltung, die das spanische, italienische, portugiesische System charakterisiert, wird neben Ungarn in Albanien, Bulgarien, Mazedonien, Rumänien, Kroatien und Slowenien verwirklicht. Daneben existieren solche gemischten Systeme, in denen die Selbstverwaltungsorganisationen mit der ausführenden Gewalt zusammen die Verwaltung ausüben (Polen, Estland, Weißrussland. Slowenien, Litauen). Daneben ist in manchen Ländern die zentrale Rolle der Regierung auf dem Gebiet der Verwaltung erhalten geblieben.[64]
Für die ehemaligen sozialistischen Länder ist diese Frage auch deshalb äußerst wichtig geworden, weil in der Zeit des Einparteisystems die organisatorische Unabhängigkeit prinzipiell noch nicht zu der rechtswissenschaftlichen Ansicht passte. Unter der Unabhängigkeit, die in der Verfassung auch zu finden war, ist lediglich die Unabhängigkeit des Urteilsrichters verstanden worden.[65] Trotzdem existierten in Ungarn bestimmte Elemente der organisatorischen Unabhängigkeit. Es wurde nämlich eine besondere Beziehung zwischen dem Obersten Gericht und dem Parlament bzw. zwischen dem Justizminister und den anderen Gerichten ausgebildet. Das Oberste Gericht war zwar förmlich dem Parlament gegenüber nicht untergeordnet, tatsächlich jedoch bestand eine politische Abhängigkeit. Der Präsident dieses Gerichtes hatte eine regelmäßige Berichtspflicht, und er konnte interpelliert werden. Diese besondere, mit der Rechtsstaatlichkeit als schwer vereinbar zu erachtenden Erwartungen wurden durch die Verfassungsänderungen im Jahre 1989 abgeschafft, seitdem hat der Präsident des Obersten Gerichtes außer seiner Auswahl keine andere Beziehung zum Parlament. Die Verwaltungsaufgaben bezüglich der anderen Gerichte wurden durch die Regierung, präziser gesagt durch den Justizminister ausgeübt; diese Tätigkeit bestand aus zwei Teilen. Einerseits aus der Justizverwaltung, die zusammen mit dem Präsident des Gerichtes ausgeübt wurde, andererseits aus der Aufsicht des sog. "allgemeinen Betriebs". Jene war die Gewährleistung der persönlichen und sachlichen Bedingungen, die zum Betrieb der Gerichte notwendig waren, diese deckte die Durchsetzung der regierungsseitigen Justizpolitik ab. Tatsächlich hat diese zweite Aufgabe die Verletzung der richterlichen Gewalt insoweit bedeutet, als die Richtung der Rechtsprechung aus regierungsseitigen Gesichtspunkten beeinflusst werden konnte. Auf dieses Recht hat aber der Justizminister
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Kálmán Kulcsár noch im Jahre 1989 freiwillig verzichtet. Deswegen und wegen der Modifizierung der Verfassung wurde tatsächlich bezüglich der Verwaltung der Gerichte eine solche "gemischte" Lösung geschaffen, die in manchen westeuropäischen Ländern auch funktioniert. Dieser Prozess wurde durch die Erhöhung der Rolle der richterlichen Selbstverwaltungsorgane bzw. durch die Beschränkung der Verwaltungsrechte des Justizministers im Jahre 1991 verstärkt.[66] Im Vergleich zu der sozialistischen Zeit bedeutete die Herstellung der richterlichen Gremien einen erheblichen Fortschritt, die als Selbstverwaltungsorgan der Richter einen großen Einfluss auf solche regierungsseitigen Fragen hatten, die die Richter berührt haben. Von hier an konnte in den wichtigsten Fragen ohne Zustimmung der Richterkammern nicht entschieden werden. Dieses Problem kam wegen der skandalösen Ernennungspraxis im Jahre 1992 wieder auf die Tagesordnung. Der Fall der leitenden Richter, die trotz des entgegenstehenden Willens der richterlichen Gremien durch den Minister ernannt wurden, hat angedeutet, dass das gemischte System nur in einer politischen Kultur der Enthaltsamkeit zur Zufriedenheit der Richter funktionieren kann. Es ist aber schwer, auf einmal enthaltsam zu sein und daneben noch eine systemändernde Absicht durchzusetzen. Deshalb sind immer häufiger solche Aufsätze erschienen, die die volle organisatorische Unabhängigkeit der Rechtsprechung verlangt haben.
Inzwischen sind auch mehrere Eingaben zum Verfassungsgericht gelangt, um zu beurteilen, ob der damalige Zustand, in erster Linie bezüglich der Ernennungsmethode, als verfassungsmäßig zu betrachten ist. Das Verfassungsgericht hat im Jahre 1993 - mehrere Eingaben zusammenfassend - einen Beschluss verabschiedet, in dem es die geltende Regelung mit mehrheitlicher Meinung für verfassungsmäßig befand. Die Begründung war aber nicht unumstritten, hinzu traten Einzelmeinungen, die mehrere Punkte der Regelung für verfassungswidrig fanden, und die diejenigen Bestrebungen unterstützten, die eine richterliche Organisationsreform verlangten.[67] Während der Reform im Jahre 1997 wurden diese Bestrebungen durchgesetzt und zur Überraschung vieler wurde das Ministerium durch das neue Gesetz aller seiner Befugnisse entsetzt. Manche Leute haben dies zwar als eine Veranlassung durch die Gerichte gewertet[68], allerdings scheint die Meinung begründeter zu sein, dass der Minister, der den Entwurf ausgearbeitet hat, die Forderung der richterlichen Gremien angenommen hat.[69] Damit hat tatsächlich die Rechtsprechung nach einer mehr als hundertjährigen Regierungsverwaltung volle organisatorische Unabhängigkeit erlangt.
Gemäß dem Gesetz verrichtet der Landesjustizrat unter der Gewährleistung des verfassungsmäßigen Prinzips der richterlichen Unabhängigkeit die zentralen Aufgaben der Verwaltung der Gerichte und führt Aufsicht über die Verwaltungstätigkeit der Präsidenten der Oberlandesgerichte und der Komitatsgerichte. Der Landesjustizrat hat 15 Mitglieder. Es gab zwar Streit bezüglich der Zusammenstellung des Rates, aber der Minister entschied sich schließlich für eine Instanz, die eine richterliche Mehrheit hatte, in welcher aber auch andere Gewalten vertreten waren. Die Mehrheit der Richter hat ein le-
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diglich aus Richtern bestehendes Gremium favorisiert, aber der Präsident des Obersten Gerichtes hat in Zustimmung mit dem Minister für einen gemischten Rat mit richterlicher Mehrheit entschieden. Nach seiner Begründung kann ein lediglich aus Richtern bestehender Rat jenseits der Gefahr des Korporativismus die Reduktion der Durchsetzungsfähigkeit in sich bergen.[70] Dementsprechend besteht der Rat aus 9 Richtern, aus dem Justizminister, dem Generalstaatsanwalt, dem Präsident der Ungarischen Rechtsanwaltskammer und jeweils aus einem Abgeordneten des Verfassungs- und Justizausschusses, bzw. des Haushalts- und Finanzausschusses des Parlaments; sein Präsident ist der jeweilige Präsident des Obersten Gerichts.
Wenn man die Aufgaben betrachtet, kann festgestellt werden, dass der Landesjustizrat alle früheren Aufgaben des Ministeriums übernommen hat, er hat aber daneben auch solche inneren Verwaltungsbefugnisse bekommen, die bis dahin kein anderes Verwaltungsorgan ausgeübt hat.
Hinsichtlich der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt ist es eine wichtige Frage, welche Rolle der Rechtsprechung bei der Bestimmung des eigenen Haushaltes zukommt bzw. über wie große Autonomie sie im Hinblick auf ihren Haushalt verfügt.
Neben dem Erfordernis der Wertbeständigkeit der richterlichen Vergütung bekommt heute jene Ansicht eine Stimme, dass der einflusslose Betrieb der Gerichtshöfe durch den Finanzierungsautomatismus bezüglich des vollen Haushaltes der Rechtsprechung gesichert werden kann. Es würde bedeuten, dass die Gerichtsleiter nicht um die Aufrechterhaltung und um die Erhöhung ihres Haushaltes feilschen müssten, weil dessen der Inflation folgende Erhöhung durch das Gesetz garantiert wäre. Die Grundlage der Vorstellung ist, dass wenn die Vergütung der Richter, die Lage der Gerichtshöfe, die Qualität der sachlichen Bedingungen von regierungsseitiger Gnade abhinge, die Gerichte in Schach gehalten und zu Entscheidungen zu Gunsten der Regierung angetrieben werden könnten.
Während die Landesjustizräte zur Aufteilung des durch die Gesetzgebung zugeteilten Haushaltes in immer mehr Bereichen Befugnis erwerben, bleibt der Haushaltsautomatismus lediglich ein Wunschtraum.
Wir finden aber zahlreiche Beispiele dafür, dass der durch die Richter aufgrund der Tradition ausgearbeitete und Selbstmäßigung zeigende Haushaltsentwurf durch die Regierung oder durch die Gesetzgebung nicht überprüft wird. Ein solches System funktioniert bezüglich der Bundesgerichte der Vereinigten Staaten.[71] In Ungarn hat es sich in der Praxis lediglich im Fall des Verfassungsgerichts durchgesetzt, aber der durch den Haushalt gesicherte Rahmen bleibt weit hinter den Finanzmitteln zurück, die die Gerichtspräsidenten zum Betrieb der anderen Gerichtshöfe für notwendig erachten.
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Zur Verhinderung der Beeinflussung der richterlichen Gewalt und der einzelnen Richter dient die immer intensivere Forderung, dass bei der "Signierung", bei der Verteilung der zum Gericht eingehenden Fälle, keine persönlichen Aspekte durchgesetzt werden können und dass die Regierung oder andere äußere, allenfalls innere Kräfte nicht erreichen können, dass die aus politischen Gesichtspunkten wichtigen Fälle zu den Richter eingehen können, die für sie "komfortabel" sind. Wenn die Fallverteilung zur Kompetenz der Gerichtsleiter, die mit der Regierung in Haushaltsfragen zum Feilschen genötigt sind, gehört, dann kann es wenigstens als Grund zum Misstrauen dienen. Dessen Ausscheidung bedient der in immer mehr Bereichen angewandte Verteilungsautomatismus, der zufallsbestimmt macht, welcher Richter oder welche Richterkammer über einen bestimmten Fall entscheiden kann.[72] Diese anscheinend innere Regelungsfrage beginnt ein immer wichtigerer, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung sichernder Faktor zu sein, für dessen Einfassung in das Grundgesetz auch Beispiele vorhanden sind. Die Wichtigkeit des Fallverteilungsautomatismus wird auch dadurch ersichtlich, dass in Ungarn diese Frage vor einigen Jahren auf die Ebene des Regierungsprogramms erhoben wurde. Die vollständige Automatisierung des Verteilungssystems lässt sich trotzdem erwarten, da in den zum ungarischen Rechtsprechungssystem im großen Maße sich ähnelnde europäischen Ländern gut funktionierende Modelle zu finden sind. In der österreichischen Verfassung bedeutet z.b. die Methode der Fallverteilung eine verfassungsmäßige Garantie der Unabhängigkeit. Die Fälle werden im Voraus auf die in dem Gerichtsorganisationsstatut bestimmte Zeitdauer zwischen den Richtern verteilt. Der Fall, der aufgrund dieser Verteilung einem bestimmten Richter zukommt, kann diesem nur aufgrund der Anordnung des Senats, der gemäß dem Gerichtsorganisationsstatut zu diesem Zwecke einberufen wird, und nur ausschließlich im Fall seiner Verhinderung oder wenn er wegen des Ausmaßes seiner Aufgaben an der termingemäßen Erfüllung dieser Fälle verhindert ist, entzogen werden.[73]
Bei der Analyse der Expansion der richterlichen Gewalt haben wir bisher die Unabhängigkeit der richterlichen Organisation untersucht. Es gibt aber noch eine andere Dimension der richterlichen Unabhängigkeit. Das ist die persönliche Unabhängigkeit der Richter, die dem Zwecke dient, die Bedingungen des unparteiischen und gerechten Urteils, das von dem Urteilsrichter oder durch die Richterkammer gefällt wird, zu gewährleisten. Alle anderen Erfordernisse bezüglich der Unabhängigkeit sind eigentlich im Interesse ihrer Gewährleistung entfaltet worden. Die gesetzlichen Garantien der persönlichen Unabhängigkeit des Berufrichters oder die Unabhängigkeit der Gerichtsorganisation dienen dazu, dass der Urteilsrichter oder die Gerichtskammer ihr Urteil unabhängig und unparteiisch treffen können. Dieser Zusammenhang ist aber im Licht der Erfahrungen nicht so selbstverständlich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.
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Die Garantien der persönlichen Unabhängigkeit der Richter wurden geschichtlich nach der Anerkennung der Unabhängigkeit des Urteilsrichters ausgebildet. Kontinuierlich bildete sich das von der Unabsetzbarkeit über die sozialgesetzlichen Sicherheiten für die Lebensführung, die Vergütung, die richterliche Haftung bis zum Immunitätsrecht sich erstreckende Garantiesystem fort. Das Gewicht und die tatsächliche Durchsetzung dieser Garantien kann im großen Maß die Ausdehnung der Gesamtheit der richterlichen Gewalt bestimmen. Ein wichtiger Eindruck des sich auf diese Garantien beziehenden Gesichtspunktes der europäischen Länder ist das im Rahmen des Europarats geborene Dokument, die europäische Charta über die Rechtsstellung der Richter, die auf dem Boden der in diesem Sachgebiet geborenen universalen und europäischen Abkommen bzw. der Empfehlung Nr. R (94) 12 des Ministerkomitees an den Mitgliedstaaten über die Unabhängigkeit, Effizienz und Rolle der Richter die in diesem Bereich als wichtig erachtete Erfordernisse zusammenfasst. Die Charta formuliert bei der Beschreibung ihrer Grundprinzipien dergestalt, dass "das Richterstatut [...] die Kompetenz, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleisten [soll], die jedermann legitimer Weise von den Gerichten und allen Richterinnen und Richtern erwartet, denen der Schutz seiner Rechte anvertraut ist. Es schließt jede Regelung und jede Verfahrensweise aus, die geeignet ist, das Vertrauen in diese Kompetenz, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu beeinträchtigen. Diese Charta enthält nachfolgend die Regelungen, die am besten geeignet sind, die Verwirklichung dieser Ziele zu gewährleisten."[74]
Sie sagt weiterhin aus, dass über die grundlegenden Prinzipien des Richterstatuts in jedem europäischen Staat die inneren Rechtsnormen auf der höchsten Gesetzesebene verfügen sollen.[75] Eine wichtige, teilweise die organisatorische Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt berührende Feststellung der Charta ist, dass "für jede Entscheidung über die Auswahl, die Einstellung, die Ernennung, die Beförderung oder die Dienstenthebung eines Richters oder einer Richterin das Statut die Beteiligung einer von der Exekutive und Legislative unabhängigen Instanz vorsieht, der wenigstens zur Hälfte Richterinnen oder Richter angehören, die aus der Richterschaft nach einem möglichst repräsentativen Wahlmodus gewählt werden."[76] Die Charta erklärt fast alle sich auf die Rechtsstellung der Richter beziehenden Entscheidungen zur Zuständigkeit eines solchen Gremiums, dessen Hälfte aus Richtern besteht. Sie verlangt von den Mitgliedstaaten nicht, dass über die oben genannten Fragen diese Instanz die letzte Entscheidung treffen soll, sondern sie formuliert so, dass diese Entscheidungen "auf ihren Vorschlag, ihre Empfehlung, mit ihrer Zustimmung oder nach ihrer Anhörung getroffen" werden. Diese zu den Realitäten passende Erwartung beachtet, dass in vielen Fällen (wie auch in Ungarn) die Richter durch einen hohen staatlichen Würdenträger, der zu einer anderen Gewalt gehört, ernannt werden, aber die tatsächliche Entscheidung - bezeichnen wir sie als Vorschlag oder Entscheidung - wird durch ein Gremium, das sich nach den Erwartungen der Charta richtet, getroffen. Über die allgemeinen Grundsätze hinaus beschäftigt sich die Charta mit den Fragen der Auswahl, Einstellung, Ausbildung, Unversetzbarkeit, Laufbahn, Verantwortlichkeit, Vergütung, soziale Sicherung und mit dem Ausscheiden aus dem Richteramt.[77] Von diesen werden wir uns über die Vergleichsanalyse
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mit zwei aus dem Gesichtspunkt der richterlichen Unabhängigkeit sehr wichtigen Bereichen beschäftigen, und danach werden wir die Regelung der Rechtsstellung der ungarischen Richter darlegen.
Bei der Analyse der zentralen Verwaltung haben wir schon die Relevanz der Auswahl der Richter betont. Die Umstände des Richterwerdens sind nämlich nicht unwesentlich von dem Gesichtspunkt geprägt, welche Beziehung die Rechtsprechung zu den anderen Gewalten hat. Die in diesem Bereich ausgebildeten Lösungen werden durch das die richterliche Rolle anders auffassende common law und römisch-germanische Rechtssysteme im großen Maß beeinflusst. In den römisch-germanischen Rechtssystemen wird die richterliche Tätigkeit von den anderen Erscheinungsarten der staatlichen Bürokratie nicht scharf unterschieden. Der Richter ist ein Rechtsanwender, der mit der Hilfe der Produkte der Gesetzgebung die auftauchenden Streitfälle lösen muss. Es benötigt vor allem Fachwissen und nicht die im weiten Kreis anerkannte Weisheit, Autorität, Kreativität oder moralische Haltung. Das sog. karrieregerichtliche System richtet sich dementsprechend typischerweise an solche Richter, die noch jung und ohne vorgängige Anwaltspraxis eine Stelle, dann später Ernennung bei dem Gericht erlangen. Die Fachrichter der common law-Länder sind dagegen hochangesehene, die Funktion der Gesellschaft bestimmende Akteure der Rechtsprechung, deren Entscheidungen die Richtung der Rechtsentwicklung angeben. Im Allgemeinen bedeutet die richterliche Ernennung die Krönung einer langen anerkannten Juristenarbeit.
Viele sehen die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit heute darin, dass der Auswahlprozess der Richter von der ausführenden oder von der gesetzgebenden Gewalt streng getrennt wird. Eine Manifestationsform davon ist, wenn der Richter unmittelbar vom Volk gewählt wird, was z.b. in den Vereinigten Staaten bei den Landesrichtern mit Vorliebe angewendet wird. Die andere Richtung, in die sich die römisch-germanischen Rechtssysteme meistens entwickelt haben, belässt die Auswahl der neuen Richtergenerationen bei der Richterschaft selbst, und die ausführende Gewalt bekommt allenfalls bei der "Sanktionierung" der Wahl eine formale Rolle. Daneben existiert auch heute die Form der Richterernennung, wo die Gesetzgebung oder die Regierung über tatsächliche Kompetenzen verfügt.
Mit den Umständen der Richterauswahl beschäftigen sich mehrere internationale Dokumente. Über die Stellungnahmen von verschiedenen internationalen Richterorganisationen hinaus[78] ist noch die vorher schon erwähnte, vom Europarat verabschiedete Charta, das Dokument über die Rechtsstellung der Richter, zu erwähnen wert. Dieses Dokument enthält das Erfordernis, dass bei der Richterauswahl eine Entscheidung oder wenigstens eine Empfehlung eines Ausschusses benötigt ist, in welchem wenigstens die Hälfte der Mitglieder Berufsgenossen der Richter sind. Darüber hinaus gibt es noch eine wichtige Erwartung, die lautet: "bezüglich Auswahl und Einstellung der Richterinnen und Richter sieht das Statut die Entscheidung durch eine unabhängige Instanz oder Jury vor. Maßgeblich ist die Fähigkeit der Bewerberinnen und Bewerber, über die ihnen unterbreiteten Rechtsfälle frei und unparteiisch und in der Achtung vor der Würde der Per-
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sonen zu entscheiden. Die Regeln über Auswahl und Einstellung schließen es aus, dass Bewerberinnen oder Bewerber wegen ihres Geschlechts, ihrer ethnischen oder sozialen Herkunft oder wegen ihrer philosophischen, politischen oder religiösen Überzeugungen abgewiesen werden."[79]
Diese Stellungnahmen bezüglich der Richterauswahl betonen vor allem die Wichtigkeit des äußeren, in erster Linie aus der Richtung der ausführenden Gewalt kommenden Einflusses. Es bedeutet aber nicht, dass in Europa die technische Vielfältigkeit der Auswahl in der letzten Zeit etwas gesunken wäre.
Zu sagen ist, dass heute bei den Wahlmethoden ein Aufnahmeprozess, der auf verschiedenen, von fachlichen Gesellschaften organisierten Eignungsprüfungen für Angestellte im öffentlichen Dienst beruht, in der Verbreitung ist, der die Gewährleistung der Objektivität der Auswahl anstrebt. Die Justizräte spielen in dieser Organisierung eine erhebliche Rolle. Eine Form davon ist, dass Juristen mit Diplom als Ergebnis der Eignungsprüfung für Angestellte im öffentlichen Dienst unmittelbar zum Gericht unter der Bedingung aufgenommen werden, dass diejenigen, die die Prüfung absolviert haben, an einer vom Justizrat organisierten Weiterbildung teilnehmen müssen. (Dieses System wird z.B. in Italien verwendet.)[80]
Ebenfalls wird in mehreren Ländern die Lösung angewendet, dass die Eignungsprüfung für Angestellte im öffentlichen Dienst für die Aufnahme in der Richterbildungsschule abläuft. Die spätere Leistung der Absolventen, die aufgrund einer Aufnahmeprüfung, die aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil besteht, aufgenommen werden, hat bei der Stellung eine Bedeutung. Das ist unter anderem in Spanien[81], Griechenland[82], Portugal[83], in den Niederlanden[84] und in Frankreich[85] der Fall, die auch als Mustergeber zu betrachten ist. Im letzteren funktioniert schon seit 1958 die nationale Richterbildungsschule[86], an der die Studenten nach einer recht schwierigen Aufnahmeprüfung eine professionelle Weiterbildung bekommen. Interessanterweise ist das rechtswissenschaftliche Diplom erst seit 1992 obligatorische Bedingung der Bewerbung, bis dahin war die Institution für alle anderen Absolventen offen.[87]
Die gemeinsame Eigenschaft des oben genannten Verfahrens ist, dass sie bei der Auswahl der Richter neben der politischen, regierungsseitigen Beeinflussung auch die Rolle des "Beziehungskapitals" minimalisieren können. Die nachprüfbaren Prüfungsleistungen schließen bei der Aufnahme mehr oder weniger die Möglichkeit der Beachtung familiären, bekanntschaftlichen und anderen Beziehungskapitals aus. Zur Versicherung könnte auch die in mehreren Ländern übliche Praxis dienen, dass bei den Auf-
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nahmeprüfungen an der Arbeit der Ausschlüsse nicht nur Richter, sondern auch anerkannte Professoren der Rechtswissenschaften teilnehmen.[88]
In den Ländern, in denen die Regierung die Aufgabe der Gerichtsverwaltung bewahrt hat, ist der wesentliche Teil der Richterauswahl den Gerichtsorganisationen anvertraut. Zum Beispiel ist in Österreich der Minister nicht an die Ernennungsanträge des Gerichts gebunden, aber diese Anträge werden trotzdem fast ausnahmslos beachtet. Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass wegen der unterschiedlichen politischen und rechtlichen Traditionen in solchen Situationen die Politik in die Richterauswahl hereinredet.[89]
Manche glauben heute noch immer, dass die höchste Legitimität für die Richter dadurch gewährleistet wird, dass sie unmittelbar vom Volk gewählt werden. Diese Methode wird an vielen Landesgerichten der USA angewendet. Anscheinend besteht hier weder der Einfluss der ausführenden Gewalt, noch die richterliche Korporativismus als Gefahr. Die Erfahrungen zeigen aber, dass die Rolle der politischen Parteien bei der Wahl wegen der Interesselosigkeit der Bevölkerung und wegen anderer Gründe erweitert wird. Diese Parteien können dem Kandidaten den ersten Platz auf der Kandidatenliste gewährleisten, der meistens eine wichtige Bedingung für den Erwerb des Richteramtes ist. Es muss auch bemerkt werden, dass die Unabhängigkeit der Richter, die mit dem Willen der Wähler auf bestimmte Zeit die Stelle erwerben, mit der Unabhängigkeit der lebenslangen Ernennung erworbenen Bundesrichter nicht zu vergleichen ist. Die letzteren können auch im Fall einer politikmäßigen Ernennung leicht gegen den Willen ihrer Ernenner entscheiden, wofür wir zahlreiche Beispiele in der Geschichte der Rechtsprechung der Vereinigten Staaten finden.
Lediglich aus Kuriosität ist es wert zu erwähnen, dass hinsichtlich der Richterwahlen auch in Europa Beispiele zu finden sind, in den einzelnen Kantonen der Schweiz werden die Richter unmittelbar von dem Volk oder durch das Parlament gewählt.[90]
Im Allgemeinen kann festgestellt werden, dass die richterliche Selektion im Weltmaßstab in Richtung auf die Vordrängung professioneller Aspekte hindeutet. Es wird in den römisch-germanischen Rechtssystemen durch die schon erwähnten, immer objektiveren Eignungsprüfungen für Angestellte im öffentlichen Dienst, in den common law- Rechtssystemen hingegen (oder z.B. in den skandinavischen Ländern) durch die politisch-rechtliche Kultur, die juristische Tradition, die hohe Juristenbildung, das große Prestige des Richteramtes garantiert.[91] Nach der Erwerbung des Richteramtes wird das Vorwärtskommen der Richter in den römisch-germanischen Rechtssystemen typisch durch die Nummer der verbrachten Jahre und durch das Urteil über die Richterleistungen von den leitenden Richtern der oberen Gerichte bestimmt, während in den Länder der common law-Rechtssysteme es durch die politische Wille beeinflusst und abgeschattet wird.
Bei der Auswahl sinkt die Rolle der politischen Gesichtspunkte damit verhältnismäßig und tendenzmäßig. Es muss gleichzeitig erwähnt werden, dass je höher die erfüllende richterliche Stelle ist, desto größer die Möglichkeit der Verwirklichung des politischen Willens ist. Genauer gesagt, wie es aus der Natur der Rechtsprechung bei der Erfüllung der Richterämter, die folgt die Beschränkung des gesetzgebenden oder regie-
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rungsseitigen Willens bedeutet, folgt, verwirklichen sich politische Gesichtspunkte weiterhin mehr oder weniger offen oder verdeckt. Wo die an der Spitze der ordentlichen Gerichte stehenden Gerichte (die Vereinigten Staaten) oder die Verfassungsgerichte in Europa eine solche beschränkende Rolle haben, wird die Auswahl der Richter merkbar Teil der politischen Kämpfe und Vereinbarungen.
Wenn wir die ungarische Situation untersuchen, kann festgestellt werden, dass die Rolle der anderen Gewalten bei der Auswahl der Richter nur als formell zu betrachten ist und das Problem eher der Korporativismus ist. Die Rolle der fachlichen Aspekte ist zwar relevant im Prozess des Richterwerdens, aber der Mangel der Anwendung der objektiven Eignungsprüfungen für Angestellte im öffentlichen Dienst gibt weiterhin der Verwirklichung des "Beziehungskapitals" Raum.[92]
Vielleicht das wichtigste und bekannteste Element der persönlichen Unabhängigkeit der Richter ist, dass sich auf die Einstellung dererlei Arbeitsverhältnisse von den anderen Angestellten im Öffentlichen Dienst und Beamten im Öffentlichen Dienst abweichende Regeln beziehen. Die Erschwerung der Einstellung des Richteramtes soll die Möglichkeit der Beeinflussung der Richter mindern. Ob es sich um innere organisatorische oder äußere aus der Richtung der anderen Gewalten kommende Beeinflussungswillen handelt: die unabhängige, unparteiische Entscheidung wird erleichtert, wenn der Richter unabsetzbar, zu einem anderen Gericht nicht umsetzbar ist bzw. aus seinem Amt nur unter außergewöhnlichen Umständen entfernt werden kann. Die Rechtsprechung der common law-Rechtssysteme zeigt im Allgemeinen in diesem Bereich die Verwirklichung von stärkeren Garantien. Die schon zitierte Vorschrift des Act of Settlement, die das lebenslange Richteramt begründet hat, hat den Vereinigten Staaten und anderen common law-Ländern ein Muster gegeben. Die extreme Erschwerung der Abschaffung des im Fall des "angemessenen Benehmens" lebenslang dauernden Auftrags ist tatsächlich ein großartiges Mittel zur Minderung des Einflusses. Es ist eine andere Frage, inwieweit die Erschwerung der Effizienz der richterlichen Arbeit und der Aussiebung der unfähigen Richter die Verwirklichung der an die Rechtsprechung gestellten Erwartungen verhindert.
Im Fall der Richter der oberen Gerichte des Vereinigten Königreiches kann jemand seines Richteramtes aufgrund der Entscheidung von beiden Häusern des Parlaments entsetzt werden. Dafür gab es bisher noch kein Beispiel (nur in Irland einmal im Jahre 1830) und hier auch nur einmal im Jahre 1983, als der Lordkanzler einen auf niedrigerer Gerichtsebene tätigen Richter (circuit judge) wegen Schmuggel aus seinem Amt entfernte. Um dies zu verstehen, kann die Kenntnis der Struktur der englischen Juristenschaft, der Auswahlform der Richter, deren moralische Haltung und der politischen Tradition einen Wegweiser geben.[93] Am Beispiel eines anderen Commonwealth Staates ist die Eigenartigkeit der Rechtsprechung des common law gut anzusehen. In Australien wurde nur in einem Fall 1974 versucht, einen Richter des oberen Gerichtes aus seinem
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Amt zu entfernen, aber wegen des Todes des Richters endete dieser Fall auch nicht mit Abberufung.[94] In den Vereinigten Staaten kam bezüglich der Bundesrichter die Abberufung der Richter im Rahmen eines ähnlich umständlichen Verfahrens zwar öfter, aber eigentlich auch nur in außerordentlichen Fällen vor. Seit 1803 wurde nur die Abberufung von sieben Richtern durch das Abgeordnetenhaus und durch den Senat im Rahmen eines "impeachment"[95] Verfahrens verabschiedet, und einige mehr sind von ihrem Amt zurückgetreten, bevor ein Verfahren gegen sie eingeleitet worden wäre.[96] (Natürlich bekommt nicht jeder Richter so einen Schutz, wie wir es schon bemerkt haben, die Mitgliedstaaten können die Gerichte mit auf bestimmte Zeit ernannten Richtern und ebenso auf bestimmte Zeit gewählten Richtern arbeiten lassen.)
In den Ländern der römisch-germanischen Rechtsfamilie existiert eine ähnliche Garantie der persönlichen Unabhängigkeit der Richter, aber sie hat durchaus nicht so große Sicherheit wie diejenige, an der ein common law-Richter Teil hat. Im Rahmen der Disziplinärverfahren bzw. der Berufsanalyse, die immer mehr zur Kompetenz der Justizrate gehören, kommt bei den obigen Beispielen vielmehr öfter und nach einigen Statistiken immer häufiger die Abberufung der Richter gegen ihren Willen vor.[97]
Die europäische Charta über die Rechtsstellung der Richter befestigt in dieser Beziehung die nachfolgenden Ansprüche für die Mitgliedstaaten des Europarats: "Die Bedingungen des Ausscheidens aus dem Richteramt erforderen große Aufmerksamkeit. Es ist sehr wichtig, die Ausscheidungsgründe für das Richteramt beschränkungsweise zu bestimmen. Es sind der Rücktritt, die ärztlich festgestellte physische Dienstunfähigkeit, das Erreichen der Altersgrenze, der Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Amtszeit und schließlich die Dienstenthebung als Strafe, die im Rahmen eines Disziplinarverfahrens verhängt wurde.[98] "Über die ohne Schwierigkeit feststellbaren Gründe des Ausscheidens aus dem Richteramt hinaus - d.h. die Altersgrenze und der Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Amtszeit - müssen die sonstigen Ausscheidensgründe aus dem Richteramt bei ihrem Eintritt durch die schon vorher erwähnte Instanz, der wenigstens zur Hälfte Richterinnen oder Richter angehören, untersucht werden." [99]
Im Spiegel der bereits bezeichneten Tendenzen können wir auf die interessante Feststellung kommen, dass mit der organisatorischen Unabhängigkeit die fachliche Aufsicht der richterlichen Tätigkeit steigt, womit parallel die Garantien der persönlichen Unabhängigkeit der Richter und deren eigene Autonomie sinken.
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Auf die Rechtsstellung und Vergütung der Richter bezieht sich ein im Rahmen der Justizreform aus dem Jahre 1997 verabschiedetes Gesetz.[100] Die Tatsache selbst, dass das auf die Rechtsstellung und die Vergütung der Richter beziehende Rechtsmaterial, das früher sporadisch in Rechtsnormen niedrigerer Ebene zu finden war, in einem eigenen Gesetz geregelt worden ist, ist als ein erheblicher Fortschritt zu betrachten. Die Verabschiedung des selbstständigen Gesetzes erklärt die Erläuterung des Gesetzen folgendermaßen: "Die eng ausgelegte rechtsprechende Tätigkeit der Richterorganisation, das Fällen von Urteilen, wird von den Richtern ausgeübt. Ihre Rechtsstellung und ihre Arbeit werden durch das verfassungsmäßige Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit bestimmt und abgesichert. Diese besondere persönliche Unabhängigkeit unterscheidet die Richter von anderen Subjekten der Rechtsprechung und von anderen in der Gerichtsorganisation mit juristischem oder mit nicht juristischem Bildungsstand tätigen Angestellten und macht damit die Herstellung eines selbstständigen Gesetzes unabdingbar. Die personelle Zuständigkeit des Gesetzes gilt deshalb nur für Richter. Die Beförderung und die Vergütung der Richter muss in einem eigenen Gesetz geregelt werden."[101]
Die Regelung der Rechtsstellung der ungarischen Richter entspricht dem schon früher bezeichneten europäischen Trend. Die Autonomie der richterlichen Gewalt ist mit der organisatorischen Unabhängigkeit, die durch die Errichtung des Landesjustizrates durchgesetzt wurde, gegen die anderen Gewalten verstärkt worden. Parallel damit ist aber eine Verengung der persönlichen Autonomie der Richter wahrzunehmen, was der Regelung ihrer Rechtsstellung zu entnehmen ist. Dies wird durch die Verschärfung der auf die Bewertung ihrer Arbeit beziehenden Regeln und durch die Berufsanalysen herbeigeführt. Die Regelung und Praxis der Auswahl der Gerichtsreferendare und der Richter folgen aber gleichzeitig nicht den europäischen Tendenzen, was sogar auf indirekter Weise die Unabhängigkeit des Urteilsrichters verletzen kann. Im Folgenden wollen wir auf die Probleme dieser zwei Bereiche des Gesetzes bezüglich der Rechtsstellung und der Vergütung der Richter eingehen.
Nach dem Gesetz kommt das Dienstverhältnis der Richter mit der Ernennung zustande. Der Richter wird vom Staatsoberhaupt ernannt und entlassen. Die Voraussetzungen für die Ernennung zum Richter in der Ungarischen Republik sind die ungarische Staatsbürgerschaft, das unbestrafte Vorleben, der juristische Universitätsabschluss und das Ablegen der juristischen Fachprüfung. Darüber hinaus muss man mindestens ein Jahr lang als Assessor beim Gericht oder bei der Staatsanwaltschaft, beziehungsweise früher als Verfassungsrichter, Richter, Militärrichter, Staatsanwalt, Notar, Rechtsanwalt, Rechtsberater gearbeitet oder eine Position, deren Bekleidung die juristische Fachprüfung vorausgesetzt, bei einem Verwaltungsorgan erfüllt haben.[102] Gegenüber der vorhe-
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rigen Regelung stellt die einjährige Assessortätigkeit - als Voraussetzung für die Ernennung zum Richter - eine wesentliche Veränderung dar. Diese Regelung betrifft diejenigen nicht, die früher als Richter, Notar, Rechtsanwalt oder Staatsanwalt gearbeitet haben, sondern es verschärft vor allem die Ernennung derjenigen, die nach dem Erwerb des Diploms beim Gericht als Assessor arbeiten. Infolgedessen soll man mindestens vier Jahre auf die Ernennung warten, wenn man nach dem Erwerb des Diploms ein richterliches Amt bekleiden möchte. Vormals hat diese Periode lediglich zwei Jahre gedauert, wodurch ein 24-25 jähriger junger Mann von einem Moment auf den anderen in solchen Fragen zu entscheiden hatte, zu denen er nach herrschender Meinung über die entsprechende Lebenserfahrung nicht verfügt hat. Die im Rahmen der Justizreform von 1997 erhöhte Praktikumszeit und die nachfolgende, mindestens ein Jahr lang dauernde Assessortätigkeit beim Gericht konnte die Situation in großem Maß nicht verbessern, hat aber zu einer gründlicheren richterlichen Ausbildung beigetragen. Der Assessor handelt nämlich in gewissen außergerichtlichen Fragen selbständig, zudem kann er bei den verschiedenen Verhandlungen bedeutende Erfahrungen über die Verwaltungstätigkeit bezüglich der Prozessteilnehmer bzw. der Rechtsanwälte sammeln.
Neben der Verschärfung der Prüfungen bezüglich des unbestraften Vorlebens bestimmt das Gesetz auch, dass man vor der Ernennung zum Richter an einer Berufsanalyse teilnehmen soll. Die Ergebnisse der Analyse werden vom Landesjustizrat der Republik Ungarn beurteilt. Die Berufsanalyse umfasst eine medizinische, eine körperliche und eine psychologische Untersuchung. Bei dieser sollen die die richterliche Tätigkeit ausschließenden - oder beachtlich einfließenden Gesundheitsgründe, sowie die Intelligenz und die Charaktereigenschaften der Persönlichkeit des Richters untersucht werden.[103]
Obwohl diese Vorschriften des Gesetzes eine tatsächliche Neuigkeit bedeuten, gehen die Meinungen betreffend seine Effizienz auseinander; insbesondere bezüglich der psychologischen Untersuchungen, die von den Untersuchten eher als eine überflüssige und aufwendige Formalität als das entsprechende Mittel zum Ausfiltern der für den Richterberuf ungeeigneten Personen betrachtet werden. Nach vielen sind diese Untersuchungen höchstens für das Ausfiltern von jenen mit schweren psychischen Störungen geeignet, deren Probleme während der Referendariat oder der Assessortätigkeit sowieso auftauchen.
Die Richterstellen sollen ausgeschrieben werden.[104] Das Bewerbungssystem wurde mit diesem Gesetz verallgemeinert. Damit wollte der Gesetzgeber eigentlich erreichen, dass die Ernennung und Beförderung der Richter auf objektiven Faktoren beruht. In der Wirklichkeit hat die Praxis die Geltung des gesetzgeberischen Willens bis jetzt jedoch nicht bestätigt. Es scheint nämlich, dass die Einführung des Gesetzes am Wesentlichen nichts verändert, sogar eine negative Auslenkung verursacht hat. Zur Ausschreibung der Richterstellen am Amts-, Arbeits- und Landesgericht ist der Vorsitzende des Landesgerichts, am Oberlandesgericht der Vorsitzende des Oberlandesgerichts, am Obersten Gerichtshof der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes berechtigt. In der Praxis hängen die Ernennungen ebenso ausschließlich von ihrer Person bzw. in gewissen Fällen von dem Landesjustizrat ab. Die Rolle des Staatsoberhauptes bei der Ernennung ist vollkommen formal. Das Gesetz gewährt den richterlichen Gremien, die von den Richtern
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aus ihrer Mitte gewählt werden, lediglich das Stellungnahmerecht, der Vorsitzende ist aber in seiner Entscheidung über die Ernennung an diese Stellungnahme nicht gebunden.[105] Wie es in der Begründung des Gesetzes steht, für die sind für die Gewährleistung der erforderlichen Personal - und Sachbedingungen die für die Verwaltung der Gerichte zuständigen Vorsitzenden bzw. der Landesjustizrat verpflichtet. Die richterlichen Gremien verfügen über eine derartige Verantwortung nicht.
Hinsichtlich der Formalität entspricht die gegenwärtige Regelung den früher bezeichneten europäischen Voraussetzungen, gewährt jedoch nicht im Entferntesten die Möglichkeit der objektiven Auswahl. Sofern die Stellungnahme der richterlichen Gremien bei den Ernennungen außer Acht gelassen werden darf, so kann das Bewerbungssystem neben dem für die Geltendmachung des Beziehungskapitals zur Verfügung stehenden Gerichtspräsidenten nur ein pseudodemokratisches Ornament werden. Aufgrund der Erfahrungen sind diese Bedenken nicht unbegründet. Bei der Auswahl der Referendare und Assessoren ist ein den bezeichneten europäischen Trends nachkommendes Prüfungssystem noch nicht errichtet worden, das die Auswahl nach der Leistung und nicht nach der Gnade oder Einflussnahme anderer gewährleistet.
Eines der wichtigsten Elemente der Reform von 1997 ist, nachdem der Gesetzgeber das vorherige Bewertungssystem für ungeeignet gehalten hatte, dass er die Zahl der Berufsanalysen erhöhen wollte. Während früher die Berufsanalyse nur einmal gemacht wurde, und zwar drei Jahre nach der Ernennung als Voraussetzung für die Ernennung auf unbestimmte Zeit, schreibt das neue Gesetz zwei weitere Male während der Laufbahn des Richters vor. Darüber hinaus besteht immer die Möglichkeit, eine Analyse vorzunehmen, falls die Frage der Berufsunfähigkeit auftaucht. Die Tätigkeit des Richters wird hinsichtlich der Anwendung der materiellen, der prozessualen und der Verhaltensvorschriften bewertet. Es darf nur in rechtskräftig abgeschlossenen Fällen untersucht werden. Die Tätigkeit des auf unbestimmte Zeit ernannten Richters soll nach der Ernennung zweimal jedes sechste Jahr bewertet werden. Außer der Reihe soll die Tätigkeit bewertet werden, wenn die Feststellung der Unfähigkeit des Richters angeregt wurde oder wenn der Richter die Bewertung selbst anregt. Die Untersuchung und die Bewertung sollen innerhalb von 60 Tagen nach ihrem Erlass abgeschlossen werden. Der Gerichtsvorsitzende bewertet die Tätigkeit des Richters als Gesamtes. Im Fall des Amtsrichters wird auch die Meinung des Vorsitzenden des Amtsgerichts in Betracht genommen. Die Auswahlordnung der zur Bewertung erheblichen Fälle und die ausführlichen Analysekriterien werden vom Landesjustizrat bestimmt. In der Bewertung dürfen nur tatsächlich begründete Werturteile vorkommen, und als Ergebnis wird der Richter als geeignet, außerordentlich geeignet oder ungeeignet bewertet. Im Fall der Ungeeignetheit - wenn die Bewertung innerhalb von 15 Tagen nach ihrer Bekanntgabe von dem Gerichtsvorsitzenden nicht verändert wird - kann der Richter beim Gericht ein Rechtsmittel einlegen. Würde es aus irgendwelchen Gründen vorkommen, dass der Richter nicht fähig ist, seine Tätigkeit dauerhaft zu erfüllen, wird er von dem Gerichtsvorsitzenden in schriftlicher Form aufgefordert, sein Amt in 30 Tagen niederzulegen. Die Aufforderung soll die Gründe enthalten, die auf die Unfähigkeit des Richters hinweisen.
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Wenn er trotz der Aufforderung sein Amt nicht niederlegt, soll im Fall eines fachlichen Grunds die Bewertung seiner Tätigkeit außer der Reihe erlassen bzw. im Fall eines medizinischen Grunds der Gesundheitszustand des Richters geprüft und die weiteren Schritte gemäß dessen Ergebnis unternommen werden.[106]
Hinsichtlich der Berufsanalyse ist es empfehlenswert, auf den besonderen Zusammenhang zwischen der Bewertung der richterlichen Tätigkeit und der persönlichen Unabhängigkeit des ungarischen professionellen Richters und auf den Widerspruch des Zusammenhangs hinzudeuten. In Ungarn (und in anderen, zur römisch-germanischen Rechtsfamilie gehörenden Ländern) ist eine starke statistische Betrachtungsweise hinsichtlich der Bewertung der richterlichen Tätigkeit bzw. der Arbeit der Gerichte wahrzunehmen.[107] (Früher war eine Abteilung vom Justizministerium, heutzutage ist der Landesjustizrat für die Anfertigung der Landesstatistik bezüglich der Gerichte zuständig, zu welcher auch die Arbeitslast und die Leistung gehören.) Der Nummer der sogenannten abgeschlossenen, das heißt mit dem Urteil oder mit sonstiger Entscheidung abschließenden Fälle kann hinsichtlich der Beurteilung der Fähigkeit bestimmend sein. Diese, für zahlreiche Ungerechtigkeiten Grund gebende Annäherung (wegen des Mangels an Automatismus bezüglich der Zuweisung arbeiten die Richter bei ungleichmäßiger Lastverteilung) kann die Folge haben, dass bei der richterlichen Tätigkeit nicht die vollkommene Aufdeckung der Tatsache und die Bestrebung nach einem begründeten Urteil, sondern die Anpassung an die Erwartungen der richterlichen Vorsitzenden und höheren Gerichtsstellen bzw. an den statistischen Voraussetzungen die führende Rolle haben können.[108]
Wie gesagt, die Bedeutung der Richterauswahl wird in jenem Bereich besonders wichtig, in dem die richterliche Tätigkeit eine greifbare Wirkung auf die Politik ausübt. Im Allgemeinen sind die Obersten Gerichtshöfe diejenigen Foren, wo derartige Tätigkeit in der Rechtsprechung vorkommt. (Es ist natürlicherweise nicht einfach zu entscheiden, welche Gerichte als Oberste Gerichtshöfe angesehen werden, denn in einem Föderalsystem existieren neben dem Bundesgerichtshof Oberste Gerichtshöfe auch auf Landesebene, und heutzutage wird die Einordnung von einer ganzen Reihe von Verfassungsgerichten und anderen supranationalen gerichtlichen Foren erwickelt.)
Im Fall der common law-Länder ist die Stellung dieser Gerichte meistens einfacher zu beschreiben. In diesen Ländern bedeuten die Obersten Gerichtshöfe die Spitze der gerichtlichen Hierarchie und sind die letzten Rechtsmittelgerichte in allen Rechtsgebieten. Theoretisch wird eine Meinung von diesen Gerichtshöfen nur in Rechtsfragen geäußert, und ein relativ kleiner Anteil der Fälle wird vor sie gebracht.[109] Diese Gerichthöfe üben eine ernste gesetzgebende Tätigkeit mit ihren Präzendenzen aus, führen zu einer Kohärenz des Fallrechts und kontrollieren die Ausübung der Exekutive mit ihren Urteilen. Der letzteren Aufgabe wird aber lediglich in solcher Weise nachgekommen, dass sie in den von den niedrigeren Gerichten durch die Berufungen bei ihnen ankom-
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menden Streitfällen ein Urteil treffen. In manchen common law-Rechtsordnungen und insbesondere in den Vereinigten Staaten übt der Oberste Gerichtshof das Recht zur Kontrolle über die Gesetzgebung in breitem Umfang aus, und zwar erklärt er die Gesetze in seinen Urteilen für verfassungswidrig. Allerdings geschieht es nur im Wege der konkreten Normenkontrolle, das heißt durch die Entscheidung individueller Streitfälle. Heutzutage hat diese Funktion der Obersten Gerichtshöfe auch in jenen common law-Rechtordnungen an Bedeutung erlangt, in denen es früher als Verstoß gegen die parlamentarische Souveränität betrachtet wurde. So hat sich die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen auch in Kanada, in Indien und bereits in England wahrnehmbar erhöht, vor allem im Bereich der Freiheitsrechte.[110]
In den zu der römisch-germanischen Rechtsfamilie gehörenden Ländern ist die Situation der obersten Gerichtshöfe komplizierter. Erst nach den Forschungen über den geschichtlichen Hintergrund ist es zu verstehen, warum es in der Rechtsprechung dieser Länder typischerweise nicht nur ein richterliches Gipfelorgan gibt. Stattdessen kann es auch vorkommen, dass neben dem an der Spitze der ordentlichen Gerichte befindlichen Obersten Gerichtshof (oder wie in Frankreich neben dem Kassationsgericht) die Skala vom Gipfelorgan eines getrennten verwaltungsgerichtlichen Organisationssystems und auch von einem Verfassungsgericht bunter gemacht wird. Die Gerichte haben in diesen Ländern keine, die Regierung, eventuell auch die Gesetzgebung in einem ernsthaften Maß kontrollierende Funktion gehabt, vielmehr haben sie die Staatsgewalt, so dass sie sich den anderen Gewalten untergeordnet, oder im schlechteren Fall sich ihnen preisgegeben haben, vertreten und in den vor sie gebrachten Streitfällen ein Urteil getroffen. Im Verhältnis dazu hat es einen erheblichen Fortschritt bedeutet, als sie das Recht zur Revision der Verwaltungsakte erlangt haben, oder wie in Frankreich, als die Richter im Rahmen eines getrennten verwaltungsgerichtlichen Organisationssystems die Tätigkeit der Verwaltung kontrolliert haben. Die Berechtigung zur Kontrolle der gesetzgeberischen Tätigkeit haben nicht die obersten Gerichtshöfe, sondern die Verfassungsgerichte erlangt, deren Anzahl nach dem zweiten Weltkrieg zugenommen hat. Nach der Meinung einiger war der Grund dafür die Unsympathie gegen die ordentlichen Gerichte, die in den europäischen Diktaturen zeitweise als Diener der Macht eine widersprüchliche Rolle gehabt haben.[111]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, während die obersten Gerichtshöfe in den common law-Ländern durch die Kontrolle der Exekutive und Legislative eine aktive Rolle in der Gestaltung der Politik spielen, die obersten Gerichtshöfe der zu der römisch-germanisch Rechtsfamilie gehörenden Länder in der Regel eine eher abgedrosselte, apolitische Rolle ausfüllen. Zu einem bedenklichen Macht- und Politikfaktor sind in diesen Ländern vielmehr die Verfassungsgerichte geworden, die in der Lage sind, die Tätigkeit der Regierungen bzw. der Gesetzgebung zu beeinflussen und zu beschränken.
Letztendlich ist es empfehlenswert darauf hinzuweisen, dass die konstitutionelle Lage, die Selbständigkeit, der Umfang und die tatsächliche Macht der Legislative von der
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Rechtsanwendungskultur und von den Jahrhunderte überspannenden Traditionen ebenso abhängig ist, wie von dem Wesen der Zentralverwaltung oder von den oben analysierten Umständen. Es sind nicht nur die Verfassung oder andere schriftlichen Rechtsquellen, die bestimmen können, in welchem Maß die richterliche Macht bzw. die Richter in dem einen oder anderen Rechtssystem abhängig sind. Die auf den Präzedenzen beruhende rechtsentwickelnde Tätigkeit der common law-Richter hat sich nicht aus den in den Rechtsvorschriften befindlichen Garantien herausgebildet und auch nicht aus der Tatschache, dass die Richter der Vereinigten Staaten bei der Beurteilung der konkreten Fälle die Verfassung auf jeder Ebene der gerichtlichen Hierarchie selbst auslegen. Dies ist immer empfehlenswert im Auge zu behalten, wenn die Unabhängigkeit der richterlichen Macht einer Prüfung unterzogen wird.
Hat Saddam Recht auf ein faires Verfahren? - stand auf der Titelseite der Zeitungen. Ist Gábor Tánczos aufgrund eines fairen Verfahrens verurteilt worden? - hatte die Frage des Rechtsanwalts des in Ungarn wegen Mords verurteilten jungen Manns gestellt, bevor er seine Klage an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einreichte. Ist es ein faires Verfahren, wenn es sich mehrere Jahre lang verzögert? - so wird es von vielen bestritten, die nach der Ausschöpfung der letzten Rechtsmittelmöglichkeit nach einem letzten Ausweg suchen.
Der Ausdruck (fair trial, procès equitable) in den verschiedenen völkerrechtlichen Abkommen, in den Verfassungen und Gesetzen wird schrittweise zur wichtigsten Generalklausel bzw. zum Verfassungsprinzip der Rechtsordnungen der Welt bezüglich der Rechtsprechung und wird von den Rechtsanwälten, Richtern und Verfassungsrichtern sehr abwechslungsreich interpretiert. Dieser Ausdruck kann zu jenen unbestimmten, verschwommenen Ausdrücken gezählt werden, deren supranationale Anwendung und danach ihre Integrierung in die nationale Rechtsordnung heutzutage eine zwingende Aufgabe darstellt. Die Deklaration des Rechts auf ein faires Verfahren spiegelt vielmals lediglich die Justizreform vor, ihre Rolle in der Rechtsentwicklung ist aber unleugbar.[112] Der Erfolg dieses Ausdrucks wurde von dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt), dann von der Europäischen Menschenrechtskonvention und der darauf beruhenden Rechtspraxis gewährleistet. Der Ausdruck ist heutzutage ein unentbehrliches Element der dem erwähnten Pakt aus mehrerer Hinsicht widersprechenden, die Islamstaaten miteinander verbindenden Übereinkommen. (So geht es z.B. im V. Kapitel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Islam aus dem Jahre 1981 um das faire Verfahren, und hinsichtlich des Inhalts folgt es auch in etwa dem Inhalt der früher erwähnten Abkommen,[113] und ebenso steht es in der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam aus dem Jahre 1990.[114] Dies letzte, von 45 Staaten ratifizierte Übereinkommen bezieht sich ausdrücklich auf die Scharia, die einzige Quelle zur Interpretation der Menschenrechte, der UN-Zivilpakt wird nicht einmal erwähnt. Das aufgrund der Scharia interpretierte faire Verfahren unterscheidet sich aber offensichtlich
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bedeutsam von den im UN-Zivilpakt verankerten, wie es sich ebenso von der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bzw. von der amerikanischen Auslegungsweise des fairen Verfahrens unterscheidet.
Es geht also um einen universalen Grundsatz, zu dem fast jede Rechtsordnung ungeachtet der Angehörigkeit zu einer Rechtsfamilie in irgendwelcher Form verpflichtet wird und welcher die Rechtsprechung eines Landes, ein konkretes gerichtliches Verfahren trotz der Auslegungsunterschiede für die Außenwelt beurteilbar macht. Der Begriff ist in den letzten Jahrhunderten neben den internationalen Abkommen auch in den nationalen Verfassungen und Verfahrenskodexen verankert worden.[115] In vielen Ländern - wie auch in Ungarn - haben die Verfassungsgerichte eine bedeutsame Auslegungstätigkeit ausgeübt, um den Inhalt des Begriffs beschreiben zu können.[116]
Trotz der erwähnten Unterschiede der Auslegungsweise des Grundsatzes kann die Rolle des Begriffs in der Beschleunigung des Prozesses um die Annäherung der verschiedenen Rechtsordnungen nicht aberkannt werden.[117] Dieser Prozess ist sinngemäß dort am schnellsten, wo die unterschiedlichen Rechtsordnungen mit einer verbindlichen Kraft von einem zur Auslegung des Begriffs berufenen Gericht verbunden werden. Über eine solche Kraft verfügt die Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Bezüglich des fairen Verfahrens stellt die Rechtspraxis des Gerichtshofes die Ausarbeitung eines allgemeinen, sich auf die Rechtsprechung beziehenden Grundsatzes dar, der als leitende Generalklausel der europäischen Rechtsprechung auch die traditionellen, sich auf die Rechtsprechung beziehenden, allgemeinen Verfassungsprinzipien umfasst. (Es soll betont werden, dass sich das Erfordernis des fairen Verfahrens nicht auf die gerichtlichen Verfahren beschränkt, dies bedeutet aber ohne Zweifel den Hauptgeltungsbereich des Grundsatzes. So wird heutzutage von der Unabhängigkeit des Richters durch das Recht zur Verteidigung auch die Unschuldsvermutung als ein Bestandteil des fairen Verfahrens behandelt. Während früher das faire Verfahren neben den oben genannten Verfassungsprinzipien lediglich als ein neuerer, die prozessualen Rahmen bestimmender Grundsatz behandelt wurde,[118] wird es heute in den ratifizierenden Ländern, verdankend vor allem der gerichtlichen Tätigkeit, als das wichtigste Prinzip bezüglich der Tätigkeit der Rechtsprechung angesehen. Diese Grundsätze verbinden die Rechtsprechung der ratifizierenden Staaten, da im Fall eines Verstoßes gegen sie der betroffene Staat verurteilt werden kann.
Die in diesem Bereich entstandene Konvergenz der unterschiedlichen Rechtsfamilien und Rechtsordnungen ergibt sich jedoch nicht nur aus der über eine verbindliche Kraft verfügenden richterlichen Tätigkeit. Es geht um einen komplizierteren Vorgang, in dem die europäische Anwendung der Anforderung des fairen Verfahrens sowohl als das Ergebnis als auch als der Verursacher dieser Veränderung angesehen wird. Es ist
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empfehlenswert, den Begriff des fairen Verfahrens aus dem Aspekt eines seiner ausgeprägten Elemente im Voraus zu prüfen, um die Natur dieses Vorgangs zu verdeutlichen.
Das Erfordernis der Fairness ist ein Bestandteil des fairen Verfahrens. Dies ist auch dann wahr, wenn dieser Begriff in dem Text der Europäischen Menschenrechtskonvention in dieser Form nicht auffindbar ist. Wenn wir aber die Herkunft des Begriffes "fair trial" einer Prüfung unterziehen, wird uns klar, dass die englische Terminologie schon ursprünglich auf jene Gleichheit hindeutet, die aus dem englischen "fair play" zu verstehen ist. (Aus der französischen Terminologie ist es schwieriger herauszufolgern, obwohl der Ausdruck "procès equitable" aus dem "aequitas", der Ausdruck "aequitas" aus dem "aequs" kommt, der Gleichheit bedeutet.) So ist es selbstverständlich, dass die Europäische Kommission aus dem Begriff des fairen Verfahrens bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1959 den Grundsatz der Fairness herausleitet. Danach erlangt der Grundsatz der Fairness in einer Reihe von Urteilen eine Funktion. Seine Anwendung beschränkt sich nicht auf das Strafrecht, obwohl dieses Erfordernis, hinsichtlich der schutzbedürftigen Lage der Angeklagten und der vorgesehenen schwerwiegenden Folgen, in diesem Bereich ohne Zweifel eine besondere Bedeutung erlangt hat. Nach den das Übereinkommen auslegenden Personen kann also das Verfahren dann als fair angesehen werden, wenn die Gegenparteien vor einem unabhängigen und unparteilichen Gericht mit den gleichen Waffen kämpfen. Die Anwendung des Wortes "Waffe" beschreibt die Lage entsprechend, dass hinsichtlich der europäischen Rechtsprechung sich etwas verändert, und der bei der Beschreibung der common law Rechtsprechung geschriebene Kampf oder Kampftheorie[119] in das Instrumentarium des die europäischen Rechtssysteme verbindenden "Gipfelgerichts" gelangt.
Dieser militärische Ausdruck ist sehr treffend, denn Identität der Waffen bedeutete im engeren Sinne des Wortes das Verschaffen der gleichen Chance bei dem, auch in den alten Formen der Rechtsprechung erschienenen Duell. Daraus folgt aber nicht, dass die Rechtsprechung bereits in den alten Zeiten die Gleichheit der Rechte der Gegenpartien gewährleistet hat, es wurde aber immer, mehr oder weniger nach der Anwendung des "fair play" oder wenigstens nach der Gewährleistung dessen Anscheins gestrebt. Ab dem früheren Mittelalter haben sich in Europa in etwa ähnliche Verfahrensformen innerhalb der bürgerlichen Rechtsprechung herausgebildet. Während diese aber - hauptsächlich ab dem Ende des 12. Jahrhunderts - von den durch die kirchlichen Gerichte ausgearbeiteten Verfahrensformen abgelöst wurden, hat die königliche Rechtsprechung in England lediglich den Kampf ins Symbolische umgestaltet.[120] Aus dieser Abweichung ergibt sich die Tatsache, dass, während die Rechtsprechung in den Ländern der römisch-germanischen Rechtsfamilie inquisitorisch, sie in England und später in den angloamerikanischen Rechtsordnungen adversativ (kontroverse, gegenteilig) geworden ist. Die Erstere wurde als Untersuchung zur Entdeckung der Wahrheit, während die letztere auch im Weiteren als Kampf angesehen, auch wenn es statt Waffen mit anderen Mitteln weitergekämpft wurde.
Die zentrale Rolle des klassischen, inquisitorischen Verfahrens spielt die Amtsperson, der Richter, der mit der Absicht, die Wahrheit zu entdecken, selbst die Ermittlungen durchführt, das ganze Verfahren in seiner Hand hält und am Ende des Verfahrens ein Urteil trifft. Die aus aller Sicht untergeordnete Lage des Angeklagten ist offensich-
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tlich, in diesem Fall kommt die Fairness nicht in Rede.[121] Im 19. Jahrhundert erscheint in Europa schrittweise das sog. reformierte Verfahren, das mit der Trennung der staatsanwaltlichen und richterlichen Funktion den ersten Schritt der adversativen Auslenkung darstellt. Unterschiedlich von der angelsächsischen Praxis hat der Richter seine Untersuchungsfunktion in der Verhandlung auch im Weiteren bewahrt, die Anklage wurde aber von den sich herausbildenden, hierarchischen Staatsanwaltsorganisationen vertreten. Ab dieser Zeit konnte man eigentlich für die auf der Inquisition basierende Rechtsprechung sinngemäß die Frage stellen, ob die Ankläger und die Verteidigung über die gleichen Rechte verfügen. Auch ab dieser Zeit kann man über die Parteiengleichheit im Strafrecht eine Diskussion führen, die eigentlich auch als der Präkonzept der Fairness angesehen werden kann.
Die angelsächsische Rechtsprechung hat eher die Züge des Duells und der Gottesurteile bewahrt, und immerhin auf die Fairness einen größeren Wert gelegt. Das Wesentliche des adversativen Verfahrens ist auch bis heute der Kampf, der von den Gegenparteien - auch im Zivil- sowohl im Strafverfahren - vor dem die fair play Regelungen gewährleistenden, passiven Richter durchgeführt wird, und das Urteil wird vom Richter oder vom Schwurgericht getroffen.[122] Die Beweisaufnahme, die Anhörung der Zeugen und Sachverständigen gehört nicht zu den Aufgaben des Richters, sondern der Gegenparteien, die in dem vom Richter erlaubten Rahmen jedes Mittel einsetzen dürfen, um ihre eigene Wahrheit zu beweisen. Diese Verfahrensweise wurde von den Vereinigten Staaten sehr extrem weiterentwickelt, bei dem die in der Verfassung verankerten Grundprinzipien und die Bundesgerichte behilflich waren. Der Kampf verläuft von der Auswahl der Geschworenen ganz bis zur Urteilsfällung unter den möglichst ausgeglichensten Umständen. Im Gegensatz zu den inquisitorischen Verfahren wird dem Richter bzw. dem Schwurgericht das Ermittlungsmaterial im Strafverfahren nicht im Voraus erteilt, so beginnen die Ankläger und die Verteidigung die Verhandlung mit den gleichen Chancen, da so die Entscheidungsträger nicht mit einer, von einer polizeilichen und staatsanwaltlichen Autorität angesehenen Präkonzeption in die Verhandlung kommen. Während die Strafrichter in Ungarn aus dem "vorbereiteten Material" arbeiten, das heißt, dass sie die Argumente der Verteidigung ausgehend von dem dargestellten polizeilichen und staatsanwaltlichen Beweis kennenlernen, sichert das adversative System den Gegenparteien auch in diesem Bereich keinen Vorteil. Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass die Richter der angelsächsischen Länder, also auch die von den Vereinigten Staaten, im allgemeinen nach einer praktischen Rechtsübung am Richterpult Platz nehmen, und somit die Probleme der Gegenparteien bezüglich der Fairness mit einem größeren Verständnis annähern.
(Natürlicherweise darf es nicht vergessen werden, dass es - ähnlich wie bei den Grundprinzipen der Rechtsprechung - lediglich um einen Versuch geht, sich einem unerreichbaren Ziel anzunähern. Die Übermacht der Staatsanwaltschaft kann aufgrund ihrer Staatsfunktion und dem Organisationshintergrund selbstverständlich auch dann bestehen, wenn der Ankläger und die Verteidigung vollkommen über die gleichen Rechte verfügen. Ebenso können wir über Fairness in einem materiellen Sinne nicht sprechen, wenn z.B. in einem Zivilverfahren die eine Partei wohlhabender und somit in
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der Lage ist, einen besser ausgebildeten Rechtsanwalt zu beauftragen. Obwohl es solche Institutionen gibt, die die Beseitigung derartiger Ungleichheiten bezwecken, ist aber die vollkommene Gleichstellung, auch wie das vorurteilsfreie Gericht, unerreichbar.)
Für das vorherige Jahrhundert, aber insbesondere für die vorigen Jahrzehnte ist der stufensweise Vormarsch des adversativen Verfahrens in Europa, und auch in anderen Gebieten der Welt charakteristisch. (Japan hat seine Strafverfahrensordnung nach amerikanischem Vorbild im Jahre 1949 umgestaltet, wobei die unmittelbare Wirkung der politischen Umständen nicht zu vergessen sind.) Im Bereich des Strafrechts geht es um einen einbahnigen Vorgang, da wir fast kein Beispiel dafür gefunden haben, dass sich ein adversatives System ins Inquisitorische gewendet hätte, während das Umgekehrte fast ständig vorkommt. Um ein Bild über die europäischen Folgen zu bekommen, ist es genügend, sich die heutige Lage der spanischen, italienischen, schwedischen und norwegischen Strafverfahren anzuschauen. In den ex-sozialistischen Staaten wird über ähnliche Experimente berichtet. In Ungarn sind schließlich nur gewisse Elemente des neuen, als Folge der Justizreform von 1997 verabschiedeten, als adversativ bezeichneten Kodex in Kraft getreten,[123] jedoch kann die Auslenkung des gerichtlichen Verfahrens in Richtung des Parteiverfahrens, die Einschränkung der gegenwärtig "hyperaktiven" Rolle des Richters nach unserer Meinung langfristig nicht verhindert werden.
Es ist schwierig zu beantworten, ob in dem Verursachen dieser globalen Veränderungen der dem liberal demokratischen Konzept mehr entsprechende Charakter des adversativen Verfahrens, oder die Ausstrahlung und Dominanz des amerikanischen Rechtssystems die größere Rolle spielt. Es ist sicher, dass sich die Entfaltung des Erfordernisses, das als Grundsatz der Fairness definiert wird und zum Recht auf ein faires Verfahren gehört, an diesen Vorgang in Europa gut anpasst, und zum Vormarsch der Auffassung beiträgt, die die Rechtsstreitigkeiten als Kampf zwischen gleiche Rechte genießenden Gegenparteien beschreibt.
Über diese Veränderungen hat sich nicht jeder im gleichen Maß gefreut. Manche legen diese Folgen als die Aufgabe der Traditionen der europäischen Rechtsprechung aus. Zum 25. Jubiläum der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde auch solche Meinung zum Ausdruck gebracht, dass das Modell des fairen Verfahrens unnützlich und gefährlich ist.[124]
Ungeachtet der Vorhaltungen der Skeptiker verläuft die rechtsauslegende und rechtsvergleichende Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention unaufhaltbar, in dem die Ausdrücke des 6. Punkts der Konvention einen Sinn bekommen. Diese Tätigkeit übt eine grundlegende Wirkung auf die Verfassungsprinzipien und das Verfahrensrecht der ratifizierenden Staaten aus, und trägt zur Entstehung eines gemeinsamen europäischen Garantiesystems der Grundsätze bei. Damit entsteht ein System, das der Rechtsprechung der Vereinigten Staaten in Vielem ähnlich ist. Mit seinen Präzedenzen legt nämlich der Europäische Gerichtshof das gemeinsame Minimum fest, das überall in allen ratifizierenden Staaten geltend gemacht werden soll, und um das nur striktere, aber nicht mildere Garantielemente in die nationale Rechtsordnung eingebaut werden dürfen. Der Hauptunterschied auf der einen Seite ist, dass der Oberste Gerichtshof in den Vereinigten Staaten diese Tätigkeit aufgrund der Bundesverfassung, die aus der Sicht der Rechts-
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quelle hinsichtlich der Allgemeinverbindlichkeit stärker ist, ausübt, auf der anderen Seite, dass er als Rechtsmittelforum zur Veränderung des vorherigen Urteils berechtigt ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hingegen mit seiner verurteilenden Entscheidung lediglich eine mittelbare Wirkung auf die nationale Rechtsprechung. Der Gerichtshof ist nicht berechtigt, das nationale Verfahren als nichtig zu erklären, oder im Fall einer festgestellten Rechtsverletzung dem gegebenen Staat das Rechtmittelwesen zu bestimmen. Gemäß dem Artikel 50 eröffnet sich dem Gerichtshof lediglich die Möglichkeit, dem Schaden Erlittenen eine Genugtuung zu gewähren. Die beurteilte Summe bedeutet selbst keine verbindliche Kraft dazu, dass der Staat (falls es nicht um einen Individuellfall, sondern um eine der Konvention widersprechende Praxis geht) in seiner eigenen Rechtsprechung Veränderungen durchsetzt. Nach den Erfahrungen wird aber die Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten des Europarates auch dann entsprechend den Erwartungen des Gerichthofes umgestaltet, wenn damit gegen eine Jahrhunderte lange Tradition verstoßt wird, und sie auf einen rechtstheoretischen Paradigmenwechsel gezwungen werden. Als Beispiel wird auf jene französische Reform hingewiesen, die bezüglich des Schwurgerichts (cour d'assise) im Jahre 2000 verwirklicht geworden ist. Früher war es unvorstellbar, dass gegen die Entscheidung des Schwurgerichts eine Berufung eingelegt werden kann (es gab lediglich Möglichkeit auf eine Nichtigkeitsklage), da damit gerade die Grundideologie des Volksurteils in Frage gestellt wurde. Jedoch wurde dieser Grundsatz zu Gunsten der Geltendmachung des im Protokoll 7 der Konvention vorgeschriebenen, an das Rechtsmittel angeknüpften Rechtes durchbrochen.
Obgleich die ersten Entscheidungen bezüglich der Konvention darauf hingedeutet haben, dass der Artikel 6 der Konvention in den Straf- und Zivilsachen lediglich in einem strengen Sinn angewendet werden darf, hat der Gerichtshof das Prinzip des fairen Verfahrens schrittweise auch auf die Rechtsstreiten bezüglich der Verwaltungsakte verbreitet, falls sie sich auf die Rechte des Individuums auswirken. Aus dem Text der Europäischen Menschrechtskonvention, aus den ergänzenden Protokollen, und aus der Praxis der Europäischen Kommission und später des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte können die unten angeführten grundlegenden Grundsätze abgelesen werden, deren Beachtung zur Verwirklichung der Anforderung des fairen Verfahrens erforderlich ist:
1. Gesetzmäßige Errichtung des Gerichts 2. Recht auf ein gerichtliches Verfahren 3. Unabhängigkeit des Gerichts 4. Unparteilichkeit des Gerichts 5. Recht der Fairness 6. Öffentliche Verhandlung 7. Angemessene Verfahrensdauer 8. Unschuldsvermutung 9. Rechte bezüglich der Anwendung der Muttersprache 10. Recht zur Verteidigung 11. Recht auf Rechtsmittel
Bezüglich der europäischen Auslegung des fairen Verfahrens soll betont werden, dass die Prüfung des ganzen Verfahrens aufgrund der Fairness beurteilt wird, und die einzelnen Verfahrensfehler nicht unbedingt zur Feststellung der Rechtsverletzung führen. Es ist auch wichtig, dass dieses Erfordernis zu Gunsten der Gewährleistung der Geltendmachung der materialen Gerechtigkeit entwickelt wurde, das gerechte oder ungerechte Wesen der gerichtlichen Entscheidung aber keine große Rolle dafür spielt, ob gegen den Grundsatz verstoßen wurde. Es wird also gegen das Recht auf ein faires Verfahren nicht verstoßen, wenn das Gericht dem Erfordernis des fairen Verfahrens nachkommend in seinem Urteil auf eine ungerechte Folgerung kommt.
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Die angelsächsischen Rechtsordnungen haben jederzeit eine ausgezeichnete Aufmerksamkeit innerhalb des Systems der Rechtsprechung auf das Verfahrensrecht gelenkt. Die sog. "prozessuale Rechtsansicht" ist eigentlich dem writ System und der anfänglichen Einstellung der common law Gerichte zu verdanken. Die materiale Gerechtigkeit wurde davon in den Hintergrund gedrängt, ob es dem Prozessierenden gelungen war, bezüglich des gegebenen Falls ein writ (ursprünglich ein königlicher Befehl) zu erlangen, aufgrund dessen sich der König mit seinem Fall beschäftigte.[125] Die Einhaltung der dazu erforderlichen formellen Voraussetzungen war von grundlegender Bedeutung, und später während des Verfahrens konnte man den Fall wegen eines verfahrensrechtlichen Irrtums - auch trotz seiner materialen Gerechtigkeit - einfach verlieren. Für die Auflösung dieser Ansicht hat sich auf dem Boden der kanzellarischen Gerichtsbarkeit das sog. equity Recht herausgebildet, das größere Aufmerksamkeit auf die inhaltlichen Fragen gelenkt hat, und im Gegensatz zu dem common law eher die materiale Gerechtigkeit bevorzugt hat. Zusammen damit kann man behaupten, dass die angelsächsische Rechtsprechung im Verhältnis zur Rechtsprechung der römisch-germanischen Rechtsordnungen auch bis heute einen größeren Wert auf die fehlerfreie Abwicklung des Verfahrens legt.[126]
Wie es bei der Frage der Fairness angeführt wurde, ist das "fair trial" eigentlich ein englisches Gebilde, und obwohl Verfahrensgarantien auch in den Rechtsordnungen der römisch-germanischen Rechtsfamilie existiert haben, wurde ihnen so eine Bedeutung wie den in den common law Rechtsordnungen geltenden Garantien lange nicht beigemessen.[127] Die Auffassung, dass nur diejenigen Rechte diskutierenswert sind, die geltend gemacht werden können, war für den angelsächsischen juristischen Pragmatismus immer charakteristisch. Es ist nicht sinnvoll, die Freiheitsrechte zu deklarieren, wenn sie nicht geltend gemacht werden können.[128] Diese Auffassung spiegelt sich in den zur englischen Verfassung gehörenden Rechtsquellen und auch in der Verfassung der Vereinigten Staaten.[129] Es ist natürlich dann sehr bemerkenswert, wenn diese auch aus geschichtlicher Hinsicht bedeutungsvollen Dokumente mit den zeitgenössischen Verfassungsquellen verglichen werden. Die Garantieelemente des fairen Verfahrens sind auf Bundesebene angesichts der Verfassung der Vereinigten Staaten und der auf der Verfassung beruhenden Praxis der Bundesgerichte und des Obersten Gerichtshofes untersuchenswert. Obwohl der Ausdruck "fair trial" in der Verfassung nicht erscheint, in dieser Form nicht zu finden ist, kann man sich aber ein altes, die Basis des fairen Verfahrens bedeutende common law Institut merken, die zu einem der umstrittensten Begriffe der Verfassung der Vereinigten Staaten und zu dem von der Gerichtspraxis am meisten interpretierten Begriff geworden ist."
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Dieser Begriff ist der "due process", das heißt das Recht auf ein ordentliches Verfahren, dessen Erscheinung in der Magna Charta die Grundlagen der Entwicklung des fairen Verfahrens innerhalb der common law-Rechtsfamilie gelegt hat. Seine Funktion war, die Staatsgewalt zu beschränken, damit den Bürgern das Leben, das Eigentum oder die Freiheit willkürlich nicht entzogen werden durfte. Gekennzeichnet durch diese Quelle hat der Weg durch Gesetze[130] und Präzendenzen geführt, die den Sinn des fairen Verfahrens an die Erwartungen der Rechtsprechung in den verschiedenen Epochen so angepasst haben, dass dieser Begriff, der auch in der Verfassung der Vereinigten Staaten verankert wurde, verdankend der auslegenden Tätigkeit der Bundesgerichte, eine revolutionäre Veränderung durchgemacht hat.
Während der "due process" in der Urheimat als eine die Tätigkeit der Behörde, hauptsächlich der Gerichte leitende prozessuale Schranke funktioniert hat, hat er darüber hinaus auch die Kontrollfunktion der Bundesgerichte über die Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten begründet.[131] Darauf sich beziehend wurden jene Gesetze ab der Mitte des 19. Jahrhunderts für verfassungswidrig erklärt, die so beurteilt wurden, dass sie den konstitutionellen Rahmen der Gesetzgebungsmacht überschritten haben. (Dieser Aktivismus der Rechtsprechung, der sich besonders am Anfang der "new deal" Epoche verstärkt hat, hat einen Konflikt zwischen dem Vorsitzenden und dem Obersten Gerichtshof verursacht, der sogar bis zur Bedrohung der Richter gewachsen ist.) Der in der fünften Verfassungsergänzung verankerte "due process" hat die Bundesgesetzgebung bzw. das später in der 14. Verfassungsergänzung Platz bekommende "due process" Erfordernis hat die Kontrollfunktion der Bundesgerichte über die mitgliedstaatliche Gesetzgebung begründet. Der Begriff ist also, neben der Gewährleistung der Verfahrensrahmen der Staatsgewalt, zum Kardinalpunkt der amerikanischen Verfassungsgerichtsbarkeit geworden. Auch wenn diese Richtung (sog. substantive) der "due process" Entwicklung nicht in Betracht genommen wird, können wir behaupten, dass auch der verfahrensbezogene Inhalt des Begriffs einen breiteren Geltungsbereich hat, als wir ihn bei der Europäischen Menschenrechtskonvention gesehen haben.[132] Aufgrund der Auslegung der Bundesgerichte ist das ordentliche Verfahren in den Vereinigten Staaten auf sämtliche Fälle anzuwenden, in den der Staatsbürger und der Staat miteinander in Kontakt geraten. Es ist also nicht nur eine an die Rechtsprechung gestellte Erwartung, sondern eine Anforderung bezüglich des Verfahrens jedes Staates, die das ganze Funktionieren des Landes durchdringen soll. So bezieht sich das Verfassungserfordernis des ordentlichen Verfahrens ebenso auf die Ministerien und auf die Ausschüsse im Kongress, wie auf die Gerichte.[133]
Über die Rechtsprechung kann man noch behaupten, dass die Verfassung eine Reihe von Anforderungen im Bezug auf die ‚"due process" Erwartung bezeichnet, die sich in den Verfassungsergänzungen verstreut finden. Die auf diese begründete Auslegungstätigkeit der Bundesgerichte schafft das Minimum des fairen Verfahrens in den Vereinigten Staaten. Dieses Minimum setzt nach der Meinung der europäischen Juristen in vielen Fällen übertriebene Schranke gegenüber der Rechtsprechung. Die Verfassungen, die Gesetze und die Gerichte der Mitgliedstaaten stellen aber ganz oft noch strengere An-
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forderungen. (So bedarf die Verurteilung aufgrund der Auslegung der Bundesverfassung im Fall des 12-köpfigen Schwurgerichts keiner Einstimmigkeit, doch wird es in einigen Mitgliedstaaten verlangt.) Die amerikanische Stellungnahme wird von jener Auffassung begründet, dass der Kraftunterschied zwischen dem Staat und dem Staatsbürger durch die Strenge der Bedingungen des fairen Verfahrens gemildert werden kann.[134]
Bei einem bedeutsamen Teil der Elemente des fairen Verfahrens können die Unterschiede zwischen der europäischen und der amerikanischen Regelung eher lediglich bezüglich der Details nachgewiesen werden. Es ist offensichtlich, dass wegen der verschiedenen Epochen einige Formulierungsunterschiede zwischen der Europäischen Menschenrechtskonvention, den einzelnen europäischen Verfassungen und der Verfassung der Vereinigten Staaten einfach zu finden sind. Diese Unterschiede hängen auch davon ab, für welche Fragen sich die Politik und die Rechtsprechung zur Zeit der Verfassung dieser Dokumente interessierten und dementsprechend welche Fragen in der Verfassung verankert wurden. Vereinfacht gesagt sind jedoch vom Recht auf die Verteidigung über die Öffentlichkeit der Verhandlung bis zur angemessenen Verfahrensdauer alle wesentlichen, sich an die universelle Anforderung des fairen Verfahrens anpassenden Grundsätze auch in der amerikanischen Verfassung anwesend. (Der wesentliche Unterschied zeigt sich eher darin, dass auf den amerikanischen Grundsätzen eine jahrhundertenlange Gerichtspraxis beruht, die bezüglich der einzelnen Grundsätze eine etabliertere Dogmatik gewährleistet. Es gibt aber solche, typischerweise aus den Eigenheiten der amerikanischen Rechtsordnung stammende Elemente des Erfordernisses des fairen Verfahrens, die in der meisten Rechtsprechung der europäischen Rechtsordnungen über gar keine Relevanz verfügen. Jedoch werden dadurch die Grundsätze einer eigenartigen Betrachtung unterzogen, die für jede Rechtsprechung relevant sind. Im unten Angeführten wird eins aus diesen ausgenommen, das verdeutlicht, wie und auf welcher Weise die Verfassungsprinzipien durch die präzedenzbildende Tätigkeit der Bundesgerichte einen Sinn finden.
Die Unparteilichkeit muss der universelle Grundsatz der Rechtsprechung sein, und es wäre heutzutage eine Verfassung oder ein Gesetz bezüglich der Rechtsprechung schwer zu finden, die keine diesbezügliche Bestimmung beinhalten. (Die Unparteilichkeit ist eng mit der Unabhängigkeit verbunden, was auch von der Praxis des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte nachgewiesen wird.[135] Die Begriffe der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit erscheinen vermischt in den Urteilen des Gerichtshofs.) Die europäischen Standards sind in der Frage der Unparteilichkeit nicht zu streng. Außer der Regelung über die Interessenkonflikte zur Beseitigung der Unparteilichkeit gibt es keinen institutionellen Mechanismus, um die eventuellen Vorurteile der Richter auszufiltern. Meistens kommt es auf die Richter an, ob sie sich selbst für parteiisch beurteilen und deswegen in der Beurteilung des Falls nicht mitwirken. Die Möglichkeit, das Gericht für parteiisch, befangen zu erklären, wird jedoch sehr eingeschränkt. In den Fällen, wenn der Einfluss einer anderen Gewalt offenbar ist, oder wenn
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wegen der vorherigen Funktion des Richters oder eines anderen Grunds seine unmittelbare Betroffenheit, sein Interesse bezüglich des gegebenen Falls offenbar ist, gewährleisten die europäischen Anforderungen den entsprechenden Schutz.[136] Die Parteilichkeit wird aus dem individuellen Aspekt und Überzeugung der Richter anders beurteilt. Die ungarische Regelung gilt in Europa aus mehreren Aspekten als streng, da auch die Parteimitgliedschaft, die die Unparteilichkeit deutlich in Frage stellt, für die Richter nicht überall verboten ist. Auch in Deutschland dürfen die Richter in eine Partei eintreten und gleichzeitig darin oder in anderen Organisationen zu politischen Zwecken auch eine leitende Funktion bekleiden.[137] Gleiches gilt für die Anforderungen an die Unparteilichkeit der Laienrichter. Obwohl der Europäische Gerichthof Schweden in einem Fall verurteilt hat, in dem die Mehrheit der Geschworenen zu der Partei gehört haben, die bezüglich des Falls betroffen war,[138] können wir auch für das Ausmaß der eventuell tieferen Befangenheiten bezüglich der Laienrichter kein europäisches Beispiel finden.
Im Vergleich dazu haben die Vereinigten Staaten ein ganz eigenartiges Verfahren zur Gewährleistung der Unparteilichkeit ausgebildet. In der Verfassung geht es interessanterweise lediglich um die Unparteilichkeit des Schwurgerichts (Jury), was auf die spezielle Lage dieses Laienkörpers angelsächsischer Herkunft zurückzuführen ist. Das Schwurgericht, dem während der Unabhängigkeitsbewegung eine ernsthafte Rolle zugesprochen wurde, ist zum Grundinstitut der amerikanischen Demokratie geworden, und auch die Verfassungsgebenden haben seine Rolle im Schutz der individuellen Freiheit gesehen, auch sogar gegen den die Staatsgewalt vertretenden Richter.[139] Es bedeutet natürlicherweise nicht, dass die Unparteilichkeit des Richters (judge), der das Verfahren leitet, gegebenenfalls selbst das Urteil trifft, keine verfassungsgemäße, im gewissen Hinblick gegenüber der europäischen keine strengere[140] Anforderung wäre, jedoch ist es ohne Zweifel, dass die Verfassung darüber keine Bestimmungen enthält und die diesbezüglichen Gesetze und anderen Rechtsquellen[141] viel später und mit weniger Erwartungen verabschiedet worden sind.[142] (Die politische Verbindung der professionellen Richter ist z.B. meistens bekannt, trotzdem ergibt es nicht die Infragestellung ihrer Unparteilichkeit. Es ist auch wahr, dass im Gegensatz zum deutschen Beispiel die Richter nach ihrer Ernennung keine aktive politische Funktion haben dürfen und auch ihre politischen Ansichten nicht äußern dürfen. Weiterhin ist es auch auffällig, dass das Erfordernis des fairen Verfahrens in den richterlichen Urteilen am meisten bezüglich der Fragen im Zusammenhang mit dem Schwurgericht erscheint.)
Für die Teilnahme von Laien an der Rechtsprechung kann in fast jeder Rechtsordnung ein Beispiel gefunden werden, kaum aber dafür, dass die Person der Laienrichter oder das ganze Schwurgericht so extrem wie in den Vereinigten Staaten überprüft wird. Die die Verfassung auslegenden Gerichtsurteile, und dann die davon ausgehenden Ge-
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setzgebungsarbeiten haben ein, den europäischen Juristen erstaunendes, Kriteriensystem bezüglich der Unparteilichkeit für das Schwurgericht errichtet. Weder die professionellen[143] noch die Laienrichter sollen solchen Kriterien entsprechen. Die amerikanische Wirkung ist aber auch in diesem Bereich spürbar. Bei der Auswahl der englischen Laienrichter zeigen die letzten Jahre die Übernahme einzelner Elemente des amerikanischen Systems.
Das erste Element des Systems ist, dass die Zusammenstellung des Schwurgerichts den entsprechenden Durchschnitt der Gesellschaft darstellen soll. Die Frage der Repräsentativität wird von der Annahme in den Vordergrund gestellt, dass die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft gegenüber den Mitgliedern ihrer eigenen Gruppe über ein positives Vorurteil verfügen. Auf diese Annahme wird auch in den richterlichen Urteilen hingedeutet, und es führt eigentlich dazu, dass bei der Auswahl des Schwurgerichts die Entscheidung der Frage, ob die Geschworenen aus dem den entsprechenden Durchschnitt repräsentierenden Anteil der Gesellschaft (fair cross section of the community) ausgewählt worden sind, von ernster Bedeutung ist. Aus der Verfassungsanforderung, die das Recht auf ein unparteiliches Schwurgericht gewährleistet, folgt nicht notwendig, dass die Repräsentativität eine Voraussetzung der Unparteilichkeit ist. Diese Voraussetzung ist dank der Auslegungstätigkeit des Obersten Gerichthofs zur Verfassungsanforderung erklärt worden.[144] Das Bundesgesetz, das die Beseitigung der rassischen und wirtschaftlichen Uneinigkeiten bzw. die Vereinheitlichung des Auswahlverfahrens des Schwurgerichts bezweckt, enthält aufgrund dessen bereits eine klare Bestimmung, und zwar sind die Staatsbürger berechtigt, auf Bundesebene eine Anklage- und eine Urteilsjury zu haben, die nach zufälliger Auswahl aus dem den entsprechenden Durchschnitt repräsentierenden Anteil der Gesellschaft aufgestellt wurde. Es ist ferner auch vorgeschrieben, dass niemand aufgrund seines Geschlechts, seiner rassischen Zugehörigkeit, seiner Religion, seiner Herkunft oder seiner wirtschaftlichen Lage ausgeschlossen werden darf, und es wird verlangt, dass die Gerichte einen schriftlichen Auswahlsplan mit detallierten Verfahrensregeln ausarbeiten, um den oben genannten Anforderungen Geltung zu verschaffen.
Dieses Gesetz überschreitet in gewissen Bezügen die Kodifikation der Urteile des Obersten Gerichtshofs. Einerseits verlangen diese Entscheidungen die Repräsentativität nur bezüglich der Straffälle, während das Gesetz es auch auf die Zivilfälle erweitert, andererseits präzisiert das Gesetz, wie man die Repräsentativität in gewissen Fällen sichern kann. Daraufhin schrieb der Oberste Gerichthof die Notwendigkeit von all diesem bezüglich der Anklage- und Urteilsjury in einem Urteil generell vor.[145] In diesem sehr bedeutenden Fall hat der Kläger das Gericht angerufen, denn er hat gemeint, dass das Auswahlverfahren in seinem Staat gegen die Verfassung verstoßen habe, da es die Zugangschancen der Frauen in das Schwurgericht kaum sicherte. Während das Verhältnis der Frauen, die den Voraussetzungen für das Amt eines Geschworenen erfüllen, innerhalb der Gesellschaft mehr als 50% ist, kommt ihre Zugangschance ins Schwurgericht lediglich auf 10%. Der Gerichtshof weist in seinem Urteil darauf hin, dass die differenzierbaren Gruppen der Gesellschaft während des Auswahlverfahrens nicht systematisch ausgeschlossen werden dürfen. Nach diesem Urteil hatte der Gerichtshof klar zu stellen, was er unter diesem Ausdruck versteht. Dem Ausdruck "systematisch" wurde im Urteil
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Duren v. Missouri eine Bedeutung zugesprochen, bei dem der Gerichtshof die Verfassungswidrigkeit aufgrund der folgenden Punkte bestimmt hat: 1. Eine ausgeschlossene Gruppe bildet eine differenzierbare Gruppe innerhalb der Gesellschaft. 2. Das Verhältnis dieser Gruppe ist auf den der Auswahl zugrunde liegenden Listen nicht sinngemäß und entsprechend im Vergleich zu den Verhältnissen innerhalb der Gesellschaft. 3. Der Grund für die Unterrepräsentation ist der systematische Ausschluss. Bei den ersten zwei Punkten dieses Katalogs, aber auch in den späteren richtungweisenden Tests hat der Gerichtshof nicht eine Sekunde gezögert, denn der differenzierbare Gruppencharakter der Frauen bzw. der Unterschied zwischen ihrem Verhältnis auf den Listen und innerhalb der Gesellschaft schien offensichtlich zu sein. Die Feststellung des systematischen Ausschlusses bedarf aber einer weiteren Formel, und zwar, dass der Ausschluss nur dann systematisch ist, wenn es aus dem Wesen des Auswahlverfahrens folgt, das heißt wenn sich der Ausschluss der differenzierbaren Gruppe aus dem Verfahren notwendig ergibt. Es ist nämlich vorstellbar, dass in einem System, das die Repräsentierung perfekt gewährleistet, ein Schwurgericht aufgestellt wird, in dem keine Frau oder kein Afroamerikaner einen Platz erhält. Dies bedeutet aber nicht unbedingt, dass die Mitglieder dieser Gruppe in diesem Fall systematisch ausgeschlossen werden. Sollte aber das System ermöglichen, dass mehrere Wochen lang kein Afroamerikaner ins Schwurgericht gewählt wird, dann kann der konsequente Ausschluss und damit die Tatsache der Verfassungswidrigkeit festgestellt werden. Es ist noch problematischer zu bestimmen, wann eine Gruppe als partikular oder differenzierbar (distinctive) gilt. Nach der Einführung dieses Begriffs hat sich die Frage notwendig erhoben, ob im Fall eines systematischen Ausschlusses der Lehrer die Verfassungsanforderung verletzt wird. Obwohl der Oberste Gerichtshof in einem Urteil betont hat, dass diese Frage mit den Zwecken des "fair cross section" Erfordernisses im Zusammenhang steht, stehen wir vor einer bis heute bestrittenen Doktrin. Denn es ist schwer zu begründen, warum der Ausschluss der amerikanischen Ungarn nicht gegen die Verfassung verstößt, wenn der Ausschluss der Afroamerikaner einen Verstoß darstellt. In der Begründung des Falls Lockhart v. McCree wird darauf hingewiesen, dass neben den Frauen und anderen Gesellschaftsgruppen sich der Ausschluss der Afroamerikaner oder mexikanischen Amerikaner vor allem auf ethnischen Eigenheiten basiert, und infolgedessen der Angeklagte über die Vorteile der Gerichtsbarkeit nicht verfügt, die die allgemeine Meinung der Gemeinschaft verrät. Sie fügen auch hinzu, dass der Ausschluss dieser wegen geschichtlicher Gründe benachteiligten Gruppen ihren Mitgliedern die Ausübung ihrer Staatsbürgerrechte entzieht.[146]
(Manche Experten des Themas treten gegen das richterliche Verhalten bezüglich der Frage des "fair cross section" auf. Nach M. Zuklie sollte die ganze Frage auf eine soziale Basis gelegt werden, denn es würde die Arbeit der Gerichte bei der Beurteilung der Fälle vereinfachen.[147] Darüber hinaus werden die geltenden Doktrinen zur Gewährleistung der Repräsentativität von mehreren angegriffen, die in ihren Arbeiten alternative Lösungen anbieten.)
Insofern die Geschworenen aufgrund der Gewährleistung der Repräsentativität ausgewählt werden, ist es in der Verfassung als Recht der Parteien auch verankert, dass die Geschworenen ihre Aufgaben ohne Verurteile, Einflüsse oder irgendwelchen Zwang erfüllen sollen. Als verfahrensrechtliche Garantie von diesem ist das sog. "voir dire" Ver-
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fahren[148] entstanden, das in der letzten Phase der Auswahl der Geschworenen verläuft, wenn sich die Vertreter der Gegenparteien davon überzeugen, ob sich irgendwelches Maß von Befangenheit bei den zukünftigen Geschworenen erkennen lässt. Während des Verfahrens besteht die Möglichkeit mit gewissen Einschränkungen, die befangenen, oder den Rechtsanwälten einfach nicht gefallenden Personen aus dem Schwurgericht zu entlassen. Es ist bemerkenswert, dass die Grundphilosophie des amerikanischen Verfahrens bereits in dieser Phase des Verfahrens zu erkennen ist, die die mit Regeln untermauerte Schlacht als Voraussetzung des gerechten Urteils betrachtet.[149] Dies bedeutet eigentlich, dass die Anklage und die Verteidigung oder die Vertreter des Beklagten oder des Klägers versuchen, die Aufstellung eines entsprechenden, das heißt das im besten Fall aus ihrer Hinsicht vorteilhaft befangenen Schwurgerichts zu erreichen, und das Endergebnis dieser Schlacht - nach dieser Auffassung - wird das möglichst unparteilichste Schwurgericht, das die Verfassungsrechte des Beklagten oder des Angeklagten und das gerechte Urteil gewährleistet.
Während des voir dire Verfahrens sind mehrere Weisen der Ablehnung der Geschworenen bekannt. Die eine ist, wenn eine Person aufgrund eines konkreten Anlasses von den Parteien abgelehnt wird.[150] In diesem Fall äußern die Gegenparteien ihre Meinung bezüglich der konkreten Person, und erklären, ob die gegebene Person für die unbefangene, unparteiliche Urteiltreffung ihrer Meinung nach geeignet ist. Falls die eine Partei den Richter davon erfolgreich überzeugt, dass die fragliche Person wegen ihrer Antworten oder eines anderen Umstands nicht geeignet ist, trifft der Richter einen ablehnenden Beschluss. Eine andere Möglichkeit für den Ausschluss einer unangenehmen Person ist die unbegründete Ablehnung,[151] in der die Rechtsanwälte nicht zu begründen brauchen, warum sie jemanden für befangen oder hinsichtlich ihres Mandanten nachteilig halten. Diese Ausschlussmöglichkeit hat eine Menge von verfassungsrechtlichen Problemen aufgegriffen. Die bedeutungsvollste Richterentscheidung diesbezüglich war, in der diese Art der Ablehnung für verfassungswidrig erklärt wurde, falls sie von einer der Parteien konsequent für den Ausschluss einer Volksgruppe verwendet wird.[152]
Neben diesen existiert noch auch eine dritte Möglichkeit für die Ablehnung der Geschworenen, und zwar insofern als das ganze Schwurgericht abgelehnt wird.[153] Das kann vorkommen, wenn z.B. der Rechtsanwalt wahrnimmt, dass eine bestimmte Bevölkerung aus der zur Auswahl der Geschworenen dienenden Liste abwesend ist, und damit das Recht auf ein unparteiliches Schwurgericht aufgrund der bereits erklärten Gründe verletzt wird.[154]
Zur Gewährleistung der Unparteilichkeit haben die von der Gesetzgebung und den Gerichten entwickelten Rechtsinstitute die Entstehung eines vollkommen neuen "Industriezweigs" in den Vereinigten Staaten ergeben. Die Parteien versuchen, das Auswahlverfahren, das in bedeutenderen Fällen sogar mehrere Monaten lang dauern kann, nicht nur mit der Hilfe von Rechtsanwälten, sondern oft mit der Hilfe von Soziologen und Psychologen erfolgreicher zu machen. Die generelle Überzeugung ist nämlich, dass
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die Auswahl des Schwurgerichts hinsichtlich des Prozessausgangs vielmals bestimmend ist.
Es ist nicht nur wegen seiner Einzigkeit empfehlenswert, die Lage des fairen Verfahrens in den Islamstaaten zu prüfen. Parallel mit der spektakulären Verstärkung des Fundamentalismus kann die Verstärkung des islamischen Rechts, das die Religionsgemeinschaft von mehreren Hundertmillionen Muslimen mehr oder weniger betrifft, nicht außer Acht gelassen werden. Während andere Religionsrechte marginalisieren, wenigstens in den Hintergrund gedrängt wurden, erlebt das islamische Recht eine Renaissance.
Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Muslim-Gemeinschaften heutzutage nicht nur in den 40, hinsichtlich ihrer Kultur und Entwicklung außerordentlich heterogenen Staaten mit islamischer Mehrheit anwesend sind, sondern ihre Anzahl sowohl in Europa und in den Vereinigten Staaten, als auch in anderen Staaten zugenommen hat. Im Jahre 2005 hat sich eine internationale Protestwelle gegen das im Jahre 1991 in Kanada eingeführte Schiedsgerichtsgesetz entfaltet, das im Zeichen des Multikulturalismus ermöglicht hat, im Fall des Einverständnisses der Parteien in Zivilfällen neben anderen Religionsrechten auch das islamische Recht anzuwenden. Der Protest hat es gut dargestellt, dass es um einen sehr heiklen Fall geht. Während die Anwendung anderer Religionsrechte bei diesen Verfahren kein Problem verursacht hat, haben die hauptsächlich aus Frauen bestehenden Protestanten bezüglich der "Scharia-Gerichte" auf die Verletzung der säkularisierten Rechtsprechung und der Menschenrechte verwiesen. Näher als Kanada, sozusagen in den benachbarten Staaten, verstärkt sich auch die Rolle des Islams und damit des islamischen Rechts. So nimmt es spektakulär in den aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten mit einer islamischen Mehrheit zu, oder seit dem Ende des Bürgerkrieges auch auf dem Gebiet von Bosnien-Herzegowina, wo heutzutage die erneute Aufstellung der bis zum Ende des zweiten Weltkriegs tätigen Scharia-Gerichte verlangt wird. Es ist auch empfehlenswert zu wissen, dass nur ein Sechstel der Angehörigen des Islams von arabischer Herkunft ist, und dass die Anzahl von Europäern, die sich ohne irgendeine Vorgeschichte Muslim-Gemeinschaften anschließen, heute immer mehr zunimmt.
Bevor wir die Rechtsprechung der modernen islamischen Staaten in den Mittelpunkt stellen, ist es empfehlenswert zu prüfen, was genau die Scharia bedeutet, das in gewisser Weise vereinfacht als islamisches Recht angesehen wird. Beim Hören des Wortes "Scharia" denkt die Mehrheit an die Verstümmelung, die Steinigung und öffentliche Hinrichtung, und nur wenigere wissen, was sich hinter dem auf Arabisch "Pfad oder der Weg zum Pfad" bedeutenden Ausdruck versteckt. Die Scharia ist ein sehr komplexes, auf den Doktrinen von Mohammed beruhendes Regelsystem, das die islamische Religion gegründet und das Leben der Gläubigen des Islams bestimmt. Der Koran, das Grundwerk der im 7. Jahrhundert entstandenen, zur jüngsten zählenden Weltreligion, bedeutet die primäre Quelle der Scharia, der die Erscheinungen und Äußerungen von Mohammed enthält, die von Allah durch Gabriel Erzengel zur Kenntnis von Mohammed gebracht wurden. Das wird durch die Sunna, das heißt durch den Brauch ergänzt,
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die eigentlich die im Koran nicht erschienenen Äußerungen von Mohammed sind. Diese erscheinen meistens in Form von Erzählungen (hadith), die über die Taten und Meinungen des Propheten durch authentische Personen weitergegeben, schließlich niedergeschrieben wurden. Die dritte und für die Juristen vielleicht die wichtigste Quelle der Scharia ist die Idschma, das heißt die übereinstimmenden Festlegungen der Rechtswissenschaftler, die praktisch durch die Auslegung der vorherigen zwei Rechtsquellen entstanden sind, mit dem Zweck, auf konkrete Rechtsfragen Antwort zu suchen. Dies bedeutet, dass die von den Rechtswissenschaftlern generell angenommenen Festlegungen, ähnlich wie das opinio prudentium im römischen Recht, zum Dogma geworden sind. Die Rechtswissenschaftler haben sich wahrscheinlich nirgendwo so eines guten Rufs erfreut, wie in der islamischen Welt, wo dieser Respekt offensichtlich dem zu verdanken ist, dass das Recht und die Religion miteinander eng verbunden waren. Obwohl nach dem Tod Mohammeds zahlreiche Rechtsschulen gegründet wurden, die den Koran und die anderen Quellen unterschiedlich interpretiert haben, hat im 10. Jahrhundert die Versteifung des islamischen Rechts erfolgt. Die Religionsführer haben sich vorgenommen, die Einheit des Islams zu bewahren, deswegen haben sie die weitere Auslegung der heiligen Quellen verboten. Diese Maßnahme, der als "taklid" bekannt ist und wortlautgemäß Abschluss bedeutet, ist bis heute zu spüren, denn es erschwert die Anpassung der Scharia an die modernen Umstände. Nach dem Abschluss wurden vier sunnitische und eine schiitische Schule aufrechterhalten, die in gewissem Sinne verschiedene Ansichten vertreten. Zu den sunnitischen Schulen gehören die Hanafi-, die Maliki-, die Schafi- und die Hanabali-Schulen, während die Schiiten die Anhänger der vom Ja Far al-Sadiq benannten Jafari-Schule sind. Die Ansichtsunterschiede haben die Beurteilung der Fälle vielmals erschwert. Besonders dann, wenn der Unterschied zwischen dem auf dem gegebenen Gebiet herrschenden Sittenrecht und der von dem dort tätigen Richter vertretenen Rechtsschule zu groß war. Der Charakter der Unterschiede wird durch den Unterschied bezüglich der Trennung gut dargestellt. Eine Ehe darf getrennt werden, wenn die Parteien damit einverstanden sind, oder durch die einseitige Willenserklärung des Mannes. Darin stimmen alle Rechtsschulen aufgrund der eindeutigen Anweisung der heiligen Schriften überein. Der Unterschied besteht aber schon darin, wann die Frau die Trennung anregen kann. Nach der Hanafi-Schule kann es vorkommen, wenn der Mann zur Leistung seiner männlichen Pflichten unfähig ist, hingegen aufgrund des Maliki-Rechts auch dann, wenn der Mann Gewalt anwendet, an einer chronischen Krankheit leidet oder sich um seine Frau nicht kümmert.[155]
Obwohl die weitere Auslegung des Islams verboten wurde, hat sich die Auslegungstätigkeit in einer beschränkten Weise natürlicherweise auch nach dem 10. Jahrhundert fortgesetzt. Die Hauptform dessen ist der "Kijas", was eigentlich die Auslegung durch Analogie bedeutet, in deren Rahmen die Rechtswissenschaftler und Rechtsanwender einen gewissen Bewegungsraum erhalten.
Das klassische islamische Recht enthält nicht nur materiale, sondern auch prozessuale Regelungen. Die Quadi Richter, die ihren Auftrag vom Herrschern erhalten haben, verfügen über solche Freiheit bei weitem nicht, wie die westlichen Juristen annehmen. Aufgrund der über die Quadi Richter gebildeten und auch vom Max Weber verbreiteten Auffassung haben die Quadi Richter die Urteile ungebunden, von ihrem eigenen Gerechtigkeitssinn ausgehend getroffen. In der Wirklichkeit haben die materialen und pro-
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zessualen Regeln eine vielmehr gebundene Rechtsprechung gebildet, als es die westliche Fachliteratur in der Regel annimmt. Es weist gleichzeitig auf die frühzeitige Erscheinung von Garantieelementen hin, die auch die einzelnen Elemente des fairen Verfahrens im heutigen Sinne bedeutet haben. Dazu gehört z.B. das Erfordernis der Unparteilichkeit, was durch die strengen protokollarischen Regeln bestätigt wird. Der Richter durfte nicht einmal mit einem Blick eine Wirkung zeigen, als ob er in Richtung der einen Partei befangen wäre.[156]
Die Scharia ist ein Regelsystem, das fast alle Momente des Lebens der Angehörigen regelt, und welches im Fall der Verletzung dieser Regelungen neben der Bestrafung im Diesseits auch mit einer Buße im Jenseits droht. Selbst die Infragestellung der Scharia stellt so eine Tat dar, die die schwerwiegendsten Folgen haben kann. (Im Jahre 2002 wurde der fürs Ressort Frauen zuständige Minister der provisorischen afghanischen Regierung unter Anklage gestellt, weil er angeblich die Daseinsberechtigung der Scharia in Frage gestellt hat. Am Ende ist die Anklage gegen den auch mit Todesstrafe beedrohten Minister aus Mangel an Beweisen fallen gelassen.[157]) Recht und Religion sind miteinander so eng verbunden, was die Probleme der Islamstaaten bezüglich der Säkularisation verständlich macht. Während das Kirchenrecht in den christlichen Ländern meistens zur Regelung der Rechtsverhältnisse innerhalb der Kirchenorganisation gedient hat, strebt das islamische Recht an, die Lebensverhältnisse der Anhänger des Islams, anderer Religionen und der Atheisten umfassend zu regulieren. Die auf den heiligen Quellen basierenden und später von den islamischen Rechtswissenschaftlern ausgearbeiteten Regeln der Scharia oder einzelne Teile deren sind in den Gesetzbüchern oder in der Praxis der staatlichen oder parallel zu den staatlichen fortlebenden oder der gerade ausschließlich tätigen Scharia-Gerichte zu finden. Für das Maß dieser Regelungen in der Rechtspraxis kommt es bereits auf die politische Einrichtung und die Verwestlichung der Islamstaaten an. Die für unveränderbar gehaltenen und alle Muslimen verpflichtenden Regelungen können unter den heutigen wirtschaftlichen-gesellschaftlichen Umständen oft nur aufgrund eigenartiger Auslegung angewendet werden. Als typisches Beispiel wird das Verbot der Zinsenberechnung im Islam erwähnt, das nur durch Ausgestaltung von in anderen Transaktionen versteckten, in der Wirklichkeit aber Zinsen berechnenden Geschäften (z.B. Warenkredit) eingehalten werden kann.[158] Die Scharia wird aber auch heute noch als Anhaltspunkt angesehen, im Verhältnis zu dem das verwestlichte Recht und die Rechtsprechung eine Verzerrung im Kreis der islamischen Religionsführer bedeutet. Die strengen Regeln der Scharia wurden von der weltlichen Rechtsprechung in der Realität ab dem Mittelalter gelockert, und später wurde ihre Anwendung durch die grundlegende Veränderung im Rahmen der Kolonisierung weiter eingeschränkt.
Bis zur Kolonisierung war die Scharia das geltende Recht in den muslimischen Gebieten. (Allerdings war sie nicht ausschließlich, denn in der Wirklichkeit konnte sie sämtliche Lebensverhältnisse nicht regulieren. Im staatlichen Interessenbereich kam es
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dort zu Verfahren außer Scharia, wo die Beamten aufgrund der vom Herrscher bestimmten Regeln die Gerichtsbarkeit ausgeübt haben.[159])
In den Staaten mit muslimischer Mehrheit hat im letzten Jahrhundert ein interessanter und widersprüchlicher Prozess auf dem Gebiet der Rechtsordnung und der Rechtsprechung stattgefunden. Die Rechtsordnung und Rechtsprechung der gegebenen Länder wurden durch die "Verwestlichung" im Rahmen der Kolonisierung stark geprägt, und gemäß der Rechtsordnung des kolonisierenden Staates hat das common law oder im gegebenen Fall das französische oder niederländische Recht wesentliche Veränderungen bewirkt. In vielen Staaten sind Gesetzbücher westlichen Modells in Kraft getreten, die unter den geänderten wirtschaftlichen Umständen für die Regelung der Geschäftsverhältnisse geeigneter waren. So hat sich die Rechtsordnung von Pakistan, Sudan oder auch des über eine bedeutende muslimische Mehrheit verfügenden Indien nach dem common law Modell umgewandelt, während es in Ägypten, in Syrien, in Libyen, in Tunesien und im Iran zur Modernisierung nach französischem Modell gekommen ist. Auch die Rechtsordnung von Indonesien wurde von den niederländischen Kolonisten stark geprägt. Dieser Prozess hat mit der stufenartigen Zurückdrängung der Kolonisten auch nicht aufgehört. Die bedeutendste Veränderung in diese Richtung ist ohne Zweifel in der Türkei erfolgt, wo Kemal Atatürk nach dem ersten Weltkrieg im Bereich der Umgestaltung der auf Islam basierenden Staatsorganisation und der Befolgung der europäischen zivilisatorischen Mustern auf den Trümmern des Osmanischen Reichs revolutionäre Veränderungen erreicht hat. Mit der Trennung des Staates und der Kirche hat er parallel nach Sturz einzelner Grundinstitutionen des islamischen Rechts gestrebt. Damit hat er die Polygamie und die Scharia-Gerichte verboten. Mit der Übernahme des schweizerischen bürgerlichen Gesetzbuchs, das bekannterweise die Entfaltung des richterlichen Gerechtigkeitssinnes ermöglicht, ist die Rezeption ohne besondere Probleme erfolgt. Die Grundsätze des Islams sollten nämlich nicht vollkommen abgelehnt werden, sodass sie teilweise an das ZGB anzupassen waren. Neben dem ZGB ist noch die Rezeption von zahlreichen europäischen Kodexen in der Türkei erfolgt. Nachdem die Islamstaaten unabhängig geworden waren, wurde in mehreren Ländern versucht, ähnlich wie in der Türkei die Rechtsprechung "von den islamischen Elementen zu reinigen" und in die europäischen Modelle zu zwängen. Dieser Versuch wurde entweder mit der Führung von "aufgeklärten Diktatoren" oder von linksgerichteten bzw. nationalen Parteien mehr oder weniger erfolgreich durchgeführt, die aber durchgehend gegen den fundamentalistischen Islamorganisationen und was noch wichtiger, gegen die Tradition zu kämpfen hatten. Noch auch dort, wo die staatlichen Gerichte bereits aufgrund des neuen kodifizierten westlichen und nur teilweise des islamischen Rechts Urteile gefällt haben, war das Weiterleben der Gerichtsbarkeit aufgrund der Scharia zu merken, was die Anhänger bei der Streitbeilegung vielmals bevorzugt haben. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts ist der oben bezeichnete Vorgang gebrochen worden und seit dieser Zeit ist die Verstärkung des Islams zu beobachten. Eine spektakuläre Offenbarung dieses Vorgangs war die islamische Revolution in Iran im Jahre 1979, die mit dem Zweck der Ausgestaltung eines schiitischen Islamstaats den Iran aus der verwestlichenden in eine theokratische Richtung gedreht hatte. In den letzten Jahren wurde dieser Vorgang durch die politische-militärische Aktionen im Zeichen des "Kampfs gegen den Terrorismus" nur verstärkt, und heutzutage kann man unter den Anhängern des Islams eine erhöhte West-
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feindlichkeit und ein verstärktes identitätssuchendes Verhalten erfahren. Als Nebenwirkung des oben Angeführten wird die Rückkehr zum islamischen Recht und der Rechtsprechung verlangt, was in den sehr differenzierten Staaten mit islamischer Mehrheit eine ernte Herausforderung bedeutet. Es schafft auch in den aus dem Gesichtspunkt der westlichen Wertordnung mehr oder weniger als demokratisch angesehenen Staaten eine besonders widersprüchliche Situation.
Wie schon erwähnt wurde, stellt bereits die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam aus dem Jahre 1990 diese Tendenz gut dar. Dieses von 45 Staaten ratifizierte Abkommen nennt die Scharia als die Quelle für die Auslegung der Menschenrechte, und der UN-Zivilpakt findet im Abkommen keine Erwähnung. Bezüglich des Pakts gab es auch früher Kritiken seitens einzelner Führer der Islamstaaten, nach denen das Dokument gemäß der westlichen Wertordnung mit jüdisch-christlichen Prinzipien verfasst wurde.[160] Sai Khorasani, der UN-Vertreter des Iran hat im Jahre 1984 erklärt, dass jene internationale Abkommen, die im Gegensatz zu den islamischen Werten stehen, auf den Iran keine Anwendung finden. Diesbezügliche Vorschriften des UN-Zivilpakts werden vom Iran deswegen nicht eingehalten.[161] Es war offensichtlich eine Antwort auf die Einreden der westlichen Staaten und verschiedenen Rechtsschutzorganisationen bezüglich einzelner richterlicher Urteile. Die Einreden betreffend die Rechtsprechung gehen in der Regel darum, dass die Scharia die Gleichheit der Nicht-Muslime und der Frauen überhaupt nicht gewährleistet. Das klassische islamische Recht legt großen Wert auf die Zeugenaussagen und hauptsächlich auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Danach hat die Aussage der Frau den halben Wert wie die Aussage des Mannes, und in gewissen Fällen, wie z.B. bei der Vergewaltigung, wird sie überhaupt nicht angenommen. Die Beurteilung dieser Straftat bedarf der Aussagen von 4 authentischen Männern. Dennoch kann eine Frau verurteilt werden, wenn sie außerhalb der Ehe schwanger wird. Falls sie behauptet, vergewaltigt worden zu sein, aber die genügende Anzahl von männlichen Zeugen nicht vorführen kann, kann sie sogar wegen falscher Zeugenaussagen verurteilt werden. Dies ist im Fall eines jungen Mädchens aus Nigeria passiert, die im Jahre 2000 von einem Scharia-Gericht auf 100 Peitschenhiebe wegen Schwangerschaft, und auf weitere 80 wegen falscher Zeugenaussagen verurteilt wurde, da sie nicht mit genügenden Zeugen beweisen konnte, dass sie von ihrem Vater zu sexuellen Akten mit fremden Männern gezwungen worden war.[162]
In den Ländern, wo versucht wird, der Scharia in der Rechtsprechung wieder eine vollkommene Geltung zu verschaffen, begegnet die Auffassung des fairen Verfahrens aufgrund des UN-Zivilpakts damit selbstverständlich einer Konfrontation. Auch dort kommt es zu Problemen, wo die Westfeindlichkeit auf Landesebene noch nicht gewachsen ist. So hat eine Forschung in Saudi-Arabien dargestellt, dass die Richter die Aussagen der nicht Muslime gegen Muslime aufgrund der Scharia außer Acht gelassen haben.[163]
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Ein weiteres Problem stellt der Mangel an Gewährleistung des Rechts zur Verteidigung und zur Berufung dar, wobei letzteres über die Eigenheiten der politischen Einstellung hinaus auch im Sinne der Auffassung des klassischen islamischen Rechts und Religion zu verstehen ist. Die islamische Religion hat nämlich das Maß der hierarchischen Organisiertheit, das die christliche Religion hat, nicht erreicht. Ohne eine zentrale kirchliche Hierarchie konnte der Anspruch auf Berufung nicht entstehen. Berufung in der Islamwelt kam nur dort und dann vor (wie z.B. in gewissen Perioden des Osmanischen Reichs), wo die zentralistischen Versuche erfolgreich waren und die Herrscher fallweise einen Anspruch auf die Veränderung der von den Quadi Richtern getroffenen Urteile hatten. [164]
Die Bedeutung der Scharia ist sehr abwechslungsreich in den Staaten mit muslimischer Mehrheit. Am untersten Grad der Skala ist die Türkei zu finden, die seit langer Zeit über eine Rechtsordnung und Rechtsprechung verfügt, die nach westlichem Modell ausgearbeitet wurde. Es gibt keine Scharia-Gerichte, wie auch keine in Ägypten, Algerien oder in Tunesien. Die Rolle des islamischen Rechts hängt in diesen Ländern davon ab, wie großen Raum die Gesetzgebung in den verschiedenen Rechtsgebieten für seine Geltung lässt. In der Regel aber nicht viel, auch wenn z.B. die Verfassung in Ägypten bestimmt, dass die primäre Quelle der Gesetzgebung das islamische Recht ist.[165] Islamische Vorschriften sind hauptsächlich bezüglich der Regelung des Familienrechts von Bedeutung, sie sind aber nur hinsichtlich der Muslime relevant, denn im Fall der Christen üben die gleichen Gerichte die Gerichtsbarkeit aufgrund anderer Regeln aus. Verfassungs- und Gesetzesvorschriften bezüglich der Rechtsprechung ähneln im großen Maß den Vorschriften der europäischen Staaten und beinhalten zahlreiche moderne Grundsätze wie die richterliche Unabhängigkeit oder die öffentliche Verhandlung. In der nächsten bedeutenden Gruppe der Islamstaaten existieren schon die Scharia-Gerichte, sie sind aber nur in den oben genannten Fallgruppen und nur in den Rechtsstreiten zwischen Muslimen zuständig. Die Existenz der Scharia-Gerichte bedeutet nicht unbedingt die größere Rolle der Scharia. Im Jemen gibt es z.B. kein Scharia-Gericht, hier ist aber die Bedeutung des islamischen Rechts größer im Durchschnitt. Es bezieht sich auch auf die Rechtsvorschriften, auf die Erfahrungen der Richter über das Recht der Scharia und auf die Willigkeit hinsichtlich seiner Anwendung. Die im Jahre 1990 durch die Vereinigung von Nord- und Südjemen entstandene Jemenitische Arabische Republik hat die nach der Entstehung der Republik verabschiedete Verfassung im Jahre 1994 verändert. Ursprünglich wurde im dritten Kapitel verfasst, dass die Hauptquelle der Gesetzgebung die Scharia ist. Es wurde unter dem Druck der radikalen Anhänger so verändert, dass die Scharia die Quelle aller Gesetze darstellt. [166]
Am obersten Grad der Skala stehen die Staaten wie Saudi-Arabien und im Allgemeinen die monarchisch eingestellten, kleineren arabischen Ländern, bekannt durch die Ölförderung, die an die vollkommene Anwendung der Scharia glauben. Hier sind ausnahmslos nur Scharia- Gerichte anwesend, die aufgrund des islamischen Rechts in den Fällen der Muslime und nicht Muslime die Gerichtsbarkeit ausüben. Die die Europäer schockierende öffentliche Hinrichtungen, Enthauptungen, Steinigungen oder die wegen Diebstahls verhängten (und heute schon meistens durch einen Chirurg durchgeführten)
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Verstümmelungen kommen hier auch heute noch regelmäßig vor.[167] Auch die Widersprüche zwischen der oben dargestellten europäischen und amerikanischen Auffassung über das fairen Verfahrens und der Auslegung durch das islamische Recht verursachen hier die größte Spannung. Zu dieser Gruppe gehört aus den nicht arabischen Staaten auch der Iran, der versucht, die schiitische Auslegung der Scharia in der Praxis zur Geltung zu bringen. In den letzten Jahren wurden auch in einzelnen Staaten von Nigeria Scharia-Gerichte in Straffällen aufgestellt, deren Urteile regelmäßig die Proteste der Rechtsschutzorganisationen auslösen.[168]
Im allgemeinen kann man behaupten, dass die Anzahl der Staaten, in denen die Rückkehr zur Anwendung des klassischen islamischen Rechts an der Tagesordnung ist, immer mehr zunimmt. Diese Versuche finden in immer mehr Staaten ihre Grundlage in der Verfassung. In der Verfassung von Pakistan wird z.B. festgelegt, dass alle Rechtsvorschriften mit dem Islam, wie es im Heiligen Koran und in der Sunna abgelegt wurde, im Einklang stehen sollen.[169] Wo heute auch Verfassungsgerichte aufgestellt sind, ist es nicht schwer sich vorzustellen, welche Schwierigkeit die Vereinbarung der modernen Verfassungsprinzipien mit den vom Koran und anderen heiligen Quellen abgeleiteten Anforderungen darstellt.
A tanulmány az igazságszolgáltató hatalom alkotmányos helyzetének, függetlenségének, legfontosabb alapelveinek nemzetközi összehasonlító vizsgálatával foglalkozik. Bemutatja, hogy a bírói függetlenség gondolata miként alakult ki, és milyen változásokon ment keresztül, hogy mára az igazságszolgáltatás központi, ám továbbra is nehezen értelmezhető fogalmává érjen. Elemzi az igazságszolgáltatás függetlenségének azon elemeit, melyek a különböző jogrendszerek igazságszolgáltatásának tényleges függetlenségére világíthatnak rá. Így többek között azt, hogy milyen modellek léteznek a bíróságok központi igazgatásának megszervezésére, a bírák kiválasztására, kitér a bírósági csúcsszervek helyzetére, a finanszírozás kérdéseire, az ügyelosztási automatizmus és a jogalkalmazói kultúra jelentőségére. A tanulmány emellett a tisztességes eljáráshoz fűződő jognak, mint az igazságszolgáltatás univerzális elvének összehasonlító bemutatására vállalkozik. E nemzetközi egyezményekben, nemzeti alkotmányokban helyet kapó kifejezés mára magába foglalja a korábban kifejlődött, igazságszolgáltatásra vonatkozó elvek többségét. ■
ANMERKUNGEN
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[20] "The changes I m announcing today which have been fully agreed with the Lord Chief Justice, provide for the first time ever a statutory guarantee of the vital principle of the independence of the judiciary."
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[135] Grád, a.a.O. 240.
[136] Siehe z.B. Sovtransatvo Holding v. Ukraine, 2002, no. 48553/99; Kyprianou v. Cyprus 2004, no. 73797/01; Grád, a.a.O. 252.
[137] Kommers, P.D.: Judicial Independence under the Basic Law, In: Russell, P. H. - O'Brien, D. M. (Hrsg.), a.a.O. 137.
[138] Holm v. Sweden, 1993, no. 279-A.
[139] Hyman, H. M. - Tarrant, C. M.: Aspects of American Trial Jury History, In: Simon, R. J (Hrsg.), The Jury System in America. A critical Overview. Sage Publications, Beverly Hills, London, 1973. 134.
[140] Siehe z.B. Rapp v. Van Dusen, 350 F.2d 806, 814 (3d Cir. 1965).
[141] 28 U.S.C. § 144 and 455.
[142] Thomson, W.: Disqualification of judges and justices in the federal courts, Harvard Law Rev. 86 (1973) 736,.
[143] Powers v. Ohio, 499 U.S. 400, 424, 1991, People v. Wheeler, 583 P.2d 748, 755, 1978.
[144] Zuklie, M. S.: Rethinking the Fair Cross-Section Requirement, California Law Review 84 (1996) 101.
[145] Taylor v. Louisiana, 419 U.S. 522, 528, 1975.
[146] Lockhart v. McCree 476 U.S. 162, 1986.
[147] Zuklie, M. S., a.a.O. 78.
[148] Lewis v. United States, 98 U.S. 145 (1879).
[149] Uviller, R. H.: The advocate, the Truth, and Judicial Hackles: A Reaction to Judge Frankel's Idea, University of Pennsylvania Law Rev. 123 (1975), 1067-1082.
[150] Challange for cause.
[151] Peremptory challanges.
[152] Swain v. Alabama 380 U.S. 202 (1965).
[153] Challange to the arrey.
[154] U.S.C. par.1867. d és e
[155] Jany J.: Klasszikus iszlám jog [Klassisches islamisches Recht], Gondolat, Budapest, 2006. 95.
[156] Jany, a.a.O. 270.
[157] http://news.bbc.co.uk/1/hi/world/south_asia/2062831.stm
[158] Bóka J.: Az iszlám jog alapjai [Die Grundlehren des islamischen Rechts], In: Betekintés a jogrendszerek világába (Hrsg.) Badó A. - Loss S., Nyitott Könyv Kiadó, Budapest, 2007. 283.
[159] Jany, a.a.O. 286.
[160] Kelsay, J.: Saudi Arabia, Pakistan, and the Universal Declaration of Human Rights, In: Little, D. - Kelsay, J. - Sachedina, A. (Hrsg.), Human Rights and the Conflict of Cultures: Western and Islamic Perspectives on Reliogus Liberty, University of South Carolina Press, 1988. 35.
[161] United Nations General Assembly. Thirty-Ninth Session. Third Committee. 65th meeting, held on Friday, 7 December 1984, New York A/C.3/39/SR.65.
[162] Watson, I.: "Nigerian Girl Flogged for Premarital Sex", The San Francisco Chronicle, 23. January (2001) A11.
[163] Bureau of Democracy, Human Rights, and Labor, "Saudi Arabia," International Religious Freedom Report, Washington, D.C., United States Department of State, 2003.
[164] Siehe ausführlicher in Shapiro, M.: Iszlám és a fellebbezés [Islam und Berufung], In: Varga Cs. (Hrsg.), Összehasonlító jogi kultúrák [Rechtsvergleichende Kulturen], Budapest, 2000. 343-371.
[165] Constitution of the Arab Republic of Egypt, Part One, article 2.
[166] Constitution of the Republic of Yemen, as amended on 29 September 1994, Art. 3.
[167] Mayer, A.: Islam and Human Rights: Tradition and Politics, Westview Press, Inc. Colorado, 1991. 145.
[168] Oba, A. A.: The sharia court of appeal in northern Nigeria: The continuing crisis of jurisdiction, American Journal of Comparative Law (2004) 859.
[169] Pakistani Constitution, Article 227 (1).
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