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Dr. Dr. h. c. Jürgen Harbich[1]: Das Bundesverfassungsgericht im Spannungsfeld zwischen Recht, Politik und gesellschaftlicher Entwicklung* (JURA, 2014/1., 56-69. o.)

I. Verfassung als rechtliches Fundament des Staates

Der demokratische Rechtsstaat verlangt die Dominanz des Rechts. Demokratie ist der Feind der unkontrollierten Macht. Zur Bändigung der Staatsgewalt bedarf es einer Verfassung: Während die ersten deutschen Verfassungen im 19. Jahrhundert deskriptiv und appellativ waren, sind moderne, rechtsstaatlich geprägte Verfassungen des 20. und 21. Jahrhunderts rechtsnormativ.

Die Konsequenz dieser Entwicklung zeigt sich in Deutschland in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG), der die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung (und die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht) bindet. Die Verfassung wird damit zur obersten Rechtsnorm des Staates erklärt, sie bildet die Spitze der innerstaatlichen Rechtsnormenpyramide. Dieser Stufenbau der Rechtsordnung gewährleistet die Einheit des Rechts: Rangniedere Normen dürfen ranghöheren Normen nicht widersprechen. Tun sie es dennoch, sind die rangniederen Normen rechtswidrig; nach deutschem Rechtsverständnis sind sie nichtig. Mit der Bindung des Gesetzgebers an die Verfassung will der Rechtsstaat die Staatsgewalt begrenzen und die Freiheit des einzelnen schützen. So hat schon Immanuel Kant (1724-1804) die Funktion des Rechtsstaates gesehen.

II. Ursprung der Verfassungsgerichtsbarkeit

Die Frage stellt sich: Wer entscheidet den Konflikt zwischen Rechtsnormen unterschiedlichen Ranges? Während die Zuständigkeit, Konflikte zwischen untergesetzlichen Normen und höherem Recht zu entscheiden, eher rechtstechnischen Charakter hat, wirft der Konflikt zwischen einem (Parlaments-) Gesetz und der Verfassung sensible Fragen auf. Schließlich verkörpert im demokratischen Staat das Parlament die Volkssouveränität. Wer soll in einem solchen Staat befugt sein, das Parlament in die Schranken zu weisen? Kann man darauf vertrauen, dass das Parlament als Repräsentant des souveränen Volkes verfassungstreu ist? Mit diesen grundsätzlichen Fragen hat man sich erstmals am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten von Amerika anlässlich konkreter Rechtsstreitigkeiten auseinandergesetzt.[1] Zu Recht wurde auf die Distanz zwischen Verfassung und einfachem Gesetz hingewiesen; diese kommt schon darin zum Ausdruck, dass Verfassungen durch besondere Akte (Entscheidungen von Konventen, besonderen Organen, Volksabstimmungen) zustande kommen, und dass zu ihrer Revision nur eine von der gesetzgebenden Gewalt verschiedene verfassungsändernde Gewalt für zuständig erklärt wird. Der Vorrang der Verfassung bewirkt, dass Gesetze, die mit der Verfassung nicht vereinbar sind, prinzipiell unwirksam sind. Diese Konsequenz beruht auf Erfahrungen, die auf amerikanischem Boden in den Kolonien mit dem Mutterland England gemacht wurden: Auch ein Parlament kann Unrecht tun - eine Erfahrung, die auch Deutschland und andere Länder kennen. Das richterliche Prüfungsrecht gegenüber Parlamentsgesetzen wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts von den Gerichten der Gliedstaaten der USA in Einzelfällen, doch meist nicht ohne Widerspruch, in Anspruch genommen. Die wegweisende Entscheidung, mit der Richter ein Parlamentsgesetz auf die Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüften, traf der Supreme Court der USA im Jahr 1803 im Verfahren Marbury v. Madison.[2] In dieser Entscheidung kann man die Geburtsstunde der Verfassungsgerichtsbarkeit im modernen Rechtsstaat sehen.

Ein vielzitierter Ausspruch von Charles E. Huhges, Richter des US-Supreme Court, aus dem Jahr 1907 charakterisiert die Rolle des Gerichts als LetztInterpreten der Verfassung: "We are under a constitution, but the constitution is what we say it is".[3]

III. Gründung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1951 und dessen grundsätzliche Aufgabe

1. Die Gründung des Gerichts

Als man im westlichen Teil Deutschlands nach dem Desaster des nationalsozialistischen Regimes und

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dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1948/49 daran ging, eine moderne Verfassung auszuarbeiten, war die größte Sorge der politisch Verantwortlichen, "ein für allemal eine neue deutsche Diktatur zu verhindern. Als Mittel galt eine möglichst rigide und wirksame Verfassung mit eigenständiger Verfassungsgerichtsbarkeit".[4]

Im Verfassungsgericht sehen wir die "Krönung des Rechtsstaates".[5] Zu entscheiden war, ob die verfassungsgerichtlichen Kompetenzen beim Obersten Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit anzusiedeln sind, wie das in USA und in der Schweiz der Fall ist, oder ob man ein eigenständiges Verfassungsgericht installiert. Die Beratungen des Parlamentarischen Rates, der in Bonn vom September 1948 bis Mai 1949 tagte und den endgültigen Text des Grundgesetzes formulierte, waren durch den Herrenchiemseer Verfassungskonvent, einen Sachverständigen-Ausschuss für Verfassungsfragen, vorbereitet worden. Bereits der Entwurf dieses Konvents bekannte sich zu einem eigenständigen Verfassungsgericht. Vorbild für die Struktur des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) war der Österreichische Verfassungsgerichtshof, der unter dem Einfluss des berühmten Juristen und Staatsdenkers Hans Kelsen (1881-1973) im Jahr 1920 errichtet worden war.[6] Damals gab es in Europa nur in Österreich ein eigenes Gericht für die Entscheidungen von Verfassungsstreitigkeiten. Dem österreichischen und deutschen Beispiel folgten Italien 1956, Spanien 1979, Portugal 1982. Ungarn bekennt sich bekanntlich in seiner Verfassung von 1989 zu einem eigenen Verfassungsgericht, und nach dem politischen Umbruch, der in Europa in den Jahren ab 1989 zum Niedergang der sozialistischen Idee führte, haben die osteuropäischen Reformstaaten eine selbständige Verfassungsgerichtsbarkeit etabliert, in Asien übrigens auch die Mongolei im Jahr 1992.

Das durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) in Art. 92 ff. kreierte Verfassungsgericht[7] hat seine Tätigkeit im September 1951 aufgenommen. Es hat seinen Sitz in Karlsruhe (Baden-Württemberg), also nicht am Sitz des Parlaments und der Bundesregierung. Die Entscheidung für diesen Gerichtssitz unterstreicht die Distanz, die zwischen Parlament und Regierung einerseits und dem höchsten Gericht andererseits bestehen soll.

2. Die grundsätzliche Aufgabe des Gerichts

Das BVerfG hat die generelle Aufgabe, darüber zu wachen, dass sich alle drei staatlichen Gewalten im Einklang mit der Verfassung bewegen. Da alle staatliche Gewalt an die Verfassung gebunden ist, hat jedes Organ, hat jede Behörde auch die Aufgabe, die Verfassung auszulegen; denn eine Rechtsanwendung ist ohne Auslegung von Rechtsnormen nicht denkbar. Die letztverbindliche Interpretation des GG ist jedoch dem BVerfG anvertraut.[8]

Die Normen des GG - wie auch Normen anderer Verfassungen - sind zum Teil "weit, unbestimmt, offen und einer dynamischen Interpretation zugänglich".[9] Und wenn dennoch ein Staat die umfassende Kontrolle des staatlichen Handelns unabhängigen Richtern anvertraut, so spricht das für großes Vertrauen gegenüber der richterlichen Gewalt. Das BVerfG hat sich dieses Vertrauens als würdig erwiesen; es hat sich selbst als "Hüter der Verfassung" charakterisiert.[10] Diese Charakterisierung wird auch weitgehend von der Literatur übernommen.[11] Mit der Aufgabe, das GG letztverbindlich auszulegen, ist auch die Aufgabe verbunden, die Verfassung schöpferisch fortzuentwickeln.[12]

3. Die Stellung des Gerichts

Das BVerfG gehört zur rechtsprechenden Gewalt, sagt doch das GG in Art. 92, dass die rechtsprechende Gewalt durch das BVerfG und andere Gerichte ... ausgeübt wird. Das Verfassungsgericht misst als rechtsprechendes Organ alle Akte des Staates nur am Maßstab des GG. Seine Entscheidungen sind Rechtsentscheidungen, keine politischen Entscheidungen. Nun wird behauptet, dass Recht und Politik nicht sauber getrennt werden können, weil das Verfassungsgericht den rechtlichen Rahmen der Politik und damit die Politik selbst beeinflusst.[13] Sicherlich wirkt das Verfassungsgericht in den politischen Raum hinein, wenn es den Gesetzgeber kontrolliert und dessen Gesetze als verfassungswidrig und damit als nichtig erklärt. Doch dabei agiert das Gericht nicht politisch, seine Sprache ist die des Rechts. Sicherlich: Politik und Recht stehen nicht beziehungslos nebeneinander. Politik beeinflusst das Recht, Recht beeinflusst die Politik. Dieser Befund ist nicht dramatisch. Beide Bereiche müssen nur prinzipiell auseinander gehalten werden. Deutsches Rechtsverständnis und die Praxis des BVerfG geben prinzipiell keinen Anlass, die Verfassung als alleinigen verbindlichen Rechtsmaßstab zu bezweifeln und die Verfassungsgerichtsbarkeit als politisches Verfahren zu sehen.[14] Es bleibt daher festzuhalten: Das BVerfG entscheidet am Maßstab von (Verfassungs-)Recht und nicht politisch.[15] Ohne Zweifel hat das BVerfG im Verfassungssystem eine gewichtige Stellung. Im Herrenchiemseer Verfassungsentwurf war für das BVerfG - wie für die Verfassungsorgane Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung - ein eigener Abschnitt vorgesehen, der Parlamentarische Rat hat jedoch das BVerfG im Abschnitt "Rechtsprechung" geregelt und es damit

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unterlassen, den Status des BVerfG ausdrücklich festzulegen. Eine Folge davon war, dass das BVerfG zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz gehörte. Das hat das BVerfG nicht hingenommen und bereits im ersten Jahr seines Bestehens mit seiner Denkschrift vom 27. Juni 1952[16] die Gleichstellung mit den anderen Verfassungsorganen gefordert. Das Verfassungsgericht hat sich mit seiner Auffassung in der Öffentlichkeit und im Schrifttum weitgehend durchgesetzt.[17]

IV. Zuständigkeiten des BVerfG im Überblick

Das BVerfG kontrolliert die Gerichte, die Exekutive (d. h. Regierung und Verwaltung), den Gesetzgeber; es entscheidet Streitigkeiten zwischen obersten Verfassungsorganen und hat weitere Aufgaben, die ihm das GG und Bundesgesetze zuweisen (Art. 94 Abs. 2 GG). Es übt eine umfassende Kontrolle über alle drei Staatsgewalten aus. Dennoch ist der Rechtsweg zum BVerfG nicht durch eine Generalklausel eröffnet. Das Gericht ist nur auf Grund ausdrücklicher verfassungsrechtlicher und gesetzlicher Zuweisungen für einzelne Verfahrensarten zuständig. Für die Zulässigkeit von Verfassungsprozessen gilt das Enumerationsprinzi.[18] Von den zahlreichen Zuständigkeiten des BVerfG werden hier die fünf wichtigsten im Überblick vorgestellt.

1. Organstreitigkeiten

Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG entscheidet das BVerfG über die Auslegung des GG aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das GG oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Demnach können Beteiligte eines solchen Verfahrens z. B. der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, auch der Bundeskanzler und der einzelne Abgeordnete sein.

Beispiel 1: Wenn der Bundeskanzler jemanden zum Bundesminister vorschlägt (Art. 64 Abs. 1 GG) und der Bundespräsident sich weigert, den Vorgeschlagenen zum Minister zu ernennen, könnte der Bundeskanzler beim BVerfG die Feststellung beantragen, dass die Weigerung des Bundespräsidenten verfassungswidrig ist. Ein Verfahren dieser Art hat es bisher nicht gegeben.

Beispiel 2: Wenn der Bundespräsident den Bundestag auflöst (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG) und damit die Legislaturperiode von vier Jahren (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG) verkürzt, können einzelne Bundestagsabgeordnete beim BVerfG die Feststellung beantragen, dass die Auflösung des Bundestags verfassungswidrig ist. Verfahren dieser Art hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bisher zweimal gegeben (siehe dazu unten VII 2).

2. Abstrakte Normenkontrolle

Das BVerfG entscheidet nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem GG oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages. Diese Normenkontrolle wird abstrakt genannt, weil der Antrag nicht aus Anlass eines konkreten Rechtsstreits gestellt wird.

Das Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG wird immer wieder von der Opposition gewählt, um Bundesgesetze, die die Opposition im Parlament nicht mitgetragen hat, durch das BVerfG zu Fall zu bringen. Eine in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des BVerfG abgedruckte Statistik zeigt, dass in den ersten 50 Jahren der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung 141 abstrakte Normenkontrollen beantragt wurden.

Beispiel: Das Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), ein Bundesgesetz vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78), hatte vorrangig den Zweck, Attentate wie die Terroranschläge in den USA am 11. September 2001 in Deutschland zu verhindern. § 14 Abs. 3 des Gesetzes erlaubte als äußerste Maßnahme eine "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" gegen ein Flugzeug, "wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll und sie (= die Maßnahme) das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist". Das Leben der Unbeteiligten an Bord sollte zu Gunsten des Lebens anderer Menschen am Boden geopfert werden dürfen.

Dieses Gesetz war in der Öffentlichkeit politisch, rechtlich und ethisch sehr umstritten. Der damalige Bundespräsident Horst Köhler unterzeichnete das Gesetz trotz erheblicher Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit, wie er die Öffentlichkeit wissen ließ. Gleichzeitig regte er an, die Vereinbarkeit des Gesetzes durch das BVerfG prüfen zu lassen.

Mehrere Personen erhoben gegen das Gesetz Verfassungsbeschwerde, und mehrere Regierungen der Länder beantragten eine abstrakte Normenkontrolle. Mit Urteil vom 15. Februar 2006[19] stellte das BVerfG fest, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verb. mit

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der Menschenwürdegarantie des Art.1 Abs. 1 GG nicht vereinbar und nichtig ist.

3. Konkrete Normenkontrolle

Hält ein Gericht ein Parlamentsgesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung eines anhängigen Rechtsstreits ankommt, für verfassungswidrig, so muss das Gericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren aussetzen und die Entscheidung des BVerfG über die Frage der Ungültigkeit einholen. Das vorlegende Gericht muss von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes überzeugt sein; bloße Zweifel an der Gültigkeit des Gesetzes genügen nicht. Das Gericht muss sich mit der Rechtslage gründlich auseinandersetzen und dabei die in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Rechtsauffassungen berücksichtigen,[20] wobei das BVerfG gelegentlich sehr hohe Anforderungen an die Begründungspflicht des vorlegenden Gerichts stellt.[21]

Art. 100 GG bestätigt die Pflicht aller Gerichte, die Verfassungsmäßigkeit der vom Parlament erlassenen Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen; die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ist jedoch beim BVerfG monopolisiert. Diese Regelung soll "verhüten, dass sich jedes einzelne Gericht über den Willen des Bundes- oder Landesgesetzgebers hinwegsetzt, indem es die von ihnen beschlossenen Gesetze nicht anwendet".[22] M.a.W.: Art. 100 GG schützt die Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers.

Auch andere Länder kennen die konkrete Normenkontrolle. In der Mongolei z. B. sind jedoch die unteren Gerichte verpflichtet, das Oberste Gericht anzurufen, wenn sie ein Gesetz für verfassungswidrig halten. Wenn das Oberste Gericht die Vorlage für begründet hält, wird es das Verfassungsgericht um Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes bitten.[23] Es besteht kein Grund, diese Rechtslage zu kritisieren; sie beruht darauf, dass sich die Mongolei erst 1990 auf den Weg zu einem modernen Verfassungsstaat gemacht hat. Das deutsche Recht betont die Verantwortung auch der unteren Gerichte und stärkt deren Selbstbewusstsein.

Hält das BVerfG die Vorlage des Gerichts für begründet, stellt das BVerfG deklaratorisch die Nichtigkeit des Gesetzes fest (§§ 82 Abs. 1, 78 Satz 1 BVerfGG). Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass ein verfassungswidriges Gesetz von Anfang an nichtig ist.[24]

Das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG hat in der Praxis große Bedeutung. Die Entscheidungen in diesem Verfahren liegen statistisch an zweiter Stelle hinter der Verfassungsbeschwerde und weit vor allen übrigen Verfahrensarten.[25]

Mit den Regelungen der abstrakten und konkreten Normenkontrolle betont das GG den Vorrang der Verfassung und unterstreicht damit die gerichtliche Durchsetzung dieses Prinzips auch gegenüber dem Gesetzgeber.[26]

4. Verfassungsbeschwerde

Auch der Bürger, ebenso der Ausländer, kann sich an das BVerfG wenden: Jedermann kann nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG Verfassungsbeschwerde erheben mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in anderen Artikeln des GG enthaltenen Rechte verletzt zu sein.[27] Da die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung "als unmittelbar geltendes Recht" (Art. 1 Abs. 3 GG) binden, können mit der Verfassungsbeschwerde Akte aller drei Staatsgewalten angefochten werden. In der deutschen Verfassungsgeschichte ist die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte eine gewichtige Neuerung mit enormen Konsequenzen. Damit ist jedermann das Recht gegeben, sich nicht nur gegen Akte der Exekutive und Judikative, sondern unmittelbar auch gegen Parlamentsgesetze zu Wehr zu setzen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG), wenn er behauptet, dass ihn das Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seiner grundrechtlich geschützten Sphäre verletzt.[28] Auch juristische Personen des Privatrechts können Verfassungsbeschwerde erheben, wenn sie sich auf ein Grundrecht berufen, das ihnen dem Wesen nach zustehen kann (Art. 19 Abs. 3 GG), z. B. auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG. Juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist nach der Rechtsprechung des BVerfG das Recht, Verfassungsbeschwerde zu erheben, grundsätzlich verwehrt,[29] weil sie nicht grundrechtsfähig sind. Nur ausnahmsweise sind juristische Personen des öffentlichen Rechts beschwerdebefugt, wenn sie Funktionsbereiche verteidigen, z. B. Universitäten, die staatliche Eingriffe in die Freiheit der Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG), öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die Eingriffe in das Recht der Berichterstattung und Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) abwehren wollen.

Das Recht, Verfassungsbeschwerde zu erheben, erfreut sich in Deutschland großer Beliebtheit. In den ersten 50 Jahren des Bestehens des BVerfG sind 126.962 Verfassungsbeschwerden beim Verfassungsgericht eingegangen.[30] Davon waren 2,6%, d. h. mehr als 3000 Verfassungsbeschwerden erfolgreich.[31] Diese - prozentual bescheidene, in absoluten Zahlen jedoch hohe - Erfolgsquote stützt das hohe Ansehen, das das BVerfG in der Bevölkerung in Deutschland hat. Gelegentliche Forderungen nach einer Abschaffung

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der Verfassungsbeschwerde[32] haben keine Aussicht, verwirklicht zu werden; ein kraftvoller Proteststurm der Bevölkerung wäre nicht zu überwinden.

Beispiel: Das Grundgesetz (Art. 3 Abs. 2, 117 Abs. 1) verpflichtete den Gesetzgeber, Gesetze aus der Zeit vor Inkrafttreten des GG, die den Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau widersprachen, mit diesem Grundsatz in Einklang zu bringen. Die frühere familienrechtliche Regelung, wonach dem Ehemann/Vater das Recht zustand, über Fragen des Kindeswohls allein zu entscheiden, musste daher revidiert werden. Der Gesetzgeber verfügte, dass "die Eltern die elterliche Sorge in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben" haben. "Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen" (So § 1627 Satz 1 uns Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB). § 1628 BGB ergänzte diese Regelung und gab dem Ehemann/ Vater den Stichentscheid, wenn sich die Eltern nicht einigen können.

Einige verheiratete Mütter minderjähriger Kinder erhoben gegen diese Stichentscheidregelung Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung, das Gesetz verletze ihr Recht auf Gleichberechtigung. Der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz verteidigte im Verfassungsprozess die Stichentscheidregelung mit der Erwägung, dass anderenfalls das Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden müsse und damit ein "staatlicher Funktionär" in die Familie "hineinregiere". Dieses staatliche Eingreifen habe der Gesetzgeber verhindern wollen.

Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung vom 29. Juli 1959 den Verfassungsbeschwerden stattgegeben und § 1628 BGB für nichtig erklärt.[33] In Konsequenz dieser Entscheidung hat der Gesetzgeber § 1628 neugefasst. Wenn sich die Eltern nicht einigen, kann nunmehr das staatliche Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Praxis zeigt, dass die Familiengerichte wegen Streitigkeiten über die Ausübung des elterlichen Sorgerechts sehr selten angerufen werden.[34]

5. Parteiverbotsverfahren

Die Gründung politischer Parteien ist frei (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG). Das heißt: Zur Gründung einer Partei ist weder eine staatliche Genehmigung noch eine staatliche Registrierung notwendig. Die innere Ordnung der Parteien muss jedoch demokratischen Grundsätzen entsprechen (Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG). Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik (1919-1933), auch Erfahrungen anderer Länder, zeigen, dass sich immer wieder Parteien bilden, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen.

Das Grundgesetz enthält daher Vorschriften, die Ausdruck einer streitbaren, abwehrbereiten, einer wehrhaften Demokratie sind. Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG sagt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht."

Schutzgut des Parteiverbots ist die Offenheit und Freiheit des politischen Prozesses.[35] Doch das GG will keine Freiheit für die Feinde der Freiheit[36] gewährleisten. Nur der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung sind gemäß § 43 Abs. 1 BVerfGG berechtigt, beim BVerfG einen Verbotsantrag zu stellen; wenn sich die Organisation der Partei auf das Gebiet eines Landes (= eines Gliedstaates der Bundesrepublik Deutschland) beschränkt, ist auch die betreffende Landesregierung antragsberechtigt. Ob das Antragsrecht ausgeübt wird, liegt im politischen Ermessen der zuständigen Verfassungsorgane.[37] In einem freiheitlich demokratischen Staat erwartet man, dass sich die verfassungstreuen Parteien mit einer verfassungsfeindlichen Partei primär politisch, d. h. argumentativ, auseinandersetzen. Es liegt auch nahe, dass die Anhänger einer verbotenen Partei in den Untergrund gehen und dann nur unter größeren Schwierigkeiten bekämpft werden können. Wird jedoch ein zulässiger Verbotsantrag gestellt, trifft das BVerfG eine Rechtsentscheidung. Das Gericht prüft das Programm und/oder ggfs. die Aktionen der Anhänger der betreffenden Partei am rechtlichen Maßstab des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG. Ist das Verfassungsgericht von der Verfassungswidrigkeit der Partei überzeugt, muss das Gericht die Partei verbieten. Die Partei ist damit aufgelöst; die Abgeordneten dieser Partei verlieren ihr Mandat (§ 46 Abs. 1 Nr. 5 Bundeswahlgesetz).

Ein Parteiverbot des BVerfG wirkt ohne Zweifel ganz erheblich in den politischen Raum. Das ändert aber nichts daran, dass das Verfassungsgericht eine Entscheidung nur nach rechtlichen Kriterien trifft. Bei der Beurteilung, ob eine Partei verfassungswidrig ist oder nicht, hat das Verfassungsgericht kein Ermessen.

In der über 60-jährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat das BVerfG zwei politische Parteien verboten: mit Urteil vom 23. Oktober 1952[38] die Sozialistische Reichspartei (SRP), die sich selbst in der Tradition der NSDAP sah, und mit Urteil vom 17. August 1956[39] die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

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V. Zusammensetzung des Bundesverfassungsgerichts

1. Zwei Senate

Das BVerfG besteht seit seiner Errichtung im Jahr 1951 aus zwei Senaten (§ 2 Abs. 1 BVerfGG). Bis zum Jahr 1956 gehörten jedem Senat zwölf Richter an, von 1956 an je zehn Richter, und seit 1963 hat jeder Senat acht Richter (§ 2 Abs. 2 BVerfGG).

Jeder Senat ist für seinen Zuständigkeitsbereich, der sich aus § 14 BVerfGG ergibt, "das Bundesverfassungsgericht". Kein Senat ist dem anderen übergeordnet.[40] Will jedoch ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen, so entscheidet darüber das Plenum des BVerfG, also alle 16 Richter (§ 16 Abs. 1 BVerfGG). Gemäß dieser Vorschrift hat das Plenum bisher viermal entschieden. Die seltene Anrufung des Plenum liegt wohl nicht an einer fast ausnahmslosen Übereinstimmung der Rechtsprechung der beiden Senate; denn es gibt "mehrere Fälle, in denen ein Senat ohne Anrufung des Plenum bewusst oder unbewusst von der Rechtsprechung des anderen Senats abgewichen ist".[41] Eher hängt die ausgeprägte Zurückhaltung damit zusammen, dass die Verfassungsrichter eine Zementierung von Rechtsauffassungen durch das Plenum vermeiden wollen;[42] man spricht in diesem Zusammenhang von einem "horror pleni".[43]

2. Persönliche Voraussetzungen für das Amt des Verfassungsrichters

Zum Richter des BVerfG kann nur gewählt werden, wer das 40. Lebensjahr vollendet hat, zum Bundestag wählbar ist (und damit die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt), die Befähigung zum Richteramt besitzt und sich schriftlich zur Amtsübernahme bereit erklärt hat (§ 3 Abs. 1 und 2 BVerfGG). Mindestens drei Richter jedes Senats werden aus der Richterschaft der obersten Gerichtshöfe des Bundes gewählt (§ 3 Abs. 3 BVerfGG). Dadurch ist gewährleistet, dass dem BVerfG höchstrichterliche Erfahrung zugute kommt. Gemäß den zitierten Vorschriften ist das BVerfG ein "reines Juristengericht". Vor allem Politikern, die nicht Juristen sind, ist gesetzlich die Wahl zum Verfassungsrichter verwehrt. Das ist eine begrüßenswerte Reglung; schließlich hat das Gericht schwierigste Fragen des Verfassungsrechts zu entscheiden und ist zugleich letztverbindlicher Interpret der Verfassung. Für diese Funktion kommen nur hochqualifizierte Juristen in Frage. Glücklicherweise ist es in der über 60-jährigen Geschichte des BVerfG stets gelungen, hervorragende Vertreter der juristischen Zunft für das Amt des Verfassungsrichters zu gewinnen.[44] Die Verfassungsrichter kommen in der Regel aus dem Kreis der Professoren, der Richter, seltener aus dem Kreis der Beamten; gelegentlich wird ein Exponent der hohen Politik gewählt; auch einem Notar wurde einmal die Ehre zuteil, zum Verfassungsrichter gewählt zu werden, bisher jedoch nicht einem Angehörigen der Rechtsanwaltschaft.

VI. Wahl und Amtszeit der Verfassungsrichter

1. Die Wahl

Die Mitglieder des BVerfG werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt (Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG). Die Wahlberechtigung des Bundesrates, der aus Mitgliedern der Landesregierungen besteht (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GG), rechtfertigt sich mit der Zuständigkeit des Verfassungsgerichts, auch Hoheitsakte der Länder zu überprüfen und über Bund-Länder-Streitigkeiten zu entscheiden (Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG). Während der Bundesrat im Plenum, das derzeit 69 Mitglieder hat, wählt, hat der Bundestag sein Wahlrecht auf einen Wahlausschuss delegiert, der aus 12 Mitgliedern des Bundestags besteht (§ 6 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Die Richterwahl durch den Bundestag als das höchste demokratisch gewählte Verfassungsorgan und den Bundesrat, der auf der Ebene des Bundes die Länder vertritt, wird verfassungspolitisch grundsätzlich akzeptiert.[45] Demgegenüber wird die Delegation des Bundestages auf einen Wahlausschuss in der Literatur mehrheitlich als verfassungswidrig angesehen.[46] Da das GG die Delegation nicht vorsieht, ist die Kritik berechtigt; doch sie ist wirkungslos, weil das BVerfG selbst die Delegation nicht beanstandet.[47] Resignierend spricht man von einer normativen Kraft des Faktischen.[48] Zu begrüßen ist jedoch, dass die Wahlmänner auf die Dauer der Legislaturperiode gewählt und nicht abberufen werden können. Sie unterliegen auch keinen Weisungen und sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.[49]

Dass für die Wahl zum Richter des BVerfG im Wahlausschuss bzw. im Bundesrat eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen notwendig ist, wird nicht vom GG, sondern vom BVerfGG (§ 6 Abs. 5, § 7) verlangt. Diese Regelung, die wegen ihrer Bedeutung eigentlich Bestandteil der Verfassung sein sollte, hat sich in der Praxis bewährt. Der jeweiligen Parlamentsmehrheit ist es dadurch verwehrt, ausschließlich "Leute ihrer Richtung" in das BVerfG zu bringen.[50] Das Erfordernis der Zwei-Drittel-

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Mehrheit bewirkt eher als eine Wahl durch einfache Parlamentsmehrheit die politische Neutralität der Verfassungsrichter.

2. Die Amtszeit

Während in den ersten Jahren des BVerfG die Richter z. T. auf Lebenszeit, z. T. auf Zeit mit der Möglichkeit der Wiederwahl gewählt wurden, werden die Richter seit 1970 einheitlich auf zwölf Jahre gewählt, längstens bis zur Altersgrenze von 68 Jahren (§ 4 Abs. 1 und 3 BVerfGG). Eine anschließende oder spätere Wiederwahl der Richter ist ausgeschlossen. Die Amtszeitregeln und der Ausschluss der Wiederwahl werden heute allgemein akzeptiert. Die Amtszeit von zwölf Jahren bietet eine gewisse Gewähr für die Kontinuität und beugt gleichzeitig einer Erstarrung der Rechtsprechung vor. Der Ausschluss der Wiederwahl "verhindert schon den Anschein, ein Richter könne sich bei seinen Entscheidungen und Sondervoten vom Gedanken an die Chancen der eigenen Wiederwahl leiten lassen und stärkt so die Unabhängigkeit des Amtes.[51]

Die Vorschriften für die Amtszeit von Verfassungsrichtern sind von Land zu Land verschieden. Während Ungarn gemäß Art. 24 der Verfassung vom 25. April 2011 auch eine 12-jährige Amtszeit der Verfassungsrichter kennt, bleiben die Richter des Supreme Court der USA "during good behaviour"[52] im Amt. Faktisch bewirkt diese Regelung eine Ernennung auf Lebenszeit, auf echte Lebenszeit, weil es keine Altersgrenze gibt. Von den neun Richtern des Supreme Court sind derzeit zwei Richter seit mehr als 25 Jahren im Amt; ein Mitglied des Gerichts gehört dem Jahrgang 1933 an. Es geht hier nicht darum, die US-amerikanische Verfassung zu kritisieren; doch sei die Bemerkung erlaubt, dass eine Regelung dieser Art für das deutsche Recht undenkbar ist.

3. Politischer Einfluss auf die Wahl

Von Zeit zu Zeit kritisieren vor allem die Medien in Deutschland die Parteinähe der Verfassungsrichter. Richtig ist, dass die Mehrheit der Verfassungsrichter durchwegs Mitglieder einer politischen Partei ist.[53] Und im Zusammenhang damit kritisieren die Medien, dass es die politischen Parteien sind, die die Verfassungsrichter auswählen. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass sich Deutschland im Einklang mit seiner Verfassung[54] zu einer Parteiendemokratie entwickelt hat. Ein generelles Misstrauen gegenüber dem Einfluss der politischen Parteien ist unangebracht.[55] Schließlich ist zu bedenken, dass das BVerfG wie kein zweites mit enormer Machtfülle ausgestattet ist; es erscheint daher angemessen, dass die Richter über demokratisch gebildete und parteipolitisch zusammengesetzte Verfassungsorgane legitimiert sind. In der Vergangenheit war immer festzustellen, "dass Richter in gelegentlich frappanter Weise anders entschieden, als es nach ihrer Parteizuordnung nahegelegen hätte".[56] Bisher konnte noch keinem Richter Parteipolitik ernsthaft vorgeworfen werden. Insider berichten, dass es sich kein Richter erlauben könnte, parteipolitisch zu argumentieren; er wäre im Kollegenkreis sofort isoliert.

VII. Spannung zwischen Recht und Politik

Die umfangreichen Zuständigkeiten des BVerfG und das im modernen Rechtstaat verwurzelte Verbot der Justizverweigerung lassen immer wieder "das BVerfG auf der Grenze zwischen dem Recht und der Politik"[57] auftreten. Politik und Recht voneinander zu trennen, ist in der Tat eine Gratwanderung voller Tücken. Natürlich braucht die Politik Ermessensund Gestaltungsfreiheit; andererseits ist es Aufgabe des Verfassungsrechts und damit des Verfassungsgerichts, dem politisch Machbaren, also der Politik insgesamt die Grenzen aufzuzeigen, die sich aus den Geboten der Gerechtigkeit sowie der Gewährleistung von Freiheit auch und gerade für den politischen Machthaber ergeben.[58]

An politisch brisanten Verfassungsprozessen war und ist kein Mangel. Man denke an die Auseinandersetzungen über den Auslandseinsatz der Bundeswehr,[59] das Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zur damaligen Deutschen Demokratischen Republik,[60] die Verträge über die Integration Deutschlands in der Europäischen Union,[61] das Verbot politischer Parteien[62] und die vorzeitige Auflösung des Bundestages.[63] Die Liste könnte man mühelos fortführen. In allen Fällen geht es darum, "dem Recht (zu geben), was rechtens ist, und der Politik das, was im Hinblick auf die konkrete Verwirklichung des Gemeinwohls politisch opportun, also zweckmäßig ist".[64] In diesem Zusammenhang hört und liest man vom Grundsatz der richterlichen Selbstbeschränkung - judicial self-restraint[65] - und meint damit, das Verfassungsgericht solle den anderen Verfassungsorganen den politischen Gestaltungsraum offen halten und verzichten, selbst Politik zu treiben. Das ist, wie zu Recht festgestellt wird,[66] etwas Selbstverständliches. Ein konkreter Inhalt lässt sich aus dem Gebot der Selbstbeschränkung nicht herleiten. Auch ein Blick in das Verfassungsrecht der USA und in die Praxis des Supreme Court, der Entscheidungen über Fragen politischer Natur ablehnen kann[67] hilft nicht weiter. Der Supreme Court,

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der Letztinterpret der Verfassung, kann die von ihm entwickelte "political-question-Doktrin" flexibel einsetzen oder auch nicht einsetzen; es liegt in seiner Befugnis, d. h. in seinem Ermessen, die Entscheidungskompetenzen der Legislative oder Exekutive zu akzeptieren. Demgegenüber hat das BVerfG in jedem Fall eine Entscheidung zur Sache zu treffen und ist dabei gehalten, einerseits die Gestaltungsfreiheit der politischen Kräfte zu respektieren; andererseits darf sich das Gericht nicht scheuen, die politischen Machthaber in verfassungsrechtliche Schranken zu weisen. Bei Wahrnehmung dieser Aufgabe hat das Gericht auch Kritik erfahren, weil es zu weit in dem politischen Entscheidungsraum eingegriffen habe.[68] Wie auch immer man die Rechtsprechung des BVerfG beurteilt, sicherlich kann man nicht von einer "Juridifizierung der Politik" sprechen, wie das Carl Schmitt[69] befürchtet hatte. Im folgenden wird ein Fall geschildert, der im Grenzbereich von Politik und Recht "gespielt" hat.

Beispiel: Gerhard Schröder, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), war im Frühjahr 2005 noch Bundeskanzler. Am 22. Mai 2005 wählte Nordrhein-Westfalen - mit 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land in Deutschland - einen neuen Landtag. Das Wahlergebnis war für das bis dahin in NordrheinWestfalen regierende rot-grüne Bündnis desaströs: Die bisherige rot-grüne Mehrheit im Landtag wurde durch eine CDU/FDP-Mehrheit abgelöst. Noch am Abend des 22. Mai 2005 kündigte der Vorsitzende der SPD an, dass der Bundeskanzler für den Herbst 2005 Neuwahlen anstrebe.

Um zu diesem Ziel zu gelangen, stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Deutschen Bundestag am 27. Juni 2005 gemäß Art. 68 GG[70] den Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen. Er tat das jedoch mit dem Ziel, für seinen Antrag keine Mehrheit zu erhalten. Bei der Beschlussfassung über den Antrag des Bundeskanzlers am 1. Juli 2005 enthielten sich acht Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und 140 Mitglieder der SPD-Fraktion der Stimme, während die Opposition naturgemäß mit "Nein" stimmte. Der Antrag des Bundeskanzlers fand daher erwartungsgemäß nicht die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.

Damit konnte der Bundeskanzler den dritten Schritt tun und gestützt auf Art. 68 GG dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen. Der Bundespräsident entsprach dem Vorschlag, löste am 21. Juli 2005 den 15. Deutschen Bundestag auf und ordnete für den 18. September 2005 die Wahl für den 16. Deutschen Bundestag an.

Daraufhin wandten sich zwei Mitglieder des Bundestages an das BVerfG und beantragten im Wege des Organstreitverfahrens (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG) festzustellen, dass der Bundespräsident durch seine Anordnung der Auflösung des 15. Deutschen Bundestages gegen Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen und sie dadurch in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG[71] in Verbindung mit Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG[72] verletzt oder unmittelbar gefährdet hat.

Das BVerfG hat die Anträge als unbegründet zurückgewiesen.[73] Damit wurde der Weg frei für die Wahl des 16. Deutschen Bundestages am 18. September 2005. Diese Wahl hat Rot-Grün und damit Gerhard Schröder verloren. Seit dem 18. November 2005 ist Angela Merkel Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.

Die vorzeitige Auflösung eines Parlaments ist eine hochpolitische Angelegenheit. Wird das BVerfG von einem Antragsberechtigten angerufen, muss es über die Verfassungsmäßigkeit der Auflösung entscheiden und kann sich nicht wie der US-Supreme Court auf eine political-question-Doktrin berufen und eine Entscheidung verweigern.

Dem Wortlaut nach scheint die echte Vertrauensfrage der eigentliche Regelungszweck des Art. 68 GG zu sein. Diese Vertrauensfrage, die darauf abzielt, dass dem Bundeskanzler das Vertrauen ausgesprochen wird, ist selbstverständlich in Theorie und Praxis als zulässig anerkannt.

Die verfassungsrechtlichen Streitfragen entzünden sich an der unechten Vertrauensfrage, die der Bundeskanzler stellt mit dem Ziel, das Vertrauen des Bundestages nicht ausgesprochen zu bekommen, um auf diese Weise den Weg für angestrebte Neuwahlen freizumachen. Einigkeit besteht insofern, als es nicht im jederzeitigen Belieben des Bundeskanzlers steht, die Vertrauensfrage mit dem Ziel der Bundestagsauflösung zu stellen. Das BVerfG hat bereits in seiner Entscheidung vom 16. Februar 1983[74] dem Art. 68 GG ein "ungeschriebenes sachliches Tatbestandsmerkmal" entnommen, wonach der Bundeskanzler die Auflösung des Bundestages auf dem Weg des Art. 68 GG nur anstreben darf, "wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiterzuregieren".

Wenn man die politische Situation in der Mitte des Jahres 2005 betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass es für eine fehlende parlamentarische Unterstützung des Bundeskanzlers Schröder und seiner Regierungspolitik keine Anhaltspunkte gab, als der Bundeskanzler die Vertauensfrage am 22. Mai 2005 ankündigte und am 27. Juni 2005 stellte.

Was war denn wirklich geschehen, und was war nicht geschehen?

Die SPD, die Partei des Bundeskanzlers, hatte in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005 die Wahl

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verloren, was im Bundesrat eine Schwächung der rot-grünen Position bewirkte. Im Bundestag jedoch hatte sich nichts verändert. Die von Gerhard Schröder geführte Bundesregierung hatte in der zurückliegenden Legislaturperiode, also von 2002 bis 2005, keine einzige Abstimmung verloren, in der die sog. Kanzlermehrheit (= Mehrheit der Mitglieder des Bundestages) erforderlich war. Auch nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 2005 hat Gerhard Schröder alle Gesetzesvorlagen der Bundesregierung im Bundestag durchgebracht.

Die wahren Probleme von Bundeskanzler Schröder und seiner Regierung lagen nicht im Bundestag, sondern im Bundesrat, in dem die Parteien, die im Bundestag in Opposition standen, die Mehrheit hatten. Zur damaligen Zeit bedurften mindestens 60% der Bundesgesetze der Zustimmung des Bundesrates. Doch mit der parteipolitischen Situation im Bundesrat kann das Stellen einer Vertrauensfrage nicht begründet werden.

Diese Analyse führt zum Ergebnis, dass der Bundeskanzler die auflösungsgerichtete Vertrauensfrage aus Rechtsgründen nicht hätte stellen dürfen; die Auflösung durch den Bundespräsidenten war daher verfassungswidrig. Das BVerfG hat jedoch diese Feststellung nicht getroffen, was ihm in der Öffentlichkeit und z. T. auch in der Literatur Kritik eintrug.[75] Ein Verfassungsrichter, der an diesem Verfahren nicht beteiligt war, erwähnte mir gegenüber in einem Gespräch: "Wir Verfassungsrichter können nicht in die Köpfe der Abgeordneten hineinsehen; deswegen haben wir die Einschätzung des Bundeskanzlers, der von einer politisch labilen Situation sprach, akzeptiert. Wir Verfassungsrichter machen keine Politik." M.E. war ein Blick in die Köpfe der Abgeordneten auch nicht nötig; es hätte genügt, das objektiv feststellbare Abstimmungsverhalten der Abgeordneten zur Kenntnis zu nehmen.

Der Prozess war hochpolitisch; man hätte ihn aber mit ausschließlich rechtlichen Argumenten anders entscheiden müssen. Doch in dieser Frage gibt es über dem BVerfG keinen Richter, sondern nur den blauen Himmel.

VIII. Spannungsfeld zwischen Recht und gesellschaftlicher Entwicklung

Das BVerfG sitzt nicht im Elfenbeinturm. Es agiert - gestützt auf die Verfassung - weit in den politischen Raum hinein. Es kann mit seiner Rechtsprechung ganze Lebensbereiche umgestalten. Das Gericht muss die gesellschaftliche Entwicklung beobachten und in seine Überlegungen bei der Auslegung der Verfassung einbeziehen. Der Richter muss sehen, dass sich Lebenserscheinungen und auch die Lebenswertung ändern.[76] Daher kann sich, ja muss sich die Interpretation einer Rechtsnorm ändern, so dass das Gericht heute zu anderen Ergebnissen kommt als vor Jahren, ohne dass sich der Wortlaut der anzuwendenden Norm geändert hätte. Eine rechtshistorische Geschichte mag das soeben Gesagte erläutern:

Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) von 1871 stellte mit § 175 die einfache Homosexualität zwischen erwachsenen Männern unter Strafe. Diese Strafvorschrift hat das Deutsche Kaiserreich (1871-1918), die Weimarer Republik (1919-1933), das Dritte Reich (1933-1945) überlebt und galt auch noch in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland. Auf Grund einer Verfassungsbeschwerde gegen eine strafgerichtliche Verurteilung untersuchte das BVerfG, ob die Strafrechtsnorm mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG[77] vereinbar ist. Die Frage war: Ist die Homosexualität zwischen Männern mit dem Sittengesetz vereinbar? Das Verfassungsgericht hat den Gehalt des Sittengesetzes mit empirischer Methode festgestellt. Es hat dabei die von den beiden großen christlichen Konfessionen vertretenen Lehren und die rechtsgeschichtliche Entwicklung berücksichtigt und schließlich mit Urteil vom 10. Mai 1957[78] § 175 StGB als verfassungsrechtlich gerechtfertigte Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit betrachtet. Doch die in diesem Urteil geäußerten Moralvorstellungen waren zeitbedingt[79] und die Zeiten und die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft haben sich geändert. Bereits 1969 zog der Gesetzgeber die Konsequenz und hob die Strafbarkeit der einfachen Homosexualität auf.

Doch die gesellschaftliche Entwicklung ging in Deutschland weiter. Immer mehr Männer, unter ihnen bekannte Künstler und Politiker, bekannten sich - z. T. unter dem Beifall der Öffentlichkeit - zu ihrer Homosexualität und führten ein gemeinsames Leben. Der Gesetzgeber musste weitere Konsequenzen ziehen: Zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften führte der Gesetzgeber mit Gesetz vom 16. Februar 2001[80] das Institut der Lebenspartnerschaft ein. Die meisten Regelungen dieses Gesetzes sind den Regelungen der Ehe nachgebildet. Gegen dieses Gesetz wandten sich die Bayerische und die Sächsische Staatsregierung und die Landesregierung des Freistaates Thüringen mit Normenkontrollanträgen gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG. Mit Urteil vom 17. Juli 2002[81] wies das Verfassungsgericht die Anträge zurück. Im 3. Leitsatz des Urteils führt das Gericht aus: "Die Einführung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare verletzt Art. 6 Abs. 1 GG nicht. Der besondere Schutz der Ehe in

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Art. 6 Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder nahe kommen. Dem Institut der Ehe drohen keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können." Diese Entscheidung war nicht allgemein erwartet worden. Immerhin hat der Präsident des BVerfG, der von der Senatsmehrheit überstimmt wurde, seine abweichende Meinung dem Urteil beigefügt. Das BVerfG hat mit seiner Entscheidung die liberalen Tendenzen, die in der deutschen Gesellschaft nicht zu übersehen waren, als wesentlich angesehen.

Die Entwicklung ging weiter: Das Gesetz vom 15. Dezember 2004[82] regelt die vollständige Übernahme des ehelichen Güterrechts u. a. Eine einkommensteuerrechtliche Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft verweigerte der Gesetzgeber. Finanzämter lehnten daher die Anwendung des Ehegattensplitting ab. Nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben mehrere Lebenspartner Verfassungsbeschwerde gegen die Gerichtsurteile und die diesen zugrunde liegenden Einkommensteuerbescheide, weil sie sich gegenüber Verheirateten ungleich behandelt fühlten. Das BVerfG gab den Verfassungsbeschwerden mit Beschluss vom 7. Mai 2013[83] statt, weil "die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern in den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) zum Ehegattensplitting mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1[84] nicht vereinbar ist.

Man betrachte noch einmal die Entwicklung der letzten 5 Jahrzehnte. Vor 50 Jahren war die einfache Homosexualität zwischen erwachsenen Männern strafbar. Heute ist infolge gesetzlicher Regelungen und verfassungsgerichtlicher Entscheidungen die Lebenspartnerschaft homosexueller Personen weitgehend der herkömmlichen Ehe gleichgestellt. Das Verfassungsgericht lässt in seinen Entscheidungen immer wieder erkennen, dass es eine gegenwartsnahe, zeitgemäße Interpretation als seine Aufgabe ansieht. Sein Blick ist nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtet.[85]

IX. Das Bundesverfassungsgericht im europäischen Verfassungsgerichtsverbund

Als das BVerfG 1951 installiert wurde, war es für den rechtlichen Raum der Bundesrepublik Deutschland das einzige Gericht, das verfassungsrechtliche Streitigkeiten letztverbindlich zu entscheiden hatte. Doch bald bekam es Gesellschaft durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg 1952/53 und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg 1959. Die beiden europäischen Gerichte übernahmen "in zunehmendem Maße verfassungsgerichtliche Funktionen.[86] Sind diese drei Gerichte Konkurrenten? Wie wirken sie zusammen?

1. Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) wurde 1950 im Europarat ausgearbeitet und von der BRD 1952 ratifiziert.[87] Obwohl die Konvention in Deutschland nur als "einfaches" Recht gilt, hat die Rechtsprechung des EGMR die Rechtspraxis in Deutschland wesentlich beeinflusst. Neben der "Staatenbeschwerde" in Art. 33, mit der jeder Vertragsstaat den EGMR wegen einer Verletzung der Konvention anrufen kann, gewährt die Konvention mit Art. 34 die Individualbeschwerde, mit der der einzelne Bürger Rechtsschutz gegen Konventionsverletzungen begehren kann. Zuvor müssen die innerstaatlichen Rechtsbehelfe, zu denen auch die Verfassungsbeschwerde zum BVerfG gehört, erschöpft sein (Art. 35). Damit können auch Entscheidungen des BVerfG vom EGMR darauf überprüft werden, ob sie mit den Grundrechten der Konvention übereinstimmen. Doch es bleibt festzuhalten, dass beide Gerichte unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe - das GG einerseits, die Konvention andererseits - anzuwenden haben. Divergierende Entscheidungen der beiden Gerichte sind zwar möglich, in der Praxis aber sehr selten. Das liegt auch an der Rechtsprechung des BVerfG, das die Rechtsprechung des EGMR als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Garantien des GG heranzieht.[88] Nach Art, 46 der Konvention haben die Vertragsstaaten "das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen". Der deutsche Gesetzgeber hat für diese Fälle u. a. in den Prozessgesetzen die Restitutionsklage vorgesehen.[89]

2. Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof

a) Vorrang des Unionsrechts

Das Verhältnis zwischen dem BVerfG und dem EuGH ist etwas differenzierter zu sehen. Während das BVerfG den europäischen Integrationsprozess mit verfassungsrechtlichen Augen betrachtet, misst

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der EuGH Hoheitsakte ausschließlich am Gemeinschaftsrecht. Er sieht es als seine selbstverständliche Aufgabe an, innerhalb der gesamten Europäischen Union für einen einheitlichen Vollzug des Gemeinschaftsrechts zu sorgen. Der EuGH verlangt einen unbedingten Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem gesamten nationalen Recht der Mitgliedstaaten, d. h. auch gegenüber nationalem Verfassungsrecht mit den jeweiligen Grundrechtsnormen.[90]

Demgegenüber hat sich das BVerfG im Beschluss vom 29. Mai 1974[91] zunächst die Befugnis vorbehalten, Gemeinschaftsrecht an den Vorgaben des GG zu messen, solange die Europäische Gemeinschaft nicht über einen dem GG adäquaten Grundrechtskatalog verfügt. Diese Entscheidung wurde einerseits heftig kritisiert, andererseits baute der EuGH den Grundrechtsschutz konsequent aus; dabei orientierte sich der EuGH - wie in Art. 6 Abs. 3 EU[92] vorgesehen - an der EMRK und an den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Auf Grund dieser Entwicklung hat das BVerfG 12 Jahre später seinen Kontrollanspruch zurückgenommen - jedoch gewissermaßen mit einem Widerrufsvorbehalt. Im Beschluss vom 22. Oktober 1986[93] erklärte das Verfassungsgericht, es werde Gemeinschaftsrecht nicht mehr am Maßstab des Grundgesetzes überprüfen, weil und solange im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften ein dem Standard des GG im wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet ist.[94] Diese Entscheidung hat zur Beruhigung mancher Gemüter beigetragen.

Es bleibt die Frage, wie eine Kollision zwischen Unionsrecht und nationalem Recht zu lösen ist. Über den Vorrang des Unionsrechts besteht Einigkeit in Wissenschaft und Praxis. Während der EuGH gelegentlich zu einem Geltungsvorrang tendierte, hat er sich in einer späteren Entscheidung zum Anwendungsvorrang bekannt, was der herrschenden Meinung entspricht.[95] Der Anwendungsvorrang bewirkt, dass nationales Recht, das gegen Unionsrecht verstößt, ohne weiteres außer Acht gelassen wird. Damit steht den Gerichten ein Verwerfungsrecht zu, ohne zu einer Vorlage des deutschen Gesetzes gemäß Art. 100 Abs. 1 GG[96] verpflichtet zu sein; dieses Verwerfungsrecht müsste auch den nationalen Behörden zuerkannt werden.[97]

b) Das sog. Vorabentscheidungsverfahren

Da die Gerichte der Mitgliedstaaten auch Gemeinschaftsrecht anwenden, ist ein Mechanismus notwendig, der die unterschiedliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den verschiedenen Mitgliedstaaten verhindert. Gemäß Art. 267 AEUV (= Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) können anlässlich eines Rechtsstreits dem EuGH Fragen nach der Auslegung und nach der Gültigkeit von Unionsrecht gestellt werden. Die Auslegungsfragen können sich auf das gesamte Unionsrecht beziehen, während Fragen nach der Gültigkeit nur das sekundäre und tertiäre Unionsrecht betreffen dürfen. Die Vorlagefrage muss für das beim nationalen Gericht anhängige Verfahren entscheidungserheblich sein. Jedes nationale Gericht ist berechtigt, ein sog. Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten (Art, 267 Abs. 2 AEUV). Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr angefochten werden können, sind nach Art, 267 Abs. 3 AEUV zur Vorlage verpflichtet.[98] Diese Vorlagepflicht wird vom BVerfG sehr ernst genommen. Wenn das zur Vorlage verpflichtete Gericht die Vorlagepflicht verletzt, können die Prozessbeteiligten mit der Verfassungsbeschwerde zum BVerfG rügen, dass sie ihrem gesetzlichen Richter entzogen werden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG[99]); denn das BVerfG hat den EuGH im Zusammenhang mit der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV als gesetzlichen Richter anerkannt.[100] Der EuGH hat über die vorgelegte Frage nur eine Vorabentscheidung zu treffen, die für das vorlegende Gericht bindend und im anhängigen Prozess zu berücksichtigen ist.

Das BVerfG hat auch sich selbst zur Vorlagepflicht bekannt, wenn es als einzige Instanz agiert.[101] Der Umgang mit den Vorschriften des Vorabentscheidungsverfahren ist ein Beispiel für die funktionierende Kooperation zwischen dem BVerfG und dem EuGH. Doch es können Konflikte auftreten. Im Maastricht-Urteil[102] behält sich das BVerfG die Prüfung vor, ob sich Rechtsakte von Unionsorganen in den Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte halten oder aus ihnen ausbrechen ("Ultra-vires-Kontrolle"); eine solche Feststellung hat das BVerfG bisher nicht getroffen. Im Lissabon-Urteil[103] schließlich hat das BVerfG die "Ultra-vires-Kontrolle" um den Gesichtspunkt der Identitätskontrolle ergänzt.[104] Danach wird vom BVerfG geprüft und ggfs. verhindert, dass Gesetze zur Übertragung von Hoheitsrechten die von Art. 23 Abs. 1 Satz 3 und Art. 79 Abs. 3 GG[105] gezogenen Grenzen überschreiten. Der Europäische Verfassungsgerichtsverbund wird noch enger, wenn das Verfahren zum Beitritt der Europäischen Union zur EMRK abgeschlossen ist. Dann "unterliegt die Europäische Union wie jeder Mitgliedstaat unmittelbar den Vorgaben der EMRK und damit auch der EuGH der Nachprüfung seiner Urteile durch den EGMR".[106]

X. Abschließende Bemerkung

Das BVerfG hat für die Stabilität und Fortentwicklung der deutschen Verfassungsordnung einen tagtäglich

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spürbaren Beitrag geleistet. Seine Spruchpraxis hat im Laufe der Jahrzehnte seines Bestehens aber "nicht nur Respekt und Beifall gefunden, sondern auch heftige Urteils- und Richterschelte".[107] Dennoch muss festgestellt werden: Das BVerfG hat vor allem die Grundrechte lebendige Wirklichkeit werden lassen, wie das nie zuvor in der deutschen Geschichte der Fall war. Ohne das BVerfG wäre Deutschland eine andere Republik.

Obwohl das BVerfG vom Wortlaut der "Ewigkeitsklausel" des Art. 79 Abs. 3 GG nicht erfasst ist, findet sich in der Literatur die Auffassung, dass das BVerfG an der "Ewigkeitsklausel" teilhat, weil die Verfassungsgerichtsbarkeit "konstitutiver Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist".[108] Die Frage kann offen bleiben; denn das BVerfG und sein Wirken sind im Bewusstsein der Bevölkerung Deutschlands so stark verankert, dass ganze Heerscharen von Bürgern auf die Straße gingen und für den Bestand des Verfassungsgerichts kämpfen würden, sollten politische Kräfte auf die Idee kommen, die Verfassungsgerichtsbarkeit anzutasten. Insofern ist das Bundesverfassungsgericht unantastbar. ■

ANMERKUNGEN

* Doktorandenseminar der Universität Pécs, 20. September 2013

[1] Dazu und zum folgenden Werner Frotscher/Bodo Pieroth, Verfassungsgeschichte, 1997, S. 20 ff.; Winfried Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1987, S. 5 ff.

[2] Einzelheiten zu diesem Verfahren bei Winfried Brugger, Einführung in das öffentliche Recht des USA, 2. Auflage 2001, S. 8 ff.; ders. (Anm. 1), S. 5 ff.; Frotscher/Pieroth (Anm. 1), S. 21 ff.

[3] Brugger (Anm. 2), S. 7.

[4] So Gerd Roellecke, Aufgaben und Stellung des Bundesverfassungsgerichts im Verfassungsgefüge, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band III, 2005, § 67 Rn. 10.

[5] Näher dazu Gerhard Robbers, Geschichtliche Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Dieter C. Umbach/ Thomas Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1992, Rn. 23 ff.

[6] Die heutige Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland wird auch in der Tradition der Rechtsprechung der Reichsgerichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Reichskammergericht, Reichshofrat) gesehen; so Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht -Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 9. Auflage 2012, S. 1; Schlaich/Korioth fahren fort: "Aber trotzdem: Vollständig verwirklicht hat sich eine auf Fragen des Verfassungslebens spezialisierte Gerichtsbarkeit erst mit dem Grundgesetz."

[7] Zum BVerfG als Muster einer selbständigen Verfassungsgerichtsbarkeit siehe Peter Häberle, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, 2001, Band I, S. 311 ff.

[8] So BVerfGE 69, 112 (118).

[9] Schlaich/Korioth (Anm. 6), S, 9.

[10] So bereits zu Beginn seiner Rechtsprechung: BVerfGE 1, 184 (195, 197); E 1, 396 (408) und in weiteren Entscheidungen; so insbesondere auch in der "Status-Denkschrift des BVerfG aus dem Jahr 1957 (Jahrbuch des öffentlichen Rechts Band 6, S. 109); Maunz, in: Maunz-Dürig, Loseblatt-Kommentar zum Grundgesetz, Art. 94 Rn. 3, spricht vom BVerfG gar als dem "obersten Hüter der Verfassung", weil "auch andere Organe berufen sind, die Verfassung zu hüten, wie Bundespräsident, Bundesregierung, Bundesrat, Bundestag".

[11] Statt vieler: Reinhold Zippelius/Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 31. Auflage 2005, S. 442; kritisch gegenüber dieser Charakterisierung Peter Badura, Staatsrecht, Systematische Erläuterung des Grundgesetzes, 4. Auflage 2010, S. 823.

[12] Maunz (Anm. 10), Art. 94 Rn. 4.

[13] So Roellecke (Anm. 4), § 67 Rn. 28.

[14] Uwe Kischel, Amt, Unbefangenheit und Wahl der Bundesverfassungsrichter, in: Isensee/Kirchhof (Anm. 4), § 69 Rn. 54 f., weist zu Recht darauf hin, dass es eher US-amerikanischer Sicht entspricht, in der Verfassungsgerichtsbarkeit ein politisches Verfahren zu sehen.

[15] So auch unmissverständlich Zippelius/Würtenberger (Anm. 11), S. 443.

[16] Veröffentlicht im Jahrbuch des öffentlichen Rechts Band 6.

[17] Einzelheiten bei Roellecke (Anm. 4), § 67 Rn. 15 ff.; § 19 der Geschäftsordnung des BVerfG spricht vom BVerfG als einem "obersten, kollegialen Verfassungsorgan".

[18] Allgemeine Meinung; Näheres dazu bei Schlaich/ Korioth (Anm. 6), S. 6.

[19] BVerfGE 115, 118 ff.

[20] BVerfGE 105, 48 (56).

[21] So Zippelius/Würtenberger (Anm. 11), S. 456; Werner Heun, Normenkontrolle, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, 2001, Bd. 1, S. 623, spricht von "gelegentlich übertrieben" hohen Hürden, die das BVerfG für die Zulässigkeit einer Richtervorlage aufrichtet.

[22] BVerfGE 1, 184 (197); ständige Rechtsprechung, die allgemein anerkannt ist.

[23] § 4 der mongolischen Verwaltungsgerichtsordnung in Verb. mit § 10 Abs. 2 und 3 der mongolischen Zivilprozessordnung; auch in Österreich haben nur bestimmte Gerichte das Recht, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Gesetzesprüfung zu stellen; siehe dazu Bernd-Christian Funk, Einführung in das österreichische Verfassungsrecht, 9. Auflage 1996, S. 262.

[24] Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 274 (Fußn. 21) weisen darauf hin, dass auch andere Rechtsordnungen diesen Grundsatz kennen; das österreichische Recht z. B. geht davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof ein verfassungswidriges Gesetz aufhebt, die verfassungsgerichtliche Entscheidung demnach konstitutiv wirkt; siehe dazu Funk (Anm. 23), S. 263.

[25] Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 112; Heun (Anm. 21), S. 622 (Fußn. 68) berichtet, dass bis 31.12.1999 insgesamt 3123 Vorlagen gemäß Art. 100 Abs. 1 GG beim BVerfG eingegangen sind.

[26] Heun (Anm. 21), S. 616.

[27] Die verschiedenen Aspekte der Verfassungsbeschwerde sind behandelt im Beitrag von Jürgen Harbich in: "ADAMANTE NOTARE", Essays in honour of Professor Antal Ádám on the occasion of his 75[th] birthday, Pécs 2005, S. 32 ff.

[28] Ständige Rechtsprechung des BVerfG seit E 1, 97 (101).

[29] BVerfGE 61, 82 (100 ff.).

[30] Siehe die statistische Übersicht in Festschrift 50 Jahre BVerfG, 2001, Bd. 2, S. 934 f.

[31] Siehe Festschrift (Anm. 30), S. 931.

[32] Von solchen Forderungen berichtet Christoph Gusy, Die Verfassungsbeschwerde, in: 50 Jahre BVerfG, 2001, Bd. 1, S. 643.

[33] BVerfGE 10, 59 ff.

[34] Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Art. 3 Abs.2, Rn. 28.

[35] So - statt vieler - Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 320.

[36] Die Weimarer Demokratie ist weitgehend auch an der Toleranz gegenüber Verfassungsfeinden zugrunde gegangen;

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so zu Recht Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, 2 . Auflage 1984, S. 206.

[37] Herrschende Meinung; siehe BVerfGE 5, 85 (113, 129); Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 230; Zippelius/Würtenberger (Anm. 11), S. 465; Badura (Anm. 11), S. 348; Hans D. Jarass/Bodo Pieroth, Kommentar zum GG, Art. 21 Rn. 30; Hans H. Klein, in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Art. 21 Rn. 547 spricht von einem weiten, aber nicht unbegrenzten Ermessen; Rudolf Streinz, in: Hermann v. Mangoldt/Friedrich Klein/ Christian Starck, Kommentar zum GG, Band 2, 2005, Art. 21 Rn. 245, nimmt "bei manifester Verfassungswidrigkeit einer Partei" eine Pflicht zur Stellung eines Verbotsantrags an.

[38] BVerfGE 2, 1 ff.

[39] BVerfGE 5, 85 ff.; Näheres zu den SRP- und KPD-Verfahren bei Martin Morlock, NJW 2001, 2931 ff.

[40] BVerfGE 7, 17 f.

[41] Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 26 mit weiteren Nachweisen.

[42] Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 26 f.

[43] Wolfgang Löwer, Zuständigkeiten und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band III, 3. Auflage 2005, § 70 Rn. 108 mit Fußn. 832.

[44] Ebenso Uwe Kischel (Anm. 14), § 69 Rn. 36; das ist die überwiegende Meinung in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit.

[45] Statt vieler: Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 29; Uwe Kischel (Anm. 14), § 69 Rn. 5.

[46] So Kischel (Anm. 14), § 69 Rn. 51 f.; Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 29; Jarass/Pieroth (Anm. 37), Art. 94 Rn. 1 mit weiteren Nachweisen.

[47] BVerfGE 40, 356 ff.; E 65, 152 ff.

[48] Jarass/Pieroth (Anm. 37), Art. 94 Rn. 1 mit weiteren Nachweisen.

[49] Kischel (Anm. 14), § 69 Rn. 7 mit weiteren Nachweisen.

[50] So Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 29; siehe deren Ausführungen auch zum folgenden.

[51] Kischel (Anm. 14), § 69 Rn. 58.

[52] Art. III Abschnitt 1 der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1787.

[53] Die Mitgliedschaft in einer politischen Partei ist in Deutschland weder Richtern noch Beamten verwehrt.

[54] Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG lautet: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit."

[55] So zu Recht Kischel (Anm. 14), § 69 Rn. 34.

[56] Kischel (Anm. 14), § 69 Rn. 81.

[57] So der Titel des Beitrags von Hartmut Schiedermair, in: Festschrift für Peter Badura zum 70. Geburtstag, 2004, S. 477 ff.

[58] So Schiedermair (Anm. 57), S. 478.

[59] BVerfGE 88, 173 ff.

[60] BVerfGE 36, 1 ff.

[61] BVerfGE 123, 267 ff.

[62] BVerfGE 5, 85 ff.

[63] BVerfGE 114, 121 ff.

[64] Schiedermair (Anm. 57), S. 479.

[65] Auch das BVerfGE 36, 1 (14) spricht davon.

[66] Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 341.

[67] Näher dazu und zum folgenden Winfried Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, 1987, S. 17 - 21; ders. Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Auflage 2001, S. 21 ff.; Karl Löwenstein, Verfassungsrecht und Verfassungspraxis der Vereinigten Staaten, 1959, S. 431 ff.

[68] Dazu z. B. Schiedermair (Anm. 57) , S. 481 ff.

[69] Verfassungslehre, 8. Auflage 1928, S. 118.

[70] Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG lautet: "Findet der Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen 21 Tagen den Bundestag auflösen."

[71] Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG lautet: "Sie (= die Abgeordneten des deutschen Bundestages) sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen."

[72] Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG lautet: "Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt."

[73] BVerfGE 114, 121.

[74] BVerfGE 62, 1 ff.

[75] Eingehend zur Vertrauensfrage des Bundeskanzlers vom 27. Juni 2005: Jürgen Harbich, Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers, Referat gehalten auf der Internationalen Konferenz "Praktische und theoretische Aspekte des Verfassungsrechts" in Wroclaw/Breslau vom 16.- 18. März 2006; in deutscher Sprache veröffentlicht im Tagungsband "Praktyczne i teoretyczne aspecti prawa konstytucyjnego", Wroclaw 2006, S. 97 - 115; Ausführungen des Referats sind teilweise in diesen Beitrag übernommen. - In der Diskussion um die Vertauensfrage hat auch weder der Bundeskanzler noch sonst jemand erklärt, wie sich durch die Neuwahl des Bundestages die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat verändern sollten; darauf weist zu Recht Bernhard Vogel hin; siehe seinen Beitrag, Die Bundesrepublik Deutschland - eine Erfolgsgeschichte: Dank oder trotz des Föderalismus? in: Festschrift für Roman Herzog zum 75. Geburtstag, 2009, S. 519 ff., 527.

[76] So Horst Bartholomeyczik, Die Kunst der Gesetzesauslegung, 1971, S. 38; in diesem Sinn auch Andreas Voßkuhle, JZ 2009, 917 (919), der davon spricht, dass sich die Zukunftsfähigkeit einer Verfassung auch daran erweist, "dass sie den gesellschaftlichen Wandel aktiv begleitet und mit der Verfassungswirklichkeit Schritt hält".

[77] Art. 2 Abs. 1 GG lautet: "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."

[78] BVerfGE 6. 389 ff.

[79] So Udo Di Fabio, in Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 45, so auch Hans-Uwe Erichsen, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, 1989, Allgemeine Handlungsfreiheit, § 152 Rn. 41, spricht vom "Wandel des sittlichen Bewusstseins der Rechtsgemeinschaft".

[80] BGBl I S. 266.

[81] BVerfGE 105, 313 ff.

[82] BGBl I S. 3396.

[83] NJW 2013, S. 2257 ff.

[84] Art. 3 Abs. 1 GG lautet: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich."

[85] So Karl Engisch, Einführung in das Recht, 9. Auflage 1977, S. 114, bezogen allgemein auf "die Aufgabe des Juristen".

[86] Andreas Voßkuhle, Der europäische Verfassungsgerichtsverbund, NVwZ 2010, S. 1 ff.

[87] Die Konvention gilt mittlerweile in 47 Vertragsstaaten.

[88] Voßkuhle (Anm. 86), S. 4 mit Hinweisen auf Entscheidungen des BVerfG.

[89] Siehe § 580 Nr. 8 ZPO und entsprechende Regelungen in den anderen Prozessgesetzen.

[90] Näher dazu Schlaich/Korioth (Anm. 6), S. 252; Rudolf Streinz, Europarecht, 9. Auflage 2012, S. 76 ff., jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH.

[91] BVerfGE 37, 271 (285) - Solange I - Beschluss.

[92] EU = Vertrag über die Europäische Union in der Fassung des Vertrages von Lissabon.

[93] BVerfGE 73, 339 ff. - Solange II - Beschluss.

[94] Zum adäquaten Grundrechtsschutz in der Europäischen Union eingehend Voßkuhle (Anm. 86), S. 6 ff.

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[95] Ausführlich zum Anwendungs- und Geltungsvorrang Streinz (Anm. 90), S. 73 ff.

[96] Siehe oben Ausführungen zu IV 3.

[97] Das fordert Streinz (Anm. 90), S. 92.

[98] Näheres zu dieser Problematik bei Juliane Kokott, Thomas Henze, Christoph Sobotta, Die Pflicht zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof und die Folgen ihrer Verletzung, JZ 2006, S. 633.

[99] Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG lautet: "Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden."

[100] BVerfGE 82, 159.

[101] Näheres dazu bei Kokott, Henze, Sobotta (Anm. 98), 634 mit Hinweis auf BVerfGE 37, 271 (282) und andere Entscheidungen. Mit Beschluss vom 7. Februar 2014 (Az.: 2 BvR 2728/13 u. a.) hat das BVerfG dem EuGH die Frage vorgelegt, ob das Programm der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Staatsanleihen mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Es ist das erste Mal, dass das BVerfG eine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt hat.

[102] Urteil vom 12. Oktober 1993 - BVerfGE 89, 155 ff.

[103] Urteil vom 30. Juni 2009 - BVerfGE 123, 267 ff.

[104] Dazu und zum folgenden Voßkuhle (Anm. 86), S. 7; Streinz (Anm. 90), S. 83 ff.

[105] Art. 79 Abs. 3 GG lautet: "Eine Änderung des Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder und die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig." Dieser Artikel wird in der Literatur häufig als "Ewigkeitsklausel" bezeichnet.

[106] Streinz (Anm. 90), S. 92, 274 f.

[107] Wolfgang Knies, Auf dem Weg in den "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat"? Das Bundesverfassungsgericht und die gewaltenteilende Kompetenzordnung des Grundgesetzes, in: Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, 1997, S. 1155 ff.

[108] Michael Kloepfer, Verfassungsrecht I, 2011, S. 635 f.; Roman Herzog, in: Maunz-Dürig, Art. 20 Abschnitt V, Rn. 73: "die Beseitigung des BVerfG ... mit dem Geist des GG nicht zu vereinbaren"; a. A. Roellecke (Anm. 4), § 67 Rn. 35.

Lábjegyzetek:

[1] Der Autor ist Vorstand der Bayerischen Verwaltungsschule a. D.

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